Suche zurücksetzen

Inhalte

  • Rechtsordnung

Akteure

  • Schweizerische Volkspartei (SVP)

Prozesse

116 Resultate
Als PDF speichern Weitere Informationen zur Suche finden Sie hier

Mittels parlamentarischer Initiative forderte SVP-Nationalrat Lukas Reimann (SG), dass bei Einbürgerungen künftig keine Doppelbürgerschaften mehr möglich sind. Wer sich in der Schweiz einbürgern lassen wolle, müsse «den Entscheid treffen, in welchem Land er seinen Lebensmittelpunkt haben will, und bereit sein, die ausländische Staatsbürgerschaft aufzugeben», begründete der Initiant sein Anliegen. Die Doppelbürgerschaft bringe laut Reimann Probleme mit sich, so etwa die Ungleichbehandlung von Personen mit einfacher und mehrfacher Staatsbürgerschaft, Loyalitätskonflikte und Schwierigkeiten beim Schutz von Doppelbürgern im Ausland. Durch den expliziten Entscheid für die Schweizer Staatsbürgerschaft würde hingegen die Bereitschaft zur Integration zum Ausdruck gebracht und dadurch die erfolgreiche Integration gefördert. Im Namen der RK-NR widersprach Greta Gysin (gp, TI) diesen Argumenten in der Wintersession 2021: Die Probleme, welche durch die parlamentarische Initiative gelöst werden sollten, seien kein Resultat der Doppelbürgerschaft, sondern gingen vielmehr auf den Grad der Integration betroffener Personen zurück. Zudem sei nicht klar, ob das Verbot von Doppelbürgerschaften grossflächig zur Anwendung kommen oder nur für Personen im Einbürgerungsprozess gelten solle. Kurt Fluri (fdp, SO) ergänzte für die Kommission, dass Doppelbürgerinnen und Doppelbürgern weder pauschalisierend unterstellt werden solle, gegenüber der Schweiz nicht loyal zu sein, noch der Eindruck erweckt werden dürfe, dass eingebürgerte Schweizerinnen und Schweizer einer anderen Klasse angehörten. Aus diesen Gründen beantragte die Kommissionsmehrheit, der Initiative keine Folge zu geben. Ein SVP-Minderheitsantrag auf Folgegeben fand ausschliesslich in der SVP-Fraktion Unterstützung. Mit 136 zu 49 Stimmen sprach sich der Nationalrat gegen Folgegeben aus.

Optionsmodell statt automatisches Doppelbürgerrecht (Pa.Iv. 20.501)

Die Vernehmlassung zur Revision des Sexualstrafrechts, die in der ersten Jahreshälfte 2021 durchgeführt wurde, wurde von einer lebhaften öffentlichen Debatte begleitet. Vor allem die Tatsache, dass die zuständige RK-SR im Vernehmlassungsentwurf keine «Nur-Ja-heisst-Ja»-Lösung zur Debatte stellte, sorgte für Unverständnis bei den linken Parteien sowie bei Frauen- und Menschenrechtsorganisationen. Nur die Zustimmungslösung verwirkliche die sexuelle Selbstbestimmung, weil Sex ohne Einverständnis grundsätzlich als Vergewaltigung anzusehen sei, argumentierten sie. Demgegenüber traten Kritikerinnen und Kritiker mit Bedenken an die Medien, dass eine «Nur-Ja-heisst-Ja»-Lösung faktisch die Beweislast im Strafprozess umkehre und zu mehr Falschanschuldigungen führen könnte.
Das rege Interesse spiegelte sich denn auch in der rekordhohen Zahl an Stellungnahmen: Von den Kantonen, Parteien und Verbänden sowie interessierten Kreisen gingen 124 individuelle Stellungnahmen ein. Darüber hinaus wurden im Zuge der Kampagne «Nur Ja heisst Ja! – Art. 190 ändern» der SP Frauen* mehr als 10'000 gleichlautende Stellungnahmen von Privatpersonen eingereicht. Noch nie hätten sich in einer Vernehmlassung so viele Einzelpersonen geäussert, berichtete die Presse. Wie der im August 2021 erschienene Ergebnisbericht zeigte, wurde der Bedarf für eine Revision des Sexualstrafrechts überwiegend bejaht, wobei sich an der konkreten Ausgestaltung die Geister schieden. Dabei waren nicht nur diverse Mindest- und Höchststrafmasse umstritten, sondern insbesondere auch der von der RK-SR neu eingeführte Grundtatbestand des sexuellen Übergriffs (Art. 187a StGB). Im Gegensatz zur Vergewaltigung, die im Vorentwurf wie bisher über ein Nötigungselement definiert wird, sollte der neue Tatbestand den Geschlechtsverkehr gegen den Willen einer Person erfassen, wenn diese nicht dazu genötigt wird. Diese Unterscheidung wurde von vielen Teilnehmenden kritisiert, weil sie die Klassifizierung einer Sexualstraftat als Vergewaltigung weiterhin an der Reaktion des Opfers festmache bzw. daran, dass der Täter oder die Täterin dessen (physischen) Widerstand überwunden haben müsse. Wenn das Opfer allerdings in einen Schockzustand gerate und sich gar nicht wehren könne, sei eine Nötigung in diesem Sinne gar nicht erforderlich, um den Tatbestand der Vergewaltigung zu erfüllen. Stattdessen wurde gefordert, diesen Aspekt in Artikel 189 StGB (sexuelle Nötigung) und 190 StGB (Vergewaltigung) zu integrieren. Diese Ansicht wurde von rund zwei Dritteln der Teilnehmenden vertreten. Höchst umstritten war des Weiteren die im Vorentwurf vorgesehene «Nein-heisst-Nein»-Lösung: Strafbar soll es werden, «gegen den Willen einer Person oder überraschend» eine sexuelle Handlung vorzunehmen. 36 Teilnehmende sprachen sich hierfür aus. Demgegenüber hätten sich 80 Teilnehmende eine «Nur-Ja-heisst-Ja»-Lösung gewünscht, also die Ersetzung des Ausdrucks «gegen den Willen» durch «ohne Einwilligung». Dies würde gesellschaftspolitisch ein wichtiges Signal setzen, dass bestimmte Verhaltensweisen gesellschaftlich nicht toleriert würden, erklärten verschiedene Frauenrechtsorganisationen. Unter den Parteien sprachen sich die SP, die Grünen und die GLP für die Zustimmungslösung aus. Während sich die Mitte dazu nicht äusserte, weil ein solcher Vorschlag nicht Gegenstand der Vernehmlassung war, zeigte sich die FDP grundsätzlich offen für eine «Nur-Ja-heisst-Ja»-Regel; die FDP-Frauen mit Präsidentin Susanne Vincenz-Stauffacher (fdp, SG) an der Spitze traten in den Medien unterdessen prominent für die Zustimmungslösung ein. Dezidiert dagegen äusserte sich die SVP. Die Kantone zeigten sich in dieser Frage gespalten, wobei sich gemäss NZZ für ein ursprünglich linkes Anliegen «auffällig viele» Kantone positiv zur Zustimmungslösung äusserten – neben Zürich und den meisten Westschweizer Kantonen notabene auch «diverse konservativere Kantone wie Appenzell Ausserrhoden, St. Gallen oder Nidwalden».
Zusätzlich befeuert wurde die öffentliche Debatte um Zustimmungs- oder Widerspruchslösung durch die Anfang August 2021 ausgesprochene Urteilsbegründung des Basler Appellationsgerichts in einem Vergewaltigungsfall. Das Appellationsgericht hatte die Freiheitsstrafe für einen Vergewaltiger verkürzt und in der mündlichen Urteilsbegründung unter anderem angeführt, das Opfer habe «Signale gesendet» und «mit dem Feuer gespielt». Obwohl sich das Gericht ob der prompten und heftigen öffentlichen Kritik zu einer Stellungnahme gedrängt sah, in der es versuchte, die in der Öffentlichkeit entstandenen «Missverständnisse» zu erklären, wurden diese Aussagen in den Medien dahingehend interpretiert, dass das Gericht dem Opfer die Mitschuld an der Vergewaltigung gebe. Vor diesem Hintergrund erhielten die Forderungen nach einer «Nur-Ja-heisst-Ja»-Lösung weiteren Auftrieb, nun auch explizit verstärkt durch Stellungnahmen von Fachpersonen aus der Psychologie und dem Rechtswesen.

Harmonisierung der Strafrahmen (BRG 18.043)
Dossier: Revision des Strafgesetzbuches (2008– )
Dossier: Harmonisierung der Strafrahmen (Besonderer Teil des Strafgesetzbuches)

Nach acht Jahren Bearbeitungszeit beantragte die Mehrheit der RK-NR ihrem Rat im April 2021 bereits zum dritten Mal die Abschreibung der parlamentarischen Initiative Rickli (svp, ZH) für eine staatliche Haftung bei Wiederholungstaten nach bedingten Entlassungen und Strafvollzugslockerungen. Die beiden vorangegangenen Vernehmlassungen hätten gezeigt, dass die Ablehnung der parlamentarischen Initiative nicht konkreten Umsetzungsaspekten geschuldet sei, sondern dem Anliegen selbst entspringe, so die Begründung der Kommissionsmehrheit. Sie teile zwar die Ansicht, dass schwere Verbrechen wie Mord von strafentlassenen Wiederholungstätern durch wirksame Massnahmen bekämpft werden und Opfern jede mögliche Hilfe zugesprochen werden müsse, allerdings könne sich die Kommissionsmehrheit «nicht für die Umsetzung des Initiativtextes aussprechen», erklärte Berichterstatterin Sibel Arslan (basta, BS). Nicht zuletzt hätten die Kantone, in deren Kompetenz der Strafvollzug liegt, massive Kritik am Anliegen geübt. Eine SVP-Minderheit erachtete den Handlungsbedarf jedoch weiterhin als aktuell und beantragte deshalb eine erneute Fristverlängerung. Barbara Steinemann (svp, ZH) argumentierte in deren Namen, dass es die Verantwortung der Politik, Justiz und Behörden sei, die Gefahr zu reduzieren, Opfer von Wiederholungstäterinnen oder -tätern zu werden. Gegenwärtig werde die Resozialisierung von Tätern höher gewichtet als die Sicherheit der Bevölkerung, monierte sie. Entgegen der Prognosen der Kantone würde die Umsetzung der Initiative nicht dazu führen, dass es keine Hafturlaube oder Resozialisation mehr gäbe. Vielmehr führte sie zu einer stärkeren Ausfilterung, wer überhaupt von Hafterleichterungen profitieren könne, so Steinemann. Mit 135 zu 53 Stimmen bei einer Enthaltung folgte die Volkskammer dem Mehrheitsantrag und schrieb die parlamentarische Initiative Rickli in der Sommersession 2021 schliesslich ab.

Haftung bei bedingten Entlassungen und Strafvollzugslockerungen (Pa.Iv. 13.430)

Bei einer hohen Stimmbeteiligung von 59.6 Prozent hiess eine solide Mehrheit von 56.6 Prozent der Schweizer Stimmbevölkerung das Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Terrorismusbekämpfung (PMT) in der Referendumsabstimmung vom 13. Juni 2021 gut. Einzig der Kanton Basel-Stadt sprach sich mit einem Ja-Anteil von 45.1 Prozent mehrheitlich gegen das Gesetz aus. Hohe Zustimmung erfuhr die Vorlage derweil in der Romandie, insbesondere im Wallis (65.0%), in Freiburg (63.6%), in Neuenburg (62.0%) und im Jura (61.0%). In den Medien wurde gemutmasst, dass die Westschweiz aufgrund der Nähe zum von Terroranschlägen stark betroffenen Frankreich das Gesetz eher für notwendig gehalten habe, während in der freiheitsliebenden Deutschschweiz die staatlichen Grundrechtseingriffe kritischer beurteilt worden seien.
Die schweizweite Zustimmung blieb damit etwas hinter den von den vorhergehenden Umfragen geschürten Erwartungen zurück. Wie die Presse berichtete, habe es das Nein-Lager kurz vor dem Abstimmungstermin doch noch geschafft, seinen Bedenken bezüglich der Rechtsstaatlichkeit der Massnahmen verstärkt Gehör zu verschaffen. So zeigte sich die Waadtländer Grünen-Nationalrätin Léonore Porchet gegenüber «Le Temps» erfreut, dass man der zuständigen Bundesrätin Karin Keller-Sutter im Vorfeld der Abstimmung einige Klarstellungen zu umstrittenen Punkten im Gesetz abringen konnte, etwa die Bekräftigung, dass Aktivistinnen und Aktivisten sozialer Bewegungen nicht vom Gesetz betroffen sein werden. Nichtsdestotrotz kündigten die Grünen bereits am Abstimmungssonntag an, eine parlamentarische Initiative einreichen zu wollen, mit dem Ziel, die umstrittene, in ihren Augen zu unklar gefasste Terrorismusdefinition zu konkretisieren. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International betonten, nun die konkrete Anwendung des Gesetzes genau im Auge zu behalten und Menschenrechtsverletzungen gegebenenfalls anzuprangern. Die NZZ wertete das Ergebnis denn auch als «grossen Vertrauensbeweis gegenüber der Polizei»; immerhin habe die Bevölkerung ein Gesetz angenommen, das der Polizei in zentralen Punkten einen grossen Spielraum lasse. «Die Bürgerinnen und Bürger gehen offenkundig davon aus, dass von den Befugnissen menschenrechtskonform und verhältnismässig Gebrauch gemacht wird – und die Gerichte nötigenfalls korrigierend eingreifen», kommentierte die Zeitung. Die Befürwortendenseite zeigte sich indessen zufrieden mit dem Resultat. Die Schweiz könne damit eine Lücke in ihrer Terrorismusabwehr schliessen, erklärte Justizministerin Keller-Sutter gegenüber den Medien.
Noch nicht geschlagen geben wollte sich aus dem unterlegenen Lager die Piratenpartei. Sie hoffte, berichteten «L'Express» und «Le Nouvelliste», dass die Abstimmung wiederholt werden würde. So seien beim Bundesgericht rund 600 Beschwerden gegen die Abstimmung eingereicht worden, die monierten, das Bundesbüchlein sei nicht objektiv gewesen, habe keine klare Meinungsbildung ermöglicht, irreführende Informationen enthalten und wichtige rechtliche Konsequenzen des Gesetzes verschwiegen.


Abstimmung vom 13. Juni 2021

Beteiligung: 59.6%
Ja: 1'811'795 (56.6%)
Nein: 1'390'383 (43.4%)

Parolen:
– Ja: EVP, FDP (1*), KVP, Libertäre Partei, Mitte (Junge Mitte: 1*), Piratenpartei, SVP (2*; JSVP: 2*), BastA!, CSP OW, PCSI JU
– Nein: GLP, GP, PdA, SD, SP, Jungfreisinnige; VPOD, Amnesty International, Chaos Computer Club, Demokratische JuristInnen Schweiz (DJS), Digitale Gesellschaft, Ensemble à Gauche, GSoA, Greenpeace, Schweizerische Arbeitsgemeinschaft der Jugendverbände (SAJV), Schweizerischer Friedensrat, Solidarité sans frontières, Verein «Freunde der Verfassung»
– Stimmfreigabe: EDU; SSV
* Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT; 19.032)
Dossier: Strategie der Schweiz zur Terrorismusbekämpfung
Dossier: PMT und damit umgesetzte Vorstösse
Dossier: Vorstösse und Massnahmen zur Bekämpfung islamistischer Radikalisierungstendenzen

Am 7. März 2021 nahm die Schweizer Stimmbevölkerung die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» mit 51.2 Prozent Ja-Stimmen an. Damit fiel das Ergebnis letztlich knapper aus als aufgrund von Vorumfragen erwartet. Die Stimmbeteiligung betrug 51.4 Prozent. Die höchste Zustimmung erfuhr das Verhüllungsverbot im Jura (60.7% Ja), gefolgt vom Tessin (60.5%) und Schwyz (60.2%). In St. Gallen, wo wie im Tessin bereits ein kantonales Verhüllungsverbot gilt, dem 2018 zwei Drittel der Stimmbevölkerung zugestimmt hatten, war die Zustimmung mit 53.1 Prozent vergleichsweise schwach. Am wenigsten Unterstützung erhielt die Initiative im Kanton Basel-Stadt (40.6% Ja), gefolgt von Zürich (45.2%) und Genf (48.7%). Auch die Kantone Appenzell Ausserrhoden (49.1%), Bern (49.6%) und Graubünden (49.6%) lehnten die Initiative knapp ab. Bemerkenswert hoch war die Zustimmung für eine Initiative aus den Reihen der SVP – auch im direkten Vergleich mit dem 2009 angenommenen Minarettverbot, das ebenfalls vom Egerkinger Komitee initiiert worden war – in der Westschweiz. Verschiedene Expertinnen und Experten mutmassten in den Medien, dass einerseits die Nähe zu Frankreich den Diskurs analog der dort geführten Debatten stärker auf den sicherheitspolitischen Aspekt gelenkt habe und andererseits die in der Romandie stark präsenten, prominenten bürgerlichen und linken Stimmen, die sich für die Initiative starkgemacht hatten, wohl erheblichen Einfluss gehabt und den Anti-SVP-Reflex beschränkt hätten.
Die Befürwortendenseite wertete den Entscheid als «ein klares Signal des Widerstands gegen die Islamisierung der Schweiz», wie sich der Urheber des ersten kantonalen Verhüllungsverbots Giorgio Ghiringhelli vom «Corriere del Ticino» zitieren liess. Als «Zeichen gegen den ‹politischen Islam›, der vielen Menschen Unbehagen bereitet», interpretierte die NZZ das Votum. Der Berner SP-Grossrat Mohamed Hamdaoui sah im Resultat dementsprechend einen Positionsbezug der gemässigten Muslime gegen den Islamismus, wie er gegenüber «Le Temps» verlauten liess.
Das unterlegene Lager bedauerte den Volksentscheid derweil aus verschiedenen Gründen. Feministische Kreise, die sich gegen das Verhüllungsverbot starkgemacht hatten, fühlten sich durch das Argument, die Vollverschleierung sei Ausdruck der Unterdrückung der Frauen, für rassistische und xenophobe Zwecke missbraucht, wie deren Vertreterin Meriam Mastour gegenüber der Presse erklärte. Die Tourismusbranche befürchtete einen Imageschaden für die Schweiz und zeigte sich besorgt, dass künftig weniger kaufkräftige und konsumfreudige Gäste aus den Golfstaaten die Schweiz besuchen würden. Die Jungen Grünen und der IZRS erklärten unabhängig voneinander, eine gerichtliche Anfechtung des Verhüllungsverbots wenn nötig bis vor den EGMR unterstützen zu wollen. Pascal Gemperli, Pressesprecher der FIDS, zeigte sich um die Sicherheit der muslimischen Gemeinschaft besorgt und befürchtete zunehmende Aggression und Gewalt gegenüber Musliminnen und Muslimen. Bundesrätin Karin Keller-Sutter betonte gegenüber den Medien, das Abstimmungsresultat sei nicht als Votum gegen die Musliminnen und Muslime in der Schweiz zu verstehen. Diese Linie wurde im unterlegenen Nein-Lager breit vertreten. Dass der Ja-Anteil gegenüber der Minarettinitiative deutlich abgenommen habe, gebe Anlass zur Hoffnung, dass die Schweiz vielleicht doch nicht so islamfeindlich sei, so der Tenor.
Letztlich sei der Entscheid «vor allem auf symbolischer Ebene bedeutsam», resümierte die NZZ. Die konkreten praktischen Auswirkungen sind in der Tat noch unklar. Wie Karin Keller-Sutter erklärte, liege die Umsetzung bei den Kantonen, weil sie über die Polizeihoheit verfügten. Sie hätten nun zwei Jahre Zeit, entsprechende Gesetze zu erlassen. Der Bund müsse das Verbot unterdessen für diejenigen Bereiche, in denen er zuständig ist – beispielsweise im öffentlichen Transportwesen und im Zollwesen – auf Gesetzesebene konkretisieren. Gemäss dem «Blick» zeigten sich einige Kantonsvertretende wenig motiviert, ein gesetzliches Verhüllungsverbot zu erlassen, und würden die Umsetzung lieber ganz dem Bund überlassen. Initiant Walter Wobmann (svp, SO) warf dem Bund in derselben Zeitung bereits vor, die Initiative nicht umsetzen zu wollen: Ein Bundesgesetz sei «unabdingbar, um zu verhindern, dass am Schluss in jedem Kanton etwas anderes gilt», zitierte ihn das Blatt.


Abstimmung vom 7. März 2021

Beteiligung: 51.42%
Ja: 1'427'344 (51.2%) / Stände: 16 4/2
Nein: 1'360'750 (48.8%) / Stände: 4 2/2

Parolen:
– Ja: EDU, Lega, SD, SVP
– Nein: FDP (4*; Frauen: 1*; Jungfreisinnige: 2*), GLP, GP, KVP, Die Mitte (2*), PdA, SP; EKR, SSV, Travail.Suisse, VPOD, Schweizer Tourismus-Verband, EKS, SBK, Schweizerischer Israelitischer Gemeindebund (SIG), Schweizerischer Rat der Religionen, Katholischer Frauenbund (SKF), Alliance F, Amnesty International, Operation Libero
– Stimmfreigabe: EVP (3*); Schweizerische Evangelische Allianz
* Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und indirekter Gegenvorschlag (19.023)
Dossier: Nationales Burkaverbot

In der Volksabstimmung vom 7. März 2021 wurde das Bundesgesetz über elektronische Identifizierungsdienste (E-ID-Gesetz) mit 64.4 Prozent Nein-Stimmen schweizweit wuchtig abgelehnt. Kein Kanton stimmte dem Gesetz zu; den höchsten Ja-Anteil erzielte es im Tessin mit 44.2 Prozent. Am deutlichsten fiel die «Ohrfeige», wie die Presse das Resultat vielfach betitelte, im Kanton Basel-Stadt aus, wo sich nur 29.3 Prozent der Stimmberechtigten für die Vorlage aussprachen. Die Stimmbeteiligung lag schweizweit bei 51.3 Prozent.
Das ausgesprochen klare Nein bedurfte in den Medien denn auch nicht langer Interpretation: «Durchgefallen» lautete das Verdikt im St. Galler Tagblatt und im «Corriere del Ticino»; die Stimmbevölkerung habe die E-ID «versenkt», urteilten die Westschweizer Zeitungen «La Liberté», «L'Express» und «Le Nouvelliste». Wahlweise als «Schlappe», «Klatsche», «Abfuhr», «Bruchlandung» oder «Debakel» wurde das Resultat in verschiedenen Deutschschweizer Zeitungen bezeichnet. Im Hinblick auf die vorgesehene Lösung mit privaten E-ID-Anbieterinnen und -Anbietern erkannte die NZZ darin ein «Misstrauensvotum gegen die Banken, Versicherungen und bundeseigenen Unternehmen», die sich im Konsortium SwissSign zusammengeschlossen und auf die Herausgabe der E-ID vorbereitet hatten.
Einig waren sich das unterlegene Befürwortendenlager und die siegreiche Gegnerschaft darin, dass sich das Votum nicht gegen die Idee einer E-ID an sich richtete – von der Notwendigkeit einer solchen im digitalen Zeitalter zeigten sich alle überzeugt –, sondern gegen die Ausgestaltung mit privaten Anbieterinnen und Anbietern. «Das Misstrauen gegenüber einer nicht staatlichen Lösung reichte weit ins bürgerliche Lager, obwohl die offiziellen Parteidevisen jeweils eindeutig schienen», resümierte die Aargauer Zeitung. Der «Blick» fasste zusammen: «Alle wollen die E-ID – aber vom Staat!»
So kündigte die Contra-Seite bereits am Abstimmungssonntag an, im Parlament schnellstmöglich auf ein neues Projekt mit einer staatlichen E-ID hinarbeiten zu wollen. SP, Grüne und GLP wollten in der Folgewoche zwei entsprechende Vorstösse einreichen, liess die Zürcher SP-Nationalrätin Min Li Marti in der NZZ verlauten. Die für das gescheiterte Gesetz zuständige Bundesrätin Karin Keller-Sutter wollte ihrerseits dem Bundesrat ein Aussprachepapier vorlegen, um über das weitere Vorgehen zu entscheiden, wie sie gegenüber den Medien bekanntgab. Es sei nun wichtig, dass die Regierung und die Parteien die Unsicherheiten und Ängste der Bevölkerung ernst nehmen würden. Unterdessen bedeute das Abstimmungsresultat aber nicht, dass eine rein staatliche Lösung automatisch eine Mehrheit erzielen würde, gab sie zu Bedenken.


Abstimmung vom 7. März 2021

Beteiligung: 51.29%
Ja: 984'574 (35.6%)
Nein: 1'778'196 (64.4%)

Parolen:
– Ja: EVP (2*), FDP, KVP, Mitte (Junge Mitte: 2*), SVP (2*; JSVP: 1*); KdK, SGV, SSV, Economiesuisse, SAV, SGV, Baumeisterverband, Swissmem, SwissICT, SwissBanking, VöV
– Nein: EDU, GLP (6*; JGLP: 1*), GP (1*), PdA, Piratenpartei, SD, SP (1*); SGB, Travail.Suisse, VPOD, Syndicom, Schweizerischer Seniorenrat, Schweizerischer Verband für Seniorenfragen, Vereinigung aktiver Senioren- und Selbsthilfeorganisationen in der Schweiz (VASOS)
– Stimmfreigabe: Pro Senectute
* Anzahl abweichender Kantonalsektionen

E-ID-Gesetz
Dossier: Elektronische Identität

Mitte Januar 2021 startete mit Medienkonferenzen sowohl seitens des Initiativkomitees als auch des Bundesrats der Abstimmungskampf zur Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot». In den zwei darauffolgenden Monaten bis zum Abstimmungstermin am 7. März 2021 war das Thema Verhüllungsverbot in der Presse praktisch täglich präsent. Wie die Zeitungs- und Inserateanalyse zeigte, erhielt die Volksinitiative im angegebenen Zeitraum deutlich mehr Medienaufmerksamkeit als die beiden anderen Abstimmungsvorlagen vom 7. März, das E-ID-Gesetz und das Freihandelsabkommen mit Indonesien. Obgleich über das Verhüllungsverbot sehr viel debattiert wurde, gab es weder für noch gegen die Initiative eine nennenswerte Inseratekampagne. Dies ging mit einer komplexen Gemengelage in der intensiv geführten Debatte einher: Die Grenze zwischen dem befürwortenden und dem ablehnenden Lager war äusserst diffus; praktisch in jeder Partei oder gesellschaftlichen Gruppierung, die ihren Standpunkt kundtat, gab es gewichtige Stimmen, die sich für die jeweils gegnerische Seite starkmachten. Neben dem Egerkinger Komitee, das die Initiative lanciert hatte, und der SVP, die sie im Parlament unterstützt hatte, stand auf der Pro-Seite etwa auch ein Mitte-links-Komitee aus der Westschweiz, in dem sich unter anderen GLP-Nationalrätin Isabelle Chevalley (VD), der Genfer FDP-Grossrat Jean Romain, der Berner SP-Grossrat Mohamed Hamdaoui und alt-CVP-Nationalrätin Marlyse Dormond Béguelin (VD) für das Verhüllungsverbot engagierten. Ferner warb ein überparteiliches Frauenkomitee um die Nationalrätinnen Marianne Binder-Keller (mitte, AG) und Monika Rüegger (svp, OW) sowie die Präsidentin des Forums für einen fortschrittlichen Islam Saïda Keller-Messahli für die Initiative. Für ein Nein plädierten indes alle grossen Parteien ausser der SVP – allerdings keineswegs geschlossen –, ein parlamentarisches Komitee unter der Federführung von FDP-Ständerat Andrea Caroni (AR), der Schweizer Tourismusverband, mehrere Frauenverbände und Frauenstreikkomitees sowie diverse Akteure, die sich selbst als liberal verstanden oder sich für die Religionsfreiheit einsetzten, darunter die Operation Libero, Amnesty International und verschiedene religiöse Organisationen. Die grossen Abwesenden im Abstimmungskampf waren die direkt Betroffenen, die Nikabträgerinnen selber. Wie der Tages-Anzeiger berichtete, lag das jedoch nicht daran, dass man sie nicht hätte zu Wort kommen lassen, sondern dass sie sich – abgesehen von zwei Interviews während der gesamten Kampagne – nicht äussern wollten. Nach gemäss eigenen Angaben monatelanger Suche blieb der Zeitung deshalb nichts als die Erkenntnis, «dass verhüllte Frauen in der Schweiz nicht nur Körper und Gesicht verstecken, sondern unsichtbar und stumm bleiben».

Argumentativ bewegte sich der Abstimmungskampf auf verschiedenen Ebenen, wobei die Befürwortenden und die Gegnerschaft über weite Strecken dieselben Punkte vorbrachten, sie aber unterschiedlich interpretierten und daher zu gegenteiligen Schlüssen kamen. Neben der Islamdebatte und der Grundrechtsdiskussion wurde von beiden Seiten aus feministischer, sicherheitspolitischer, staatspolitischer und empirischer Warte argumentiert. Wenngleich der Initiativtext keinen Bezug zur islamischen Gesichtsverschleierung herstellte, war beiden Seiten klar, dass sie sich vor allem gegen jene richtete. In der Presse war daher meist vom «Burkaverbot» oder von der «Anti-Burka-Initiative» die Rede, obwohl in der Schweiz – wenn überhaupt – ausschliesslich der Nikab zu sehen sei, wie eine im Abstimmungskampf viel zitierte Studie der Universität Luzern feststellte. Während das Contra-Lager die Initiative als anti-islamisch und diskriminierend gegenüber Musliminnen verstand, sah die Pro-Seite sie als Mittel zum Kampf gegen den radikalen Islam und den Islamismus. Die Religionsfreiheit der Musliminnen tangiere die Initiative nicht, weil die Verschleierung nicht vom Islam verlangt werde, sondern ein kultureller Ausdruck für die Unterdrückung der Frau sei; sie könne daher nicht als Ausübung der persönlichen Freiheit gewertet werden. Vielmehr sei die Vollverschleierung sexistisch und entwürdigend, weil sie die Frauen im öffentlichen Leben unsichtbar mache und entmenschliche. Die muslimischen Frauen müssten davor bewahrt werden, weil sie sich mit Gesichtsschleier nicht in die Schweizer Gesellschaft integrieren könnten. Die Gegenseite betonte, dass sich die Nikabträgerinnen in der Schweiz in der Regel aus religiöser Überzeugung freiwillig verschleierten und nicht befreit werden müssten – im Gegenteil: Soziologische Studien aus Frankreich zeigten, dass die Verschleierung von den strenggläubigen Musliminnen im westlichen Kulturkreis als antikonformistischer, emanzipatorischer Akt verstanden werde. In Frankreich habe das Verbot den Gesichtsschleier sogar populärer werden lassen, weil er jetzt auch als Ausdruck des Protests getragen werde. Zudem sei es sexistisch und paternalistisch, den Frauen vorzuschreiben, wie sie sich zu kleiden hätten und ihnen die freie Entscheidung für den Schleier nicht zuzutrauen. Falls eine Frau den Schleier tatsächlich unter Zwang trage, kriminalisiere das Verbot überdies das Opfer und wirke kontraproduktiv, indem es die betroffenen Frauen zuhause einsperre und erst recht aus der Gesellschaft ausschliesse. Dass es gemäss der Studie der Universität Luzern in der Schweiz nur 20 bis 30 vollverschleierte Frauen gebe, gab dem ablehnenden Lager Anlass, das Anliegen als unnötige Symbolpolitik zu bezeichnen. Für die Befürworterinnen und Befürworter war die Gesichtsverhüllung jedoch eine Prinzipienfrage und auch in noch so kleinen Zahlen nicht tolerierbar. Sie sahen sich im Motto «Wehret den Anfängen» bestärkt und forderten, jetzt zu handeln, solange es noch nicht zu spät sei.

Weiter hob die Pro-Seite hervor, dass die Identifizierbarkeit von Personen sicherheitsrelevant sei. Das Verhüllungsverbot schütze die Gesellschaft somit auch vor vermummten Kriminellen wie zum Beispiel Hooligans oder gewalttätigen Demonstrierenden. Dem setzte die Gegenseite entgegen, dass es in fünfzehn Kantonen bereits verboten sei, sich bei Demonstrationen und Sportveranstaltungen zu vermummen. (Als erster Kanton hatte Basel-Stadt 1990 ein solches Verbot eingeführt.) Ausserdem verhindere das Verhüllungsverbot – anders als von den Initianten schon bei der medienwirksamen Lancierung der Initiative suggeriert – keine Terroranschläge. Dafür brauche es strafrechtliche und präventiv-polizeiliche Massnahmen, denn allein durch ein Verhüllungsverbot würden radikalisierte Islamisten und Islamistinnen «nicht plötzlich zurück in die Mitte der Gesellschaft finden», wie es der «Sonntags-Blick» formulierte. In anderen Kontexten, etwa in winterlicher Kälte, an der Fasnacht oder in der Pandemiesituation, sei die Verhüllung zudem auch für die Initiantinnen und Initianten kein Problem, wie die im Initiativtext enthaltenen Ausnahmen zeigten.

Auf der staatspolitischen Ebene drehte sich die Diskussion um die Frage, ob das Verhüllungsverbot in die Bundesverfassung gehöre. Während die Contra-Seite es ablehnte, Kleidervorschriften in die Verfassung zu schreiben, sah das Pro-Lager dies als gerechtfertigt an, weil es eben nicht um eine blosse Kleidervorschrift gehe, sondern um einen Grundsatz der liberalen und demokratischen Gesellschaft: In der Öffentlichkeit das Gesicht zu zeigen und dasjenige des Gegenübers zu sehen, sei fundamental für das Zusammenleben. Diese Begründung hatte auch den EGMR von der menschenrechtlichen Zulässigkeit des Verhüllungsverbots in Frankreich überzeugt, als dieses in Strassburg vergeblich angefochten worden war. Darüber, ob die seit Monaten geltende Maskenpflicht aufgrund der Corona-Pandemie dieses Argument ad absurdum führe oder ob sie gerade beweise, dass es das Verhüllungsverbot für das Funktionieren der zwischenmenschlichen Beziehungen brauche, wurden sich die beiden Lager nicht einig. Derweil war das gegnerische Lager der Ansicht, es sei gerade höchst illiberal, etwas zu verbieten, das niemandem schade, nur weil es auf Ablehnung stosse. Auch der Bundesrat argumentierte hauptsächlich staatspolitisch: Ein nationales Verhüllungsverbot greife in die Souveränität der Kantone ein, denen die Polizeihoheit obliege. Das Tessin und St. Gallen hätten bereits ein Verhüllungsverbot eingeführt, während andere Kantone ein solches explizit abgelehnt hätten. Diese Entscheide seien zu respektieren. Die Befürwortendenseite argumentierte indessen, dass die Regelung einer solch fundamentalen gesellschaftlichen Frage nicht den Kantonen überlassen werden dürfe. Dass die Gesichtsverhüllung in vielen anderen europäischen Ländern – darunter Belgien, Bulgarien, Dänemark, Frankreich, Lettland und Österreich – und sogar einigen arabischen Staaten wie Ägypten, Marokko, Senegal oder Tunesien verboten – und im Falle von Frankreich das Verbot explizit vom EGMR als menschenrechtskonform bestätigt – sei, wertete die Pro-Seite als Zeichen der Legitimität ihres Anliegens. Sie betonte zudem die guten Erfahrungen, welche die Kantone Tessin und St. Gallen damit gemacht hätten. Weder im Tessin noch in den bei arabischen Gästen beliebten österreichischen Ferienorten habe sich das Verhüllungsverbot negativ auf den Tourismus ausgewirkt, wie es der Tourismusverband befürchtete. Die Contra-Seite hob hingegen hervor, dass im Tessin und in St. Gallen praktisch keine Verstösse gegen das Verbot registriert würden, was bestätige, dass es sich nur um ein Scheinproblem handle. In diesem Zusammenhang war in den Augen der Befürworterinnen und Befürworter auch Justizministerin Karin Keller-Sutter, die sich im Namen des Bundesrats gegen das Verhüllungsverbot aussprach, nicht glaubwürdig, weil sie in St. Gallen als ehemalige Polizeidirektorin genau ebendieses eingeführt habe. Gleichzeitig attestierten die Gegnerinnen und Gegner dem Egerkinger Komitee und der SVP ein Glaubwürdigkeitsproblem, weil sie ihnen ihr Engagement für Frauenrechte nicht abkauften.

Neben der Initiative selbst sorgte auch der indirekte Gegenvorschlag, der bei Ablehnung der Initiative automatisch in Kraft treten würde, für einige Diskussionen. Die Initiativgegnerinnen und -gegner waren der Ansicht, der Gegenvorschlag regle mit der gesetzlichen Pflicht, zur Identifizierung vor Behörden das Gesicht zu zeigen, alles Nötige. Ausserdem leiste er – im Gegensatz zum Verhüllungsverbot – einen tatsächlichen Beitrag an die Stärkung der Frauenrechte und die bessere Integration von ausländischen Frauen in die Gesellschaft. Die Initianten argumentierten hingegen, der Gegenvorschlag löse das eigentliche Problem nicht und wer keine «Gleichstellungsoffensive» («Weltwoche») wolle, müsse mit der Annahme der Initiative den Gegenvorschlag verhindern.

Die durchgeführten Umfragen attestierten der Initiative von Anfang an gute Chancen. Nachdem Ende Januar eine klare Ja-Mehrheit von 63 Prozent (Tamedia) bzw. 56 Prozent (SRF) resultiert hatte, legte die Nein-Kampagne im Folgenden etwas zu. Zwei Wochen vor der Abstimmung bekundeten noch 59 bzw. 49 Prozent der Befragten eine Ja-Stimmabsicht. Während die Parteibasis der SVP durchwegs zu rund 90 Prozent ja stimmen wollte, zeigten sich die Anhängerschaften von FDP, Mitte und GLP gespalten – hier konnte das Nein-Lager im Verlauf der Kampagne Boden gutmachen. Auch im linken Lager traf das Anliegen immerhin bei rund 30 Prozent der Befragten auf Wohlwollen.

Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und indirekter Gegenvorschlag (19.023)
Dossier: Nationales Burkaverbot

Die Mehrheit der vorberatenden SiK-SR beantragte ihrem Rat im Frühjahr 2021, die Motion der SVP-Fraktion für eine Sicherheitshaft für Dschihad-Rückkehrer und -Rückkehrerinnen abzulehnen, weil die Motion, so Kommissionssprecher Daniel Jositsch (sp, ZH) «den Boden des Rechtsstaates» verlasse. Eine präventive Inhaftierung aufgrund blosser Hinweise und ohne dringenden Tatverdacht sei auch mit der EMRK nicht vereinbar, wie die Diskussion um die Präventivhaft im Rahmen der PMT-Vorlage bereits gezeigt habe. Eine Minderheit Salzmann (svp, BE)/Minder (parteilos, SH) beantragte dennoch die Annahme der Motion, weil sich die Situation seit der Verabschiedung des PMT-Gesetzes im September 2020 «massiv verändert» habe; mit der Messerattacke von Morges sei «der Terror [...] in der Schweiz angekommen», so Werner Salzmann. Mit 37 zu 5 Stimmen folgte die Ständekammer ihrer Kommissionsmehrheit und lehnte die Motion ab. Bundesrätin Karin Keller-Sutter wies darauf hin, dass bei einem konkreten Verdacht bereits heute eine Untersuchungshaft angeordnet werden könne. Zudem würden mit den im PMT-Gesetz vorgesehenen Massnahmen – über welche die Stimmbevölkerung im Sommer 2021 abstimmen wird – die gesetzlichen Möglichkeiten ausreichen, um mit terroristischen Gefährderinnen und Gefährdern angemessen umzugehen.

Sicherheitshaft für Dschihad-Rückkehrer (Mo. 19.3034)

In der Vernehmlassung wurde das Vorhaben des Bundesrates, einen nationalen Adressdienst (NAD) zu schaffen, mehrheitlich befürwortet. Von den 55 eingegangenen Vernehmlassungsantworten äusserten sich 35 positiv zum Vorentwurf, darunter 21 Kantone sowie die BDP, die SP und die SVP. Zehn Teilnehmende positionierten sich nicht eindeutig oder zogen ein gemischtes Fazit, wobei nicht der Nutzen des Dienstes, sondern dessen konkrete Ausgestaltung in Frage gestellt wurde. Zu dieser Gruppe zählten die Kantone Appenzell Ausserrhoden und Graubünden, die CVP, der Gemeinde- und der Städteverband sowie der Gewerbeverband. Überwiegend ablehnend äusserten sich ebenfalls zehn Teilnehmende, darunter die Kantone Tessin und Waadt sowie die FDP. Während einige Organisationen die Notwendigkeit des neuen Registers in Frage stellten und Datenschutzbedenken äusserten (SKS, HEV, Privatim, Centre Patronal), forderte auf der anderen Seite der Verband der Einwohnerdienste die Schaffung eines zentralen Einwohnerregisters, das alle Daten der Einwohnerregister umfasst und nicht nur die Wohnadressen.
Die Stellungnahmen hätten insgesamt bestätigt, dass der geplante nationale Adressdienst einem Bedürfnis entspreche, gab der Bundesrat im Dezember 2020 per Medienmitteilung bekannt. Mit dem NAD sollen Schweizer Behörden die Wohnadresse der Einwohnerinnen und Einwohner auch über Kantonsgrenzen hinweg suchen und bestehende Adressdaten aktualisieren können. Das geplante Adressdienstgesetz (ADG) enthält die gesetzliche Grundlage für einen solchen Dienst und soll unter anderem den Inhalt, die Zugriffsmöglichkeiten und den Datenschutz regeln.
Die Vernehmlassungsergebnisse veranlassten den Bundesrat dazu, das Vorhaben weiterzuverfolgen, aber zuvor noch einige aufgeworfene Fragen zu klären. Er kündigte an, die Datenschutzbestimmungen und die Regelung der Datenhoheit zu präzisieren sowie die Abfragemöglichkeiten und die Rolle der Kantone und Gemeinden noch vertieft zu prüfen. Überdies wolle er bereits vor der Inbetriebnahme des NAD geklärt haben, ob und mit welchen zusätzlichen Datenquellen von Bund, Kantonen oder Gemeinden die Aktualität der bereitgestellten Daten verbessert werden könnte. Die Regierung beauftragte das EDI, die notwendigen Abklärungen zu treffen und anschliessend eine Botschaft auszuarbeiten.

Adressdienstgesetz (BRG 23.039)

Mittels Motion forderte die SVP-Fraktion die Einführung einer Sicherheitshaft für Dschihad-Rückkehrer und -Rückkehrerinnen. Personen, die im Verdacht stehen, eine verbotene Organisation nach Art. 74 NDG unterstützt zu haben, sollten bei ihrer Einreise in die Schweiz bis zum Abschluss der entsprechenden Verfahren in Haft genommen werden, ausser von der Person gehe erwiesenermassen keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit aus, so das Ansinnen. Der Bundesrat beantragte die Ablehnung der Motion, weil eine Präventivhaft für Gefährder und Gefährderinnen EMRK-widrig wäre; diese Massnahme habe das Parlament aus diesem Grund bei den Beratungen der PMT-Vorlage schliesslich verworfen, so Justizministerin Karin Keller-Sutter. In der Sondersession im Oktober 2020 nahm der Nationalrat den Vorstoss dennoch mit 96 zu 79 Stimmen bei einer Enthaltung an.

Sicherheitshaft für Dschihad-Rückkehrer (Mo. 19.3034)

Sowohl Bundesrätin Karin Keller-Sutter als auch Daniel Jositsch (sp, ZH) als Sprecher der SiK-SR beantragten im Ständerat die Ablehnung einer Motion der SVP-Fraktion zum Umgang mit staatsgefährdenden Personen. Sie argumentierten, dass eine Ausweisung von Personen, welche die innere und äussere Sicherheit der Schweiz gefährden, bereits nach geltendem Recht möglich sei. Im Rahmen des von beiden Räten gutgeheissenen Bundesgesetzes über polizeiliche Massnahmen zur Terrorismusbekämpfung (PMT) würden weitere Instrumente wie beispielsweise die Ausschaffungshaft für ausgewiesene Gefährderinnen und Gefährder eingeführt, so die Justizministerin. Darüber hinaus sei die Forderung nach einer Präventivhaft in Bezug auf die EMRK-Konformität problematisch. Eine Minderheit Salzmann (svp, BE) beantragte die Annahme der Motion. Wie Salzmann im Ständeratsplenum erklärte, sei es doch die Pflicht des Parlaments, die Bevölkerung vor terroristischen Anschlägen zu schützen. Mit den bestehenden Instrumenten sei dies präventiv jedoch nicht möglich, weshalb weitere Massnahmen dringend nötig seien, um «die potenziellen Täter dingfest zu machen». Dem Mehrheitsantrag folgend lehnte die Kantonskammer den Vorstoss in der Herbstsession 2020 mit 30 zu 5 Stimmen ab.

Umgang mit staatsgefährdenden Personen (Mo. 16.3673)

Mit 107 eingegangenen Stellungnahmen stiess die Vernehmlassung zur Änderung der Zivilprozessordnung (Verbesserung der Praxistauglichkeit und der Rechtsdurchsetzung) auf reges Interesse. Bis zum Ablauf der Frist im Sommer 2018 äusserten sich alle Kantone, sechs Parteien und 75 weitere Teilnehmende zu den Revisionsvorschlägen, wie dem Anfang 2020 veröffentlichten Ergebnisbericht zu entnehmen ist. Während rund zwei Drittel der Stellungnahmen – darunter von 16 Kantonen sowie von CVP, FDP, GLP, GP und SP – grundsätzlich positiv ausfielen, lehnten sieben Kantone (LU, NW, OW, SG, SZ, UR, VS) und die SVP das Projekt insgesamt ab. Aufgrund der Vielfalt der Neuerungen hatten indes nicht alle Vernehmlasserinnen und Vernehmlasser zu allen Punkten Stellung bezogen oder eine eindeutige Position zur Vorlage als Ganzes bekundet.
Umstritten waren insbesondere die Änderungen im Prozesskostenrecht, die neuen Bestimmungen zum kollektiven Rechtsschutz sowie das neue Mitwirkungsverweigerungsrecht für Unternehmensjuristinnen und -juristen. Das Prozesskostenrecht hatte der Bundesrat dahingehend anpassen wollen, dass die klagende Partei neu höchstens die Hälfte – und nicht mehr den Gesamtbetrag – der voraussichtlichen Prozesskosten als Kostenvorschuss leisten muss, was die Zugangshürden zum Gericht abbauen sollte. Vor allem von den Kantonen regte sich Widerstand gegen diese Änderung, weil sie für sich einen finanziellen Mehraufwand durch Inkasso und Fehlbeträge befürchteten, wenn die unterlegene Partei die Kosten nicht vollständig tragen kann. Zahlreiche Teilnehmende waren zudem der Ansicht, dass die finanziellen Hürden vielmehr durch eine Senkung der (kantonalen) Gerichts- und Anwaltskosten sowie der Parteientschädigungen abgebaut werden müssten.
Dahingegen wurde die Stärkung des kollektiven Rechtsschutzes vor allem von den Vertreterinnen und Vertretern der Wirtschaft kritisiert. Die neu geregelte und erweiterte Verbandsklage sowie das neu geschaffene Gruppenvergleichsverfahren verschlechterten die Position der beklagten Partei – und damit insbesondere der Unternehmen – beträchtlich, während die Verbände unverhältnismässig viel Macht erhielten, argumentierten sie. Die Instrumente der kollektiven Rechtsdurchsetzung seien dem Schweizer Justizsystem fremd und verletzten den Grundsatz, dass jeder Einzelfall spezifisch und individuell beurteilt werden müsse. Andere Teilnehmende, darunter acht Kantone, die CVP, die GLP, die GP und die SP sowie zwei Dutzend Stellungnahmen aus vornehmlich juristischen, KMU- und Konsumentenschutzkreisen, begrüssten die Vorschläge zum kollektiven Rechtsschutz aus Gründen der Verfahrensökonomie, der Bekämpfung der Straflosigkeit und der höheren Rechtssicherheit.
Das neue Mitwirkungsverweigerungsrecht für Unternehmensjuristinnen und -juristen wurde von rund zwei Dritteln der sich dazu äussernden Stellungnahmen begrüsst. Die ablehnenden, in erster Linie juristischen Stimmen befürchteten, dass dadurch die Tätigkeit der Justiz erschwert würde, indem Unternehmen die Regel dazu nutzen könnten, bestimmte Tatsachen zu verbergen. Demgegenüber sprachen sich hauptsächlich wirtschaftsnahe Akteure dafür aus, Unternehmensjuristinnen und -juristen sowohl mit in der Schweiz tätigen Anwältinnen und Anwälten als auch mit ausländischen Unternehmensjuristinnen und -juristen mit Geheimhaltungsrecht gleichzustellen. Für Unternehmen mit Sitz in der Schweiz sei es ein Problem, wenn sie infolge dieser fehlenden Regelung vor ausländischen Gerichten strategische oder dem Geschäftsgeheimnis unterliegende Daten offenlegen müssten.
Neben den im Vorentwurf enthaltenen Änderungen wurden von den Vernehmlasserinnen und Vernehmlassern noch viele weitere Anpassungen an der ZPO vorgeschlagen, die etwa Verfahrensfragen im Familienrecht, die Regelung der Parteientschädigung und der Gerichtskosten oder die Ausgestaltung des Schlichtungsverfahrens betrafen.

Änderung der Zivilprozessordnung – Praxistauglichkeit und Rechtsdurchsetzung (BRG 20.026)
Dossier: Debatte über die Pressefreiheit in der Schweiz
Dossier: Revision der Zivilprozessordnung (2018–)

Der Vorentwurf zur Änderung des Zivilgesetzbuches betreffend die Unternehmensnachfolge (zweite Etappe der Erbrechts-Revision) stiess in der Vernehmlassung auf breite Zustimmung, wie aus dem im Januar 2020 veröffentlichten Ergebnisbericht hervorging. Von den 55 eingegangenen Stellungnahmen fielen 45 positiv aus, 7 enthielten keinen expliziten Positionsbezug und 3 standen der Vorlage ablehnend gegenüber. Der Kanton Basel-Landschaft, die SVP und die Vereinigung der Privaten Aktiengesellschaften, die die Vorlage ablehnten, erachteten die bestehenden zivilrechtlichen Möglichkeiten als ausreichend. Sie kritisierten, dass die vorgeschlagenen Massnahmen allesamt zulasten der pflichtteilsgeschützten Miterbinnen und Miterben der Unternehmensnachfolgerin bzw. des Unternehmensnachfolgers gingen. Sie seien insgesamt zu einschneidend in die Eigentumsrechte der Erbinnen und Erben und könnten zu vermehrten Nachlassstreitigkeiten führen. Indessen begrüsste die grosse Mehrheit der Vernehmlassenden die vorgeschlagenen Massnahmen insbesondere im Hinblick auf Familienunternehmen und KMU sowie auf den Fortbestand der von diesen Unternehmen geschaffenen Arbeitsplätze. Sie könnten effektiv dazu beitragen, die aufgetretenen Probleme im Zusammenhang mit der Unternehmensnachfolge zu verringern, waren die meisten Teilnehmenden der Ansicht, darunter 18 Kantone, CVP, FDP, GLP und SP sowie zahlreiche Wirtschaftsverbände. Von den vier zentralen Massnahmen wurde einzig jene zum Anrechnungswert des Unternehmens in grösserem Ausmass kritisch beurteilt, weil diese Frage verhältnismässig komplex sei. Die Möglichkeit, ein Unternehmen als Ganzes einer einzigen Person zuzuweisen, jene für die Unternehmensnachfolgerin oder den Unternehmensnachfolger, einen Zahlungsaufschub von den Miterbinnen und Miterben zu erhalten, sowie das Recht der Miterbinnen und Miterben, die Übernahme eines Minderheitsanteils abzulehnen, wurden hingegen überwiegend befürwortet.

Erbrechts-Revision – Unternehmensnachfolge (BRG 22.049)
Dossier: Revision des Erbrechts (2016– )

Gleichzeitig mit der Verabschiedung der Botschaft zur Schaffung einer nationalen Menschenrechtsinstitution (NMRI) durch den Bundesrat Mitte Dezember 2019 veröffentlichte das EDA die Vernehmlassungsergebnisse zum entsprechenden Vorentwurf. Alles in allem war das Vorhaben des Bundesrates bei den stellungnehmenden Kantonen, Parteien und Organisationen auf ein sehr positives Echo gestossen: 110 der insgesamt 116 Vernehmlasserinnen und Vernehmlasser hatten die Vorlage grundsätzlich befürwortet. Dahingegen hatten ihr der Kanton Schwyz, die FDP und die SVP sowie das Centre Patronal, der schweizerische Gewerbeverband und die Unabhängigkeitspartei Schweiz ablehnend gegenübergestanden; sie hatten die Errichtung einer NMRI nicht für notwendig gehalten. Nichtsdestotrotz hatten auch viele der befürwortenden Teilnehmenden «deutlichen Anpassungsbedarf» an der Vorlage gesehen, wie der Ergebnisbericht feststellte. Rund die Hälfte der Stellungnehmenden, darunter zahlreiche Organisationen aus dem humanitären Bereich, hatten ausdrücklich gefordert, dass die Schweizer NMRI die sogenannten Pariser Prinzipien der UNO umfassend verwirklichen müsse, sodass sie von der GANHRI mit der Bestnote A akkreditiert würde, denn alles andere würde weder dem menschenrechtlichen Selbstverständnis der Schweiz noch ihrem Image auf dem internationalen Parkett gerecht. Als problematisch war hierfür vor allem die vorgesehene universitäre Trägerschaft der NMRI gesehen worden. Ein Grossteil der Teilnehmenden hatte zur Sicherstellung der Unabhängigkeit der NMRI daher angeregt, ihr eine eigene Rechtspersönlichkeit, beispielsweise als Stiftung oder Verein, zukommen zu lassen.
Der Bundesrat nahm letztere Kritik aus der Vernehmlassung in seiner Botschaft auf, indem er darin die NMRI als öffentlich-rechtliche Körperschaft ausgestaltete. Die NMRI sollte ihre Tätigkeiten im Rahmen ihres Mandats selbst bestimmen. Der Bund und die Kantone sollten mit beratender Funktion, aber ohne Stimmrecht Einsitz nehmen und die NMRI finanziell unterstützen – der Bund mit Finanzhilfe im Umfang von einer Million Franken pro Jahr, die Kantone mit der Übernahme der Kosten für die Infrastruktur der NMRI. Die ursprünglich angedachte universitäre Verankerung sollte insofern beibehalten werden, als die NMRI an einer oder mehreren Universitäten situiert werde. Als Aufgaben der NMRI nannte die Botschaft die Information und Dokumentation, Forschung, Beratung, Menschenrechtsbildung, Sensibilisierung und den internationalen Austausch zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte sowohl im innerstaatlichen Bereich als auch in Bezug auf die innerstaatliche Umsetzung internationaler menschenrechtlicher Verpflichtungen. Dabei werde sie aber keine Verwaltungsaufgaben und keine Ombudsfunktion wahrnehmen, auch behandle sie keine Einzelfälle und spreche keine verbindlichen Empfehlungen aus, präzisierte der Bundesrat in der entsprechenden Medienmitteilung. Damit die Ablösung des Pilotprojekts SKMR, das Ende 2020 auslaufe, nahtlos erfolgen könne, sah der Bundesrat zudem die Verlängerung der Pilotphase um weitere zwei Jahre vor.

Schaffung einer nationalen Menschenrechtsinstitution (NMRI)
Dossier: Nationale Menschenrechtsinstitution

Der Totalrevision des Datenschutzgesetzes und der Änderung weiterer Erlasse zum Datenschutz nahm sich in der Herbstsession 2019 der Nationalrat als Erstrat an. Das ein Jahr zuvor verabschiedete und am 1. März 2019 in Kraft getretene Schengen-Datenschutzgesetz, das aus Gründen der zeitlichen Dringlichkeit zunächst nur die Schengen-relevanten Anpassungen umsetzte, wird mit der Annahme des totalrevidierten Gesetzes wieder ausser Kraft treten. Mit der Totalrevision sollen über die Schengen-Anforderungen hinausgehend einerseits die Schwächen des heutigen Datenschutzrechts, das noch aus einer Zeit vor dem Internet stammt, behoben und andererseits die Entwicklungen auf EU- und Europarats-Ebene aufgenommen werden. Besonders bedeutsam für die Schweiz ist hierbei, von der EU weiterhin als Drittstaat mit angemessenem Datenschutzniveau anerkannt zu werden. Ansonsten, so wurde befürchtet, wäre die Schweizer Wirtschaft mit erheblichen Wettbewerbsnachteilen konfrontiert, da Schweizer Unternehmen nicht mehr so einfach Daten mit Firmen in der EU austauschen könnten. Bis im Mai 2020 wird die EU die Äquivalenz des Schweizer Datenschutzes beurteilen, was eine gewisse Dringlichkeit für die Revision gebietet.
Wie schwierig dieses Unterfangen werden würde, hatte sich schon in der vorberatenden SPK-NR abgezeichnet: Nur mit Stichentscheid des Präsidenten Kurt Fluri (fdp, SO) hatte sich die Kommission im August 2019 durchgerungen, die Vorlage nach mehr als einem Jahr Arbeit überhaupt vors Ratsplenum zu bringen. Die wichtigsten Anpassungen der Kommission am bundesrätlichen Entwurf waren die neu einzuführende Direktwahl des EDÖB durch die Bundesversammlung, die Einführung eines Rechts auf Datenportabilität, die Anpassung der Definition der besonders schützenswerten Personendaten sowie der Verzicht auf eine besondere Regelung für den Umgang mit Daten verstorbener Personen und auf eine ausdrücklich erforderliche Einwilligung zum Profiling. Im Rahmen ihrer Beratungen hatte die SPK-NR zudem sechs Motionen zur Vervollständigung der Datenschutzbestimmungen in weiteren Gesetzen eingereicht.
Kurz vor der Debatte im Nationalrat hatte das Bundesamt für Justiz überdies eine Liste dazu veröffentlicht, welche problematischen Differenzen es zwischen dem Kommissionsvorschlag und den Anforderungen der EU sehe. Auch EDÖB Adrian Lobsiger hatte in der Presse bezweifelt, dass das von der Kommissionsmehrheit vorgeschlagene Gesetz mit dem verlangten Niveau der EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) mithalten könne; beim Entwurf des Bundesrates hätte er indes keine Probleme gesehen.
Während der strittige Vorschlag der Kommissionsmehrheit für die SVP bereits zu weit ging, bemängelten SP, Grüne und GLP, er sei zu lasch. Wirtschaftsverbände drängten unterdessen auf eine möglichst rasche, EU-konforme Lösung. So wurde im Vorfeld der nationalrätlichen Debatte von den Mitte- und Linksparteien noch fieberhaft nach Kompromissen gesucht, um den drohenden Absturz der Revision zu verhindern.

In der Eintretensdebatte in der grossen Kammer wurde von allen Seiten – ausser von der SVP-Fraktion – betont, wie wichtig und notwendig das vorliegende Revisionsprojekt sei, sowohl um den Datenschutz dem Internetzeitalter anzupassen als auch um den Datenschutz auf ein der EU gleichwertiges Niveau zu bringen, auch wenn man in den Details der Ausgestaltung verschiedene Ansichten vertrat. Die SVP betrieb hingegen Fundamentalopposition gegen «diesen bürokratischen Unsinn», wie Fraktionsvertreter Gregor Rutz (svp, ZH) das neue Gesetz nannte, denn es sei insgesamt, vor allem für KMU, schlechter als das geltende Datenschutzgesetz – ein Argument, das wenig später durch das Votum von FDP-Vertreter Kurt Fluri (fdp, SO) entkräftet werden sollte, der berichtete, dass der Gewerbeverband die Stossrichtung der Kommissionsmehrheit begrüsse und die Rückweisung nicht unterstütze. Mit der DSGVO verkaufe die EU laut Rutz ihre Bürger für dumm, da sie «kein Mensch» verstehe. «Wir haben langsam genug davon, jeden Unsinn aus der EU ungesehen zu übernehmen!», ärgerte sich der SVP-Vertreter und rief das Ratsplenum auf, die Vorlage an den Bundesrat zurückzuweisen mit dem Auftrag, sie zu entschlacken und EU-Vorschriften nur dort zu übernehmen, wo es unumgänglich sei. Auch eine linke Minderheit hatte ursprünglich die Rückweisung, allerdings an die Kommission, beantragt und diese beauftragen wollen, die Vereinbarkeit der Vorlage mit dem Übereinkommen SEV 108 des Europarats, die Äquivalenz mit dem EU-Datenschutzrecht, die Kompatibilität mit den Schengen-Verträgen und die Nicht-Unterschreitung des heute geltenden Schutzniveaus sicherzustellen. Um die doch eher dringliche Revision nicht unnötig zu verlangsamen und um sich einer «produktiven Diskussion» nicht zu verschliessen, zog Cédric Wermuth (sp, AG) diesen Antrag jedoch «im Sinne eines Vorschussvertrauensbeweises» zurück und hoffte, das Gesetz während der Beratung noch auf eine den genannten Forderungen nähere Linie bringen zu können. Der Rückweisungsantrag der SVP-Minderheit wurde mit 120 zu 66 Stimmen (1 Enthaltung) deutlich verworfen; ausserhalb der geschlossenen SVP-Fraktion sah niemand eine Rückweisung als den richtigen Weg an.

Im Laufe der Detailberatung musste der Nationalrat über 45 Minderheits- und mehrere Einzelanträge befinden, die zu einem beträchtlichen Teil die Unterstützung des Bundesrates genossen – hauptsächlich immer dort, wo die Kommissionsmehrheit mit ihrem Vorschlag einen schwächeren Datenschutz wollte als der Bundesrat und somit das heute geltende Schutzniveau oder die Anforderungen der EU und/oder des Europarats unterschreiten wollte. So war die Kommissionsmehrheit bestrebt, sowohl die Daten über gewerkschaftliche Ansichten und Tätigkeiten als auch die Daten über Massnahmen der sozialen Hilfe aus dem Katalog der besonders schützenswerten Daten, für deren Bearbeitung besondere Anforderungen gelten, zu streichen. Während eine bürgerliche Ratsmehrheit die Streichung der Daten über gewerkschaftliche Ansichten und Tätigkeiten guthiess, schwenkte der Nationalrat bei den Daten über Massnahmen der sozialen Hilfe – neben Sozialhilfedaten sind davon auch solche über Sozialversicherungsmassnahmen bei Krankheit oder Unfall, Massnahmen der Vormundschaftsbehörden oder KESB, die fürsorgerische Unterbringung in psychiatrischen Kliniken, Ergänzungsleistungen und Prämienverbilligungen erfasst – auf die Linie des Bundesrates zurück und beliess sie im Katalog. Grünen-Vertreter Balthasar Glättli (gp, ZH) hatte zuvor mit Nachdruck klargemacht, dass deren Streichung für die Grünen und die SP ein Grund wäre, dem Gesetz die Zustimmung zu verweigern. Eine ähnliche Drohung sprach SVP-Fraktionssprecher Gregor Rutz aus, als die Einschränkung des Geltungsbereichs des DSG auf natürliche Personen zur Debatte stand: Einem Gesetz, das – anders als bisher – keinen Datenschutz für juristische Personen mehr vorsehe, werde man «nie im Leben» zustimmen können. Alle anderen Fraktionen befanden den Schutz für juristische Personen durch andere gesetzliche Bestimmungen jedoch als ausreichend und so glich der Nationalrat das DSG mit der Streichung des Schutzes juristischer Personen an die europäischen Regeln an. Bei der Frage der Anforderungen für das sogenannte Profiling zeichnete sich während der Diskussion ab, dass man an diesem Tag keine zufriedenstellende Lösung finden würde. Für jegliche Formen des Profilings, das die Aargauer Zeitung treffend als die «automatisierte Auswertung von Daten, mit denen bestimmte Merkmale einer Person bewertet werden, um etwa Vorhersagen über ihr künftiges Verhalten zu treffen» definierte, hatte der Bundesrat eine ausdrückliche Einwilligung der betroffenen Person voraussetzen wollen, wie sie auch zur Bearbeitung besonders schützenswerter Personendaten vorgesehen war. Da das geltende Recht so eine Regelung für das Erstellen von Persönlichkeitsprofilen umfasst, würde eine komplette Streichung der ausdrücklichen Einwilligung zum Profiling, wie es die Kommissionsmehrheit vorgeschlagen hatte, ein Rückschritt vom aktuellen Schutzniveau darstellen. In der Diskussion wurde mehrheitlich anerkannt, dass verschiedene Formen des Profilings unterschieden werden müssten, da es, wie es Balthasar Glättli erklärte, durchaus einen Unterschied mache, ob Profiling zur Erstellung von passenden Bücherempfehlungen, zur Abschätzung des Risikos für eine Versicherung oder zur Vorhersage der politischen Entscheidungen einer Person gebraucht werde. Der Bundesrat unterstützte folglich einen Einzelantrag Glättli, der eine ausdrückliche Einwilligung nur für ein Profiling mit hohem Risiko für die Persönlichkeit oder die Grundrechte der betroffenen Person vorsah. Die Fraktionen der Grünen, SP und GLP unterstützten diesen Antrag ebenfalls, unterlagen jedoch der bürgerlichen Ratsmehrheit, die beim Vorschlag der Kommissionsmehrheit ohne besondere Anforderungen für das Profiling blieb. Der Nachhall der Diskussion war jedoch klar, dass sich der Ständerat noch einmal intensiv mit dieser Frage auseinandersetzen müsse.
Betreffend die Informationspflicht bei der Beschaffung von Personendaten, die Regeln für die Bekanntgabe von Personendaten ins Ausland, die Rechenschaftspflicht für datenbearbeitende Unternehmen über die Einhaltung des Datenschutzrechts sowie das Auskunftsrecht einer Person zu den über sie gesammelten oder bearbeiteten Daten lehnte die Volkskammer einige von der Kommissionsmehrheit vorgeschlagene Lockerungen ab und umschiffte somit ein paar der vielen Klippen im Hinblick auf den Angemessenheitsbeschluss der EU. Die vom Bundesrat eingefügten Regelungen über Daten von verstorbenen Personen erachtete der Rat jedoch als nicht notwendig und strich mit bürgerlicher Mehrheit alle entsprechenden Bestimmungen aus dem Gesetz. Ganz neu und weitgehend unbestritten verankerte der Nationalrat auf Vorschlag seiner Kommissionsmehrheit ein Recht auf Datenportabilität, das heisst auf Datenherausgabe und -übertragung, im Gesetz. Wie Bundesrätin Karin Keller-Sutter erklärte, habe der Bundesrat mit dieser Neuerung eigentlich noch zuwarten wollen, bis erste Erkenntnisse aus der konkreten Umsetzung dieses Rechts in der EU vorlägen; nichtsdestotrotz unterstützte er den Vorschlag der Kommissionsmehrheit, einen Anspruch jeder Person auf «die Herausgabe ihrer Personendaten in einem gängigen elektronischen Format oder sogar deren Übertragung auf einen anderen Verantwortlichen zu verlangen», wie Keller-Sutter das neue Recht erläuterte.
Zurückgehend auf eine entsprechende parlamentarische Initiative Leutenegger Oberholzer (sp, BL; Pa.Iv. 16.409) änderte die grosse Kammer das Wahlverfahren des EDÖB dahingehend, dass er neu von der Bundesversammlung gewählt und nicht mehr durch den Bundesrat ernannt und vom Parlament nur bestätigt werden sollte. Gleichzeitig wurden die Aufsichts- und Untersuchungskompetenzen des EDÖB bei Datenschutzverstössen gestärkt. Diese Änderung sei von wesentlicher Bedeutung im Hinblick auf den Angemessenheitsbeschluss der EU, wie Bundesrätin Keller-Sutter betonte, denn nach bisher geltendem Recht besitze der EDÖB nicht nur weniger Kompetenzen als die Datenschutzbehörden in Europa, sondern auch als andere Aufsichtsbehörden des Bundes, zum Beispiel die Finma oder die Weko. Bei den Strafbestimmungen legte der Nationalrat eine maximale Busse von CHF 250'000 für Datenschutzverstösse fest. Ein neuer Straftatbestand für die Nichteinhaltung der Mindestanforderungen an die Datensicherheit im Sinne einer Sorgfaltspflichtverletzung wurde von der bürgerlichen Ratsmehrheit jedoch nicht goutiert, was laut Bundesrätin Keller-Sutter für die EU-Angemessenheit problematisch sein könnte. Der letzte grosse Zankapfel der Vorlage verbarg sich in den Schlussbestimmungen, namentlich in der Frage zum Inkrafttreten des Gesetzes. Während die Kommissionsmehrheit das Inkrafttreten um zwei Jahre nach Annahme des Gesetzes beziehungsweise nach Verstreichen der Referendumsfrist verzögern wollte, beantragte eine Minderheit Humbel (cvp, AG), wie üblich den Bundesrat das Inkrafttreten bestimmen zu lassen. Eine solche Verzögerung sei bereits wegen der Schengen-relevanten Bestimmungen des Gesetzes ein Problem und daher nicht im Interesse der Wirtschaft, was das Argument der Kommissionsmehrheit gewesen war. Auf Empfehlung des Bundesrates und entgegen der geschlossenen SVP-Fraktion erteilte die grosse Kammer der zweijährigen Inkrafttretensfrist eine Absage.

In der Gesamtabstimmung nahm der Nationalrat das totalrevidierte Datenschutzgesetz mit 98 zu 68 Stimmen bei 27 Enthaltungen an. In den ablehnenden Stimmen spiegelte sich vor allem die Opposition der SVP gegen das Gesetz. Demgegenüber hatte sich die SP-Fraktion mehrheitlich enthalten und damit signalisiert, dass sie noch weitere Nachbesserungen erwartete. Wirklich zufrieden mit dem Gesetz in vorliegender Form war wohl niemand; in dieser Hinsicht sprach das Fazit von Kommissionssprecher Matthias Jauslin (fdp, AG) Bände: «Wir haben jetzt eine Vorlage, die aus Sicht der Kommission durchaus bearbeitbar ist.»

Revision des Datenschutzgesetzes (BRG 17.059)
Dossier: 2. Revision des Bundesgesetzes über den Datenschutz (DSG)

Dafür, dass bei europapolitischen Vorlagen im Durchschnitt rund 51 Prozent der Stimmberechtigten an der Abstimmung teilnehmen, war die Beteiligung bei der Abstimmung über die Übernahme der geänderten EU-Waffenrichtlinie vom 19. Mai 2019 mit 43.9 Prozent ausserordentlich tief. Dieser Befund, der aus der im Juli 2019 veröffentlichten VOTO-Studie hervorging, ging Hand in Hand mit der für eine Europa-Abstimmung ungewöhnlich geringen Bedeutung, die die Befragten der Abstimmungsvorlage zumassen. Überdies auffallend für eine Europa-relevante Frage war, dass die SVP, die als einzige grosse Partei das Nein-Lager repräsentierte, nur 35 Prozent ihrer Wählerschaft mobilisieren konnte, während bei den anderen grösseren Parteien immerhin zwischen 42 (Grüne) und 60 Prozent (CVP) der Sympathisantinnen und Sympathisanten an der Abstimmung teilnahmen.
Wenig überraschend stimmten Schusswaffenbesitzerinnen und -besitzer der Vorlage seltener zu als Personen, die keine Schusswaffe besitzen, wobei der Schusswaffenbesitz aber nicht mit einer sicheren Ablehnung der Vorlage einherging. Ausserdem schien die Frage den klassischen Links-Rechts-Konflikt zu bedienen: Je weiter links sich eine Person selbst einstufte, desto eher stimmte sie Ja; je weiter rechts, desto eher Nein. Dies spiegelte sich auch teilweise in den Parteisympathien: Während Anhängerinnen und Anhänger der Grünen, der SP und der GLP zu rund 90 Prozent der Vorlage zustimmten, hiessen sie bei der CVP-Anhängerschaft noch rund 70 Prozent und bei jener der FDP rund 60 Prozent gut. SVP-Sympathisantinnen und -Sympathisanten verwarfen den Entwurf hingegen zu 75 Prozent. Dass sich bei einer europapolitischen Fragestellung ein Viertel der Anhängerschaft der Volkspartei gegen die Parteilinie stellte, ist wiederum bemerkenswert.
Eher unerwartet gaben fast zwei Drittel der befragten Stimmenden an, sie hätten es für eher oder sehr unwahrscheinlich gehalten, dass die Schweiz bei einer Ablehnung der Waffenrichtlinie wirklich aus Schengen/Dublin ausgeschlossen worden wäre. Dies war im Abstimmungskampf das Hauptargument der Befürworterseite gewesen und stellte sich nun als nicht wirklich überzeugend heraus. Die Autoren der Studie vermuteten, dass die Vorlage trotzdem angenommen wurde, weil hier viele Stimmende im Sinne einer Risikovermeidungsstrategie lieber Ja stimmten, als einen, auch unwahrscheinlichen, Ausschluss in Kauf zu nehmen. So war die Nicht-Gefährdung von Schengen/Dublin denn auch für eine grosse Gruppe der Ja-Stimmenden das Hauptmotiv für ihren Stimmentscheid gewesen. Eine weitere grosse Gruppe der Ja-Stimmenden gab als Hauptmotiv den verbesserten Schutz vor Waffengewalt an, wobei für Frauen dieser Aspekt wichtiger war als für Männer. Das von den Nein-Stimmenden am häufigsten genannte Motiv war, dass die Schweiz sich nicht dem Druck der EU beugen solle; der Slogan der Gegnerseite «Nein zum Entwaffnungsdiktat der EU» schien somit ins Schwarze getroffen zu haben. Das am zweitmeisten genannte Nein-Motiv war die Sorge um die Schweizer Schiesssporttradition, wobei Schusswaffenbesitzerinnen und -besitzer dieses häufiger nannten als andere Personen. Die Analyse der Argumente zeigte zudem, dass der Graben zwischen dem Ja- und dem Nein-Lager primär entlang der Konfliktlinie Pro-EU und Kontra-EU verlief, während die Waffenrechtsverschärfung selber eine untergeordnete Rolle spielte. Zur komfortablen Mehrheit verhalfen der Vorlage somit jene, so die Schlussfolgerung der Studie, «die eine Verschärfung für nicht (dringend) notwendig hielten, aber die Schengen- und Dublin-Abkommen nicht aufs Spiel setzen wollten».

Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands. Übernahme der Richtlinie 2017/853 zur Änderung der EU-Waffenrichtlinie
Dossier: Das Bundesgesetz über Waffen, Waffenzubehör und Munition (Waffengesetz)

Der Vorschlag des Bundesrates zur Änderung des Zivilgesetzbuches für eine einfachere Änderung des Geschlechts und des Vornamens im Personenstandsregister erzeugte in der Vernehmlassung eine sehr positive Resonanz. Von 102 eingegangenen Stellungnahmen lehnten fünf (EDU, SVP, Christianity for Today, die Konferenz für Bioethik der Schweizer Bischofskonferenz sowie die Stiftung Zukunft CH) das Vorhaben ab, weil kein Handlungsbedarf bestehe. Die überwältigende Mehrheit der Teilnehmenden hielt die Vereinfachung der Geschlechtsänderung im Personenstandsregister indes für notwendig. Eine grosse Mehrheit der Kantone regte an, dass das Verfahren zur Geschlechts- und Vornamensänderung nicht wie vom Bundesrat vorgeschlagen den Zivilstandsbeamtinnen und -beamten, sondern den kantonalen Aufsichtsbehörden im Zivilstandswesen übertragen werden soll, um bessere Rechtssicherheit zu gewährleisten. Die Grünen, die Jungen Grünen, die SP, die Unabhängigkeitspartei Schweiz und die Alternative Liste Zürich sowie zahlreiche Organisationen für Geschlechts- und Genderanliegen wünschten sich noch weitergehende Erleichterungen, um dem Grundsatz der Selbstbestimmung noch besser Rechnung zu tragen. So schlugen sie etwa vor, auf die vorgesehene Möglichkeit der Zivilstandsbeamtin oder des Zivilstandsbeamten, bei Zweifeln an den Beweggründen zusätzliche Abklärungen wie ein ärztliches Zeugnis verlangen zu können, zu verzichten, weil die Betroffenen dadurch der Willkür der Beamtinnen und Beamten ausgesetzt würden. Viele Stellungnehmende forderten den Bundesrat darüber hinaus ausdrücklich auf, die Situation der Personen, die weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden können, zu überprüfen.

Änderung des Geschlechts im Personenstandsregister (BRG 19.081)

Die SPK-NR bekräftigte im Mai 2019 erneut, dass sie Bestrebungen zum Schutz der Schweizer Bevölkerung vor terroristischen Handlungen begrüsse. Dennoch beantragte sie die parlamentarische Initiative der SVP-Fraktion zur Ausweisung von Aktivistinnen und Aktivisten des politischen Islams mehrheitlich zur Ablehnung, da der Bundesrat mit den Vorlagen zur Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums sowie über polizeiliche Massnahmen gegen Terrorismus in diesem Bereich bereits tätig geworden sei. Der Nationalrat folgte diesem Antrag im Juni mit einer knappen Mehrheit von 94 zu 90 Stimmen bei 3 Enthaltungen und erledigte damit das Geschäft. Die Befürworterinnen und Befürworter – darunter die geschlossene SVP-Fraktion und die grosse Mehrheit der CVP-Fraktion – hatten vor allem den politischen Druck bei der Terrorismusbekämpfung hochhalten wollen, wie die Kommissionsminderheit ihren Antrag begründet hatte.

Ausweisung von Aktivisten des politischen Islams (Pa.Iv. 17.445)

Nach einem langen und emotionalen Abstimmungskampf nahm die Schweizer Stimmbevölkerung am 19. Mai 2019 die Übernahme der geänderten EU-Waffenrichtlinie mit 63.7 Prozent Ja-Stimmen deutlich an. Die Stimmbeteiligung lag bei 43.9 Prozent. Ausser im Tessin (45.5% Ja) überwog die Zustimmung in allen Kantonen. Am höchsten fiel sie in Basel-Stadt mit 75 Prozent Ja-Stimmen aus, gefolgt von den drei Westschweizer Kantonen Genf, Neuenburg und Waadt sowie dem Kanton Zürich mit jeweils über 70 Prozent. Gesamtschweizerisch zeigte sich ein klarer Stadt-Land- oder Zentrum-Peripherie-Graben, wobei die Zustimmung in den städtischen Zentren am höchsten und – nebst dem Tessin – in den ländlichen Regionen wie dem Berner Oberland, der Innerschweiz und den Bündner Südtälern am niedrigsten ausfiel.
Vertreterinnen und Vertreter der Befürworterseite werteten das Ergebnis in der Presse als positives Signal für die Beziehungen der Schweiz zur EU und blickten zuversichtlich in Richtung der anstehenden europapolitischen Entscheidungen über die Begrenzungsinitiative sowie über das institutionelle Rahmenabkommen mit der EU. Demgegenüber sah das unterlegene Nein-Lager im Resultat kein Ja zu Europa, sondern schöpfte daraus neuen Elan für den Kampf gegen die Personenfreizügigkeit und das Rahmenabkommen. «Solche angstgetriebenen Abstimmungsergebnisse wären künftig die Regel, falls der Bundesrat das Rahmenabkommen mit der EU unterschreibt», zitierte beispielsweise die Aargauer Zeitung eine Mitteilung der SVP. Die Gesellschaft für ein freiheitliches Waffenrecht ProTell, die an vorderster Front gegen die Änderungen im Waffenrecht gekämpft hatte, liess derweil verlauten, man werde die Umsetzung der EU-Waffenrichtlinie nun sehr genau überwachen und den Bundesrat an seinen Versprechungen messen, die er im Abstimmungskampf gemacht habe.
Der Ausgang der Abstimmung wurde sowohl von der Befürworter- als auch von der Gegnerseite zu einem grossen Teil der neuen Justizministerin Karin Keller-Sutter zugeschrieben. Sie habe mit ihrer Glaubwürdigkeit als ehemalige Polizeidirektorin eines Grenzkantons die Unentschlossenen überzeugt, lobte sie etwa der Waadtländer FDP-Nationalrat Laurent Wehrli in der «Tribune de Genève». Auch der Walliser SVP-Nationalrat und Interimspräsident von ProTell Jean-Luc Addor bezeichnete die Übernahme des EJPD durch Karin Keller-Sutter gegenüber der gleichen Zeitung als «Schlüsselmoment» in der Kampagne, weil die St. Gallerin – im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin und «historischen Waffengegnerin» Simonetta Sommaruga – im Dossier als glaubwürdig wahrgenommen worden sei. Die neue Bundesrätin bestand ihre Feuertaufe vor dem Stimmvolk offensichtlich mit Bravour.


Abstimmung vom 19. Mai 2019

Beteiligung: 43.9%
Ja: 1'501'880 (63.7%)
Nein: 854'274 (36.3%)

Parolen:
– Ja: BDP, CVP, EVP, FDP (Jungfreisinnige: 3*), GLP, GP, KVP, SP; KdK, Economiesuisse, SAV, SGV, SGB, Travail.Suisse, Gastrosuisse, Hotelleriesuisse, SBLV
– Nein: EDU, FP, SD, SVP; IGS, SOG, Schweizerischer Unteroffiziersverband, Jagd Schweiz, ProTell, SBV
* Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands. Übernahme der Richtlinie 2017/853 zur Änderung der EU-Waffenrichtlinie
Dossier: Das Bundesgesetz über Waffen, Waffenzubehör und Munition (Waffengesetz)

Kurz nachdem das Referendum gegen die Übernahme der EU-Waffenrichtlinie offiziell zustande gekommen war, gab die Schweizerische Offiziersgesellschaft (SOG) – wohl nicht vollends beabsichtigt – sowohl für die Gegner- als auch für die Befürworterseite den Startschuss zum Abstimmungskampf. An der Präsidentenkonferenz Ende Januar 2019 sprachen sich über dreissig anwesende Sektionen einstimmig gegen die Verschärfung des Waffenrechts aus und bewilligten darüber hinaus einen finanziellen Beitrag an das Referendumskomitee. Darin Einsitz nehmen wollte die SOG jedoch nicht, wie im entsprechenden Positionspapier zu lesen war, in dem sie ihre Nein-Position damit begründete, dass die Übernahme der EU-Waffenrichtlinie das «liberale, dem Milizwesen verpflichtete Schweizer Waffenrecht» unnötig einschränke. Die Verschärfung treffe nicht den gefährlichen Handel mit illegalen Waffen, sondern die legalen Waffenbesitzerinnen und -besitzer und sei daher «keine nachhaltige Massnahme gegen die terroristische Bedrohung in der Schweiz». Die NZZ bezeichnete den Positionsbezug der SOG als wichtigen Erfolg für die Gegnerschaft des neuen Waffenrechts, insbesondere für die Schützenverbände, die im Referendumskomitee federführend waren. Bei Sicherheitspolitikerinnen und -Politikern der bürgerlichen Mitte kam die SOG damit jedoch schlecht an: Der Urner FDP-Ständerat Josef Dittli zeigte sich gegenüber der NZZ «enttäuscht» von den Offizieren, denen wohl «der Stellenwert von Schengen nicht bewusst» sei. Die Luzerner CVP-Nationalrätin Ida Glanzmann-Hunkeler bedauerte an gleicher Stelle, dass die Offiziere «ins Boot der SVP» stiegen und sich für deren Kampf gegen Schengen einspannen liessen. In den Tagen darauf traten einige SOG-Mitglieder um die beiden GLP-Politiker Pascal Vuichard (GL) und Roland Fischer (LU) aus dem Schatten und verkündeten öffentlich, mit dem Positionsbezug der SOG nicht einverstanden zu sein. Vuichard äusserte Bedenken, die SOG verspiele mit diesem Statement ihre Glaubwürdigkeit, da die Armee von den Änderungen gar nicht betroffen sei. Das von den GLP-Offizieren gegründete Ja-Komitee setzte eine «Lawine der Kritik» (Tribune de Genève) an der SOG in Gang und erhielt auch parteiübergreifend weiteren Zulauf – so beispielsweise von FDP-Ständerat und Oberst im Generalstab Josef Dittli. Der «Krach der Offiziere» (BaZ) gründete darin, dass für die Ja-Komiteeangehörigen ein gutes Verhältnis zu Europa für die Schweiz aus sicherheitspolitischer Sicht absolut notwendig sei, weshalb die Schengen/Dublin-Mitgliedschaft nicht gefährdet werden dürfe, zumal die Änderung des Waffenrechts «sehr umsichtig und pragmatisch» erfolge. Dass sich auch Armeechef Philippe Rebord hinter das neue Waffenrecht stellte, befeuerte die Debatte zusätzlich. SOG-Präsident Stefan Holenstein gab derweil gegenüber der Presse zu Protokoll, das Waffenrecht sei «kein Kernthema» der SOG und der Entscheid sei «keine Abstimmungsparole», sondern «eine Position als Ergebnis der internen Beratungen».

Mitte Februar lancierte Bundesrätin Karin Keller-Sutter anlässlich einer Medienkonferenz den Abstimmungskampf offiziell. Mit dem Slogan «Niemand wird entwaffnet» platzierte sie das Hauptargument des Bundesrates landesweit prominent in den Schlagzeilen: Die Änderungen am Waffenrecht seien nur geringfügig und die Schiesstradition in der Schweiz bleibe erhalten. Die Gesetzesänderung rechtfertige es somit nicht, die Schengen-Mitgliedschaft der Schweiz aufs Spiel zu setzen; die Kosten der Beendigung der Schengen-Zusammenarbeit seien schlicht zu hoch – und zwar sowohl in Form von zusätzlichen Staatsausgaben als auch in Form von Sicherheitsverlust. Das SIS werde von Schweizer Sicherheitsbehörden 300'000 Mal täglich abgefragt und habe während zehn Jahren im Schnitt zu einer Verhaftung täglich verholfen; «ohne Schengen wären wir bildlich gesprochen blind», würdigte der stellvertretende Fedpol-Direktor René Bühler den Beitrag des Schengener Abkommens an die Sicherheit der Schweiz. Hinzu kämen gemäss der Justizministerin volkswirtschaftliche Kosten von mehreren Milliarden Franken pro Jahr – einerseits im Tourismussektor, weil die Schweiz nicht mehr mit dem Schengen-Visum bereist werden könnte, andererseits im Asylbereich, da die Schweiz nach Wegfall des mit Schengen verknüpften Dublin-Abkommens Asylbewerberinnen und -bewerber nicht mehr abweisen könnte, wenn sie bereits in einem anderen Schengen-Staat Asyl beantragt haben. Wie die Gegnerschaft des neuen Waffenrechts darauf zu hoffen, dass dieser Fall nicht eintrete, sei riskant, denn der Ausschluss der Schweiz aus Schengen/Dublin erfolge bei Verweigerung der Rechtsübernahme automatisch, es sei denn, der Gemischte Ausschuss, in dem die 28 EU-Staaten und die Schweiz vertreten sind, einigte sich innerhalb von 90 Tagen einstimmig auf einen weiteren gemeinsamen Weg. Eine solche Einigung hielt Keller-Sutter jedoch für unwahrscheinlich, da sich die EU zurzeit nicht in «Kompromisslaune» (St. Galler Tagblatt) befinde. Das gegnerische Argument, die Verschärfung des Waffenrechts trage nichts zur Terrorismusbekämpfung bei, konterte die Bundesrätin damit, die Richtlinie beabsichtige in erster Linie, den illegalen Waffenhandel zu erschweren und die Bevölkerung vor Waffenmissbrauch zu schützen, sie sei aber «kein Pakt zur Terrorbekämpfung».

Mit ihren Erläuterungen an der Medienkonferenz erntete die Justizministerin wiederum heftige Kritik aus den Reihen des Referendumskomitees. So kreideten ihr die Gegner an, der Bundesrat habe eine Kehrtwende vollzogen, indem er die Waffenrichtlinie explizit nicht mehr in Zusammenhang mit Terrorismusbekämpfung bringe, sondern nur noch von der Bekämpfung illegalen Waffenhandels und Waffenmissbrauchs spreche. Weiter bezichtigten sie verschiedene Exponenten der Gegnerschaft mehr oder weniger direkt der Irreführung und der Falschinformation. Sie störten sich vor allem daran, dass rund 80 Prozent der im Schiesssport verwendeten Waffen neu verboten würden, und auf etwas Verbotenes bestehe kein Rechtsanspruch; daran ändere auch die vorgesehene Ausnahmebewilligung nichts. Zudem fürchteten sie sich vor zukünftigen weiteren Verschärfungen des Waffenrechts; da die EU-Richtlinie alle fünf Jahre überprüft werden solle, seien weitere Verschärfungen vorprogrammiert. Die Debatte um die Kosten des angeblich drohenden Schengen-Ausschlusses sei nur ein «Ablenkungsmanöver», zitierte die «Südostschweiz» den Walliser SVP-Nationalrat und ProTell-Interimspräsidenten Jean-Luc Addor; die EU habe überhaupt kein Interesse daran, die Abkommen zu kündigen, weil sie davon mindestens so viel profitiere wie die Schweiz und die Schweiz ja bereits ein effizientes Waffenrecht besitze. In Wahrheit sei die Reform ein «trojanisches Pferd», mit dem die EU in Zukunft alle halbautomatischen Waffen verbieten könne, so Addor gegenüber der «Tribune de Genève». Anders als der Bundesrat den Leuten weismachen wolle, seien die Änderungen für die Schützen überhaupt nicht zumutbar, stellte auch IGS-Präsident Luca Filippini in der Presse klar und betonte einmal mehr, die Annahme der Waffenrichtlinie wäre «das Ende des Schiessens als Volkssport», ja sogar «der Beginn vom Ende unseres Rechtsstaates».

So klar, wie es auf den ersten Blick den Anschein erwecken mag, waren die Fronten jedoch nicht. Wie bei den Offizieren äusserten sich auch bei den Schützen nach und nach kritische Stimmen zur Haltung des nationalen Verbandes. Während diverse kantonale Schützenverbände an ihren Versammlungen finanziell und ideologisch zum Kampf gegen das «Entwaffnungsdiktat» aus Brüssel, von dem sie sich existenziell bedroht sahen, rüsteten, beschloss etwa der Schaffhauser Kantonalschützenverband Stimmfreigabe, da die neuen Bestimmungen laut Präsident Pascal Herren «den Schiesssport nicht beeinträchtigen» würden. Auch der Präsident der Ausserrhoder Schützen, Bruno Preisig, gab in der Aargauer Zeitung zu Protokoll, er habe «kein Problem mit den neuen Regelungen», im Gegenteil: «Es wäre klüger gewesen, das Geld in die Nachwuchsförderung, statt in eine grosse Nein-Kampagne zu investieren.» Für ein Ja zum neuen Waffenrecht setzten sich hingegen geschlossen die grossen Wirtschaftsverbände Economiesuisse, Hotelleriesuisse und der Gewerbeverband sowie kantonale Handelskammern ein. Auf Druck der Tourismusbranche hatte sich der Gewerbeverband Ende Januar zur Ja-Parole durchgerungen, obwohl der von SVP-Nationalrat Jean-François Rime (FR) präsidierte Verband die Vorlage vor Jahresfrist noch als unverhältnismässig abgelehnt hatte, wie das St. Galler Tagblatt berichtete. Bedeutend für die Wirtschaft seien gemäss der NZZ vor allem die Folgen eines Neins: Die Verbände befürchteten zusätzliche Kosten für das Asylwesen und die innere Sicherheit, höhere Staukosten im grenzüberschreitenden Verkehr infolge wiedereingeführter Grenzkontrollen sowie einen Rückgang der Tourismus-Nachfrage aufgrund des wegfallenden Schengen-Visums. Anlässlich ihrer Delegiertenversammlung schloss sich Ende März schliesslich noch die SVP, die sich im Abstimmungskampf bisher zurückgehalten hatte, offiziell dem Nein-Lager an. Der Berner SVP-Nationalrat Werner Salzmann begründete die Zurückhaltung seiner Partei gegenüber der NZZ damit, dass man sich in einem Wahljahr befinde und somit «nicht beliebig Geld zur Verfügung [habe], um die Kampagnen von Verbänden zu unterstützen». Hinter vorgehaltener Hand sei man in Schützenkreisen jedoch sogar froh um die Zurückhaltung der SVP, so die NZZ weiter, da ein klares Verständnis des Referendums als Angriff auf Schengen/Dublin wohl eher der Befürworterseite zum Vorteil gereicht hätte. Alle anderen grösseren nationalen Parteien gaben indes die Ja-Parole aus.

Anfang April zeugten erste Umfrageergebnisse von einer bereits starken Meinungsbildung an den beiden politischen Polen. Insgesamt hatten 53 Prozent der Befragten angegeben, (eher) für die Verschärfung des Waffenrechts stimmen zu wollen, 46 Prozent (eher) dagegen. In den Anhängerschaften der beiden grossen Polparteien sprachen sich je über drei Viertel klar dafür (SP) bzw. klar dagegen (SVP) aus. Bei den Mitte-Parteien betrug die Zustimmung hingegen trotz Ja-Parolen nur gerade 50 (FDP) bzw. 47 Prozent (CVP). Die Abstimmung werde somit in der Mitte entschieden, so die Experteneinschätzung. Das überparteiliche Ja-Komitee interpretierte den äusserst knappen Vorsprung als «Weckruf» (Tages-Anzeiger), die Stimmbevölkerung noch klarer von der Wichtigkeit von Schengen/Dublin überzeugen zu müssen. Dies schien der Befürworterschaft zunehmend zu gelingen, konnte das Ja-Lager in den folgenden Umfragen doch entscheidend zulegen. Zwei Wochen vor dem Abstimmungstermin verbuchte es mit einer Zustimmung von rund 60 Prozent einen komfortablen Vorsprung. Die Sympathisantinnen und Sympathisanten aller grosser Parteien ausser der SVP stellten sich mit klarer Mehrheit hinter die Vorlage, Frauen stärker als Männer und städtische Gebiete stärker als ländliche Regionen. Der Verbleib der Schweiz im Schengen-Raum zeichnete sich hingegen klar als das schlagende Argument der Debatte ab.

Insgesamt bot der Abstimmungskampf über die lange Zeitdauer wenig Abwechslung, verlief aber zugleich äusserst emotional. Vor allem auf der Gegnerseite war eine grosse Wut spürbar, sowohl über die vermeintliche Entwaffnung der Schweizer Bürgerinnen und Bürger als auch über die Fremdbestimmung aus Brüssel. Das Antasten des Rechts auf eine private Waffe wurde als Angriff auf die Identität des Schweizervolkes gesehen. Dagegen bot Bundesrätin Karin Keller-Sutter den Gegnern wenig Angriffsfläche, argumentierte sachlich und vornehm zurückhaltend, wie der Tages-Anzeiger den Auftritt der Justizministerin in der SRF-«Arena» Mitte April beurteilte. Indem sich die Befürworterseite hauptsächlich auf das Schengen-Argument beschränkte, wurden allerdings von beiden Seiten die immergleichen Argumente bis zum Abstimmungstermin schon fast gebetsmühlenartig wiederholt.

Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands. Übernahme der Richtlinie 2017/853 zur Änderung der EU-Waffenrichtlinie
Dossier: Das Bundesgesetz über Waffen, Waffenzubehör und Munition (Waffengesetz)

Frischen Wind in die gesellschaftliche Debatte ums nationale Verhüllungsverbot brachte die grossmehrheitliche Zustimmung des St. Galler Stimmvolks zu einem Verhüllungsverbot auf kantonaler Ebene im September 2018. Damit war St. Gallen nach dem Tessin der zweite Kanton, in dem die Gesichtsverhüllung in der Öffentlichkeit verboten wurde. Der Präsident des Initiativkomitees der nationalen Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot», der Solothurner SVP-Nationalrat Walter Wobmann, deutete die St. Galler Entscheidung als ein positives Zeichen für die bevorstehende Abstimmung über das schweizweite Verhüllungsverbot. Bundespräsident Berset gab demgegenüber in der Presse zu Protokoll, man nehme das Resultat auf Kantonsebene zur Kenntnis, aber auf nationaler Ebene sei die Debatte eine andere – dies wohl, weil die St. Galler Bestimmung die Gesichtsverhüllung nur dann verbietet, wenn von ihr eine Gefährdung für die öffentliche Sicherheit ausgeht.
Im Zuge der gleichzeitig laufenden Vernehmlassung zum Bundesgesetz über das Gesichtsverhüllungsverbot, das vom Bundesrat als indirekter Gegenvorschlag zur Volksinitiative aus der Taufe gehoben worden war, taten im Herbst 2018 zahlreiche Akteure ihre Ansichten zur Burkafrage in den Medien kund. Unter den Parteien lehnten neben der SVP – ihres Erachtens nehme der bundesrätliche Gegenvorschlag das Anliegen der Initiative nicht ernst – auch die Grünen den indirekten Gegenvorschlag ab. Sie betrachteten den Gegenvorschlag als unverhältnismässig und unnütz, da Nötigung ohnehin bereits verboten sei und der Gegenvorschlag genauso wenig zu den Rechten und zur Gleichberechtigung muslimischer Frauen beitrage wie die Initiative; letztlich schürten beide Vorurteile gegen die muslimische Bevölkerung. Auf der anderen Seite begrüsste die GLP den Vorschlag des Bundesrates vorbehaltlos. Die CVP und die FDP unterstützten beide die Stossrichtung des Bundesrates, brachten aber entgegengesetzte Vorbehalte zum Ausdruck. Während sich die CVP eine weitergehende Regelung im Sinne eines auf Gesetzesebene verankerten, allgemeinen Verhüllungsverbots wünschte, lehnte die FDP ein solches auf nationaler Ebene kategorisch ab – dies liege in der Kompetenz der Kantone – und zweifelte generell am Gesetzgebungsbedarf in dieser Frage, da es sich bei der Burka in der Schweiz um eine marginale Erscheinung handle. Für gut befand die FDP jedoch die klaren Regeln zum Behördenkontakt. Dieser Teil des bundesrätlichen Vorschlags war – neben der Feststellung, es sei richtig, der Initiative überhaupt mit einem indirekten Gegenvorschlag entgegenzutreten – auch der einzige Punkt, den die SP mehr oder weniger einhellig unterstützte. In allem, was darüber hinausging, zeigten sich die Sozialdemokraten gespalten. Der Waadtländer Nationalrat Pierre-Yves Maillard, der sich schon zuvor als Burka-Gegner zu erkennen gegeben hatte, fand in seiner Partei rund 40 Mitstreiterinnen und Mitstreiter, die ein Verbot der Burka in der Schweiz befürworteten, wenn auch nicht in der Bundesverfassung, sondern auf Gesetzesstufe. Sein Lausanner Parteikollege Benoît Gaillard bezeichnete die Burka als eine religiöse Praxis, die der Gleichstellung von Mann und Frau, den Menschenrechten und den Fundamenten der Demokratie zuwiderlaufe. Man dürfe nicht ein Jahrhundert des Kampfes für die Gleichstellung der Geschlechter der Toleranz gegenüber einer religiösen Minderheit opfern, denn der Gesichtsschleier beraube die Frauen ihrer öffentlichen Existenz, was nicht mit der Schweizer Bürgerschaft vereinbar sei. Der bundesrätliche Gegenvorschlag tauge demnach gemäss Maillard nicht, um den Erfolg der Initiative zu verhindern. Ebenfalls für ein Burkaverbot auf Gesetzesstufe sprach sich die Waadtländer Ständerätin Géraldine Savary aus; sie sah den Vorschlag des Bundesrates als geeigneten Ausgangspunkt für die entsprechende parlamentarische Debatte. Mit einer rein parlamentarischen Lösung, hoffte sie, könnte die Abstimmung über die Volksinitiative verhindert und der Abstimmungskampf vermieden werden, der die muslimische Bevölkerung stigmatisieren und die Frauen «als Geiseln nehmen» werde, wie sie der «Tribune de Genève» erklärte. Eine andere Ansicht vertrat hingegen beispielsweise der Genfer Nationalrat Carlo Sommaruga, der den Gegenvorschlag genügend überzeugend fand, um den zögernden Teil der Wählerschaft zu gewinnen. Er erlaube die Bestrafung von Nötigung und lasse gleichzeitig den Frauen, die sich aus freien Stücken verschleiern wollten, die Wahl; allen unsere Vorstellung von Gleichheit aufzuzwingen wäre hingegen Ausdruck eines «kolonialen Feminismus», wie Sommaruga von «Le Temps» zitiert wurde.
Von den insgesamt 69 eingegangenen Stellungnahmen qualifizierte der Ergebnisbericht zur Vernehmlassung rund zwei Drittel, mehrheitlich mit Vorbehalten, als befürwortend und ein Drittel als ablehnend. Neben der SVP, den Grünen, der EVP, der EDU, dem Egerkinger Komitee, der EKR, dem SGB und vier weiteren Organisationen lehnten sowohl die KKJPD als auch sieben Kantone den bundesrätlichen Gegenvorschlag ab. Ihrer Ansicht nach sollten die Kantone selbst über die Frage des Verhüllungsverbots entscheiden können beziehungsweise bringe der Vorschlag des Bundesrates keinen Mehrwert gegenüber dem geltenden Recht. Demgegenüber unterstützten die übrigen Parteien der Bundesversammlung, 18 Kantone, verschiedene Frauen- und Menschenrechtsorganisationen sowie u.a. die EKF, die SKG, der schweizerische Tourismusverband und Hotelleriesuisse den Gegenvorschlag, wobei einige von ihnen erklärten, dass dieser sogar noch weiter gehen dürfte. Positiv hervorgehoben wurde von verschiedenen Teilnehmenden, dass der Gegenvorschlag die Autonomie der Kantone wahre und so auch Rücksicht auf die Tourismusdestinationen nehme, dass er Probleme gezielt dort löse, wo sie aufträten, und dass er klare und einfach anwendbare Regeln enthalte. Der Bezug zur Initiative wurde unterschiedlich beurteilt. Während einige die Ansicht vertraten, der Gegenvorschlag nehme das Anliegen der Initiative auf und beseitige deren unangemessene Punkte, sahen andere keine Vergleichbarkeit mit der Initiative. Passend zum Tenor der Vernehmlassungsergebnisse resümierte der Tages-Anzeiger, der Vorschlag des Bundesrates sei «umstritten, aber nicht chancenlos».

Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und indirekter Gegenvorschlag (19.023)
Dossier: Nationales Burkaverbot

Im Oktober 2018 veröffentlichte das Fedpol den Ergebnisbericht zur Vernehmlassung über das Vorläuferstoffgesetz. Von den 52 Vernehmlassungsantworten fiel die überwiegende Mehrheit positiv aus. Rund 80 Prozent der Vernehmlasserinnen und Vernehmlasser begrüssten die bundesrätlichen Bestrebungen zur Verbesserung der inneren Sicherheit der Schweiz und zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Elf Teilnehmende, nämlich die SVP, die Kantone Nidwalden, Schwyz und Tessin sowie sieben Wirtschafts- und Industrieorganisationen, lehnten den Vorentwurf insgesamt ab. Sie kritisierten, das neue Gesetz generiere grossen zusätzlichen Aufwand und Datenschutzprobleme bei der Anwendung, verfehle aber aufgrund des eingeschränkten Anwendungsbereichs gleichzeitig das Ziel, die Sicherheit zu verbessern. Auch in den grundsätzlich zustimmenden Stellungnahmen wurden Vorbehalte betreffend den Datenschutz sowie die Zweck- und Verhältnismässigkeit der Regulierung geäussert. Insbesondere die Beschränkung der Regulierung auf den Umgang mit den betroffenen Stoffen im privaten Bereich – wohingegen der Umgang mit denselben Stoffen im professionellen Bereich nicht reguliert wird – mindere die Wirkung des Gesetzes deutlich. Ausserdem sei die auf wenige Chemikalien in bestimmter Qualität vorgesehene Beschränkung leicht umgehbar.

Bundesgesetz über Vorläuferstoffe für explosionsfähige Stoffe
Dossier: Strategie der Schweiz zur Terrorismusbekämpfung

Eine Woche nach den Schlussabstimmungen in den eidgenössischen Räten zur Übernahme der EU-Waffenrichtlinie wurde die über lange Zeit immer wieder ausgesprochene Referendumsdrohung in die Tat umgesetzt. Am 5. Oktober 2018 präsentierte sich das Referendumskomitee, co-präsidiert von SSV- und IGS-Präsident Luca Filippini zusammen mit den drei SVP-Nationalräten Jean-Luc Addor (VS), Werner Salzmann (BE) und Jean-François Rime (FR) sowie SVP-Nationalrätin Silvia Flückiger-Bäni (AG), vor den Medien. Die IGS als Hauptträgerin des Referendums vereint 14 Verbände aus dem Umfeld des Schweizer Schiesswesens, darunter neben Sportschützen auch Jäger, Waffensammler und -händler. Der zentrale Kritikpunkt der IGS am neuen Waffenrecht war der «Paradigmenwechsel», dass der Waffenbesitz von einem generellen Recht für Schweizerinnen und Schweizer zu einem Privileg herabgestuft werde, das nur noch ausnahmsweise gewährt werde; die damit verbundene «Vorstellung, künftig mit einer verbotenen Waffe schiessen zu müssen», sei das Problem, so die NZZ. Darüber hinaus wurde diese Änderung vom Referendumskomitee jedoch auch als erster Schritt in Richtung Abschaffung des Privatwaffenbesitzes gesehen; es würden sicher weitere Verschärfungen folgen. Weiter wurde die Pflicht zur Nachmeldung von halbautomatischen Waffen kritisiert: Obwohl das Volk eine Nachregistrierung im Rahmen der Waffenschutz-Initiative 2011 abgelehnt habe, werde eine solche nun durch die «Brüsseler Hintertür» eingeführt, so Werner Salzmann in der BaZ. Die Beendigung der Schengen/Dublin-Zusammenarbeit sei hingegen nicht das Ziel des Referendums, beteuerte das Komitee und zeigte sich überzeugt davon, dass die EU kein Interesse daran habe, die Zusammenarbeit mit der Schweiz zu beenden. Gleichzeitig präsentierte sich das Komitee im Internet unter dem Namen «Nein zum Entwaffnungsdiktat der EU» und portierte damit die europa- und schengenkritische Haltung der SVP.

So geeint, wie das Referendumskomitee vielleicht den Eindruck erwecken konnte, war die Waffenlobby jedoch nicht. ProTell und der SSV, die an vorderster Front und «mit schrillen Tönen» (AZ) gegen die Verschärfung des Waffenrechts kämpften, konnten nicht alle Lobbymitglieder für diesen Kampf begeistern. Sowohl die Schweizerische Offiziersgesellschaft, die selbst zwar nicht Mitglied der IGS, sondern nur Sympathisantin ist, als auch Jagd Schweiz, Mitglied der IGS, wollten das Referendum nur passiv unterstützen, d.h. ideell, aber weder mit Finanzen noch mit dem Sammeln von Unterschriften. Auch nicht alle kantonalen Schiesssportverbände zeigten sich überzeugt von der Argumentation ihres Dachverbandes. So erklärte etwa der Präsident des Bündner Schiesssportverbandes gegenüber der Aargauer Zeitung, man unterstütze das Referendum vor allem aus Solidarität mit dem SSV, nicht weil die Reform an sich ein grosses Problem sei. Kritisch zum Referendum äusserte sich in der Presse auch Lorenz Hess, Berner BDP-Nationalrat und ehemaliger Präsident eines Schützenvereins. Insbesondere die Kritik an der vorgesehenen Zwangsmitgliedschaft für Schützen in einem Schiessverein sei nicht nachvollziehbar – ein Vereinszwang habe bis 1996 bestanden, ohne dass sich die Schützenvereine dagegen gewehrt hätten. Was ProTell von in der Unterschriftensammlung zu wenig engagierten Schützenvereinspräsidenten hielt, berichtete der «Blick»: In Schützenvereinen, die einen «Ausredenkönig» als Präsidenten hätten, sei eine «Druckerhöhung von unten» durchaus erwünscht, habe die Gesellschaft für ein freiheitliches Waffenrecht auf ihrer Facebook-Seite betont. Interimspräsident Jean-Luc Addor quittierte den Online-Post damit, es müssten verschiedene Tonalitäten möglich sein. Mit nahezu 200'000 Mitgliedern dürfte es für die IGS allerdings kein allzu grosses Problem sein, bis Mitte Januar 2019 die erforderlichen 50'000 Unterschriften zu sammeln.

Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands. Übernahme der Richtlinie 2017/853 zur Änderung der EU-Waffenrichtlinie
Dossier: Das Bundesgesetz über Waffen, Waffenzubehör und Munition (Waffengesetz)

In der Herbstsession 2018 befasste sich der Nationalrat mit dem Bundesgesetz über den Schutz gewaltbetroffener Personen, wo die Debatte jedoch deutlich weniger harmonisch verlief als im Erstrat. In der Eintretensdebatte versuchte die SVP-Fraktion, indem verschiedene ihrer Exponenten sechsmal dieselbe Zwischenfrage stellten, das Problem der häuslichen Gewalt zu einem Ausländerproblem zu stilisieren und Bundesrätin Simonetta Sommaruga zu einer bestätigenden Aussage zu drängen. Darauf liess sich die Justizministerin jedoch nicht ein und erntete Beifall für ihre Replik: «[W]enn Sie das Problem unbedingt bezeichnen wollen, dann ist es ein Männerproblem». Als diesbezüglich niemand mehr das Wort ergriff, wurde Eintreten ohne Gegenantrag beschlossen.
Die Detailberatung im Nationalrat konzentrierte sich auf drei Punkte: die Weiterbildungsverpflichtung für die Kantone, die Gerichtskosten und die Möglichkeit zur Sistierung des Verfahrens. Einzig bei den Gerichtskosten schuf die grosse Kammer eine Differenz, indem sie der Mehrheit ihrer Rechtskommission folgte und beschloss, dass die Gerichtskosten der unterliegenden Partei auferlegt werden können, wenn diese zu einem Kontakt- oder Rayonverbot oder zu einer elektronischen Überwachungsmassnahme verurteilt wird. Der Entwurf des Bundesrates, dem der Ständerat hier gefolgt war, hatte keine Möglichkeit für eine Überwälzung der Gerichtskosten vorgesehen. In den anderen beiden Punkten schloss sich der Nationalrat dem Beschluss des Ständerates an. Die Kantone sollen, anders als vom Bundesrat ursprünglich angedacht, nicht im Zivilgesetzbuch ausdrücklich dazu verpflichtet werden, für die Weiterbildung von Personen zu sorgen, die im Rahmen ihrer Tätigkeit bei Gerichten oder Kriseninterventionsstellen mit Gewaltschutzfällen zu tun haben. Wie schon der Ständerat war auch die Volkskammer der Ansicht, dass ein solcher Eingriff in die kantonale Souveränität unnötig sei, da die Kantone selber ein Interesse daran hätten, über gut geschultes Personal zu verfügen. Was die Möglichkeit zur Sistierung des Verfahrens betrifft, wurden drei Minderheitsanträge Rickli (svp, ZH) abgelehnt, deren zwei darauf zielten, die Möglichkeit zur Sistierung ganz abzuschaffen und einer die Sistierung nur bei ausgeschlossener Wiederholungsgefahr zulassen wollte. Da man einen Rückfall aber nie mit Sicherheit ausschliessen könne, laufe diese Formulierung auf dasselbe hinaus, argumentierten die Mehrheitsbefürworter, die es als wichtig erachteten, dass dem Opfer nicht jegliche Handlungsmöglichkeit genommen werde. Der Nationalrat blieb deshalb bei der Formulierung des Bundesrates, die auch vom Ständerat gutgeheissen worden war, dass die Staatsanwaltschaft oder die Gerichte ein Verfahren sistieren können, wenn das Opfer darum ersucht und die Sistierung geeignet erscheint, die Situation des Opfers zu stabilisieren oder zu verbessern. Zwei Einzelanträge Feri (sp, AG) und Regazzi (cvp, TI), welche zusätzlich die Berücksichtigung des Wohles allfällig betroffener Kinder verlangten, blieben ebenso chancenlos, da dies sowieso zur Beurteilung der Situation des Opfers gehöre. Die vom Ständerat vorgenommene Anpassung, dass die Kosten einer Überwachungsmassnahme der überwachten Partei auferlegt werden können, hiess die grosse Kammer diskussionslos und stillschweigend gut. Am Schluss ergänzte der Nationalrat auf Antrag seiner Kommission noch eine Bestimmung, dass der Bundesrat die Zweckmässigkeit und Wirksamkeit der beschlossenen Änderungen und Massnahmen überprüfen und dem Parlament darüber spätestens vier Jahre nach Inkrafttreten Bericht erstatten und gegebenenfalls Verbesserungen vorschlagen muss. In der Gesamtabstimmung nahmen 122 Nationalrätinnen und Nationalräte die Vorlage an, während sie die 62 Vertreterinnen und Vertreter der SVP-Fraktion geschlossen ablehnten.

Bundesgesetz über den Schutz gewaltbetroffener Personen (BRG 17.062)
Dossier: Verbesserung des Schutzes für Stalking-Opfer

Die Schweiz dürfe nicht zu einem Rückzugsort für Terroristen werden, befand die SVP-Fraktion im Herbst 2016, als sie eine Motion zum Umgang mit staatsgefährdenden Personen einreichte. Sie forderte damit die Schaffung von Rechtsgrundlagen, um Personen, die zu Terrorismus aufrufen, anleiten oder ermuntern bzw. terroristische Aktivitäten ankünden, finanzieren, begünstigen oder zu deren Unterstützung aufrufen – aber keine Straftat begangen haben – durch unverzügliche Inhaftierung oder Ausschaffung an ihrem Tun zu hindern.
Der Bundesrat beantragte den Vorstoss zur Ablehnung, aber nicht, wie Justizministerin Simonetta Sommaruga vor dem Nationalratsplenum erläuterte, weil er das Anliegen grundsätzlich ablehnte, sondern weil er die Motion «in wesentlichen Teilen» schon als erfüllt ansah. Einerseits bestünden bereits Straftatbestände, die auch terroristische Akte einschlössen, sowie die Haftgründe der Wiederholungs- und Ausführungsgefahr. Andererseits seien mit der Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität sowie dem Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Terrorismusbekämpfung zwei Vorlagen zum Umgang mit sogenannten terroristischen Gefährdern in Arbeit. Auch wenn darin keine Präventivhaft vorgesehen sei – es gehe ja schliesslich um Menschen, die keine Straftat verübt haben, erinnerte die Bundesrätin –, eigneten sich die vorgeschlagenen Instrumente, um Gefährderinnen und Gefährder zu überwachen und Material für ein allfälliges Strafverfahren zu sammeln. Dies genügte dem Nationalrat aber offenbar nicht; er nahm die Motion im Herbst 2018 mit 113 zu 64 Stimmen an.

Umgang mit staatsgefährdenden Personen (Mo. 16.3673)