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  • Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SPS)
  • Leutwyler, Jean-Pierre (fw, AG)
  • Wermuth, Cédric (sp/ps, AG) NR/CN

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Ende August 2023 veröffentlichte die WAK-NR ihren Entwurf zur Änderung des ArG in Umsetzung einer parlamentarischen Initiative Dobler (fdp, SG) zur Streichung der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung für Arbeitnehmende von Start-ups. Der Entwurf sah vor, dass Arbeitnehmende, die Anteile an Start-ups halten, in den ersten fünf Jahren nach Gründung des Start-ups nicht mehr verpflichtet sind, ihre Arbeitszeit zu erfassen. Damit sollte die Flexibilität der Start-ups verbessert werden. Hingegen sollten die entsprechenden Mitarbeitenden weiterhin den Gesundheitsschutzbestimmungen unterliegen. Die Kommission verzichtete darauf, den Begriff «Start-up» zu definieren, und sprach im Gesetzesentwurf lediglich von «seit weniger als fünf Jahren bestehenden Unternehmen». Zum Entwurf lagen zahlreiche Minderheitsanträge vor, unter anderem ein Minderheitsantrag Wermuth (sp, AG) auf Nichteintreten.

Zum Vorentwurf des Gesetzes hatte von November 2022 bis März 2023 eine Vernehmlassung stattgefunden, wobei 49 Stellungnahmen eingegangen waren. Während die Hälfte der Kantone, FDP, Mitte und GLP sowie die Arbeitgeberorganisationen die Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen für Start-ups befürworteten – und ihnen der Entwurf teilweise gar zu wenig weit ging –, lehnten die anderen Kantone, die SP und die Arbeitnehmerorganisationen den Entwurf ab, da sie ihn als Schwächung des Arbeitnehmerschutzes erachteten. Einig waren sich die Kantone darin, dass verschiedene unklare Begriffe präzisiert werden sollten, da sie sonst zu Missbrauch führen könnten.
In der Folge hatte die WAK-NR die Verwaltung zwar damit beauftragt, die Begriffe «Start-up» und «Mindestbeteiligung» zu präzisieren, dann aber im August 2023 mit 14 zu 8 Stimmen entschieden, diese Präzisierungen nicht in den Entwurf aufzunehmen und ihn den Räten unverändert vorzulegen.

Libérer les employés de start-up détenant des participations de l'obligation de saisie du temps de travail (Iv.pa.16.442)
Dossier: Revision des Arbeitsgesetz (ArG)
Dossier: Arbeitszeitliberalisierung

Mit zwei neuen Kommunikationskanälen sorgte die SP im Herbst 2022 für einige Aufmerksamkeit. Die NZZ ortete gar eine «veritable Medienoffensive der SP». Auslöser war einerseits die Lancierung des Podcasts «Meyer:Wermuth», in dem die Co-Vorsitzenden der Partei, Mattea Meyer und Cédric Wermuth, einmal pro Woche jeweils drei aktuelle Themen diskutieren und in Kurzantworten auf ausgewählte Publikumsfragen eingehen. Damit solle die SP-Politik auf interessante Art vermittelt und die Entscheidungsfindung in der SP-Spitze besser nachvollziehbar gemacht werden, wurde Meyer in der Presse zitiert. Der neue Kanal sei nicht Teil der SP-Kommunikationsstrategie für die Wahlen 2023, sondern ein längerfristiges Vorhaben, dass sich die beiden schon bei ihrer Wahl ins Co-Präsidium 2020 vorgenommen hätten. Als zweiten Teil der SP-«Medienoffensive» nannte die NZZ das ebenfalls neue Online-Magazin «Direkt», eine Website, auf der die Partei politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Themen im In- und Ausland aus sozialdemokratischer Perspektive behandelt.

Mit ihren Bemühungen, mithilfe neuer Kommunikationsmassnahmen direkt – ohne Umweg über klassische Medien – an die Bürgerinnen und Bürger zu gelangen, war die SP indessen nicht allein. Lorenz Furrer von der PR- und Lobbyagentur Furrerhugi wies gegenüber dem Tages-Anzeiger darauf hin, dass Firmen schon seit einigen Jahren zunehmend auf eigene Newsrooms setzten. Nun werde dies «auch in der Politik [zum] Zeitgeist». Denn so könne eine Partei, eine Politikerin oder ein Politiker gezielt eigene Themen bewirtschaften und die eigenen Zielgruppen bedienen. Wie der Tages-Anzeiger festhielt, mache dies Teleblocher, «die wohl berühmteste Direkt-Politikersendung in der Schweiz», seit 2008 mit einigem Erfolg vor. Die wöchentlichen Interviews des Journalisten Markus Ackeret mit SVP-Stratege Christoph Blocher (svp, ZH) seien 2022 jeweils von mehreren 10'000 Personen angesehen worden.

Auch FDP-Vizepräsident Andri Silberschmidt, seines Zeichens der erste Bundesparlamentarier mit einer Tiktok-Präsenz, hielt die neuen, direkten Kommunikationskanäle der SP für «eine schlaue Idee»: Man könne mit solchen Mitteln Werbung in eigener Sache machen, und zwar nicht nur vor den Wahlen, sondern nachhaltig. Die FDP versuche dies mit ihrem Magazin «Freisinn» ebenfalls. Er selbst erreiche mit seinem Tiktok-Kanal momentan 13'000 Follower, mit Sessionsrückblicken in Videoformat rund 5000 Personen.

Im Allgemeinen nutze die Linke das Internet und Social Media bisher aber wesentlicher geschickter und erfolgreicher für ihre Kampagnen als die Bürgerlichen, befand die NZZ in einem weiteren Beitrag vom Herbst 2023. Zwei FDP-Politiker beklagten darin, «die Linken» hätten im Internet «hochprofessionellen Content, Videos, Bilder und eine riesige Community, die diesen Content teilt. Wer macht auf unserer Seite diese Videos,wer hat bei uns Hunderttausende Mail-Adressen?» Gegen diese professionelle Kommunikation und Kampagnenführung kämen die bürgerlichen Parteien derzeit nicht an. Die NZZ ortete im bürgerlich-liberalen Lager indessen drei jüngere Initiativen, die dies ändern sollten: Die «Liberale Aktion für Reform und Ambition (Lara)», den Nebelspalter und das Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik an der Universität Luzern.
Die Lara-Aktion werde von der «Bonny-Stiftung für die Freiheit» finanziert und bringe unter der Anleitung der PR-Agentur Farner junge Influencerinnen und Influencer mit Jungfreisinnigen und Forschenden zusammen. Ziel sei der Aufbau «eine[s] liberalen Momentum[s] auf Social Media», was aber ein langwieriges Unterfangen werde.
Der Nebelspalter, der 2021 von Markus Somm übernommen und seither durch 70 Investorinnen und Investoren aus dem Umfeld der bürgerlichen Gegnerschaft des EU-Rahmenabkommens finanziert wird, habe ursprünglich eigentlich hinter einer Bezahlschranke eine liberale Community aufbauen wollen, biete seine wichtigsten Formate inzwischen aber kostenlos an: den Newsletter von Somm und den Podcast «Bern einfach» von Somm und seinem Stellvertreter Dominik Feusi.
Das ebenfalls 2021 gegründete Institut für Wirtschaftspolitik (IWP) wird vom Wirtschaftsprofessor Christoph Schaltegger und dem vormaligen NZZ-Journalisten René Scheu geführt, finanziert werden die rund zehn Vollzeitstellen von einer Stiftung. Schaltegger sagte gegenüber der NZZ, natürlich sei niemand neutral, aber das IWP sei inhaltlich unabhängig und forsche ergebnisoffen. Gemäss NZZ erhofften sich vom IWP allerdings «viele Liberale», auf dem von Bürgerlichen lange vernachlässigten Feld der Universitäten Boden gutzumachen, denn dieses spiele für die Deutungshoheit in der öffentlichen Debatte eine zentrale Rolle. Die AZ hielt es für «offensichtlich», dass die Geldgeberinnen und Geldgeber das IWP deshalb unterstützen, weil Schaltegger und Scheu für eine liberale Einstellung bekannt seien und von ihnen ein kritischer Ansatz bei der Untersuchung der Auswirkungen staatlicher Aktivitäten zu erwarten sei. Grosse Projekte des Instituts untersuchten etwa das Bürokratiewachstum, die Beschäftigung im öffentlichen Sektor, die Subventionstätigkeit des Bundes oder die Einkommensverteilung. Ein wichtiges Anliegen des IWP ist gemäss Schaltegger die öffentliche Vermittlung seiner Erkenntnisse, gerade auch an ein jüngeres Publikum – einerseits über die klassischen Medien, aber auch mit Videos, Lernplattformen, Social-Media-Beiträgen und Podcasts. Im Frühjahr 2023 verbreitete es einzelne Forschungsergebnisse zudem mit einer Plakatkampagne.

Kommunikationsstrategien der Parteien

Zweieinhalb Jahre nach den eidgenössischen Wahlen 2019 hatten insgesamt sechzehn Kantone ihre Parlamente und Regierungen neu bestellt, im März 2022 waren auch die grossen Kantone Bern und Waadt dazugekommen. In der Presse wurde dies zum Anlass genommen, um eine Zwischenbilanz über die seit 2019 in den Kantonen eingefahrenen Gewinne und Verluste der einzelnen Parteien zu ziehen und daraus eine Formkurve der Parteien abzuleiten sowie ihre Aussichten für die eidgenössischen Wahlen 2023 zu diskutieren.
Als Haupttrend machten die Medien die Fortsetzung der «grünen Welle» aus: Diese sei nach den nationalen Wahlen 2019 auch durch praktisch alle Kantone gerollt, indem die Grünliberalen und die Grünen fast überall Zugewinne erzielten, vielerorts auch in einem für Schweizer Verhältnisse recht beträchtlichen Ausmass. Ihre Erfolge führten die Medien vor allem auf ihre Kernthemen Klima und Ökologie zurück, bei der GLP zudem auf die konsequent europafreundliche Linie der Partei. Insgesamt kamen die Grünen damit Ende März 2022 auf 264 Sitze in den kantonalen Parlamenten (+48 Sitze und +2,7% Wählendenanteil seit 2019), die GLP auf 144 (+46 und +2,9%). Mit der FDP (neu 526 Sitze, –28 und –1,1%), der SVP (522, –22 und –1,1%), der Mitte (447, –20 und –1.1%) und der SP (432, –45 und –2,4%) hatten demgegenüber die vier Bundesratsparteien allesamt verloren, am stärksten die SP.
Obwohl also der Aufwärtstrend der Grünen anhielt, wies er nicht mehr dasselbe Ausmass auf wie bei den nationalen Wahlen und den ersten darauffolgenden kantonalen Urnengängen. In der Konsequenz bedeutete dies erstens, dass nunmehr die GLP vor den Grünen die am stärksten zulegende Partei war, und zweitens, dass das linke Lager insgesamt nun nicht mehr wie seit 2019 wuchs, sondern schrumpfte: Die Zugewinne der Grünen reichten zuletzt nicht mehr aus, um die Verluste der SP zu (über)kompensieren.
Mit Bezug auf die SP stellten die NZZ und der Tages-Anzeiger fest, dass sich die Wahlresultate nochmals verschlechtert hatten, seitdem Cédric Wermuth (sp, AG) und Mattea Meyer (sp, ZH) im Oktober 2020 das Co-Präsidium übernommen hatten. Die SP habe seither weder die sozial- und wirtschaftspolitische Krisenlage im Zuge der Covid-19-Pandemie noch Abstimmungssiege etwa im von ihr angeführten Referendum gegen die Stempelsteuer-Abschaffung in Wahlerfolge ummünzen können. Im Tages-Anzeiger wurden zwei mögliche Erklärungen für das Formtief der SP genannt: die parteiinternen Konflikte in der Europapolitik und eine «ideologische Verengung», durch die der sozialliberale Parteiflügel nur noch wenig wahrgenommen werde und die entsprechenden Wählendengruppen nicht mehr abgeholt werden könnten.
Die Mitte wiederum schien an den Wahlurnen nicht nennenswert vom neuen Parteinamen und der Fusion zwischen CVP und BDP profitieren zu können, sondern befand sich in einem unverminderten Abwärtstrend – zuletzt auch in der einstigen BDP-Hochburg Bern.
Was die Rückschlüsse auf die nationalen Wahlen 2023 betrifft, relativierten sowohl die AZ als auch die NZZ: Die Ergebnisse der kantonalen Wahlen liessen sich nicht einfach auf die nationale Ebene übertragen. So seien die FDP und die Mitte in den Kantonen traditionell stärker, während die Parteien an den politischen Polen bei nationalen Wahlen besser mobilisieren könnten. Ohnehin könne sich die Grosswetterlage bis im Oktober 2023 noch ändern, etwa als Folge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine; je nach dessen weiterem Verlauf könnte beispielsweise die SVP mit ihren Kernthemen Flüchtlingspolitik, Neutralität und Europa wieder auf mehr Resonanz stossen.

Sehr unterschiedliche Interpretationen lieferten die Medien zur elektoralen Entwicklung der politischen Lager: Die WOZ fand, es sei weiterhin ein «Linksrutsch» festzustellen, weil das rot-grüne Lager seit 2019 immer noch im Plus liege. Die Aargauer Zeitung betonte dagegen, dass es zwischen dem linken, dem rechten und dem Zentrums-Lager über alle Kantone hinweg insgesamt nur geringe Verschiebungen gebe; die wesentlichen Umwälzungen spielten sich vielmehr innerhalb der «Blöcke» ab (im Zentrum eine Stärkung der GLP und eine Schwächung der Mitte, im linken Lager eine Stärkung der Grünen und eine Schwächung der SP). Die NZZ und der im Tages-Anzeiger zitierte Politologe Claude Longchamp wiederum stellten in den Vordergrund, dass das rot-grüne Lager zuletzt und das nationalkonservative Lager mit der SVP schon seit Längerem gewisse Verluste verbucht hätten, während das politische Zentrum dank der GLP unter dem Strich zulege. Damit sahen sie einen lang anhaltenden Trend in der Schweizer Politik – das Wachstum der beiden politischen Pole auf Kosten des Zentrums – vorerst gebrochen.

Bilanzen über Gewinne und Verluste der Parteien in kantonalen Wahlen

Am 26. Mai 2021 brach der Bundesrat die Verhandlungen über das institutionelle Rahmenabkommen mit der EU offiziell ab. Nach dem Treffen von Bundespräsident Parmelin mit Kommissionspräsidentin von der Leyen Ende April 2021, hatte sich in dem Dossier lang wenig bewegt, bis schliesslich Radio SRF mit der Publikation eines vom Bundesrat als geheim eingestuften Dokuments, welches die Risiken und Nebenwirkungen eines gescheiterten Rahmenabkommens aufschlüsselte, für neuen Gesprächsstoff sorgte. Potenziell schwerwiegende Konsequenzen drohten in einer ganzen Palette von Themenbereichen, die von Strom und Handel über Gesundheit bis zur Filmförderung reichten. Insbesondere auf die Gefahr, dass bestehende Abkommen nicht erneuert werden, oder dass die EU die Äquivalenz der Schweizer Gesetzgebung nicht anerkennen würde, wurde hingewiesen. So könne beispielsweise eine fehlende Gleichwertigkeit beim Datenschutz zahlreiche Schweizer KMUs und deren Geschäftspraktiken bedrohen, hielt der Bericht fest. Nichtsdestotrotz fand sich im Medienecho zu jenem Zeitpunkt zumindest ein Funken Hoffnung auf einen positiven Ausgang der Verhandlungen. Der Sonntags-Blick zitierte in der Ausgabe vom 23. Mai aus einer E-Mail der EU-Chefunterhändlerin Riso, in der diese die Diskussion über die Unionsbürgerrichtlinie als «am wenigsten finalisierte» Frage bezeichnete, gleichzeitig aber eine gewisse Kompromissbereitschaft der EU ausdrückte, den Vertrag erneut durchzugehen und nach Lösungen zu suchen. Gleichentags veröffentlichte die Sonntagszeitung jedoch die Meldung, dass der Bundesrat den Abbruch der Verhandlungen über das Rahmenabkommen am 26. Mai vorsehe. Gemäss Sonntagszeitung plante der Bundesrat stattdessen einen Auffangplan, um den Konflikt mit der EU und die negativen wirtschaftlichen Folgen innen- und aussenpolitisch abzuschwächen. Unter anderem sei die Freigabe des zweiten Kohäsionsbeitrags vorgesehen, um Kooperationen wie das Forschungsprogramm Horizon weiterführen zu können. Eine weitere Möglichkeit der Bekräftigung des bilateralen Wegs – «Stabilex» genannt – beinhalte die einseitige Anpassung des Schweizer Rechts in politisch unumstrittenen Bereichen an EU-Bestimmungen, berichteten sowohl die Sonntagszeitung wie auch die NZZ.

Am 26. Mai bestätigte der der Bundesrat also diese Gerüchte und erklärte die Verhandlungen in einer Medienmitteilung für beendet. Dieser war zu entnehmen, dass der Bundesrat in zentralen Bereichen des Abkommens – Lohnschutz, Unionsbürgerrichtlinie, staatliche Beihilfen – weiterhin substanzielle Differenzen identifiziert hatte, weshalb er sich entschieden habe, das InstA nicht zu unterzeichnen und dies der EU auch so mitzuteilen. Im offiziellen Schreiben an die Europäische Kommission bot der Bundesrat die Einrichtung eines regelmässigen politischen Dialogs sowie die Prüfung von Problemen hinsichtlich der bestehenden Abkommen und die Suche nach pragmatischen Lösungen an. Er formulierte darin auch die Erwartungshaltung, dass die geltenden Abkommen «von beiden Parteien weiterhin vollumfänglich angewandt und im Falle relevanter Weiterentwicklungen des EU-Rechts aktualisiert» würden. Dabei hob er vor allem die Zusammenarbeit im Gesundheits- und Strombereich hervor. In seiner Medienmitteilung gestand der Bundesrat, dass das Nichtzustandekommen gewisse Nachteile mit sich bringe, wie zum Beispiel die Tatsache, dass keine neuen Marktzugangsabkommen abgeschlossen werden können. Er betonte jedoch, dass die Schweiz die bilaterale Zusammenarbeit mit der EU weiterführen wolle, weil man nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht verbunden sei, sondern auch eine europäische Wertegemeinschaft bilde und gemeinsam globale Herausforderungen angehe. Der Bundesrat versprach, den politischen Dialog mit der EU zu suchen und sich für eine rasche Deblockierung der Kohäsionsmilliarde einzusetzen. Er liess auch verlauten, dass er das EJPD damit beauftragt habe, gemeinsam mit anderen Departementen die Möglichkeit von eigenständigen Anpassungen im Schweizer Recht (Stabilex) zu prüfen, um dadurch die bilateralen Beziehungen zu stabilisieren.
Die EU-Kommission bezog gleichentags Stellung zur «einseitige[n] Entscheidung» und drückte ihr Bedauern über den Ausgang der Verhandlungen aus. Das InstA hätte eine Verbesserung des bilateralen Ansatzes ermöglicht und dessen Weiterentwicklung sichergestellt, liess die Kommission verlauten. Aus Kreisen der Kommission wurden zudem Stimmen laut, die behaupteten, die EU hätte zurzeit dringendere Probleme als die Schweiz, beispielsweise die Lage in Belarus. Der luxemburgische Aussenminister Jean Asselborn wünschte sich im Gespräch mit Le Temps eine solide Verhandlungsbasis, weil man die Situation so nicht auf sich beruhen lassen könne. Weitere prominente EU-Parlamentarier reagierten prompt auf diesen Paukenschlag. Andreas Schwab, der Vorsitzende der EU-Parlamentsdelegation für die Beziehungen zur Schweiz, sah durch den Entscheid mehr als sieben Jahre Verhandlungen «sinnlos vergeudet», wobei die offenen Fragen auch nach dem Verhandlungsabbruch weiter bestünden. Die vom Bundesrat geplante Freigabe der Kohäsionsmilliarde würde die angespannte Situation seiner Meinung nach nicht verbessern. Er warnte auch, dass sich die EU-Kommission in Zukunft noch genauer darauf achten werde, ob die Schweiz die geltenden bilateralen Verträge korrekt umsetze. Die NZZ berichtete, dass die EU auf den Schweizer Vorschlag der selektiven Rechtsangleichung verärgert reagiert habe. Neue sektorielle Marktzugangsabkommen in den Bereichen Strom oder Medizinaltechnik seien ohne übergeordneten Rahmen nicht denkbar, schliesslich habe die EU-Kommission klar gemacht, dass ein privilegierter Zugang zum Binnenmarkt gleiche Regeln und Pflichten voraussetze, so die NZZ.

«Gratulation an den Bundesrat» titelte der Blick am Tag nach der Entscheidung und sowohl SVP-Parteipräsident Chiesa (svp, TI) wie auch SGB-Präsident Maillard (sp, VD) zeigten sich erleichtert über den Abbruch, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Maillard äusserte seine Zufriedenheit über den Abbruch an der Delegiertenversammlung des SGB, wo er klar machte, dass die Gewerkschaften nie eine Schwächung des Lohnschutzes hingenommen hätten. Der SGB forderte für das weitere Vorgehen die Beibehaltung der bilateralen Abkommen, mehr sozialen Schutz, Mindestlöhne und verbindliche Tarifverträge, nur dann würde man Reformen unterstützen, sagte Maillard. Chiesa sah im Abbruch indes einen «Sieg für die Selbstbestimmung, die direkte Demokratie und die Schweizer Bevölkerung». Die Reaktionen der Schweizer Parteien fielen sowohl bezüglich Inhalt als auch Intensität unterschiedlich aus. Als «das grösste Armutszeugnis, das ich von unserer Landesregierung je gesehen habe» kritisierte Jürg Grossen (glp, BE) den Bundesrat harsch für dessen Entscheid. Er sparte auch nicht mit Kritik an anderen Parteien wie der SP, die sich von den Gewerkschaften habe treiben lassen, der Mitte, deren Präsident eine schädliche Haltung vertreten habe, und der FDP, welche laut Grossen mit ihren zwei Bundesräten die Hauptverantwortung für das Scheitern trage. Die SP und die FDP bedauerten das Scheitern des InstA zwar beide, machten aber mit Ignazio Cassis respektive den Gewerkschaften unterschiedliche Akteure dafür verantwortlich. SP-Co-Präsident Wermuth (sp, AG), der sich lange optimistisch gegeben hatte und einen Kompromiss bei der Unionsbürgerrichtlinie in Betracht gezogen hatte, kritisierte den Bundesrat im Tages-Anzeiger dafür, dass er parallel zum Abbruch keinen Plan B vorlegen konnte und forderte eine Auslegeordnung, bei der auch der EWR- und EU-Beitrittsverhandlungen zur Wahl stehen. Petra Gössi (fdp, SZ) griff an gleicher Stelle hingegen die Gewerkschaften an, die «jeden Kompromiss beim Lohnschutz verhindert» hätten und forderte neben einer gemeinsamen Lösungssuche mit der EU auch ein «Fitnessprogramm», beispielsweise einen Einheitssatz bei der Mehrwertsteuer. Gössi erklärte, dass sich die FDP für den bilateralen Weg nach aktuellem Stand einsetze und weder eine Vertiefung noch einen Rückbau der Beziehungen unterstütze. Konkret fordere sie eine limitierte Dynamisierung der Bilateralen in technischen Sachbereichen, die unbestritten sind; aktive Partnerschaften mit Drittstaaten durch neue Freihandelsabkommen und einen flexibleren Arbeitsmarkt mit höheren Kontingenten für Fachkräfte aus Drittstaaten. Zufrieden zeigten sich gegenüber dem Tages-Anzeiger Mitte-Präsident Gerhard Pfister (mitte, ZG), der gemäss Blick an den Von-Wattenwyl-Gesprächen Anfang Mai bereits offen den Verhandlungsabbruch gefordert haben soll und sich über die neu herrschenden Klarheit freute, – ebenso wie Thomas Aeschi (svp, ZG), der einzig das Abkommen über die Medizinaltechnik als Problem anerkannte. Ebenjene Medtech-Branche wurde von den Medien zum «ersten Opfer» des Verhandlungsabbruchs ernannt, denn am gleichen Tag, an dem das Rahmenabkommen beerdigt wurde, trat eine neue EU-Regulierung zu Medizinprodukten in Kraft. Zwar hatte die Schweiz ihr Recht an diese neue Regulierung angepasst, doch da die EU die Erneuerung des Abkommens zur gegenseitigen Anerkennung von Produktbescheinigungen verzögerte, galten Schweizer Anbieter in der EU fortan als Drittstaatenanbieter. Daher mussten Schweizer Exportfirmen plötzlich Bevollmächtigte mit Niederlassung im EU-Raum bestimmen und deren Produkte benötigten eine spezifische Etikettierung. Insgesamt rechnete der Branchenverband Swiss Medtech mit einmaligen Zusatzkosten von CHF 110 Mio. und einem jährlichen Zusatzaufwand in Höhe von CHF 75 Mio., was einer Exportsteuer von 1.4 bis 2 Prozent gleichkäme. Laut Swiss Medtech mache diese neue Regelung die Schweiz als Hauptsitz für aussereuropäische Firmen unattraktiv.

Wie der Tages-Anzeiger berichtete, hatten europafreundliche Akteure aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft schon im Vorfeld des Verhandlungsabbruchs unter der Leitung der Operation Libero über eine Volksinitiative zur institutionellen Einigung mit der EU beraten. Die Operation Libero verkündete, dass die Idee einer Volksinitiative nach dem Scheitern des Rahmenabkommens «überhaupt nicht vom Tisch» sei. Zwar sei es schwieriger geworden, die Unterzeichnung des Rahmenabkommens zu fordern, doch es gebe weiter Ideen, wie man die institutionellen Fragen mit der EU klären könnte. Der emeritierte Rechtsprofessor Thomas Cottier befürwortete die Lancierung einer Volksinitiative, denn es müsse endlich eine richtige europapolitische Debatte in Gang gesetzt werden. Den Plan B des Bundesrats, sich durch Stabilex einseitig an EU-Recht anzupassen, bezeichnete er als «kolossales Eigentor» und den Ausgang der Verhandlungen als «Regierungsversagen», weil die Schweiz sich damit noch stärker als bisher selbstständig an das EU-Recht anpassen werde ohne über ein Mitspracherecht zu verfügen und ohne dass dadurch der Marktzugang gesichert werde. Cédric Wermuth und SP-Nationalrat Eric Nussbaumer (sp, BL) gingen in ihren Vorschlägen noch weiter und stellten einen EU- oder EWR-Beitritt in Aussicht. Um diese Annäherung zu starten, schlug die SP ein ganzes Bündel an Massnahmen, Reformen und Gesprächsangeboten vor. Die Kohäsionsmilliarde solle nicht nur freigegeben, sondern auch substanziell erhöht werden. Darüber hinaus solle die Schweiz in den Bereichen Migration, Green New Deal, Wirtschaftsprogramm nach Covid aber auch in Steuerfragen, wie der Unternehmensbesteuerung, Kooperationsverträge mit der EU abschliessen. Mittelfristig könne man so die Beziehung zur EU wieder normalisieren, erklärte Parteipräsident Wermuth. Die Forderung des EU-Beitritts mit Opting-Out (Ausnahmebestimmungen) seines Parteikollegen Fabian Molina beurteilte Wermuth nüchtern als «kein kurzfristig realistisches Szenario», aber er hielt die Beitrittsdiskussion für nötig. Molinas Extremposition stiess bei den Grünen und den Grünliberalen zu diesem Zeitpunkt jedoch auf wenig Unterstützung. Sowohl Balthasar Glättli (gp, ZH) wie auch Jürg Grossen bevorzugten gemässigtere Alternativen wie ein neues Rahmenabkommen oder den EWR. Die Mitte und die FDP distanzierten sich hingegen in der Öffentlichkeit von Annäherungsmassnahmen, die über die Freigabe der Kohäsionsmilliarde hinausgingen. Im Parlament wurden Anfang Juni verschiedene Vorstösse eingereicht, die vom Bundesrat eine umfassende Auslegeordnung der bilateralen Beziehungen forderten oder konkrete Handlungsalternativen vorschlugen, darunter auch eine Motion von Molina zum EU-Beitritt.

Abbruch der Verhandlungen über das Rahmenabkommen mit der EU
Dossier: Institutionelles Rahmenabkommen

Nach den Gerüchten über seinen möglichen Abgang in Folge der schlechten Wahlresultate bei den Nationalratswahlen 2019 bestätigte Christian Levrat am 12. November 2019 in den Medien offiziell seinen Rücktritt als SP-Parteipräsident. Schon Anfangs November hatte Jacqueline Fehr (sp, ZH) – mit klaren Worten – Levrats Abgang gefordert; eine Forderung, die zum Beispiel auch die Zürcher SP-Co-Präsidentin Priska Seiler Graf geteilt hatte.
Christian Levrat kommunizierte seinen Entscheid in zwei Interviews mit dem Blick und La Liberté, wobei er auch klarstellte, dass sein Abgang schon im Frühling 2019 beschlossen worden war. Der auf November 2020 geplante Parteitag werde auf April 2020 vorgezogen, damit das neue Präsidium genug Zeit habe, um die nächsten Wahlen vorzubereiten. Somit stehe sein Rücktritt nicht mit den Ergebnissen der Nationalratswahlen 2019 und den lauten Abtrittsforderungen seitens anderer Parteimitglieder in Zusammenhang.
Die Presse blickte auf die Erfolge und Misserfolge des Parteipräsidenten zurück: Obwohl Levrat die Verluste der SP in puncto Stimmenanteile nicht habe verhindern können, sei es ihm gelungen – so die NZZ – «die Strömungen innerhalb der traditionell streitlustigen Partei relativ erfolgreich zu vereinen» und im Ständerat auch Allianzen über die Parteigrenzen hinweg einzufädeln.
Mit dem Rücktritt von Levrat starteten die Medien ihre Spekulationen zu seiner Nachfolgerin oder seinem Nachfolger. Im Rennen um das Präsidium hätten gemäss NZZ bereits folgende Personen ihr Interesse geäussert: Flavia Wasserfallen (sp, BE), Barbara Gysi (sp, SG), Mattea Meyer (sp, ZH), Min Li Marti (sp, ZH) und Cédric Wermuth (sp, AG). Der Tages-Anzeiger betonte überdies, dass die Wahl des Präsidiums für zahlreiche Parteimitglieder nicht nur eine neue Person an der Spitze der SP, sondern auch eine neue Aufstellung der Partei – sowohl organisatorisch als auch inhaltlich – bedeute: Einige Parteimitglieder wünschten sich eine «Feminisierung» der Partei, andere einen Wahlkampf mit klarerem Programm und klarerer Richtung, wieder andere eine Person mit strategisch-führungsmässigen Qualitäten. Wer das Präsidium übernimmt und wie die neue Strategie aussehen soll, wird im April 2020 entschieden.

Rücktritt des SP-Parteipräsidenten Christian Levrat

Der Totalrevision des Datenschutzgesetzes und der Änderung weiterer Erlasse zum Datenschutz nahm sich in der Herbstsession 2019 der Nationalrat als Erstrat an. Das ein Jahr zuvor verabschiedete und am 1. März 2019 in Kraft getretene Schengen-Datenschutzgesetz, das aus Gründen der zeitlichen Dringlichkeit zunächst nur die Schengen-relevanten Anpassungen umsetzte, wird mit der Annahme des totalrevidierten Gesetzes wieder ausser Kraft treten. Mit der Totalrevision sollen über die Schengen-Anforderungen hinausgehend einerseits die Schwächen des heutigen Datenschutzrechts, das noch aus einer Zeit vor dem Internet stammt, behoben und andererseits die Entwicklungen auf EU- und Europarats-Ebene aufgenommen werden. Besonders bedeutsam für die Schweiz ist hierbei, von der EU weiterhin als Drittstaat mit angemessenem Datenschutzniveau anerkannt zu werden. Ansonsten, so wurde befürchtet, wäre die Schweizer Wirtschaft mit erheblichen Wettbewerbsnachteilen konfrontiert, da Schweizer Unternehmen nicht mehr so einfach Daten mit Firmen in der EU austauschen könnten. Bis im Mai 2020 wird die EU die Äquivalenz des Schweizer Datenschutzes beurteilen, was eine gewisse Dringlichkeit für die Revision gebietet.
Wie schwierig dieses Unterfangen werden würde, hatte sich schon in der vorberatenden SPK-NR abgezeichnet: Nur mit Stichentscheid des Präsidenten Kurt Fluri (fdp, SO) hatte sich die Kommission im August 2019 durchgerungen, die Vorlage nach mehr als einem Jahr Arbeit überhaupt vors Ratsplenum zu bringen. Die wichtigsten Anpassungen der Kommission am bundesrätlichen Entwurf waren die neu einzuführende Direktwahl des EDÖB durch die Bundesversammlung, die Einführung eines Rechts auf Datenportabilität, die Anpassung der Definition der besonders schützenswerten Personendaten sowie der Verzicht auf eine besondere Regelung für den Umgang mit Daten verstorbener Personen und auf eine ausdrücklich erforderliche Einwilligung zum Profiling. Im Rahmen ihrer Beratungen hatte die SPK-NR zudem sechs Motionen zur Vervollständigung der Datenschutzbestimmungen in weiteren Gesetzen eingereicht.
Kurz vor der Debatte im Nationalrat hatte das Bundesamt für Justiz überdies eine Liste dazu veröffentlicht, welche problematischen Differenzen es zwischen dem Kommissionsvorschlag und den Anforderungen der EU sehe. Auch EDÖB Adrian Lobsiger hatte in der Presse bezweifelt, dass das von der Kommissionsmehrheit vorgeschlagene Gesetz mit dem verlangten Niveau der EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) mithalten könne; beim Entwurf des Bundesrates hätte er indes keine Probleme gesehen.
Während der strittige Vorschlag der Kommissionsmehrheit für die SVP bereits zu weit ging, bemängelten SP, Grüne und GLP, er sei zu lasch. Wirtschaftsverbände drängten unterdessen auf eine möglichst rasche, EU-konforme Lösung. So wurde im Vorfeld der nationalrätlichen Debatte von den Mitte- und Linksparteien noch fieberhaft nach Kompromissen gesucht, um den drohenden Absturz der Revision zu verhindern.

In der Eintretensdebatte in der grossen Kammer wurde von allen Seiten – ausser von der SVP-Fraktion – betont, wie wichtig und notwendig das vorliegende Revisionsprojekt sei, sowohl um den Datenschutz dem Internetzeitalter anzupassen als auch um den Datenschutz auf ein der EU gleichwertiges Niveau zu bringen, auch wenn man in den Details der Ausgestaltung verschiedene Ansichten vertrat. Die SVP betrieb hingegen Fundamentalopposition gegen «diesen bürokratischen Unsinn», wie Fraktionsvertreter Gregor Rutz (svp, ZH) das neue Gesetz nannte, denn es sei insgesamt, vor allem für KMU, schlechter als das geltende Datenschutzgesetz – ein Argument, das wenig später durch das Votum von FDP-Vertreter Kurt Fluri (fdp, SO) entkräftet werden sollte, der berichtete, dass der Gewerbeverband die Stossrichtung der Kommissionsmehrheit begrüsse und die Rückweisung nicht unterstütze. Mit der DSGVO verkaufe die EU laut Rutz ihre Bürger für dumm, da sie «kein Mensch» verstehe. «Wir haben langsam genug davon, jeden Unsinn aus der EU ungesehen zu übernehmen!», ärgerte sich der SVP-Vertreter und rief das Ratsplenum auf, die Vorlage an den Bundesrat zurückzuweisen mit dem Auftrag, sie zu entschlacken und EU-Vorschriften nur dort zu übernehmen, wo es unumgänglich sei. Auch eine linke Minderheit hatte ursprünglich die Rückweisung, allerdings an die Kommission, beantragt und diese beauftragen wollen, die Vereinbarkeit der Vorlage mit dem Übereinkommen SEV 108 des Europarats, die Äquivalenz mit dem EU-Datenschutzrecht, die Kompatibilität mit den Schengen-Verträgen und die Nicht-Unterschreitung des heute geltenden Schutzniveaus sicherzustellen. Um die doch eher dringliche Revision nicht unnötig zu verlangsamen und um sich einer «produktiven Diskussion» nicht zu verschliessen, zog Cédric Wermuth (sp, AG) diesen Antrag jedoch «im Sinne eines Vorschussvertrauensbeweises» zurück und hoffte, das Gesetz während der Beratung noch auf eine den genannten Forderungen nähere Linie bringen zu können. Der Rückweisungsantrag der SVP-Minderheit wurde mit 120 zu 66 Stimmen (1 Enthaltung) deutlich verworfen; ausserhalb der geschlossenen SVP-Fraktion sah niemand eine Rückweisung als den richtigen Weg an.

Im Laufe der Detailberatung musste der Nationalrat über 45 Minderheits- und mehrere Einzelanträge befinden, die zu einem beträchtlichen Teil die Unterstützung des Bundesrates genossen – hauptsächlich immer dort, wo die Kommissionsmehrheit mit ihrem Vorschlag einen schwächeren Datenschutz wollte als der Bundesrat und somit das heute geltende Schutzniveau oder die Anforderungen der EU und/oder des Europarats unterschreiten wollte. So war die Kommissionsmehrheit bestrebt, sowohl die Daten über gewerkschaftliche Ansichten und Tätigkeiten als auch die Daten über Massnahmen der sozialen Hilfe aus dem Katalog der besonders schützenswerten Daten, für deren Bearbeitung besondere Anforderungen gelten, zu streichen. Während eine bürgerliche Ratsmehrheit die Streichung der Daten über gewerkschaftliche Ansichten und Tätigkeiten guthiess, schwenkte der Nationalrat bei den Daten über Massnahmen der sozialen Hilfe – neben Sozialhilfedaten sind davon auch solche über Sozialversicherungsmassnahmen bei Krankheit oder Unfall, Massnahmen der Vormundschaftsbehörden oder KESB, die fürsorgerische Unterbringung in psychiatrischen Kliniken, Ergänzungsleistungen und Prämienverbilligungen erfasst – auf die Linie des Bundesrates zurück und beliess sie im Katalog. Grünen-Vertreter Balthasar Glättli (gp, ZH) hatte zuvor mit Nachdruck klargemacht, dass deren Streichung für die Grünen und die SP ein Grund wäre, dem Gesetz die Zustimmung zu verweigern. Eine ähnliche Drohung sprach SVP-Fraktionssprecher Gregor Rutz aus, als die Einschränkung des Geltungsbereichs des DSG auf natürliche Personen zur Debatte stand: Einem Gesetz, das – anders als bisher – keinen Datenschutz für juristische Personen mehr vorsehe, werde man «nie im Leben» zustimmen können. Alle anderen Fraktionen befanden den Schutz für juristische Personen durch andere gesetzliche Bestimmungen jedoch als ausreichend und so glich der Nationalrat das DSG mit der Streichung des Schutzes juristischer Personen an die europäischen Regeln an. Bei der Frage der Anforderungen für das sogenannte Profiling zeichnete sich während der Diskussion ab, dass man an diesem Tag keine zufriedenstellende Lösung finden würde. Für jegliche Formen des Profilings, das die Aargauer Zeitung treffend als die «automatisierte Auswertung von Daten, mit denen bestimmte Merkmale einer Person bewertet werden, um etwa Vorhersagen über ihr künftiges Verhalten zu treffen» definierte, hatte der Bundesrat eine ausdrückliche Einwilligung der betroffenen Person voraussetzen wollen, wie sie auch zur Bearbeitung besonders schützenswerter Personendaten vorgesehen war. Da das geltende Recht so eine Regelung für das Erstellen von Persönlichkeitsprofilen umfasst, würde eine komplette Streichung der ausdrücklichen Einwilligung zum Profiling, wie es die Kommissionsmehrheit vorgeschlagen hatte, ein Rückschritt vom aktuellen Schutzniveau darstellen. In der Diskussion wurde mehrheitlich anerkannt, dass verschiedene Formen des Profilings unterschieden werden müssten, da es, wie es Balthasar Glättli erklärte, durchaus einen Unterschied mache, ob Profiling zur Erstellung von passenden Bücherempfehlungen, zur Abschätzung des Risikos für eine Versicherung oder zur Vorhersage der politischen Entscheidungen einer Person gebraucht werde. Der Bundesrat unterstützte folglich einen Einzelantrag Glättli, der eine ausdrückliche Einwilligung nur für ein Profiling mit hohem Risiko für die Persönlichkeit oder die Grundrechte der betroffenen Person vorsah. Die Fraktionen der Grünen, SP und GLP unterstützten diesen Antrag ebenfalls, unterlagen jedoch der bürgerlichen Ratsmehrheit, die beim Vorschlag der Kommissionsmehrheit ohne besondere Anforderungen für das Profiling blieb. Der Nachhall der Diskussion war jedoch klar, dass sich der Ständerat noch einmal intensiv mit dieser Frage auseinandersetzen müsse.
Betreffend die Informationspflicht bei der Beschaffung von Personendaten, die Regeln für die Bekanntgabe von Personendaten ins Ausland, die Rechenschaftspflicht für datenbearbeitende Unternehmen über die Einhaltung des Datenschutzrechts sowie das Auskunftsrecht einer Person zu den über sie gesammelten oder bearbeiteten Daten lehnte die Volkskammer einige von der Kommissionsmehrheit vorgeschlagene Lockerungen ab und umschiffte somit ein paar der vielen Klippen im Hinblick auf den Angemessenheitsbeschluss der EU. Die vom Bundesrat eingefügten Regelungen über Daten von verstorbenen Personen erachtete der Rat jedoch als nicht notwendig und strich mit bürgerlicher Mehrheit alle entsprechenden Bestimmungen aus dem Gesetz. Ganz neu und weitgehend unbestritten verankerte der Nationalrat auf Vorschlag seiner Kommissionsmehrheit ein Recht auf Datenportabilität, das heisst auf Datenherausgabe und -übertragung, im Gesetz. Wie Bundesrätin Karin Keller-Sutter erklärte, habe der Bundesrat mit dieser Neuerung eigentlich noch zuwarten wollen, bis erste Erkenntnisse aus der konkreten Umsetzung dieses Rechts in der EU vorlägen; nichtsdestotrotz unterstützte er den Vorschlag der Kommissionsmehrheit, einen Anspruch jeder Person auf «die Herausgabe ihrer Personendaten in einem gängigen elektronischen Format oder sogar deren Übertragung auf einen anderen Verantwortlichen zu verlangen», wie Keller-Sutter das neue Recht erläuterte.
Zurückgehend auf eine entsprechende parlamentarische Initiative Leutenegger Oberholzer (sp, BL; Pa.Iv. 16.409) änderte die grosse Kammer das Wahlverfahren des EDÖB dahingehend, dass er neu von der Bundesversammlung gewählt und nicht mehr durch den Bundesrat ernannt und vom Parlament nur bestätigt werden sollte. Gleichzeitig wurden die Aufsichts- und Untersuchungskompetenzen des EDÖB bei Datenschutzverstössen gestärkt. Diese Änderung sei von wesentlicher Bedeutung im Hinblick auf den Angemessenheitsbeschluss der EU, wie Bundesrätin Keller-Sutter betonte, denn nach bisher geltendem Recht besitze der EDÖB nicht nur weniger Kompetenzen als die Datenschutzbehörden in Europa, sondern auch als andere Aufsichtsbehörden des Bundes, zum Beispiel die Finma oder die Weko. Bei den Strafbestimmungen legte der Nationalrat eine maximale Busse von CHF 250'000 für Datenschutzverstösse fest. Ein neuer Straftatbestand für die Nichteinhaltung der Mindestanforderungen an die Datensicherheit im Sinne einer Sorgfaltspflichtverletzung wurde von der bürgerlichen Ratsmehrheit jedoch nicht goutiert, was laut Bundesrätin Keller-Sutter für die EU-Angemessenheit problematisch sein könnte. Der letzte grosse Zankapfel der Vorlage verbarg sich in den Schlussbestimmungen, namentlich in der Frage zum Inkrafttreten des Gesetzes. Während die Kommissionsmehrheit das Inkrafttreten um zwei Jahre nach Annahme des Gesetzes beziehungsweise nach Verstreichen der Referendumsfrist verzögern wollte, beantragte eine Minderheit Humbel (cvp, AG), wie üblich den Bundesrat das Inkrafttreten bestimmen zu lassen. Eine solche Verzögerung sei bereits wegen der Schengen-relevanten Bestimmungen des Gesetzes ein Problem und daher nicht im Interesse der Wirtschaft, was das Argument der Kommissionsmehrheit gewesen war. Auf Empfehlung des Bundesrates und entgegen der geschlossenen SVP-Fraktion erteilte die grosse Kammer der zweijährigen Inkrafttretensfrist eine Absage.

In der Gesamtabstimmung nahm der Nationalrat das totalrevidierte Datenschutzgesetz mit 98 zu 68 Stimmen bei 27 Enthaltungen an. In den ablehnenden Stimmen spiegelte sich vor allem die Opposition der SVP gegen das Gesetz. Demgegenüber hatte sich die SP-Fraktion mehrheitlich enthalten und damit signalisiert, dass sie noch weitere Nachbesserungen erwartete. Wirklich zufrieden mit dem Gesetz in vorliegender Form war wohl niemand; in dieser Hinsicht sprach das Fazit von Kommissionssprecher Matthias Jauslin (fdp, AG) Bände: «Wir haben jetzt eine Vorlage, die aus Sicht der Kommission durchaus bearbeitbar ist.»

Revision des Datenschutzgesetzes (BRG 17.059)
Dossier: 2. Revision des Bundesgesetzes über den Datenschutz (DSG)

Mitte Dezember 2017 gab der Bundesrat den Medien bekannt, dass er die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» ablehne, ihr aber mit einem indirekten Gegenvorschlag begegnen möchte. Die Initiative für ein nationales Verbot sei abzulehnen, weil die Kantone selber entscheiden können sollten, ob sie die Gesichtsverhüllung im öffentlichen Raum verbieten wollen oder nicht. So hätten die Kantone Tessin und St. Gallen ein solches Verbot befürwortet, während es in Zürich, Solothurn, Schwyz, Basel-Stadt und Glarus abgelehnt worden sei. Diesen unterschiedlichen Befindlichkeiten gelte es Rechnung zu tragen. Der Bundesrat anerkenne jedoch, dass die Gesichtsverhüllung problematisch sein könne, und zwar zum einen, wenn jemand zur Verhüllung gezwungen werde, und zum anderen im Kontakt mit den Behörden. Er wollte sich dieser Problematik daher mit einem indirekten Gegenvorschlag annehmen, der Regelungen auf Gesetzesebene vorsehe, ohne den Kompetenzbereich des Bundes zu überschreiten. Konkret solle es im Strafgesetzbuch ausdrücklich verboten werden, jemanden zur Verhüllung des Gesichts zu zwingen. Zudem solle der Kontakt mit Bundesbehörden und Bundesrecht vollziehenden Behörden unter Androhung von Strafe unverhüllt erfolgen müssen. Der Bundesrat beauftragte das EJPD mit der Ausarbeitung einer entsprechenden Vernehmlassungsvorlage bis Ende Juni 2018.
Bei den Initianten vermochte der Vorschlag des Bundesrats wenig Eindruck zu erwecken; er sei «schwammig» und entspreche nicht dem Anliegen der Initiative, so Walter Wobmann (svp, SO) gegenüber der Basler Zeitung. Das Komitee halte an der Initiative fest und blicke der Abstimmung nach wie vor zuversichtlich entgegen. Die SVP lehnte den bundesrätlichen Vorschlag ebenfalls als «wirkungslos» ab, wie in der Presse zu lesen war. Auf wenig Gegenliebe stiess der Vorschlag indes auch bei den Grünen. Nationalrat Balthasar Glättli (gp, ZH) bezeichnete ihn gegenüber der Basler Zeitung als «falsch und überflüssig», weil Nötigung ohnehin strafbar sei, und machte ihm in der Aargauer Zeitung den gleichen Vorwurf wie der Initiative selbst, nämlich zur «Stimmungsmache gegen Muslime in der Schweiz» beizutragen. Positiver äusserten sich die CVP und die SP zur Stossrichtung des Bundesrates, wenngleich sich die SP weiter auf ihren eigenen direkten Gegenentwurf zur Verbesserung der Gleichstellung der Frauen konzentrieren wollte. SP-Nationalrat Cédric Wermuth (sp, AG) bedauerte im Tages-Anzeiger, dass der Bundesrat sich nicht getraut habe, «die Debatte neu auszurichten», und dass der Gegenvorschlag «keine Antwort auf das Unbehagen» liefere, das hinter der Initiative stehe. Von verschiedenen Seiten wurde der bundesrätliche Vorschlag auch als nicht oder nur schwer umsetzbar kritisiert, da Frauen, die gezwungen werden, sich zu verschleiern, dies eher nicht bei der Polizei zur Anzeige bringen würden. Ständerat Andrea Caroni (fdp, AR), der bereits ein Gegenkomitee zur Initiative gegründet hatte, begrüsste dagegen den Vorschlag des Bundesrates. Er sei zwar nicht «das Ei des Kolumbus», eröffne aber die Möglichkeit für eine gezielte Debatte über die Probleme im Zusammenhang mit der Gesichtsverhüllung und über allfällige Lösungen, so Caroni gegenüber «Le Temps».

Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und indirekter Gegenvorschlag (19.023)
Dossier: Nationales Burkaverbot

Mitte Juni 2016 gab der Bundesrat die Inkraftsetzung des revidierten Bürgerrechtsgesetzes und der entsprechenden Verordnung auf den 1. Januar 2018 bekannt. Ab diesem Zeitpunkt gelten verschärfte Bestimmungen für die Einbürgerung. So müssen einbürgerungswillige Personen im Besitz einer Niederlassungsbewilligung (anstatt wie bisher einer Aufenthaltsbewilligung) sein, müssen Kenntnisse in einer Landessprache vorweisen können und dürfen weder vorbestraft sein noch Sozialhilfe beziehen. In der Folge startete die SP, ausgelöst durch einen Appell von SP-Nationalrat Cédric Wermuth (AG), eine Kampagne zur „Masseneinbürgerung“: Sie rief alle in der Schweiz wohnhaften Ausländerinnen und Ausländer dazu auf, sich so bald als möglich einbürgern zu lassen, und stellte zu diesem Zweck sogar Einbürgerungsberater zur Verfügung. Es sei ihre „staatspolitische Verantwortung, die Integration zu fördern“, begründete Wermuth die Bestrebungen der SP, möglichst viele von den Vorzügen des Schweizer Passes zu überzeugen, gegenüber dem „Blick“.
Im rechten Lager stiess die Kampagne auf Unverständnis und Häme; die „Weltwoche“ warf der SP vor, damit nur ihre eigene Wählerbasis vergrössern zu wollen. Christoph Mörgeli (svp, ZH) liess sich in einem Weltwoche-Artikel gar zur Behauptung hinreissen, die schrittweise Öffnung der Schweiz, insbesondere gegenüber Europa, sei eine unmittelbare Folge der grossen Zahl an Einbürgerungen von EU-Ausländern und – mit Bezug zur Abstimmung über Schengen/Dublin – „was 2005 die Gnade des Volkes fand, wäre zehn Jahre zuvor ohne Einbürgerungen noch klar gescheitert.“
Im November 2016 wurde bekannt, dass sich im Hinblick auf die höheren Hürden ab 2018 auch der Vorstand der KKJPD dafür einsetzte, dass Kantone und Gemeinden vermehrt aktiv auf einbürgerungsberechtigte Personen zugehen sollen.

Totalrevision des Bürgerrechtsgesetzes (BRG 11.022)

Bei den JungsozialistInnen (Juso) wurde der scheidende Präsident David Roth (LU) Mitte März in Bern durch den mit 161 zu 78 Stimmen neu gewählten Fabian Molina (ZH) ersetzt. Molina war der einzige Kandidat. Er ist nationaler Jugendsekretär der Gewerkschaft Unia, Gemeindeparlamentarier in Illnau-Effretikon (ZH) und studiert an der Universität Zürich. Im Vorfeld der Wahl war kritisiert worden, dass keine Frau angetreten war. Molina will die radikale und provokative Linie seiner Vorgänger – Cedric Wermuth (AG) und David Roth – weiterführen. Ende Jahr wurde Molina an der Delegiertenversammlung der Juso in Schaffhausen zudem von den JungsozialistInnen per Resolution zum SP-Vizepräsidenten nominiert. Per Ende Februar 2015 wird David Roth von diesem Posten, der aufgrund einer ungeschriebenen Regel jeweils den Juso zugerechnet wird, zurücktreten.

JungsozialistInnen (Juso)

Als Reaktion auf das Ja zur Masseneinwanderungsinitiative forderte Parteipräsident Christian Levrat in einem ganzseitigen offenen Brief im "Blick" eine Umsetzung des Begehrens, die möglichst nahe am Volkswillen sei. Die Initiative sei auf dem Land angenommen, in der Stadt aber verworfen worden. Deshalb seien die Massnahmen für die Umsetzung vor allem auf die ländlichen Regionen zu konzentrieren. Levrat forderte neben einer Verschärfung des Raumplanungsgesetzes und der wortgetreuen Umsetzung der Zweitwohnungsinitiative auch eine Beschränkung der Zahl ausländischer Arbeitskräfte für die Landwirtschaft, mehr Kontrollen gegen Schwarzarbeit in ländlichen Gebieten oder die Erhöhung von Hypozinsen in peripheren Regionen. Wenn Kontingentsysteme eingeführt würden, so müssten diese nach Branchen und Kantonen festgelegt werden, wobei die Städte die grössten Kontingente an ausländischen Facharbeitern erhalten müssten. Mit diesen Forderungen wollte Levrat provozieren und die SVP-Versprechungen "entlarven". Er weckte dabei zahlreiche empörte Gegenreaktionen der Initianten. Ende Juni veröffentlichten die Sozialdemokraten dann ihre ernster gemeinten Vorschläge für eine Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative. Sie wandten sich gegen die Idee von Kontingenten und wollten der Abhängigkeit von ausländischen Fachkräften durch innenpolitische Reformen Herr werden. Frauen und ältere Arbeitnehmende müssten im Markt behalten werden. Zudem soll ein von Arbeitgebern gespeister Fonds geschaffen werden, mit dem die Kosten für die Integration gedeckt werden sollen. Firmen, die ausländische Fachkräfte engagieren, müssten in diesen Fonds einzahlen. Zudem sollen Steuerprivilegien für Ausländer – etwa die Pauschalbesteuerung – abgeschafft werden. Parteiintern stiessen die Forderungen allerdings auch auf Skepsis. Es sei nicht an der SP, für eine fremdenfeindliche SVP-Initiative völkerrechtlich verträgliche Umsetzungskonzepte zu finden – gab etwa Cedric Wermuth (sp, AG) zu Protokoll. Das Papier wurde an der Delegiertenversammlung Ende Oktober in Liestal ausführlich und emotional diskutiert. Letztlich wurde es gutgeheissen, aber auf Antrag der St. Galler und der Waadtländer Kantonalsektion wurde die Idee des Integrationsfonds gestrichen.

Umsetzungsvorschlag der SP zur Masseneinwanderungsinitiative
Dossier: Masseneinwanderungsinitiative

In ein Dilemma geriet die SP aufgrund der Anfang Jahr von der Raiffeisenbank, der Crédit Suisse und der UBS angekündigten Spende an alle Parteien. Das Geld – insgesamt rund eine Viertel Mio. CHF – wäre zwar eigentlich ein willkommener Beitrag in die Parteikasse, die Annahme einer Spende aus der von den Genossen kritisierten Bankenwelt würde aber die Glaubwürdigkeit der Partei untergraben. Eine eigens organisierte parteiinterne Vernehmlassung zeigte einen deutlichen Sprachgraben: Während sich die Parteianhänger in der Westschweiz gegen Spenden von Banken und Firmen aussprachen, gab es in der Deutschschweiz eine knappe Mehrheit, die pragmatisch für eine finanzielle Unterstützung einstand. Dezidiert gegen die Annahme von Bankengeldern stellten sich die Juso. Umstritten war zudem, ob die Parteispitze alleine oder die Parteibasis über die Annahme von Spenden entscheiden soll. Letzteres wurde mit einiger Vehemenz von Nationalrat Cédric Wermuth (AG) gefordert. An der Delegiertenversammlung Ende Berichtjahr in Thun beschloss die Mehrheit der Abgeordneten schliesslich, künftig nur noch Spenden von Genossenschaften und Vereinen, nicht aber von Aktiengesellschaften zu akzeptieren. Damit war klar, dass die SP die Spende der CS nicht annehmen würde, wohl aber jene der als Genossenschaft organisierten Mobiliar-Versicherung. Ganz knapp mit 98 zu 94 Stimmen wurde ein Antrag der Westschweizer Sektionen abgelehnt, künftig überhaupt keine Spenden mehr aus der Wirtschaft anzunehmen.

Die SP und ihr Umgang mit Spenden aus der Wirtschaft

Lange Zeit eigentlich nicht prioritäres Thema der Sozialdemokraten, wollte man die Federführung in der Migrationspolitik nicht mehr länger der SVP überlassen. Die SP legte deshalb Anfang April in einem Positionspaper dar, was für sie kohärente und umfassende Migrationspolitik bedeutet. Hauptforderung des Papiers war die Ausweitung der Personenfreizügigkeit auf Nicht-EU-Staaten. In bilateralen Handelsbeziehungen müsse künftig auch der Migrationsaspekt miteinbezogen werden. Es liege im Interesse der Schweiz, spezialisierte Arbeitskräfte aus der ganzen Welt zu rekrutieren. Den negativen Folgen der Einwanderung – die SP führt diese auf die mittels Steueranreizen organisierte Standortpolitik einzelner Kantone zurück – müssten mit flankierenden Massnahmen in der Steuer- und Bildungspolitik sowie auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt begegnet werden. Insbesondere in den Städten sei die Schmerzgrenze erreicht. Mit gemeinnützigem Wohnungsbau, Mindestlöhnen und Mindeststeuersätzen für Unternehmen, die nur noch in strukturschwachen Regionen durch Steuervergünstigungen angelockt werden dürfen, könnten die Probleme gemildert werden. Das 51 Kapitel und 149 Forderungen umfassende Papier deckte sich weitgehend mit den Plänen der SP-Justizministerin Simonetta Sommaruga. So wurde etwa auch ein effizienterer Vollzug im Asylwesen gefordert. Die Bundesrätin selber machte sich bei einer Rede in Basel für eine konsequentere Ahndung von Missbräuchen durch kriminelle Asylbewerber stark. Verantwortung übernehmen heisse auch unattraktive Entscheide mitzutragen. Das Papier stiess auf interne Kritik und fast 900 Änderungsanträge gingen ein. Bevor es im Herbst an der zweitägigen Delegiertenversammlung in Lugano diskutiert wurde, nahm die Geschäftsleitung einige Präzisierungen vor. Eine Auseinandersetzung in der Asylfrage zwischen Cédric Wermuth (AG) und Präsident Christian Levrat (FR) wurde in der Boulevardpresse zu einem Hauskrach hochstilisiert. Wermuth warf der Parteispitze vor, mit dem Papier vor der Rechten zu kuschen. In Lugano folgten die Delegierten den Vorschlägen der Parteileitung mehrheitlich. Der linke Flügel setzte sich einzig mit dem Antrag durch, dass Zwangsmassnahmen für die Ausschaffung verboten werden müssen. Angenommen wurde auch ein Antrag der SP Graubünden, allen in der Schweiz geborenen Personen automatisch das Bürgerrecht zu erteilen. Zudem fordert das verabschiedete Papier auch die Legalisierung aller Sans-Papiers.

Die Positionen der SP in der Migrationspolitik