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Akteure

  • Grünliberale Partei der Schweiz (GLP)
  • Grüne Partei der Schweiz (GPS)
  • Freisinnig Demokratische Partei.Die Liberalen (FDP)
  • Christlichdemokratische Volkspartei (CVP; -2020)
  • Maret, Marianne (pdc/cvp, VS) SR/CE
  • Caroni, Andrea (fdp/plr, AR) SR/CE
  • Rytz, Regula (gp/verts, BE) NR/CN

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27 Resultate
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Noch bevor der Abstimmungskampf zur Änderung der direkten Bundessteuer zur steuerlichen Berücksichtigung der Kinderdrittbetreuungskosten, über die im Mai 2020 hätte abgestimmt werden sollen, richtig begonnen hatte, gab der Bundesrat im März 2020 bekannt, die Abstimmung aufgrund des Corona-bedingten Lockdowns auf September 2020 zu verschieben.
Die Abstimmungsvorlage umfasste zwei Aspekte: einerseits die im Titel aufgeführte Erhöhung des Drittbetreuungsabzugs von CH 10'000 auf CHF 25'000, andererseits die der Vorlage von der bürgerlichen Parlamentsmehrheit hinzugefügte Erhöhung des Kinderabzugs von CHF 6'500 auf CHF 10'000. Im Zentrum der Abstimmungskampagne stand der zweite Aspekt, die Erhöhung des Kinderabzugs, wobei dieselbe Frage die Diskussion dominierte, die schon im Rahmen der Parlamentsdebatte im Mittelpunkt gestanden hatte: Wer profitiert von den Kinderabzügen? Zur Beantwortung dieser Frage stützten sich beide Seiten auf die Daten der ESTV, welche Finanzminister Maurer in der Parlamentsdebatte präsentiert hatte.
Die Befürworterinnen und Befürworter stellten den Nutzen der Vorlage für den Mittelstand in den Mittelpunkt ihrer Kampagne. «Der Mittelstand profitiert», warb etwa die CVP auf ihrer Internetseite. Stütze man sich auf die Definition des BFS für «Mittelstand», erhalte der Mittelstand 49 Prozent der Ermässigungen, argumentierte Marianne Binder-Keller gegenüber dem Sonntagsblick. Gegen diese Darstellung wehrten sich die Gegnerinnen und Gegner der Vorlage: Der (obere) Mittelstand profitiere zwar auch, in erster Linie nütze die Vorlage aber vor allem den Gutverdienenden, kritisierten sie: Je höher das Einkommen, desto grösser sei der Spareffekt. 70 Prozent der Gesamtentlastung kämen so den 15 Prozent der Familien mit den höchsten Löhnen zu, während 45 Prozent der Familien keine Entlastung erfahren würden, da sie keine Bundessteuern bezahlten. Gar als «Klientelpolitik» bezeichnete etwa das liberale Komitee, vor allem bestehend aus Mitgliedern der GLP, die Vorlage. Noch einseitiger sei die Verteilung schliesslich, wenn nicht nur die Familien, sondern alle Haushalte, also auch die Alleinstehenden und die kinderlosen Paare, die ja ebenfalls von den Steuerausfällen betroffen wären, berücksichtigt würden, betonte überdies Jacqueline Badran (sp, ZH). Berücksichtige man diese ebenfalls, profitierten lediglich sechs Prozent aller Haushalte von 70 Prozent der Steuerausfälle. Man lasse jedoch den Mittelstand im Glauben, dass er von der Vorlage profitiere, indem in der Debatte sowie im Abstimmungsbüchlein jeweils das steuerbare Einkommen aufgeführt werde. Dies sei «total irreführend» (Badran gemäss Blick), da niemand die Höhe seines persönlichen steuerbaren Einkommens kenne. Die ESTV begründete die Verwendung des steuerbaren Einkommens jedoch damit, dass sich der tatsächliche Steuerbetrag beim Bruttoeinkommen zwischen verschiedenen Personen stark unterscheiden könne.
Obwohl die Befürworterinnen und Befürworter immer betonten, dass die Mehrheit der Familien profitiere, gab zum Beispiel Philipp Kutter (cvp, ZH), der die Erhöhung der Kinderabzüge im Nationalrat eingebracht hatte, in einem Interview gegenüber der NZZ unumwunden zu, dass die Vorlage auch eine Steuersenkung für Gutverdienende beinhalte: Über den Steuertarif seien allgemeine Steuersenkung für Gutverdienende «chancenlos», mehrheitsfähig sei einzig der «Weg über die Kinderabzüge».

Nicht nur der Mittelstand, sondern auch die Familien standen im Zentrum der Vorlage. Diese müssten endlich unterstützt werden, betonte Philipp Kutter, was mithilfe der aktuellen Vorlage möglich sei: 60 Prozent aller Familien könnten von einer Erhöhung des Kinderabzugs profitieren. Dem entgegnete etwa die NZZ, dass die Familien in den letzten Jahren stark entlastet worden seien (v.a. durch die Reduktion der Bundessteuer für Haushalte mit Kindern), deutlich stärker zumindest als Kinderlose. Brigitte Häberli-Koller (cvp, TG) befürwortete indes insbesondere, dass durch die aktuelle Vorlage alle Familienmodelle unabhängig der Betreuungsform entlastet würden. Die Gesellschaft habe als Ganzes ein Interesse daran, dass die Leute Kinder bekommen, ergänzte Kutter. Familiäre Strukturen seien für die Gesellschaft wichtig, überdies sei man dadurch weniger auf Zuwanderung angewiesen, die ja ebenfalls teilweise auf Ablehnung stosse. Demgegenüber wurde in der NZZ die Frage diskutiert, ob Kinderabzüge überhaupt gerechtfertigt seien. So könne man es als private Konsumentscheidung ansehen, Kinder zu haben; in diesem Falle würden Kinderabzüge der Besteuerung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit widersprechen. Es gäbe aber einen politischen Konsens, dass das Steuerrecht Kinderkosten berücksichtigen solle. Die Entscheidung, wie diese Unterstützung erfolgen solle (durch degressiv wirkende Kinderabzüge, neutral wirkende Abzüge vom Steuerbetrag oder durch progressiv wirkende Kinderzulagen zum Erwerbseinkommen), sei dann eine weitere, umverteilungspolitische Entscheidung.

Ein weiteres Argument der Gegnerinnen und Gegner der Erhöhung des Kinderabzugs lag in den daraus folgenden hohen Kosten: Die Vorlage verursache voraussichtlich fast 40mal höhere Kosten, als für die Erhöhung des Drittbetreuungsabzugs geplant worden war, und übertreffe damit auch die Kosten der medial deutlich umstritteneren Verlängerung des Vaterschaftsurlaubs. Dadurch sei zukünftig weniger Geld für andere, sinnvollere Projekte vorhanden, argumentierten sie. SP, Grüne und die Kritikerinnen und Kritiker der Vorlage aus der FDP stellten dabei insbesondere die Individualbesteuerung in den Mittelpunkt. Dieser sprachen sie eine deutlich grössere Wirkung auf die Erwerbstätigkeit von Frauen zu als den Drittbetreuungsabzügen. Da sie aber ebenfalls zu hohen Steuerausfällen führen würde, befürchteten sie, dass die Abschaffung der Heiratsstrafe bei Annahme der aktuellen Vorlage auf die lange Bank geschoben würde, weil kein Geld mehr vorhanden wäre. Verstärkt wurde dieses Argument durch die hohen Kosten zur Bewältigung der Corona-Pandemie: Hatte der Bundesrat während der Budgetdebatte fürs Jahr 2020 noch mit einem Überschuss von CHF 344 Mio. gerechnet, wurde jetzt ein Defizit über CHF 20 Mrd. erwartet. Die Medien vermuteten von diesem Defizit nicht nur Auswirkungen auf die Vorlage zum Drittbetreuungs- und zum Kinderabzug, sondern auch auf die gleichzeitig stattfindenden Abstimmungen zu den Kampfflugzeugen und über den Vaterschaftsurlaub. «Angesichts enormer Zusatzlasten kann sich unsere Gesellschaft erst recht keine Steuergeschenke mehr leisten, die nichts bringen», argumentierte etwa GLP-Nationalrat Thomas Brunner (glp, SG). Das sahen die Befürwortenden anders, Philipp Kutter etwa betonte: «Das wird den Bund nicht umbringen».

Schliesslich waren sich Befürwortende und Gegnerschaft nicht einig, inwiefern das ursprüngliche Ziel der Vorlage, die Förderung der Beschäftigung hochgebildeter Personen, insbesondere von Frauen, durch die Ergänzung der Kinderabzüge gefördert wird. Raphaela Birrer argumentierte im Tages-Anzeiger, dass die Erhöhung der Kinderabzüge die Anreize zur Erhöhung der Erwerbstätigkeit verstärke. In einer Studie zur Wirkung der beiden Abzüge (Kinderabzug und Drittbetreuungsabzug) auf die Erwerbstätigkeit bestätigte Avenir Suisse diesen Effekt nur bedingt: Zwar senkten beide Abzüge den Grenzsteuersatz (also die Besteuerung von zusätzlichem Einkommen) und förderten damit die Erwerbstätigkeit, jedoch sei der entsprechende Effekt des Kinderabzugs gering. Zudem senke er auch den Grenzsteuersatz von Einverdienerhaushalten, wodurch die Erwerbstätigkeit von Frauen nicht gesteigert werde. Von der Erhöhung des Betreuungskostenabzugs sei hingegen ein deutlich stärkerer Effekt auf die Erwerbstätigkeit zu erwarten, damit könne der Anreiz des aktuellen Steuersystems für Zweitverdienende, nicht oder nur wenig zu arbeiten, gemildert werden. Die GLP stellte entsprechend insbesondere diesen Aspekt in den Mittelpunkt und sprach von einer Mogelpackung, weil die Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch die Erhöhung des Kinderabzugs nicht verbessert werde. Nationalrätin Christa Markwalder (fdp, BE), die sich ebenfalls im liberalen Komitee engagierte, reichte im Juni 2020 eine parlamentarische Initiative (Pa.Iv. 20.455) ein, mit der sie das Originalanliegen der Vorlage, also den Drittbetreuungsabzug, erneut aufnahm. Damit sollte dieser bei einer Ablehnung der Vorlage möglichst schnell verwirklicht werden können.
Die Frage, ob die Vorlage Anreize zur Erhöhung der Erwerbstätigkeit beinhalte oder nicht, hatte aber noch eine zweite Komponente. So störte sich die Weltwoche überhaupt daran, dass das Steuerrecht «für alle möglichen Zwecke instrumentalisiert» werde. Es sei nicht dafür da, «bestimmte Lebensmodelle zu fördern», argumentierte Katharina Fontana. Zudem sei es unmöglich, Steuergerechtigkeit herzustellen, zumal sich niemand jemals gerecht besteuert fühle.

Bezüglich der Komitees gibt es weniger zu sagen. Auf der Befürworterseite der Vorlage standen insbesondere die CVP und die SVP. Ja-Parolen gaben auch die BDP, EVP und die FDP.Liberalen aus, unterstützt wurden sie vom Gewerbeverband. Die Medien interessierten sich indes insbesondere für die Position der Freisinnigen, zumal sie die Vorlage im Parlament anfangs bekämpft, ihr mit ihrem Meinungswandel dann aber zum Durchbruch verholfen hatten. Nun wolle sich die Partei nicht an der Kampagne beteiligen, so die WOZ, zumal sie intern gespalten war: Einzelne Personen, darunter Ständerat Andrea Caroni (fdp, AR) und Nationalrätin Christa Markwalder, sprachen sich gegen die Vorlage aus und beteiligten sich gar am liberalen Nein-Komitee. Dieses setzte sich insbesondere aus Mitgliedern der GLP zusammen und kämpfte vor allem dagegen, dass die «Mogelpackung» viel koste, aber keine oder gar negative Auswirkungen hätte. Damit würden «keine Anreize für arbeitstätige Elternteile geschaffen», betonte Kathrin Bertschy (glp, BE). Auf linker Seite kämpften vor allem die SP und die Grünen, welche die Unterschriften für das Referendum gesammelt hatten, für ein Nein. Unterstützt wurden sie von den Gewerkschaften, aber auch Avenir Suisse sprach sich gegen die Kinderabzüge aus. Stimmfreigabe erteilten hingegen unter anderem die FDP Frauen. Sie befürworteten zwar den Drittbetreuungsabzug, störten sich aber an den hohen Kosten des Kinderabzugs, durch den das wichtigere Projekt der Individualbesteuerung weiter hinausgeschoben werde. Auch der Arbeitgeberverband entschied sich für Stimmfreigabe, nachdem er das Projekt im Parlament noch bekämpft hatte, da es «kaum zu einer stärkeren Arbeitstätigkeit der Eltern beitrage», wie der Blick berichtete. Dasselbe geschah mit Economiesuisse, der das Kosten-Nutzen-Verhältnis der Vorlage anfangs zu wenig ausgewogen gewesen sei. Der Sonntags-Blick vermutete, dass sich die Verbände nicht zu einer Nein-Parole hätten durchringen können, da das Referendum «aus dem falschen politischen Lager» stammte. Interessant war für die Medien schliesslich auch die Position des Bundesrates, insbesondere von Finanzminister Maurer. Dieser hatte die Vorlage im Parlament mit deutlichen Worten bekämpft, vertrat nun aber – wie im Gesetz für politische Rechte geregelt – die Position des Parlaments. Ersteres hatte er so gut getan, dass sich auch die NZZ nicht sicher war, ob er denn nun die Vorlage persönlich befürworte, wie seine Partei, oder sie ablehne.

Der Abstimmungskampf zur Vorlage verlief ungemein schwach. So stand sie deutlich im Schatten der Corona-Pandemie sowie der anderen vier Vorlagen. Sie wurde gemäss Analysen vom Fög und von Année Politique Suisse einerseits nur sehr schwach in Zeitungsinseraten beworben und andererseits auch in den Medien vergleichsweise selten thematisiert. Die briefliche Stimmabgabe deutete anfänglich auf mässiges Interesse am Super-Sonntag hin, wie der Abstimmungstag mit fünf Vorlagen in den Medien genannt wurde. Die SP schaltete sieben kurze Animationsfilme und gab ein Comic-Heftchen zu den Filmen aus, um zu verhindern, dass die Vorlage untergeht. Die ersten Vorumfragen Mitte August 2020 zeigten dann auch, dass die Meinungsbildung zur Vorlage noch nicht weit fortgeschritten war. Auf diese Tatsache wurde in den entsprechenden Berichten das Zwischenergebnis, wonach die Sympathisierenden von SP und Grünen die Vorlage mehrheitlich befürworteten, zurückgeführt. Besserverdienende gaben zu diesem Zeitpunkt an, der Vorlage eher zuzustimmen. Christian Levrat (sp, FR) hoffte, diese Personen durch die Kampagne noch umstimmen zu können. Die erste Tamedia-Umfrage ergab insgesamt eine Zustimmung («dafür» oder «eher dafür») von 55 Prozent und eine Ablehnung von 37 Prozent, während die SRG-Vorumfrage mit 51 Prozent zu 43 Prozent zu ähnlichen Ergebnissen kam. Diese Zahlen kehrten sich bis zum Termin der letzten Welle Mitte September um: Die Tamedia-Umfrage ergab eine Zustimmung von 46 Prozent und eine Ablehnung von 51 Prozent, die SRG-Umfrage eine von 43 Prozent zu 52 Prozent. Bei den Sympathisierenden von SP und Grünen war die Zustimmung vom ersten zum zweiten Termin gemäss SRG-Umfragen um 19 respektive 14 Prozentpunkte gesunken, bei den Sympathisierenden der GLP ebenfalls um 12 Prozentpunkte. Bei den übrigen Parteien nahm sie ebenfalls leicht ab.

Das Resultat der Abstimmung zur Änderung der direkten Bundessteuer über die steuerliche Berücksichtigung der Kinderdrittbetreuungskosten war schliesslich deutlicher, als die Vorumfragen und die Ausgangslage viele Kommentatorinnen und Kommentatoren hatten vermuten lassen: Mit 63.2 Prozent Nein-Stimmen lehnte das Stimmvolk die Vorlage mit einer vergleichsweise hohen Stimmbeteiligung von 59.2 Prozent deutlich ab. Dieses Nein lasse jedoch einigen Interpretationsspielraum, betonten die Medien. So gab es zwischen den Kantonen doch beträchtliche Unterschiede: Am kritischsten zeigte sich die Stimmbevölkerung im Kanton Appenzell-Ausserrhoden (28.1%), gefolgt von denjenigen in Appenzell-Innerrhoden (29.3%) und Bern (29.5%), am höchsten lag die Zustimmung im Tessin (52.0%) und in Genf (50.1%), beide Kantonsbevölkerungen hätten die Vorlage angenommen. Allgemein wurde gemäss BFS ersichtlich, dass die italienischsprachige (52.0%) und die französischsprachige Schweiz (48.5%) der Vorlage deutlich mehr abgewinnen konnten als die Deutschschweiz. Kaum Unterschiede waren zwischen Stadt und Land erkennbar: Die ländlichen Regionen (35.3%) lehnten die Vorlage ähnlich stark ab wie die Kernstädte (35.8%). Das Resultat könne nicht mit dem Links-Rechts-Schema erklärt werden, betonte die NZZ. Stattdessen seien vor allem die persönliche Einstellung zur Familienpolitik und zur Rolle des Staates relevant gewesen. Die externe Kinderbetreuung würde in der Romandie stärker akzeptiert und durch den Staat stärker unterstützt als in der Deutschschweiz, betonte denn auch CVP-Ständerätin Marianne Maret (cvp, VS) gegenüber der NZZ. Entsprechend habe in der Westschweiz vor allem der Drittbetreuungsabzug im Mittelpunkt gestanden, während in der Deutschschweiz hauptsächlich über den Kinderabzug diskutiert worden sei, stellte SP-Nationalrätin Franziska Roth (sp, SO) fest. Eine zu späte Kampagne in der Romandie machte schliesslich SP-Nationalrat Roger Nordmann für den hohen Anteil Ja-Stimmen in der französischsprachigen Schweiz verantwortlich. Christian Levrat erachtete das Ergebnis insgesamt als Absage des Volkes an die bürgerliche Steuerpolitik und als Ausblick auf andere bürgerliche Projekte zur Abschaffung der Stempelabgabe, der Industriezölle, des Eigenmietwerts oder der Heiratsstrafe. Stattdessen müssten nun Familien mit tiefen und mittleren Einkommen entlastet werden, insbesondere durch die Senkung der Krankenkassenprämien und die kostenlose Bereitstellung von Kita-Plätzen. Philipp Kutter wollte die Entlastung von Familien weiterverfolgen und plante anstelle des Kinderabzugs einen Abzug vom Steuerbetrag. Dass neben der Erhöhung des Kinderabzugs auch die Erhöhung des Drittbetreuungsabzugs gescheitert war, erachtete Christa Markwalder nicht als entmutigend und setzte auf ihre eingereichte parlamentarische Initiative. Anders als bei der ersten Behandlung des Themas im Nationalrat, als sich die SP- und die Grüne-Fraktion gegen Eintreten ausgesprochen hatten, kündigte Christian Levrat an, die parlamentarische Initiative zu unterstützen. Dies sei aber nur ein erster Schritt, zusätzlich brauche es auch Lösungen, die sich für die Mehrheit der Bevölkerung auszahlten.


Abstimmung vom 27. September 2020

Beteiligung: 59.2%
Ja: 1'164'415 (36.8%)
Nein: 2'003'179 (63.2%)

Parolen:
- Ja: BDP (1*), CVP, EVP (1*), FDP (1*), SVP; SGV
- Nein: EDU, GLP (1*), GPS, PdA, SD, SP; SGB, SSV, Travail.Suisse, VPOD
- Stimmfreigabe: Economiesuisse, SAV
* Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Steuerliche Berücksichtigung der Kinderdrittbetreuungskosten

Ende August 2020 legte das Büro-NR seinen Bericht zum Postulat der Grünen Fraktion zur Sicherstellung der Offenlegung der Interessenbindungen von Parlamentsmitgliedern vor. Einleitend stellte das Büro fest, dass die Frage nach den Verbindungen zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft immer mehr in den Fokus der Medien und der Öffentlichkeit gelange und eine grössere Transparenz gefordert werde. Auch die Empfehlungen der GRECO bezüglich einer verstärkten Korruptionsprävention im Parlament wurden im Bericht einleitend erörtert. Begrüsst werde von der Staatengruppe insbesondere die Idee der beiden Büros (NR und SR), einen Leitfaden mit den Rechten und Pflichten der Parlamentsmitglieder zu erstellen, der erstmals für die 51. Legislatur verteilt worden war. Freilich bedaure die GRECO, dass es keine Deklarationspflicht für finanzielle Interessen gebe, wie sie etwa im Europarat neu umgesetzt würde. In der Tat müssen die Mitglieder der parlamentarischen Versammlung des Europarates sämtliche Einkünfte aus Beruf, Mandat oder Zuwendungen, die mit dem Parlamentsmandat im Zusammenhang stehen, offenlegen – was auch in einer parlamentarischen Initiative Rytz (gp, BE) für das Schweizer Parlament gefordert werde (Pa.Iv. 19.473).
Der Bericht zählte die momentan geltenden Regeln auf. Beim Antritt ihres Amtes müssen alle Parlamentsmitglieder ihre Interessenbindungen offen legen, damit überprüft werden kann, ob Unvereinbarkeiten bestehen. Die Interessenbindungen werden seit 1985 von den Parlamentsdiensten in einem Register festgehalten, das seit 2002 im Internet veröffentlicht wird. In Beratungen der Räte oder der Kommissionen muss zudem auf persönliche Befangenheit mündlich hingewiesen werden. Das Parlamentsgesetz sehe aber auch vor, dass im Falle eines Konfliktes zwischen Transparenz und Berufsgeheimnis Letzteres vorgehe.
Das Büro-NR wies in seinem Bericht weiter darauf hin, dass in der in einer Sammelvorlage vorgenommenen Änderungen des Parlamentsgesetzes auch die Offenlegungspflichten erweitert worden seien. So müssen nicht nur die beruflichen Tätigkeiten, sondern auch der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin offengelegt werden, falls ein Anstellungsverhältnis besteht. Zudem muss deutlich gemacht werden, ob ein Nebenmandat ehrenamtlich oder bezahlt ausgeführt wird – freilich aber nicht die Höhe der Bezahlung. Vermerkt werden zudem alle Reisen der Parlamentsmitglieder, wenn diese auf Kosten des Bundes gehen.
In den Augen des Büros-NR genügten diese Regelungen, die auch auf die bei weitergehenden Forderungen immer wieder geforderte Eigenverantwortung der Ratsmitglieder baue. Freilich stünden in naher Zukunft zahlreiche Geschäfte an, mit denen die Diskussion um mehr Transparenz im Parlament weitergeführt würde. Genannt wurde etwa die Transparenz-Initiative und der indirekte Gegenvorschlag der SPK-SR, die parlamentarischen Initiativen Berberat (sp, NE; Pa.Iv. 15.438), Moret (fdp, VD; Pa.Iv. 15.433), Reynard (sp, VS; Pa.Iv. 18.476), Masshardt (sp, BE; Pa.Iv. 18.492), Meyer (sp, ZH; Pa.Iv. 19.462), Rytz (Pa.Iv. 19.473 und Pa.Iv. 19.491) und Rieder (cvp, VS; Pa.Iv. 19.414) sowie eine Kommissionsmotion der SPK-SR (Mo. 20.3911).

Offenlegung der Interessenbindungen (Po. 16.3276)
Dossier: Lobbyismus im Bundeshaus

Bei den Bunderstaswahlen 2019 bestätigte die CVP ihren Sitz: Ihre bisherige Bundesrätin Viola Amherd wurde mit dem besten Resultat (218 Stimmen) wiedergewählt.
Nach vielen Spekulationen in den Medien über eine mögliche Unterstützung der CVP für einen grünen Bundesratssitz entschied sich die Mitte-Fraktion gegen den Angriff auf amtierende Bundesräte und für eine angemessene Vertretung der Sprachregionen und unterstützte folglich FDP-Bundesrat Ignazio Cassis – wie Gerhard Pfister (cvp, ZG) in der NZZ erläuterte. Entsprechend verzichtete die CVP auch darauf, Grünen-Kandidatin Regula Rytz zu einem Hearing einzuladen. Die WOZ wusste jedoch zu berichten, dass Gerhard Pfister Regula Rytz durchaus hätte einladen wollen, um so Druck auf die FDP auszuüben. Sein Ziel sei es gewesen, die Freisinnigen dadurch zu einer Zusage zu bewegen, Viola Amherd bei den Bundesratswahlen 2019 nicht abzuwählen. Er sei jedoch von der Fraktion überstimmt worden.
Gerhard Pfister äusserte sich in den Medien auch über die Zauberformel und erklärte, dass er einen Konkordanz-Gipfel organisieren werde, um über die Zusammensetzung des Bundesrates zu diskutieren. Die Parteien müssten eine neue Zauberformel für die Bundesratszusammensetzung erfinden, wobei die FDP wohl einen Bundesratssitz abgeben müsste. Die entsprechenden Gespräche – so Pfister – sollten im neuen Jahr beginnen.

Resultate der CVP bei den Bunderstaswahlen 2019

Bei den Bundesratswahlen 2019 bestätigte die FDP ihre zwei Sitze im Bundesrat: Sowohl ihre bisherige Bundesrätin Karin Keller-Sutter als auch ihr bisheriger Bundesrat Ignazio Cassis wurden wiedergewählt. Ignazio Cassis erzielte aufgrund der fehlenden Unterstützung der SP und der Grünen 145 Stimmen, womit der Coup der Grünen, den zweiten FDP-Sitz zu erobern und damit mit Regula Rytz (gp, BE) erstmals eine grüne Bundesrätin zu verzeichnen, scheiterte. Der Widerstand der links-grünen Parteien gegen Ignazio Cassis hatte sich schon früher abgezeichnet, etwa als SP-Parteipräsident Christian Levrat (sp, FR) Cassis nur zwei Monaten nach dessen Wahl gemäss Medien als «Praktikanten» bezeichnet hatte.
Die Medien spekulierten nach den Bundesratswahlen über einen möglichen Departementswechsel von Ignazio Cassis, zumal der Tessiner Bundesrat von vielen Seiten für seine Verhandlungsweise mit der EU bezüglich des institutionellen Rahmenabkommens kritisiert wurde. Trotz dieser Kritik blieb Cassis weiterhin Vorsteher des EDA.
Auch Bundesrätin Karin Keller-Sutter erzielte – so die NZZ – ein relativ schlechtes Ergebnis: Sie erhielt 169 Stimmen. Die Zeitung vermutete, dass hinter dieser niedrigen Stimmenzahl SVP-Vertreterinnen und -Vertreter steckten, die an ihrer Stelle den Namen von FDP-Nationalrat Marcel Dobler (fdp, SG) auf den Stimmzettel geschrieben hätten – Marcel Dobler erhielt 21 Stimmen. Seit Langem würden somit bei den Bundesratswahlen erstmals wieder «solche Spiele» gespielt, kritisierte die NZZ.
Vor den Bundesratswahlen hatte sich FDP-Parteipräsidentin Petra Gössi (fdp, SZ) gegenüber den Medien zu einem möglichen grünen Bundesratssitz geäussert. Demnach müssten sich die Grünen zuerst auf allen Ebenen etablieren und Beständigkeit in ihren Resultaten zeigen, bevor sie einen Bundesratssitz fordern könnten. Zudem sollten die Grünen die SP-Bundesratssitze angreifen, weil sie auf deren Kosten in den National- und Ständeratswahlen so stark zugelegt hätten. Die FDP sei zwar bereit, über andere mögliche Zusammensetzungen des Bundesrates zu diskutieren, ein Konkordanz-Gipfel, wie ihn CVP-Präsident Gerhard Pfister (cvp, ZG) vorgeschlagen hatte, sei jedoch unnötig. Die FDP-Parteipräsidentin nannte denn auch zwei Möglichkeiten, wie eine neue Zusammensetzung des Bundesrates herbeigeführt werden könne: durch einen Verzicht auf Ersatzwahlen bei Rücktritten in der zweiten Hälfte der Legislatur sowie durch eine Verschiebung der Bundesratswahlen auf zwei Jahre nach den Parlamentswahlen, womit die Parteien mehr Zeit für die Diskussionen untereinander hätten.

Resultate der FDP bei den Bunderstaswahlen 2019

Nach den Erfolgen sowohl in den National- als auch in den Ständeratswahlen 2019 forderten die Grünen in den darauffolgenden Bundesratswahlen einen Bundesratssitz. Zwar hatte Parteipräsidentin Regula Rytz (gp, BE) am Wahlsonntag der eidgenössischen Wahlen auf eine klare Aussage dazu verzichtet und lediglich angemerkt, dass die Verteilung der Bundesratssitze nicht mehr passe. Am 22. November 2019 gab Rytz jedoch ihre Kandidatur für die Bundesratswahlen offiziell bekannt. Man habe so lange mit dem Entscheid gewartet – die Ankündigung von Rytz kam fast einen Monat nach den Nationalratsergebnissen und drei Wochen vor den Bundesratswahlen –, da man in Gesprächen mit den anderen Parteien die Wahlchancen abzuschätzen versucht habe, erklärte Rytz gegenüber dem Tages-Anzeiger. Diese Gespräche seien positiv verlaufen, woraufhin die Grünen den FDP-Sitz von Ignazio Cassis angriffen. Die FDP sei im Bundesrat rechnerisch übervertreten, weshalb Rytz eine neue Zauberformel vorschlug, gemäss der die beiden grössten Parteien SP und SVP je zwei Sitze und FDP, CVP und die Grünen je einen Sitz haben sollten. Rytz betonte die Dringlichkeit einer Fortsetzung der Klimaschutzdiskussionen und die entsprechende Unterstützung in der Stimmbevölkerung. Aus diesem Grund sei der Anspruch der Grünen auf einen Bundesratssitz gerechtfertigt, obwohl mit Ignazio Cassis ein Vertreter einer sprachlichen Minderheit angegriffen werde. Man könne – so Rytz – nicht alle Ansprüche befriedigen.
Die Zeitungen kommentierte diese verspätete Kandidatur von Rytz und ihren Start in den Bundesratswahlkampf als misslungen. Die NZZ begründete die späte Bekanntgabe damit, dass Rytz ihrer Ständeratskandidatur Priorität eingeräumt habe und folglich bei einer Wahl in den Ständerat auf die Bundesratskandidatur verzichtet hätte. Stattdessen hätte sich Rytz aus dem Ständeratsrennen nehmen und sich auf die Bundesratswahl konzentrieren müssen – war sich die Presse einig. Als entsprechend klein schätzten sie auch ihre Chancen, gewählt zu werden, ein, betonten dabei aber vor allem die entscheidende Rolle der GLP-Fraktion auf einer Seite und der CVP-EVP-BDP-Fraktion auf der anderen Seite.

Am Tag der Wahl stellte sich neben den Grünen nur die Sozialdemokratische Fraktion offiziell hinter die Forderung, die Zauberformel zu ändern und die grüne Kandidatin Regula Rytz zulasten von FDP-Bundesrat Ignazio Cassis zu unterstützen. Im Rahmen der parlamentarischen Debatte betonte SP-Fraktionspräsident Roger Nordmann (sp, VD), dass die Zusammensetzung des Bundesrates mit einer Mehrheit von je zwei Bundesratssitzen der FDP und der SVP aufgrund der Wahlerfolge der Grünen nicht mehr repräsentativ sei für die Schweiz und das Parlament. Keine Unterstützung erhielt Rytz von den übrigen Parteien. Die Grünliberale Fraktion entschied sich zwar für Stimmfreigabe, was für einigen Unmut bei den Grünen sorgte. Einige GLP-Mitglieder äusserten sich diesbezüglich im Tages-Anzeiger und erklärten, dass sie sich eine gemeinsame Strategie mit den Grünen für einen Bundesratssitz gewünscht hätten. Absprachen diesbezüglich hätten jedoch nicht stattgefunden. Auch von der CVP-Fraktion erfuhren die Grünen keine Unterstützung, diese gab an, Ignazio Cassis zu unterstützen. Nach den Wahlen äusserte sich Balthasar Glättli im Sonntags-Blick kritisch gegenüber der CVP und stellte in Aussicht, dass die Grünen zukünftig auch den Sitz von Viola Amherd angreifen könnten, falls die CVP keinen Beitrag zu einer griffigeren Klimapolitik leiste. Da auch die FDP- und die SVP-Fraktion Ignazio Cassis unterstützten, setzte sich dieser mit 145 Stimmen durch. Regula Rytz erhielt 82 Stimmen, 11 Stimmen entfielen auf Verschiedene.

Im Zusammenhang mit der Forderung der Grünen nach einem Bundesratssitz berichteten die Medien ausgiebig über eine neue Zauberformel und somit über eine neue Zusammensetzung des Bundesrates. In einem Interview schlug SP-Parteipräsident Christian Levrat (sp, FR) vor, den Bundesrat auf neun Mitgliedern zu erweitern; dies gäbe mehr Spielraum, um die grossen Parteien angemessen in die Regierung zu integrieren, die Regionen wären besser vertreten und die Bundesräte würden entlastet. Altbundesrat Christoph Blocher schlug stattdessen vor, dass sowohl die SP als auch die FDP zukünftig nur jeweils einen Sitz haben und stattdessen auch die Grünen und Grünliberalen je einen Sitz erhalten sollten (sogenannte Formel Christoph Blocher: 2-1-1-1-1-1).

Forderung der Grünen um einen Bundesratssitz

An ihrer ersten Delegiertenversammlung nach den eidgenössischen Wahlen 2019 feierte die Grüne Partei in Bern vor allem ihre grossen Wahlerfolge. Noch nie habe eine Partei derart zugelegt wie die Grünen. Mit durchschnittlich 46 Jahren seien die Grünen die jüngste Fraktion und der Frauenanteil betrage 61 Prozent, so die Medienmitteilung nach der Versammlung. In ihrer Rede dankte die Präsidentin Regula Rytz (gp, BE) allen Anwesenden für das «überwältigende Ergebnis», das nur dank grosser Vorarbeit und guter Kampagne möglich gewesen sei. Die Erfolge würden aber auch hohe Erwartungen für die neue Legislatur wecken. Ziel müsse eine «umweltverträglichere» und «gerechtere» Politik sein, forderte Fraktionspräsident Balthasar Glättli (gp, ZH) in seinem Votum. Hierzu müsse man mit der SP und der Mitte Bündnisse finden. Der Rückenwind werde helfen, einen «sozialen und mehrheitsfähigen Klimaschutz» umzusetzen. Mit neuer «Ernsthaftigkeit», die laut Tages-Anzeiger die Partei erfasst habe, forderte die Präsidentin schliesslich einen grünen Bundesratssitz und eine neue Zauberformel. Entschieden wurde hierzu an der Versammlung freilich noch nichts. Das «neue Selbstverständnis», das die NZZ der Partei attestierte, liess die Präsidentin aber zur These verleiten, dass die Grünen wohl eher einen Regierungssitz erobert hätten, wenn Johann Schneider-Ammann und Doris Leuthard auf Ende Legislatur und nicht «taktisch» zurückgetreten wären. Rytz forderte ein Gesetz gegen Rücktritte während der Legislatur. Die neue «Volkspartei mit Bewegungscharakter» wie Regula Rytz das neue Selbstverständnis laut NZZ umschrieb, nutzte die Delegiertenversammlung schliesslich auch noch für die Parolenfassung für die Abstimmungen vom 9. Februar 2020: Einstimmig (1 Enthaltung) empfahlen die Abgeordneten ein Ja zur Volksinitiative «Für mehr bezahlbare Wohnungen» sowie ein Ja zur Änderung des Strafgesetzbuches («Diskriminierung und Aufruf zu Hass aufgrund der sexuellen Orientierung»).

Delegiertenversammlung der Grünen in Bern

2019 war das Jahr der Grünen: Nicht nur erreichte die Partei sehr gute Resultate in den kantonalen Erneuerungswahlen, sondern sie konnte mit 17 zusätzlichen Mandaten (neu: 28 Sitze) und einem Anstieg des Wähleranteils um 6.1 Prozentpunkte (neu: 13.2 Prozent) auch in den Nationalratswahlen 2019 einen grossen Sieg erzielen. Wie die NZZ berichtete, gewannen die Grünen in fast allen Kantonen – nur an den Innerschweizer Kantonen ging der Erfolg der Partei vorbei. In einem Interview im Blick Anfang Januar 2019 hatte sich Parteipräsidentin Regula Rytz (gp, BE) gewünscht, dass die Partei in den Nationalratswahlen vier oder fünf Sitze zulegen könnte; ein Ziel, das wider Erwarten gänzlich übertroffen wurde. Nicht überraschend zeigte sich die Parteipräsidentin folglich nach den Wahlen gegenüber den Medien extrem zufrieden und bedankte sich in einem NZZ-Interview bei den jungen Mitgliedern der Klimabewegung, die zur Politisierung der Jugend beitrügen.
Die positiven Resultate der Grünen brachten auch einen finanziellen Vorteil für die Partei mit sich: Wie der Tages-Anzeiger berechnete, erhält die Partei zukünftig bis zu CHF 600'000 mehr an Fraktionsbeiträ­gen. Hinzu kommen die Mandatsabgaben der Neu­gewählten – bisher CHF 9'000 für Nationalrätinnen und Nationalräte –, was wei­tere CHF 150'000 in die Kas­se spülen soll. Dies seien bedeutende Mittel bei einem Budget von bisher CHF 1.2 Mio., betonte die Zeitung.
Klima- und Frauenpolitik waren die zwei Hauptthemen der Grünen in der Wahlkampagne, Themen, die seit der Gründung der Partei schwerpunktmässig bewirtschaftet werden. Regula Rytz erklärte in einem Interview im April 2019, dass die Klima- und Frauenbewegung zu einer Politisierung von Wählergruppen führten, die bei den Wahlen derjenigen Partei ihre Stimme gaben, die diese Themen schon lange auf der Agenda haben - so eben die Grünen.
Wie eine statistische Analyse der Kandidaturen nach Geschlecht, Kanton und Partei im Auftrag der EKF zeigte, hatte die Partei das Thema der Gleichstellung auch bei den Wahllisten aufgenommen. Die Grünen zeigten den höchsten Frauenanteil unter den Kandidierenden: 55.4 Prozent der Kandidierende auf den Wahllisten waren Frauen. Insgesamt hatten die Grünen in 13 Kantonen eine Frauenmehrheit auf ihren Wahllisten und standen somit an der Spitze.
Während der Wahlkampagne der Grünen berichteten die Medien viel über die Kandidatur von Tamy Glauser – dem berühmten Schweizer Topmodel – für den Nationalrat. In einem Tages-Anzeiger-Interview machte Glauser klar, dass sie keine «One-Woman-Show» für die Partei sei, sondern dass sie sich für die Umwelt und die Rechte der LGBT+-Community einsetzen wolle. Für Furore sorgte Glauser in der Folge, als sie auf den sozialen Medien in einem Post erklärte, dass das «Blut von Veganern und Veganerinnen zum Beispiel Krebszellen töten kann», wie der Blick berichtete. Diese Aussage wurde in den Medien und in der Öffentlichkeit laut kritisiert. Dass eine solche Aussage über Veganismus und Krebs ihrerseits derartige Reaktionen auslösen könne, habe sie nicht erwartet, betonte Glauser. Diese Episode habe ihr gezeigt, dass sie für die Politik noch nicht bereit gewesen sei, wie sie auf Instagram schrieb. Aus diesem Grund zog sie ihre Kandidatur Ende Juli 2019 zurück. Für die Nationalratsliste der Grünen wurde daraufhin die Zürcher Kantonsrätin Esther Guyer (ZH, gp) nachnominiert.

Resultate der Grünen bei den Nationalratswahlen

Die FDP verlor bei den Ständeratswahlen 2019 einen Sitz (neu: 12 Mandate). Im Tessin verlor die Partei ihren historischen Sitz im Stöckli zugunsten der SVP, nachdem die Tessiner Freisinnigen dort seit 1848 ununterbrochen vertreten gewesen waren. Der bisher im Nationalrat tätige Giovanni Merlini, der nur für den Ständerat kandierte, wurde nicht gewählt. Stattdessen wurde der SVP-Kandidat Marco Chiesa ins Stöckli geschickt.
Im Kanton Bern kam es zu einem Eklat, wie der Tages-Anzeiger berichtete. So trat Christa Markwalder (fdp, BE) für den zweiten Wahlgang an, um den Sitz von BDP-Ständerat Werner Luginbühl anzugreifen, obwohl die BDP-Kandidatin Beatrice Simon im ersten Umgang mit über 20'000 Stimmen vor FDP-Kandidatin Markwalder gelegen hatte. Die Kandidatur von Markwalder konkurrenzierte damit Simon, die dann ihren Verzicht bekannt gab. Markwalder wurde im zweiten Wahlgang vierte, hinter Regula Rytz und den gewählten Werner Salzmann und Hans Stöckli.

Resultate der FDP bei den Ständeratswahlen 2019

Auch bei den Ständeratswahlen 2019 verzeichneten die Grünen positive Resultate: Die Partei gewann vier Mandate im Stöckli hinzu (neu: 5 Sitze). Der Ständerat wurde somit grüner und weiblicher, wie die NZZ berichtete. Gewählt wurden vier grüne Frauen (von insgesamt 12 Frauen im Ständerat) und ein grüner Mann (von insgesamt 34 Männern in der kleinen Kammer).
Im traditionell bürgerlich wählenden Kanton Glarus eroberte der grüne Kandidat Mathias Zopfi überraschend einen Sitz im Ständerat. Er holte 252 Stimmen mehr als der Bisherige Werner Hösli (svp, GL). Im den zweiten Wahlgängen gelang den Grünen, die in den Kantonen Bern und Zürich um einen weiteren Sitz kämpften, jedoch kein Sieg mehr: Die Kandidatinnen Regula Rytz (gp, BE) und Marionna Schlatter (gp, ZH) verpassten den Sprung ins Stöckli. Regula Rytz war rund 13'000 Stimmen von der Wahl entfernt und Marionna Schlatter lag 70'000 Stimmen hinter dem Bisherigen Ruedi Noser, der wiedergewählt wurde.

Resultate der Grünen bei den Ständeratswahlen 2019

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Résumé
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Élections fédérales 2019


Des vagues vertes et violettes ont déferlé sur la Suisse lors des élections fédérales de 2019. En effet, celles-ci ont été marquées par la progression des partis écologistes et par une meilleure représentation des femmes sous la coupole. Portés par la présence de la question climatique dans le débat public, les vert.e.s sont passés de 13 à 35 parlementaires, et les vert'libéraux de 7 à 16. Les manifestations pour le climat ont permis à ce thème d'occuper le devant de la scène au cours de la campagne. De manière similaire, la grève des femmes du 14 juin 2019 a bénéficié d'une importante couverture médiatique. Dans les urnes, cela s'est traduit par une augmentation significative de la délégation féminine dans les deux chambres. 95 élues siégeront entre 2019 et 2023, contre 71 lors de la législature précédente.
En outre, la cuvée 2019 des élections fédérales s'est distinguée par un nombre record de candidatures. 4'645 personnes ont brigué un siège au Conseil national, contre 3'788 en 2015. Cette augmentation s'explique notamment par l'abandon des parrainages: les partis ont été exemptés de collecter des signatures pour présenter plusieurs listes. Ainsi, de multiples listes «jeunes», «femmes», «écologistes», «seniors» ou encore «innovation» ont été lancées. Avec divers apparentements, cela a permis à certain.e.s de grignoter les pourcentages nécessaires à la conquête d'un siège supplémentaire.

Lors de l'élection au Conseil national, les vert.e.s ont récolté 13.2 pour cent des voix (+6.1 points de pourcentage pp par rapport à 2015), franchissant ainsi pour la première fois la barre symbolique des dix pour cent. Leurs cousins vert'libéraux se sont établis à 7.8 pour cent (+3.2pp). Les partis gouvernementaux ont fait les frais de cette progression écologiste. Demeurant le premier parti du pays, l'UDC a cependant reculé à 25.6 pour cent (-3.8pp). Le PS a perdu 2pp pour s'établir à 16.8 pour cent, alors que le PLR a engrangé 15.1 pour cent des suffrages (-1.3pp). En perte de vitesse constante depuis plusieurs années, le PDC s'est fait passer devant par les vert.e.s. Avec 11.4 pour cent (-0.2pp), le parti démocrate-chrétien a réalisé le score le plus bas de son histoire. Enfin, le PBD a aussi perdu des plumes, avec un score de 2.5 pour cent (-1.6pp). En nombre effectif de mandats, 30 sièges sont revenus au groupe des vert.e.s, qui compte également deux membres de l'extrême-gauche (+18 par rapport à 2015). Les socialistes ont perdu 4 fauteuils mais en conservent 39. Les vert'libéraux obtiennent 16 mandats (+9) et le PLR 29 (-4). 31 parlementaires composent le groupe du centre (25 PDC, 3 PEV et 3 PBD), 5 de moins qu'en 2015. Malgré la perte de 12 sièges, le groupe UDC en compte encore 55, y compris un représentant de la Lega et un de l'UDF. Avec ce «Linksrutsch» («glissement à gauche»), les groupes UDC et PLR perdent la majorité absolue qu'ils détenaient entre 2015 et 2019.
Le vent de changement n'a en revanche pas atteint le Conseil des États. Favorisés par l'élection au système majoritaire pratiquée dans tous les cantons sauf le Jura et Neuchâtel, le PDC et le PLR demeurent les mieux représentés. Les démocrates-chrétiens ont conservé leurs 13 fauteuils. Le PLR en a perdu un pour s'établir à 12 mandats. Les vert.e.s ont progressé au détriment du PS. En effet, les écologistes (5 sièges) ont récolté 4 sièges supplémentaires, tandis que les socialistes (9 sièges) ont dû en abandonner 3. 6 sièges sont revenus à l'UDC (+1). Enfin, l'indépendant Thomas Minder a conservé son siège pour le canton de Schaffhouse.
L'étude électorale du FORS a révélé que le succès des vert.e.s était dû au soutien d'une grande part de l'électorat socialiste. En effet, un tiers des électeurs et électrices des vert.e.s avaient voté pour le PS en 2015. Globalement, le PES et le PVL ont bénéficié du soutien d'un électorat jeune. De son côté, l'UDC a eu de la peine à mobiliser son électorat, notamment car ses thèmes-phares, à savoir «l'immigration» et «l'asile», n'ont pas figuré en tête des problèmes jugés prioritaires par la population. Tandis que le PLR a aussi eu des difficultés à mobiliser son électorat, le PDC a pu compter sur ses fidèles. Pour le parti démocrate-chrétien, le bât blesse lorsqu'il s'agit de récolter des voix au-delà de ses troupes. En outre, la vague verte a été plus forte dans les villes que dans les campagnes. En revanche, pas de Röstigraben pour la progression écologiste, qui se fait ressentir tant en Suisse romande qu'en Suisse alémanique. Au Tessin, le succès des écologistes a été moins retentissant. L'arc lémanique et la région zurichoise ont connu les progressions les plus marquées des partis verts.
Poussé par son succès, le parti écologiste a revendiqué un siège au Conseil fédéral. Cependant, la candidature de la présidente du parti Regula Rytz (BE) n'a pas été couronnée de succès. Les partis bourgeois ont défendu le siège d'Ignazio Cassis et le Conseil fédéral a été renouvelé dans son intégralité.

Par canton:
Appenzell Rhodes-Extérieures: CE, CN
Appenzell Rhodes-Intérieures: CE, CN
Argovie: CE, CN
Bâle-Campagne: CE, CN
Bâle-Ville: CE, CN
Berne: CE, CN
Fribourg: CE, CN
Genève: CE, CN
Glaris: CE, CN
Grisons: CE, CN
Jura: CE, CN
Lucerne: CE, CN
Neuchâtel: CE, CN
Nidwald: CE, CN
Obwald: CE, CN
Saint-Gall: CE, CN
Schaffhouse: CE, CN
Schwytz: CE, CN
Soleure: CE, CN
Tessin: CE, CN
Thurgovie: CE, CN
Uri: CE, CN
Valais: CE, CN
Vaud: CE, CN
Zoug: CE, CN
Zurich: CE, CN
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Élections fédérales 2019 – Résumé / Eidgenössische Wahlen 2019 – Übersicht
Dossier: Eidgenössische Wahlen 2019 - Überblick

Im Konkordanzsystem Schweiz mangelt es – anders etwa als in einem System mit einem Präsidenten – an Köpfen, mit denen man aufgrund der zunehmenden Personalisierung Medienberichte besser verkaufen kann. Es verwundert deshalb nicht, dass sich die Medien für einzelne Exekutivmitglieder interessieren sowie gerne und häufig auch Spekulationen über Rücktritte und mögliche Nachfolgerinnen und Nachfolger amtierender Bundesrätinnen und Bundesräte anstellen. Dies taten sie auch bereits kurz nach der Wahl des neuen Bundesrates Cassis: Schliesslich ist nach der Wahl auch für das Regierungskollegium immer auch vor der Wahl.
In der Tat hatte Doris Leuthard ja bereits im Sommer 2017 ihren Rücktritt auf spätestens Ende der Legislatur im Herbst 2019 angekündigt. Dies war eine Steilvorlage für die Medien, die insbesondere den Umstand thematisierten, dass mit dem Rücktritt der Aargauerin nur noch eine Frau, nämlich Simonetta Sommaruga, in der Regierung sässe und die CVP deshalb gut daran täte, Frauen als mögliche Kandidatinnen aufzubauen – häufig genannt wurden die Ambitionen von Viola Amherd (cvp, VS). Freilich standen bei den Christdemokraten auch einige Männer in den Startlöchern: In den Medien kursierten insbesondere die Namen von Parteipräsident Gerhard Pfister (cvp, ZG), der Ständeräte Konrad Graber (cvp, LU) und Pirmin Bischof (cvp, SO), aber auch Benedikt Würth (SG, cvp), Regierungsrat des Kantons St. Gallen, und Bundeskanzler Walter Thurnherr wurden als Kandidaten gehandelt. Der Bundeskanzler winkte jedoch relativ rasch ab und auch Parteipräsident Pfister zog sich mit dem Argument zurück, einen Austausch im Präsidium kurz vor den Wahlen vermeiden zu wollen. Auch Konrad Graber nahm sich mit seiner Ende August gemachten Ankündigung, bei den eidgenössischen Wahlen 2019 nicht mehr antreten zu wollen, aus dem Rennen.
Ende April 2018 gab dann auch Johann Schneider-Ammann bekannt, dass er keine weitere Legislatur mehr anstrebe. Neben der Forderung, dass auch die FDP nun ein Frauenticket aufstellen müsse, wurde mit der Ankündigung des Berner Magistraten auch die Diskussion um einen konzertierten Doppel- (zusammen mit Leuthard) oder gar Dreierrücktritt (zusammen mit Ueli Maurer) angestossen. Das Parlament müsse eine möglichst grosse Auswahl haben, damit eine genügend grosse Frauenvertretung gesichert sei, lautete der Tenor in den Medien. Auch das Kandidatenkarussell für die Nachfolge des Berner Magistraten begann sich rasch zu drehen. Neben Karin Keller-Sutter (fdp, SG), die bei der Wahl Schneider-Ammanns 2010 noch unterlegen war, brachten die Medien Parteipräsidentin Petra Gössi (fdp, SZ), die Ständeräte Andrea Caroni (fdp, AR), Martin Schmid (fdp, GR) und Ruedi Noser (fdp, ZH) sowie Nationalrat Beat Walti (fdp, ZH) ins Spiel. Auch beim Freisinn zogen sich einige potenzielle Papabili allerdings bereits vor dem definitiven Rücktritt Schneider-Ammans zurück. So gab Petra Gössi etwa zu Protokoll, ihrer Partei eine Kandidatur nicht zumuten zu wollen. Mit dem Namen Keller-Sutter wurde in den Medien häufig auch der Anspruch der Zentral- und Ostschweiz auf einen Bundesratssitz zur Sprache gebracht.
Rücktrittspotenzial sahen die Medien schliesslich auch bei Ueli Maurer, bei dem sie vermuteten, dass er mit 67 Jahren und nach zehn Jahren im Amt bald genug haben könnte. Von verschiedener Seite wurde Magdalena Martullo-Blocher (svp, GR) als mögliche Nachfolgerin ins Spiel gebracht, die in mehreren Interviews ihre Bereitschaft signalisierte. Hierfür kam aber wenig später ein Dementi von der SVP-Spitze – Vater Christoph Blocher gab zu Protokoll, dass er seine Tochter nicht in das «Gefängnis» Landesregierung stecken wolle. Maurer selber gab in einem Interview zu Protokoll, dass er auf das Ende einer Legislatur zurücktreten werde – ob 2023, 2027 oder 2031 sei noch offen.
Ein vorläufiges Ende nahm zumindest ein Teil der Spekulationen Mitte September, als sowohl Johann Schneider-Ammann als auch Doris Leuthard ihren Rücktritt auf Ende 2018 bekannt gaben. In der Tat gilt die Herbstsession ein Jahr vor den Wahlen als idealer Zeitpunkt für einen Rücktritt vor Ende einer Legislatur, weil so Ersatzwahlen noch vor Ende eines Jahres stattfinden können. Rücktritte in einem Wahljahr selber gelten eher als unschicklich. Freilich war laut Aussage von Doris Leuthard der Doppelrücktritt vorher nicht abgesprochen worden; Schneider-Ammann habe immer davon gesprochen, erst auf Ende Legislatur 2019 zurückzutreten. In den Medien wurde das Vorpreschen des FDP-Bundesrats – er hatte seinen Rücktritt zwei Tage vor Doris Leuthard der Presse verkündet – als geplanter Mediencoup gewertet.

Spekulationen Rücktritt Bundesräte nach der Wahl von Cassis

Ende Juni 2018 eröffnete der Bundesrat die Vernehmlassung zum Bundesgesetz über das Gesichtsverhüllungsverbot, das er als indirekter Gegenvorschlag der Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» gegenüberzustellen plante. Im neuen Gesetz sah der Bundesrat erstens eine Pflicht zur Enthüllung des eigenen Gesichts im Kontakt mit Behörden vor. Diese Pflicht soll greifen, sofern die Behörde aus Bundesrecht verpflichtet ist, eine Person zu identifizieren oder wenn die Behörde ihre im Bundesrecht begründete Aufgabe sonst nicht ohne unverhältnismässigen Aufwand erfüllen kann. Betroffen wären in erster Linie die Bereiche Sicherheit, Migration, Sozialversicherungen sowie Personenbeförderung. Wiederholte Weigerung soll mit Busse bestraft werden, ausser die visuelle Identifizierung liegt ausschliesslich im Interesse der sich weigernden Person – in diesem Fall soll ihr die Behörde die gewünschte Leistung verweigern können. Zweitens schlug der Bundesrat vor, den Nötigungstatbestand in Art. 181 StGB durch einen Absatz 2 zu ergänzen, sodass es unter Androhung von Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe explizit verboten ist, jemanden zur Verhüllung des Gesichts zu zwingen. Ein solcher Zwang sei inakzeptabel, weshalb er dieses Verbot ausdrücklich festhalten und somit signalisieren wolle, dass ein solches Verhalten nicht hingenommen werde, gab der Bundesrat per Medienmitteilung bekannt. Von den Regelungen zur Enthüllung im Behördenkontakt versprach er sich indes die Vermeidung von Spannungen sowie eine präventive Wirkung und die Etablierung einer einheitlichen Praxis. Der Gegenvorschlag sei somit eine «gezieltere Antwort auf die Probleme, die das Tragen von gesichtsverhüllenden Kleidungsstücken mit sich bringen kann», als die Initiative, wie dem erläuternden Bericht zu entnehmen ist. Insbesondere könnten die Kantone weiterhin selbst entscheiden, ob sie die Gesichtsverhüllung im öffentlichen Raum verbieten wollten oder nicht.
Der punktuelle Ansatz des Bundesrates kam bei den Initianten nicht gut an, die daher auch nach Bekanntwerden des Gegenvorschlags nicht daran dachten, die Initiative zurückzuziehen. Gar als «Ohrfeige» für jene, die die Volksinitiative unterzeichneten, bezeichnete der Co-Präsident des Initiativkomitees Walter Wobmann (svp, SO) den bundesrätlichen Entwurf in der NZZ. Dieser blende das «Problem der Hooligans und randalierenden Chaoten», auf das die Initiative ebenfalls abziele, vollständig aus, so Wobmann weiter. Das föderalistische Argument, das der Bundesrat gegen die Initiative vorbrachte, quittierte Mit-Initiant Jean-Luc Addor (svp, VS) gegenüber der «Tribune de Genève» mit der Bemerkung, es handle sich hierbei um «eine Frage der Zivilisation», bei der die Kantone keine unterschiedliche Betroffenheit geltend machen könnten. Nicht glücklich über den bundesrätlichen Vorschlag waren unterdessen auch die Grünen: Präsidentin Regula Rytz (gp, BE) erachtete den Gegenvorschlag als genauso unnütz wie die Initiative, weil beide nichts zur besseren Integration und zur Gleichstellung der Frauen beitrügen; stattdessen befeuerten sie Vorurteile gegenüber der muslimischen Bevölkerung. Initiativgegner Andrea Caroni (fdp, AR) begrüsste die Enthüllungspflicht vor Behörden, bemängelte aber das seiner Ansicht nach überflüssige Verbot des Verhüllungszwangs, da ein solcher ohnehin unter Nötigung fiele. Die Waadtländer SP-Nationalrätin Ada Marra hielt dem bundesrätlichen Vorschlag indes zugute, den Sicherheitsaspekt ernst zu nehmen und gleichzeitig den Volkswillen – die unterschiedlichen Entscheide in den Kantonen – zu respektieren.

Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und indirekter Gegenvorschlag (19.023)
Dossier: Nationales Burkaverbot

Mitte Dezember 2017 gab der Bundesrat den Medien bekannt, dass er die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» ablehne, ihr aber mit einem indirekten Gegenvorschlag begegnen möchte. Die Initiative für ein nationales Verbot sei abzulehnen, weil die Kantone selber entscheiden können sollten, ob sie die Gesichtsverhüllung im öffentlichen Raum verbieten wollen oder nicht. So hätten die Kantone Tessin und St. Gallen ein solches Verbot befürwortet, während es in Zürich, Solothurn, Schwyz, Basel-Stadt und Glarus abgelehnt worden sei. Diesen unterschiedlichen Befindlichkeiten gelte es Rechnung zu tragen. Der Bundesrat anerkenne jedoch, dass die Gesichtsverhüllung problematisch sein könne, und zwar zum einen, wenn jemand zur Verhüllung gezwungen werde, und zum anderen im Kontakt mit den Behörden. Er wollte sich dieser Problematik daher mit einem indirekten Gegenvorschlag annehmen, der Regelungen auf Gesetzesebene vorsehe, ohne den Kompetenzbereich des Bundes zu überschreiten. Konkret solle es im Strafgesetzbuch ausdrücklich verboten werden, jemanden zur Verhüllung des Gesichts zu zwingen. Zudem solle der Kontakt mit Bundesbehörden und Bundesrecht vollziehenden Behörden unter Androhung von Strafe unverhüllt erfolgen müssen. Der Bundesrat beauftragte das EJPD mit der Ausarbeitung einer entsprechenden Vernehmlassungsvorlage bis Ende Juni 2018.
Bei den Initianten vermochte der Vorschlag des Bundesrats wenig Eindruck zu erwecken; er sei «schwammig» und entspreche nicht dem Anliegen der Initiative, so Walter Wobmann (svp, SO) gegenüber der Basler Zeitung. Das Komitee halte an der Initiative fest und blicke der Abstimmung nach wie vor zuversichtlich entgegen. Die SVP lehnte den bundesrätlichen Vorschlag ebenfalls als «wirkungslos» ab, wie in der Presse zu lesen war. Auf wenig Gegenliebe stiess der Vorschlag indes auch bei den Grünen. Nationalrat Balthasar Glättli (gp, ZH) bezeichnete ihn gegenüber der Basler Zeitung als «falsch und überflüssig», weil Nötigung ohnehin strafbar sei, und machte ihm in der Aargauer Zeitung den gleichen Vorwurf wie der Initiative selbst, nämlich zur «Stimmungsmache gegen Muslime in der Schweiz» beizutragen. Positiver äusserten sich die CVP und die SP zur Stossrichtung des Bundesrates, wenngleich sich die SP weiter auf ihren eigenen direkten Gegenentwurf zur Verbesserung der Gleichstellung der Frauen konzentrieren wollte. SP-Nationalrat Cédric Wermuth (sp, AG) bedauerte im Tages-Anzeiger, dass der Bundesrat sich nicht getraut habe, «die Debatte neu auszurichten», und dass der Gegenvorschlag «keine Antwort auf das Unbehagen» liefere, das hinter der Initiative stehe. Von verschiedenen Seiten wurde der bundesrätliche Vorschlag auch als nicht oder nur schwer umsetzbar kritisiert, da Frauen, die gezwungen werden, sich zu verschleiern, dies eher nicht bei der Polizei zur Anzeige bringen würden. Ständerat Andrea Caroni (fdp, AR), der bereits ein Gegenkomitee zur Initiative gegründet hatte, begrüsste dagegen den Vorschlag des Bundesrates. Er sei zwar nicht «das Ei des Kolumbus», eröffne aber die Möglichkeit für eine gezielte Debatte über die Probleme im Zusammenhang mit der Gesichtsverhüllung und über allfällige Lösungen, so Caroni gegenüber «Le Temps».

Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und indirekter Gegenvorschlag (19.023)
Dossier: Nationales Burkaverbot

Kurz nach der Abstimmung zur "Milchkuh-Initiative", die wie ein Damokles-Schwert über dem Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrs-Fonds (NAF) gehangen hatte und überraschend deutlich abgelehnt worden war, nahm der Nationalrat als Zweitrat die Debatte über den NAF auf. Die KVF-NR beantragte dem Rat Eintreten auf die Entwürfe 1, 3 und 4, aber Nichteintreten auf den Entwurf 2, dem Bundesgesetz zum NAF. Der Nichteintretensantrag folgte automatisch aus der Ablehnung in der Kommissionsabstimmung: Kommissionsmitglieder von rechts lehnten den Entwurf wegen der enthaltenen Erhöhung des Mineralölsteuerzuschlags ab und Kommissionsmitglieder von links stimmten wegen den zu hohen Kosten für die Bundeskasse gegen den Entwurf. Eine Minderheit Burkart (fdp, AG) verlangte Eintreten auf Entwurf 2 und eine Minderheit Rytz (gp, BE) wollte die Vorlagen 1 bis 4 mit dem Auftrag, vor der Beratung des NAF eine Gesamtschau der Verkehrsentwicklung bis 2040 unter Berücksichtigung aller Verkehrsträger und -mittel vorzulegen, an den Bundesrat zurückweisen. Der Antrag Burkart wurde einstimmig angenommen, der Antrag Rytz mit 141 gegen 51 Stimmen (1 Enthaltung) abgelehnt. In der folgenden Debatte zum Bundesbeschluss über die Schaffung des NAF wurden Anträge aus allen Richtungen abgelehnt: Erfolglos verlangte Jürg Grossen (glp, BE) mit seinen Anträgen zur Besteuerung von Elektrofahrzeugen, dass die Abgabe sich an der Leistung orientiere und dass eine bestimmte Marktdurchdringung durch die E-Mobilität gegeben sein müsse, bevor die Abgabe in Kraft trete. Die Anträge von Evi Allemann (sp, BE), welche die Schonung der Bundeskasse beabsichtigten, wurden ebenso abgelehnt wie die Anträge von Ulrich Giezendanner (svp, AG) oder Walter Wobmann (svp, SO). Die Annahme der Mehrheitsanträge führte dazu, dass in der umstrittenen Frage der Erhöhung des Mineralölsteuerzuschlags die Erhöhung um 4 Rappen gemäss Ständerat angenommen wurde, bei der Zweckbindung der Mineralölsteuererträge aber eine Differenz zum Ständerat geschaffen wurde: Hatte dieser eine Zweckbindung von "maximal" 60% nach zwei Jahren beschlossen, so entschied der Nationalrat für "fix" 60% sofort bei Inkrafttreten. Weiter beschloss die grosse Kammer, dass der Strassenfonds bei grösseren Sparprogrammen des Bundes nicht angetastet wird. Der Rat verwehrte dem Bundesrat zudem die Kompetenz zur Anpassung der Benzinsteuer an die Teuerung. Dem Entwurf 1 wurde schliesslich mit 132 zu 62 Stimmen zugestimmt und die weiteren Entwürfe wurden ebenfalls deutlich angenommen. Aussergewöhnlich war das Abstimmungsresultat zum Netzbeschluss (Entwurf 3): 150 Ja-Stimmen standen 43 Enthaltungen aus den Reihen von SP und Grünen gegenüber.
Im Rahmen der Debatte zum NAF wurden zwei weitere Geschäfte behandelt: Zum Einen die Motion der KVF-SR 16.3009, welche vom Bundesrat bis Ende 2017 eine Vorlage zur Einführung einer E-Vignette verlangt, zum Anderen eine Motion der KVF-NR 16.3349, welche ein Reporting über die Kosten für Betrieb und Unterhalt der Netzbeschluss-Strecken verlangt. Die Motion zur E-Vignette war schon im März im Ständerat angenommen worden und fand auch im Nationalrat eine Mehrheit, obschon Befürchtungen um eine Verletzung der Privatsphäre geäussert wurden. Die Motion zum Reporting über die Kosten der Netzbeschluss-Strecken war im Zusammenhang mit dem NAF insofern wichtig, als zwischen den Kantonen und dem ASTRA Uneinigkeit über die Kosten bestand und diese Kosten, sollte der Netzbeschluss im NAF integriert sein, auch im Rahmen des NAF gedeckt werden sollten. Das ASTRA sah Kosten in der Höhe von CHF 105 Mio. auf die Bundeskasse zu kommen, die Kantone gingen jedoch von Kosten von nur CHF 35 Mio. aus. Mit dem Reporting sollten die effektiven Kosten bestimmt werden. Im Nationalrat wurde die Motion angenommen.

Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrs-Fonds (NAF). Schliessung der Finanzierungslücke und Strategisches Entwicklungsprogramm Nationalstrassen
Dossier: Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrs-Fonds (NAF)
Dossier: Elektronische Vignette (Nationalstrassenabgabe)

An der Delegiertenversammlung Mitte April 2016 in Bern wählte die FDP ein neues Präsidium. Philip Müller (fdp, AG), 2015 in den Ständerat gewählt, trat etwas überraschend als Präsident zurück, weil er sich ganz auf die Kantonsvertretung konzentrieren wolle. Er hatte das Amt 2012 von Fulvio Pelli (fdp, TI) als zuerst «belächelter Nichtakademiker» (NZZ) übernommen und wurde in Bern für seinen «unermüdlichen Einsatz» gefeiert, der als mitursächlich für die «Positivspirale» und die jüngsten eidgenössischen Wahlerfolge betrachtet wurde. Seine «direkte, bodenständige und ehrliche Art» habe geholfen, neue Wählerinnen und Wähler zu gewinnen, war der Medienmitteilung der Partei zu entnehmen.
Zur Nachfolgerin Müllers wurde Petra Gössi (fdp, SZ) gekürt – als einzige sich zur Verfügung stellende Kandidatin einstimmig und ohne Enthaltungen. Die 40-jährige ehemalige Schwyzer Kantonalparteipräsidentin war 2011 in den Nationalrat gewählt worden und hatte den Sitz 2015 erfolgreich verteidigt. In den Medien wurde der dritten Frau an der Spitze des Freisinns (nach Christiane Langenberger und Marianne Kleiner) wenig Kredit eingeräumt. Es werde für die als «trocken» geltende und in Bern noch nicht sehr bekannte Wirtschaftsberaterin nicht leicht werden, die FDP in ihrer momentanen Bestform zu halten, argwöhnte etwa der Sonntagsblick. Darüber hinaus könne sie sich im Gegensatz zu Müller kaum glaubhaft von der Finanzwirtschaft distanzieren. In einigen Medien wurde eine von ihr beratene Firma mit den Panama Papers in Verbindung gebracht. Le Temps prognostizierte einen «changement de génération, mais aussi du style».
Neben Gössi wurden neu Andrea Caroni (fdp, AR), Philippe Nantermod (fdp, VS) und Christian Vitta (Ti, fdp) ins Vize-Präsidium gewählt. Christian Wasserfallen (fdp, BE), von vielen Medien als Nachfolger für Müller gehandelt, und Christian Lüscher (fdp, VD) wurden im Vizepräsidialamt bestätigt. Gössi bezeichnete die fünf im Schnitt 40 Jahre alten Vizepräsidenten als ihre «Boygroup». Aus dem Präsidium zurückgetreten waren neben Müller auch Vincenzo Pedrazzini (SZ, fdp), Carlo Speziali (TI, fdp) und Isabelle Moret (fdp, VD). Nach ihrer Wahl zur neuen FDP-Präsidentin trat Gössi aus dem Vorstand des Gewerbeverbands und des Hauseigentümerverbands zurück.

Neues FDP-Präsidium mit Gössi als Präsidentin (2016)
Dossier: FDP-Präsidentinnen und -Präsidenten seit 2000

Als Reaktion auf den Verlagerungsbericht 2013 reichte die FDP-Fraktion im März 2014 ein Postulat ein, mit welchem der Bundesrat mit der Prüfung eines neuen, realistischen Verlagerungsziels gemäss Artikel 3 des Güterverkehrsverlagerungsgesetzes (GVVG) beauftragt wird. Im Juni 2014 wurde das Postulat bekämpft, im März 2016 stimmte der Nationalrat schliesslich zu. Die Debatte wurde nur drei Tage nach dem Urnengang zur Sanierung des Gotthardstrassentunnels geführt, was die ohnehin emotionale Debatte zusätzlich erhitzte. So wurde den Verfechtern eines neuen Verlagerungsziels vorgeworfen, sie hätten im gerade zu Ende gegangenen Abstimmungskampf für die zweite Röhre stets betont, dass die Verlagerungspolitik nicht in Frage gestellt werde. Mit dem so kurz nach der Abstimmung erfolgenden Infragestellen des Verlagerungsziels entstehe der Eindruck, die FDP hätte im Abstimmungskampf mit falschen Karten gespielt. Diese Vorwürfe, vorgebracht von Nationalrätin Rytz (gp, BE) und Nationalrat Bäumle (glp, ZH), konterte der Sprecher der FDP-Fraktion Fluri (fdp, SO) damit, dass es seit Jahren unbestritten sei, dass das Verlagerungsziel von 650'000 alpenquerenden Lastwagen pro Jahr bis 2018 nicht zu erreichen sei. Ein Rechtsstaat werde unglaubwürdig, wenn er in Gesetzen an unrealisierbaren Forderungen festhalte, so Fluri. Während es den Befürwortern des Postulats darum ging, die Verlagerungspolitik mit einem erreichbaren Ziel zu versehen, forderten die ablehnenden Stimmen, das geltende Gesetz müsse halt konsequenter umgesetzt werden. Das Postulat wurde schliesslich denkbar knapp angenommen: Mit 91 (Fraktionen von SVP und FDP) zu 90 Stimmen bei 7 Enthaltungen.

Festlegung eines realistischen Verlagerungsziels (Mo. 14.3037)
Dossier: Verlagerung von der Strasse auf die Schiene

Nach den Anschlägen in Paris haben die Schweizer Muslime ihre Forderung nach der Anerkennung des Islams als Landeskirche erneut aufgegriffen. Ihr designiertes Ziel hierbei sei es, Muslime besser in die hiesige Gesellschaft integrieren zu können und zugleich aufkommenden Radikalisierungstendenzen Einhalt bieten zu können. Erste Gesuche hierfür seien bereits in Vorbereitung und würden zunächst im Pilotkanton Basel-Stadt und zu einem späteren Zeitpunkt dann auch in der Waadt eingereicht. Für den Vorstoss verantwortlich zeigen sich die beiden nationalen Muslim-Verbände KIOS und FIDS. Die Organisationen erarbeiten zur Zeit gemeinsam ein Musterstatut für islamische Gesellschaften, welches den kantonalen Verfassungen entspreche, um somit eine solide Grundlage für das staatliche Akzeptanzsiegel zu schaffen. Das Gesuch selbst soll sodann von offiziellen Muslimvertreterinnen und -vertretern, welche mittels Testwahlen von Basler Muslimen bestimmt werden, an offizieller Stelle eingereicht werden. Farhad Afshar, Präsident der KIOS, betonte, dass den Frauen für die Wahlen das gleiche aktive und passive Wahlrecht zugesprochen werde wie den Männern. Zudem soll zur Offenlegung der geforderten demokratischen Organisation und Transparenz eine unabhängige Rekurskommission geschaffen werden. Somit greift das Musterstatut relevante Eckpfeiler des juristischen Gutachtens auf, welches im Jahr zuvor an der Universität Luzern in Auftrag gegeben worden war. Dass nebst dem Kanton Basel-Stadt auch die Waadt in den Fokus der beiden Verbände gerückt war, kam nicht von ungefähr: Im November des vergangenen Jahres hatte der Waadtländer Staatsrat Anpassungen im Reglement für die Anerkennung weiterer, auch nicht christlicher Religionsgemeinschaften vorgenommen. Beide Muslimverbände erhoffen sich durch den Vorstoss zunächst die "kleine Anerkennung" – welche in Basel schon länger möglich ist – zu erlangen, um danach die volle staatliche Anerkennung zu erreichen. Der Kirchenstatus würde es der Gemeinschaft ermöglichen, eine adäquate islamisch-religiöse Infrastruktur aufzugleisen und hätte zugleich auch eine starke Signalwirkung an die anderen Kantone.
In der Schweizer Parteienlandschaft sind aber nicht alle von diesem Vorstoss angetan. Die SVP-Spitze beispielsweise stellte zwar klar, dass sie die Kultusfreiheit zu keinem Zeitpunkt in Frage stelle, die Anerkennung des Islams als integralen Bestandteil der Landeskirche jedoch explizit ablehne. Mit einer verfassungsrechtlichen Anerkennung seien diverse Privilegien verbunden, deren Fürsprache aber – zur Wahrung des religiösen Friedens – der Mitsprache der kantonalen Bürger bedürfe. Zudem seien die Muslime in keiner Organisation zusammengefasst, welche alle Glaubensangehörigen vertrete. Christoph Neuhaus (BE, svp), Berner Kirchendirektor und Regierungsrat, schlägt als eine mögliche Alternative zur staatlichen Anerkennung eine Anerkennung der muslimischen Gemeinschaften als gemeinnützige Vereine vor. Dadurch könne man die nötige Transparenz schaffen und hätte noch einen gewissen Einfluss auf die Vereinstätigkeit. Christian Levrat (sp, FR) betrachtet die Diskussion jedoch aus einer ganz anderen Perspektive: Die SVP schüre mit ihrer Haltung lediglich den Hass gegen die Muslime und würde sich somit zugleich auch gegen jegliche Integrationsmassnahmen wehren. Die Schweiz müsse aber viel entschiedener gegen die Islamophobie vorgehen und sich vermehrt für die Integration einsetzen, wobei genau diese Anerkennung als eine passende Massnahme zu verstehen sei. Dieser Meinung schloss sich auch Regula Rytz (gp, BE) an und betonte, dass durch eine solche Anerkennung zugleich auch die Rechte und Pflichten klar geregelt werden könnten. Christophe Darbellay (cvp, VS) hielt sich indes etwas mehr zurück: Zur Religionsfreiheit gebe es definitiv ein Ja, nicht aber zur Anerkennung, schliesslich sei die Schweiz ein christlich-abendländisch geprägtes Land und, wie Erfahrungen mit anderen Glaubensgemeinschaften zeigten, sei eine staatliche Anerkennung für eine gelungene Integration nicht vonnöten. Philipp Müller (fdp, AG) hingegen stellte klar, dass die staatliche Anerkennung den Kantonen obliege, wobei für ihn persönlich die kulturelle Verwurzelung einer Glaubensgemeinschaft innerhalb eines Kantons im Fokus stehe. Zudem verwies er auf die viel diskutierte Trennung von Staat und Kirche, welche zwischenzeitlich sogar Anklang in der Kirche selbst finde.
So befindet selbst der Churer Generalvikar Martin Grichting, dass das heutige System nicht mehr mit der Religionsvielfalt in der Schweiz vereinbar sei. Anstelle der Volkskirche könne er sich eine kleinere Glaubensgemeinschaft mit einer treuen Gefolgschaft vorstellen. Gerade in der heutigen Zeit, in der so viele Personen aus der Kirche austreten würden und sehr wahrscheinlich irgendwann mehr als die Hälfte der Steuerzahlenden konfessionslos sein werde, stelle sich unweigerlich die Frage nach der Legitimationsgrundlage für die staatlich unterstützte Erhebung der Kirchensteuer – in diesem Sinne hätten die Landeskirchen also ausgedient.

Anerkennung ausserchristlicher Religionsgemeinschaften

Die GP erhoffte sich auch dank dem leichten Aufwärtstrend bei den kantonalen Wahlen für die eidgenössischen Wahlen 2015 eine Konsolidierung. Bei den Wahlen 2011 hatte die GP fünf von 20 Mandaten verloren, was man nicht nur auf die Konkurrenz durch die GLP oder den Umstand zurückgeführt hatte, dass sich die Mitteparteien einen ökologischen Anstrich gaben, sondern auch selbstkritisch mit eigener Bequemlichkeit erklärt hatte. Für die Wahlen 2015 wollen die Grünen auf die Energiestrategie und den Atomausstieg fokussieren. Allerdings müsse sich die GP nach dem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative auch gegen die wachsende Isolation der Schweiz wehren; den Grünen käme hier eine besondere Rolle zu, weil ihre Anhängerschaft am deutlichsten gegen die Initiative gestimmt habe, gab Co-Präsidentin Adèle Thorens Goumaz in einem Interview mit „Le Temps“ zu Protokoll. Auch das Internet soll Thema der GP sein. Es biete eine Möglichkeit, um Mobilität einzusparen und habe deshalb viel ökologisches Potenzial. Zudem sei der GP der Datenschutz ein wichtiges Anliegen – so Co-Präsidentin Regula Rytz im „St. Galler Tagblatt“. Das Motto der GP wird sein: „Mehr Lebensqualität für alle“. In der Presse wurde allerdings auch geargwöhnt, dass bei den Wahlen wohl vielmehr die Europa- und Asylpolitik im Vordergrund stehen werde – Themen, bei denen die Grünen nicht federführend seien. Dass sich Umweltthemen etabliert hätten, sei zwar ein Verdienst der GP. Weil andere Parteien diese Themen deshalb auch in ihr Programm aufgenommen hätten, sei die GP aber sozusagen Opfer ihres Erfolges geworden. Um der ökologischen Sache zu dienen, wurden auch mögliche Listenverbindungen mit der GLP, die sich vor 10 Jahren von der GP abgespaltet hatte, diskutiert. Die Idee wurde in den Kantonen allerdings mit zurückhaltender Skepsis aufgenommen. Traditionellerweise verbindet sich die GP in den meisten Kantonen mit der SP. Erklärtes Ziel für die Wahlen 2015 war es, den Wähleranteil zu halten und nach dem Listenverbindungspech 2011 in einzelnen Kantonen wieder zuzulegen.

GP eidgenössischen Wahlen 2015

Auch nach Anhörung der Rechtsexperten war der Mehrheit der nationalrätlichen UREK die ständerätliche Fassung des Zweitwohnungsgesetzes noch zu wenig strikt. An ihrer ersten Sitzung im November beantragte sie dem Nationalrat mit 14 zu 11 Stimmen unter anderem, touristisch bewirtschaftete Wohnungen gar nicht erst unter den Zweitwohnungsbegriff zu fassen. Indem sie solche Bauten dem Erstwohnungsanteil zurechne, präzisiere sie den unscharfen Zweitwohnungsbegriff, gab sich die bürgerliche Kommissionsmehrheit überzeugt. Anders sah dies die Co-Präsidentin der Grünen. Regula Rytz vertrat die Ansicht, dass eine solche Definition gar zusätzliche Möglichkeiten zur Schaffung "kalter Betten" ermögliche, womit der Zersiedelung Vorschub geleistet werde. Ferner stützte eine Kommissionsmehrheit mit 15 zu 7 Stimmen die Version des Bundesrates, wonach seit 25 Jahren oder länger bestehende und nicht mehr rentable Hotels in Zweitwohnungen umgenutzt werden könnten. Der Ständerat hatte in der vorangegangenen Herbstsession eine entsprechende Bestimmung aus dem Entwurf gestrichen. Die Kommission wird für eine zweite Sitzung im Januar 2015 tagen.

Gesetz zur Umsetzung der Zweitwohnungsinitiative (BRG 14.023)
Dossier: Zweitwohnungsinitiative und ihre Auswirkungen

An der Delegiertenversammlung der GP Ende März in Ziegelbrücke (GL) wurde das Co-Präsidium aus Adèle Thorens und Regula Rytz sowie das Vizepräsidium aus Bastien Girod, Josef Lang und Robert Cramer für zwei weitere Jahre bestätigt. Für die jungen Grünen wurde Luca Maggi neu ins Präsidium gewählt.

GP Präsidium

Im März 2014 nahm der Ständerat als Erstrat die Beratung über die Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet (Sanierung Gotthard-Strassentunnel) auf. Die Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen der kleinen Kammer (KVF-SR) empfahl dem Plenum mit 7 gegen 6 Stimmen, auf die Vorlage einzutreten und ohne Änderung zuzustimmen. Eine Minderheit Stadler (glp, UR) beantragte Nichteintreten, eine Minderheit I Janiak (sp, BL) forderte die Rückweisung an den Bundesrat mit dem Auftrag, die Vereinbarkeit mit dem Landverkehrsabkommen sowie die Verfassungsmässigkeit vertieft zu prüfen. Eine Minderheit II Graber (cvp, LU) verlangte die Rückweisung an den Bundesrat, damit dieser aufzeige, wie die Forderungen der Zentralschweizer Regierungskonferenz in der Vorlage erfüllt werden. Eine Minderheit III Graber (cvp, LU) beantragte schliesslich die Rückweisung an den Bundesrat mit dem Auftrag, ein Programm vorzulegen, welches aufzeigt, welche Strassenbauprojekte wegen der zweiten Röhre entfallen bzw. verzögert werden und wie die Mehrkosten aus dem Unterhalt der zusätzlichen Röhre finanziert werden. In seinem Votum für den Antrag der Kommissionsminderheit nahm Standerät Markus Stadler Bezug auf die wichtigsten Argumente der Kommissionsmehrheit. Im Gegensatz zur Darstellung der Mehrheit werde das Tessin während der Sanierung nicht abgeschnitten: Der neue Gotthard-Basistunnel sei bis dahin in Betrieb und neben dem Gotthard führten auch noch andere Pässe in den Norden. Zudem wäre es möglich, den Tunnel in den Sommermonaten zu öffnen. Die Verkehrssicherheit werde durch eine zweite Röhre nur in den Röhren erhöht, auf den Zufahrtsstrecken erhöhe sich dafür das Unfallrisiko durch erwarteten Mehrverkehr. Die Sicherheit lasse sich mit einfachen Massnahmen sehr viel günstiger und effizienter steigern: Beispielsweise könnte der Mindestabstand zwischen Lastwagen erhöht oder die Höchstgeschwindigkeit gesenkt werden. Stadler betonte zudem den Widerspruch der Vorlage mit dem Alpenschutzartikel. Weitere Rednerinnen und Redner sorgten für eine ausgesprochen lange Eintretensdebatte. Mit 25 gegen 16 Stimmen trat die kleine Kammer schliesslich auf die Vorlage ein und lehnte sämtliche Minderheitenanträge ab. In der Gesamtabstimmung stimmte der Ständerat der Vorlage ebenfalls mit 25 gegen 16 Stimmen zu. Der Nationalrat debattierte in der Herbstsession über die Vorlage. Neben dem Minderheitenantrag Rytz (gps, BE) auf Nichteintreten waren weitere Minderheitsanträge gestellt worden: Minderheit I Graf-Litscher (sp, TG) forderte die Rückweisung an den Bundesrat mit dem Auftrag, Verfassungsmässigkeit sowie Vereinbarkeit mit dem Landverkehrsabkommen vertieft zu klären. Die Minderheit II Graf-Litscher (sp, TG) verlangte die Rückweisung an den Bundesrat verbunden mit der Aufgabe, ein Verzichts-, Verzögerungs- und Finanzierungsprogramm vorzulegen. Die Minderheit III Grossen (glp, BE) beantragte die Rückweisung an den Bundesrat mit dem Auftrag, in Artikel 84 Absatz 3 der Bundesverfassung ergänzend festzuhalten, dass die Benutzung zusätzlicher Fahrspuren pro Richtung auf Transitachsen im Alpengebiet verboten ist. Minderheit IV Nordmann (sp, VD) wollte die Rückweisung an den Bundesrat mit dem Auftrag verbinden, dem Parlament eine Sanierung ohne zweite Röhre dafür mit zeitlich umfassendem Bahnverlad von Strassenfahrzeugen zu unterbreiten. Nach langer Debatte zeigten sich sowohl in der Abstimmung über Eintreten wie auch in den Abstimmungen über die Rückweisungsanträge klare Gräben entlang der Parteilinien: Die Fraktionen von SP, Grünen und Grünliberalen stimmten geschlossen für Nichteintreten und für die Rückweisungsanträge, während die Fraktionen von SVP, FDP, CVP und BDP (bis auf 2 Stimmen) geschlossen für die bundesrätliche Vorlage eintraten. In der Schlussabstimmung vom 26. September 2014 nahm der Nationalrat die Vorlage mit 120 gegen 76 Stimmen an, der Ständerat mit 28 zu 17 Stimmen. Der Verein „Nein zur 2. Gotthardröhre“, welchem neben SP, Grünen, Grünliberalen auch EVP und CSP sowie über 40 weitere national oder regional tätige Organisationen angehören, ergriff das Referendum. Bereits im Dezember und somit noch vor Ablauf der Referendumsfrist am 15.1.2015 liess der Verein verlauten, die notwendigen 50'000 Unterschriften seien beglaubigt, darüber hinaus seien noch einmal so viele zusätzliche Unterschriften zusammengekommen.

Sanierung Gotthard-Strassentunnel (13.077)
Dossier: Sanierung des Gotthard-Strassentunnels

In der Verkehrspolitik wollten die Grünen ihre Position für weniger Mobilität verteidigen. Bereits im Januar kündigte Co-Präsidentin Regula Rytz an, ein Referendum zu unterstützen, sollte der Bau einer zweiten Gotthardröhre beschlossen werden. Das bis anhin von den Grünen besetzte VCS-Präsidium wollte man ebenfalls nicht kampflos der SP überlassen: neben der letztlich gewählten Evi Allemann (sp, BE) trat deshalb auch Aline Trede (gp, BE) an. Mitte April brachten die Grünen zudem die Idee eines Gelegenheits-Halbtax-Abonnements in die Diskussion um die Preise im öffentlichen Verkehr ein. Die „Bahnkarte 25“ soll für CHF 50 im Jahr die Bahnreisen um 25% verbilligen. Damit würden Anreize für Gelegenheitszugfahrer gesetzt, die vermehrt auf die Strasse ausweichen würden, gab Regula Rytz, Co-Präsidentin der Grünen in einem Interview zu Protokoll. Eine ähnliche Idee war in Deutschland mit einigem Erfolg im Jahr 2002 eingeführt worden. Schliesslich forderten die Delegierten im November in einer Resolution, dass bis 2050 nur noch Autos auf Schweizer Strassen fahren dürfen, die mit grünem Strom fahren. Dies soll durch eine Erhöhung der Auto-Importsteuer und der Umwandlung von Parkplätzen in Standplätze mit Ladestationen erreicht werden. Darüber hinaus müsse möglichst rasch ein verursachergerechtes Mobility-Pricing eingeführt werden.

Verkehrspolitik
Dossier: Mobility-Pricing

Die Anfang Januar 2012 von der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) lancierte Volksinitiative «Ja zur Aufhebung der Wehrpflicht» kam am 22. September 2013 an die Urne. Ziel der Initiative war es, die Militärdienstpflicht aufzuheben und das gegenwärtige Modell durch eine Freiwilligenmiliz zu ersetzen. Nachdem der Nationalrat Ende 2012 darüber beraten hatte und die Vorlage mit 121 zu 56 Stimmen zur Ablehnung empfahl, folgte im Frühjahr 2013 die Debatte in der kleinen Kammer. Die SiK des Ständerates hatte mit einer Mehrheit von neun zu vier Stimmen die Ablehnung der Initiative beantragt. Eine Minderheit Zanetti (sp, SO) beantragte die Empfehlung auf Annahme der Initiative und bedauerte zugleich, dass der Bundesrat mit der Botschaft keinen Gegenvorschlag mit einem alternativen Dienstpflichtmodell ausgearbeitet hatte. Die Positionen waren bezogen und während der Debatte im bürgerlich dominierten Ständerat kamen lediglich zwei Befürworter der Initiative zu Wort. Die Initiativgegner sprachen von einer „gefährlichen Initiative“, welche die Schweiz schwäche und davon, dass die Aufhebung der Wehrpflicht der erste Schritt zur Abschaffung der Schweizer Armee bedeute. Die Diskussion über verschiedene, allenfalls neue Wehrpflichtmodelle sei unnötig. Die grösste Sorge galt allerdings dem Rekrutierungserfolg einer Freiwilligenarmee. Mit 34 zu sieben Stimmen folgte der Ständerat dem Beschluss des Nationalrates und empfahl die Initiative zur Ablehnung. In ziemlicher Deutlichkeit sprachen sich beide Kammern in ihren Schlussabstimmungen gegen die Initiative aus.

Nach der Parlamentsdebatte standen die Initianten der GSoA, zusammen mit SP, Juso und den Grünen als Befürworter einer breiten bürgerlichen Front gegenüber. Der Abstimmungskampf wurde intensiv geführt. Das Gegenkomitee „Gemeinsam für Sicherheit“ mit seiner Losung „Nein zur Unsicherheitsinitiative“ hatte grossen Rückhalt in rechtskonservativen Gruppierungen wie der AUNS, armeefreundlichen Vereinen wie der Gruppe Giardino, Pro Militia, Pro Tell oder der Schweizerischen Offiziersgesellschaft. Die zentralen Argumente waren aus der Parlamentsdebatte bekannt: Eine Annahme der Initiative bedeute den Grundstein zur Abschaffung der Armee. Weiter sei eine freiwillige Milizarmee eine „Illusion“ und sie gefährde das „Erfolgsmodell Schweiz“. Damit wurde auch mit weniger militärisch angehauchten Argumenten um Stimmen gerungen. Das Pro Komitee um die GSoA verteidigte stets den eigentlichen Wortlaut ihres Ansinnens, nämlich nicht die Armee abschaffen zu wollen, sondern lediglich die Wehrpflicht aufzuheben, um das gegenwärtige Modell durch eine kleinere Freiwilligenmiliz abzulösen. Einer Inserateanalyse der Schweizer Zeitungen ist zu entnehmen, dass von insgesamt 164 publizierten Inseraten nur ein einziges für die Abschaffung der Wehrpflicht warb. Die Gegner der Initiative haben also auch auf dieser Ebene mehr Mittel investiert und entsprechend mehr Raum einnehmen können.


Abstimmung vom 22. September 2013

Beteiligung: 46,4%
Ja: 646'106 (26,8%) / Stände: 0
Nein: 1'761'063 (73,2%) / Stände: 20 6/2

Parolen:
– Ja: SP, GPS, CSP, Juso; GSoA.
– Nein: FDP, SVP, CVP, GLP, EVP, EDU, BDP; Economiesuisse, SGV, AUNS, SOG.

Der VOX Analyse ist zu entnehmen, dass die Abstimmung auf der Ebene einer grundsätzlichen Haltung gegenüber der Armee entschieden wurde. Obwohl lediglich das Rekrutierungsmodell Gegenstand der Vorlage war, zeigte sich in der Stimmbürgerschaft der Graben zwischen Armeegegnern und -befürwortern. Die geringe Unterstützung für die Initiative liess sich auch durch eine kritische Haltung selbst im gemässigten linken Lager erklären, wo die Ablehnungsrate 57% betrug. Lediglich in der Gruppe der ArmeegegnerInnen erzielte die Vorlage hohe Zustimmungsraten (über 70%), wobei die Kombination dieser links und eher links gerichteten Stimmbürgerschaft nicht ausreichte, um der Initiative zu einem Achtungserfolg zu verhelfen. Entsprechend liessen sich die Stimmmotive ermitteln. Die Ja-Stimmenden waren entweder einer generellen armeekritischen Klientel zuzuordnen oder wollten die Entscheidung, Militärdienst zu leisten, im Sinne des Initiativtexts dem einzelnen Stellungspflichtigen übertragen. Im ablehnenden Lager überwog das Bekenntnis zum herrschenden Milizsystem mit dem Hinweis auf Tradition, Bewährung oder dem Gedanken, die Armee trage zu einer kollektiven Identität bei. Ebenfalls oft geäussert wurde das Argument, die Armee stelle eine gute Lebensschule für junge Männer dar. Gut ein Drittel der Stimmenden lehnte die Initiative ab, weil sie die Armee nicht schwächen wollten. Damit griff eines der zentralen Contra-Argumente im Abstimmungskampf, nämlich das Milizprinzip als Pfeiler der Gesellschaft zu betrachten. Überdies schienen Bedenken über zu wenig freiwillige Dienstleistende gross gewesen zu sein. Aus beiden Lagern wurde indes vermutet dass eine Reform der Wehrpflicht ein erster Schritt zur Armeeabschaffung sei. Zentrales Pro- Argument blieb die Haltung, dass ein Massenheer nicht zeitgemäss sei. Sogar Initiativgegner teilten diese Ansicht, stimmten aus genannten, stärker verankerten Werthaltungen, dennoch gegen die Vorlage. Ein Kostenargument konnte, wie auch die Überzeugung, der Militärdienst erschwere den Dienstleistenden den Einstieg ins Berufsleben, nicht genügend mobilisieren. Dass die Initiativgegner das Ansinnen auf die Grundsatzfrage für oder gegen die Armee herunterbrechen konnten, dürfte entscheidend gewesen zu sein.

Zwei grüne Parlamentarier traten im Verlauf des Abstimmungsjahres hinsichtlich des Urnenganges mit kritischen Fragen an den Bundesrat: Balthasar Glättli (gp, ZH) (Frage 13.5197) vermutete, dass in Wiederholungskursen der Armee gegen die Wehrpflicht-Initiative geworben wurde. Regula Rytz (gp, BE) (Frage 13.5227) wiederum sah im eidgenössischen Feldschiessen eine Plattform, die Wehrpflicht-Initiative zu bekämpfen. In beiden Fällen dementierte der Bundesrat jedoch jegliche Propaganda, womit die Sache als erledigt galt.

Volksinitiative «Ja zur Aufhebung der Wehrpflicht» Abstimmungskampf Abstimmung vom 22. September 2013 grundsätzlichen Haltung gegenüber der Armee

Die Grünen feierten 2013 ihr 30-jähriges Bestehen. Die verschiedenen in den 1970er Jahren entstandenen kantonalen und kommunalen Ökologiebewegungen hatten sich 1983 zur Föderation der grünen Parteien zusammengeschlossen. In Biel wurde Ende April auf dieses Ereignis angestossen. Seit den eidgenössischen Wahlen 2011 standen die Grünen allerdings unter keinem guten Stern. Bereits damals mussten sie eine herbe Niederlage einstecken, 2012 und auch im Berichtjahr setzte sich dieser negative Trend auch bei den kantonalen Parlamentswahlen fort. Als ein Grund für die Formschwäche der GP wurde in der Presse der Verlust der Führerschaft in Umweltthemen diskutiert. Der Atomausstieg ist beschlossen, Raumplanung, Nachhaltigkeit oder Mobilität sind Themen, die auch von bürgerlichen Parteien bearbeitet werden. Regula Rytz (BE), Co-Präsidentin der Grünen Partei Schweiz begrüsste freilich in einem Interview am Anfang des Berichtjahrs diesen Trend: Themen, die früher belächelt worden seien, würden jetzt ernst genommen. Auf diesem Erfolg dürfe sich die GP aber nicht ausruhen, weil es zum Beispiel in der Atompolitik – die GP hatte eine Ausstiegsinitiative lanciert – noch viel zu tun gebe und noch immer Überzeugungsarbeit geleistet werden müsse. Der Partei wurde auch vorgeworfen, zu wenig pragmatisch und häufig zu ideologisch zu agieren. Eine ernsthafte Oppositionspolitik könne sie zudem erst betreiben, wenn sie sich von der SP emanzipiere, mit der sie zu häufig paktiere. Ein weiterer Grund für die Verluste der Grünen wurde zudem in der GLP ausgemacht, die als liberale Version der Grünen in der Mitte die Wählerschaft abgrabe. Trotz dieser Konkurrenz setzte sich Rytz für die Wahlen 2015 10% Wähleranteil zum Ziel.

30-jähriges Bestehen

Was prägte 2012 die Schweizer Politik? Welches waren die bedeutenden Geschäfte im Parlament? Und was hat die politisch interessierte Öffentlichkeit bewegt? Nachfolgend werden die wichtigsten Ereignisse im Jahr 2012 zusammengefasst und anschliessend nach Thema geordnet aufgelistet. Mit den Links gelangen Sie direkt zu diesen im Berichtsjahr zentralen Geschäften und Ereignissen. Vous trouverez ici la version française de cet article.

Das politische Jahr 2012 war geprägt von härter werdenden aussenpolitischen Auseinandersetzungen. Eigentlich hätte sich die Schweiz in einer guten Ausgangsposition befunden: Sie blieb auch 2012 von den wirtschaftlichen Verwerfungen im EU-Raum weitgehend verschont, was sich etwa im Staatsrechnungsüberschuss von CHF 1.3 Mia., im widerstandsfähigen Arbeitsmarkt mit tiefen Arbeitslosenquoten oder im zwar geringen, aber im europäischen Vergleich überdurchschnittlichen Wirtschaftswachstum zeigt. Auch der dank Devisenmarktinterventionen der Schweizerischen Nationalbank bei einer Untergrenze von CHF 1.20 gehaltene Euro-Wechselkurs zeugt von der wirtschaftlichen Stärke der Eidgenossenschaft. Dennoch wurde der Schweiz im Berichtjahr ihre aussenpolitisch schwache Position vor Augen geführt. Davon zeugen etwa die Umsetzung des FATCA-Abkommens mit den USA, die das Bankgeheimnis weiter aufweicht, die nur sehr schleppenden Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten im Steuerstreit, oder auch die gescheiterten Abkommen mit Deutschland zu den Abgeltungssteuern und zum Fluglärm. Ein rauer aussenpolitischer Wind wehte der Schweiz auch in den nach wie vor durch institutionelle Fragen blockierten Verhandlungen mit der EU ins Gesicht. Das Anrufen der Ventilklausel gegenüber acht osteuropäischen EU-Staaten durch den Bundesrat im April war, obwohl lediglich symbolische Wirkung entfaltend, einer Entspannung der Situation auch nicht eben dienlich. Für das Anfang Berichtjahr von Bundesrat Didier Burkhalter übernommene EDA dürften schwierige Zeiten bevorstehen. Die Schweizer Bürgerinnen und Bürger sprachen allerdings ihr Vertrauen in die Aussenpolitik des Bundes aus, indem sie die Auns-Initiative «Staatsverträge vors Volk» deutlich verwarfen.

Für einigen von medialer Aufmerksamkeit begleiteten Wirbel sorgte im Berichtjahr auch der noch 2011 gefällte Entscheid des Bundesrates, 22 Kampfflugzeuge des schwedischen Typs Gripen anzuschaffen. Negative Evaluationsberichte, ein Untersuchungsbericht der Sicherheitspolitischen Kommission, der den Kauf als riskant bezeichnete, eine überaus kritische Haltung auch der bürgerlichen Parteien und in Umfragen sich abzeichnende Bedenken in der Bevölkerung führten zu einem eigentlichen Tauziehen. Dem Bundesrat, der Mitte November in seiner Botschaft CHF 3.126 Mia. für den Kauf beantragte, gelang dabei im Berichtjahr kein Befreiungsschlag.

Wichtige Pflöcke wurden 2012 in der Agrarpolitik und bei der Raumplanung eingeschlagen. Die Räte beugten sich über die Agrarpolitik 2014 bis 2017, die eine nachhaltigere und wirtschaftlich leistungsfähigere Landwirtschaft zum Ziel hat. Die umstrittene Revision der Direktzahlungen stiess in beiden Kammern auf Unterstützung. Die Teilrevision des Raumplanungsgesetzes (RPG), die als indirekter Gegenvorschlag für die Landschaftsinitiative ausgearbeitet worden war, konnte nach einigem Hin und Her im Berichtjahr unter Dach und Fach gebracht werden. Heftig umstritten war dabei die Rückzonungspflicht bei überdimensionierten Bauzonen. Dieser Punkt war nicht nur Auslöser für ein durch den Gewerbeverband (SGV) lanciertes, erfolgreich zustande gekommenes Referendum, sondern auch für einen CVP-internen Streit. Da die Rückzonungspflicht vor allem im Kanton Wallis eine grosse Reduktion von Bauzonen nach sich ziehen würde, drohte die CVP-Sektion Wallis mit einem Austritt aus der Mutterpartei, weil sich diese im Parlament auf die Seite der Befürworter gestellt hatte. Die Abstimmung über das RPG wurde auf Frühjahr 2013 angesetzt. Mit der überraschenden Annahme der Zweitwohnungsinitiative und der Ablehnung von drei Initiativen zur Wohneigentumsförderung mischte auch die Schweizer Bevölkerung direkt an der Raumpolitik mit. Während die Idee des Bausparens für die nächsten Jahre vom Tisch ist, dürfte die Zweitwohnungsinitiative die Gemüter noch längere Zeit bewegen. Das mit einer knappen Mehrheit (50.6 % Ja-Stimmenanteil) angenommene Begehren will den Anteil an Zweitwohnungen in einer Gemeinde auf 20 Prozent beschränken. Nach der Annahme der Volksinitiative wurde um ihre Umsetzung gerungen. Insbesondere die betroffenen Tourismusregionen versuchten Einfluss auf die geplante Übergangsverordnung zu nehmen, was wiederum die Initianten von «Helvetia Nostra» zu juristischen Schritten verleitete.

Im Berichtsjahr legte der Bundesrat die Energiestrategie 2050 vor, mit der er den historischen Entscheid aus dem Vorjahr bekräftigt, künftig auf Atomstrom verzichten zu wollen. Ein erstes Massnahmenpaket für den schrittweisen Umbau der Energieversorgung wurde im Herbst 2012 in die Vernehmlassung geschickt. Die im Berichtjahr eingereichten Initiativen der GLP, die eine ökologische Steuerreform fordert und der GP, die einen früheren Ausstieg aus der atombasierten Energieversorgung fordert, sorgen dafür, dass die Energiepolitik für längere Zeit wichtig bleiben wird. Mit der Unterzeichnung eines Zusatzprotokolls mit der Stiftung Klimarappen strebte die Regierung zudem das im Kyoto-Protokoll vereinbarte CO2-Reduktionsziel an, dessen Erreichung mit den bisherigen Massnahmen noch in weiter Ferne lag.

Wenig Einigkeit gab es 2012 in der Gesundheitspolitik. Die Räte zerzausten im Berichtjahr die 6. IV-Revision, die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger verwarfen die Managed Care Vorlage, die in den Räten noch auf Zustimmung gestossen war, deutlich und die Kammern konnten sich nicht über das Bundesgesetz über Prävention und Gesundheitsförderung einigen, das letztlich am Widerstand des Ständerates scheiterte.

Das anhaltende Wachstum der Bevölkerung – die ständige Wohnbevölkerung überschritt im August 2012 die 8-Millionen-Grenze – hatte nicht zuletzt auch Auswirkungen auf die Verkehrspolitik. Im Berichtjahr zeigte sich der Ständerat bei der Beratung zur Finanzierung und Ausbau der Eisenbahninfrastruktur (FABI) von seiner spendablen Seite. Er nahm teilweise aus taktischen Gründen derart viele zusätzliche Ausbauprojekte auf, dass das Investitionsvolumen mit CHF 6.4 Mia.fast doppelt so hoch ausfiel, wie von der Regierung vorgesehen (CHF 3.5 Mia.). Gleichzeitig sprach sich die kleine Kammer für eine Erhöhung des Preises der Autobahnvignette zwecks Finanzierung des Strassenverkehrs auf CHF 100 aus. Beides wird 2013 in der grossen Kammer für Gesprächsstoff sorgen. Ebenfalls für viel mediales Echo sorgte der Entscheid des Bundesrates, zwecks Sanierung des Gotthard-Strassentunnels eine zweite Röhre bauen zu wollen. Eine solche habe finanzielle Vorteile und mit der Beschränkung auf jeweils eine Fahrspur im neuen und im sanierten Tunnel werde der Alpenschutzartikel eingehalten. Während bürgerliche Parteien, Wirtschaftsverbände und der Kanton Tessin den Entscheid begrüssten, wurde er von Links-Grün und dem Kanton Uri heftig kritisiert.

Wachsendes Interesse wurde 2012 der Familienpolitik zuteil. Die Räte sprachen sich für eine Verankerung eines Familienartikels in der Verfassung aus, der eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf anstrebt. Das obligatorische Referendum wurde für 2013 angesetzt. In seiner Botschaft stellte sich der Bundesrat gegen die Familieninitiative der SVP, die einen Steuerabzug für die Selbstbetreuung von Kindern verlangt. Im Dezember kamen zudem zwei Initiativen der CVP zu Stande, die beide steuerliche Erleichterungen für Familien bzw. Ehepaare verlangen.

Es dürfte der medialen Logik der Bewirtschaftung möglichst publikumswirksamer politischer Ereignisse geschuldet sein, dass von der Schweizerischen Politik im Jahr 2012 auch skandalumwitterte Schicksale politisch exponierter Personen haften bleiben. Freilich hatten sowohl der Fall «Hildebrand» als auch der Fall «Zuppiger» ihren Ursprung bereits im Vorjahr, politische Wirkung entfalteten sie aber im Berichtjahr. Nationalbankchef Philipp Hildebrand trat aufgrund des Vorwurfs, die Einführung der Frankenkursuntergrenze zur persönlichen finanziellen Bereicherung genutzt zu haben, von seinem Posten zurück. Ein Nachspiel sollte dies für Christoph Blocher haben, der die Affäre ins Rollen gebracht hatte, gegen den ein Strafverfahren eröffnet wurde und dem die Immunität entzogen wurde. Bruno Zuppiger, der 2011 als aussichtsreicher Bundesratskandidat galt, sich dann aber aufgrund eines Verdachts auf Veruntreuung zurückziehen musste, trat nach langem Zögern und grossem Druck seiner Partei erst zu Beginn der Herbstsession auch als Nationalrat zurück. Ein handfester Skandal in der Bundesverwaltung wird 2012 unter dem Stichwort «Insieme» in Erinnerung bleiben. Die Kosten eines seit 2001 beschlossenen Informatikprojektes unter diesem Namen liefen derart aus dem Ruder, dass es mit einem Verlust von rund CHF 105 Mio. aufgegeben wurde. Eine Administrativuntersuchung brachte auch mehrere Ungereimtheiten bei der Vergabe von Teilprojekten zutage.

Bei den kantonalen Wahlen schnitten die Parteien unterschiedlich ab. Die GLP und die BDP, bei der mit Martin Landolt ein neuer Präsident an die Spitze gewählt wurde, konnten zulegen. Die FDP, die neu von Philipp Müller präsidiert wird und bei der der Fusionsprozess mit der Liberalen Partei 2012 abgeschlossen wurde, konnte ihre Besitzstände überraschend gut wahren. Der negative Trend für die CVP, die ihr 100-jähriges Bestehen feierte, setzte sich hingegen fort. Auch die Grünen, die neu von einer Doppelspitze bestehend aus Adèle Thorens und Regula Rytz geleitet werden, mussten herbe Verluste hinnehmen. Die SP ihrerseits konnte etwas zulegen. Für Schlagzeilen sorgte Links-Grün, weil sowohl die SP als auch die GP Spendenangebote von Grossbanken ablehnten. Was die SVP betrifft, setzte sich der negative Trend der eidgenössischen Wahlen 2011 zumindest anfangs 2012 fort, was zu einiger, letztlich aber kaum umgesetzter Kritik an der Parteispitze führte. Dass die Volkspartei ihr Kernthema Asylpolitik nach wie vor erfolgreich besetzt, zeigte sich bei der Verschärfung des Asylgesetzes das nicht nur bei der SVP, sondern auch bei der FDP und der CVP auf Unterstützung stiess. Sogar die SP verzichtete auf ein Referendum gegen die Vorlage, welches schliesslich u.a. von den Jungen Grünen ergriffen wurde. Auflösungserscheinungen zeigten im Berichtjahr die Schweizer Demokraten, die nach der Abwahl im Kanton Aargau in keinem kantonalen Parlament mehr vertreten waren.

Die Strategie, direktdemokratische Instrumente für Eigenwerbung zu nutzen, stiess bei den Parteien immer mehr auf Anklang. Dies zeigt sich nicht zuletzt am Umstand, dass im Jahr 2012 elf neue Initiativen lanciert und zehn eingereicht wurden (total befanden sich im Berichtjahr 20 Begehren im Sammelstadium) und über sieben Volksbegehren (und zwei Gegenvorschläge) abgestimmt wurde. Freilich ist das Sammeln von Unterschriften kein einfaches Unterfangen. So mussten etwa die CVP wie auch die GLP lange zittern, bis sie ihre Begehren einreichen konnten. Die FDP – bisher ebenfalls nicht erprobt im Umgang mit Unterschriftensammlungen – scheiterte mit ihrer Bürokratieinitiative gar am Unterschriftenquorum. Die erfolgreiche Qualifizierung von Verfassungsinitiativen stellt lediglich die erste Hürde dar. Der Weg bis hin zum Urnengang kann mitunter ein sehr langer sein, wie die Abzockerinitiative erfahren musste: Bereits 2008 eingereicht, handelten die Räte erst im Berichtjahr nach einer eigentlichen Odysee und zahlreichen Fristverlängerungen einen indirekten Gegenvorschlag aus. Dass das Parlament zuweilen auch effizienter arbeiten kann, zeigt das Beispiel der SP-Initiative für eine Einheitskrankenkasse. Damit die Sozialdemokraten nicht im Wahljahr 2015 aus der Initiative Profit ziehen können, wurden mehrere Vorstösse eingereicht, die verlangen, dass der Bundesrat auf die Ausarbeitung eines Gegenvorschlags verzichtet. Erfolgreich können Begehren durchaus schon aufgrund der Parlamentsdebatte sein, wenn etwa mögliche alternative und abgeschwächte Lösungen in indirekte oder direkte Gegenvorschläge fliessen – im Berichtjahr wurde etwa über die Jugendmusikförderung oder die Regelung der Geldspiele abgestimmt, beides Entwürfe des Parlaments, die auf zurückgezogene Initiativen beruhen. Selten, in den letzten Jahren jedoch zunehmend, erreichen Initiativen ihr eigentliches Ziel: Die Unterstützung von Volk und Ständen – seit 1871 wurden 19 Begehren, seit 1990 mehr als die Hälfte davon (elf) angenommen. Dieses Kunststück schaffte im Berichtjahr die Zweitwohnungsinitiative. Freilich bedeutet die Annahme an der Urne noch nicht automatisch, dass eine Initiative ihre geplante Wirkung entfaltet. Ein Volksbegehren zielt grundsätzlich auf eine Änderung der Verfassung und die spezifischen Ausführungsbestimmungen auf Gesetzesstufe unterliegen Bundesrat und Parlament. Die Umsetzung erweist sich mitunter dann als problematisch, wenn die Initiative gegen Grundrechte, Verfassungsgrundsätze oder internationale Abkommen verstösst. Mögliche Lösungen für dieses Problem wurden auch im Berichtsjahr virulent diskutiert, die Einführung einer Verfassungsgerichtsbarkeit wurde in den Räten hingegen erneut abgelehnt. Ob die Umsetzungsschwierigkeiten dazu führen, dass Initianten ihren Initiativtext verbindlicher formulieren und ob auf eine buchstabengetreue Umsetzung abzielende Begehren wie etwa die Durchsetzungsinitiative der SVP das semidirekte demokratische System mit seiner Gewaltenbalance zwischen Stimmbürgerschaft und politischen Behörden aushöhlen, bleibt abzuwarten.

Politische Grundfragen:
– Der Vorschlag für die Einführung einer Verfassungsgerichtsbarkeit scheiterte nach langer Diskussion.
– Zwei Vorstösse fordern auch für Parteianlässe einen freien Zugang zum Rütli.
– Die UNO stellte der Schweiz ein gutes Zeugnis hinsichtlich Respektierung der Menschenrechte aus, empfahl aber, Initiativen vorgängig auf ihre Kompatibilität mit den Grundrechten zu prüfen.
– Das Vertrauen der Bevölkerung in die politischen Institutionen ist nach wie vor hoch.
– Das Projekt Expo Bodensee-Ostschweiz 2027 konkretisierte sich weiter.

Rechtsordnung:
– Der Bundesrat unterzeichnete ein Abkommen über den Austausch vom Polizeidaten mit den USA.
– Das Bundesgericht hiess die Beschwerde von Google Streetview teilweise gut.
– Der Bundesrat stellte die Strategie zum Schutz der Schweiz vor Cyber-Risiken vor.
– Das Bundesgericht hiess den Deal in Causa Tinner gut.
– In Bern haben 10‘000 Jugendliche gegen die Trägheit des Berner Nachtlebens demonstriert.
– Das Parlament beschloss die Wiedereinführung der verdeckten Ermittlungen.
Cannabiskonsum wird künftig mit einer Busse von CHF 100 bestraft.
– Das Parlament verabschiedete ein Bundesgesetz betreffend die Unverjährbarkeit pornographischer Straftaten an Kinder.
– Der Bundesrat präsentierte einen Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Pädophile sollen nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen».
– Die SVP lancierte eine Volksinitiative zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer.
– Die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren verabschiedete eine Verschärfung des Hooligan-Konkordats.
– Das Parlament beschloss ein Bundesgesetz über die Massnahmen gegen Zwangsheiraten.

Institutionen und Volksrechte:
– Bundesrat und Parlament empfahlen die Initiative zur Volkswahl des Bundesrates zur Ablehnung.
– Die Staatsleitungsreform verkam zur Minireform.
– Das Informatikprojekt «Insieme» im EFD lief aus dem Ruder und musste abgebrochen werden; CHF 105 Mio. wurden in den Sand gesetzt.
– Die Räte hiessen die Revision des Bundespersonalgesetzes gut.
– Maya Graf war 2012 die erste grüne Nationalratspräsidentin.
– Per Videoerfassung nachgewiesene Zählfehler zwangen den Ständerat, auf einen Vorstoss zur Einführung einer elektronischen Zählanlage zurückzukommen.
– Die Akkreditierung von Lobbyisten war Gegenstand mehrerer Ratsdebatten.
– Mit der Zweitwohnungsinitiative wurde das neunzehnte Volksbegehren seit 1891 angenommen.

Föderativer Aufbau:
– Einige Kantone versuchten mit der Schaffung von Lobbyingstellen mehr Einfluss auf die nationale Politik zu nehmen.
– Der Ständerat gewährleistete die neue Schwyzer Verfassung nur knapp. Das neue Proporzwahlsystem bleibt höchst umstritten.
– Die im Juli präsentierten Zahlen zum Finanzausgleich evozierten Auseinandersetzungen zwischen den Kantonen und eine Diskussion um die Grenzen interkantonaler Solidarität.
– In den beiden Basel wurde eine Initiative für eine Fusion lanciert.
– Die Kantone Bern und Jura unterzeichneten eine Absichtserklärung, deren Ziel eine Volksabstimmung über ein Verfahren für die Gründung eines neuen Kantons bestehend aus dem Kanton Jura und dem Berner Jura ist.

Wahlen:
– Bei den Parlamentswahlen in acht Kantonen konnte die neue Mitte (BDP und GLP) zulegen, während die SVP und die GP teilweise hohe Verluste einfuhren.
– Der negative Trend für die CVP setzte sich fort; die FDP konnte ihre Besitzstände wahren und teilweise gar ausbauen.
– Die Schweizer Demokraten waren nach Verlusten im Kanton Aargau in keinem kantonalen Parlament mehr vertreten.
– Die Angriffe der SVP bei sechs der acht Regierungswahlen scheiterten mit Ausnahme des Kantons Schwyz, wo die Volkspartei die SP aus der Regierung verdrängte.
– Im Kanton Waadt kam es zum ersten Mal zu einer Frauenmehrheit in einer kantonalen Regierung.
– Bei den Legislativwahlen gehörten die Frauen zu den Verliererinnen: in fünf der acht Kantonswahlen und in drei der vier Kommunalwahlen ging der Frauenanteil zurück.
– Bei den Ständeratsersatzwahlen im Kanton Freiburg verteidigte die SP mit ihrem Präsidenten Christian Levrat ihren Sitz, der aufgrund der Wahl von Alain Berset in den Bundesrat frei geworden war.

Aussenpolitik:
– Bundesrat Didier Burkhalter übernahm das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA).
– Das Parlament genehmigte einen Kredit über CHF 11.35 Milliarden für die internationale Zusammenarbeit 2013-2016.
– Der Bundesrat aktivierte gegen die EU-8-Staaten die Ventilklausel.
– Die bilateralen Verhandlungen mit der EU wurden weiterhin durch institutionelle Fragen blockiert.
– Der Druck Deutschlands und der USA auf den Schweizer Finanzplatz blieb auch im Rahmen der Verhandlungen über Doppelbesteuerungsabkommen hoch.
– Das Stimmvolk lehnte die AUNS-Initiative «Für die Stärkung der Volksrechte in der Aussenpolitik (Staatsverträge vors Volk!)» ab.
– Die Schweiz bezog Stellung zum Syrien-Konflikt und verhängte Sanktionen über das Land.
– Die Schweiz feierte ihre 10-jährige Mitgliedschaft in der UNO und wurde vom UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon besucht.
– Die Schweiz empfing die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi in Bern und eröffnete eine Botschaft in Myanmar.

Landesverteidigung:
– In mehreren Vorstössen wurde der Bundesrat beauftragt, das Nebeneinander von Rekrutenschule und Studium, beziehungsweise zwischen Arbeitsleben und Armee besser zu koordinieren.
– Die Schweizerische Botschaft in Tripolis (Libyen) musste durch Armeeangehörige geschützt werden.
– Für CHF 407 Mio. sollen Armeeimmobilien saniert werden.
– Mit der Umsetzung des Übereinkommens über Streumunition setzte das Parlament den eingeschlagenen Weg der Friedensförderung fort.
– Mit dem Rüstungsprogramm 2012 beantragte der Bundesrat den Kauf von 22 Kampfflugzeugen des Typs Gripen vom Schwedischen Hersteller Saab. Das Geschäft Tiger Teilersatz beschäftigte zahlreiche Akteure und sorgte für viel Unmut.
– Die Anfang Jahr eingereichte Volksinitiative «Ja zur Aufhebung der Wehrpflicht» wurde vom Nationalrat zur Ablehnung empfohlen.
– Der Bundesrat skizzierte in einem Bericht die Zukunft des Zivilschutzes nach 2015.

Wirtschaftspolitik:
– Das Bruttoinlandprodukt der Schweiz wuchs im Berichtsjahr um ein Prozent.
– Im Rahmen der Swissness-Vorlage waren sich der Nationalrat und der Ständerat uneinig über die Kriterien, die einen besseren Schutz der «Marke Schweiz» ermöglichen sollten.
– Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger stimmten dem Gegenentwurf zur zurückgezogenen Volksinitiative «für Geldspiele im Dienste des Allgemeinwohls» zu.
– Der Bundesrat unterbreitete dem Parlament eine Botschaft zur Revision des Kartellgesetzes.
– Das Parlament stellte der Abzocker-Initiative einen indirekten Gegenvorschlag gegenüber.

Geld, Währung und Kredit:
– Die Nationalbank kaufte massiv Währungsreserven, um den Mindestkurs gegenüber dem Euro zu verteidigen.
– Der Präsident der SNB wurde verdächtigt, die Einführung der Kursuntergrenze zur persönlichen finanziellen Bereicherung genutzt zu haben und trat zurück.
– Das Parlament segnete die Verordnungen zur Grossbankenregulierung («Too-big-to-fail») ab.
– Im Steuerstreit mit den USA wurden keine Fortschritte erzielt. Das Abgeltungssteuerabkommen mit Deutschland konnte nicht in Kraft gesetzt werden.
– Mit der Verabschiedung des Steueramtshilfegesetzes und der Umsetzungsvereinbarung zu FATCA wurde das Bankgeheimnis weiter aufgeweicht.

Landwirtschaft:
– Das Parlament begann im Herbst mit den Beratungen über die Agrarpolitik 2014-2017.
– Das Referendum gegen das revidierte Tierseuchengesetz scheiterte an der Urne.
– Die Turbulenzen um den kürzlich liberalisierten Milchmarkt beschäftigten die Branchenvertreter und das Parlament.
– Sowohl das revidierte Tierschutzgesetz als auch das Bundesgesetz über den Verkehr mit Tieren und Pflanzen geschützter Arten wurden vom Parlament angenommen.
– Eine Volksinitiative zum Schutz von Grossraubtieren wie Luchs, Bär und Wolf wurde bei der Staatskanzlei eingereicht.

Öffentliche Finanzen:
– Das Parlament verschärfte die Bemessungsgrundlagen der Pauschalbesteuerung.
– Der Bundesrat bereitete die Unternehmenssteuerreform III vor.
– Der Bundesrat legte dem Parlament die Botschaft zum Konsolidierungs- und Aufgabenüberprüfungspaket 2014 vor.
– Die Staatsrechnung 2012 schloss mit einem Überschuss von CHF 1.3 Mia. weit besser ab als erwartet.
– Der Voranschlag 2013 budgetierte ein Defizit von CHF 450 Mio.

Energie:
– Der Bundesrat schickte die Energiestrategie 2050 in die Vernehmlassung.
– Die Volksinitiative der Grünliberalen zur Einführung einer ökologischen Steuerreform kam zu Stande.
Swissgrid übernahm das Schweizer Übertragungsnetz.
– Die Grünen reichten ihre Volksinitiative zum Atomausstieg ein.
– Experten stellten die Unabhängigkeit der Nuklearaufsicht in Frage.
– Das Bundesverwaltungsgericht befristete den Betrieb des Atomkraftwerks Mühleberg.

Verkehr und Kommunikation:
– Der Ständerat hat die FABI-Vorlage beraten und massiv ausgebaut.
– Der Entscheid des Bundesrates, einen zweiten Gotthardstrassentunnel zu bauen, warf hohe Wellen.
– Nach der Bereinigung der Differenzen wurden das Via-Sicura-Massnahmenpaket und der letzte Teil der Bahnreform 2 vom Parlament gutgeheissen.
– Der Nationalrat wollte den Preis der Autobahnvignette auf CHF 70 erhöhen, der Ständerat auf CHF 100.
– Die Lizenzauktion für die Mobilfunkfrequenzen brachte der Bundeskasse CHF 997 Mio. ein.
– Im Fluglärmstreit zwischen Deutschland und der Schweiz zeichnete sich überraschend eine Lösung ab, der ausgehandelte Staatsvertrag überzeugte jedoch nicht alle involvierten Parteien und wurde von Deutschland auf Eis gelegt.

Raumplanung und Wohnungswesen:
– Mit dem Raumkonzept Schweiz wurde das erste tripartite Konzept zur Förderung der nachhaltigen Raumentwicklung verabschiedet.
– Gegen die beschlossene Teilrevision des Raumplanungsgesetzes, welche der Landschaftsinitiative als indirekter Gegenvorschlag gegenübergestellt worden war, ergriff der Schweizerische Gewerbeverband erfolgreich das Referendum.
– Mit einem hauchdünnen Mehr nahmen Volk und Stände die Volksinitiative «Schluss mit dem uferlosen Bau von Zweitwohnungen» überraschend an. Der Bundesrat erarbeitete sogleich eine Übergangsverordnung, welche per 1.1.13 in Kraft tritt.
– Mit der Ablehnung dreier Volks-initiativen sprachen sich die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger gegen eine verstärkte Wohneigentumsförderung aus («steuerlich begünstigtes Bausparen», «Eigene vier Wände» und «sicheres Wohnen im Alter»).

Umweltschutz:
– Die Volksinitiative «Grüne Wirtschaft» der Grünen Partei Schweiz kam erfolgreich zustande.
– Nach unbenutztem Verstreichen der Referendumsfrist zur Revision des CO2-Gesetzes zog das überparteiliche Initiativ-Komitee sein Volksanliegen «für ein gesundes Klima» zugunsten des in Kraft tretenden Gegenvorschlags zurück.
– Zum Erreichen des im Kyoto-Protokoll vorgeschriebenen CO2-Reduktionsziels unterzeichnete der Bundesrat ein Zusatzabkommen mit der Stiftung Klimarappen.
– Die im Vorjahr beschlossene Revision des Gewässerschutzgesetzes sowie die entsprechende Verordnung waren ausschlaggebend für die Einreichung zahlreicher Standesinitiativen.
– Aufgrund einer Motion wird die Ausgabe von Wegwerf-Plastiksäcken an Ladentheken zukünftig verboten.
– Das Parlament beschloss die Ratifikation der Europäischen Landschaftskonvention.

Bevölkerung und Arbeit:
– Die ständige Wohnbevölkerung der Schweiz überschritt im August des Berichtsjahres die Grenze von acht Millionen Personen.
– Der Bundesrat rief gegenüber den osteuropäischen EU-Staaten die Ventilklausel an.
– Die Arbeitslosenquote stieg leicht an.
– Im Rahmen der flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit führte das Parlament im Baugewerbe die Solidarhaftung ein.
– Die Nominallöhne stiegen um 0.8 Prozent, die Reallöhne um 1.5 Prozent.
– Das Parlament entschied sich für eine Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten von Tankstellenshops.
– Das Stimmvolk lehnte die Ferieninitiative ab.

Gesundheit, Sozialhilfe, Sport:
– Die Räte verabschiedeten verschiedene Geschäfte zu Patientenrechten und Patientensicherheit.
– Das Epidemiengesetz wurde erneuert und besser auf zukünftige Szenarien ausgelegt.
– Im Bereich Pflege sollen Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten gefördert und pflegende Personen besser entschädigt werden können.
– Die Ausbildung angehender Ärztinnen und Ärzte soll durch Zulassungsmassnahmen und Bereitstellung von genügend Weiterbildungsplätzen sichergestellt werden.
– Auf Initiative des Nationalrates wurden CHF 70 Mio. zum Ausbau von bedeutenden Sportanlagen bewilligt.
– Die Bündner Regierung und der Bundesrat gaben grünes Licht für eine Kandidatur für Olympische Winterspiele 2022 in der Schweiz.

Sozialversicherungen:
– Die Regierung kündigte eine umfassende Reform der 1. und 2. Säule an.
– Das erste Massnahmenpaket der 6. IV-Revision trat in Kraft.
– Grosse Teile des zweiten Massnahmenpakets für die 6. IV-Revision wurden in den Ratsverhandlungen zerzaust.
– Die Räte verabschiedeten einzig die neue Regelung der Kostenvergütung bei stationären Spitalaufenthalten von IV-Beziehenden.
– Die Volksinitiative «Für eine öffentliche Krankenkasse» kam zustande; der Bundesrat begann mit der Erarbeitung eines indirekten Gegenvorschlags.
– Das Volk lehnte die Revision des Krankenversicherungsgesetzes (Managed Care) wuchtig ab.

Soziale Gruppen:
– Die SVP lancierte mit den Volksinitiativen «Gegen Masseneinwanderung» und «Zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer» zwei direktdemokratische Instrumente zum Thema Immigration.
– Die Revision des Asylgesetzes führte zu heftigen Debatten und mündete in einem Referendum der Jungen Grünen.
– Das Parlament versuchte eine Lösung für die Wohnungsnot von Asylbewerbern zu finden.
– Das Parlament beschloss seine Position zum neuen Familienartikel.
– Der Nationalrat erlaubte gleichgeschlechtlichen Paaren die Adoption der Kinder ihres Partners.
– Die CVP lancierte zwei Volksinitiativen zur Unterstützung der Familie («Familien stärken!» und «gegen die Heiratsstrafe»).

Bildung und Forschung:
– Die Bereiche Bildung und Forschung sind neu dem Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung unter dem Dach des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) zugeordnet.
– Zahlreiche Massnahmen zur Förderung der Ausbildung in den MINT-Fächern wurden beschlossen.
– Der Bundesbeschluss über die Jugendmusikförderung wurde mit 72.7 Prozent Ja-Stimmenanteil angenommen.
– Das Niveau der Maturaausbildung war Gegenstand zahlreicher Diskussionen.
– Die Stipendieninitiative kam im Februar zustande.
– Das Forschungs- und Innovationsförderungsgesetz wurde insbesondere mit dem Ziel der Einrichtung eines nationalen Innovationsparks revidiert.

Kultur, Sprache, Kirchen:
– Das Bundesamt für Kultur verabschiedete die «Liste der lebendigen Traditionen in der Schweiz».
– Die Buchpreisbindung wurde vom Stimmvolk verworfen.
– Die Thematik des Urheberrechts im Internet beschäftigte das Parlament.
– Der Bündner Sprachenstreit erhitzte weiterhin die Gemüter.
– Das Bundesgericht bestätigte die Möglichkeit eines Teilaustritts aus der Kirche.

Medien:
– Der Bundesrat wurde beauftragt, eine medienpolitische Gesamtschau vorzunehmen, um die staats- und demokratiepolitischen Aufgaben der Medien zu sichern.
– Insgesamt sprach das BAKOM CHF 50 Mio. für die Förderung von Presseerzeugnissen.
– Die geräteabhängige Gebühr für den Empfang von TV- und Radiosignalen soll abgeschafft werden; neu soll eine Abgabe von jedem Haushalt und jedem Unternehmen entrichtet werden.
– Eine Studie der Publicom kam zum Schluss, dass die wirtschaftliche Situation der konzessionierten Privatradios und Regionalfernsehen in der Schweiz nach wie vor als durchzogen bezeichnet werden kann.

Parteien
– Der Bundesrat entschied sich, mit der Umsetzung der Empfehlungen der GRECO für mehr Transparenz in der Parteienfinanzierung zuzuwarten.
– Einige etablierte Parteien hatten Mühe, für ihre im Vorjahr lancierten Volksinitiativen genügend Unterschriften zu sammeln; die Bürokratie-Initiative der FDP schaffte das nötige Quorum nicht.
– In der BDP, der FDP und der GP wurden neue Präsidien gewählt, die SP und die SVP bestellten neue Fraktionspräsidenten.
BDP, FDP, GLP, GP und SVP verbreiterten ihre Parteispitze.
SP und GP lehnten Spendenangebote von Grossbanken ab.
– Der 2009 gestartete Fusionsprozess zwischen FDP und LP wurde mit dem Zusammenschluss im Kanton Waadt abgeschlossen.
– Die CVP feierte im Berichtjahr ihr 100-jähriges Bestehen.
– Die SVP erhielt mehr durch ihre Exponenten als durch ihre Politik mediale Aufmerksamkeit.


Verbände und übrige Interessenorganisationen
Economiesuisse, der Schweizerische Gewerbeverband, der Schweizerische Bauernverband, die Gewerkschaft Unia und die Dachorganisation Schweizer Ärztinnen und Ärzte FMH wählten neue Personen in ihre Präsidien.
– Der Detailhandel und das Gastgewerbe suchten nach Möglichkeiten, um sich mit der Frankenstärke zu arrangieren.
– Drei marktführende Unternehmen traten aus dem Telekommunikationsverband Asut aus.
– Die Dachgewerkschaft Travail Suisse verlor durch den Austritt von Angestellte Schweiz 22'000 Mitglieder.
– Die Volksinitiative «Ja zur Aufhebung der Wehrpflicht» der GSoA kam zustande.

Jahresrückblick / Rétrospective annuelle 2012
Dossier: Jahresrückblicke 2004 bis 2014