Suche zurücksetzen

Inhalte

Akteure

  • Grüne Partei der Schweiz (GPS)
  • Flach, Beat (glp/pvl, AG) NR/CN
  • Glättli, Balthasar (gp/verts, ZH) NR/CN

Prozesse

23 Resultate
Als PDF speichern Weitere Informationen zur Suche finden Sie hier

Jahresrückblick 2023: Parteien

Für die Parteien stand das Jahr 2023 überwiegend im Zeichen der National- und Ständeratswahlen sowie der Gesamterneuerungswahlen des Bundesrats. Dies schlägt sich auch in der Medienpräsenz der Parteien nieder, die sich dem Spitzenwert aus dem letzten eidgenössischen Wahljahr 2019 annäherte und im Wahlmonat Oktober kulminierte (vgl. Abbildungen 1 und 2 der APS-Zeitungsanalyse).

Die SVP lancierte ihren Wahlkampf mit einem neuen Parteiprogramm, das sich unter anderem gegen «Gender-Terror und Woke-Wahnsinn» wandte. Im Wahlkampf rückte die Partei mit der Asyl- und Migrationspolitik indessen zunehmend zwei ihrer klassischen Kernthemen ins Zentrum. Nebst ihren inhaltlichen Forderungen bescherten der SVP auch ein Wahlkampfsong und ein aufwändiger Wahlkampfanlass viel Aufmerksamkeit. Bei den Nationalratswahlen erzielte die Partei schliesslich das drittbeste Resultat ihrer Geschichte, im Ständerat musste sie hingegen Verluste hinnehmen. Bei den Bundesratswahlen sprach sich die SVP für ein Festhalten an der bisherigen Sitzverteilung aus, erhob jedoch – letztlich ohne Erfolg – mit einem Zweierticket Anspruch auf die Nachfolge von Bundeskanzler Walter Thurnherr.
Auch in diesem Jahr zeigte sich die SVP aktiv bei der Nutzung der Volksrechte. So lancierte sie ihre «Nachhaltigkeitsinitiative» und brachte – unter Rückgriff auf unübliche Methoden – das Referendum gegen das Klimagesetz zustande, an der Urne konnte sie das Gesetz aber nicht zu Fall bringen. Verschiedentlich wurde in den Medien diskutiert, ob sich die SVP genügend gegen Rechtsextremismus abgrenze. Anlass dazu boten unter anderem die in zwei Kantonen eingegangenen Listenverbindungen mit Mass-voll und Verbindungen einzelner SVP-Exponentinnen und -Exponenten zur Jungen Tat.

Die SP konnte sowohl bei den Nationalrats- als auch bei den Ständeratswahlen zulegen. Eine Erklärung für den Wahlerfolg sah die Presse in der Themenlage, die der SP mit Inflation, steigenden Mieten und Krankenkassenprämien in die Hände gespielt habe. Die Partei hatte in ihrem Wahlkampf denn auch das Thema Kaufkraft an erste Stelle gesetzt. Im Rampenlicht stand die SP im Zusammenhang mit den Bundesratswahlen, bei denen sie den Sitz des zurücktretenden Alain Berset zu verteidigen hatte (vgl. Abbildung 1). Letztlich wählte die Bundesversammlung mit Beat Jans unter einigen Nebengeräuschen einen der beiden offiziellen SP-Kandidaten.
In der direktdemokratischen Arena musste die SP eine Niederlage hinnehmen, als die von ihr bekämpfte OECD-Mindeststeuer an der Urne deutlich angenommen wurde. Einen Erfolg konnte sie hingegen mit dem Zustandekommen ihrer Kita-Initiative verbuchen. Bereits vor den Wahlen hatte die SP ihr Fraktionspräsidium neu zu besetzen. Wie schon die Bundespartei wird nun auch die Fraktion von einem geschlechtergemischten Co-Präsidium geführt.

Für die FDP verliefen die National- und Ständeratswahlen enttäuschend. Im Wahlkampf hatten Diskussionen dazu, ob die grossflächigen Listenverbindungen mit der SVP für die FDP strategisch sinnvoll seien oder gemässigte Wählende abschreckten, ihre inhaltlichen Wahlkampfthemen teilweise in den Schatten gestellt. Die Vorwürfe, die FDP verkomme zur Juniorpartnerin der SVP, verstärkten sich noch, als sich die Freisinnigen vor den zweiten Ständeratswahlgängen in mehreren Kantonen zugunsten der SVP-Kandidaturen zurückzogen. Die Verluste bei den Parlamentswahlen befeuerten die Diskussion, ob die Doppelvertretung der FDP im Bundesrat noch gerechtfertigt sei; bei den Bundesratswahlen gerieten die beiden FDP-Sitze trotz eines Angriffs der Grünen aber nicht ernsthaft in Gefahr.

Die Mitte konnte bei den ersten nationalen Wahlen nach der Parteifusion den kumulierten Wählendenanteil von CVP und BDP leicht übertreffen, überholte bei den Nationalratssitzen die FDP und baute im Ständerat ihre Position als stärkste Partei aus. Parteipräsident Gerhard Pfister liess darauf verlauten, er sehe die Mitte, die sich im Wahlkampf als Anti-Polarisierungspartei profiliert hatte, künftig als Anführerin eines dritten Pols mit eigenständiger Themensetzung. Vor den Bundesratswahlen entschied sich die Mitte trotz ihres Wahlerfolgs dagegen, auf Kosten der FDP einen zweiten Bundesratssitz zu beanspruchen, da eine Abwahl wiederkandidierender Regierungsmitglieder vermieden werden solle. Bei einem FDP-Rücktritt werde eine Mitte-Kandidatur aber Thema werden. Mit unvorteilhaften Schlagzeilen war die Mitte im Frühling konfrontiert, als ehemalige Mitarbeitende der Partei Vorwürfe erhoben, im Generalsekretariat werde gemobbt.

Die Grünen konnten im Frühling ihr 40-jähriges Jubiläum begehen, hatten 2023 ansonsten aber nicht viel zu feiern. Bei den eidgenössischen Wahlen erlitten sie in beiden Räten deutliche Einbussen. Die Parteispitze betonte zwar, man habe das nach der «Klimawahl» 2019 zweitbeste Resultat der Parteigeschichte erzielt. Gleichwohl kam Parteipräsident Balthasar Glättli zum Schluss, er wolle als «Gesicht des Misserfolgs» sein Amt 2024 abgeben. Im Wahlkampf hatte eine millionenschwere Wahlkampfspende einer Gönnerin für einige Schlagzeilen gesorgt. Inhaltlich setzten die Grünen vor allem auf ihre Kernthemen Klima und Ökologie sowie Gleichstellung. Passend dazu beschlossen sie im August die Lancierung einer neuen Volksinitiative zum Ausbau der Solarenergie.
Ungeachtet ihrer geschwächten Position im Parlament wollten die Grünen im Dezember erstmals in den Bundesrat einziehen und griffen mit Nationalrat Gerhard Andrey die beiden Bundesratsmitglieder der FDP, nicht aber die SP-Sitze an. Nachdem Andrey bei seiner gemeinhin erwarteten Nichtwahl wohl nur eine Minderheit der SP-Stimmen erhalten hatte, konnte sich Glättli aber auch für künftige Angriffe auf SP-Bundesratssitze erwärmen. Unerfreulich war für die Grünen sodann eine Serie von Parteiaustritten von Kantonsparlamentarierinnen und -parlamentariern.

Nach Erfolgen bei mehreren kantonalen Parlamentswahlen brachten die Nationalratswahlen für die GLP einen herben Dämpfer. Ihre Nationalratsfraktion schrumpfte – teilweise wegen Proporzpech – um mehr als einen Drittel, worüber der geglückte Wiedereinzug in den Ständerat nicht hinwegtrösten konnte. Ihre zuvor gehegten Bundesratsambitionen begruben die Grünliberalen nach dem deutlichen Verpassen ihrer Wahlziele, mit Viktor Rossi konnten sie aber immerhin den Kampf ums Bundeskanzleramt für sich entscheiden. Als neue Fraktionspräsidentin bestimmte die GLP im Dezember Corina Gredig (glp, ZH).
Nach den Wahlen gab die künftige Ausrichtung der Partei Stoff für Spekulationen: Während Parteipräsident Jürg Grossen in Interviews gewisse Avancen nach Rechts zu machen schien, schloss sich die einzige GLP-Ständerätin der Ratsgruppe der Grünen an, der grösste Spender der Partei wiederum regte öffentlich eine Fusion mit der Mitte an.

Für die kleineren Parteien hielt das Jahr 2023 Unterschiedliches bereit. Dies gilt etwa für die EVP, die in Basel-Landschaft erstmals überhaupt den Sprung in eine Kantonsregierung schaffte, bei den eidgenössischen Wahlen aber den Nationalratssitz ihrer Parteipräsidentin einbüsste. Das Mouvement Citoyens Genevois wiederum verlor seinen Regierungssitz in Genf, konnte aber den Einzug in National- und Ständerat feiern. Nicht mehr im Bundesparlament vertreten sind die PdA und Ensemble à Gauche.

Erstmals kamen bei den eidgenössischen Wahlen die neuen Transparenzregeln des Bundes für die Politikfinanzierung zur Anwendung. Auswertungen der Daten in den Medien zeigten zwar, dass solche Analysen aus verschiedenen Gründen mit nennenswerten Unschärfen verbunden bleiben. Der Hauptbefund aber, dass FDP und SVP mit deutlichem Abstand vor SP und Mitte sowie Grünen und GLP über die grössten Wahlkampfbudgets verfügten, schien unbestritten.

Jahresrückblick 2023: Parteien
Dossier: Jahresrückblick 2023

Die Grünen im Jahr 2023: Kurzüberblick

Die Grünen konnten im Frühling ihr 40-jähriges Jubiläum begehen, hatten im Berichtsjahr ansonsten aber nicht viel zu feiern. Bei den eidgenössischen Wahlen erlitten sie in beiden Räten deutliche Einbussen. Viele Medien sahen die Partei damit wieder in die Rolle einer Juniorpartnerin im linksgrünen Lager abrutschen, welche nach dem fulminanten Wahlerfolg 2019 in Frage gestellt war. Die Niederlage hatte sich in nationalen Umfragen und kantonalen Wahlen bereits abgezeichnet und wurde in den Medien oft damit erklärt, dass der Klimawandel angesichts neuer Krisen viele Leute nicht mehr gleich stark bewegt habe wie noch bei der «Klimawahl» 2019. Die Parteispitze betonte zwar, man stehe immer noch stärker da als vor 2019 und habe das zweitbeste Resultat der Parteigeschichte erzielt. Gleichwohl kam Parteipräsident Balthasar Glättli nach den Wahlen zum Schluss, er wolle der Partei einen Neubeginn ermöglichen und als «Gesicht des Misserfolgs» sein Amt im Frühling 2024 abgeben.
Im Wahlkampf sorgte eine Millionenspende, die die Grünen von einer Gönnerin erhalten hatten und für eine eigene App zur Mobilisierung ihrer Mitglieder verwendeten, für einiges Aufsehen. Inhaltlich setzten die Grünen im Wahlkampf vor allem auf ihre Kernthemen Klima und Ökologie sowie Gleichstellung. Passend dazu beschlossen sie im August die Lancierung einer neuen Volksinitiative, welche eine Pflicht zur Installation von Solaranlagen auf geeigneten Dächern und Fassaden bringen soll («Solar-Initiative»).
Ungeachtet ihrer geschwächten Position im Parlament wollten die Grünen im Dezember in den Bundesrat einziehen und griffen mit der Kandidatur des Freiburger Nationalrats Gerhard Andrey die beiden Bundesratsmitglieder der FDP an. Von einem in den Medien immer wieder erörterten Angriff auf ihre Partnerin und Konkurrentin im linksgrünen Lager, die SP, sahen die Grünen ab, nachdem sie einen solchen vorher lange nicht kategorisch ausgeschlossen hatten. Nach dem gemeinhin erwarteten Scheitern von Andreys Kandidatur äusserte sich Parteipräsident Glättli indessen erbost über den Umstand, dass Andrey wohl nur eine Minderheit der SP-Stimmen erhalten hatte; in Zukunft kämen für ihn deshalb auch Angriffe auf SP-Bundesratssitze in Frage.
Unerfreulich war für die Grünen 2023 auch eine Serie von Parteiaustritten von Kantonsparlamentarierinnen und -parlamentariern in vier verschiedenen Kantonen, wobei die Gründe sich von Fall zu Fall unterschieden.

Die Grünen im Jahr 2023: Kurzüberblick
Dossier: Kurzüberblick über die Parteien im Jahr 2023

Nachdem die SPK-SR der parlamentarischen Initiative der GP-Fraktion für die Einführung einer abstrakten Normenkontrolle von Notverordnungen keine Folge hatte geben wollen, schwenkte auch die SPK-NR um. Letztere hatte sich Ende Mai 2021 noch knapp für Folgegeben entschieden, lehnte die Idee im Januar 2023 jedoch mit 21 zu 3 Stimmen deutlich ab. In der Zwischenzeit hatte sich einiges getan: So war der Vorschlag einer juristischen Überprüfung von bundesrätlichen Notverordnung im Rahmen der Beratungen der Handlungsfähigkeit des Parlaments in Krisen sowohl vom Nationalrat als auch vom Ständerat deutlich abgelehnt worden. Dies war laut Kommissionsbericht denn auch der Grund für die Positionsänderungen innerhalb der SPK-NR.
In der Nationalratsdebatte in der Frühjahrssession 2023 versuchte Balthasar Glättli (gp, ZH) im Namen seiner Fraktion, dem Rat die parlamentarische Initiative doch noch schmackhaft zu machen: Sowohl der Bundesrat als auch das Parlament könnten – das habe die Covid-19-Krise gezeigt – Notverordnungen beschliessen, die sehr weitreichend in Grundrechte eingreifen würden. Da gegen solche Beschlüsse kein Referendum ergriffen werden könne, brauche es die dritte Gewalt und die Möglichkeit für Stimmbürgerinnen und Stimmbürger, Notverordnungen gerichtlich überprüfen zu lassen. Glättlis Aufruf zu «helfen, die Demokratie auch notstandsfest zu machen», verhallte aber praktisch ungehört. Die 31 Parlamentsmitglieder, die der Initiative hätten Folge geben wollen, stammten allesamt aus der geschlossen stimmenden Grünen-Fraktion – einzig unterstützt von Benjamin Fischer (svp, ZH) – und standen einer Mehrheit von 163 ablehnenden Parlamentsmitgliedern gegenüber.

Abstrakte Normenkontrolle von Notverordnungen (Pa.Iv. 20.430)
Dossier: Parlament in Krisensituationen

Bei den Grünen Schweiz trat zu Jahresbeginn 2023 Rahel Estermann ihr Amt als Generalsekretärin an. Die 35-jährige Luzerner Kantonsrätin war seit 2020 bereits stellvertretende Generalsekretärin der Grünen gewesen. Während sieben Jahren hatte sie davor das Sekretariat der Luzerner Kantonalpartei geführt.
Nebst Estermanns Einsatz für klassische grüne Werte – eine klimafreundliche, ökologische und solidarische Gesellschaft – hoben die Grünen in ihrer Medienmitteilung auch Estermanns Expertise im Bereich der digitalen Grundrechte hervor; Parteipräsident Balthasar Glättli hoffte, sie werde damit die Grünen als «netzpolitische Avantgarde» positionieren können. Estermann ihrerseits attestierte ihrer Partei unter Verweis auf die geplante europapolitische Volksinitiative der Grünen mit der Operation Libero und auf die bereits lancierte Klimafonds-Initiative von Grünen und SP eine bereits grössere inhaltliche Vielfalt als noch vor einigen Jahren.
Estermann folgte als Generalsekretärin auf Florian Irminger, der seinen Posten nach einer Amtszeit von rund zwei Jahren aus familiären Gründen aufgab. Als Irmingers Vermächtnis hob Glättli unter anderem den «Ausbau der grünen Strukturen nach dem grossen Wahlsieg 2019» sowie seine Mitarbeit in der Entwicklung der grünen Positionierung in Zeiten der Covid-19-Pandemie und der grünen Aussenpolitik nach Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine hervor.

Generalsekretariat der Grünen Schweiz

Nachdem die SPK-NR entschieden hatte, der Vorlage keine Folge zu geben, beugte sich der Nationalrat in der Sommersession 2022 über die parlamentarische Initiative der Grünen Fraktion, die forderte, dass es Kantonen und Gemeinden ermöglicht werden soll, auf eigene Initiative hin zusätzliche Flüchtlingsgruppen aufzunehmen. Der Minderheitensprecher Balthasar Glättli (gp, ZH) argumentierte für das Anliegen seiner Fraktion, dass es keinen guten Grund gäbe, wieso der Schweizer Föderalismus nicht dazu genutzt werden solle, die Asylpolitik der Schweiz menschlicher und offener zu gestalten. Laut Marianne Binder-Keller (mitte, AG) stünde der vorgeschlagene Mechanismus im Verständnis der Kommissionsmehrheit aber im «Widerspruch zum aktuellen System», welches darauf aufbaue, dass «die Lasten» gemeinsam, statt von einzelnen Gemeinden, getragen würden.
Der Nationalrat entschied mit 119 zu 70 Stimmen, dem Anliegen der Grünen Fraktion keine Folge zu geben. Für die Vorlage sprachen sich lediglich die beiden geschlossen stimmenden Fraktionen der SP und der Grünen sowie die drei Nationalratsmitglieder der EVP aus. Damit blieb der Nationalrat seiner Stellung zu diesem Thema treu – so hatte er bereits eine Woche zuvor einer Standesinitiative aus dem Kanton Basel-Stadt keine Folge gegeben, die eine ähnliche Änderung im Asylwesen gefordert hatte.

Aufnahme von Asylsuchenden: Willkommensstädte und solidarische Gemeinden ermöglichen (Pa.Iv. 21.419)

Die grosse Kammer befasste sich in der Wintersession 2021 mit einer parlamentarischen Initiative der Grünen, welche forderte, dass ab 2023 nur noch Personenwagen und leichte Nutzfahrzeuge ohne fossilen Antrieb neu zugelassen werden dürfen. Balthasar Glättli (gp, ZH) wies darauf hin, dass sich die Bundesversammlung verpflichtet habe, die Klimaziele von Paris einzuhalten. Nach der Ablehnung des CO2-Gesetzes an der Urne seien nun alternative Wege umso wichtiger, um den Klimawandel zu bekämpfen. Für den Verkehrsbereich stelle die vorliegende Initiative eine solche Alternative dar. Die Mehrheit der vorberatenden KVF-NR war jedoch anderer Ansicht, wie Kommissionssprecher Matthias Bregy (mitte, VS) erläuterte. Bregy argumentierte, dass die Initiative unrealistisch und unsozial sei: Zum einen sei der Zeithorizont von 2023 nicht zu erreichen, da bis in einem Jahr gar nicht genügend Autos mit alternativen Antrieben zum Verkauf angeboten werden könnten. Zum anderen würde diese geplante Verknappung des Angebots zu höheren Preisen führen, wodurch die Fahrzeuge nicht mehr für alle Personen erschwinglich wären. Der Nationalrat folgte den Argumenten der Kommissionsmehrheit und gab der Initiative mit 115 zu 67 Stimmen bei 2 Enthaltungen keine Folge. Die Initiative ist damit erledigt.

Ab 2023 nur noch Personenwagen und leichte Nutzfahrzeuge ohne fossilen Antrieb neu zulassen (Pa. Iv. 21.425)

Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan Anfang August 2021 und dem gleichzeitigen Beschluss der USA und weiterer Staaten, ihre Truppen aus Afghanistan abzuziehen und ihre Botschaften zu evakuieren, leitete auch das EDA am 14. August die Evakuation des DEZA-Kooperationsbüros in Kabul ein und schloss dieses vorübergehend. Nebst drei Schweizer Staatsangehörigen beschäftigte das Kooperationsbüro 38 lokale Mitarbeitende, die nach Einschätzung des Bundesrats von den Taliban als «westliche Kollarobateure» betrachtet werden könnten und daher an Leib und Leben gefährdet seien, berichtete die NZZ. Das EDA gab am 16. August in einer Medienmitteilung bekannt, dass man den Mitarbeitenden und ihren engsten Familienangehörigen – insgesamt 230 Personen – ein humanitäres Visum für die Schweiz gewähre und sie dem Resettlement-Kontingent anrechenen werde. Seit 2019 wird jährlich ein Kontingent von 1'500-2'000 Personen für Resettlement-Flüchtlinge definiert. Unter Resettlement versteht man in Zusammenarbeit mit dem UNHCR die dauerhafte Neuansiedlung besonders schutzbedürftiger Flüchtline unter vollem Flüchtlingsschutz.
Tags darauf schickte das VBS 10 Soldaten nach Kabul, um die Bemühungen vor Ort zu unterstützen.
Auch die Schweizer Parteien meldeten sich diesbezüglich zu Wort. Wie La Liberté am 18. August berichtete, hatte die SP innert kürzester Zeit eine Online-Petition gestartet, welche die bürokratielose Aufnahme von mindestens 5'000 afghanischen Flüchtlingen verlangte. Kurz darauf drängten die SP, die Grünen sowie zahlreiche Hilfsorganisationen gar zur Aufnahme von 10'000 Flüchtlingen, wie die NZZ festhielt. Am anderen Ende des politischen Spektrums wehrte sich die SVP gegen jegliche Art von Kontingenten.
Am 19. August schob der Bundesrat derartigen Bestrebungen jedoch einen Riegel: Bundesrätin Karin Keller-Sutter äusserte zwar Verständnis für die Forderungen, doch die Aufnahme ganzer Gruppen sei nicht möglich, wie sie vor den Medien zu Verstehen gab. Sie führte aus, dass die Lage zu instabil sei, viele Menschen zurzeit nicht aus Afghanistan ausreisen könnten und man nicht wisse, ob überhaupt Bedarf bestehe. Sobald das UNHCR überprüft habe, ob und wie viele Menschen langfristig Schutz bräuchten, müsse die Staatengemeinschaft als Ganzes und damit auch die Schweiz über eine mögliche Aufnahme entscheiden.
Dies sorgte für Kritik aus den Reihen der besagten Parteien. So kritisierte Grünen-Präsident Balthasar Glättli (gp, ZH) in der NZZ, dass der Bundesrat «ein kaltes Herz» zeige. Er müsse sich vielmehr im Sinne der humanitären Tradition der Schweiz aktiv für die Aufnahme von Flüchtlingen einsetzen. Am 23. August vermeldete das EDA, dass ein Charterflug mit medizinischem Personal und Covid-Schutzmaterial nach Usbekistan gestartet sei, um die Evakuierungsanstrengungen sämtlicher westlicher Länder zu unterstützen. In der Medienmitteilung teilte das EDA zudem mit, dass sich weiterhin 35 Schweizer Staatsangehörige in Afghanistan befänden und man deren Repatriierung vorbereite. Die Repatriierung wurde schliesslich am 27. August vom EDA für beendet erklärt, nachdem insgesamt 385 Personen aus Afghanistan in die Schweiz geflogen worden waren.
Weiterhin offen blieb die Frage, wie die Schweizer Entwicklungshilfe ihre Arbeit in Afghanistan fortzusetzen gedenke. Die Weltwoche erklärte, dass die DEZA die bestehenden Projekte anpassen und fortführen wolle und sie schon in der Vergangenheit in den von den Taliban kontrollierten Gebieten tätig gewesen sei. Anfang September beschloss der Bundesrat, das humanitäre Engagement in Afghanistan zu verstärken, indem zusätzliche CHF 33 Mio. für Hilfe vor Ort freigegeben wurden. Insgesamt würde die Schweiz über die kommenden 16 Monate CHF 60 Mio. in Afghanistan und die umliegenden Staaten investieren, erklärte der Bundesrat.

Evakuation des DEZA-Kooperationsbüros in Kabul
Dossier: Humanitäres Engagement der Schweiz in Afghanistan

Anlässlich der Suche der FDP nach einer Nachfolge für Parteipräsidentin Petra Gössi fragte die Aargauer Zeitung im August 2021 die sechs grössten Parteien der Schweiz nach der finanziellen Entschädigung für die Parteipräsidien.
Ausser der SVP erhielt die Zeitung von allen Parteien Zahlen. Am wenigsten grosszügig war demnach die GLP: Ihr Präsident Jürg Grossen (glp, BE) erhielt den eher symbolischen Fixbetrag von CHF 2'500 pro Jahr und keine zusätzliche Spesenentschädigung. Gegenüber der Aargauer Zeitung gab Grossen an, die Finanzen der GLP liessen keine höhere Entschädigung zu und sein Lohn seien das Wachstum und die Sitzgewinne der Partei. Grossens Amtskollege Balthasar Glättli (gp, ZH) von den Grünen wurde mit CHF 28'000 pro Jahr entschädigt (CHF 16'480 Lohn und CHF 11'520 Spesen). Petra Gössis (fdp, SZ) Lohn bei der FDP betrug CHF 50'000 zuzüglich einer Spesenentschädigung in nicht genannter Höhe. Die SP liess sich ihr Präsidium insgesamt CHF 80'000 pro Jahr kosten, wobei auf Co-Präsidentin Mattea Meyer (sp, ZH) und Co-Präsident Cédric Wermuth (sp, AG) je CHF 35'000 Lohn und CHF 5'000 Spesen entfielen. Am grosszügigsten war schliesslich die Mitte: Ihr Präsident Gerhard Pfister (mitte, ZG) wurde von seiner Partei mit rund CHF 100'000 pro Jahr entschädigt; dieser Betrag setzte sich zusammen aus einer Grundentschädigung, einer Spesenvergütung und Sitzungsgeldern. Die Mitte war damit die einzige Partei, welche Sitzungsgelder ausrichtete. Mitte-Generalsekretärin Gianna Luzio erklärte gegenüber der Aargauer Zeitung, die Mitte gehe für ihr Präsidium von einem 60-Prozent-Job aus, und die Entschädigung für Pfisters Vorgänger Christophe Darbellay (cvp, VS) bei der damaligen CVP habe sich in einem ähnlichen Bereich bewegt.
Von der SVP erhielt die Zeitung bloss die Auskunft, dass Parteipräsident Marco Chiesa (svp, TI) keinen Lohn, aber eine Spesenentschädigung bekomme; deren Höhe nannte die SVP nicht. Laut der Aargauer Zeitung wird in der SVP allerdings gemunkelt, diese Spesenentschädigung sei so hoch angesetzt worden, dass sie für mehr als nur die Spesen reiche. Die Entschädigung ihres Präsidiums hatte bei der SVP – wie auch schon bei anderen Parteien – für Diskussionen gesorgt, als sie Kandidaturen für die Nachfolge von Albert Rösti suchte und schliesslich Chiesa fand.

Entschädigung der Parteipräsidien

Am 26. Mai 2021 brach der Bundesrat die Verhandlungen über das institutionelle Rahmenabkommen mit der EU offiziell ab. Nach dem Treffen von Bundespräsident Parmelin mit Kommissionspräsidentin von der Leyen Ende April 2021, hatte sich in dem Dossier lang wenig bewegt, bis schliesslich Radio SRF mit der Publikation eines vom Bundesrat als geheim eingestuften Dokuments, welches die Risiken und Nebenwirkungen eines gescheiterten Rahmenabkommens aufschlüsselte, für neuen Gesprächsstoff sorgte. Potenziell schwerwiegende Konsequenzen drohten in einer ganzen Palette von Themenbereichen, die von Strom und Handel über Gesundheit bis zur Filmförderung reichten. Insbesondere auf die Gefahr, dass bestehende Abkommen nicht erneuert werden, oder dass die EU die Äquivalenz der Schweizer Gesetzgebung nicht anerkennen würde, wurde hingewiesen. So könne beispielsweise eine fehlende Gleichwertigkeit beim Datenschutz zahlreiche Schweizer KMUs und deren Geschäftspraktiken bedrohen, hielt der Bericht fest. Nichtsdestotrotz fand sich im Medienecho zu jenem Zeitpunkt zumindest ein Funken Hoffnung auf einen positiven Ausgang der Verhandlungen. Der Sonntags-Blick zitierte in der Ausgabe vom 23. Mai aus einer E-Mail der EU-Chefunterhändlerin Riso, in der diese die Diskussion über die Unionsbürgerrichtlinie als «am wenigsten finalisierte» Frage bezeichnete, gleichzeitig aber eine gewisse Kompromissbereitschaft der EU ausdrückte, den Vertrag erneut durchzugehen und nach Lösungen zu suchen. Gleichentags veröffentlichte die Sonntagszeitung jedoch die Meldung, dass der Bundesrat den Abbruch der Verhandlungen über das Rahmenabkommen am 26. Mai vorsehe. Gemäss Sonntagszeitung plante der Bundesrat stattdessen einen Auffangplan, um den Konflikt mit der EU und die negativen wirtschaftlichen Folgen innen- und aussenpolitisch abzuschwächen. Unter anderem sei die Freigabe des zweiten Kohäsionsbeitrags vorgesehen, um Kooperationen wie das Forschungsprogramm Horizon weiterführen zu können. Eine weitere Möglichkeit der Bekräftigung des bilateralen Wegs – «Stabilex» genannt – beinhalte die einseitige Anpassung des Schweizer Rechts in politisch unumstrittenen Bereichen an EU-Bestimmungen, berichteten sowohl die Sonntagszeitung wie auch die NZZ.

Am 26. Mai bestätigte der der Bundesrat also diese Gerüchte und erklärte die Verhandlungen in einer Medienmitteilung für beendet. Dieser war zu entnehmen, dass der Bundesrat in zentralen Bereichen des Abkommens – Lohnschutz, Unionsbürgerrichtlinie, staatliche Beihilfen – weiterhin substanzielle Differenzen identifiziert hatte, weshalb er sich entschieden habe, das InstA nicht zu unterzeichnen und dies der EU auch so mitzuteilen. Im offiziellen Schreiben an die Europäische Kommission bot der Bundesrat die Einrichtung eines regelmässigen politischen Dialogs sowie die Prüfung von Problemen hinsichtlich der bestehenden Abkommen und die Suche nach pragmatischen Lösungen an. Er formulierte darin auch die Erwartungshaltung, dass die geltenden Abkommen «von beiden Parteien weiterhin vollumfänglich angewandt und im Falle relevanter Weiterentwicklungen des EU-Rechts aktualisiert» würden. Dabei hob er vor allem die Zusammenarbeit im Gesundheits- und Strombereich hervor. In seiner Medienmitteilung gestand der Bundesrat, dass das Nichtzustandekommen gewisse Nachteile mit sich bringe, wie zum Beispiel die Tatsache, dass keine neuen Marktzugangsabkommen abgeschlossen werden können. Er betonte jedoch, dass die Schweiz die bilaterale Zusammenarbeit mit der EU weiterführen wolle, weil man nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht verbunden sei, sondern auch eine europäische Wertegemeinschaft bilde und gemeinsam globale Herausforderungen angehe. Der Bundesrat versprach, den politischen Dialog mit der EU zu suchen und sich für eine rasche Deblockierung der Kohäsionsmilliarde einzusetzen. Er liess auch verlauten, dass er das EJPD damit beauftragt habe, gemeinsam mit anderen Departementen die Möglichkeit von eigenständigen Anpassungen im Schweizer Recht (Stabilex) zu prüfen, um dadurch die bilateralen Beziehungen zu stabilisieren.
Die EU-Kommission bezog gleichentags Stellung zur «einseitige[n] Entscheidung» und drückte ihr Bedauern über den Ausgang der Verhandlungen aus. Das InstA hätte eine Verbesserung des bilateralen Ansatzes ermöglicht und dessen Weiterentwicklung sichergestellt, liess die Kommission verlauten. Aus Kreisen der Kommission wurden zudem Stimmen laut, die behaupteten, die EU hätte zurzeit dringendere Probleme als die Schweiz, beispielsweise die Lage in Belarus. Der luxemburgische Aussenminister Jean Asselborn wünschte sich im Gespräch mit Le Temps eine solide Verhandlungsbasis, weil man die Situation so nicht auf sich beruhen lassen könne. Weitere prominente EU-Parlamentarier reagierten prompt auf diesen Paukenschlag. Andreas Schwab, der Vorsitzende der EU-Parlamentsdelegation für die Beziehungen zur Schweiz, sah durch den Entscheid mehr als sieben Jahre Verhandlungen «sinnlos vergeudet», wobei die offenen Fragen auch nach dem Verhandlungsabbruch weiter bestünden. Die vom Bundesrat geplante Freigabe der Kohäsionsmilliarde würde die angespannte Situation seiner Meinung nach nicht verbessern. Er warnte auch, dass sich die EU-Kommission in Zukunft noch genauer darauf achten werde, ob die Schweiz die geltenden bilateralen Verträge korrekt umsetze. Die NZZ berichtete, dass die EU auf den Schweizer Vorschlag der selektiven Rechtsangleichung verärgert reagiert habe. Neue sektorielle Marktzugangsabkommen in den Bereichen Strom oder Medizinaltechnik seien ohne übergeordneten Rahmen nicht denkbar, schliesslich habe die EU-Kommission klar gemacht, dass ein privilegierter Zugang zum Binnenmarkt gleiche Regeln und Pflichten voraussetze, so die NZZ.

«Gratulation an den Bundesrat» titelte der Blick am Tag nach der Entscheidung und sowohl SVP-Parteipräsident Chiesa (svp, TI) wie auch SGB-Präsident Maillard (sp, VD) zeigten sich erleichtert über den Abbruch, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Maillard äusserte seine Zufriedenheit über den Abbruch an der Delegiertenversammlung des SGB, wo er klar machte, dass die Gewerkschaften nie eine Schwächung des Lohnschutzes hingenommen hätten. Der SGB forderte für das weitere Vorgehen die Beibehaltung der bilateralen Abkommen, mehr sozialen Schutz, Mindestlöhne und verbindliche Tarifverträge, nur dann würde man Reformen unterstützen, sagte Maillard. Chiesa sah im Abbruch indes einen «Sieg für die Selbstbestimmung, die direkte Demokratie und die Schweizer Bevölkerung». Die Reaktionen der Schweizer Parteien fielen sowohl bezüglich Inhalt als auch Intensität unterschiedlich aus. Als «das grösste Armutszeugnis, das ich von unserer Landesregierung je gesehen habe» kritisierte Jürg Grossen (glp, BE) den Bundesrat harsch für dessen Entscheid. Er sparte auch nicht mit Kritik an anderen Parteien wie der SP, die sich von den Gewerkschaften habe treiben lassen, der Mitte, deren Präsident eine schädliche Haltung vertreten habe, und der FDP, welche laut Grossen mit ihren zwei Bundesräten die Hauptverantwortung für das Scheitern trage. Die SP und die FDP bedauerten das Scheitern des InstA zwar beide, machten aber mit Ignazio Cassis respektive den Gewerkschaften unterschiedliche Akteure dafür verantwortlich. SP-Co-Präsident Wermuth (sp, AG), der sich lange optimistisch gegeben hatte und einen Kompromiss bei der Unionsbürgerrichtlinie in Betracht gezogen hatte, kritisierte den Bundesrat im Tages-Anzeiger dafür, dass er parallel zum Abbruch keinen Plan B vorlegen konnte und forderte eine Auslegeordnung, bei der auch der EWR- und EU-Beitrittsverhandlungen zur Wahl stehen. Petra Gössi (fdp, SZ) griff an gleicher Stelle hingegen die Gewerkschaften an, die «jeden Kompromiss beim Lohnschutz verhindert» hätten und forderte neben einer gemeinsamen Lösungssuche mit der EU auch ein «Fitnessprogramm», beispielsweise einen Einheitssatz bei der Mehrwertsteuer. Gössi erklärte, dass sich die FDP für den bilateralen Weg nach aktuellem Stand einsetze und weder eine Vertiefung noch einen Rückbau der Beziehungen unterstütze. Konkret fordere sie eine limitierte Dynamisierung der Bilateralen in technischen Sachbereichen, die unbestritten sind; aktive Partnerschaften mit Drittstaaten durch neue Freihandelsabkommen und einen flexibleren Arbeitsmarkt mit höheren Kontingenten für Fachkräfte aus Drittstaaten. Zufrieden zeigten sich gegenüber dem Tages-Anzeiger Mitte-Präsident Gerhard Pfister (mitte, ZG), der gemäss Blick an den Von-Wattenwyl-Gesprächen Anfang Mai bereits offen den Verhandlungsabbruch gefordert haben soll und sich über die neu herrschenden Klarheit freute, – ebenso wie Thomas Aeschi (svp, ZG), der einzig das Abkommen über die Medizinaltechnik als Problem anerkannte. Ebenjene Medtech-Branche wurde von den Medien zum «ersten Opfer» des Verhandlungsabbruchs ernannt, denn am gleichen Tag, an dem das Rahmenabkommen beerdigt wurde, trat eine neue EU-Regulierung zu Medizinprodukten in Kraft. Zwar hatte die Schweiz ihr Recht an diese neue Regulierung angepasst, doch da die EU die Erneuerung des Abkommens zur gegenseitigen Anerkennung von Produktbescheinigungen verzögerte, galten Schweizer Anbieter in der EU fortan als Drittstaatenanbieter. Daher mussten Schweizer Exportfirmen plötzlich Bevollmächtigte mit Niederlassung im EU-Raum bestimmen und deren Produkte benötigten eine spezifische Etikettierung. Insgesamt rechnete der Branchenverband Swiss Medtech mit einmaligen Zusatzkosten von CHF 110 Mio. und einem jährlichen Zusatzaufwand in Höhe von CHF 75 Mio., was einer Exportsteuer von 1.4 bis 2 Prozent gleichkäme. Laut Swiss Medtech mache diese neue Regelung die Schweiz als Hauptsitz für aussereuropäische Firmen unattraktiv.

Wie der Tages-Anzeiger berichtete, hatten europafreundliche Akteure aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft schon im Vorfeld des Verhandlungsabbruchs unter der Leitung der Operation Libero über eine Volksinitiative zur institutionellen Einigung mit der EU beraten. Die Operation Libero verkündete, dass die Idee einer Volksinitiative nach dem Scheitern des Rahmenabkommens «überhaupt nicht vom Tisch» sei. Zwar sei es schwieriger geworden, die Unterzeichnung des Rahmenabkommens zu fordern, doch es gebe weiter Ideen, wie man die institutionellen Fragen mit der EU klären könnte. Der emeritierte Rechtsprofessor Thomas Cottier befürwortete die Lancierung einer Volksinitiative, denn es müsse endlich eine richtige europapolitische Debatte in Gang gesetzt werden. Den Plan B des Bundesrats, sich durch Stabilex einseitig an EU-Recht anzupassen, bezeichnete er als «kolossales Eigentor» und den Ausgang der Verhandlungen als «Regierungsversagen», weil die Schweiz sich damit noch stärker als bisher selbstständig an das EU-Recht anpassen werde ohne über ein Mitspracherecht zu verfügen und ohne dass dadurch der Marktzugang gesichert werde. Cédric Wermuth und SP-Nationalrat Eric Nussbaumer (sp, BL) gingen in ihren Vorschlägen noch weiter und stellten einen EU- oder EWR-Beitritt in Aussicht. Um diese Annäherung zu starten, schlug die SP ein ganzes Bündel an Massnahmen, Reformen und Gesprächsangeboten vor. Die Kohäsionsmilliarde solle nicht nur freigegeben, sondern auch substanziell erhöht werden. Darüber hinaus solle die Schweiz in den Bereichen Migration, Green New Deal, Wirtschaftsprogramm nach Covid aber auch in Steuerfragen, wie der Unternehmensbesteuerung, Kooperationsverträge mit der EU abschliessen. Mittelfristig könne man so die Beziehung zur EU wieder normalisieren, erklärte Parteipräsident Wermuth. Die Forderung des EU-Beitritts mit Opting-Out (Ausnahmebestimmungen) seines Parteikollegen Fabian Molina beurteilte Wermuth nüchtern als «kein kurzfristig realistisches Szenario», aber er hielt die Beitrittsdiskussion für nötig. Molinas Extremposition stiess bei den Grünen und den Grünliberalen zu diesem Zeitpunkt jedoch auf wenig Unterstützung. Sowohl Balthasar Glättli (gp, ZH) wie auch Jürg Grossen bevorzugten gemässigtere Alternativen wie ein neues Rahmenabkommen oder den EWR. Die Mitte und die FDP distanzierten sich hingegen in der Öffentlichkeit von Annäherungsmassnahmen, die über die Freigabe der Kohäsionsmilliarde hinausgingen. Im Parlament wurden Anfang Juni verschiedene Vorstösse eingereicht, die vom Bundesrat eine umfassende Auslegeordnung der bilateralen Beziehungen forderten oder konkrete Handlungsalternativen vorschlugen, darunter auch eine Motion von Molina zum EU-Beitritt.

Abbruch der Verhandlungen über das Rahmenabkommen mit der EU
Dossier: Institutionelles Rahmenabkommen

Der Abstimmungskampf zum Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit Indonesien wurde Anfang Dezember 2020 durch Wirtschaftsminister Parmelin ins Rollen gebracht, nahm aber – wohl aufgrund der alles überschattenden Covid-Pandemie – nur langsam an Fahrt auf. Die NZZ machte in ihrer Berichterstattung schon früh klar, dass der Ausgang der Volksabstimmung über das Freihandelsabkommen als Präjudiz für künftige Abkommen gewertet werden dürfte. Palmöl, welches als Stein des Anstosses die Debatte entzündet hatte, machte dabei aber nur einen kleinen Teil des Handelsvolumens der beiden Staaten aus. So importierte die Schweiz 2019 nur 35 Tonnen Palmöl aus Indonesien, was bei einer Gesamtimportmenge von 24'000 Tonnen knapp 0.1 Prozent aller Palmölimporte ausmachte. Eine Annahme des Abkommens hätte die Senkung der Importzölle auf indonesisches Palmöl, welches gewisse Nachhaltigkeitsstandards erfüllt, bis maximal 12'500 Tonnen von 20 bis 40 Prozent zur Folge gehabt. Den Gegnern und Gegnerinnen des Freihandelsabkommens gelang es trotz dieser marginalen Importe, die Diskussion im Vorfeld der Abstimmung ausschliesslich auf die Problematik des Palmöls zu fokussieren. Sie warnten nicht nur vor der grossflächigen Zerstörung von Regenwald und vor Menschenrechtsverletzungen, sondern befürchteten auch, dass das Palmöl das Schweizer Rapsöl konkurrenzieren könnte. Zudem gaben sie sich gegenüber den im Abkommen enthaltenen Nachhaltigkeitsstandards skeptisch und lehnten den Begriff «nachhaltiges Palmöl» kategorisch ab. Der Bundesrat versuchte die Gemüter der Palmölkritiker im Dezember 2020 etwas zu beruhigen, indem er in einem ersten Entwurf zur entsprechenden Umsetzungsverordnung vier Zertifizierungsstandards für nachhaltiges Palmöl vorschlug, welche in Studien gute Resultate erzielt hatten. Mithilfe dieser sollten nicht nur Anforderungen an eine nachhaltige Produktion, sondern auch die Rückverfolgbarkeit des Palmöls sichergestellt werden. Bei der Gegenseite stiess diese Argumentation nicht auf Anklang. Das Referendumskomitee kritisierte, dass die Nachhaltigkeit selbst mit diesen Regeln nicht sichergestellt werden könne, und auch Expertinnen und Experten warnten in der NZZ, dass derartige Standards zwar gut formuliert seien, die geplante Durchsetzung aber mangelhaft erscheine.

Dem Referendumskomittee wurde zu Beginn des Abstimmungskampfs in den Medien nur wenig Chancen eingeräumt. Zu gering war die Unterstützung durch die linken Parteien, zu zersplittert die NGOs untereinander. Zwar unterstützten die Grünen, die EVP, die Juso, die EDU, Pro Natura, Uniterre und die Kleinbauern-Vereinigung das Referendum, initiiert worden war es jedoch nicht von einer Partei oder einem Verband, sondern vom Genfer Bio-Winzer Willy Cretegny. Viele Interessensgruppen, welche sich anfänglich gegen das Freihandelsabkommen gewehrt hatten, beteiligten sich zudem nicht am Abstimmungskampf. So gaben NGOs wie Public Eye, Alliance Sud und Brot für alle bekannt, weder die Ja- noch die Nein-Parole ausgeben zu wollen. Die NZZ kritisierte das fehlende Engagement vieler NGOs denn auch. Diese hätten sich im Rahmen der Konzernverantwortungsinitiative noch als Globalisierungskritiker hervorgetan, im Abstimmungskampf zum FHA hätte aber beispielsweise der WWF seine grosse Expertise im Bereich Palmöl nicht in die Debatte eingebracht. Zum einen wolle man wohl die mühsam errungenen Nachhaltigkeitskriterien des Abkommens nicht durch eine Ablehnung riskieren, andererseits seien die Kontrollmechanismen nicht strikt genug, um sich intensiv für ein Ja einzusetzen, mutmasste die NZZ. Später empfahl der WWF Schweiz gegenüber der NZZ ein «zurückhaltendes Ja», da er nachhaltiges Palmöl für umweltfreundlicher befand als eine Substitution durch weniger ertragreiches Raps-, Sonnenblumen- oder Erdnussöl. Als Mitgründer des RSPO-Nachhaltigkeitslabels, welches in der Palmölindustrie verwendet wird, verteidigte der WWF das Abkommen aber wohl auch aus Gründen der Glaubwürdigkeit, mutmasste die NZZ. Auch von den linken Parteien erfuhren die Gegnerinnen und Gegner nur wenig Unterstützung. So entschied sich die SP, die im Parlament noch gegen das FHA gestimmt hatte, keine Abstimmungskampagne dazu zu führen, und liess sich auch mit der Parolenfassung viel Zeit. Für Co-Parteipräsidentin Mattea Meyer (sp, ZH) ging das Abkommen in die richtige Richtung, zudem stosse es in Indonesien und etwa auch bei Greenpeace auf breite Zustimmung. Ähnlich wie die fehlende Kampagne der SP wurde auch der geringe Ressourceneinsatz der Grünen im Abstimmungskampf von den Medien als Ursache für geringere Erfolgschancen des Referendums ausgemacht. Balthasar Glättli (gp, ZH) erklärte denn auch, dass er die Abstimmungen zur Pestizidinitiative und zum CO2-Gesetz höher gewichte als diejenige zum FHA.
Obwohl also der Vergleich mit den Befürwortenden der Konzernverantwortungsinitiative in den Medien oft bemüht wurde, war das Referendumskomitee in diesem Fall deutlich weniger geeint und potent. Diesen Eindruck bestätigten die APS-Inserateanalyse und der fög-Abstimmungsmonitor: Die in den Printmedien geschalteten Inserate stammten fast ausschliesslich von Befürwortenden, nur zwei Contra-Inserate wurden in der Analyse gezählt. Auch der fög-Abstimmungsmonitor stellte fest, dass die Medienresonanz generell gering ausfiel, was angesichts des von ähnlichen Kreisen intensiv geführten Abstimmungskampfes um die Konzernverantwortungsinitiative überrascht habe.

Die Befürworterinnen und Befürworter des Freihandelsabkommens argumentierten im Abstimmungskampf auf zwei sehr unterschiedlichen Ebenen. Umweltfreundliche Unterstützende wie SP-Nationalrat Molina (sp, ZH) erkannten im Abkommen eine Verbesserung der Handelsbedingungen, da es im Gegensatz zu den WTO-Standards auch Nachhaltigkeitsregeln umfasste. Wirtschaftsnahe Organisationen wie Economiesuisse sahen die Vorzüge des Abkommens insbesondere im Wettbewerbsvorteil, den Schweizer Firmen durch den erleichterten Zugang zum indonesischen Markt erhalten würden.

Bei der offiziellen Lancierung der Abstimmungskampagne im Januar 2021 wandte sich schliesslich der Initiator des Referendums, Willy Cretegny, an die Öffentlichkeit, um für ein Nein zum Freihandelsabkommen zu werben. Gegenüber Le Temps bezeichnete er sich zwar als Freihandels-Gegner, aber nicht grundsätzlich als Handels-Gegner. Er setze sich nach eigener Aussage für einen «fairen Handel» ein und lehne den Wunsch nach «immer mehr Wachstum des Handels, des Konsums und des Ressourcenverbrauchs» ab. Obwohl er mit seiner kritischen Haltung gegenüber dem Freihandel im ganzen Landwirtschaftssektor Zuspruch fand, teilten deshalb noch lange nicht alle seine ablehnende Haltung gegenüber dem FHA. Der Schweizer Bauernverband (SBV) unterstützte beispielsweise das Abkommen mit grosser Mehrheit, da die importierten Palmölmengen die einheimische Ölproduktion nach seiner Einschätzung nicht konkurrenzierten. Darüber hinaus stärkten die Exportmöglichkeiten die Schweizer Wirtschaft und damit indirekt die Kaufkraft der Schweizer Konsumenten, wovon auch die Schweizer Landwirtschaft profitieren würde. Auch Swiss Granum, der Interessensverband für Ölsaat (unter anderem der Rapsbauern), gab sich mit den Nachhaltigkeits- und Rückverfolgungskriterien im Abkommen zufrieden, nicht zuletzt weil man festgestellt habe, dass die Kundschaft sich sowieso allmählich von Produkten, die Palmöl enthalten, abwenden würden.

Etwas mehr als einen Monat vor der Volksabstimmung verschoben sich die Fronten zwischen den Pro- und Contra-Lagern noch einmal. So äusserte sich die SP-Fraktion im Bundeshaus positiv zur gegenwärtigen Form des Abkommens und Fabian Molina (sp, ZH) trat beim Auftakt des Ja-Komitees gar mit bürgerlichen Politikern vor die Presse, wie der SonntagsBlick berichtete. Dieser Meinungsumschwung führte innerhalb der SP zu einer Spaltung, da mehrere Kantonalsektionen und auch die Juso trotz abweichender Signale der Parteiführung die Nein-Parole beschlossen. Und selbst Maya Graf, eine Kritikerin des FHA der ersten Stunde, verkündete Anfang Februar in der AZ, sie sei «überhaupt nicht glücklich mit dem Referendum». Stattdessen zeigte sie sich zufrieden mit dem Erreichten der sogenannten «Palmöl-Koalition», die beispielsweise die Verknüpfung von Importmengen mit Nachhaltigkeitskriterien im Abkommen hatte unterbringen können. Anfang Februar meldete sich zudem Jean-Daniel Pasche, Präsident des Verbandes der Schweizerischen Uhrenindustrie, in Le Temps zu Wort und warnte vor dramatischen Auswirkungen auf die Uhrenindustrie durch Ablehnung des Freihandelsabkommens. Pasche erklärte, dass die Schweizer Uhrenindustrie 95 Prozent ihrer Waren in Länder exportiere, mit denen die Schweiz ein FHA unterhält. Zwar sei Indonesien 2020 noch ein kleiner Absatzmarkt, doch in einer derart schnell wachsenden Volkswirtschaft müsse man möglichst schnell Fuss fassen. Dabei helfe ein Abkommen beispielsweise durch den Schutz von geistigem Eigentum.

Die letzten Umfragen des Tagesanzeigers und des SRG-Abstimmungsmonitors Ende respektive Mitte Februar wiederspiegelten die in der Politik feststellbaren Verschiebungen zugunsten des Ja-Lagers. Gegenüber Januar stieg die Zustimmung für das Freihandelsabkommen laut Tagesanzeiger von 41 auf 52 Prozent an und auch die SRG meldete eine knappe Mehrheit von 52 Prozent für das FHA. Insbesondere Parteiungebundene hätten im Monat vor der Abstimmung in grösserem Ausmass vom Nein- ins Ja-Lager gewechselt.

Genehmigung des Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zwischen den EFTA-Staaten und Indonesien (BRG 19.036)
Dossier: Palmöl im Mittelpunkt der Freihandelsverhandlungen mit Malaysia und Indonesien
Freihandelsabkommen

An der Volksabstimmung vom 9. Februar 2020 musste die Volksinitiative «Mehr bezahlbare Wohnungen» (Wohnrauminitiative), wie im Vorfeld bereits erwartet worden war, eine Niederlage einstecken. Bei einer Stimmbeteiligung von 41.7 Prozent äusserten sich 42.9 Prozent der Stimmenden positiv zum Volksbegehren. Auf überwiegende Zustimmung stiess die Wohnrauminitiative lediglich in den städtisch geprägten Kantonen Basel-Stadt (60.2%) und Genf (60.1%) sowie in den Westschweizer Kantonen Neuenburg (56.2%), Waadt und Jura (je 53.2%). Am deutlichsten abgelehnt wurde das Volksbegehren in ländlichen Kantonen, allen voran in Appenzell Innerrhoden (24.0%), Obwalden (27.4%), Schwyz (27.6%) und Nidwalden (27.7%). Das Scheitern der Volksinitiative führt dazu, dass der indirekte Gegenvorschlag, welcher eine Aufstockung des Fonds de Roulement, also des Fonds des Bundes zur Vergabe zinsgünstiger Darlehen an gemeinnützige Wohnbauträger, um CHF 250 Mio. über eine Dauer von 10 Jahren vorsieht, in Kraft tritt.
Das Ja in den Städten habe deutlich gemacht, dass das Problem teurer Wohnungen dort gross sei, liess etwa Natalie Imboden, Generalsekretärin des Schweizerischen Mieterinnen- und Mieterverbandes (SMV), gegenüber den Medien verlauten. Ebenso verwies sie auf einen «masslosen Angriff» der Vermietenden, der aktuell mit mehreren parlamentarischen Initiativen im Parlament stattfinde und der das ungebremste Streben nach Renditen aufzeige (etwa Pa.Iv. 17.491; Pa.Iv. 17.514; Pa.Iv. 17.515). Der SMV kündigte am Tag der Abstimmung ferner an, dass er beabsichtige, sich für eine weitere Erhöhung des Fonds de Roulement einzusetzen; die vom Bund beschlossene Aufstockung an Darlehen für preisgünstige Wohnbauträger würden nicht ausreichen. Eine zweite Initiative zu diesem Anliegen werde es aber in naher Zukunft nicht geben; man konzentriere sich momentan auf die Bekämpfung des Paketes an Vorstössen zur Schwächung des Mietrechts und sei bereit, bei Annahme im Parlament dagegen das Referendum zu ergreifen, bekräftigte Balthasar Glättli (gp, ZH) vom SMV gegenüber den Medien. Auf der anderen Seite interpretierte Hans Egloff (svp, ZH) als Präsident des Hauseigentümerverbandes das Resultat dergestalt, dass regional zugeschnittene Lösungen zielführender seien und dass es andere Massnahmen brauche, da in den Städten die 10-Prozent-Quote bereits erreicht werde. Auch er ortete Handlungsbedarf, wobei er zum einen Subjekt- anstelle von Objekthilfen vorschlug und empfahl zu überprüfen, ob alle Mietparteien in Genossenschaftswohnungen tatsächlich auch Anrecht auf eine solche hätten.


Abstimmung vom 9. Februar 2020

Beteiligung: 41.7%
Ja: 963'740 (42.9%), Stände 16 5/2
Nein: 1'280'331 (57.1%), Stände 4 1/2

Parolen:
- Ja: Grüne, PdA, SP; Berufsverband Soziale Arbeit Schweiz, Caritas, Hausverein, Mieterinnen- und Mieterverband, Schweizerischer Gewerkschaftsbund, Travail Suisse, Wohnbaugenossenschaften Schweiz
- Nein: BDP, CVP, EDU, EVP, FDP, GLP, SVP; Baumeisterverband, Centre patronal, Economiesuisse, Gemeindeverband, Gewerbeverband, Hauseigentümerverband, Verband der Immobilienwirtschaft
- Stimmfreigabe: Städteverband

Volksinitiative «Mehr bezahlbare Wohnungen» (BRG 18.035)
Dossier: Gebäudeprogramm; Reduktion des Energieverbrauchs ab 2000

Nach den Erfolgen sowohl in den National- als auch in den Ständeratswahlen 2019 forderten die Grünen in den darauffolgenden Bundesratswahlen einen Bundesratssitz. Zwar hatte Parteipräsidentin Regula Rytz (gp, BE) am Wahlsonntag der eidgenössischen Wahlen auf eine klare Aussage dazu verzichtet und lediglich angemerkt, dass die Verteilung der Bundesratssitze nicht mehr passe. Am 22. November 2019 gab Rytz jedoch ihre Kandidatur für die Bundesratswahlen offiziell bekannt. Man habe so lange mit dem Entscheid gewartet – die Ankündigung von Rytz kam fast einen Monat nach den Nationalratsergebnissen und drei Wochen vor den Bundesratswahlen –, da man in Gesprächen mit den anderen Parteien die Wahlchancen abzuschätzen versucht habe, erklärte Rytz gegenüber dem Tages-Anzeiger. Diese Gespräche seien positiv verlaufen, woraufhin die Grünen den FDP-Sitz von Ignazio Cassis angriffen. Die FDP sei im Bundesrat rechnerisch übervertreten, weshalb Rytz eine neue Zauberformel vorschlug, gemäss der die beiden grössten Parteien SP und SVP je zwei Sitze und FDP, CVP und die Grünen je einen Sitz haben sollten. Rytz betonte die Dringlichkeit einer Fortsetzung der Klimaschutzdiskussionen und die entsprechende Unterstützung in der Stimmbevölkerung. Aus diesem Grund sei der Anspruch der Grünen auf einen Bundesratssitz gerechtfertigt, obwohl mit Ignazio Cassis ein Vertreter einer sprachlichen Minderheit angegriffen werde. Man könne – so Rytz – nicht alle Ansprüche befriedigen.
Die Zeitungen kommentierte diese verspätete Kandidatur von Rytz und ihren Start in den Bundesratswahlkampf als misslungen. Die NZZ begründete die späte Bekanntgabe damit, dass Rytz ihrer Ständeratskandidatur Priorität eingeräumt habe und folglich bei einer Wahl in den Ständerat auf die Bundesratskandidatur verzichtet hätte. Stattdessen hätte sich Rytz aus dem Ständeratsrennen nehmen und sich auf die Bundesratswahl konzentrieren müssen – war sich die Presse einig. Als entsprechend klein schätzten sie auch ihre Chancen, gewählt zu werden, ein, betonten dabei aber vor allem die entscheidende Rolle der GLP-Fraktion auf einer Seite und der CVP-EVP-BDP-Fraktion auf der anderen Seite.

Am Tag der Wahl stellte sich neben den Grünen nur die Sozialdemokratische Fraktion offiziell hinter die Forderung, die Zauberformel zu ändern und die grüne Kandidatin Regula Rytz zulasten von FDP-Bundesrat Ignazio Cassis zu unterstützen. Im Rahmen der parlamentarischen Debatte betonte SP-Fraktionspräsident Roger Nordmann (sp, VD), dass die Zusammensetzung des Bundesrates mit einer Mehrheit von je zwei Bundesratssitzen der FDP und der SVP aufgrund der Wahlerfolge der Grünen nicht mehr repräsentativ sei für die Schweiz und das Parlament. Keine Unterstützung erhielt Rytz von den übrigen Parteien. Die Grünliberale Fraktion entschied sich zwar für Stimmfreigabe, was für einigen Unmut bei den Grünen sorgte. Einige GLP-Mitglieder äusserten sich diesbezüglich im Tages-Anzeiger und erklärten, dass sie sich eine gemeinsame Strategie mit den Grünen für einen Bundesratssitz gewünscht hätten. Absprachen diesbezüglich hätten jedoch nicht stattgefunden. Auch von der CVP-Fraktion erfuhren die Grünen keine Unterstützung, diese gab an, Ignazio Cassis zu unterstützen. Nach den Wahlen äusserte sich Balthasar Glättli im Sonntags-Blick kritisch gegenüber der CVP und stellte in Aussicht, dass die Grünen zukünftig auch den Sitz von Viola Amherd angreifen könnten, falls die CVP keinen Beitrag zu einer griffigeren Klimapolitik leiste. Da auch die FDP- und die SVP-Fraktion Ignazio Cassis unterstützten, setzte sich dieser mit 145 Stimmen durch. Regula Rytz erhielt 82 Stimmen, 11 Stimmen entfielen auf Verschiedene.

Im Zusammenhang mit der Forderung der Grünen nach einem Bundesratssitz berichteten die Medien ausgiebig über eine neue Zauberformel und somit über eine neue Zusammensetzung des Bundesrates. In einem Interview schlug SP-Parteipräsident Christian Levrat (sp, FR) vor, den Bundesrat auf neun Mitgliedern zu erweitern; dies gäbe mehr Spielraum, um die grossen Parteien angemessen in die Regierung zu integrieren, die Regionen wären besser vertreten und die Bundesräte würden entlastet. Altbundesrat Christoph Blocher schlug stattdessen vor, dass sowohl die SP als auch die FDP zukünftig nur jeweils einen Sitz haben und stattdessen auch die Grünen und Grünliberalen je einen Sitz erhalten sollten (sogenannte Formel Christoph Blocher: 2-1-1-1-1-1).

Forderung der Grünen um einen Bundesratssitz

An ihrer ersten Delegiertenversammlung nach den eidgenössischen Wahlen 2019 feierte die Grüne Partei in Bern vor allem ihre grossen Wahlerfolge. Noch nie habe eine Partei derart zugelegt wie die Grünen. Mit durchschnittlich 46 Jahren seien die Grünen die jüngste Fraktion und der Frauenanteil betrage 61 Prozent, so die Medienmitteilung nach der Versammlung. In ihrer Rede dankte die Präsidentin Regula Rytz (gp, BE) allen Anwesenden für das «überwältigende Ergebnis», das nur dank grosser Vorarbeit und guter Kampagne möglich gewesen sei. Die Erfolge würden aber auch hohe Erwartungen für die neue Legislatur wecken. Ziel müsse eine «umweltverträglichere» und «gerechtere» Politik sein, forderte Fraktionspräsident Balthasar Glättli (gp, ZH) in seinem Votum. Hierzu müsse man mit der SP und der Mitte Bündnisse finden. Der Rückenwind werde helfen, einen «sozialen und mehrheitsfähigen Klimaschutz» umzusetzen. Mit neuer «Ernsthaftigkeit», die laut Tages-Anzeiger die Partei erfasst habe, forderte die Präsidentin schliesslich einen grünen Bundesratssitz und eine neue Zauberformel. Entschieden wurde hierzu an der Versammlung freilich noch nichts. Das «neue Selbstverständnis», das die NZZ der Partei attestierte, liess die Präsidentin aber zur These verleiten, dass die Grünen wohl eher einen Regierungssitz erobert hätten, wenn Johann Schneider-Ammann und Doris Leuthard auf Ende Legislatur und nicht «taktisch» zurückgetreten wären. Rytz forderte ein Gesetz gegen Rücktritte während der Legislatur. Die neue «Volkspartei mit Bewegungscharakter» wie Regula Rytz das neue Selbstverständnis laut NZZ umschrieb, nutzte die Delegiertenversammlung schliesslich auch noch für die Parolenfassung für die Abstimmungen vom 9. Februar 2020: Einstimmig (1 Enthaltung) empfahlen die Abgeordneten ein Ja zur Volksinitiative «Für mehr bezahlbare Wohnungen» sowie ein Ja zur Änderung des Strafgesetzbuches («Diskriminierung und Aufruf zu Hass aufgrund der sexuellen Orientierung»).

Delegiertenversammlung der Grünen in Bern

Der Totalrevision des Datenschutzgesetzes und der Änderung weiterer Erlasse zum Datenschutz nahm sich in der Herbstsession 2019 der Nationalrat als Erstrat an. Das ein Jahr zuvor verabschiedete und am 1. März 2019 in Kraft getretene Schengen-Datenschutzgesetz, das aus Gründen der zeitlichen Dringlichkeit zunächst nur die Schengen-relevanten Anpassungen umsetzte, wird mit der Annahme des totalrevidierten Gesetzes wieder ausser Kraft treten. Mit der Totalrevision sollen über die Schengen-Anforderungen hinausgehend einerseits die Schwächen des heutigen Datenschutzrechts, das noch aus einer Zeit vor dem Internet stammt, behoben und andererseits die Entwicklungen auf EU- und Europarats-Ebene aufgenommen werden. Besonders bedeutsam für die Schweiz ist hierbei, von der EU weiterhin als Drittstaat mit angemessenem Datenschutzniveau anerkannt zu werden. Ansonsten, so wurde befürchtet, wäre die Schweizer Wirtschaft mit erheblichen Wettbewerbsnachteilen konfrontiert, da Schweizer Unternehmen nicht mehr so einfach Daten mit Firmen in der EU austauschen könnten. Bis im Mai 2020 wird die EU die Äquivalenz des Schweizer Datenschutzes beurteilen, was eine gewisse Dringlichkeit für die Revision gebietet.
Wie schwierig dieses Unterfangen werden würde, hatte sich schon in der vorberatenden SPK-NR abgezeichnet: Nur mit Stichentscheid des Präsidenten Kurt Fluri (fdp, SO) hatte sich die Kommission im August 2019 durchgerungen, die Vorlage nach mehr als einem Jahr Arbeit überhaupt vors Ratsplenum zu bringen. Die wichtigsten Anpassungen der Kommission am bundesrätlichen Entwurf waren die neu einzuführende Direktwahl des EDÖB durch die Bundesversammlung, die Einführung eines Rechts auf Datenportabilität, die Anpassung der Definition der besonders schützenswerten Personendaten sowie der Verzicht auf eine besondere Regelung für den Umgang mit Daten verstorbener Personen und auf eine ausdrücklich erforderliche Einwilligung zum Profiling. Im Rahmen ihrer Beratungen hatte die SPK-NR zudem sechs Motionen zur Vervollständigung der Datenschutzbestimmungen in weiteren Gesetzen eingereicht.
Kurz vor der Debatte im Nationalrat hatte das Bundesamt für Justiz überdies eine Liste dazu veröffentlicht, welche problematischen Differenzen es zwischen dem Kommissionsvorschlag und den Anforderungen der EU sehe. Auch EDÖB Adrian Lobsiger hatte in der Presse bezweifelt, dass das von der Kommissionsmehrheit vorgeschlagene Gesetz mit dem verlangten Niveau der EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) mithalten könne; beim Entwurf des Bundesrates hätte er indes keine Probleme gesehen.
Während der strittige Vorschlag der Kommissionsmehrheit für die SVP bereits zu weit ging, bemängelten SP, Grüne und GLP, er sei zu lasch. Wirtschaftsverbände drängten unterdessen auf eine möglichst rasche, EU-konforme Lösung. So wurde im Vorfeld der nationalrätlichen Debatte von den Mitte- und Linksparteien noch fieberhaft nach Kompromissen gesucht, um den drohenden Absturz der Revision zu verhindern.

In der Eintretensdebatte in der grossen Kammer wurde von allen Seiten – ausser von der SVP-Fraktion – betont, wie wichtig und notwendig das vorliegende Revisionsprojekt sei, sowohl um den Datenschutz dem Internetzeitalter anzupassen als auch um den Datenschutz auf ein der EU gleichwertiges Niveau zu bringen, auch wenn man in den Details der Ausgestaltung verschiedene Ansichten vertrat. Die SVP betrieb hingegen Fundamentalopposition gegen «diesen bürokratischen Unsinn», wie Fraktionsvertreter Gregor Rutz (svp, ZH) das neue Gesetz nannte, denn es sei insgesamt, vor allem für KMU, schlechter als das geltende Datenschutzgesetz – ein Argument, das wenig später durch das Votum von FDP-Vertreter Kurt Fluri (fdp, SO) entkräftet werden sollte, der berichtete, dass der Gewerbeverband die Stossrichtung der Kommissionsmehrheit begrüsse und die Rückweisung nicht unterstütze. Mit der DSGVO verkaufe die EU laut Rutz ihre Bürger für dumm, da sie «kein Mensch» verstehe. «Wir haben langsam genug davon, jeden Unsinn aus der EU ungesehen zu übernehmen!», ärgerte sich der SVP-Vertreter und rief das Ratsplenum auf, die Vorlage an den Bundesrat zurückzuweisen mit dem Auftrag, sie zu entschlacken und EU-Vorschriften nur dort zu übernehmen, wo es unumgänglich sei. Auch eine linke Minderheit hatte ursprünglich die Rückweisung, allerdings an die Kommission, beantragt und diese beauftragen wollen, die Vereinbarkeit der Vorlage mit dem Übereinkommen SEV 108 des Europarats, die Äquivalenz mit dem EU-Datenschutzrecht, die Kompatibilität mit den Schengen-Verträgen und die Nicht-Unterschreitung des heute geltenden Schutzniveaus sicherzustellen. Um die doch eher dringliche Revision nicht unnötig zu verlangsamen und um sich einer «produktiven Diskussion» nicht zu verschliessen, zog Cédric Wermuth (sp, AG) diesen Antrag jedoch «im Sinne eines Vorschussvertrauensbeweises» zurück und hoffte, das Gesetz während der Beratung noch auf eine den genannten Forderungen nähere Linie bringen zu können. Der Rückweisungsantrag der SVP-Minderheit wurde mit 120 zu 66 Stimmen (1 Enthaltung) deutlich verworfen; ausserhalb der geschlossenen SVP-Fraktion sah niemand eine Rückweisung als den richtigen Weg an.

Im Laufe der Detailberatung musste der Nationalrat über 45 Minderheits- und mehrere Einzelanträge befinden, die zu einem beträchtlichen Teil die Unterstützung des Bundesrates genossen – hauptsächlich immer dort, wo die Kommissionsmehrheit mit ihrem Vorschlag einen schwächeren Datenschutz wollte als der Bundesrat und somit das heute geltende Schutzniveau oder die Anforderungen der EU und/oder des Europarats unterschreiten wollte. So war die Kommissionsmehrheit bestrebt, sowohl die Daten über gewerkschaftliche Ansichten und Tätigkeiten als auch die Daten über Massnahmen der sozialen Hilfe aus dem Katalog der besonders schützenswerten Daten, für deren Bearbeitung besondere Anforderungen gelten, zu streichen. Während eine bürgerliche Ratsmehrheit die Streichung der Daten über gewerkschaftliche Ansichten und Tätigkeiten guthiess, schwenkte der Nationalrat bei den Daten über Massnahmen der sozialen Hilfe – neben Sozialhilfedaten sind davon auch solche über Sozialversicherungsmassnahmen bei Krankheit oder Unfall, Massnahmen der Vormundschaftsbehörden oder KESB, die fürsorgerische Unterbringung in psychiatrischen Kliniken, Ergänzungsleistungen und Prämienverbilligungen erfasst – auf die Linie des Bundesrates zurück und beliess sie im Katalog. Grünen-Vertreter Balthasar Glättli (gp, ZH) hatte zuvor mit Nachdruck klargemacht, dass deren Streichung für die Grünen und die SP ein Grund wäre, dem Gesetz die Zustimmung zu verweigern. Eine ähnliche Drohung sprach SVP-Fraktionssprecher Gregor Rutz aus, als die Einschränkung des Geltungsbereichs des DSG auf natürliche Personen zur Debatte stand: Einem Gesetz, das – anders als bisher – keinen Datenschutz für juristische Personen mehr vorsehe, werde man «nie im Leben» zustimmen können. Alle anderen Fraktionen befanden den Schutz für juristische Personen durch andere gesetzliche Bestimmungen jedoch als ausreichend und so glich der Nationalrat das DSG mit der Streichung des Schutzes juristischer Personen an die europäischen Regeln an. Bei der Frage der Anforderungen für das sogenannte Profiling zeichnete sich während der Diskussion ab, dass man an diesem Tag keine zufriedenstellende Lösung finden würde. Für jegliche Formen des Profilings, das die Aargauer Zeitung treffend als die «automatisierte Auswertung von Daten, mit denen bestimmte Merkmale einer Person bewertet werden, um etwa Vorhersagen über ihr künftiges Verhalten zu treffen» definierte, hatte der Bundesrat eine ausdrückliche Einwilligung der betroffenen Person voraussetzen wollen, wie sie auch zur Bearbeitung besonders schützenswerter Personendaten vorgesehen war. Da das geltende Recht so eine Regelung für das Erstellen von Persönlichkeitsprofilen umfasst, würde eine komplette Streichung der ausdrücklichen Einwilligung zum Profiling, wie es die Kommissionsmehrheit vorgeschlagen hatte, ein Rückschritt vom aktuellen Schutzniveau darstellen. In der Diskussion wurde mehrheitlich anerkannt, dass verschiedene Formen des Profilings unterschieden werden müssten, da es, wie es Balthasar Glättli erklärte, durchaus einen Unterschied mache, ob Profiling zur Erstellung von passenden Bücherempfehlungen, zur Abschätzung des Risikos für eine Versicherung oder zur Vorhersage der politischen Entscheidungen einer Person gebraucht werde. Der Bundesrat unterstützte folglich einen Einzelantrag Glättli, der eine ausdrückliche Einwilligung nur für ein Profiling mit hohem Risiko für die Persönlichkeit oder die Grundrechte der betroffenen Person vorsah. Die Fraktionen der Grünen, SP und GLP unterstützten diesen Antrag ebenfalls, unterlagen jedoch der bürgerlichen Ratsmehrheit, die beim Vorschlag der Kommissionsmehrheit ohne besondere Anforderungen für das Profiling blieb. Der Nachhall der Diskussion war jedoch klar, dass sich der Ständerat noch einmal intensiv mit dieser Frage auseinandersetzen müsse.
Betreffend die Informationspflicht bei der Beschaffung von Personendaten, die Regeln für die Bekanntgabe von Personendaten ins Ausland, die Rechenschaftspflicht für datenbearbeitende Unternehmen über die Einhaltung des Datenschutzrechts sowie das Auskunftsrecht einer Person zu den über sie gesammelten oder bearbeiteten Daten lehnte die Volkskammer einige von der Kommissionsmehrheit vorgeschlagene Lockerungen ab und umschiffte somit ein paar der vielen Klippen im Hinblick auf den Angemessenheitsbeschluss der EU. Die vom Bundesrat eingefügten Regelungen über Daten von verstorbenen Personen erachtete der Rat jedoch als nicht notwendig und strich mit bürgerlicher Mehrheit alle entsprechenden Bestimmungen aus dem Gesetz. Ganz neu und weitgehend unbestritten verankerte der Nationalrat auf Vorschlag seiner Kommissionsmehrheit ein Recht auf Datenportabilität, das heisst auf Datenherausgabe und -übertragung, im Gesetz. Wie Bundesrätin Karin Keller-Sutter erklärte, habe der Bundesrat mit dieser Neuerung eigentlich noch zuwarten wollen, bis erste Erkenntnisse aus der konkreten Umsetzung dieses Rechts in der EU vorlägen; nichtsdestotrotz unterstützte er den Vorschlag der Kommissionsmehrheit, einen Anspruch jeder Person auf «die Herausgabe ihrer Personendaten in einem gängigen elektronischen Format oder sogar deren Übertragung auf einen anderen Verantwortlichen zu verlangen», wie Keller-Sutter das neue Recht erläuterte.
Zurückgehend auf eine entsprechende parlamentarische Initiative Leutenegger Oberholzer (sp, BL; Pa.Iv. 16.409) änderte die grosse Kammer das Wahlverfahren des EDÖB dahingehend, dass er neu von der Bundesversammlung gewählt und nicht mehr durch den Bundesrat ernannt und vom Parlament nur bestätigt werden sollte. Gleichzeitig wurden die Aufsichts- und Untersuchungskompetenzen des EDÖB bei Datenschutzverstössen gestärkt. Diese Änderung sei von wesentlicher Bedeutung im Hinblick auf den Angemessenheitsbeschluss der EU, wie Bundesrätin Keller-Sutter betonte, denn nach bisher geltendem Recht besitze der EDÖB nicht nur weniger Kompetenzen als die Datenschutzbehörden in Europa, sondern auch als andere Aufsichtsbehörden des Bundes, zum Beispiel die Finma oder die Weko. Bei den Strafbestimmungen legte der Nationalrat eine maximale Busse von CHF 250'000 für Datenschutzverstösse fest. Ein neuer Straftatbestand für die Nichteinhaltung der Mindestanforderungen an die Datensicherheit im Sinne einer Sorgfaltspflichtverletzung wurde von der bürgerlichen Ratsmehrheit jedoch nicht goutiert, was laut Bundesrätin Keller-Sutter für die EU-Angemessenheit problematisch sein könnte. Der letzte grosse Zankapfel der Vorlage verbarg sich in den Schlussbestimmungen, namentlich in der Frage zum Inkrafttreten des Gesetzes. Während die Kommissionsmehrheit das Inkrafttreten um zwei Jahre nach Annahme des Gesetzes beziehungsweise nach Verstreichen der Referendumsfrist verzögern wollte, beantragte eine Minderheit Humbel (cvp, AG), wie üblich den Bundesrat das Inkrafttreten bestimmen zu lassen. Eine solche Verzögerung sei bereits wegen der Schengen-relevanten Bestimmungen des Gesetzes ein Problem und daher nicht im Interesse der Wirtschaft, was das Argument der Kommissionsmehrheit gewesen war. Auf Empfehlung des Bundesrates und entgegen der geschlossenen SVP-Fraktion erteilte die grosse Kammer der zweijährigen Inkrafttretensfrist eine Absage.

In der Gesamtabstimmung nahm der Nationalrat das totalrevidierte Datenschutzgesetz mit 98 zu 68 Stimmen bei 27 Enthaltungen an. In den ablehnenden Stimmen spiegelte sich vor allem die Opposition der SVP gegen das Gesetz. Demgegenüber hatte sich die SP-Fraktion mehrheitlich enthalten und damit signalisiert, dass sie noch weitere Nachbesserungen erwartete. Wirklich zufrieden mit dem Gesetz in vorliegender Form war wohl niemand; in dieser Hinsicht sprach das Fazit von Kommissionssprecher Matthias Jauslin (fdp, AG) Bände: «Wir haben jetzt eine Vorlage, die aus Sicht der Kommission durchaus bearbeitbar ist.»

Revision des Datenschutzgesetzes (BRG 17.059)
Dossier: 2. Revision des Bundesgesetzes über den Datenschutz (DSG)

Die Grüne Fraktion forderte mit einer im Juni 2017 eingereichten parlamentarischen Initiative die Einsetzung einer PUK für die Aufklärung der Spionageaffäre um Daniel M. Die PUK sollte die Rollen von mutmasslich in den Fall involvierten Akteuren und Institutionen (Nachrichtendienst, Bundesrat, Bundeskriminalpolizei/Fedpol, Bundesanwaltschaft, GPDel) gründlich durchleuchten. Im Mai 2017 hatte die GPDel angekündigt, den Fall «Daniel M.» im Rahmen einer Inspektion vertiefter zu untersuchen. Die Grüne Fraktion war jedoch der Meinung, die GPDel könne eine Aufklärung der Affäre nicht mehr glaubwürdig vornehmen, nachdem einzelne Mitglieder der GPDel sich öffentlich mit widersprüchlichen Angaben zur Affäre positioniert hätten und nachdem gemäss verschiedenen Medienquellen die GPDel den Einsatz von Daniel M. selber gutgeheissen habe. Stattdessen müsse die GPDel selbst kritisch untersucht werden, forderten die Initianten.
Das Büro des Nationalrates sprach im Rahmen der Prüfung der Initiative mit dem Präsidenten der GPDel, Ständerat Alex Kuprecht (svp, SZ). Dieser habe laut dem Büro glaubhaft aufzeigen können, dass die GPDel sowohl über den notwendigen Sachverstand als auch die Kompetenzen verfüge, um die Untersuchung zügig und seriös zu führen. Der im März 2018 veröffentlichte Bericht der GPDel bestätigte diesen Eindruck in den Augen des Büros und es empfahl deshalb die Ablehnung der parlamentarischen Initiative. Auch der Fraktionspräsident der Grünen, Balthasar Glättli (ZH), zeigte sich zufrieden ob der Arbeit der GPDel, die entgegen der Befürchtungen der Grünen sehr gute Arbeit geleistet habe. Die Grünen zogen ihre Initiative daraufhin im Sommer 2018 zurück.

Parlamentarische Untersuchungskommission im Fall Daniel M. (Pa.Iv. 17.464)

Mitte Dezember 2017 gab der Bundesrat den Medien bekannt, dass er die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» ablehne, ihr aber mit einem indirekten Gegenvorschlag begegnen möchte. Die Initiative für ein nationales Verbot sei abzulehnen, weil die Kantone selber entscheiden können sollten, ob sie die Gesichtsverhüllung im öffentlichen Raum verbieten wollen oder nicht. So hätten die Kantone Tessin und St. Gallen ein solches Verbot befürwortet, während es in Zürich, Solothurn, Schwyz, Basel-Stadt und Glarus abgelehnt worden sei. Diesen unterschiedlichen Befindlichkeiten gelte es Rechnung zu tragen. Der Bundesrat anerkenne jedoch, dass die Gesichtsverhüllung problematisch sein könne, und zwar zum einen, wenn jemand zur Verhüllung gezwungen werde, und zum anderen im Kontakt mit den Behörden. Er wollte sich dieser Problematik daher mit einem indirekten Gegenvorschlag annehmen, der Regelungen auf Gesetzesebene vorsehe, ohne den Kompetenzbereich des Bundes zu überschreiten. Konkret solle es im Strafgesetzbuch ausdrücklich verboten werden, jemanden zur Verhüllung des Gesichts zu zwingen. Zudem solle der Kontakt mit Bundesbehörden und Bundesrecht vollziehenden Behörden unter Androhung von Strafe unverhüllt erfolgen müssen. Der Bundesrat beauftragte das EJPD mit der Ausarbeitung einer entsprechenden Vernehmlassungsvorlage bis Ende Juni 2018.
Bei den Initianten vermochte der Vorschlag des Bundesrats wenig Eindruck zu erwecken; er sei «schwammig» und entspreche nicht dem Anliegen der Initiative, so Walter Wobmann (svp, SO) gegenüber der Basler Zeitung. Das Komitee halte an der Initiative fest und blicke der Abstimmung nach wie vor zuversichtlich entgegen. Die SVP lehnte den bundesrätlichen Vorschlag ebenfalls als «wirkungslos» ab, wie in der Presse zu lesen war. Auf wenig Gegenliebe stiess der Vorschlag indes auch bei den Grünen. Nationalrat Balthasar Glättli (gp, ZH) bezeichnete ihn gegenüber der Basler Zeitung als «falsch und überflüssig», weil Nötigung ohnehin strafbar sei, und machte ihm in der Aargauer Zeitung den gleichen Vorwurf wie der Initiative selbst, nämlich zur «Stimmungsmache gegen Muslime in der Schweiz» beizutragen. Positiver äusserten sich die CVP und die SP zur Stossrichtung des Bundesrates, wenngleich sich die SP weiter auf ihren eigenen direkten Gegenentwurf zur Verbesserung der Gleichstellung der Frauen konzentrieren wollte. SP-Nationalrat Cédric Wermuth (sp, AG) bedauerte im Tages-Anzeiger, dass der Bundesrat sich nicht getraut habe, «die Debatte neu auszurichten», und dass der Gegenvorschlag «keine Antwort auf das Unbehagen» liefere, das hinter der Initiative stehe. Von verschiedenen Seiten wurde der bundesrätliche Vorschlag auch als nicht oder nur schwer umsetzbar kritisiert, da Frauen, die gezwungen werden, sich zu verschleiern, dies eher nicht bei der Polizei zur Anzeige bringen würden. Ständerat Andrea Caroni (fdp, AR), der bereits ein Gegenkomitee zur Initiative gegründet hatte, begrüsste dagegen den Vorschlag des Bundesrates. Er sei zwar nicht «das Ei des Kolumbus», eröffne aber die Möglichkeit für eine gezielte Debatte über die Probleme im Zusammenhang mit der Gesichtsverhüllung und über allfällige Lösungen, so Caroni gegenüber «Le Temps».

Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und indirekter Gegenvorschlag (19.023)
Dossier: Nationales Burkaverbot

Weil die Mehrheit der SPK-NR die parlamentarische Initiative der Grünen Fraktion, die eine Veröffentlichung von Tages-Zugangsbewilligungen verlangt, abgelehnt hatte, musste sich die grosse Kammer in der Frühjahrssession dem Thema annehmen. Zwar werde über die Personen Buch geführt, die von den Parlamentsmitgliedern eine eintägige Zugangsbewilligung erhalten – so die Ausführungen des Fraktionssprechers Balthasar Glättli (gp, ZH) – aber diese Buchführung werde eben nicht öffentlich gemacht. Dadurch könnten kluge Lobbyistinnen und Lobbyisten „unter dem Radar der Transparenzanforderungen“, wie sie aktuell diskutiert würden, durchschlüpfen. Die Sprecherin (Roberta Pantani, lega, TI) bzw. der Sprecher (Matthias Jauslin, fdp, AG) der Mehrheit der SPK-NR verwiesen in ihren Ausführungen auf die parlamentarische Initiative Berberat (sp, NE), mit der bereits mehr Transparenz bei der Lobbyarbeit angestrebt werde. Die von den Grünen geforderte Idee sei sehr schwierig umzusetzen, da für jede Besucherin und jeden Besucher abgeklärt werden müsste, ob er lediglich Gast oder tatsächlich Lobbyistin oder Lobbyist sei. Mit der von der Pa.Iv. Berberat angestrebten Akkreditierung sei das Problem besser in den Griff zu kriegen. Die Ratsmehrheit von 112 Stimmen, die 53 Gegenstimmen bei 2 Enthaltungen gegenüberstand, folgte dieser Argumentation und versenkte den Vorstoss der Grünen Fraktion.

Tages-Zugangsbewilligungen (Pa. Iv. 15.464)
Dossier: Lobbyismus im Bundeshaus

Lange bevor der Bundesrat Mitte Juni 2016 mit seiner Medienkonferenz den Abstimmungskampf zum Nachrichtendienstgesetz offiziell eröffnete, wurde das Thema breit in der Öffentlichkeit diskutiert. Anlass dazu boten etwa die Terroranschläge in Brüssel vom 22. März 2016, in deren Nachgang bürgerliche Sicherheitspolitikerinnen und -politiker den Bundesrat dazu aufforderten, dem Nachrichtendienst per dringlichem Bundesbeschluss schleunigst zu den notwendigen Kompetenzen zu verhelfen. Man könne nicht warten, bis das neue NDG nach der Referendumsabstimmung vom September in Kraft treten könne; die jüngsten Anschläge hätten gezeigt, «dass die Bedrohung durch Terrorismus real ist», erklärte die Präsidentin der SiK-NR, Ida Glanzmann-Hunkeler (cvp, LU), gegenüber der NZZ. In Zeiten wie diesen sei es «unsinnig», dass der NDB in seiner Arbeit behindert werde, zitierte die «Tribune de Genève» dazu SiK-SR-Präsident Isidor Baumann (cvp, UR). Der NDB sei momentan «blind und taub», mahnte der Genfer Sicherheitsdirektor Pierre Maudet (GE, fdp) an gleicher Stelle. Obschon die Forderung unerfüllt verhallte, lagen die Hauptargumente für das neue Nachrichtendienstgesetz damit schon einmal auf dem Tisch.

Dass ein grosser Teil der Schweizer Bevölkerung ähnlich dachte, zeigte die im Mai veröffentlichte Studie «Sicherheit 2016» der ETH Zürich. Darin schätzten rund drei Viertel der Befragten die weltpolitische Lage (eher) pessimistisch ein, wobei die Erhebungen bereits im Januar und damit vor den Terrorattacken in Brüssel stattgefunden hatten. Damit einher gingen ein gegenüber dem Vorjahr gestiegenes subjektives Unsicherheitsempfinden sowie die klare Unterstützung von Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit wie Datensammlungen über verdächtige Personen, Armeeeinsätze zur Sicherstellung von Ruhe und Ordnung, die Aufstockung der Polizeikorps, Videoüberwachung im öffentlichen Raum oder vorsorgliche Verhaftungen. Von einer gewissen Ambivalenz zeugten die Antworten zum Verhältnis von Freiheit und Sicherheit: 55 Prozent der Befragten waren der Meinung, dass der Staat die Sicherheit der Bevölkerung auch auf Kosten der persönlichen Freiheit garantieren solle, gleichzeitig würden sich aber ebenfalls 55 Prozent für Freiheit statt Sicherheit entscheiden, wenn sie gezwungen wären, eins der beiden zu wählen. Zwei Drittel befürworteten aber die Terrorismusbekämpfung auch unter Einschränkung der persönlichen Freiheit – ein Ergebnis, das «Wasser auf die Mühlen der Befürworter» des neuen NDG sei, wie das St. Galler Tagblatt resümierte.

Weiteren Impetus fand die Befürworterseite in der Tatsache, dass sich offenbar auch der IZRS an der Unterschriftensammlung gegen das NDG beteiligt hatte, wie die Luzerner Zeitung Mitte Juni bekannt machte. Die umstrittene islamische Organisation sehe im NDG ein «Vehikel gegen Muslime», in dessen Fokus «je nach politischem Klima» auch andere Gruppen geraten könnten, weshalb Mediensprecher Qaasim Illi zur Unterschrift gegen das NDG aufgerufen habe. Im Einsatz für das NDG sah man sich dadurch bestätigt, denn es sei «bezeichnend», dass «ein Verein wie der IZRS, der selber im Fokus des NDB stehen könnte», gegen das Gesetz mobil mache, zitierte die Zeitung Ida Glanzmann-Hunkeler. Sogar Bundesrat Guy Parmelin sollte den Widerstand des IZRS einige Tage später vor den Medien lakonisch als «beste Werbung für das Gesetz» bezeichnen. Die Gegenseite distanzierte sich derweil von «diesen Extremisten», wie SP-Sprecher Michael Sorg betonte; man sei nicht verbündet und stehe in keinerlei Kontakt. Aus dem Abstimmungskampf wollte sich der IZRS denn auch heraushalten, wie er über eine Sprecherin verlauten liess.

Auf der Pro-Seite stand neben dem Bundesrat ein überparteiliches Ja-Komitee, das Parlamentarierinnen und Parlamentarier aller grösseren Parteien ausser den Grünen vereinte. Im Laufe der Kampagne sprachen sich zudem die Ost- und Westschweizer Konferenzen der Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren sowie die Regierungsräte der Kantone Zürich und Schaffhausen für das NDG aus. Das Hauptargument für das neue Gesetz war, dass die Mittel des schweizerischen Nachrichtendienstes an die aktuelle Bedrohungslage angepasst werden müssten, denn mit seinen heutigen Instrumenten könne er die Schweiz nicht ausreichend vor den sich ständig verändernden und komplexer werdenden Gefahren schützen. Der NDB sei schlicht «überholt», konstatierte FDP-Nationalrätin Corina Eichenberger (fdp, AG) gegenüber der Presse. Klar könne das Risiko nicht vollständig eliminiert werden, aber es seien schon viele Attentate dank Überwachung verhindert worden, pries SVP-Ratskollege Raymond Clottu (svp, NE) die neuen Überwachungsmöglichkeiten an. Als die Ziele des NDG nannte Verteidigungsminister Guy Parmelin einerseits die präventive Überwachung der «gefährlichsten Individuen» (NZZ) sowie andererseits die Erschwerung von Cyberangriffen und -spionage, wie im Fall der Ruag, der Anfang 2016 aufgedeckt worden war. Als weiteren Vorzug des neuen Gesetzes hob NDB-Chef Markus Seiler die Vereinfachung der internationalen Zusammenarbeit in der Terrorismusbekämpfung hervor. Gleichzeitig warnte er vor einer Schwächung der internationalen Stellung der Schweiz, sollte das Gesetz abgelehnt werden, denn je weniger eigene nachrichtendienstliche Erkenntnisse die Schweiz habe, umso grösser sei die Gefahr, von ausländischen Geheimdiensten instrumentalisiert zu werden. Es sei aber mitnichten die Absicht des neuen Gesetzes, alle Bürgerinnen und Bürger zu überwachen und selbstverständlich müsse Missbrauch verhindert werden, betonte Bundesrat Parmelin weiter. Auch das Komitee erklärte, umfassende Kontrollmechanismen und eine gut ausgebaute Aufsicht über den Nachrichtendienst verhinderten, dass ein Überwachungsstaat geschaffen werde. Die Befürworterinnen und Befürworter wurden nicht müde zu betonen, dass das NDG das Gleichgewicht zwischen individueller Freiheit und Sicherheit wahre und letztlich schlicht notwendig sei – oder mit den Worten von SP-Nationalrätin Rebecca Ruiz (sp, VD) in der «Tribune de Genève»: «Wir können nicht bei Windows 95 und Walkie-Talkies bleiben.» Der Status quo sei eine Reaktion auf den Fichenskandal in den 1990er-Jahren gewesen, erklärte auch EDÖB Adrian Lobsiger gegenüber der Sonntagszeitung. Seither hätten sich die Welt verändert und die Sicherheitslage verschärft. Auch er bezeichnete das NDG als «Kompromiss zwischen Freiheit und Sicherheit», liess sich aber nicht auf eine explizite Abstimmungsempfehlung hinaus. Zum frühen Zeitpunkt des offiziellen Kampagnenstarts Mitte Juni sagte Bundesrat Parmelin, er wolle eine «pädagogische» Abstimmungskampagne führen, um der Bevölkerung angesichts des heiklen und komplexen Themas genau zu erklären, was die Neuerungen seien und warum sie nötig seien.

Die Kontra-Seite bestand hauptsächlich aus dem Referendumskomitee «Bündnis gegen den Schnüffelstaat», das von den Grünen, der SP, den Juso, der Piratenpartei, der Gewerkschaft Syndicom, der Digitalen Gesellschaft, dem Verein Grundrechte.ch sowie dem Chaos Computer Club unterstützt wurde. Ein bürgerlich geprägtes Gegenkomitee um die bürgerlichen Jungparteien, kritische Parlamentarierinnen und Parlamentarier von SVP bis GLP sowie die Operation Libero, das liberale Argumente gegen das NDG anführen wollte, zerbrach hingegen, bevor es sich formieren konnte. Man habe das NDG gleichzeitig mit dem BÜPF bekämpfen wollen, aber mit dem Scheitern des BÜPF-Referendums sei die Gruppe auseinandergefallen, schilderte der Koordinator und stellvertretende SGV-Direktor Henrique Schneider dem St. Galler Tagblatt. So dominierten denn auch die von links geäusserten Bedenken das Argumentarium der Gegnerschaft. Weil es dem NDB erlaube, auf Basis blosser Vermutungen zu agieren, gehe das neue Nachrichtendienstgesetz zu weit, so das Hauptargument des Nein-Lagers. Juso-Präsidentin Tamara Funiciello nannte das NDG einen «Schritt Richtung Massenüberwachung». Mit dem Gesetz würden alle Bürgerinnen und Bürger zu Verdächtigen gemacht, sodass der NDB letztlich jeden zum potenziellen Terroristen «emporstilisieren» könne, kritisierte der Präsident des Vereins Grundrechte.ch, Viktor Györffy. Das von der Befürworterseite propagierte Gleichgewicht zwischen individueller Freiheit und Sicherheit konnte die Gegnerschaft nirgends erkennen. Mit der Stärkung des Nachrichtendienstes kreiere man nur eine «Illusion von Sicherheit», bemängelte der Grüne Nationalrat Balthasar Glättli (gp, ZH). Die Attentäter von Paris und Brüssel seien sehr wohl nachrichtendienstlich oder polizeilich bekannt gewesen, aber nichtsdestotrotz hätten die Anschläge nicht verhindert werden können. Dass eine parlamentarische oder juristische Kontrolle die Aktivitäten des NDB und damit die Eingriffe in die Grundrechte wirklich begrenzen könne, sei ebenfalls «illusorisch», so Györffy weiter. Glättli sah das Gesetz ausserdem – sowohl aufgrund der Zusammenarbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten als auch wegen der Möglichkeit zum Eindringen in ausländische Computersysteme – als Gefahr für die Neutralität der Schweiz. Zudem missbilligte die Gegnerschaft, dass der Staat durch den Kauf von Trojanern den Schwarzmarkt für Sicherheitslücken und das organisierte Verbrechen fördere.

Insgesamt verlief die öffentliche Debatte über lange Zeit unaufgeregt und angesichts der Tragweite des Themas eher spärlich. Erst rund drei Wochen vor dem Abstimmungssonntag, im Anschluss an die SRF-«Arena» zum NDG, gewann sie «doch noch etwas an Temperatur», wie der Tages-Anzeiger kommentierte. Dabei stand das Instrument der Kabelaufklärung im Fokus, in der die Gegenseite nichts anderes als die verdachtsunabhängige Massenüberwachung erkannte. Die Beteuerung, es werde nur der grenzüberschreitende, nicht aber der inländische Internetverkehr überwacht, sei bedeutungslos, da etwa sehr viele E-Mails über ausländische Server verschickt würden, auch wenn sich Sender und Empfänger in der Schweiz befänden. Ein viel genanntes Argument gegen diese Art der Überwachung war die Suche nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen, die eben nicht einfacher werde, wenn man den Heuhaufen vergrössere. NDG-Fürsprecherin Corina Eichenberger hielt dem in der «Tribune de Genève» entgegen, man werde im Internetverkehr schon nach sehr eng definierten Schlagworten suchen, und nicht einfach nach «Islam» oder «Bombe». Ausserdem führte die Pro-Seite an, der NDB verfüge gar nicht über genug Ressourcen für eine solche Massenüberwachung. Der Bundesrat sprach bis zuletzt von rund zehn Fällen pro Jahr, in denen bewilligungspflichtige Beschaffungsmassnahmen eingesetzt würden, wie er auch schon dem Parlament erklärt hatte. In den Medien wurde diese Zahl jedoch in Zweifel gezogen, da sich seit den parlamentarischen Beratungen die Bedrohungslage durch vermehrte Anschläge in Europa – die bisher folgenschwersten in Paris und Brüssel – und die zunehmende Anzahl Dschihad-Reisender aus der Schweiz verschärft habe. Während das VBS die Zahl als Durchschnittswert, der mit der Bedrohungslage variieren könne, verteidigte, sprach Ida Glanzmann-Hunkeler eher von 20 bis 25 Fällen pro Jahr, wobei diese Schätzung nicht statistisch extrapoliert, sondern «mehr ein Gefühl» sei, wie sie gegenüber dem Tages-Anzeiger erklärte. NDG-Gegner Balthasar Glättli sah in diesem Zahlenwirrwarr gemäss St. Galler Tagblatt ein Indiz dafür, dass «die staatlichen Schnüffler wesentlich hungriger» seien, als sie es «vor der Abstimmung zugeben» wollten. Wie der Tages-Anzeiger feststellte, wurde der Abstimmungskampf gegen Ende zum «Streit der Begrifflichkeiten», der sich vor allem um die Definition von Massenüberwachung drehte. Es sei die Antwort auf die von Beat Flach (glp, AG) in der «Arena» gestellte Frage, ob es wirklich so furchtbar sei, dass in Zukunft alles zuerst durch den Filter des NDB gehe, die Befürworter und Gegner des NDG trenne, konstatierte dieselbe Zeitung.

Die ab Mitte August durchgeführten Umfragen zeigten schon von Anfang an eine breite Unterstützung von knapp 60 Prozent für das NDG, die bis zur letzten Umfragewelle Mitte September ungefähr konstant blieb. Als wichtigste Argumente identifizierten die Befragungen die Befürchtung möglichen Missbrauchs neuer Technologien auf der Pro- sowie den mangelhaften Schutz der Privatsphäre auf der Kontra-Seite. Bei den bürgerlichen Parteien wollte die Mehrheit der Basis Ja stimmen, während die Anhängerschaft der linken Parteien mehrheitlich ein Nein einlegen wollte. Damit hatte das NDG gute Voraussetzungen, das Referendum ungefährdet zu passieren.

Neues Nachrichtendienstgesetz (BRG 14.022)
Dossier: Staatliche Überwachung
Dossier: Vorstösse und Massnahmen zur Bekämpfung islamistischer Radikalisierungstendenzen

Au vu de la tragédie qui frappe les réfugiés en Méditerrannée, le groupe des Verts, par le biais de son porte-parole le conseiller national Balthasar Glättli (pes, ZU), a déposé une motion réclamant une aide massive et urgente dans les pays de départ des migrants ainsi que la création d'ouvertures dans la "forteresse Europe". L'objet a été débattu au Conseil national lors de la session extraordinaire "Vague de réfugiés en Europe et contrôles aux frontières" du 10 décembre 2015. La motion comporte les revendications suivantes: la restauration de la possibilité (supprimée en 2012) de déposer une demande d'asile dans les ambassades, la mise en œuvre de la promesse d'accueil de 3000 réfugiés syriens faite par la Suisse en 2015, ainsi que l'accueil d'un contingent supplémentaire, l'engagement du Conseil fédéral dans une refonte du système Dublin, qui repartirait les réfugiés entre les États Dublin en fonction de leur puissance économique, le développement d'un mécanisme entre les États Dublin, permettant aux réfugiés de déposer une demande d'asile sans devoir immigrer illégalement à l'aide de passeurs, un soutien aux pays d'Europe les plus touchés par la crise migratoire, comme la Grèce ou l'Italie et enfin, le renforcement massif et immédiat de l'aide sur place aux réfugiés de la guerre civile en Syrie. En septembre 2015, le Conseil fédéral a recommandé de rejeter la motion. Lors de la session, le groupe des Verts a appelé à débattre de chacun des chiffres de sa motion individuellement. Le premier point, celui qui demande le retour de la possibilité d'effectuer une demande d'asile dans les ambassades, est celui qui a rencontré le plus d'oppositions. Le système en soi ne pose pas problème, c'est plutôt le risque que la Suisse soit le seul pays d'Europe à le faire qui a dissuadé les parlementaires de voter en sa faveur. Le refus est net: 136 voix contre 53, avec une seule abstention. Au point 2, qui concerne la mise en oeuvre rapide de la décision d'accueillir 3000 réfugiés syriens, le Conseil fédéral avait répondu que le projet suivait son cours. Le Conseil national a refusé cet élément de la motion par 119 voix contre 71, avec toujours une abstention. Une claire différence entre les partis bourgeois, qui ont tous refusé ce point et le reste de l'hémicycle s'est fait sentir lors de la lecture des résultats nominatifs. Concernant la refonte du système Dublin, qui répartirait les réfugiés en fonction de la puissance économiques des pays, il a été rétorqué que le critère économique seul ne suffisait pas, et qu'il fallait prendre aussi en compte les aspects sociétaux et politiques des différents pays. Le chiffre 3 de la motion du groupe des Verts a donc été refusé à 135 voix contre 55, avec cette fois 2 abstentions. Seuls les groupes des Verts et des socialistes se sont prononcés en faveur de cette mise en œuvre. Le point 4 a connu un score un peu plus serré, avec un refus de 100 voix contre 90 et 2 abstentions. Ce point demandant à la Suisse de s'investir dans le débat sur le système Dublin afin de mettre sur pied un mécanisme qui permette aux réfugiés de ne pas devoir s'en remettre à la migration illégale et dangereuse pour déposer leur demande d'asile a peu été évoqué durant le débat, sans doute pour sa proximité de contenu avec le point 2. Pour ce vote, le groupe PDC s'est défait du bloc bourgeois et a apporté son soutien à l'objet, au contraire des verts libéraux. Les deux derniers chiffres, le 5 et le 6 ont été acceptés avec respectivement 123 voix contre 68, 1 abstention et 122 voix contre 69 et aucune abstention. L'entier du groupe UDC a refusé ces deux objets, ainsi que quelques votants du groupe libéral-radical. Ces deux points réclamaient un soutien, financier ou logistique pour les pays de l'espace Dublin les plus touchés par l'arrivée de migrants, comme la Grèce et l'Italie, mais également sur place en Syrie. Le Conseil fédéral a souligné qu'un tel soutien était déjà réalisé, avec par exemple en mars 2015 un investissement supplémentaire de 50 millions pris sur le budget de l'aide humanitaire suisse, qui vient s'ajouter aux 128 millions déjà engagés depuis le début du conflit en 2011.

tragédie qui frappe les réfugiés en Méditerrannée
Dossier: Dublin-Verordnung

Der Abstimmungssonntag am 18. Mai 2014, wurde nicht nur Höhe-, sondern auch Schlusspunkt eines langwierigen Seilziehens um die Gripen-Beschaffung bzw. den Tiger-Teilersatz. Dieses grosse Rüstungsvorhaben hatte zahlreiche Hürden zu nehmen. Die letzte davon - der Urnengang - wurde 2013 durch den Bundesrat selbst ermöglicht, indem als Finanzierungsgrundlage ein Fondsgesetz vorgeschlagen wurde. Erst dieser Kniff ermöglichte es, die Finanzierung und damit sehr unmittelbar auch die Beschaffung selbst, dem fakultativen Referendum zu unterstellen. Mit der Ablehnung des Gripen-Fondsgesetzes an der Urne wurde die aufsehenerregende Kampfflugzeugbeschaffung erfolglos abgeschlossen.

Dass das Referendum ergriffen würde, war schon früh klar. Noch vor den parlamentarischen Debatten Ende 2013 kündigte die Grüne Partei an, sie werde dieses Geschäft zu verhindern suchen. Zwei Referendumskomitees hatten sich dann bereits vor der letzten Beratung im Ständerat konstituiert, so dass einer Unterschriftensammlung nichts mehr im Wege stand. Links-grün und die Grünliberale Partei stellten sich je individuell an, die nötige Anzahl Unterschriften zu sammeln. Der Erfolg liess nicht lange auf sich warten. Innert zwei Monaten und damit noch 2013, hatte das Komitee um SP und GPS rund 80‘000 Unterschriften beisammen. Damit zeichnete sich rasch ab, dass die Referendumsabstimmung bereits im Frühjahr 2014 abgehalten werden konnte. Entsprechend früh erkannte auch der Verteidigungsminister den Ernst der Lage und noch Ende 2013 stieg er in den Abstimmungskampf. Fortan standen sich bürgerliche Gripen-Befürworter und Gripen-Gegner aus links-grünen Kreisen gegenüber. Neu standen aber erstmals auch bürgerliche Politiker einer Armeevorlage kritisch gegenüber: die GLP hatte sich nicht nur an der Unterschriftensammlung beteiligt, sondern sie stellte sich fortan auch in einem Gegnerkomitee gegen die Beschaffung der Gripen-Jets.

Erster Meilenstein war Mitte Januar 2014 die Einreichung der Unterschriften. Das links-grüne Bündnis um SP, GPS und andere Organisationen konnte rund 100'000 Unterschriften für das Referendum zusammentragen, nur etwa 5'000 davon waren vom grünliberalen Anti-Gripenkomitee beigesteuert worden. Da schon Mitte Mai abgestimmt werden sollte, war die Einreichung der Unterschriften gleichzeitig der Startschuss für den Abstimmungskampf. Sogleich wurde dieser befeuert, als es nicht nur darum ging, ob sich die Herstellerfirma Saab an der Finanzierung der Ja-Kampagne beteiligen soll, sondern ob dies überhaupt zulässig sei. Das Gegnerkomitee meldete sehr rasch seine Ablehnung an. Aber auch Gripen-Befürworter standen einer finanziellen Beteiligung aus Schweden kritisch gegenüber. Thomas Hurter (svp, SH) forderte, dass sich Saab gänzlich aus der Abstimmungskampagne raushalte.

Unangenehme Tage musste der Verteidigungsminister auch im Februar erleben: Nachdem bereits der Prozess zum Typenentscheid durch verschiedene Nebenereignisse und Indiskretionen für negative Schlagzeilen gesorgt hatte, wurden auch im neuen Jahr geheime (und brisante) Informationen publik. So hatte sich Verteidigungsminister Ueli Maurer in mehreren Treffen mit dem Schwedischen Botschafter Per Thöresson ausgetauscht. Dabei soll es nicht nur um gute Kontakte gegangen sein, sondern ganz konkret um ein Engagement Schwedens im Abstimmungskampf. Diese Informationen hatte ein Schwedischer Radiosender veröffentlicht, der drei Berichte des Botschafters an das Aussen- und Verteidigungsministerium Schwedens vorliegen hatte. Der Inhalt war insofern brisant, als dass angeblich Bundesrat Maurer selbst um Unterstützung aus Schweden gebeten haben soll. Zwar solle sich Schweden nicht direkt in den Abstimmungskampf einmischen, jedoch durch verschiedene Anlässe in Schweden und der Schweiz eine positive Stimmung erzeugen. Ein Beispiel wären Journalisten-Besuche in den Saabwerken zu Informationszwecken. Maurer musste sich in der Folge erklären und versuchte den Ball flach zu halten. Dass Gespräche geführt wurden konnte er nicht in Abrede stellen, er wollte jedoch darin keine gemeinsame Kampagnenplanung sehen. Dass er sich als Vorsteher des VBS an vorderster Front für den Gripen stark mache, sei nicht mehr als opportun. Die Ungereimtheiten spielten den Gegnern dennoch in die Hände und den Befürwortern wie auch dem Verteidigungsminister selbst blieb nichts anderes übrig, als gebetsmühlenartig festzuhalten, dass der Gripen die richtige Lösung für die Schweiz sei. Fast täglich wurde in den Zeitungen über den Gripen berichtet.

Die Kampagnenleitung der Befürworter sollte von der CVP übernommen werden, allerdings stellte sie sich nur zögerlich dafür zur Verfügung, denn scheinbar sah sich Parteipräsident Darbellay mit zu wenig finanziellen Mitteln ausgestattet. Dass bis zu CHF 5 Mio. für die Befürworterkampagne aufgewendet werden sollten, liess man seitens des Vereins für eine sichere Schweiz VSS, dem CVP-Nationalrat Jakob Büchler (SG) vorsteht, unkommentiert. Auch diese Informationen stammten aus geheimen Berichten aus Schweden. Beim VSS versuchte man derweil, sich von Schweden zu distanzieren. Das Durchsickern dieser Informationen führte indes dazu, dass sich die CVP zurückzog und nicht mehr als Kampagnenleiterin fungieren wollte. Ausschlaggebend waren unter anderem auch verunglimpfende, persönliche Kommentare des Schwedischen Botschafters gegen CVP-Exponenten. Im Engagement der CVP hätte man sich auf Befürworterseite erhofft, dass Gripen-kritische Wähler in der politischen Mitte abgeholt werden könnten. Daraus wurde nun vorerst nichts. Dass zudem die Sektion der CVP-Frauen im Gegensatz zur Mutterpartei die Nein-Parole fasste, schien für die CVP ebenfalls eine Hypothek darzustellen. Wer die Kampagnenleitung übernehmen sollte, war in der Folge offen. Die CVP wollte die Volkspartei vorschicken, da es schliesslich ein Dossier ihres Magistraten sei. Bei der SVP zeigte man sich jedoch bedeckt und Parteipräsident Brunner (SG) stellte eine Einigung „in einigen Wochen“ in Aussicht, rund drei Monate vor dem Abstimmungstermin, notabene.
Während auf politischer Ebene weiter gestritten wurde, führte Saab eine regelrechte Promotionstour durch die Schweiz durch. Mitte Februar wurde an einem Anlass mit Wirtschaftsvertretern über Kompensationsgeschäfte informiert, daneben sollte der Gripen zu verschiedenen Gelegenheiten vorgeführt, beziehungsweise ausgestellt werden, etwa an Ski-Weltcuprennen oder an der Mustermesse in Basel. Dies wurde den Gripengegnern zu viel und Nationalrätin Chantal Galladé (sp, ZH) tat ihren Unmut öffentlich kund. Dass mitunter Geld fliesse, sei in Abstimmungskämpfen normal, jedoch sei die Omnipräsenz des Gripen-Herstellers Saab störend und eine „Einmischung aus dem Ausland in diesem Masse bedenklich.“ Derweil und schneller als erwartet stellte sich Ende Februar tatsächlich die SVP als neue Koordinatorin der Ja-Kampagne vor. Angesichts des nahenden Abstimmungstermins sah sie sich in der Verantwortung. Man habe keine Zeit mehr zu verlieren und wolle diese Abstimmung gewinnen, so SVP-Präsident Brunner.

Etwas Aufwind erhielt der Gripen durch eine Flugzeugentführung im Raum Genf, als der Schweiz vor Augen geführt wurde, weshalb eine intakte Luftabwehr nötig sein kann. Der Co-Pilot einer Maschine der Ethiopian Airline hatte das eigene Flugzeug nach Genf entführt, um in der Schweiz einen Asylantrag zu stellen – was jedoch erst nach dem Vorfall bekannt wurde. Zuvor irrte die vollbesetzte Passagiermaschine, von zwei Eurofighter-Jets der Italienischen Luftwaffe begleitet, über Italien, ehe sie über dem Montblanc-Massiv von der Französischen Luftwaffe weiterbegleitet wurde und schliesslich in Genf zur Landung gezwungen werden konnte. Dass die Schweizerische Luftwaffe nur zu Bürozeiten operativ ist und nicht eingreifen konnte, sorgte im Ausland für Erstaunen und in der Schweiz einerseits zur Forderung nach einem ausgebauten Luftschirm, andererseits aber auch zu Spott und Häme. Später wurde auch die Krim-Krise in der Ukraine als Argument für eine funktionierende Luftwaffe herangezogen.
Am 25. Februar präsentierte das Ja-Komitee seine Argumente für den Abstimmungskampf. „Sicherheit zuerst!“ sollte als Leitmotiv die Stimmbürgerschaft mobilisieren. Sicherheit sei die Garantie für Frieden, Freiheit und Wohlstand, so Jakob Büchler (cvp, SG). Ab März und damit rund zwei Monate vor dem Urnengang sorgte ein allfälliger „Plan B“ für Irritation. Aus verschiedenen Kreisen wurde kolportiert, Bundesrat Maurer arbeite für den Fall eines Volks-Neins an einer alternativen Gripen-Beschaffung: er wolle Gripen-Jets mieten, leasen oder über das ordentliche Armeebudget – und damit ohne Mitsprache der Stimmbevölkerung – beschaffen. Trotz Dementi Maurers selbst, seines Sekretariats und auch der armasuisse, hielt sich das Gerücht über einen allfälligen „Plan B“ hartnäckig in den Medien.
Ebenfalls Mitte März lancierte das Gegnerkomitee seinen Abstimmungskampf und setzte vor allem auf die Kostenfrage. Man wollte die Gripen-Beschaffung nicht zu einer Armee-Grundsatzfrage machen und auch nicht sicherheitspolitische Argumente ins Feld führen, da man sich daraus eher weniger Chancen versprach. Vielmehr erhoffte man sich mit dem Slogan „Kampfjetmilliarden gegen Bildung, Verkehr oder AHV“ einen Erfolg an der Urne. In der Zwischenzeit wurde der Tonfall im Abstimmungskampf gehässiger. SVP-Patron Christoph Blocher hinterfragte die Finanzierung der Gegnerkampagne, indem er den Verdacht äusserte, dass möglicherweise die beim Typenentscheid unterlegenen Rüstungskonzerne (EADS und Dassault) Geld gegen den Gripen einschiessen würden – dies, um bei einer Neu-Evaluation zum Zug kommen zu können. Aus dem bürgerlichen Nein-Komitee wurde jedoch postwendend klargestellt, man habe weder Kontakt mit anderen Rüstungsgesellschaften, noch Geld erhalten, so etwa Beat Flach (glp, AG). Gar als absurd betitelte Chantal Galladé (sp, ZH) die Vorwürfe.
Kurz darauf bemühte sich der Sonntags Blick um einen ersten Trend in der Gripen-Frage und stellte eine Ablehnung von über 60 Prozent fest. Trotz dieser erstmaligen Stimmungsaufnahme zeigte sich der Verteidigungsminister gegenüber der Presse betont gelassen und zuversichtlich. Dennoch legte er einen regelrechten Redemarathon hin und trat von April bis zur Abstimmung im Mai an über 20 Veranstaltungen für den Gripen auf.

Das bürgerliche Nein-Komitee wurde ab Anfang April aktiv. Man stehe für eine starke Armee ein, sei jedoch gegen den Gripen, weil Geld und ein Konzept fehle - Argumente, die bereits in den Parlamentsdebatten von Roland Fischer (glp, LU) vorgebracht worden waren. In diesem Nein-Komitee waren auch die CVP-Frauen vertreten.
Über Alternativen zur Gripen-Beschaffung, also wiederum über einen „Plan B“, wurde weiter berichtet, als sich im April auch der ehemalige Jetpilot und Nationalrat Thomas Hurter (svp, SH), seines Zeichens Präsident der SiK-NR, über solche Pläne äusserte. Es brauche einen „Plan B“ für den Fall, dass der Gripen an der Urne scheitern sollte. Seine Vorstellung war die Beschaffung von zwölf Fliegern alle 15 Jahre. Eine Forderung, die sogar von Parteikollegen kritisiert wurde. Hans Fehr (svp, ZH) gab etwa zu bedenken, dass es ungeschickt sei, bereits vor der Abstimmung laut über Alternativen nachzudenken. Alex Kuprecht (svp, SZ) bezeichnete die Aussage gar als „absoluten Blödsinn“. Hurter rechtfertigte seine Idee mit dem Umstand, dass beim Urnengang nicht für oder gegen neue Flieger, sondern nur für oder gegen die Art der Finanzierung abgestimmt werde. Mit einer Alternativbeschaffung würde der Volkswillen – von der SVP gemeinhin hochgehalten – also nicht umgangen. Ein erneuter Evaluationsprozess für einen neuen Flugzeugtyp würde zudem viel zu lange dauern. Deswegen müsse man sich für den Ersatz der Tiger-Flotte bereits zu diesem Zeitpunkt und auch unter Berücksichtigung eines möglichen Volks-Neins Gedanken machen.
Auch über weitere Alternativen zur Luftraumüberwachung wurde diskutiert, etwa über den Kauf gebrauchter F/A 18 Jets der neueren Generation, die Beschaffung von Kampf-Helikoptern, einen Ausbau der Boden-Luft-Fliegerabwehr (die ohnehin konkretisiert werden sollte) oder über die Aufrüstung der alten Tiger Flotte. Anfang Juni wurde bekannt, dass das VBS beabsichtige, israelische Drohnen beschaffen zu wollen. Immer mehr wurde auch die Frage debattiert, wie die budgetierten Mittel verwendet werden sollen, falls der Gripen an der Urne abgelehnt würde. Für Sicherheitspolitiker war klar, dass dieses Geld der Armee gehöre, weil es über das ordentliche Armeebudget hätte aufgebracht werden müssen. Linke Politiker hingegen sahen eine Chance, neu über die Verteilung der ca. CHF 3 Mia. zu beraten. Ihrer Vorstellung nach sollte das Geld zu Gunsten der Bildung, zur Sicherung der sozialen Sicherheit, des öffentlichen Verkehrs, oder auch zu Gunsten der Entwicklungshilfe, die richtig eingesetzt friedensfördernd wirke, eingesetzt werden. Dieser Punkt blieb freilich vorerst offen.
Als sehr unsicher musste der Erfolg der Gripen-Beschaffung ab Mitte April betrachtet werden: Nachdem die oben genannte Sonntags Blick-Umfrage noch nicht zu Unruhe bewogen hatte, tat dies die erste SRG-Trendumfrage des gfs.bern. Nur 42 Prozent der Befragten sprachen sich darin für den Gripenkauf aus, ein Ergebnis, das sich fast mit der ersten Umfrage deckte. Freilich gaben die Demografen zu bedenken, dass die Unterschiede zwischen den Ja- und Nein-Anteilen zu gering seien, um sich bereits festlegen zu können. Noch am selben Tag liess sich Bundesrat Maurer zitieren, er glaube, dass sich die Stimmbevölkerung der sicherheitspolitischen Tragweite der Gripen-Vorlage bewusst sei. Weiterhin gab sich der Verteidigungsminister kämpferisch. Sein Engagement für den Gripen gipfelte jedoch zwischenzeitlich in einem Fiasko, als Maurer in der Sendung „Rundschau“ des SRF zu einem Rundumschlag ausholte und kurz sogar die Contenance verlor. Er enervierte sich derart über die Berichterstattung zum Gripen-Kauf, dass er sich mit dem Moderator einen verbalen Schlagabtausch lieferte. Die als einseitig kritisierte Sendung löste eine Rekordzahl an Beschwerden bei der Ombudsstelle der SRG aus, die allerdings Ende Mai sämtlich abgewiesen wurden, da das Sachgerechtigkeitsgebot nicht verletzt worden sei und das Publikum durchaus in der Lage gewesen sei, sich eine eigene Meinung zum fraglichen Rundschau-Beitrag zu bilden. Dennoch wurde auch die Sendung selbst kritisiert. So habe der ausgestrahlte Bericht „die hohen Anforderungen an die Ausgewogenheit, welche im Vorfeld einer Volksabstimmung verlangt werden, nicht erfüllt.“ Zudem wurde festgehalten, dass einige der gestellten Fragen „manchmal unnötig provokativ waren“.
Später und mit zunehmender Nähe zum Abstimmungstermin setzte der Verteidigungsminister im Lichte des ungewissen Abstimmungsausgangs auf warnende Worte und beschwor die Angst vor einem ungeschützten Luftraum, ja er bediente sich gar erpresserischer Formulierungen. „Wenn man jetzt nicht Flieger bestellt, steht man zehn Jahre später ohne Luftwaffe da“, mahnte Maurer. Dass die „F/A 18 im Krisenfall nicht genügen“, doppelte auch Divisionär Bernhard Müller, stellvertretender Kommandant der Luftwaffe, nach. Doch die Stimmbevölkerung zeigte sich in der zweiten Welle der SRG Trendumfrage unbeeindruckt. Knapp zehn Tage vor der Abstimmung schien der Gripen noch immer nicht abzuheben: mit 44 Prozent Zustimmung war nach wie vor nur eine Minderheit der Befragten für die Kampfjetbeschaffung. Zudem zeichnete sich ab, dass tatsächlich die Kostenfrage entscheidendes Argument werden dürfte. Trotz der gemäss gfs.bern bereits weit fortgeschrittenen Meinungsbildung machten sich beide Lager zu einer Schlussoffensive auf. Die vier Parteipräsidenten Martin Landolt (bdp, GL), Christophe Darbellay (cvp, VS), Philipp Müller (fdp, AG) und Toni Brunner (svp, SG) – diese Parteien hatten die Ja-Parole ausgegeben – versammelten sich in der Folge in Bern zu einer Medienorientierung, um nochmals ihre besten Argumente vorzutragen. Der hochkarätig besetzte Anlass wurde kurzfristig anberaumt und zeigte die Nervosität der Parteispitzen offensichtlich. Vor dem Bundeshaus gingen sie gemeinsam symbolisch auf einer Hebebühne „in die Luft“. Ein unglücklicher Entscheid, wie sich später herausstellen sollte. Ihre von den Stadtberner Behörden nicht bewilligte Aktion führte nämlich zu einer Anzeige.

Einziger Lichtblick für die Befürworter war die Erfahrung, dass das Stimmvolk kaum je eine Armeevorlage versenkt hatte. Doch auch dieser wurde am Abstimmungstag zerschlagen. 53,4 Prozent der Stimmenden (Stimmbeteiligung: 55,5 Prozent) lehnten das Gripen-Fondsgesetz an der Urne ab, ein Erfolg für die linken Parteien, die zusammen mit der GLP die Nein-Parole beschlossen hatten und eine herbe Niederlage für Verteidigungsminister Maurer, der sich über Jahre für neue Kampfjets eingesetzt hatte. Er hielt fest, dass es ein Votum gegen den Gripen sei, nicht gegen die Armee und wiederholte, dass nun kein „Plan B“ aus der Schublade gezogen werde. Zunächst sei das Resultat zu analysieren, erst dann wollte der Verteidigungsminister über neue Varianten sprechen. Er gab jedoch auch zu bedenken, dass die Diskussion über neue Kampfflieger bald wieder beginnen müsse, zumal auch die F/A 18 Flieger irgendwann ersetzt werden müssten. Die Linken sahen sich dagegen in ihren Bemühungen gegen das teure Rüstungsgeschäft bestätigt und auch aus dem bürgerlichen Gegnerlager hörte man erleichterte Stimmen. Das Resultat zeige, dass auch viele liberale und bürgerliche Wählerinnen und Wähler den Gripen-Kauf ablehnten, so Roland Fischer (glp, LU). In seinen Augen hätten sich die zwei Gegnerkomitees gelohnt. Aus der SVP wurde hingegen konsterniert verkündet, dass man „jetzt erst recht in die Landesverteidigung investieren müsse“.
Im Nachgang an die Volksabstimmung beherrschten die Fragen um die Zukunft der Armee und der Luftwaffe den politischen Diskurs, jedoch auch und wiederholt die Frage, was mit den frei gewordenen „Gripen Milliarden“ nun geschehen soll. Ernüchtert musste auch der Wirtschaftsstandort Schweiz den Volksentscheid hinnehmen. Rund 500 Verträge mit 125 Unternehmen und einem Volumen von rund CHF 400 Mio. hatte Saab im Vorfeld der Abstimmung mit Schweizer Unternehmen unterzeichnet – Anlagen, die nun ungewiss waren. Der Rüstungskonzern Ruag befürchtete, rund 200 Stellen streichen zu müssen, unter anderem von Mitarbeitern, die bereits seit langem auch an Gripen-Konfigurationen arbeiteten.


Abstimmung vom 18. Mai 2014

Beteiligung: 56,33%
Ja: 1 345 726 (46,6%)
Nein: 1 542 761 (53,4%)

Parolen:
– Ja: SVP, CVP(3*), FDP, BDP, GLP; Economiesuisse, SGV, SOG, AUNS, Swissmem.
– Nein: SP, GPS, GLP (1*); SGB, VPOD, GSoA.
* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Das Gripen-Nein veranlasste Bundesrat Maurer schliesslich auch dazu, die Weiterentwicklung der Armee (WEA) zu vertagen und die Botschaft erst im Herbst zu verabschieden. Das Reformprojekt wurde dadurch um mindestens drei Monate verzögert. Mit der dadurch gewonnenen Zeit sollen, unter anderem, finanzielle Fragen neu abgesteckt werden, die durch die abgelehnte Jet-Beschaffung aufkamen. Entscheidend war dabei, ob das Armeebudget revidiert werden musste – ein zentrales Element der WEA.
Die allfällige Geld-Neuverteilung selbst wurde vom Verteidigungsminister ausgeschlagen; er wollte die für den Jet-Kauf eingeplanten Mittel für andere Rüstungsgeschäfte einsetzen und mit CHF 790 Mio. weniger als die Hälfte der Bundeskasse zurückgeben. Dies führte zu Unstimmigkeiten innerhalb der Landesregierung, da Finanzministerin Widmer-Schlumpf in einem Mitbericht bereits Widerstand gegen dieses Ansinnen angekündigt hatte. Seitens der SP wurde eine ganz neue Ausrichtung der Armee gefordert und die Gripen-Ablehnung als Chance dafür betrachtet. Die Rückgabe der CHF 790 Mio. wurde indes von bürgerlichen Politikern nicht goutiert. Ihrer Meinung nach „gehörte“ das Geld der Armee, gleich wie es eingesetzt werden sollte. Es gebe „unzählige Möglichkeiten, dieses Geld zu verwenden“, so Jakob Büchler (cvp, SG), der das Thema in der SiK-NR nochmals durchdiskutiert wissen wollte. Im selben Zeitraum gab der Rüstungschef Ulrich Appenzeller seinen Rücktritt bekannt, womit Ueli Maurer noch ein personelles Problem zu lösen hatte. Appenzeller gab seinen Posten wegen „unterschiedlicher Auffassungen über die Ausrichtung der Armasuisse und die Rolle des Rüstungschefs“ auf.

In der Analyse der Abstimmung (Vox) wurden die ausschlaggebenden Argumente für die Ablehnung des Gripen ermittelt. Vor allem die Gruppe der jüngeren Stimmenden und Frauen sowie zahlreiche Mitte-Wählende und FDP-Anhänger waren gegen den Flugzeug-Kauf. Ein Drittel der Befragten kritisierte die hohen Kosten dieses Rüstungsgeschäfts und rund zehn Prozent gaben an, der Gripen sei nicht das richtige Flugzeug für die Schweiz. Nochmals zehn Prozent sprachen sich dafür aus, dass erst die Rolle der Ausgestaltung der Armee geklärt werden müsse, bevor ein solches Rüstungsvorhaben umgesetzt werden könne. Ebenfalls knapp zehn Prozent lehnten den Gripen wegen einer grundsätzlich ablehnenden Haltung zur Armee ab. Im unterlegenen Ja-Lager wurden überwiegend sicherheitspolitische Argumente für den Stimmentscheid vorgebracht. Die Politologen der Universität Zürich hielten zudem fest, dass im Vergleich zu anderen Abstimmungen auffällig häufig die Kampagne und die Informationspolitik der Gripen-Befürworter als Grund für ein Nein genannt wurden. So seien auch das langwierige Auswahlverfahren, wie auch die zahlreichen Ungereimtheiten und Indiskretionen über die gesamte Dauer aller Verfahren hinweg ausschlaggebend für das Nein gewesen.

Beschaffung des Kampfflugzeuges Gripen (BRG 12.085)
Dossier: Armee-Rüstungsprogramme
Dossier: Gripen-Beschaffung
Dossier: Beschaffung neuer Kampfflugzeuge
Dossier: Teilersatz der Tiger F-5 Kampfflugzeuge und Beschaffung des Gripen

Mit der Wahl von Antonio Hodgers in den Genfer Staatsrat musste das Amt des Bundeshausfraktionspräsidenten neu besetzt werden. Drei der 15 National- und zwei Ständeräte kündigten eine Kandidatur für den Posten an: die 2013 amtierende Nationalratspräsidentin Maya Graf (BL), der seit 2011 im Nationalrat sitzende Balthasar Glättli (ZH) sowie Nationalrat Daniel Vischer (ZH), der von 1999 bis 2003 bereits die grüne Fraktion im Zürcher Kantonsrat präsidiert hatte. Die Fraktion entschied sich Ende November für Glättli, der sich vor allem hinsichtlich Netzpolitik, Datenschutz und Persönlichkeitsrechten einen Namen gemacht hat.

Wahl des neuen Bundeshausfraktionspräsidenten der Grünen

Die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge im Rahmen des Projektes Tiger-Teilersatz war auch im Berichtsjahr wieder vorherrschendes Thema in der Verteidigungspolitik. Angesichts der aufzuwendenden CHF 3,126 Mia. war dieses Rüstungsgeschäft auch eines der grossen Traktanden der gesamten Bundespolitik des Berichtjahrs. Nachdem 2011 der Typenentscheid gefällt wurde und sich der Bundesrat nach einer langwierigen und nicht reibungslos verlaufenen Evaluation für den schwedischen Gripen entschieden hatte, galt es 2012 diesen Entscheid zu verteidigen, die Beschaffung voranzutreiben sowie die wichtigsten Eckpunkte zu sichern. Nicht nur der Beschaffungskredit von über drei Milliarden Franken musste geplant werden, sondern auch der Rückhalt im Parlament gewonnen und die Zusammenarbeit mit dem Lieferanten Saab und dem Schwedischen Staat koordiniert, respektive mit dem Kauf einher gehende Kompensationsgeschäfte vereinbart. Dass dies keine einfache Aufgabe für Verteidigungsminister Maurer war, zeigte nicht nur der Verlauf der Geschichte dieses Vorhabens, sondern legten auch die Erfahrungen früherer Kampfjetbeschaffungen nahe, welche aus diversen Gründen jeweils für viel Unmut auf allen Ebenen sorgten. Bis ins Spätjahr hinein sorgte eine intensiv geführte, durchaus kritische mediale Kampagne für Kontroversen. Dabei wurde immer wieder in Frage gestellt, ob der Gripen überhaupt das richtige Flugzeug sei. Mit denkbar schlechten Voraussetzungen musste der Verteidigungsminister im Berichtsjahr die Gripen-Beschaffung im Parlament vertreten. Diese war mit der bundesrätlichen Botschaft zum Rüstungsprogramm 2012 Mitte November 2012 den eidgenössischen Räten beantragt worden. Für die Beschaffung von 22 Kampfflugzeugen des Typs Gripen E war ein Verpflichtungskredit von besagten rund CHF 3 Mia. zu beschliessen. Ein referendumfähiges Gripen-Fondsgesetz sollte die Finanzierung legitimieren und sicherstellen.

Bevor das Rüstungsgeschäft im Parlament besprochen wurde, waren einige Nebenschauplätze in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Im Januar wurde bekannt, dass einer der an der Typenevaluation beteiligten Flugversuchsingenieure seine Arbeitsstelle nach über 30 Jahren bei der Luftwaffe verlassen musste. Durch eine Amtsgeheimnisverletzung fand ein vertrauliches Protokoll der Gripen-Subkommission den Weg an die Öffentlichkeit. Darin festgehaltene, kritische Äusserungen des Ingenieurs über den Gripen gaben den Ausschlag zu seiner Entlassung. Nachdem bekannt wurde, dass bereits 2012 ein weiterer Flugversuchsingenieur seinen Posten räumen musste, wurde von einer Art „Säuberungsaktion unter Gripen-Kritikern“ berichtet. Eine den Betroffenen auferlegte Schweigepflicht zur Sache war ein gefundenes Fressen für die Medien. Beim VBS erbetene Stellungnahmen blieben jedoch vorerst ebenfalls aus, womit die Angelegenheit einen weiteren Knick in der Gripen-Story darstellte. Bevor diese Indiskretionen aufgeklärt werden konnten, wie von SiK-Präsidentin Galladé (sp, ZH) und Subkommissionspräsident Hurter (svp, SH) gefordert, waren die Ingenieure quasi Bauernopfer in einer nunmehr unwürdigen „Indiskretionenflut“. Später wurde bekannt, dass es zwischen dem Gripen-Projektleiter bei armasuisse und dem Flugwaffen-Experten zum Zwist kam, worauf anscheinend auch von Seiten Saab eine personelle Veränderung verlangt wurde.

Gleichzeitig erreichten positive Signale aus Schweden die Schweiz: Schwedens Regierung gab der Militärleitung den Auftrag, 60 Jets des Typs Gripen E bei Saab zu bestellen. Diese Beschaffung wurde jedoch an die Bedingung geknüpft, dass mindestens ein Partner mitmache. Falls die Schweiz, oder ein anderes Land, nicht folgt und bis Ende 2014 ebenfalls mindestens 20 Jets ebendiesen Typs bestellt, kann die Regierung von einer Ausstiegsklausel Gebrauch machen und die Bestellung stornieren. Schwedens Vertrauen in den (eigenen) Jet gab der Debatte in der Schweiz zwar Aufwind, aber noch schienen zu viele Vertragsklauseln zu unsicher: Das VBS sollte sich im Auftrag des Parlaments gegen Nichterfüllen der Verträge absichern. Schweden solle mit der Herstellerfirma Saab einen Vertrag über 82 Jets abschliessen, die Schweiz ihrerseits einen mit Schwedens Regierung über den Kauf von 22 dieser Jets. So machte etwa die FDP ihre Zustimmung im Parlament davon abhängig, dass Strafzahlungen fällig werden sollen, wenn Saab einzelne Leistungen nicht erbringe.

Noch bevor die Vorlage im Parlament besprochen wurde, formierte sich Mitte Februar ein linkes Anti-Gripen-Bündnis, welches sich für den Referendumskampf vorbereiten wollte. Die Grüne Partei, mit alt Nationalrat Jo Lang (gp, ZG) als prominentem Jet-Gegner, die SP, JUSO, Junge Grüne, die GSoA und andere Organisationen schlossen sich der Allianz an. Das Zeichen war deutlich: bei einer Annahme im Parlament sollte das Referendum ergriffen werden.

Als Erstrat hatte sich Anfang März der Ständerat mit dem Geschäft zur Beschaffung auseinanderzusetzen. Die Mehrheit der sicherheitspolitischen Kommission (SiK) sprach sich (mit neun zu vier Stimmen) für Eintreten auf die Vorlage aus. Aus der Finanzkommission kamen ebenfalls positive Signale: diese hatte der Finanzierung mit sieben zu zwei Stimmen grünes Licht gegeben. Es gab aber auch den erwarteten Widerstand: Eine Minderheit Zanetti (sp, SO) beantragte Nichteintreten mit der Begründung, die ganze Beschaffung sei zu unsicher. Zudem stellte sie die Notwendigkeit neuer Flugzeuge grundsätzlich in Frage und schlug vor, die Schweiz solle sich am Luftraumüberwachungsprogramm der NATO beteiligen. Ein weiterer Antrag Recordon (gp, VD) verlangte Rückweisung an die Kommission mit der Aufgabe, den Erwerbsvertrag genauer zu prüfen. Die Eintretensdebatte war von Bekenntnissen zu Armee und Sicherheit geprägt, jedoch auch seitens bürgerlicher Politiker mit kritischen Voten versehen. Die finanziellen Risiken seien zu gross, so beispielsweise Ständerat Jenny (svp, GL). Der Flugzeugbeschaffung gegenüber kritisch eingestellte, bürgerliche Räte sahen im grossen finanziellen Aufwand zu grosse Einschnitte ins ordentliche Armeebudget, welches in den nächsten zehn Jahren zusätzlich den vom Bundesrat vorgesehenen Gripen-Fonds speisen müsse. Sämtliche Gegenanträge hatten schliesslich in den Eintretensabstimmungen keine Chance: Der Nichteintretensantrag scheiterte zwar mit 22 zu 20 Stimmen nur knapp, der Rückweisungsantrag etwas deutlicher mit 25 zu elf Stimmen. Der Bundesbeschluss wurde im Ständerat damit grundsätzlich gutgeheissen, scheiterte aber am fehlenden qualifizierten Mehr zur Lösung der Ausgabenbremse. Die SiK beantragte überdies einen zusätzlichen Artikel, wonach der Bundesrat den SiK beider Räte jährlich einen Bericht über den Stand der Beschaffung unterbreiten muss. Damit schuf der Ständerat einen neuen, vom Bundesratsentwurf abweichenden Passus. Mit 22 zu 20 Stimmen in der Gesamtabstimmung überwies der Ständerat das Geschäft an den Nationalrat. Die FDP Fraktion hatte sich schliesslich zu einem Ja durchringen können, nachdem früher monierte Verbesserungen in den Verträgen angebracht worden waren. Das gleichzeitig traktandierte Gripen-Fondsgesetz war ebenfalls von einem Rückweisungsantrag Recordon (gp, VD) betroffen, welcher jedoch deutlich abgelehnt wurde. In der Schlussabstimmung nahm der Ständerat das Gesetz mit 23 zu 15 Stimmen deutlich an. Dass die Vorlage am qualifizierten Mehr vorerst gescheitert war, wurde in den medialen Berichterstattungen als eigentliche „Ohrfeige“ betitelt. Das daraus resultierende mindestens vorübergehende Nein wurde auch als Quittung für mangelhafte Kommunikation seitens des VBS bezeichnet, jedoch auch als Zeichen gegen eine unentschlossene Regierung, welche noch 2010 im Armeebericht von einer Kampfjetbeschaffung absehen wollte. Konsterniert konstatierte der Verteidigungsminister denn auch, dass das Geschäft ins Wanken gerate.

In der Folge wurde der Entscheid der sicherheitspolitischen Kommission (SiK) des Nationalrates mit Spannung erwartet. Nach dem Votum im Ständerat und im Wissen um die kritische Haltung des Meinungsführers und Gripen-Subkommissionspräsidenten Thomas Hurter (svp, SH), war nicht klar, wie andere bürgerliche Kommissionsangehörige stimmen würden. Bundesrat Maurer trug zudem mit brisanten Aussagen weiter zur Unruhe bei: In einer Rede bei der Schweizerischen Offiziersgesellschaft sprach der Verteidigungsminister unter anderem von der Beschaffung unbemannter Flugkörper (Drohnen), welche just in der Auslieferungsphase der ersten Gripen-Jets beantragt werden sollen. In ihrer Sitzung Anfang April beschloss die SiK dann allerdings, erst im August zu entscheiden und bis dahin zusätzliche Forderungen zu stellen – was gleichzeitig eine zeitliche Verzögerung von mehreren Monaten bedeutete. Die grösste Baustelle orteten die Sicherheitspolitiker in den Zahlungsmodalitäten: Über einen Rückbehalt eines Teils der Zahlungen an Schweden solle sich die Schweiz absichern. Zusätzlich sollen als Grundbedingung nicht mehr als 15 Prozent des Gesamtkaufpreises als Anzahlung nach Schweden überwiesen werden. Als zweite Massnahme soll das VBS bei jeder fällig werdenden Teilzahlung für die Kampfflieger jeweils acht Prozent zurückbehalten. Die Hälfte dieser acht Prozent erhält Schweden bei korrekter Auslieferung einer Tranche, den Restbetrag beim erfolgreichen Abschluss des ganzen Geschäfts. Die zurückbehaltenen Gelder sollen als Druckmittel dienen, falls die Herstellerfirma Saab die vereinbarten Anforderungen nicht erfülle oder die Jets zu spät ausliefere. Die Forderungen zwangen das Verteidigungsdepartement zu Nachverhandlungen – und wurden von SVP Politikern als „Misstrauensvotum gegen Schweden“ kritisiert. Trotz Verzögerungen innerhalb des Berichtsjahres änderte sich die Agenda aber nicht grundsätzlich. Statt in der Sommersession hatte sich der Nationalrat erst im Herbst mit dem Geschäft auseinanderzusetzen, eine allfällige Referendumsabstimmung würde jedoch gleichwohl 2014 stattfinden können.

Vor der wegweisenden zweiten Sitzung der SiK im August wurde bekannt, dass das VBS die gewünschten Forderungen nicht hatte aushandeln können. Statt der verlangten Verringerung der Akontozahlungen an Schweden auf 15 Prozent, pochte der Vertragspartner auf 40 Prozent oder rund CHF 1 Mia. Da Schweden jedoch ursprünglich rund zwei Drittel des Kaufpreises als Akontozahlung forderte, konnte die Einigung auf den genannten Betrag als Kompromiss betrachtet werden. In anderen Belangen wie der Regelung einer Konventionalstrafe wurden jedoch Fortschritte gemacht. Ende August wurden in einer SiK-Sitzung die aufgeschobenen Traktanden zur Gripen-Beschaffung nachgeholt. Dass im VBS weiter verhandelt worden war, hatte sich gelohnt: die Sicherheitspolitiker konnten sich zu einem Ja zum Gripen durchringen, wenn auch gegen die geschlossene Linke innerhalb der Kommission. Damit erhielt das Geschäft einen positiven Schub für die anstehende Debatte in der Volkskammer.

Der Nationalrat beschäftigte sich in der Herbstsession mit dem Geschäft. Die SiK beantragte dem Plenum mit 14 zu neun Stimmen, auf die Vorlage einzutreten und ihr zuzustimmen. Die Finanzkommission des Nationalrates hatte die Vorlage bereits im Frühjahr gutgeheissen. Dennoch stand das Geschäft wie in der kleinen Kammer von Beginn weg im Gegenwind. Ein Nichteintretensantrag und zwei Rückweisungsanträge standen im Raum. Eine Minderheit Allemann (sp, BE) fasste unter dem Begriff „Geldverschwendung“ ihren Unmut über diese Beschaffung zusammen. Drei Argumente wurden vorgebracht: Erstens sprach sie dem Geschäft jegliche Berechtigung ab. Es sei unnötig Jets zu beschaffen, wenn man von Freunden umzingelt sei. Zweitens sei der Gripen nicht der richtige Typ, weil er im Luftpolizeidienst – seiner designierten Hauptaufgabe – schlechte Testresultate generiert habe. Als drittes und mit Verweis auf die Mirageaffäre wurde vorgebracht, dass das Risiko zu hoch sei, einen noch nicht fertigentwickelten „Papierflieger“ einzukaufen. Auch von bürgerlichen Politikern wurde Widerstand geleistet. Eine Minderheit Walter Müller (fdp, SG) sorgte sich um finanzielle Risiken. Mit einer Anzahlung über CHF 1 Mia. an Schweden bis zum Jahr 2016 begebe sich die Schweiz zu stark in eine Abhängigkeit von den Vertragspartnern. Gleichzeitig wurde die Leistungsfähigkeit des Saab-Fliegers angezweifelt. Im Rückweisungsantrag wurde verlangt, die anderen Angebote der Hersteller EADS und Dassault ebenfalls einer Nachevaluation zu unterziehen. Saab hatte zur Verbesserung des Jets in einzelnen Punkten nachbessern können. Der zweite Rückweisungsantrag Fischer (glp, LU) basierte auf der Idee einer generellen Sistierung von Kampfjetbeschaffungen. Es solle in der gewonnenen Zeit im Rahmen der Weiterentwicklung der Armee (WEA) eine grundsätzliche Standortbestimmung und ein Gesamtkonzept für den Einsatz der Luftwaffe erarbeitet werden, welches Basis für zukünftige Beschaffungen sein soll. Die Antragsteller forderten insbesondere, dass diese Beschaffung besser mit anderen wegweisenden und strategischen Geschäften (WEA, Rüstungsprogrammen) koordiniert wird. Die erwarteten Links-Rechts-Gegensätze zeigten sich bereits in der Eintretensdebatte. Sämtliche Gegenanträge wurden vom geschlossen abstimmenden bürgerlichen Block mit komfortabler Mehrheit abgewiesen. Die folgende Detailberatung war lediglich durch eine kleine Änderung einer Minderheit Allemann (sp, BE) geprägt. Diese wollte auf technische Vorkehrungen für die Luft-Boden-Kampffähigkeit zum Zeitpunkt der Beschaffung noch verzichten und dadurch rund CHF 70 Mio. einsparen. Das zentrale Argument war jedoch nicht diese Einsparung sondern sicherheitspolitische Bedenken, welche mit Einsätzen von solchen Waffen einhergehen. Die Schweiz hat seit 1994 und der Ausmusterung der Hunter-Flotte keine solchen Waffen mehr an den Kampfflugzeugen. Dieser Antrag blieb jedoch im Plenum chancenlos und der Vorlage wurde mit 113 zu 68 Stimmen zugestimmt. Die Ausgabenbremse wurde mit ähnlichem Stimmverhältnis ebenfalls gelöst.
Das Gripen-Fondsgesetz wurde mit zwei Änderungsanträgen bekämpft. Eine Minderheit Roland Fischer (glp, LU) wollte die Fondseinlagen auf höchstens CHF 3,126 Mia. begrenzen. Eine Minderheit II Flach (gp, AG) wollte Kreditverschiebungen verhindern. Die Einlagen sollten ausschliesslich für die Flugzeugbeschaffung verwendet werden und nicht via Globalbudget für Armeeimmobilien aufgewendet werden können. Der Vorschlag Fischer wurde auf Antrag der SiK und mit Unterstützung des Verteidigungsministers deutlich abgelehnt, mit der Begründung er sei unnötig, da der zu genehmigende Betrag festgeschrieben und zudem an dieses Rüstungsgeschäft gebunden sei. Der Antrag der Minderheit Flach wurde ebenfalls abgelehnt. Die Vorlage wurde in der Gesamtabstimmung mit 118 zu 67 Stimmen angenommen.

Die im Herbst im Ständerat behandelte Differenzbereinigung betraf lediglich die Ausgabenbremse, welche noch im Frühjahr am nötigen Quorum gescheitert war. Ohne viele Wortmeldungen, jedoch nach einem Vortrag von Bundesrat Maurer, in dem er noch offene Punkte zu klären versuchte, wurde das Geschäft auch im Ständerat abgeschlossen und mit 27 gegen 17 Stimmen wurde auch die Ausgabenbremse gelöst. Das Bundesgesetz über den Fonds zur Beschaffung des Kampfflugzeugs Gripen wurde in den Schlussabstimmungen mit 25 zu 17 Stimmen im Ständerat und mit 117 zu 71 Stimmen im Nationalrat angenommen. Damit nahm die Kampfjetbeschaffung zur Umsetzung des Tiger-Teilersatzes die Hürde Parlament.

Durch die Finanzierungslösung über das Gripen-Fondsgesetz, stand die Flugzeugbeschaffung unter Vorbehalt eines fakultativen Referendums. Bereits vor den Debatten um Preis und Flugzeugtyp hatte die Grüne Partei verlauten lassen, sie werde gegen den Kauf neuer Flugzeuge das Referendum ergreifen. Noch vor der Schlussdebatte im Ständerat hatten sich zwei Komitees gegen den Gripen gebildet. Ein linkes um SP und GP sowie ein bürgerliches Komitee, welches vorwiegend aus GLP-Politikern zusammengesetzt war. Dies stellte ein Novum dar: In Armeefragen hatte sich noch nie eine bürgerliche Partei gegen ein Armeegeschäft gestellt. Die Referendumsfrist lief ab Anfang Oktober bis zum 16. Januar 2014. Lange brauchten die Gripen-Gegner allerdings nicht: Nach knapp zwei Monaten und rund sechs Wochen vor Ablauf der Referendumsfrist hatte das linke Komitee 80'000 Unterschriften beisammen. Damit zeichnete sich ab, dass eine Abstimmung bereits im Mai 2014 erfolgen dürfte. Dass das bürgerliche GLP-Komitee kaum 10'000 Unterschriften zu sammeln vermochte und die eigene Sammelaktion abgebrochen hatte, schmälerte dessen Wille, gegen den Gripen zu agieren nicht. Fortan bestritten die beiden Komitees einen je eigenen Abstimmungskampf gegen den Gripen. Kurz vor Jahreswechsel lancierte der Verteidigungsminister den Abstimmungskampf für den Gripen. Mit der Metapher eines Chalets mit löchrigem Dach warnte Maurer fortan vor einer mangelhaft ausgerüsteten Luftwaffe nach Ausserdienststellung der Tiger F-5 Jets. Die Gripen-Beschaffung sei essentiell für die Sicherheit der Schweiz. Bemerkenswert am teuren Rüstungsgeschäft war dass die Armeeführung und allen voran Bundesrat Ueli Maurer trotz allen Unstimmigkeiten während der Typenevaluation, trotz Indiskretionen, trotz Gegenangeboten der unterlegenen Jet-Hersteller Dassault und EADS und ungeachtet jeglicher Kritik am favorisierten Typen auf den schwedischen Gripen beharrte. Weder eine Neuevaluation noch eine Prüfung von Alternativen waren jemals in Betracht gezogen worden. Das Stimmvolk wird 2014 das letzte Wort haben. Im Verlauf der parlamentarischen Debatte wurden neben mehreren Interpellationen und Anfragen zwei Motionen behandelt, die im Nationalrat allerdings keine Chance hatten: Eine Motion Kaufmann (svp, ZH) (Mo. 12.3278) aus dem Jahr 2012 wollte die neuen Kampfflugzeuge mit einer Militärpflicht-Ersatzabgabe für Ausländer finanzieren. Mit einer Motion Allemann (sp, BE) (Mo. 11.4021) sollte bereits seit 2011 und hinsichtlich einer Anschaffung von neuen Jets der Fluglärm auf dem Flugplatz Meiringen (BE) eingedämmt werden. Beide Vorstösse wurden jeweils recht deutlich abgelehnt.

Beschaffung des Kampfflugzeuges Gripen (BRG 12.085)
Dossier: Armee-Rüstungsprogramme
Dossier: Gripen-Beschaffung
Dossier: Beschaffung neuer Kampfflugzeuge
Dossier: Teilersatz der Tiger F-5 Kampfflugzeuge und Beschaffung des Gripen

Die Anfang Januar 2012 von der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) lancierte Volksinitiative «Ja zur Aufhebung der Wehrpflicht» kam am 22. September 2013 an die Urne. Ziel der Initiative war es, die Militärdienstpflicht aufzuheben und das gegenwärtige Modell durch eine Freiwilligenmiliz zu ersetzen. Nachdem der Nationalrat Ende 2012 darüber beraten hatte und die Vorlage mit 121 zu 56 Stimmen zur Ablehnung empfahl, folgte im Frühjahr 2013 die Debatte in der kleinen Kammer. Die SiK des Ständerates hatte mit einer Mehrheit von neun zu vier Stimmen die Ablehnung der Initiative beantragt. Eine Minderheit Zanetti (sp, SO) beantragte die Empfehlung auf Annahme der Initiative und bedauerte zugleich, dass der Bundesrat mit der Botschaft keinen Gegenvorschlag mit einem alternativen Dienstpflichtmodell ausgearbeitet hatte. Die Positionen waren bezogen und während der Debatte im bürgerlich dominierten Ständerat kamen lediglich zwei Befürworter der Initiative zu Wort. Die Initiativgegner sprachen von einer „gefährlichen Initiative“, welche die Schweiz schwäche und davon, dass die Aufhebung der Wehrpflicht der erste Schritt zur Abschaffung der Schweizer Armee bedeute. Die Diskussion über verschiedene, allenfalls neue Wehrpflichtmodelle sei unnötig. Die grösste Sorge galt allerdings dem Rekrutierungserfolg einer Freiwilligenarmee. Mit 34 zu sieben Stimmen folgte der Ständerat dem Beschluss des Nationalrates und empfahl die Initiative zur Ablehnung. In ziemlicher Deutlichkeit sprachen sich beide Kammern in ihren Schlussabstimmungen gegen die Initiative aus.

Nach der Parlamentsdebatte standen die Initianten der GSoA, zusammen mit SP, Juso und den Grünen als Befürworter einer breiten bürgerlichen Front gegenüber. Der Abstimmungskampf wurde intensiv geführt. Das Gegenkomitee „Gemeinsam für Sicherheit“ mit seiner Losung „Nein zur Unsicherheitsinitiative“ hatte grossen Rückhalt in rechtskonservativen Gruppierungen wie der AUNS, armeefreundlichen Vereinen wie der Gruppe Giardino, Pro Militia, Pro Tell oder der Schweizerischen Offiziersgesellschaft. Die zentralen Argumente waren aus der Parlamentsdebatte bekannt: Eine Annahme der Initiative bedeute den Grundstein zur Abschaffung der Armee. Weiter sei eine freiwillige Milizarmee eine „Illusion“ und sie gefährde das „Erfolgsmodell Schweiz“. Damit wurde auch mit weniger militärisch angehauchten Argumenten um Stimmen gerungen. Das Pro Komitee um die GSoA verteidigte stets den eigentlichen Wortlaut ihres Ansinnens, nämlich nicht die Armee abschaffen zu wollen, sondern lediglich die Wehrpflicht aufzuheben, um das gegenwärtige Modell durch eine kleinere Freiwilligenmiliz abzulösen. Einer Inserateanalyse der Schweizer Zeitungen ist zu entnehmen, dass von insgesamt 164 publizierten Inseraten nur ein einziges für die Abschaffung der Wehrpflicht warb. Die Gegner der Initiative haben also auch auf dieser Ebene mehr Mittel investiert und entsprechend mehr Raum einnehmen können.


Abstimmung vom 22. September 2013

Beteiligung: 46,4%
Ja: 646'106 (26,8%) / Stände: 0
Nein: 1'761'063 (73,2%) / Stände: 20 6/2

Parolen:
– Ja: SP, GPS, CSP, Juso; GSoA.
– Nein: FDP, SVP, CVP, GLP, EVP, EDU, BDP; Economiesuisse, SGV, AUNS, SOG.

Der VOX Analyse ist zu entnehmen, dass die Abstimmung auf der Ebene einer grundsätzlichen Haltung gegenüber der Armee entschieden wurde. Obwohl lediglich das Rekrutierungsmodell Gegenstand der Vorlage war, zeigte sich in der Stimmbürgerschaft der Graben zwischen Armeegegnern und -befürwortern. Die geringe Unterstützung für die Initiative liess sich auch durch eine kritische Haltung selbst im gemässigten linken Lager erklären, wo die Ablehnungsrate 57% betrug. Lediglich in der Gruppe der ArmeegegnerInnen erzielte die Vorlage hohe Zustimmungsraten (über 70%), wobei die Kombination dieser links und eher links gerichteten Stimmbürgerschaft nicht ausreichte, um der Initiative zu einem Achtungserfolg zu verhelfen. Entsprechend liessen sich die Stimmmotive ermitteln. Die Ja-Stimmenden waren entweder einer generellen armeekritischen Klientel zuzuordnen oder wollten die Entscheidung, Militärdienst zu leisten, im Sinne des Initiativtexts dem einzelnen Stellungspflichtigen übertragen. Im ablehnenden Lager überwog das Bekenntnis zum herrschenden Milizsystem mit dem Hinweis auf Tradition, Bewährung oder dem Gedanken, die Armee trage zu einer kollektiven Identität bei. Ebenfalls oft geäussert wurde das Argument, die Armee stelle eine gute Lebensschule für junge Männer dar. Gut ein Drittel der Stimmenden lehnte die Initiative ab, weil sie die Armee nicht schwächen wollten. Damit griff eines der zentralen Contra-Argumente im Abstimmungskampf, nämlich das Milizprinzip als Pfeiler der Gesellschaft zu betrachten. Überdies schienen Bedenken über zu wenig freiwillige Dienstleistende gross gewesen zu sein. Aus beiden Lagern wurde indes vermutet dass eine Reform der Wehrpflicht ein erster Schritt zur Armeeabschaffung sei. Zentrales Pro- Argument blieb die Haltung, dass ein Massenheer nicht zeitgemäss sei. Sogar Initiativgegner teilten diese Ansicht, stimmten aus genannten, stärker verankerten Werthaltungen, dennoch gegen die Vorlage. Ein Kostenargument konnte, wie auch die Überzeugung, der Militärdienst erschwere den Dienstleistenden den Einstieg ins Berufsleben, nicht genügend mobilisieren. Dass die Initiativgegner das Ansinnen auf die Grundsatzfrage für oder gegen die Armee herunterbrechen konnten, dürfte entscheidend gewesen zu sein.

Zwei grüne Parlamentarier traten im Verlauf des Abstimmungsjahres hinsichtlich des Urnenganges mit kritischen Fragen an den Bundesrat: Balthasar Glättli (gp, ZH) (Frage 13.5197) vermutete, dass in Wiederholungskursen der Armee gegen die Wehrpflicht-Initiative geworben wurde. Regula Rytz (gp, BE) (Frage 13.5227) wiederum sah im eidgenössischen Feldschiessen eine Plattform, die Wehrpflicht-Initiative zu bekämpfen. In beiden Fällen dementierte der Bundesrat jedoch jegliche Propaganda, womit die Sache als erledigt galt.

Volksinitiative «Ja zur Aufhebung der Wehrpflicht» Abstimmungskampf Abstimmung vom 22. September 2013 grundsätzlichen Haltung gegenüber der Armee