Suche zurücksetzen

Inhalte

  • BVG-Revision

Akteure

  • Partei der Arbeit (PdA)
  • Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SPS)

Prozesse

6 Resultate
Als PDF speichern Weitere Informationen zur Suche finden Sie hier

Zwischen Dezember 2019 und Mai 2020 führte der Bundesrat eine aufgrund der ausserordentlichen Lage verlängerte Vernehmlassung zur Reform der beruflichen Vorsorge durch. Daran beteiligten sich alle Kantone, acht im eidgenössischen Parlament vertretene Parteien sowie zahleiche Verbände und Gewerkschaften. Wie bereits zuvor in den Medien zu vernehmen gewesen war, stellten der Pensionskassenverband ASIP sowie der Schweizerische Baumeisterverband, Swiss Retail Federation und Arbeitgeber Banken eigene Reformmodelle vor, die insbesondere eine stärkere Reduktion des Umwandlungssatzes beinhalteten und von verschiedenen Vernehmlassungsteilnehmenden unterstützt wurden (etwa dem SGV, Swissbanking, GastroSuisse, ICT Switzerland und verschiedenen Pensionskassen).

Die Mehrheit der Kantone (AR, BE, BS, FR, GE, GL, JU, LU, NE, SH, VD, VS) unterstützte die Stossrichtung der Vorlage, einige lehnten sie jedoch wegen dem vorgeschlagenen Rentenzuschlag insgesamt ab (BL, NW, OW, SG, SZ, ZG, ZH). Der Rentenzuschlag stellte sich denn auch nicht unerwartet als grösster Streitpunkt der Vorlage heraus: Von den Kantonen sprachen sich 14 ausdrücklich dagegen (AI, BE, GL, BL, GR, NE, NW, OW, SZ, TI, UR, VS, ZG, ZH) und acht ausdrücklich dafür aus (AG, BS, JU, LU, SO, SH, TG, VD). Auch die bürgerlichen Parteien BDP, CVP, EVP, FDP und SVP befürworteten die Reform, insbesondere die Senkung des Umwandlungssatzes, lehnten aber den Rentenzuschlag ab. Verschiedene bürgerliche Jungparteien störten sich insbesondere daran, dass die entsprechende Umverteilung auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung und der zukünftigen Generationen geschehe. Umgekehrt nannten die SP und die Grünen die Erhaltung der bisherigen Rentenhöhe – und somit den Rentenzuschlag – als Bedingung für ihre Zustimmung zur Senkung des Umwandlungssatzes. Seitens Verbände erfuhr der bundesrätliche Vorschlag Unterstützung von seinen Urhebern, dem Arbeitgeberverband, dem Gewerkschaftsbund und Travail.Suisse, während diverse andere Verbände wegen dem Rentenzuschlag die Alternativmodelle bevorzugten.
Deutlich weniger umstritten als der Rentenzuschlag und die Senkung des Umwandlungssatzes war die Senkung des Koordinationsabzugs, die alle Teilnehmenden guthiessen. Umstritten war jedoch die Höhe der Senkung. So schlugen beispielsweise BDP, CVP und EVP eine Senkung auf 40 Prozent des AHV-Lohns, aber einen maximalen Abzug von CHF 21'330 vor, die SVP und der Kanton St. Gallen befürworteten eine Senkung bis zur Eintrittsschwelle (CHF 21'330) und die SP und die Grünen bevorzugten eine vollständige Abschaffung des Koordinationsabzugs. Auch bezüglich der Staffelung der Altersgutschriften gab es zahlreiche unterschiedliche Vorschläge, wobei sich viele Vernehmlassungsteilnehmende einen Sparbeginn ab dem 20. Altersjahr wünschten.

Reform der Beruflichen Vorsorge (BVG 21; BRG 20.089)
Dossier: Koordinationsabzug und Eintrittsschwelle BVG

Neben dem obligatorischen Referendum zur Zusatzfinanzierung der AHV durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, kündigten verschiedene Gruppierungen, allen voran die Westschweizer Gewerkschaften, ihr Interesse an der Ergreifung eines fakultativen Referendums zur Reform der Altersvorsorge 2020 an. So seien mit der Erhöhung des Frauenrentenalters und der Senkung des Umwandlungssatzes zwei Änderungen enthalten, die man nicht akzeptieren könne. Nach kurzer Zeit wurde jedoch deutlich, dass die Westschweizer Gewerkschaften nicht auf eine breite Unterstützung hoffen konnten und das Referendum mehrheitlich alleine würden stemmen müssen. Unterstützt wurden sie lediglich von vereinzelten linken Organisationen, zum Beispiel von der Genfer SP-Kantonalsektion. Gegen Ende der Unterschriftensammlung engagierten sich auch die Zeitschriften K-Tipp und Saldo. Als Grund dafür gaben sie an, dass sie verhindern wollten, dass auf dem Stimmzettel ausschliesslich von der AHV die Rede sei und dadurch das vollständige Ausmass der Revision unterschätzt würde. Zwar kritisierten auch weitere linke Kreise die Vorlage, allen voran die Gewerkschaften, dennoch sprachen sich die Delegierten der Unia, von VPOD, des SGB sowie von Travai.Suisse knapp für die Reform aus. Dabei wurden die unterschiedlichen Positionen der Linken in der Deutsch- und Westschweiz deutlich. Um diese verschiedenen Positionen zu vereinen, beschloss die SP eine Urabstimmung durchzuführen, bei der sich 90 Prozent der teilnehmenden SP-Mitglieder für die Reform aussprachen. Ungeachtet dieser Urabstimmung beschlossen die Juso kurze Zeit später die Nein-Parole und unterstützten das linke Referendumskomitee.

Gespalten zeigten sich wie bereits im Parlament auch die Bürgerlichen. FDP und SVP sowie breite Wirtschaftskreise inklusive Economiesuisse, dem Gewerbeverband und dem Arbeitgeberverband sprachen sich gegen die Reform aus, setzten dem linken Referendumskomitee jedoch kein bürgerliches Pendant entgegen. Unter dem Namen „Generationenallianz” bewarben sie aber gemeinsam die Ablehnung der Reform. Die anderen bürgerlichen Parteien, allen voran die CVP und BDP, warben für die Annahme der Vorlage. Unterstützt wurden sie von zahlreichen Westschweizer Verbänden, unter anderem vom Westschweizer Wirtschaftsverband Centre Patronal. Im Laufe der Kampagne sprachen sich unter anderem auch der Bauernverband, Eveline Widmer-Schlumpf als neue Präsidentin der Pro Senectute, Pro Senectute selbst sowie weitere Seniorenverbände für die Reform aus. Gespalten zeigten sich die Versicherungen: Während Helvetia und Axa Winterthur, der Pensionskassenverband Asip sowie der Verwaltungsratspräsident des AHV-Fonds die Reform befürworteten, hielten sich die anderen Versicherer bedeckt.

Da die Berichterstattung zur Vorlage nach dem Showdown im Parlament im März 2017 bis zum Abstimmungstermin im September 2017 nie wirklich abriss, beleuchteten die Medien jedes Detail der Vorlage und insbesondere des Abstimmungskampfes. So wurde ausführlich über die Positionen der verschiedenen Parteien, Verbände, Vereine und Interessengruppen, aber auch über einzelne Abweichler innerhalb der verschiedenen Akteursgruppen berichtet. Diskutiert wurden die Gefahr für die Reform durch das erforderliche Ständemehr sowie die Konsequenzen für die Reform, falls nur eine der beiden Vorlagen angenommen würde. Ausführlich beschrieben wurden die Aktivitäten der Jungparteien, die trotz geringem Budget mit viel Engagement versuchten, die jüngeren Stimmbürger zu mobilisieren und zu überzeugen. So engagierte sich zum Beispiel die Junge CVP mit einer eigenen Pro-Kampagne im Internet und mit Standaktionen, während die Jungfreisinnigen mit Aktionstagen, Plakaten und Videos für ein Nein warben. Zudem erhielten die Befürworter mit Ruth Dreifuss, Walter Andreas Müller und Beni Thurnheer prominente Unterstützung. Dieses Engagement ausserhalb des bezahlten Raums wurde auch durch eine Auswertung der Inseratekampagne durch Année Politique Suisse verdeutlicht. Diese ergab, dass Anzahl und Reichweite der Inserate zur Altersvorsorge entgegen der betont grossen Relevanz der Vorlage nur durchschnittlich gross waren, was die Komitees mit ihren knappen Budgets erklärten.

Ebenfalls sehr engagiert zeigte sich Bundesrat Berset, der nicht müde wurde, die Wichtigkeit der Reform zu betonen. Dieses starke Engagement vor allem auch in Zusammenhang mit seinen Warnungen vor den drastischen Folgen eines Neins brachten ihm jedoch viel Kritik ein. Hinzu kam eine breite Kritik am Abstimmungsbüchlein, das ausschliesslich die Referendumsführer, also die Westschweizer Gewerkschaften, zu Wort kommen liess, nicht aber die bürgerlichen Gegner der Vorlage. Grund dafür war, dass bei obligatorischen Referenden Minderheitenpositionen keine eigenen Seiten erhalten und bei fakultativen Referenden nur die Referendumskomitees. Darüber hinaus war vor allem inhaltliche Kritik am Abstimmungsbüchlein zu vernehmen, so seien die Darstellungen des Bundesrates fehlerhaft und unvollständig. Doch nicht nur zur Informationspolitik des Bundesrates, auch bezüglich der Argumentationen beider Lager wurden im Laufe der Kampagne vermehrt kritische Stimmen laut. Kritisiert wurde, dass beide Seiten nicht mit offenen Karten spielten und wichtige Argumente gezielt verschwiegen.

Inhaltlich drehte sich die Berichterstattung vor allem um die Frage, ob die AHV schneller in ernsthafte finanzielle Probleme gerate, wenn man die Reform annehme oder wenn man sie ablehne. Beide Seiten gaben zu, dass in Zukunft weitere Reformen nötig sein werden, uneinig war man sich jedoch darüber, bei welchem Abstimmungsergebnis dies dringender der Fall sei. Auch bezüglich den Gewinnern und Verlierern der Reform war man sich uneins. Sowohl Befürworter als auch Gegner betonten, dass alleine ihre Position die Situation der Jungen und der Frauen verbessern würde.

Aufgrund der knappen, ungewöhnlichen Ausgangslage mit Spaltungen innerhalb der linken und bürgerlichen Parteien war schliesslich unklar, welches Lager tendenziell in Führung lag. Wirklich Licht ins Dunkel konnten auch die Vorumfragen nicht bringen. Manchmal ergaben sie einen Vorsprung der Befürworter, manchmal der Gegner, aber grösstenteils machten sie relativ knappe Zwischenresultate zwischen den beiden Lagern aus. Entsprechend knapp gingen die Abstimmungen schliesslich auch aus. Mit 2357 Stimmen mehr bei 50.0 Prozent und 11 5/2 Standesstimmen lehnte das Stimmvolk die Mehrwertsteuererhöhung ab. Leicht deutlicher fiel die Entscheidung zur Reform der Altersvorsorge 2020 aus, die mit 52.7 Prozent abgelehnt wurde. Nach über zweijähriger Ausarbeitung der Reform wird das Parlament somit bei der Revision der Altersvorsorge von vorne beginnen müssen.


Abstimmung vom 24. September 2017

Zusatzfinanzierung der AHV durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer:
Beteiligung: 46.8%
Ja: 1`254`675 (50,0%) / Stände: 9 1/2
Nein: 1`257`032 (50,0%) / Stände: 11 5/2

Parolen:
-Ja: SP, Grüne, CVP, GLP, EVP, BDP, EDU
-Nein: SVP, FDP


Reform der Altersvorsorge 2020:
Beteiligung: 46,7%
Ja: 1`186`079 (47,3%)
Nein: 1`320`830 (52,7%)

Parolen:
-Ja: SP, Grüne, CVP, GLP, EVP, BDP
-Nein: SVP, FDP, EDU, PdA

Reform «Altervorsorge 2020» (BRG 14.088)
Dossier: Debatten um das Frauenrentenalter
Dossier: Erhöhung des Rentenalters
Dossier: Koordinationsabzug und Eintrittsschwelle BVG

Ende März 2015 begann der parlamentarische Prozess zur Reform der Altersvorsorge 2020 mit der Beratung in der Kommission für Soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerats. Entgegen früheren Forderungen, die Reform an den Bundesrat zurückzuweisen, damit dieser sie in zwei Pakete aufspalte, beschloss die Kommission einstimmig, dem Plenum Eintreten zu empfehlen. Die Detailberatungen zogen sich von April bis August, wobei die SGK-SR im Mai eine Sondersitzung ansetzte und Mitte August teils in Anwesenheit des Sozialministers Berset tagte. Die Zeit drängte, denn aus mehreren Gründen schien es wichtig, die Vorlage noch im September 2015 ins Plenum bringen zu können. Einerseits kann nur so verhindert werden, dass aufgrund der auslaufenden IV-Zusatzfinanzierung die Mehrwertsteuer per Ende 2017 gesenkt würde, bloss um kurze Zeit später bei Inkrafttreten der Reform wieder erhöht zu werden – ein aufwändiger und teurer Vorgang, und damit ein möglicher Grund für die Wirtschaftsverbände, die Reform entschlossen zu bekämpfen. Andererseits, so zumindest die Darstellung in der Presse, setzten sich vier gestandene Sozialpolitikerinnen und -politiker aus den Mittefraktionen im Ständerat dafür ein, die Reform noch vor den Wahlen zu beraten, da sie bei diesen nicht mehr antraten und entsprechend nach der Herbstsession aus dem Rat ausscheiden würden. Es handelte sich dabei um Urs Schwaller (cvp, FR), Verena Diener (glp, ZH), Felix Gutzwiller (fdp, ZH) und Doris Fiala (fdp, ZH). Nicht zuletzt bestand das Gefühl eines generellen Zeitdrucks angesichts der negativen Entwicklungen in der ersten und zweiten Säule.

Am 17. August präsentierte die Kommission die Ergebnisse der Beratung in einer Medienkonferenz. Nach rund 45 Stunden Beratungszeit hatte sie die Reform letztlich einstimmig mit 9 zu 0 Stimmen bei 4 Enthaltungen angenommen. Der Erhöhung des Rentenalters für Frauen stimmte die Kommission zu, und sie verkürzte dabei den Anpassungszeitraum von sechs auf vier Jahre. Die punktuelle Erhöhung des Referenzalters für Frauen sah die SGK eingebettet in allgemeine Bestrebungen zur Flexibilisierung des Zeitpunktes des Altersrücktritts. Die Änderungen bei den Witwen- und Waisenrenten lehnte die Kommissionsmehrheit dagegen ab, womit gegenüber dem Bundesratsentwurf Einsparungen in der Höhe von CHF 340 Mio. wegfallen. Sie folgte dem Bundesrat bei der Senkung des BVG-Umwandlungssatzes auf 6 Prozent. Jedoch entwarf die Kommission ganz andere Ausgleichsmassnahmen als jene, die die Regierung vorgesehen hatte: Nur ein Teil des Ausgleichs sollte über die berufliche Vorsorge geschehen, so die Idee, der andere Teil soll über die AHV abgewickelt werden. Der Grundsatzentscheid dazu war in der Kommission einstimmig mit drei Enthaltungen gefallen. Konkret soll der Koordinationsabzug in der zweiten Säule nur leicht gesenkt und nicht gestrichen werden, dafür sollen alle neuen AHV-Renten um CHF 70 aufgestockt und der Plafond für Ehepaar-Renten in der AHV von 150 auf 155% einer Einzelrente erhöht werden. Zudem sollen die Altersgutschriften in der beruflichen Vorsorge gegenüber dem Entwurf des Bundesrats erhöht und anders gestaffelt werden. Der Beitragsbeginn soll von aktuell 25 auf 21 Jahre gesenkt werden. Auf einen Interventionsmechanismus in der AHV, eine Schuldenbremse, welche bei der Unterschreitung eines Schwellenwerts zu automatischen Beitragserhöhungen und Leistungseinschränkungen führen würde, wollte die Kommission verzichten. Bezüglich der Finanzierung der Reform sah die Ständeratskommission im Gegensatz zum Bundesrat eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um nur ein anstelle von 1,5 Prozent vor. Die Anpassung sollte zudem in drei Schritten erfolgen. Die Ausgabenerhöhungen bei der AHV sollten innerhalb dieser finanziert werden, und zwar mit 0,3 Lohnprozenten, die je hälftig auf Arbeitgeber und Arbeitnehmende zu verteilen sind. Die vom Bundesrat vorgesehene Senkung des Bundesanteils in der AHV-Finanzierung lehnte die Kommission ab. Aus der Vorlage streichen wollte die SGK-SR ebenso die beiden bundesrätlichen Vorschläge, den Vorbezug der AHV-Rente für Personen mit tiefem und mittlerem Einkommen abzufedern und die AHV-Beiträge für Selbstständige und Arbeitnehmende zu vereinheitlichen sowie die für erstere sinkende Beitragsskala abzuschaffen. Eine zusätzliche Belastung der Selbstständigerwerbenden um CHF 330 Mio., wie sie der ursprüngliche Entwurf verursacht hätte, wollte die Kommissionsmehrheit nicht hinnehmen. Grundsätzlich verfolgte die SGK-SR mit dem Verzicht auf verschiedene vom Bundesrat vorgesehene Anpassungen das Ziel, die Reform als ganze zu entlasten. Insgesamt waren zu den Mehrheitsanträgen der Kommission 13 Minderheitsanträge eingegangen, über welche das Ständeratsplenum zu entscheiden hat.

In Medien und Öffentlichkeit wurde der von der Kommission des Nationalrats vorgesehene Ausbau bei der AHV als grosse Überraschung aufgenommen. Auch die geplante Finanzierung über eine Erhöhung der Lohnbeiträge kam unerwartet. Die Rede war von einer Mitte-Links-Allianz aus CVP und SP, welche die Vorlage geprägt und sich gegenseitig das Einbringen zentraler Inhalte des Parteiprogramms in die Reform ermöglicht habe – die Erhöhung der AHV-Renten bei der SP, die Besserstellung der Ehepaare bei der CVP. Gleichzeitig schien klar, dass die Reform Bersets mit dem Entscheid der ständerätlichen Kommission eine erste Hürde genommen hatte. Insbesondere die geplante Erhöhung der AHV-Renten führte jedoch zu Kritik: Damit würden die Einsparungen, welche durch die Erhöhung des Frauenrentenalters entstehen, gleich wieder aufgebraucht, so bürgerliche Exponenten. Weiterhin wurde von verschiedener Seite angemerkt, die Reform sichere die Finanzierung der Altersvorsorge bloss bis ins Jahr 2030, nicht jedoch darüber hinausgehend.

Reform «Altervorsorge 2020» (BRG 14.088)
Dossier: Debatten um das Frauenrentenalter
Dossier: Erhöhung des Rentenalters
Dossier: Koordinationsabzug und Eintrittsschwelle BVG

Mitte November 2014 publizierte der Bundesrat seine Botschaft zur Reform der Altersvorsorge 2020. Die Botschaft enthält im Wesentlichen zwei Bestandteile: Einerseits, auf Gesetzesebene, den Entwurf zum Bundesgesetz über die Reform der Altersvorsorge 2020 mit 15 einzelnen Gesetzen, in der späteren Parlamentsdebatte als Entwurf 1 bezeichnet. Andererseits, auf Verfassungsebene, den Entwurf zum Bundesbeschluss über die Zusatzfinanzierung der AHV über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, Entwurf 2 genannt. Bundesgesetz und Bundesbeschluss sind dabei voneinander insofern abhängig, als sie nur gemeinsam angenommen werden und in Kraft treten können.

Die Vorlage enthält neun Kernpunkte. Der erste ist der Übergang von einem fixen Rentenalter zu einem so genannten Referenzalter, das für Männer und Frauen bei 65 Jahren liegt und bei dem weder Rentenkürzungen noch -zuschüsse anfallen. Der tatsächliche Rückzug aus dem Erwerbsleben soll zukünftig flexibel gestaltet und zwischen 62 und 70 Jahren angesetzt werden können. In der beruflichen Vorsorge ist eine schrittweise Senkung des Mindestumwandlungssatzes auf noch sechs Prozent bei gleichzeitigen Ausgleichsmassnahmen zur Erhaltung des Leistungsniveaus vorgesehen. Im Rahmen dieser Ausgleichsmassnahmen soll der Koordinationsabzug abgeschafft werden, um den gesamten Jahreslohn zu versichern, und die Altersgutschriftensätze sollen angepasst werden. Weiter soll in der beruflichen Vorsorge die Transparenz und Aufsicht verbessert und die Erträge privater Lebensversicherer fairer zwischen Anbietern und Versicherten aufgeteilt werden. An der Einschränkung der AHV-Witwenrente für Frauen, die minderjährige oder pflegebedürftige Kinder haben, hielt der Bundesrat in seinem Entwurf fest. Weiter sollen in der AHV die Beitragssätze von Angestellten und Selbstständigerwerbenden vereinheitlicht werden, und in der beruflichen Vorsorge soll das Mindestjahreseinkommen um einen Drittel auf CHF 14'000 gesenkt werden, um mehr Arbeitnehmende obligatorisch in die zweite Säule einzubinden. Zur Sicherung der AHV sieht der Bundesrat Mehreinnahmen aus einer Erhöhung der Mehrwertsteuer um 1,5 Prozentpunkte vor. Die Erhöhung der Steuer soll in zwei Schritten vorgenommen werden und bis ins Jahr 2030 gelten. Zudem soll in der AHV, wie bereits in der Vergangenheit von diversen parlamentarischen Vorstössen gefordert, ein Interventionsmechanismus etabliert werden, der als Schuldenbremse dient. Damit soll die Liquidität des AHV-Fonds sichergestellt werden. Eine Intervention wird dann ausgelöst, wenn der Vermögensstand des Ausgleichsfonds unter 70% einer Jahresausgabe fällt. Nicht zuletzt sollen mit der Reform die Finanzflüsse zwischen dem Bund und der AHV vereinfacht werden, wobei der Bund weiterhin proportional zu den AHV-Ausgaben beiträgt und damit die demographisch bedingten Mehrkosten mitträgt.

Gegenüber dem Vernehmlassungsentwurf hatte der Bundesrat damit, wie zuvor bereits angekündigt, nur wenige Änderungen vorgenommen. Entsprechend blieben unmittelbare heftige Reaktionen auf die Botschaft aus, jedoch wurden die Monate bis zur Parlamentsdebatte für intensive Diskussionen in Medien und Öffentlichkeit genutzt. Insgesamt wurde der Reformentwurf, wie zuvor auch schon der Vernehmlassungsentwurf, von Journalistinnen und Experten mehrheitlich kritisch bis klar negativ beurteilt. Es war von „Luftschloss" (NZZ), „Realitätsverweigerung" und „Science-Fiction" (BAZ) sowie von einem „Ungetüm" (Weltwoche) die Rede. Weiterhin wurde die Reform als überladen bezeichnet, oft auch als nicht nachhaltig. Letzteres begründet sich insbesondere dadurch, dass in der AHV die Zusatzeinnahmen über die Mehrwertsteuer nur befristet bis ins Jahr 2030 gelten sollen, danach die Kosten aber weiter steigen werden und dass in der beruflichen Vorsorge der angestrebte gesenkte Mindestumwandlungssatz immer noch höher ist, als es bereits heute der versicherungstechnischen Realität entspricht. Ein grosses Thema war die Lastenverteilung, welche die Reform zwischen den Generationen vornimmt. Im Januar 2015 publizierte die Universität Freiburg im Breisgau eine in Zusammenarbeit mit der UBS erstellte Studie zum Thema. Diese zeigt, dass die Reform bei der AHV die so genannte Nachhaltigkeitslücke nicht vollständig schliesst und dass ein grosser Teil der Sanierung zulasten junger und noch ungeborener Generationen geht, während ältere Arbeitnehmende und bereits Pensionierte nur mit kleinen Einbussen rechnen müssen. Bei den heutigen Zahlen, so die Studie, würden sämtliche in der Schweiz lebenden Menschen, egal welchen Alters, aktuell oder zukünftig mehr aus der AHV beziehen, als sie in ihrem Leben in Form von Beiträgen und Steuern einzahlen. Diese Modellrechnung verdeutliche das Ausmass der Umverteilung zulasten künftiger Generationen. Die Forschenden machten auch auf die systemwidrige Umverteilung von Aktiven zu Rentnern in der zweiten Säule aufmerksam, welche durch die Reform nur teilweise behoben wird. Weiterhin kontrovers diskutiert wurde auch die Auswirkung der Reform auf die Situation der Frauen. Im Februar 2015 publizierte das Bundesamt für Sozialversicherungen BSV ein Faktenblatt zum Thema. Darin werden jene Änderungen aufgezählt, welche spezifisch die Frauen betreffen. Dazu gehört insbesondere das um ein Jahr auf 65 erhöhte Rentenalter, welches jedoch auch zu höheren Renten in der zweiten Säule für Frauen führe. Witwenrenten sollen in Zukunft nur noch jene Frauen neu zugesprochen bekommen, welche Kinder mit einer Berechtigung für Waisenrenten haben, womit eine Abkehr vom Modell des männlichen Familienernährers erfolgt. Einerseits sei kinderlosen Frauen eine eigene Erwerbstätigkeit zuzumuten, so das BSV, andererseits verbessere eine solche generell den Zugang der Frauen zu den Sozialversicherungen. Mit der Senkung der Eintrittsschwelle in der beruflichen Vorsorge werden zukünftig mehr Teilzeiterwerbstätige in der zweiten Säule versichert und damit anspruchsberechtigt, was insbesondere Frauen betrifft. Nebst weiteren erwähnten Änderungen versäumte es das BSV nicht, auf die bestehende starke Umverteilung in der AHV zugunsten der weiblichen Versicherten hinzuweisen. Diese ist auf die im Vergleich zu den Männern tieferen Löhne und Beiträge der Frauen bei gleichzeitig ungefähr gleich hohen Renten zurückzuführen. In der beruflichen Vorsorge wiederum sei trotz der tieferen Renten für Frauen keine Benachteiligung auszumachen, so das Amt. Vielmehr seien die bestehenden Unterschiede ein Resultat der gesellschaftlichen Verhältnisse in der Zeit des Einzahlens, als verheiratete Frauen kaum erwerbstätig waren. Die Aussagen des Bundesamtes blieben nicht unwidersprochen. So kritisierten SP-Exponentinnen, die Reform bringe ausschliesslich für erwerbstätige Frauen Vorteile, wobei eine Erwerbstätigkeit aufgrund der familiären Situation nicht allen Frauen zumutbar sei. Weiter wurde die Befürchtung geäussert, dass die Absenkung der Eintrittsschwelle in die zweite Säule das Angebot an Teilzeitstellen schmälern könnte, da Teilzeitarbeitende dadurch für die Arbeitgeber teurer würden. Ein solcher Rückgang würde speziell Frauen treffen, welche einen grossen Teil der Teilzeitarbeitsstellen besetzen.

Bis zum Beginn der Parlamentsdebatte wurden Vermutungen darüber angestellt und diskutiert, wie einzelne Parteien und Ratsmitglieder sich verhalten und stimmen würden. So gaben schon früh einzelne Fraktionsmitglieder der SP bekannt, die Reform letztlich inklusive der umstrittenen Erhöhung des Rentenalters für Frauen annehmen zu wollen, sofern die bürgerlichen Parteien nicht eine reine Abbauvorlage daraus machten. Die Gewerkschaften ihrerseits sprachen sich deutlich gegen eine Erhöhung des Frauenrentenalters sowie gegen die Senkung des BVG-Mindestumwandlungssatzes aus. Im Dezember 2014 stellte sich die Grünliberale Bundeshausfraktion hinter das Reformvorhaben. Auch die CVP sprach sich für die Altersvorsorge 2020 aus mit dem Hinweis, eine anders ausgestaltete Reform mit mehr Leistungsabbau wäre nicht mehrheitsfähig. Die SVP lehnte die Vorlage ab, und auch die FDP zeigte sich sehr kritisch. Dennoch wurde schon früh vermutet, die Vorlage werde im Erstrat, dem Ständerat, eine Mehrheit finden. Eine Rolle spielte dabei auch das Timing: So bemerkten Journalisten und Expertinnen, dass die Standesvertreter es sich kurz vor den eidgenössischen Wahlen im Oktober 2015 nicht würden leisten können, eine wichtige und nötige Reform bachab zu schicken.

Reform «Altervorsorge 2020» (BRG 14.088)
Dossier: Debatten um das Frauenrentenalter
Dossier: Erhöhung des Rentenalters
Dossier: Koordinationsabzug und Eintrittsschwelle BVG

Die Vernehmlassung zur Reform der Altersvorsorge 2020 dauerte bis Ende März 2014. Am Vernehmlassungsverfahren beteiligten sich alle Kantone, alle grösseren Parteien, die eingeladenen Spitzenverbände der Wirtschaft und diverse Organisationen von Versicherten und Versicherern. Insgesamt gingen 168 Stellungnahmen ein. Ein Grossteil äusserte sich unter anderem zur Revision als Ganzes, wovon rund drei Viertel deren grundsätzliche Stossrichtung – eine gemeinsame Betrachtung der 1. und 2. Säule – begrüssen. Dazu gehören die bürgerlichen Mitteparteien mit Ausnahme der FDP und eine Mehrheit der Kantone, wobei einige jedoch starke Kostenfolgen befürchten. Der Freisinn beurteilt die Reform äusserst kritisch: Umfangreichen Mehreinnahmen stünden nur geringe Einsparungen gegenüber. Damit sei die Reform chancenlos. Ein ausgewogener Kompromiss hätte dagegen Erfolgschancen. Die SVP lehnt die Stossrichtung der Reform aus ähnlichen Überlegungen dagegen grundsätzlich ab und schlägt eine Aufteilung in drei Pakete vor. Arbeitgeberverband, Economiesuisse und Gewerbeverband kritisierten das Paket als überladen und zu stark auf Mehreinnahmen fokussierend; erstere forderten eine Erhöhung des Rentenalters, um die Rentenhöhe erhalten zu können. SP und Grüne sowie der Gewerkschaftsbund plädierten für eine Stärkung bzw. Erhaltung der 1. Säule; die Interessen der Versicherten müssten im Mittelpunkt stehen. Der Gewerkschaftsbund lehnt zudem eine Staffelung der Reform explizit ab, ebenso jegliche Erhöhungen des Rentenalters und die Senkung des Umwandlungssatzes in der 2. Säule. Weiter bemängelten linke Parteien, Gewerkschaften und Frauenorganisationen, die Einsparungen fielen einseitig zulasten der Frauen aus.
Die im Vernehmlassungsverfahren geäusserten Standpunkte entsprachen weitgehend den bereits zuvor öffentlich bezogenen Positionen. Die stark divergierenden Forderungen der verschiedenen Akteure führten rasch zur Befürchtung, die Reform werde im Parlament scheitern und damit weitere kostbare Zeit für eine Neuaufgleisung der Altersvorsorge ungenutzt verstreichen. Im Juni entschied der Bundesrat, das Reformpaket voranzutreiben und noch im Jahr 2014 eine Botschaft auszuformulieren. Dabei sollten einige kleinere Korrekturen zum Vernehmlassungsentwurf vorgenommen werden: Die Mehrwertsteuer-Erhöhung zugunsten der AHV soll auf maximal 1,5 anstelle von 2 Prozentpunkten beschränkt werden, die bereits seit 1999 erhobenen MWSt.-Anteile für die AHV sollen an diese zweckgebunden und der Bundesbeitrag im Gegenzug entsprechend gesenkt werden, und der Koordinationsabzug im obligatorischen Teil der 2. Säule soll abgeschafft werden. Der Bundesrat gab jedoch an, er wolle sich in der Botschaft in weiten Teilen an den Vorentwurf halten, was umgehend auf Kritik stiess. So soll insbesondere an der Behandlung der Reformen der 1. und 2. Säule in einem einzigen Paket festgehalten werden, ebenso an der Abschaffung von Witwenrenten für Frauen ohne minderjährige Kinder. In der Folge war in der Presse zunehmend von einer drohenden Rückweisung der Vorlage durch das Parlament an den Bundesrat die Rede, damit dieser sie in einzelne, kleinere Pakete aufteilen würde. Mitte November wurde bekannt, dass der Entwurf zuerst in den Ständerat kommen würde, was Innenminister Bersets Wunsch entsprechen dürfte. Während die rückweisungswilligen Parteien SVP, FDP und BDP im Nationalrat mehrheitsfähig sind, dürfte im Ständerat die in dieser Sache kompromissbereitere CVP eine Schlüsselrolle spielen. Zudem äusserten sich verschiedene Ständeratsmitglieder der Mitteparteien skeptisch gegenüber einer diskussionslosen Rückweisung, welche zu unnötigen Verzögerungen führen würde. Nichtsdestotrotz erklärten diverse Medien die Reformvorlage bereits für gescheitert, sprachen sich doch auch die bürgerlichen Sozialpolitikerinnen und -politiker im Ständerat für eine Auftrennung der Reform in ihre Bestandteile aus, wobei sie diese jedoch selbst vornehmen und nicht dem Bundesrat überlassen wollten. Einer ebenfalls Mitte November publizierten repräsentativen Umfrage zufolge, welche GfS Bern im Auftrag von Pro Senectute duchgeführt hatte, würden sich 62% der Stimmberechtigten (Stichzeitpunkt Ende September bzw. Anfang Oktober 2014) deutlich oder eher für die Rentenreform aussprechen und nur 28% klar oder eher dagegen.

Reform «Altervorsorge 2020» (BRG 14.088)
Dossier: Debatten um das Frauenrentenalter
Dossier: Erhöhung des Rentenalters
Dossier: Koordinationsabzug und Eintrittsschwelle BVG

Via parlamentarische Initiative verlangte Nationalrätin Nabholz (fdp, ZH) eine Öffnung der Säule 3a für Nichterwerbstätige, insbesondere Frauen, die ohne Entlöhnung Erziehungs- und Betreuungsaufgaben wahrnehmen, sowie Arbeitslose und Invalide. Von der steuerlich privilegierten gebundenen Selbstvorsorge könnten somit rund 635'000 Personen mehr profitieren. Die SP bekämpfte den Vorstoss jedoch als neues Steuerschlupfloch für Reiche und sah darin im Gegensatz zur Initiantin kein eigentliches Gleichstellungsanliegen, da sich viele der anvisierten Personen die Säule 3a gar nicht leisten könnten. Mit 109 zu 60 Stimmen gab der Nationalrat der Initiative aber Folge und beauftragte seine Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK) mit der Ausarbeitung einer Revisionsvorlage des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG).

Parlamentarische Initiative: Säule 3a auch für Nichtberufstätige
Dossier: Stabilisierungsprogramm 1998