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Der Totalrevision des Datenschutzgesetzes und der Änderung weiterer Erlasse zum Datenschutz nahm sich in der Herbstsession 2019 der Nationalrat als Erstrat an. Das ein Jahr zuvor verabschiedete und am 1. März 2019 in Kraft getretene Schengen-Datenschutzgesetz, das aus Gründen der zeitlichen Dringlichkeit zunächst nur die Schengen-relevanten Anpassungen umsetzte, wird mit der Annahme des totalrevidierten Gesetzes wieder ausser Kraft treten. Mit der Totalrevision sollen über die Schengen-Anforderungen hinausgehend einerseits die Schwächen des heutigen Datenschutzrechts, das noch aus einer Zeit vor dem Internet stammt, behoben und andererseits die Entwicklungen auf EU- und Europarats-Ebene aufgenommen werden. Besonders bedeutsam für die Schweiz ist hierbei, von der EU weiterhin als Drittstaat mit angemessenem Datenschutzniveau anerkannt zu werden. Ansonsten, so wurde befürchtet, wäre die Schweizer Wirtschaft mit erheblichen Wettbewerbsnachteilen konfrontiert, da Schweizer Unternehmen nicht mehr so einfach Daten mit Firmen in der EU austauschen könnten. Bis im Mai 2020 wird die EU die Äquivalenz des Schweizer Datenschutzes beurteilen, was eine gewisse Dringlichkeit für die Revision gebietet.
Wie schwierig dieses Unterfangen werden würde, hatte sich schon in der vorberatenden SPK-NR abgezeichnet: Nur mit Stichentscheid des Präsidenten Kurt Fluri (fdp, SO) hatte sich die Kommission im August 2019 durchgerungen, die Vorlage nach mehr als einem Jahr Arbeit überhaupt vors Ratsplenum zu bringen. Die wichtigsten Anpassungen der Kommission am bundesrätlichen Entwurf waren die neu einzuführende Direktwahl des EDÖB durch die Bundesversammlung, die Einführung eines Rechts auf Datenportabilität, die Anpassung der Definition der besonders schützenswerten Personendaten sowie der Verzicht auf eine besondere Regelung für den Umgang mit Daten verstorbener Personen und auf eine ausdrücklich erforderliche Einwilligung zum Profiling. Im Rahmen ihrer Beratungen hatte die SPK-NR zudem sechs Motionen zur Vervollständigung der Datenschutzbestimmungen in weiteren Gesetzen eingereicht.
Kurz vor der Debatte im Nationalrat hatte das Bundesamt für Justiz überdies eine Liste dazu veröffentlicht, welche problematischen Differenzen es zwischen dem Kommissionsvorschlag und den Anforderungen der EU sehe. Auch EDÖB Adrian Lobsiger hatte in der Presse bezweifelt, dass das von der Kommissionsmehrheit vorgeschlagene Gesetz mit dem verlangten Niveau der EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) mithalten könne; beim Entwurf des Bundesrates hätte er indes keine Probleme gesehen.
Während der strittige Vorschlag der Kommissionsmehrheit für die SVP bereits zu weit ging, bemängelten SP, Grüne und GLP, er sei zu lasch. Wirtschaftsverbände drängten unterdessen auf eine möglichst rasche, EU-konforme Lösung. So wurde im Vorfeld der nationalrätlichen Debatte von den Mitte- und Linksparteien noch fieberhaft nach Kompromissen gesucht, um den drohenden Absturz der Revision zu verhindern.

In der Eintretensdebatte in der grossen Kammer wurde von allen Seiten – ausser von der SVP-Fraktion – betont, wie wichtig und notwendig das vorliegende Revisionsprojekt sei, sowohl um den Datenschutz dem Internetzeitalter anzupassen als auch um den Datenschutz auf ein der EU gleichwertiges Niveau zu bringen, auch wenn man in den Details der Ausgestaltung verschiedene Ansichten vertrat. Die SVP betrieb hingegen Fundamentalopposition gegen «diesen bürokratischen Unsinn», wie Fraktionsvertreter Gregor Rutz (svp, ZH) das neue Gesetz nannte, denn es sei insgesamt, vor allem für KMU, schlechter als das geltende Datenschutzgesetz – ein Argument, das wenig später durch das Votum von FDP-Vertreter Kurt Fluri (fdp, SO) entkräftet werden sollte, der berichtete, dass der Gewerbeverband die Stossrichtung der Kommissionsmehrheit begrüsse und die Rückweisung nicht unterstütze. Mit der DSGVO verkaufe die EU laut Rutz ihre Bürger für dumm, da sie «kein Mensch» verstehe. «Wir haben langsam genug davon, jeden Unsinn aus der EU ungesehen zu übernehmen!», ärgerte sich der SVP-Vertreter und rief das Ratsplenum auf, die Vorlage an den Bundesrat zurückzuweisen mit dem Auftrag, sie zu entschlacken und EU-Vorschriften nur dort zu übernehmen, wo es unumgänglich sei. Auch eine linke Minderheit hatte ursprünglich die Rückweisung, allerdings an die Kommission, beantragt und diese beauftragen wollen, die Vereinbarkeit der Vorlage mit dem Übereinkommen SEV 108 des Europarats, die Äquivalenz mit dem EU-Datenschutzrecht, die Kompatibilität mit den Schengen-Verträgen und die Nicht-Unterschreitung des heute geltenden Schutzniveaus sicherzustellen. Um die doch eher dringliche Revision nicht unnötig zu verlangsamen und um sich einer «produktiven Diskussion» nicht zu verschliessen, zog Cédric Wermuth (sp, AG) diesen Antrag jedoch «im Sinne eines Vorschussvertrauensbeweises» zurück und hoffte, das Gesetz während der Beratung noch auf eine den genannten Forderungen nähere Linie bringen zu können. Der Rückweisungsantrag der SVP-Minderheit wurde mit 120 zu 66 Stimmen (1 Enthaltung) deutlich verworfen; ausserhalb der geschlossenen SVP-Fraktion sah niemand eine Rückweisung als den richtigen Weg an.

Im Laufe der Detailberatung musste der Nationalrat über 45 Minderheits- und mehrere Einzelanträge befinden, die zu einem beträchtlichen Teil die Unterstützung des Bundesrates genossen – hauptsächlich immer dort, wo die Kommissionsmehrheit mit ihrem Vorschlag einen schwächeren Datenschutz wollte als der Bundesrat und somit das heute geltende Schutzniveau oder die Anforderungen der EU und/oder des Europarats unterschreiten wollte. So war die Kommissionsmehrheit bestrebt, sowohl die Daten über gewerkschaftliche Ansichten und Tätigkeiten als auch die Daten über Massnahmen der sozialen Hilfe aus dem Katalog der besonders schützenswerten Daten, für deren Bearbeitung besondere Anforderungen gelten, zu streichen. Während eine bürgerliche Ratsmehrheit die Streichung der Daten über gewerkschaftliche Ansichten und Tätigkeiten guthiess, schwenkte der Nationalrat bei den Daten über Massnahmen der sozialen Hilfe – neben Sozialhilfedaten sind davon auch solche über Sozialversicherungsmassnahmen bei Krankheit oder Unfall, Massnahmen der Vormundschaftsbehörden oder KESB, die fürsorgerische Unterbringung in psychiatrischen Kliniken, Ergänzungsleistungen und Prämienverbilligungen erfasst – auf die Linie des Bundesrates zurück und beliess sie im Katalog. Grünen-Vertreter Balthasar Glättli (gp, ZH) hatte zuvor mit Nachdruck klargemacht, dass deren Streichung für die Grünen und die SP ein Grund wäre, dem Gesetz die Zustimmung zu verweigern. Eine ähnliche Drohung sprach SVP-Fraktionssprecher Gregor Rutz aus, als die Einschränkung des Geltungsbereichs des DSG auf natürliche Personen zur Debatte stand: Einem Gesetz, das – anders als bisher – keinen Datenschutz für juristische Personen mehr vorsehe, werde man «nie im Leben» zustimmen können. Alle anderen Fraktionen befanden den Schutz für juristische Personen durch andere gesetzliche Bestimmungen jedoch als ausreichend und so glich der Nationalrat das DSG mit der Streichung des Schutzes juristischer Personen an die europäischen Regeln an. Bei der Frage der Anforderungen für das sogenannte Profiling zeichnete sich während der Diskussion ab, dass man an diesem Tag keine zufriedenstellende Lösung finden würde. Für jegliche Formen des Profilings, das die Aargauer Zeitung treffend als die «automatisierte Auswertung von Daten, mit denen bestimmte Merkmale einer Person bewertet werden, um etwa Vorhersagen über ihr künftiges Verhalten zu treffen» definierte, hatte der Bundesrat eine ausdrückliche Einwilligung der betroffenen Person voraussetzen wollen, wie sie auch zur Bearbeitung besonders schützenswerter Personendaten vorgesehen war. Da das geltende Recht so eine Regelung für das Erstellen von Persönlichkeitsprofilen umfasst, würde eine komplette Streichung der ausdrücklichen Einwilligung zum Profiling, wie es die Kommissionsmehrheit vorgeschlagen hatte, ein Rückschritt vom aktuellen Schutzniveau darstellen. In der Diskussion wurde mehrheitlich anerkannt, dass verschiedene Formen des Profilings unterschieden werden müssten, da es, wie es Balthasar Glättli erklärte, durchaus einen Unterschied mache, ob Profiling zur Erstellung von passenden Bücherempfehlungen, zur Abschätzung des Risikos für eine Versicherung oder zur Vorhersage der politischen Entscheidungen einer Person gebraucht werde. Der Bundesrat unterstützte folglich einen Einzelantrag Glättli, der eine ausdrückliche Einwilligung nur für ein Profiling mit hohem Risiko für die Persönlichkeit oder die Grundrechte der betroffenen Person vorsah. Die Fraktionen der Grünen, SP und GLP unterstützten diesen Antrag ebenfalls, unterlagen jedoch der bürgerlichen Ratsmehrheit, die beim Vorschlag der Kommissionsmehrheit ohne besondere Anforderungen für das Profiling blieb. Der Nachhall der Diskussion war jedoch klar, dass sich der Ständerat noch einmal intensiv mit dieser Frage auseinandersetzen müsse.
Betreffend die Informationspflicht bei der Beschaffung von Personendaten, die Regeln für die Bekanntgabe von Personendaten ins Ausland, die Rechenschaftspflicht für datenbearbeitende Unternehmen über die Einhaltung des Datenschutzrechts sowie das Auskunftsrecht einer Person zu den über sie gesammelten oder bearbeiteten Daten lehnte die Volkskammer einige von der Kommissionsmehrheit vorgeschlagene Lockerungen ab und umschiffte somit ein paar der vielen Klippen im Hinblick auf den Angemessenheitsbeschluss der EU. Die vom Bundesrat eingefügten Regelungen über Daten von verstorbenen Personen erachtete der Rat jedoch als nicht notwendig und strich mit bürgerlicher Mehrheit alle entsprechenden Bestimmungen aus dem Gesetz. Ganz neu und weitgehend unbestritten verankerte der Nationalrat auf Vorschlag seiner Kommissionsmehrheit ein Recht auf Datenportabilität, das heisst auf Datenherausgabe und -übertragung, im Gesetz. Wie Bundesrätin Karin Keller-Sutter erklärte, habe der Bundesrat mit dieser Neuerung eigentlich noch zuwarten wollen, bis erste Erkenntnisse aus der konkreten Umsetzung dieses Rechts in der EU vorlägen; nichtsdestotrotz unterstützte er den Vorschlag der Kommissionsmehrheit, einen Anspruch jeder Person auf «die Herausgabe ihrer Personendaten in einem gängigen elektronischen Format oder sogar deren Übertragung auf einen anderen Verantwortlichen zu verlangen», wie Keller-Sutter das neue Recht erläuterte.
Zurückgehend auf eine entsprechende parlamentarische Initiative Leutenegger Oberholzer (sp, BL; Pa.Iv. 16.409) änderte die grosse Kammer das Wahlverfahren des EDÖB dahingehend, dass er neu von der Bundesversammlung gewählt und nicht mehr durch den Bundesrat ernannt und vom Parlament nur bestätigt werden sollte. Gleichzeitig wurden die Aufsichts- und Untersuchungskompetenzen des EDÖB bei Datenschutzverstössen gestärkt. Diese Änderung sei von wesentlicher Bedeutung im Hinblick auf den Angemessenheitsbeschluss der EU, wie Bundesrätin Keller-Sutter betonte, denn nach bisher geltendem Recht besitze der EDÖB nicht nur weniger Kompetenzen als die Datenschutzbehörden in Europa, sondern auch als andere Aufsichtsbehörden des Bundes, zum Beispiel die Finma oder die Weko. Bei den Strafbestimmungen legte der Nationalrat eine maximale Busse von CHF 250'000 für Datenschutzverstösse fest. Ein neuer Straftatbestand für die Nichteinhaltung der Mindestanforderungen an die Datensicherheit im Sinne einer Sorgfaltspflichtverletzung wurde von der bürgerlichen Ratsmehrheit jedoch nicht goutiert, was laut Bundesrätin Keller-Sutter für die EU-Angemessenheit problematisch sein könnte. Der letzte grosse Zankapfel der Vorlage verbarg sich in den Schlussbestimmungen, namentlich in der Frage zum Inkrafttreten des Gesetzes. Während die Kommissionsmehrheit das Inkrafttreten um zwei Jahre nach Annahme des Gesetzes beziehungsweise nach Verstreichen der Referendumsfrist verzögern wollte, beantragte eine Minderheit Humbel (cvp, AG), wie üblich den Bundesrat das Inkrafttreten bestimmen zu lassen. Eine solche Verzögerung sei bereits wegen der Schengen-relevanten Bestimmungen des Gesetzes ein Problem und daher nicht im Interesse der Wirtschaft, was das Argument der Kommissionsmehrheit gewesen war. Auf Empfehlung des Bundesrates und entgegen der geschlossenen SVP-Fraktion erteilte die grosse Kammer der zweijährigen Inkrafttretensfrist eine Absage.

In der Gesamtabstimmung nahm der Nationalrat das totalrevidierte Datenschutzgesetz mit 98 zu 68 Stimmen bei 27 Enthaltungen an. In den ablehnenden Stimmen spiegelte sich vor allem die Opposition der SVP gegen das Gesetz. Demgegenüber hatte sich die SP-Fraktion mehrheitlich enthalten und damit signalisiert, dass sie noch weitere Nachbesserungen erwartete. Wirklich zufrieden mit dem Gesetz in vorliegender Form war wohl niemand; in dieser Hinsicht sprach das Fazit von Kommissionssprecher Matthias Jauslin (fdp, AG) Bände: «Wir haben jetzt eine Vorlage, die aus Sicht der Kommission durchaus bearbeitbar ist.»

Revision des Datenschutzgesetzes (BRG 17.059)
Dossier: 2. Revision des Bundesgesetzes über den Datenschutz (DSG)

Lange bevor der Bundesrat Mitte Juni 2016 mit seiner Medienkonferenz den Abstimmungskampf zum Nachrichtendienstgesetz offiziell eröffnete, wurde das Thema breit in der Öffentlichkeit diskutiert. Anlass dazu boten etwa die Terroranschläge in Brüssel vom 22. März 2016, in deren Nachgang bürgerliche Sicherheitspolitikerinnen und -politiker den Bundesrat dazu aufforderten, dem Nachrichtendienst per dringlichem Bundesbeschluss schleunigst zu den notwendigen Kompetenzen zu verhelfen. Man könne nicht warten, bis das neue NDG nach der Referendumsabstimmung vom September in Kraft treten könne; die jüngsten Anschläge hätten gezeigt, «dass die Bedrohung durch Terrorismus real ist», erklärte die Präsidentin der SiK-NR, Ida Glanzmann-Hunkeler (cvp, LU), gegenüber der NZZ. In Zeiten wie diesen sei es «unsinnig», dass der NDB in seiner Arbeit behindert werde, zitierte die «Tribune de Genève» dazu SiK-SR-Präsident Isidor Baumann (cvp, UR). Der NDB sei momentan «blind und taub», mahnte der Genfer Sicherheitsdirektor Pierre Maudet (GE, fdp) an gleicher Stelle. Obschon die Forderung unerfüllt verhallte, lagen die Hauptargumente für das neue Nachrichtendienstgesetz damit schon einmal auf dem Tisch.

Dass ein grosser Teil der Schweizer Bevölkerung ähnlich dachte, zeigte die im Mai veröffentlichte Studie «Sicherheit 2016» der ETH Zürich. Darin schätzten rund drei Viertel der Befragten die weltpolitische Lage (eher) pessimistisch ein, wobei die Erhebungen bereits im Januar und damit vor den Terrorattacken in Brüssel stattgefunden hatten. Damit einher gingen ein gegenüber dem Vorjahr gestiegenes subjektives Unsicherheitsempfinden sowie die klare Unterstützung von Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit wie Datensammlungen über verdächtige Personen, Armeeeinsätze zur Sicherstellung von Ruhe und Ordnung, die Aufstockung der Polizeikorps, Videoüberwachung im öffentlichen Raum oder vorsorgliche Verhaftungen. Von einer gewissen Ambivalenz zeugten die Antworten zum Verhältnis von Freiheit und Sicherheit: 55 Prozent der Befragten waren der Meinung, dass der Staat die Sicherheit der Bevölkerung auch auf Kosten der persönlichen Freiheit garantieren solle, gleichzeitig würden sich aber ebenfalls 55 Prozent für Freiheit statt Sicherheit entscheiden, wenn sie gezwungen wären, eins der beiden zu wählen. Zwei Drittel befürworteten aber die Terrorismusbekämpfung auch unter Einschränkung der persönlichen Freiheit – ein Ergebnis, das «Wasser auf die Mühlen der Befürworter» des neuen NDG sei, wie das St. Galler Tagblatt resümierte.

Weiteren Impetus fand die Befürworterseite in der Tatsache, dass sich offenbar auch der IZRS an der Unterschriftensammlung gegen das NDG beteiligt hatte, wie die Luzerner Zeitung Mitte Juni bekannt machte. Die umstrittene islamische Organisation sehe im NDG ein «Vehikel gegen Muslime», in dessen Fokus «je nach politischem Klima» auch andere Gruppen geraten könnten, weshalb Mediensprecher Qaasim Illi zur Unterschrift gegen das NDG aufgerufen habe. Im Einsatz für das NDG sah man sich dadurch bestätigt, denn es sei «bezeichnend», dass «ein Verein wie der IZRS, der selber im Fokus des NDB stehen könnte», gegen das Gesetz mobil mache, zitierte die Zeitung Ida Glanzmann-Hunkeler. Sogar Bundesrat Guy Parmelin sollte den Widerstand des IZRS einige Tage später vor den Medien lakonisch als «beste Werbung für das Gesetz» bezeichnen. Die Gegenseite distanzierte sich derweil von «diesen Extremisten», wie SP-Sprecher Michael Sorg betonte; man sei nicht verbündet und stehe in keinerlei Kontakt. Aus dem Abstimmungskampf wollte sich der IZRS denn auch heraushalten, wie er über eine Sprecherin verlauten liess.

Auf der Pro-Seite stand neben dem Bundesrat ein überparteiliches Ja-Komitee, das Parlamentarierinnen und Parlamentarier aller grösseren Parteien ausser den Grünen vereinte. Im Laufe der Kampagne sprachen sich zudem die Ost- und Westschweizer Konferenzen der Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren sowie die Regierungsräte der Kantone Zürich und Schaffhausen für das NDG aus. Das Hauptargument für das neue Gesetz war, dass die Mittel des schweizerischen Nachrichtendienstes an die aktuelle Bedrohungslage angepasst werden müssten, denn mit seinen heutigen Instrumenten könne er die Schweiz nicht ausreichend vor den sich ständig verändernden und komplexer werdenden Gefahren schützen. Der NDB sei schlicht «überholt», konstatierte FDP-Nationalrätin Corina Eichenberger (fdp, AG) gegenüber der Presse. Klar könne das Risiko nicht vollständig eliminiert werden, aber es seien schon viele Attentate dank Überwachung verhindert worden, pries SVP-Ratskollege Raymond Clottu (svp, NE) die neuen Überwachungsmöglichkeiten an. Als die Ziele des NDG nannte Verteidigungsminister Guy Parmelin einerseits die präventive Überwachung der «gefährlichsten Individuen» (NZZ) sowie andererseits die Erschwerung von Cyberangriffen und -spionage, wie im Fall der Ruag, der Anfang 2016 aufgedeckt worden war. Als weiteren Vorzug des neuen Gesetzes hob NDB-Chef Markus Seiler die Vereinfachung der internationalen Zusammenarbeit in der Terrorismusbekämpfung hervor. Gleichzeitig warnte er vor einer Schwächung der internationalen Stellung der Schweiz, sollte das Gesetz abgelehnt werden, denn je weniger eigene nachrichtendienstliche Erkenntnisse die Schweiz habe, umso grösser sei die Gefahr, von ausländischen Geheimdiensten instrumentalisiert zu werden. Es sei aber mitnichten die Absicht des neuen Gesetzes, alle Bürgerinnen und Bürger zu überwachen und selbstverständlich müsse Missbrauch verhindert werden, betonte Bundesrat Parmelin weiter. Auch das Komitee erklärte, umfassende Kontrollmechanismen und eine gut ausgebaute Aufsicht über den Nachrichtendienst verhinderten, dass ein Überwachungsstaat geschaffen werde. Die Befürworterinnen und Befürworter wurden nicht müde zu betonen, dass das NDG das Gleichgewicht zwischen individueller Freiheit und Sicherheit wahre und letztlich schlicht notwendig sei – oder mit den Worten von SP-Nationalrätin Rebecca Ruiz (sp, VD) in der «Tribune de Genève»: «Wir können nicht bei Windows 95 und Walkie-Talkies bleiben.» Der Status quo sei eine Reaktion auf den Fichenskandal in den 1990er-Jahren gewesen, erklärte auch EDÖB Adrian Lobsiger gegenüber der Sonntagszeitung. Seither hätten sich die Welt verändert und die Sicherheitslage verschärft. Auch er bezeichnete das NDG als «Kompromiss zwischen Freiheit und Sicherheit», liess sich aber nicht auf eine explizite Abstimmungsempfehlung hinaus. Zum frühen Zeitpunkt des offiziellen Kampagnenstarts Mitte Juni sagte Bundesrat Parmelin, er wolle eine «pädagogische» Abstimmungskampagne führen, um der Bevölkerung angesichts des heiklen und komplexen Themas genau zu erklären, was die Neuerungen seien und warum sie nötig seien.

Die Kontra-Seite bestand hauptsächlich aus dem Referendumskomitee «Bündnis gegen den Schnüffelstaat», das von den Grünen, der SP, den Juso, der Piratenpartei, der Gewerkschaft Syndicom, der Digitalen Gesellschaft, dem Verein Grundrechte.ch sowie dem Chaos Computer Club unterstützt wurde. Ein bürgerlich geprägtes Gegenkomitee um die bürgerlichen Jungparteien, kritische Parlamentarierinnen und Parlamentarier von SVP bis GLP sowie die Operation Libero, das liberale Argumente gegen das NDG anführen wollte, zerbrach hingegen, bevor es sich formieren konnte. Man habe das NDG gleichzeitig mit dem BÜPF bekämpfen wollen, aber mit dem Scheitern des BÜPF-Referendums sei die Gruppe auseinandergefallen, schilderte der Koordinator und stellvertretende SGV-Direktor Henrique Schneider dem St. Galler Tagblatt. So dominierten denn auch die von links geäusserten Bedenken das Argumentarium der Gegnerschaft. Weil es dem NDB erlaube, auf Basis blosser Vermutungen zu agieren, gehe das neue Nachrichtendienstgesetz zu weit, so das Hauptargument des Nein-Lagers. Juso-Präsidentin Tamara Funiciello nannte das NDG einen «Schritt Richtung Massenüberwachung». Mit dem Gesetz würden alle Bürgerinnen und Bürger zu Verdächtigen gemacht, sodass der NDB letztlich jeden zum potenziellen Terroristen «emporstilisieren» könne, kritisierte der Präsident des Vereins Grundrechte.ch, Viktor Györffy. Das von der Befürworterseite propagierte Gleichgewicht zwischen individueller Freiheit und Sicherheit konnte die Gegnerschaft nirgends erkennen. Mit der Stärkung des Nachrichtendienstes kreiere man nur eine «Illusion von Sicherheit», bemängelte der Grüne Nationalrat Balthasar Glättli (gp, ZH). Die Attentäter von Paris und Brüssel seien sehr wohl nachrichtendienstlich oder polizeilich bekannt gewesen, aber nichtsdestotrotz hätten die Anschläge nicht verhindert werden können. Dass eine parlamentarische oder juristische Kontrolle die Aktivitäten des NDB und damit die Eingriffe in die Grundrechte wirklich begrenzen könne, sei ebenfalls «illusorisch», so Györffy weiter. Glättli sah das Gesetz ausserdem – sowohl aufgrund der Zusammenarbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten als auch wegen der Möglichkeit zum Eindringen in ausländische Computersysteme – als Gefahr für die Neutralität der Schweiz. Zudem missbilligte die Gegnerschaft, dass der Staat durch den Kauf von Trojanern den Schwarzmarkt für Sicherheitslücken und das organisierte Verbrechen fördere.

Insgesamt verlief die öffentliche Debatte über lange Zeit unaufgeregt und angesichts der Tragweite des Themas eher spärlich. Erst rund drei Wochen vor dem Abstimmungssonntag, im Anschluss an die SRF-«Arena» zum NDG, gewann sie «doch noch etwas an Temperatur», wie der Tages-Anzeiger kommentierte. Dabei stand das Instrument der Kabelaufklärung im Fokus, in der die Gegenseite nichts anderes als die verdachtsunabhängige Massenüberwachung erkannte. Die Beteuerung, es werde nur der grenzüberschreitende, nicht aber der inländische Internetverkehr überwacht, sei bedeutungslos, da etwa sehr viele E-Mails über ausländische Server verschickt würden, auch wenn sich Sender und Empfänger in der Schweiz befänden. Ein viel genanntes Argument gegen diese Art der Überwachung war die Suche nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen, die eben nicht einfacher werde, wenn man den Heuhaufen vergrössere. NDG-Fürsprecherin Corina Eichenberger hielt dem in der «Tribune de Genève» entgegen, man werde im Internetverkehr schon nach sehr eng definierten Schlagworten suchen, und nicht einfach nach «Islam» oder «Bombe». Ausserdem führte die Pro-Seite an, der NDB verfüge gar nicht über genug Ressourcen für eine solche Massenüberwachung. Der Bundesrat sprach bis zuletzt von rund zehn Fällen pro Jahr, in denen bewilligungspflichtige Beschaffungsmassnahmen eingesetzt würden, wie er auch schon dem Parlament erklärt hatte. In den Medien wurde diese Zahl jedoch in Zweifel gezogen, da sich seit den parlamentarischen Beratungen die Bedrohungslage durch vermehrte Anschläge in Europa – die bisher folgenschwersten in Paris und Brüssel – und die zunehmende Anzahl Dschihad-Reisender aus der Schweiz verschärft habe. Während das VBS die Zahl als Durchschnittswert, der mit der Bedrohungslage variieren könne, verteidigte, sprach Ida Glanzmann-Hunkeler eher von 20 bis 25 Fällen pro Jahr, wobei diese Schätzung nicht statistisch extrapoliert, sondern «mehr ein Gefühl» sei, wie sie gegenüber dem Tages-Anzeiger erklärte. NDG-Gegner Balthasar Glättli sah in diesem Zahlenwirrwarr gemäss St. Galler Tagblatt ein Indiz dafür, dass «die staatlichen Schnüffler wesentlich hungriger» seien, als sie es «vor der Abstimmung zugeben» wollten. Wie der Tages-Anzeiger feststellte, wurde der Abstimmungskampf gegen Ende zum «Streit der Begrifflichkeiten», der sich vor allem um die Definition von Massenüberwachung drehte. Es sei die Antwort auf die von Beat Flach (glp, AG) in der «Arena» gestellte Frage, ob es wirklich so furchtbar sei, dass in Zukunft alles zuerst durch den Filter des NDB gehe, die Befürworter und Gegner des NDG trenne, konstatierte dieselbe Zeitung.

Die ab Mitte August durchgeführten Umfragen zeigten schon von Anfang an eine breite Unterstützung von knapp 60 Prozent für das NDG, die bis zur letzten Umfragewelle Mitte September ungefähr konstant blieb. Als wichtigste Argumente identifizierten die Befragungen die Befürchtung möglichen Missbrauchs neuer Technologien auf der Pro- sowie den mangelhaften Schutz der Privatsphäre auf der Kontra-Seite. Bei den bürgerlichen Parteien wollte die Mehrheit der Basis Ja stimmen, während die Anhängerschaft der linken Parteien mehrheitlich ein Nein einlegen wollte. Damit hatte das NDG gute Voraussetzungen, das Referendum ungefährdet zu passieren.

Neues Nachrichtendienstgesetz (BRG 14.022)
Dossier: Staatliche Überwachung
Dossier: Vorstösse und Massnahmen zur Bekämpfung islamistischer Radikalisierungstendenzen