Suche zurücksetzen

Inhalte

Akteure

  • Schweizer Demokraten (SD)
  • Christlich-soziale Partei(en) (CSP)

Prozesse

264 Resultate
Als PDF speichern Weitere Informationen zur Suche finden Sie hier

Noch bevor der Abstimmungskampf zur Änderung der direkten Bundessteuer zur steuerlichen Berücksichtigung der Kinderdrittbetreuungskosten, über die im Mai 2020 hätte abgestimmt werden sollen, richtig begonnen hatte, gab der Bundesrat im März 2020 bekannt, die Abstimmung aufgrund des Corona-bedingten Lockdowns auf September 2020 zu verschieben.
Die Abstimmungsvorlage umfasste zwei Aspekte: einerseits die im Titel aufgeführte Erhöhung des Drittbetreuungsabzugs von CH 10'000 auf CHF 25'000, andererseits die der Vorlage von der bürgerlichen Parlamentsmehrheit hinzugefügte Erhöhung des Kinderabzugs von CHF 6'500 auf CHF 10'000. Im Zentrum der Abstimmungskampagne stand der zweite Aspekt, die Erhöhung des Kinderabzugs, wobei dieselbe Frage die Diskussion dominierte, die schon im Rahmen der Parlamentsdebatte im Mittelpunkt gestanden hatte: Wer profitiert von den Kinderabzügen? Zur Beantwortung dieser Frage stützten sich beide Seiten auf die Daten der ESTV, welche Finanzminister Maurer in der Parlamentsdebatte präsentiert hatte.
Die Befürworterinnen und Befürworter stellten den Nutzen der Vorlage für den Mittelstand in den Mittelpunkt ihrer Kampagne. «Der Mittelstand profitiert», warb etwa die CVP auf ihrer Internetseite. Stütze man sich auf die Definition des BFS für «Mittelstand», erhalte der Mittelstand 49 Prozent der Ermässigungen, argumentierte Marianne Binder-Keller gegenüber dem Sonntagsblick. Gegen diese Darstellung wehrten sich die Gegnerinnen und Gegner der Vorlage: Der (obere) Mittelstand profitiere zwar auch, in erster Linie nütze die Vorlage aber vor allem den Gutverdienenden, kritisierten sie: Je höher das Einkommen, desto grösser sei der Spareffekt. 70 Prozent der Gesamtentlastung kämen so den 15 Prozent der Familien mit den höchsten Löhnen zu, während 45 Prozent der Familien keine Entlastung erfahren würden, da sie keine Bundessteuern bezahlten. Gar als «Klientelpolitik» bezeichnete etwa das liberale Komitee, vor allem bestehend aus Mitgliedern der GLP, die Vorlage. Noch einseitiger sei die Verteilung schliesslich, wenn nicht nur die Familien, sondern alle Haushalte, also auch die Alleinstehenden und die kinderlosen Paare, die ja ebenfalls von den Steuerausfällen betroffen wären, berücksichtigt würden, betonte überdies Jacqueline Badran (sp, ZH). Berücksichtige man diese ebenfalls, profitierten lediglich sechs Prozent aller Haushalte von 70 Prozent der Steuerausfälle. Man lasse jedoch den Mittelstand im Glauben, dass er von der Vorlage profitiere, indem in der Debatte sowie im Abstimmungsbüchlein jeweils das steuerbare Einkommen aufgeführt werde. Dies sei «total irreführend» (Badran gemäss Blick), da niemand die Höhe seines persönlichen steuerbaren Einkommens kenne. Die ESTV begründete die Verwendung des steuerbaren Einkommens jedoch damit, dass sich der tatsächliche Steuerbetrag beim Bruttoeinkommen zwischen verschiedenen Personen stark unterscheiden könne.
Obwohl die Befürworterinnen und Befürworter immer betonten, dass die Mehrheit der Familien profitiere, gab zum Beispiel Philipp Kutter (cvp, ZH), der die Erhöhung der Kinderabzüge im Nationalrat eingebracht hatte, in einem Interview gegenüber der NZZ unumwunden zu, dass die Vorlage auch eine Steuersenkung für Gutverdienende beinhalte: Über den Steuertarif seien allgemeine Steuersenkung für Gutverdienende «chancenlos», mehrheitsfähig sei einzig der «Weg über die Kinderabzüge».

Nicht nur der Mittelstand, sondern auch die Familien standen im Zentrum der Vorlage. Diese müssten endlich unterstützt werden, betonte Philipp Kutter, was mithilfe der aktuellen Vorlage möglich sei: 60 Prozent aller Familien könnten von einer Erhöhung des Kinderabzugs profitieren. Dem entgegnete etwa die NZZ, dass die Familien in den letzten Jahren stark entlastet worden seien (v.a. durch die Reduktion der Bundessteuer für Haushalte mit Kindern), deutlich stärker zumindest als Kinderlose. Brigitte Häberli-Koller (cvp, TG) befürwortete indes insbesondere, dass durch die aktuelle Vorlage alle Familienmodelle unabhängig der Betreuungsform entlastet würden. Die Gesellschaft habe als Ganzes ein Interesse daran, dass die Leute Kinder bekommen, ergänzte Kutter. Familiäre Strukturen seien für die Gesellschaft wichtig, überdies sei man dadurch weniger auf Zuwanderung angewiesen, die ja ebenfalls teilweise auf Ablehnung stosse. Demgegenüber wurde in der NZZ die Frage diskutiert, ob Kinderabzüge überhaupt gerechtfertigt seien. So könne man es als private Konsumentscheidung ansehen, Kinder zu haben; in diesem Falle würden Kinderabzüge der Besteuerung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit widersprechen. Es gäbe aber einen politischen Konsens, dass das Steuerrecht Kinderkosten berücksichtigen solle. Die Entscheidung, wie diese Unterstützung erfolgen solle (durch degressiv wirkende Kinderabzüge, neutral wirkende Abzüge vom Steuerbetrag oder durch progressiv wirkende Kinderzulagen zum Erwerbseinkommen), sei dann eine weitere, umverteilungspolitische Entscheidung.

Ein weiteres Argument der Gegnerinnen und Gegner der Erhöhung des Kinderabzugs lag in den daraus folgenden hohen Kosten: Die Vorlage verursache voraussichtlich fast 40mal höhere Kosten, als für die Erhöhung des Drittbetreuungsabzugs geplant worden war, und übertreffe damit auch die Kosten der medial deutlich umstritteneren Verlängerung des Vaterschaftsurlaubs. Dadurch sei zukünftig weniger Geld für andere, sinnvollere Projekte vorhanden, argumentierten sie. SP, Grüne und die Kritikerinnen und Kritiker der Vorlage aus der FDP stellten dabei insbesondere die Individualbesteuerung in den Mittelpunkt. Dieser sprachen sie eine deutlich grössere Wirkung auf die Erwerbstätigkeit von Frauen zu als den Drittbetreuungsabzügen. Da sie aber ebenfalls zu hohen Steuerausfällen führen würde, befürchteten sie, dass die Abschaffung der Heiratsstrafe bei Annahme der aktuellen Vorlage auf die lange Bank geschoben würde, weil kein Geld mehr vorhanden wäre. Verstärkt wurde dieses Argument durch die hohen Kosten zur Bewältigung der Corona-Pandemie: Hatte der Bundesrat während der Budgetdebatte fürs Jahr 2020 noch mit einem Überschuss von CHF 344 Mio. gerechnet, wurde jetzt ein Defizit über CHF 20 Mrd. erwartet. Die Medien vermuteten von diesem Defizit nicht nur Auswirkungen auf die Vorlage zum Drittbetreuungs- und zum Kinderabzug, sondern auch auf die gleichzeitig stattfindenden Abstimmungen zu den Kampfflugzeugen und über den Vaterschaftsurlaub. «Angesichts enormer Zusatzlasten kann sich unsere Gesellschaft erst recht keine Steuergeschenke mehr leisten, die nichts bringen», argumentierte etwa GLP-Nationalrat Thomas Brunner (glp, SG). Das sahen die Befürwortenden anders, Philipp Kutter etwa betonte: «Das wird den Bund nicht umbringen».

Schliesslich waren sich Befürwortende und Gegnerschaft nicht einig, inwiefern das ursprüngliche Ziel der Vorlage, die Förderung der Beschäftigung hochgebildeter Personen, insbesondere von Frauen, durch die Ergänzung der Kinderabzüge gefördert wird. Raphaela Birrer argumentierte im Tages-Anzeiger, dass die Erhöhung der Kinderabzüge die Anreize zur Erhöhung der Erwerbstätigkeit verstärke. In einer Studie zur Wirkung der beiden Abzüge (Kinderabzug und Drittbetreuungsabzug) auf die Erwerbstätigkeit bestätigte Avenir Suisse diesen Effekt nur bedingt: Zwar senkten beide Abzüge den Grenzsteuersatz (also die Besteuerung von zusätzlichem Einkommen) und förderten damit die Erwerbstätigkeit, jedoch sei der entsprechende Effekt des Kinderabzugs gering. Zudem senke er auch den Grenzsteuersatz von Einverdienerhaushalten, wodurch die Erwerbstätigkeit von Frauen nicht gesteigert werde. Von der Erhöhung des Betreuungskostenabzugs sei hingegen ein deutlich stärkerer Effekt auf die Erwerbstätigkeit zu erwarten, damit könne der Anreiz des aktuellen Steuersystems für Zweitverdienende, nicht oder nur wenig zu arbeiten, gemildert werden. Die GLP stellte entsprechend insbesondere diesen Aspekt in den Mittelpunkt und sprach von einer Mogelpackung, weil die Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch die Erhöhung des Kinderabzugs nicht verbessert werde. Nationalrätin Christa Markwalder (fdp, BE), die sich ebenfalls im liberalen Komitee engagierte, reichte im Juni 2020 eine parlamentarische Initiative (Pa.Iv. 20.455) ein, mit der sie das Originalanliegen der Vorlage, also den Drittbetreuungsabzug, erneut aufnahm. Damit sollte dieser bei einer Ablehnung der Vorlage möglichst schnell verwirklicht werden können.
Die Frage, ob die Vorlage Anreize zur Erhöhung der Erwerbstätigkeit beinhalte oder nicht, hatte aber noch eine zweite Komponente. So störte sich die Weltwoche überhaupt daran, dass das Steuerrecht «für alle möglichen Zwecke instrumentalisiert» werde. Es sei nicht dafür da, «bestimmte Lebensmodelle zu fördern», argumentierte Katharina Fontana. Zudem sei es unmöglich, Steuergerechtigkeit herzustellen, zumal sich niemand jemals gerecht besteuert fühle.

Bezüglich der Komitees gibt es weniger zu sagen. Auf der Befürworterseite der Vorlage standen insbesondere die CVP und die SVP. Ja-Parolen gaben auch die BDP, EVP und die FDP.Liberalen aus, unterstützt wurden sie vom Gewerbeverband. Die Medien interessierten sich indes insbesondere für die Position der Freisinnigen, zumal sie die Vorlage im Parlament anfangs bekämpft, ihr mit ihrem Meinungswandel dann aber zum Durchbruch verholfen hatten. Nun wolle sich die Partei nicht an der Kampagne beteiligen, so die WOZ, zumal sie intern gespalten war: Einzelne Personen, darunter Ständerat Andrea Caroni (fdp, AR) und Nationalrätin Christa Markwalder, sprachen sich gegen die Vorlage aus und beteiligten sich gar am liberalen Nein-Komitee. Dieses setzte sich insbesondere aus Mitgliedern der GLP zusammen und kämpfte vor allem dagegen, dass die «Mogelpackung» viel koste, aber keine oder gar negative Auswirkungen hätte. Damit würden «keine Anreize für arbeitstätige Elternteile geschaffen», betonte Kathrin Bertschy (glp, BE). Auf linker Seite kämpften vor allem die SP und die Grünen, welche die Unterschriften für das Referendum gesammelt hatten, für ein Nein. Unterstützt wurden sie von den Gewerkschaften, aber auch Avenir Suisse sprach sich gegen die Kinderabzüge aus. Stimmfreigabe erteilten hingegen unter anderem die FDP Frauen. Sie befürworteten zwar den Drittbetreuungsabzug, störten sich aber an den hohen Kosten des Kinderabzugs, durch den das wichtigere Projekt der Individualbesteuerung weiter hinausgeschoben werde. Auch der Arbeitgeberverband entschied sich für Stimmfreigabe, nachdem er das Projekt im Parlament noch bekämpft hatte, da es «kaum zu einer stärkeren Arbeitstätigkeit der Eltern beitrage», wie der Blick berichtete. Dasselbe geschah mit Economiesuisse, der das Kosten-Nutzen-Verhältnis der Vorlage anfangs zu wenig ausgewogen gewesen sei. Der Sonntags-Blick vermutete, dass sich die Verbände nicht zu einer Nein-Parole hätten durchringen können, da das Referendum «aus dem falschen politischen Lager» stammte. Interessant war für die Medien schliesslich auch die Position des Bundesrates, insbesondere von Finanzminister Maurer. Dieser hatte die Vorlage im Parlament mit deutlichen Worten bekämpft, vertrat nun aber – wie im Gesetz für politische Rechte geregelt – die Position des Parlaments. Ersteres hatte er so gut getan, dass sich auch die NZZ nicht sicher war, ob er denn nun die Vorlage persönlich befürworte, wie seine Partei, oder sie ablehne.

Der Abstimmungskampf zur Vorlage verlief ungemein schwach. So stand sie deutlich im Schatten der Corona-Pandemie sowie der anderen vier Vorlagen. Sie wurde gemäss Analysen vom Fög und von Année Politique Suisse einerseits nur sehr schwach in Zeitungsinseraten beworben und andererseits auch in den Medien vergleichsweise selten thematisiert. Die briefliche Stimmabgabe deutete anfänglich auf mässiges Interesse am Super-Sonntag hin, wie der Abstimmungstag mit fünf Vorlagen in den Medien genannt wurde. Die SP schaltete sieben kurze Animationsfilme und gab ein Comic-Heftchen zu den Filmen aus, um zu verhindern, dass die Vorlage untergeht. Die ersten Vorumfragen Mitte August 2020 zeigten dann auch, dass die Meinungsbildung zur Vorlage noch nicht weit fortgeschritten war. Auf diese Tatsache wurde in den entsprechenden Berichten das Zwischenergebnis, wonach die Sympathisierenden von SP und Grünen die Vorlage mehrheitlich befürworteten, zurückgeführt. Besserverdienende gaben zu diesem Zeitpunkt an, der Vorlage eher zuzustimmen. Christian Levrat (sp, FR) hoffte, diese Personen durch die Kampagne noch umstimmen zu können. Die erste Tamedia-Umfrage ergab insgesamt eine Zustimmung («dafür» oder «eher dafür») von 55 Prozent und eine Ablehnung von 37 Prozent, während die SRG-Vorumfrage mit 51 Prozent zu 43 Prozent zu ähnlichen Ergebnissen kam. Diese Zahlen kehrten sich bis zum Termin der letzten Welle Mitte September um: Die Tamedia-Umfrage ergab eine Zustimmung von 46 Prozent und eine Ablehnung von 51 Prozent, die SRG-Umfrage eine von 43 Prozent zu 52 Prozent. Bei den Sympathisierenden von SP und Grünen war die Zustimmung vom ersten zum zweiten Termin gemäss SRG-Umfragen um 19 respektive 14 Prozentpunkte gesunken, bei den Sympathisierenden der GLP ebenfalls um 12 Prozentpunkte. Bei den übrigen Parteien nahm sie ebenfalls leicht ab.

Das Resultat der Abstimmung zur Änderung der direkten Bundessteuer über die steuerliche Berücksichtigung der Kinderdrittbetreuungskosten war schliesslich deutlicher, als die Vorumfragen und die Ausgangslage viele Kommentatorinnen und Kommentatoren hatten vermuten lassen: Mit 63.2 Prozent Nein-Stimmen lehnte das Stimmvolk die Vorlage mit einer vergleichsweise hohen Stimmbeteiligung von 59.2 Prozent deutlich ab. Dieses Nein lasse jedoch einigen Interpretationsspielraum, betonten die Medien. So gab es zwischen den Kantonen doch beträchtliche Unterschiede: Am kritischsten zeigte sich die Stimmbevölkerung im Kanton Appenzell-Ausserrhoden (28.1%), gefolgt von denjenigen in Appenzell-Innerrhoden (29.3%) und Bern (29.5%), am höchsten lag die Zustimmung im Tessin (52.0%) und in Genf (50.1%), beide Kantonsbevölkerungen hätten die Vorlage angenommen. Allgemein wurde gemäss BFS ersichtlich, dass die italienischsprachige (52.0%) und die französischsprachige Schweiz (48.5%) der Vorlage deutlich mehr abgewinnen konnten als die Deutschschweiz. Kaum Unterschiede waren zwischen Stadt und Land erkennbar: Die ländlichen Regionen (35.3%) lehnten die Vorlage ähnlich stark ab wie die Kernstädte (35.8%). Das Resultat könne nicht mit dem Links-Rechts-Schema erklärt werden, betonte die NZZ. Stattdessen seien vor allem die persönliche Einstellung zur Familienpolitik und zur Rolle des Staates relevant gewesen. Die externe Kinderbetreuung würde in der Romandie stärker akzeptiert und durch den Staat stärker unterstützt als in der Deutschschweiz, betonte denn auch CVP-Ständerätin Marianne Maret (cvp, VS) gegenüber der NZZ. Entsprechend habe in der Westschweiz vor allem der Drittbetreuungsabzug im Mittelpunkt gestanden, während in der Deutschschweiz hauptsächlich über den Kinderabzug diskutiert worden sei, stellte SP-Nationalrätin Franziska Roth (sp, SO) fest. Eine zu späte Kampagne in der Romandie machte schliesslich SP-Nationalrat Roger Nordmann für den hohen Anteil Ja-Stimmen in der französischsprachigen Schweiz verantwortlich. Christian Levrat erachtete das Ergebnis insgesamt als Absage des Volkes an die bürgerliche Steuerpolitik und als Ausblick auf andere bürgerliche Projekte zur Abschaffung der Stempelabgabe, der Industriezölle, des Eigenmietwerts oder der Heiratsstrafe. Stattdessen müssten nun Familien mit tiefen und mittleren Einkommen entlastet werden, insbesondere durch die Senkung der Krankenkassenprämien und die kostenlose Bereitstellung von Kita-Plätzen. Philipp Kutter wollte die Entlastung von Familien weiterverfolgen und plante anstelle des Kinderabzugs einen Abzug vom Steuerbetrag. Dass neben der Erhöhung des Kinderabzugs auch die Erhöhung des Drittbetreuungsabzugs gescheitert war, erachtete Christa Markwalder nicht als entmutigend und setzte auf ihre eingereichte parlamentarische Initiative. Anders als bei der ersten Behandlung des Themas im Nationalrat, als sich die SP- und die Grüne-Fraktion gegen Eintreten ausgesprochen hatten, kündigte Christian Levrat an, die parlamentarische Initiative zu unterstützen. Dies sei aber nur ein erster Schritt, zusätzlich brauche es auch Lösungen, die sich für die Mehrheit der Bevölkerung auszahlten.


Abstimmung vom 27. September 2020

Beteiligung: 59.2%
Ja: 1'164'415 (36.8%)
Nein: 2'003'179 (63.2%)

Parolen:
- Ja: BDP (1*), CVP, EVP (1*), FDP (1*), SVP; SGV
- Nein: EDU, GLP (1*), GPS, PdA, SD, SP; SGB, SSV, Travail.Suisse, VPOD
- Stimmfreigabe: Economiesuisse, SAV
* Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Steuerliche Berücksichtigung der Kinderdrittbetreuungskosten

Nach einem langen und emotionalen Abstimmungskampf nahm die Schweizer Stimmbevölkerung am 19. Mai 2019 die Übernahme der geänderten EU-Waffenrichtlinie mit 63.7 Prozent Ja-Stimmen deutlich an. Die Stimmbeteiligung lag bei 43.9 Prozent. Ausser im Tessin (45.5% Ja) überwog die Zustimmung in allen Kantonen. Am höchsten fiel sie in Basel-Stadt mit 75 Prozent Ja-Stimmen aus, gefolgt von den drei Westschweizer Kantonen Genf, Neuenburg und Waadt sowie dem Kanton Zürich mit jeweils über 70 Prozent. Gesamtschweizerisch zeigte sich ein klarer Stadt-Land- oder Zentrum-Peripherie-Graben, wobei die Zustimmung in den städtischen Zentren am höchsten und – nebst dem Tessin – in den ländlichen Regionen wie dem Berner Oberland, der Innerschweiz und den Bündner Südtälern am niedrigsten ausfiel.
Vertreterinnen und Vertreter der Befürworterseite werteten das Ergebnis in der Presse als positives Signal für die Beziehungen der Schweiz zur EU und blickten zuversichtlich in Richtung der anstehenden europapolitischen Entscheidungen über die Begrenzungsinitiative sowie über das institutionelle Rahmenabkommen mit der EU. Demgegenüber sah das unterlegene Nein-Lager im Resultat kein Ja zu Europa, sondern schöpfte daraus neuen Elan für den Kampf gegen die Personenfreizügigkeit und das Rahmenabkommen. «Solche angstgetriebenen Abstimmungsergebnisse wären künftig die Regel, falls der Bundesrat das Rahmenabkommen mit der EU unterschreibt», zitierte beispielsweise die Aargauer Zeitung eine Mitteilung der SVP. Die Gesellschaft für ein freiheitliches Waffenrecht ProTell, die an vorderster Front gegen die Änderungen im Waffenrecht gekämpft hatte, liess derweil verlauten, man werde die Umsetzung der EU-Waffenrichtlinie nun sehr genau überwachen und den Bundesrat an seinen Versprechungen messen, die er im Abstimmungskampf gemacht habe.
Der Ausgang der Abstimmung wurde sowohl von der Befürworter- als auch von der Gegnerseite zu einem grossen Teil der neuen Justizministerin Karin Keller-Sutter zugeschrieben. Sie habe mit ihrer Glaubwürdigkeit als ehemalige Polizeidirektorin eines Grenzkantons die Unentschlossenen überzeugt, lobte sie etwa der Waadtländer FDP-Nationalrat Laurent Wehrli in der «Tribune de Genève». Auch der Walliser SVP-Nationalrat und Interimspräsident von ProTell Jean-Luc Addor bezeichnete die Übernahme des EJPD durch Karin Keller-Sutter gegenüber der gleichen Zeitung als «Schlüsselmoment» in der Kampagne, weil die St. Gallerin – im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin und «historischen Waffengegnerin» Simonetta Sommaruga – im Dossier als glaubwürdig wahrgenommen worden sei. Die neue Bundesrätin bestand ihre Feuertaufe vor dem Stimmvolk offensichtlich mit Bravour.


Abstimmung vom 19. Mai 2019

Beteiligung: 43.9%
Ja: 1'501'880 (63.7%)
Nein: 854'274 (36.3%)

Parolen:
– Ja: BDP, CVP, EVP, FDP (Jungfreisinnige: 3*), GLP, GP, KVP, SP; KdK, Economiesuisse, SAV, SGV, SGB, Travail.Suisse, Gastrosuisse, Hotelleriesuisse, SBLV
– Nein: EDU, FP, SD, SVP; IGS, SOG, Schweizerischer Unteroffiziersverband, Jagd Schweiz, ProTell, SBV
* Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands. Übernahme der Richtlinie 2017/853 zur Änderung der EU-Waffenrichtlinie
Dossier: Das Bundesgesetz über Waffen, Waffenzubehör und Munition (Waffengesetz)

Am 17. September 2018 lancierte das Referendumskomitee seine Kampagne gegen das Gesetz über die Grundlage der Überwachung von Versicherten vor dem Hauptsitz der CSS-Krankenversicherung in Bern. Ziel dieser Aktion sei gemäss Komitee, den Fokus der Diskussion auch auf die Krankenkassen zu lenken. Da alle Bürger krankenversichert seien, könnten sie alle zukünftig einmal ins Visier der Sozialdetektive geraten, argumentierte Dimitri Rougy vom Referendumskomitee. Dass das neue Gesetz – entgegen deren Erklärungen – für die Krankenkassen wichtig sei, zeige das starke Lobbying, das sie diesbezüglich in Bern betrieben hätten. Dieser Darstellung widersprach die CSS: Observationen spielten für sie jetzt und auch zukünftig bei der Missbrauchsbekämpfung keine Rolle, erklärte CSS-Sprecherin Christina Wettstein.
Noch während der Abstimmungskampagnen präsentierte der Bundesrat seine Verordnung zur Anforderung an die mit der Überwachung betrauten Personen. Diese müssten über eine Bewilligung des BSV verfügen, in den letzten 10 Jahren nicht für ein mit der Überwachung zusammenhängendes Delikt verurteilt worden sein, über eine Polizeiausbildung oder gleichwertige Ausbildung, dazu zählt auch eine Ausbildung an einer Detektivschule, sowie über ausreichende Rechtskenntnisse verfügen und mindestens zwei Jahre Berufserfahrung in der Personenüberwachung haben. Zudem soll das BSV ein Verzeichnis über die entsprechenden Personen führen. Dies sei zwar besser als gar keine Regelung, erklärte Silvia Schenker (sp, BS) als Mitglied des Referendumskomitees, löse aber das Grundproblem der Überwachung nicht.
In der Folge versuchten die Referendumsführenden klar zu machen, dass es ihnen nicht in erster Linie darum gehe, Observationen zu verhindern. Diese dürften aber nicht willkürlich erfolgen, sondern müssten auf einer sorgfältig ausgearbeiteten gesetzlichen Grundlage beruhen. Eine solche stelle das neue Gesetz aber nicht dar, da zu viele Punkte unklar seien. Zudem gingen die Möglichkeiten, welche die Versicherungen erhielten, viel zu weit. Man würde damit «mit Kanonen auf Spatzen […] schiessen», betonte Anne Seydoux (cvp, JU). Erstere Kritik unterstützte auch ein bürgerliches Komitee, vor allem bestehend aus Jungen Grünliberalen sowie teilweise aus Jungfreisinnigen. Unterstützt wurden sie von einigen Kantonalsektionen, etwa der GLP Neuenburg oder der CVP Jura, CVP Neuenburg und CVP Genf. Offiziell bekämpft wurde die Vorlage schliesslich von SP, Grünen und Grünliberalen, Letztere entschieden sich aber mit 67 zu 61 Stimmen nur knapp und gegen den Willen des Parteivorstands gegen das Gesetz. Unterstützung in den Medien erhielten die Komitees während des Abstimmungskampfes auch von einem Teil des Verbandes Schweizerischer Polizeibeamter (VSPB): Die Hälfte der Verbandsmitglieder, die an einer entsprechenden Befragung teilgenommen hätten, lehne das neue Gesetz ebenfalls ab, weil Privatdetektive verglichen mit den Strafverfolgungsbehörden zu viele Kompetenzen erhielten, berichteten die Medien.
Auf der anderen Seite betonten die Befürworterinnen und Befürworter des neuen Gesetzes, zu dem unter anderem die SVP, FDP, CVP, BDP und EDU sowie zum Beispiel der Gewerbeverband, der Arbeitgeberverband und der Versicherungsverband zählten, dessen Wichtigkeit für die Sozialversicherungen. Einerseits sei eine konsequente Verfolgung von Missbrauch für das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Sozialversicherungen zentral, andererseits könnten so Kosten gespart werden, wodurch mehr Geld für die tatsächlich Berechtigten übrigbliebe. Um letzteren Punkt zu verdeutlichen, führten die Befürwortenden des Gesetzes an, wie viele unrechtmässig bezogenen Leistungen durch die Observationen gespart werden können. Alleine zwischen 2009 und 2016 habe die IV gemäss Zahlen des BSV wegen festgestellten Missbräuchen in etwa 2000 Fällen pro Jahr insgesamt Renten in der Höhe von CHF 1.2 Mrd. eingespart. Jährlich seien 220 Fälle mithilfe von Observationen durchgeführt worden, wobei sich der Verdacht in der Hälfte der Fälle bestätigt habe. Der momentane Überwachungsstopp erschwere den entsprechenden Stellen hingegen die Überführung von Betrügerinnen und Betrügern. So erklärte die IV-Stelle Bern, dass sie im ersten Halbjahr 2018 nur halb so viele Fälle unrechtmässig bezogener Leistungen festgestellt habe wie im ersten Halbjahr 2017. Keine entsprechende Einschätzung abgeben wollte jedoch zum Beispiel die IV-Stelle des Kantons Aargau, die SVA Aargau, da aufgrund der langen Dauer der Überwachungen zu Beginn des Untersuchungszeitraums noch Observationen eingesetzt worden seien. Auch Silvia Schenker kritisierte entsprechende Aussagen als reine Spekulation, da nicht nachgewiesen werden könne, ob die Unterschiede tatsächlich auf die fehlenden Observationen zurückzuführen seien.

Ungewohnt grosse Aufmerksamkeit erhielt im Rahmen des Abstimmungskampfes das Abstimmungsbüchlein. Das Referendumskomitee kritisierte in den Medien die Informationspolitik des Bundesrates im Abstimmungsbüchlein deutlich. Letzteres sei fehlerhaft, so dass die freie Meinungsbildung nicht mehr gewährleistet sei. Beanstandet wurde insbesondere, dass das neue Gesetz durch Aussagen, wonach dieses keine Möglichkeiten schaffe, in Wohn- und Schlafzimmern zu filmen, und wonach Richtmikrofone und Wanzen nicht erlaubt seien, verharmlost werde. Dem widersprach die Bundeskanzlei und erklärte, man habe die Grundsätze der Sachlichkeit, Transparenz und Verhältnismässigkeit eingehalten. In der Folge versuchte das Komitee, den Versand des Abstimmungsbüchlein durch eine Abstimmungsbeschwerde beim Kanton Zürich und anschliessend beim Bundesgericht zu verhindern. Das Bundesgericht wies hingegen den Antrag auf Versandstopp ab. Ein solcher sei nicht gerechtfertigt, weil auch zwei weitere Vorlagen Ende November 2018 zur Abstimmung kämen. Inhaltlich entschied es jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Etwa drei Wochen vor dem Urnengang wurde schliesslich publik, dass die Zahlen des BSV zur Anzahl Observationen bei der IV nicht korrekt waren. So wäre etwa der Kanton Freiburg mit knapp 4 Prozent der Schweizer Bevölkerung für 30 Prozent aller Observationen verantwortlich gewesen; statt 70 Observationen, wie sie das BSV aufführte, hätten in demselben Zeitraum in Freiburg jedoch nur 8 Observationen stattgefunden, erklärte dann auch der Direktor der kantonalen Sozialversicherungsanstalt. Auch in Bern und in Basel-Landschaft waren die Zahlen falsch. Diese Fehler hatten Auswirkungen auf die Höhe der Einsparungen durch die Observationen, die von der Anzahl Observationen abhängt. In der Folge musste die Bundeskanzlei die im Abstimmungsbüchlein gedruckten Zahlen korrigieren: Jährlich komme es bei der IV von 2'400 Fällen, in denen Verdacht auf Sozialversicherungsbetrug bestehe, in 150 Fällen zu Observationen, nicht in 220 Fällen wie ursprünglich erklärt. Da das Abstimmungsbüchlein zu diesem Zeitpunkt bereits gedruckt und verschickt war, korrigierte der Bund die Zahlen nur in der elektronischen Fassung. Dies könne womöglich rechtliche Folgen – bis hin zur Ungültigerklärung der Abstimmung – haben, spekulierten die Medien.
Kurze Zeit später wurde ein weiterer Fehler im Abstimmungsbüchlein publik. So berichtigte die GPK-NR eine Angabe in einer Tabelle, wonach der Nachrichtendienst zum Beispiel Telefonüberwachungen zur Bekämpfung von «Terrorismus und gewalttätigem Extremismus» einsetzen könne. Dies stimme nur für Terrorismus, gegen gewalttätigen Extremismus, zum Beispiel gegen Links- oder Rechtsradikale, könne der Nachrichtendienst keine Telefonüberwachung einsetzen. Relevant war dieser Aspekt vor allem, weil die Gegnerinnen und Gegner der Vorlage argumentierten, die Sozialversicherungen erhielten weitergehende Kompetenzen als Polizei oder Nachrichtendienst – was die Befürworterinnen und Befürworter bestritten.
Nicht nur das Abstimmungsbüchlein, auch die Zahlen bezüglich der Observationen, die der Schweizerische Versicherungsverband (SSV) publizierte, erwiesen sich kurz darauf als unvollständig. Der Verband sprach von 100 Fällen von Observationen pro Jahr und erklärte, das «Mittel der Observation [werde] zurückhaltend, aber effizient eingesetzt». Dabei führte er jedoch nur die Observationen zum obligatorischen Bereich der Unfallversicherung, nicht aber diejenigen von anderen Versicherungen (z.B. Zusatzversicherungen, Krankentaggeldversicherungen, Haftpflichtversicherungen) auf, bei denen Überwachungen deutlich häufiger eingesetzt werden, die jedoch das neue Gesetz nicht betraf.

Die Medien publizierten während des Abstimmungskampfes mehrmals Geschichten, welche unrechtmässige Bezüge von Sozialversicherungsgeldern thematisierten. So veröffentlichte etwa das Bundesgericht Mitte Oktober 2018 ein Urteil zu einer Person, die wegen Sozialversicherungsbetrugs ihren Rentenanspruch verlor (9C_221/2018). Auch ein Bericht in der «Rundschau» sowie Überwachungsvideos von Betrügern, die der Präsident der Konferenz der kantonalen Ausgleichskassen, Andreas Dummermuth, veröffentlichte, wurden von den Medien aufgenommenen. Andererseits kamen auch Personen zu Wort, welche zu Unrecht observiert worden waren, und im Zusammenhang damit wurden auch die Folgen von solchen Überwachungen beleuchtet. So könnten diese bei den Überwachten seelische Spuren bis hin zu psychischen Beschwerden und dem Gefühl des Überwachtwerdens hinterlassen und bestehende psychische Erkrankungen noch verstärken, erklärte die Psychiaterin Maria Cerletti gegenüber dem Blick. Dabei wirke nicht nur die Überwachung selbst schädlich, sondern bereits das Wissen, dass man überwacht werden könnte.

Deutliche Vorzeichen für den Abstimmungssonntag lieferten die Vorumfragen. Die verschiedenen Wellen der Tamedia-Umfrage zeigten konstant einen Ja-Stimmenanteil von ungefähr zwei Dritteln der Stimmen (1. Welle: 67% Jastimmen, 30% Neinstimmen, 2. Welle: 68% Jastimmen, 30% Neinstimmen, 3. Welle: 67% Jastimmen, 32% Neinstimmen), die zwei Wellen der SRG-Umfrage durch gfs.bern machten Ja-Mehrheiten von 57 respektive 59 Prozent aus. Ob der relativ klaren Ausgangslage begannen sich die Medien gegen Ende des Abstimmungskampfes für die Frage zu interessieren, was bei einer Bestätigung des Gesetzes durch das Volk geschehe. So bestehe durchaus die Möglichkeit, dass der EGMR in Strassburg auch das neue Gesetz beanstande, weil dieses verschiedene Anforderungen des Urteils von 2016 nicht erfülle. Zum Beispiel seien die Regelungen bezüglich der anordnenden, durchführenden und überwachenden Einheiten sowie die Art und Weise der Überwachung zu unpräzise formuliert, erklärte etwa Kurt Pärli, Professor für Soziales Privatrecht der Universität Basel, ebenfalls gegenüber dem Blick.

Am 25. November 2018 fiel das Abstimmungsergebnis ähnlich deutlich aus, wie die Umfragen zuvor angekündigt hatten. Mit 64.7 Prozent bei einer Stimmbeteiligung von 48.4 Prozent sprachen sich die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger für das Gesetz zur Überwachung der Versicherten aus. Am höchsten lag die Zustimmung in den Kantonen Appenzell-Innerrhoden (81.2%), Nidwalden (78.0%), Obwalden (76.4%) und Schwyz (76.4%), abgelehnt wurde es in den Kantonen Jura (48.6%) und Genf (41.4%). Neben deutlichen sprachregionalen Unterschieden – in der Deutschschweiz lag die Zustimmung gemäss einer Auswertung des BFS durchschnittlich um fast 18 Prozentpunkte höher als in der Romandie, aber um etwa 2 Prozentpunkte tiefer als in der italienischsprachigen Schweiz – zeigten sich auch grosse Differenzen zwischen städtischen und ländlichen Regionen: Hier betrugen die Differenzen 15.7 Prozentpunkte in der Deutschschweiz und 11.3 Prozentpunkte in der Romandie. Lediglich in der italienischsprachigen Schweiz stimmten die Stadt- und die Landbevölkerung ähnlich (2.4 Prozentpunkte Unterschied). Unterschiede zeigten sich gemäss der Nachabstimmungsbefragung Voto auch zwischen den Altersgruppen: Personen zwischen 18 und 29 Jahren stimmten der Vorlage nur zu 42 Prozent zu, alle übrigen Altersgruppen wiesen Zustimmungsraten zwischen 60 und 76 Prozent auf. Ähnlich wie zuvor die Tamedia-Nachbefragung zeigte auch Voto auf, dass die Sympathisantinnen und Sympathisanten der Grünen (Voto: 24%, Tamedia: 22%) dem neuen Gesetz deutlich kritischer gegenüberstanden als diejenigen der SP (Voto: 42%, Tamedia: 38%). Die Befürworterinnen und Befürworter zielten gemäss Voto in erster Linie auf eine effektive Missbrauchsbekämpfung bei den Sozialversicherungen ab, die Gegnerinnen und Gegner bezogen sich in ihrer Argumentation insbesondere auf die Probleme der Vorlage bezüglich der Rechtsstaatlichkeit.

Das Ergebnis zeige, dass ohne schlagkräftige Organisation im Rücken zwar eine Abstimmung erzwungen, nicht aber gewonnen werden könne, urteilten die Medien. Mit «Die Grenzen der Bürgerbewegung» fasste das St. Galler Tagblatt die Vorlage zusammen. Auch die Initianten betonten, dass ihnen im Hinblick auf die «millionenschwere Kampagne der Versicherungsbranche» das notwendige Geld für einen Vollerfolg gefehlt habe. Einen Teil ihres Ziels hätten sie jedoch dadurch erreicht, dass durch verschiedene im Abstimmungskampf gemachte Äusserungen der Befürworterinnen und Befürworter persönlichkeitsrechtliche Aspekte hätten geklärt werden können, zum Beispiel die Frage von Filmaufnahmen aus Schlafzimmern. Daran müsse sich die Justiz orientieren, auch wenn diese nicht direkt in die Gesetzesauslegung einfliessen würden, betonte zum Beispiel Daniel Gerny in der NZZ.


Abstimmung vom 25. November 2018

Beteiligung: 48.4%
Ja: 1'667'849' (64.7%), Stände: 21
Nein: 909'172 (35.3%), Stände: 2

Parolen:
– Ja: BDP, CVP, EDU, FDP, SVP, Arbeitgeberverband, Gewerbeverband, Versicherungsverband
– Nein: GPS, GLP, PdA, SD, SP, Dachverband der Behindertenorganisationen, Gewerkschaftsbund, Pro Infirmis, Travailsuisse
– Stimmfreigabe: EVP
* in Klammern die Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Parlament schafft eine gesetzliche Grundlage für die Überwachung von Versicherten (Pa. Iv. 16.479)
Dossier: Überwachung von Versicherten (2016-2019)

Zwischen der Behandlung der Initiative im Parlament im September 2017 und der Volksabstimmung im März 2018 riss die Berichterstattung und die Debatte über die Initiative zur Abschaffung der Billag-Gebühren nicht mehr ab. Insbesondere nachdem Medienministerin Doris Leuthard im Oktober 2017 die neue Radio- und Fernsehabgabe von 365 Franken pro Jahr präsentiert hatte, gab es für die Medien kein Halten mehr. Diskutiert wurden in der Folge alle möglichen Aspekte der Vorlage. Relativ schnell beschrieben war der Inhalt der Initiative: Die Empfangsgebühr für Radio und Fernsehen soll abgeschafft werden und der Bund soll in Friedenszeiten keine Radio- und Fernsehstationen betreiben oder subventionieren dürfen. Stattdessen soll er entsprechende Konzessionen versteigern. Welche Auswirkungen eine solche Änderung hätte, wer sie befürwortete oder bekämpfte und wer wie davon betroffen wäre, sorgte in der Folge in Medien und Gesellschaft für viel Gesprächsstoff und wurde in über 7'000 Presseartikeln und 68'000 Tweets, Letztere gemäss (Fög) alleine zwischen anfangs Januar und Mitte Februar 2018, diskutiert.

Zu Beginn des Abstimmungskampfes besonders interessant war die Frage nach den Initianten und Befürwortern der Vorlage. Diese stellten gemäss Le Temps eine «alliance de circonstance» zwischen verschiedenen Akteuren vor allem aus der Deutschschweiz dar: neoliberale Rechte insbesondere aus der Zürcher SVP; junge Libertäre, die dadurch ihre Vision einer ultraliberalen Welt verbreiten wollten, sowie private Verleger, die sich Vorteile aus der Initiative erhofften. Die Hauptakteure der No-Billag-Komitees kamen folglich mit Olivier Kessler, Co-Initiator der Initiative und einstigem Präsidenten der Jungen SVP Schwyz, mit Thomas Juch, No-Billag-Co-Präsident und Vizepräsident der Jungfreisinnigen, mit Andreas Kleeb, Kommunikationsstratege und ehemaligem Parteipräsidenten der FDP Zug, und mit den Präsidenten der Unterstützerkomitees der Romandie, dem Jungfreisinnigen Nicolas Jutzet, und des Tessins, dem SVP-Gemeinderat von Lugano, Alain Bühler, aus dem Umfeld junger Libertärer. Deren Bewegung erlangte in der Folge durch Zeitungsinterviews und Auftritte in Diskussionsrunden einige mediale Aufmerksamkeit.
Anfangs sprach sich neben den Initianten kaum jemand für die Initiative aus; unterstützt wurde sie lediglich von der Zürcher SVP und vom Gewerbeverband, die beide relativ früh die Ja-Parole beschlossen hatten. Auch die Aktion Medienfreiheit, eine Gruppe privater Verleger präsidiert von Natalie Rickli (svp, ZH), sprach sich für die Vorlage aus, da ihr die Aktivitäten der SRG zu weit gingen. Lange fragten sich die Medien, was die SVP machen werde: Es seien bei ihr zwar schon immer Sympathien für die Initiative zu spüren gewesen, aber die Partei sei diesbezüglich gespalten. Eine Halbierung der Gebühr, wie es ihr Gegenvorschlag vorgesehen hatte, wäre von den meisten Exponentinnen und Exponenten bevorzugt worden, war zu lesen. Ebendiese Forderung anstelle der radikaleren Nullforderung hatte Nationalrätin Rickli den Initianten bereits vor Lancierung des Volksbegehrens nahegelegt. Die Medien erklärten die Zurückhaltung der SVP damit, dass es sich beim Thema der Initiative nicht um ein Kernanliegen der SVP handle und die im Januar 2018 lancierte Begrenzungsinitiative viele Ressourcen binde. Im Laufe der Kampagne sprachen sich jedoch immer mehr Mitglieder der SVP für die Initiative aus, unter ihnen auch alt-Bundesrat Christoph Blocher und Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher (svp, GR). Kurz vor der Abstimmung empfahl die SVP schliesslich mit 242 zu 17 Stimmen ein Ja zur Initiative. Zudem fassten die EDU und die Unabhängigkeitspartei up! die Ja-Parole.
Da zu Beginn der Kampagne noch unklar war, ob sich die SVP oder der Gewerbeverband finanziell beteiligen würden, setzten die Befürworter der Initiative auf Crowdfunding. Dieses sorgte für Aufmerksamkeit, nachdem der Betreiber der Crowdfunding-Seite erklärt hatte, die Sammelaktion für die Initiative zu stoppen und die bereits erhaltenen Gelder zurückzubezahlen. Die No-Billag-Initiative sei schlecht für die Kohäsion der Schweiz und als privates Unternehmen habe man das Recht, den Auftrag zu verweigern, erklärte die Geschäftsleitung. Olivier Kessler wertete dies als Sabotage und Affront gegen die Leute, die bereits insgesamt CHF 11‘500 für die Initiative gespendet hätten. Knapp 24 Stunden später startete das Crowdfunding auf einer privaten Seite erneut und erzielte nun – aufgrund von Solidaritätsbekundungen oder Gratiswerbung – mehr Spendengelder als zuvor: In den ersten 48 Stunden erhielten die Befürworter Spenden über CHF 22‘000, bis Ende Dezember 2017 nahmen sie insgesamt CHF 86‘000 mittels Crowdfunding ein.

Das Lager der Initiativgegner war relativ breit aufgestellt. Von den Parteien gaben die SP, die Grünen, die CVP, die BDP, die GLP, die EVP und die CSP die Nein-Parole heraus, genauso wie zum Beispiel Operation Libero, die Schweizerische Bischofskonferenz, die KdK und die Westschweizer Regierungskonferenz. Zögerlicher zeigten sich Economiesuisse und FDP. Die Freisinnigen fassten zwar mit 204 zu 82 Stimmen klar die Nein-Parole, machten aber an der Delegiertenversammlung ihrem Unmut gegenüber der SRG Luft. FDP-Präsidentin Petra Gössi (fdp, SZ) fasste die Position der Partei entsprechend zusammen: «Es braucht Anpassungen, aber keine Revolution.» Auf deutliche Ablehnung stiess die Initiative hingegen bei der CVP, von den Medien häufig als «SRG-Partei» bezeichnet. Mit 50 zu 0 Stimmen beschloss der Parteivorstand die Nein-Parole entsprechend deutlich; die CVP übernahm zudem die Leitung der Kampagne. Trotz ihrer ablehnenden Haltung gegenüber dem Volksbegehren geizten zahlreiche Initiativgegner nicht mit Kritik an der SRG und betonten, dass sie für den Gegenvorschlag gestimmt hätten, wenn dieser zustande gekommen wäre.
In Übereinstimmung mit der breiten Gegnerschaft der Initiative entstanden zahlreiche verschiedene Contra-Komitees. Dazu gehörten ein überparteiliches Komitee «Nein zu No Billag», dem sich über 140 nationale Parlamentarierinnen und Parlamentarier anschlossen, der Verein «Nein zum Sendeschluss», dem verschiedene zivilgesellschaftliche Akteure, darunter der Schriftsteller Pedro Lenz, der Direktor der Schweizer Journalistenschule und ehemalige SRF-Chefredaktor Diego Yanez sowie die Co-Präsidentin von Operation Libero Laura Zimmermann, angehörten. Operation Libero engagierte sich auch in einer eigenen Kampagne und erhoffte sich, mit Crowdfunding CHF 280‘000 zu erhalten, was dem Betrag entspricht, den die Bewegung bereits für ihre Kampagne gegen die Durchsetzungsinitiative auf dieselbe Weise erzielen konnte. Dieses Ziel erreichte Operation Libero im Dezember 2017 nach lediglich einer Woche Sammelaktion: Nachdem eine Vorumfrage der Sonntagszeitung einen deutlichen Vorsprung der Befürworter gezeigt hatte, schossen die Spenden durch die Decke. Zudem setzten sich das Komitee «NEIN zu No-Billag», bestehend aus engagierten Personen aus der Zivilgesellschaft, das Schweizer Syndikat Medienschaffender (SSM) mit der Kampagne «Made in Switzerland», Kulturschaffende mit dem «Aufruf der Kulturschaffenden gegen No-Billag» und der «Verein für die Rettung meiner Lieblingssendung», der eigens für diese Kampagne ins Leben gerufen worden war, gegen die Initiative ein. Zudem entstanden verschiedene Regionalkomitees in der Romandie, dem Tessin und im Bündnerland.

Breit diskutiert wurden in den Medien auch die Argumente der Befürworter und Gegner der Initiative. Die Initianten argumentierten, durch die Abschaffung der sogenannten «Zwangsgebühren» könne die Bevormundung der Bürger durch den Staat zumindest im Medienbereich gestoppt werden. Die Bürger sollten die Freiheit haben, zu wählen, was sie sehen und bezahlen wollen, erklärte Nicolas Jutzet. Dies betreffe insbesondere die jüngere Generation, die kaum noch lineares Fernsehen nutze: Untersuchungen des Fög sowie von Mediapulse und Vimentis verdeutlichten, dass nur noch 14 Prozent der 18- bis 24-Jährigen Fernsehen als Hauptinformationsquelle nutzen, die Marktanteile insbesondere von SRF 1 in dieser Altersgruppe deutlich niedriger liegen als für ältere Gruppen und Junge unzufriedener sind mit der SRG als ältere Personen.
Überdies würden die Gebühren einen fairen Wettbewerb und damit die Entstehung eines «vielseitigen und qualitativ hochstehenden Fernsehmarktes in der Schweiz» verhindern, argumentierte Mitinitiant Sebastian Frehner (svp, BS). Eines der prominentesten Argumente der Befürworter bezog sich demnach auf die Rolle der SRG. Die Befürworter der Initiative erachteten die No-Billag-Initiative als Möglichkeit, die Übermachtstellung der SRG zu brechen und dadurch die privaten Medienunternehmen zu stärken. Die SRG ruiniere mit ihren Gebührenmilliarden und einer aggressiven Wettbewerbsstrategie die privaten Medienhäuser, da sie durch den Startvorteil der Gebührenfinanzierung die Privaten am Werbemarkt unter Preisdruck setze und einfacher in neue Geschäftsfelder vorstossen könne, wurde argumentiert. Mit dieser Meinung standen die Initiativbefürworter nicht alleine da. Bis weit ins gegnerische Lager pflichtete man den Initianten bei, dass die SRG die Presse und die privaten Sender konkurriere, obwohl sie dies rechtlich nicht dürfe. Eine finanzielle Unterstützung der SRG sei nötig, erklärten hingegen die übrigen Initiativgegner. Dass bei den Medien der freie Markt, den die Initianten forderten, nicht spiele, könne man am Beispiel der Zeitungen sehen, erklärte Martin Candinas (cvp, GR). Daher bedürfe es bei Produktion und Verteilung von politischen und kulturellen Inhalten eines staatlichen Eingriffs, war in Le Temps zu lesen. Ohne staatliche Unterstützung könnten die Kosten zur Bereitstellung dieser Informationen nicht gedeckt werden. Da es sich für die grossen Medienunternehmen nicht lohnen würde, sich an der Versteigerung der Konzessionen zu beteiligen, käme eine Ersteigerung einzig für Milliardäre in Frage, betonte Roger Nordmann (sp, VD) zudem. Folglich käme es bei Annahme der Initiative zu einer sogenannten «Berlusconisierung» der Medienlandschaft: Einzelne finanzstarke Personen oder Unternehmen würden zukünftig den Medienmarkt und damit die Meinungsbildung dominieren.
Welche direkten Folgen eine Annahme der Initiative für die SRG hätte, war sehr umstritten und entwickelte sich immer mehr zur Glaubensfrage. Während Medienministerin Leuthard sowie mehrere Exponenten der SRG betonten, dass eine Annahme der Initiative das Ende der SRG bedeuten würde, bezweifelten dies die Initianten. Leuthard erklärte, dass die Initiative so klar formuliert sei, dass der Bundesrat sie per Verordnung umsetzen würde – das entsprechende Gesetz könne wohl kaum rechtzeitig erarbeitet werden. Man würde daher die Gebühren innerhalb eines Jahres zurückfahren. Auch SRG-Präsident Jean-Michel Cina, SRG-Generaldirektor Gilles Marchand sowie SRF-Direktor Ruedi Matter betonten, dass es bei einer Annahme zu einem Lichterlöschen bei der SRG und zu einer sukzessiven Entlassung der 6'000 Mitarbeitenden kommen würde. Insbesondere da bei Annahme der Initiative ein Grossteil der Bürger sofort aufhören würde, Gebühren zu bezahlen, wodurch die SRG in kürzester Zeit Liquidationsprobleme bekäme. Danach gäbe es in der Schweiz nur noch hoch kommerzielles Fernsehen mit viel Werbung. Dieser Darstellung widersprachen die Initianten: Sendungen mit hohen Einschaltquoten liessen sich über den Werbemarkt weiterhin finanzieren, betonte zum Beispiel Andreas Kleeb. Die SRG würde durch die Initiative zu einem gewöhnlichen Medienunternehmen, das sich am Markt bewähren müsste, erklärte auch Christoph J. Walther, Fachjournalist für Medien. Die Weltwoche rechnete aus, dass die SRG CHF 310 Mio. einnehmen könnte, wenn nur ein Viertel aller heutigen SRG-Nutzerinnen und -Nutzer die SRG-Programme zukünftig abonnieren würde. Da man bezüglich Werbung freier wäre, könnte man den Zuschauerrückgang durch längere Werbefenster sowie Werbung in Internet und Radio kompensieren. Auch der emeritierte Rechtsprofessor Rainer J. Schweizer hielt die Darstellung eines abrupten Endes der SRG für übertrieben. Er erklärte, die SRG würde vorläufig ihren Programmauftrag behalten und könnte weiter existieren, bis das Parlament das RTVG angepasst habe, weil dieses eine stärkere rechtliche Wirkung habe als die Ausführungsbestimmungen der Initiative. Um die Diskussionen zur Zukunft der SRG bei Annahme der Initiative auf eine solidere Basis zu stellen, hatte die KVF-NR bereits im April 2017 einen Bericht des BAKOM zu zwei Budgetvarianten der SRG gefordert, der im Juni 2017 erschien.
Nicht nur die SRG, auch die 21 respektive 13 regionalen Radio- und Fernsehstationen würde eine Annahme der Initiative vor grosse Probleme stellen, gaben Letztere zu bedenken. Diese erhalten ebenfalls CHF 68 Mio., zukünftig sogar CHF 81 Mio., aus dem Gebührentopf und sind zu etwa 50 Prozent gebührenfinanziert. Ohne diese Unterstützung könnten sie somit kaum überleben. Silvio Lebrument, Geschäftsführer der Somedia, erklärte, auch für den Radio- und Fernsehsender Südostschweiz würde eine Annahme der Initiative das Aus bedeuten. Folglich kritisierte auch der Verband der Schweizer Regionalfernseher Telesuisse die Initiative stark.
Eine Annahme der Initiative hätte schliesslich gemäss den Initiativgegnern auch negative Konsequenzen für die (Sprach-)Minderheiten. So erklärte Medienministerin Leuthard im Dezember, dass die Initiative diese deutlich stärker treffen würde als die Deutschschweiz. Heute fände eine Quersubventionierung der französisch- und italienischsprachigen Sender durch die Deutschschweizer Gebührenzahlenden statt: RSI zum Beispiel erhält 20.5 Prozent der Gebühreneinnahmen für 8.1 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner. Ohne diese Umverteilung könnten Radio- und Fernsehsender in anderen Sprachregionen kaum produziert werden, da die Märkte zu klein seien, erklärte Pascal Crittin, Direktor von RTS. Ausschliesslich werbefinanziert liesse sich hochwertiges Fernsehen nicht produzieren, bei einem Ja müsse RTS daher schliessen. Entsprechend kritisch zeigten sich die Medien und Akteure in der Romandie bezüglich der Initiative. Relativ lange war die Diskussion zur Initiative in den Westschweizer Medien deutlich weniger virulent als in der Deutschschweiz, die Initiative galt als chancenlos. Zudem sei das Westschweizer Fernsehen gemäss Peter Rothenbühler, langjährigem Chefredaktor von Le Matin, dank verschiedener hervorragender Informationssendungen in der Bevölkerung fest verankert. Aufgrund ausgewogener Informationsveranstaltungen und kontroverser Diskussionen sei auch der Vorwurf, die Sender seien politisiert, nie aufgekommen. Diese positive Einstellung zur SRG zeigte sich auch in der von Année Politique Suisse untersuchten Inseratekampagne: Im Vergleich zu früheren Vorlagen wurden in den französischsprachigen oder zweisprachigen Kantonen überdurchschnittlich viele Contra-Inserate publiziert, jedoch beinahe keine Pro-Inserate.
Speziell war die Lage für den Kanton Tessin, wo RSI mit 1100 Stellen, 500 Stellen bei Zulieferern und einer Wertschöpfung von CHF 213 Mio. gemäss einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts BAK Basel einer der grössten Arbeitgeber des Kantons ist. RSI-Direktor Maurizio Canetta betonte entsprechend die Gefahr der Vorlage für den Südkanton. Da das Tessin aktuell dreimal mehr Geld aus dem Gebührentopf erhalte, als es einzahle, würden bei Annahme der Initiative nur noch kommerzielle Gewinne zählen, die Regionalität ginge verloren. Mittelfristig müsse RSI schliessen, dann könnten nur noch italienische Sender empfangen werden. Trotz oder gerade wegen der starken Lage von RSI entwickelte sich im Tessin eine überaus starke Befürworterkampagne zur Initiative. Mit fast 60 Inseraten im untersuchten Zeitraum und den untersuchten Zeitungen – von denen jedoch mehr als die Hälfte in der Lega-nahen Zeitung «Il Mattino della Domenica» erschienen waren – legten sich die Befürworter mächtig ins Zeug, wie die Auswertung von Année Politique Suisse zeigte. Hauptsächlich kritisierten sie darin die Grösse der SRG und die staatliche Kontrolle des Fernsehens.
Ebenfalls besonders stark betroffen war der Kanton Graubünden als einziger dreisprachiger Kanton. Martin Candinas erklärte, die Vorlage sei ein Frontalangriff auf das rätoromanische Radio- und Fernsehangebot und ein Kahlschlag für den Medienplatz Schweiz. Der Kanton Graubünden würde bei einer Annahme der Initiative aus den Medien verschwinden, berichtet werden würde nur noch über Naturkatastrophen, ergänzte Nationalrätin Silva Semadeni (sp, GR). Die Initiative müsse klar abgelehnt werden, damit ein deutliches Signal für eine starke SRG gesendet werden könne, die in der Lage wäre, Minderheitensprachen, Berggebiete und periphere Regionen zu berücksichtigen. Im Laufe der Kampagne wurden die Initiativgegner immer deutlicher, Ständerat Stefan Engler (cvp, GR) etwa sprach vom Verlust eines Stückes Identität der Rätoromanen und von «einer Katastrophe für den Kanton Graubünden». Entsprechend aktiv zeigten sich die Bündner Initiativgegner auch in der Kampagnenphase – in keinem anderen Kanton zählte Année Politique Suisse mehr Contra-Inserate.
Das Argument der Sprachminderheiten war jedoch auch in der Deutschschweiz relevant. Hier sahen die Initiativgegner nicht nur die Schweizer Medienlandschaft, sondern mit ihr gar die nationale Kohäsion gefährdet. Diese beruhe nämlich gemäss NZZ unter anderem auf der Bereitschaft, die kleineren Sprachregionen mit Nachrichten und Unterhaltung zu bedienen und die kulturelle Vielfalt zu fördern. Durch die Initiative würde «einer der letzten Stützpfeiler unseres gemeinsamen Schweizer Dachs» verloren gehen, erklärte Nationalrat Christoph Eymann (lpd, BS).
Gegen eine solche «Überhöhung» der SRG wehrten sich wiederum die Befürworter der No-Billag-Initiative: Die Initiativgegner würden die SRG zur Rettung der vierten Gewalt und die No-Billag-Abstimmung zur Schicksalsfrage für die Schweiz hochstilisieren, kritisierte Nationalrat Lukas Reimann. Dabei hätten Umfragen gezeigt, dass selbst von den Initiativgegnern eine Mehrheit nicht glaube, dass die SRG mit Annahme der Initiative untergehen würde. Schliesslich bestritten die Befürworter der Initiative nicht nur die Darstellung der Medienministerin und der SRG-Verantwortlichen, wonach die SRG bei Annahme der Initiative nicht überleben könne, sie kritisierten insbesondere auch deren Weigerung, einen Plan B vorzulegen. Die SRG-Führung habe die Pflicht, den Fortbestand des Unternehmens sowie die Fortbeschäftigung der Mitarbeitenden unter allen Umständen zu sichern, erklärte unter anderem Nationalrat Gregor Rutz (svp, ZH). Dies veranlasste Andreas Kleeb, aber auch den Verleger der AZ Medien, Peter Wanner, zu Spekulationen, wonach die SRG über einen Plan B verfüge, diesen aber aus taktischen Gründen nicht kommuniziere.

Die Kampagnen zur No-Billag-Initiative konzentrierten sich stark auf Onlinekommentare und soziale Medien. Die Twitter-Aktivitäten zu No-Billag starteten anfangs Oktober und stiegen bis Ende Februar stetig an. Das Fög zählte von Januar bis Mitte Februar 2018 insgesamt 68'000 Tweets. Die Untersuchung des Fög bestätigte auch die oftmals geäusserte Vermutung, dass es bei den Twitter-Aktivitäten zu einer Bildung von Informations-Filterblasen komme: Grösstenteils bekamen die Nutzer nur Inhalte zu Gesicht, die mit ihren eigenen Ansichten übereinstimmten. Ausserordentlich stark tobte der Abstimmungskampf auch in den Medien. Das Fög bezeichnete die No-Billag-Initiative als «Sonderfall», da die Initiative über die ganze Kampagnendauer überdurchschnittlich viel Aufmerksamkeit in den Medien erzielt hatte. Das Fög zählte in den 14 Wochen vor der Abstimmung in den untersuchten Zeitungen 1049 inhaltliche Artikel zur Vorlage – insgesamt war die Rede von über 7000 Artikeln –, deutlich mehr als bei anderen vielbeachteten Vorlagen wie der Unternehmenssteuerreform III, der Durchsetzungsinitiative, der Masseneinwanderungsinitiative oder gar beim RTVG. Die Tonalität bezüglich der Initiative war in beinahe allen untersuchten Medien negativ, einzig die Weltwoche berichtete mehrheitlich positiv darüber. Vergleichsweise gut schnitt die Initiative auch bei der Aargauer Zeitung, 20 Minuten, der BaZ und der Sonntagszeitung ab. Überdurchschnittlich viel Resonanz erhielten gemäss dem Fög die Pro-Akteure jedoch neben der Weltwoche auch in den untersuchten Programmen der SRG. Während die Kampagne somit im inhaltlichen Teil der Zeitungen überdurchschnittlich stark vertreten war, zeigte sich in den Inseratespalten kein auffälliges Bild: Die Komitees schalteten im Vergleich mit Abstimmungen der vergangenen vier Jahre nur durchschnittlich viele Zeitungsinserate.

Am häufigsten porträtiert wurde die Position von Vertretern der Zivilgesellschaft, wie die Studie des Fög zeigte. Diese gehörten gemäss Fög überdies zu den grössten Kritikern der Initiative. So meldeten sich im Laufe der Kampagne zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen zu Wort; Diego Yanez, Vorstandsmitglied des Komitees «Nein zum Sendeschluss», sprach von einem «Ruck, der durch die Zivilgesellschaft» ging. Bekämpft wurde die Vorlage von vielen Seiten: Der Gehörlosenbund zum Beispiel sprach sich gegen die Initiative aus, da man auf Sendungen mit Untertiteln oder in Gebärdensprache angewiesen sei. Bereits das heutige Angebot sei ungenügend, eine Annahme der Initiative würde aber die Situation noch verschlechtern, erklärte Corinne Parrat, die gehörlose Miss-Handicap 2009. Auch die Sportfans und -organisatoren meldeten sich zu Wort. Sie sorgten sich, dass nach Annahme der Initiative kaum noch Sportübertragungen im Free TV zu sehen sein würden. Seit Beginn der Erhebung 2013 waren die zehn meistgeschauten Sendungen im SRF Sportübertragungen, von den Top 100 beinhaltete fast jede zweite Sendung Sport. Insbesondere Anhänger von Nischensportarten waren besorgt: Private würden wohl kaum Berichte zu über 100 verschiedenen Sportarten ausstrahlen, wie es die SRG tue, war zu vernehmen. Auch Swiss Olympic beteiligte sich an der Diskussion: Die SRG sei einer «der wichtigsten Sportförderer der Schweiz», sowohl für Elite- als auch für Breitensport. Ein Ja wäre daher das Ende von mehr als nur der SRG.
Auch von kultureller Seite wurde Kritik an der Initiative laut. Die Interessengemeinschaft Volkskultur, der 33 Verbände und 400‘000 Aktivmitglieder angehören, fasste einstimmig die Nein-Parole. Präsident Albert Vitali (fdp, LU) erklärte, bei Annahme der Initiative sei zum Beispiel die Übertragung von Schwing- und Jodelfesten in Gefahr, weil Private die Kosten der Übertragung nicht stemmen könnten. Die Nein-Parole erliessen auch der Blasmusikerverband sowie der Eidgenössische Jodelverband. «Für die Freunde der Volkskultur ist die Initiative ein Affront», betonte die Präsidentin des Jodelverbands Kathrin Niederberger. Für Brauchtumsfeste sei die SRG ein unverzichtbarer Partner.
Anders sah es hingegen lange Zeit bei der Schweizer Musikbranche aus. Noch im November 2017 kritisierte die Sonntagszeitung, dass sich diese nicht zur Vorlage äusserte, obwohl die SRG die Karrieren der Schweizer Musiker entscheidend gefördert habe. So würden jährlich CHF 300 Mio. von der SRG zu den Künstlern fliessen, was für einige mehr als 40 Prozent des Einkommens ausmache. Da Privatradios einen deutlich niedrigeren Anteil an Schweizer Musik spielten als die SRG-Kanäle, seien die Musiker auf Letztere angewiesen. Ähnlich sehe es bei der Filmbranche aus, betonten die Medien. Die SRG habe in den letzten 30 Jahren CHF 300 Mio. in die Filmförderung investiert und unterstütze zudem jährlich Schweizer Filme mit CHF 30 Mio. bis 40 Mio. Dieser Aufruf zeigte Ende 2017 Wirkung, als unter dem Motto «Nein zum Blackout – Nein zu No Billag» Werbespots mit zahlreichen verschiedenen Schauspielerinnen und Schauspieler ausgestrahlt wurden. Finanziert wurden diese vom Dachverband der Schweizer Film- und Audiovisionsbranche Cinésuisse, der darauf hinweisen wollte, dass zahlreiche Filme wie «Die Schweizermacher» oder «Heidi» ohne die enge Partnerschaft mit der SRG nicht hätten realisiert werden können.
Diese Solidaritätsbekundungen lösten jedoch nicht nur Begeisterung aus. Die Weltwoche sah sich in ihrer Kritik bestätigt: Durch die Initiative würden die Verflechtungen der SRG sichtbar; diese mache sich die Abhängigkeiten zahlreicher Akteure für ihre Zwecke zu Nutze. Dabei kritisierte die Weltwoche insbesondere die Printmedien, welche die SRG über die Jahre abhängig gemacht habe. Zum Beispiel zahle sie jährlich mehrere Millionen Schweizerfranken an die Somedia, die NZZ-Gruppe sowie die AZ-Medien und insgesamt flössen jährlich CHF 67.5 Mio. an private Radio- und Fernsehstationen. Das erkläre auch, warum von dieser Seite nur leichte Kritik an der SRG geäussert würde. Diejenigen, die auf diese Weise von der SRG profitierten, hätten sich nun auch gegen die Initiative ausgesprochen, erklärte die Weltwoche. Allgemein blieb die Haltung der Zeitungen zur Initiative jedoch unklar. Der Verlegerverband (VSM) mochte anfangs keine klare Ja- oder Nein-Parole fassen, empfahl schliesslich aber trotz bestehender Differenzen die Ablehnung der Initiative. Zwar sei man für die Gebührenfinanzierung, mache aber die Stärke des Engagements von den Zugeständnissen der SRG abhängig, erklärte Geschäftsführer Andreas Häuptli. Die SRG solle demnach langfristig ohne Werbung und Sponsoring auskommen und die Kommerzialisierung des Angebots reduzieren, wurde gefordert. Auch der Westschweizer Verband Médias Suisses sprach sich gegen die Initiative aus, wollte aber die Contra-Kampagne nur unterstützen, wenn die SRG auf zielgerichtete Werbung verzichte und aus der Admeira austrete.

Unter besonderer Beobachtung standen auch während der Kampagnenphase die SRG und ihre Mitarbeitenden: Vielfach wurde befürchtet, dass sie aufgrund der für sie weitreichenden Konsequenzen der Initiative nicht würden neutral bleiben können. Mitte Oktober definierte die SRG interne Leitlinien, die es ihren Mitarbeitenden erlaubten, ihre Position über soziale Netzwerke zu vertreten und das Programmangebot und die Werte der SRG proaktiv zu betonen. Die Mitarbeitenden durften hingegen keine direkten Abstimmungsempfehlungen abgeben. In ihren Sendungen nahm die SRG gemäss Fög eine klar kritische Haltung zu der Initiative ein, die negative Tonalität von SRF und RTS entsprachen jedoch der durchschnittlichen Haltung der Medien, erklärte das Fög weiter. Überdurchschnittlich grosse Resonanz erhielten jedoch die Statements der Befürworter bei der SRG. Diese zeigten sich jedoch mit dem Verhalten der SRG und ihrer Mitarbeitenden im Rahmen des Abstimmungskampfes nicht zufrieden und kritisierten deren «breit angelegte Informationskampagne», wie es der Bote der Urschweiz formulierte. Insbesondere Sendungen zur Initiative selbst, vor allem die Arena respektive ihr Moderator Jonas Projer wurden kritisiert. Olivier Kessler beschuldigte Projer als SRG-Angestellten und «Zwangsgebühren-Profiteur» zu wenig unabhängig zu sein, um die Sendung zur No-Billag-Initiative fair zu leiten. Er habe die Sendung einseitig moderiert und die Initiativbefürworter deutlich häufiger unterbrochen als die Gegner, ergänzte Kessler auf seinem Blog. Auf diese Anschuldigungen entgegnete Projer, dass die wichtigsten Themen beider Seiten angesprochen worden seien und die Redezeit ausgeglichen gewesen sei – man habe dies absichtlich gemessen. Unterstützung erhielt Projer im Nachhinein von SRG-Ombudsmann Roger Blum, der die Sendung aufgrund zahlreicher Beschwerden überprüfte. Demnach habe Projer Kessler deutlich weniger kritische und mehr unkritische Fragen gestellt als Bundesrätin Leuthard, habe diese aber nie, Kessler sowie Joachim Eder als Vertreter der Initiativgegner aber gleich häufig unterbrochen. Insgesamt seien die Befürworter zwar deutlich häufiger unterbrochen worden, eine «förmliche Diskriminierung» habe der Ombudsmann aber nicht festgestellt. Das hatten einige Zuschauer freilich anders wahrgenommen, in den sozialen Medien gingen die Wogen hoch. In einer Twitter-Nachricht wurden Projer und seine Kinder gar mit dem Tod bedroht, worauf dieser Strafanzeige einreichte.
Die SRG wurde jedoch nicht nur wegen dem Inhalt ihrer Sendungen, sondern auch wegen deren Kampagnenfinanzierung kritisiert. Die Initiativbefürworter befürchteten, die SRG setze Gebührengelder für den Abstimmungskampf ein, was zum Beispiel Stefan Ammann, Präsident der Jungfreisinnigen, als Beeinflussung wertete. Entsprechende Anfragen von Sylvia Flückiger-Bäni (A. 17.5446) und Lukas Reimann (A. 17.5455) im Parlament ergaben, dass die SRG zwar nicht über ein Budget für die Abstimmungsdebatte verfügte, wohl aber Geld für Medienanfragen aus dem Budgetposten «Public Affairs» bereitgestellt hatte. Dieser betrug fürs Jahr 2016 CHF 400‘000. Der Bundesrat erklärte diesbezüglich, die Trägerschaft der SRG habe das Recht und die Pflicht, Diskussionen über den Service public zu führen, jedoch müssten die Auftritte sachlich und transparent sein. Gemäss den Initiativ-Befürwortern war hingegen auch das äusserst heikel, da dadurch Arbeitszeit von Personen mit gebührenfinanzierten Löhnen in Anspruch genommen werde. Ferner brauche die SRG keine Plakate mehr zu finanzieren, weil sie stattdessen auf bereits bekannte Gesichter setzen könne.

Volksinitiative "Ja zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren" (No Billag-Initiative)

Bei einer Stimmbeteiligung von knapp 43 Prozent nahm die Schweizer Stimmbevölkerung am 25. September 2016 das Bundesgesetz über den Nachrichtendienst (NDG) mit 65.5 Prozent Ja-Stimmen an. Das Resultat fiel damit noch deutlicher aus, als es die im Vorfeld durchgeführten Umfragen erwarten liessen. In keinem einzigen Kanton resultierte eine Nein-Mehrheit. Die geringste Zustimmung erfuhr das NDG im Kanton Basel-Stadt mit 55 Prozent. Am höchsten fiel die Zustimmung mit gut 74 Prozent im Kanton Waadt aus, gefolgt von Nidwalden mit gut 70 Prozent. In allen anderen Kantonen bewegte sich der Ja-Anteil zwischen 60 und 70 Prozent, wobei sich keine nennenswerten Unterschiede zwischen den Landesteilen oder zwischen Stadt und Land zeigten.
Bundesrat Guy Parmelin, der hiermit seine Feuerprobe als neuer Verteidigungsminister vor dem Stimmvolk souverän bestanden hatte, zeigte sich sehr zufrieden mit dem Ausgang der Abstimmung. Die Schweiz erhalte damit moderne Mittel, um auf aktuelle Bedrohungen zu reagieren, sagte er gegenüber den Medien. Auch das Ja-Komitee zeigte sich erfreut, dass es gelungen sei, die Ängste vor der Massenüberwachung zu entkräften. Die Presse deutete das Resultat entsprechend als Vertrauensbeweis der Stimmbevölkerung in den Staat. Das unterlegene Nein-Lager kündigte unterdessen an, nun auf die transparente Kontrolle des NDB zu pochen und die vom Bundesrat kommunizierte Zahl von rund zehn Überwachungsfällen pro Jahr genau im Auge zu behalten.
In Kraft treten wird das neue NDG am 1. September 2017. Bis dahin gebe es noch viel zu tun, erklärte der Verteidigungsminister. So müsse der NDB organisatorisch und technisch auf seine neuen Befugnisse ausgerichtet werden, denn mit diesen Anpassungen habe man bis zur Abstimmung zugewartet. Die personelle Aufstockung des NDB um 20 Stellen solle bis 2019 schrittweise erfolgen. Möglichst zeitnah müsse zudem die neue unabhängige Aufsichtsbehörde eingerichtet werden, deren Leitung der VBS-Chef bis Ende Jahr ernennen werde. Die Aufsicht solle dann – wie auch die Sicherheitspolitischen Kommissionen der eidgenössischen Räte und die GPDel – bereits in die Ausarbeitung der Verordnungen zur Konkretisierung des NDG einbezogen werden, die der Bundesrat Anfang 2017 in die Vernehmlassung schicken wolle.


Abstimmung vom 25. September 2016

Beteiligung: 42.94%
Ja: 1'459'068 (65.5%)
Nein: 768'065 (34.5%)

Parolen:
– Ja: BDP, CVP, EDU (1*), EVP (1*), FDP, FP, KVP, SVP (1*); KKJPD, Economiesuisse
– Nein: GP, PdA, Piratenpartei, SD, SP (2*); GSoA, Digitale Gesellschaft, Syndicom
– Stimmfreigabe: GLP (4*)
* In Klammern Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Neues Nachrichtendienstgesetz (BRG 14.022)
Dossier: Staatliche Überwachung
Dossier: Vorstösse und Massnahmen zur Bekämpfung islamistischer Radikalisierungstendenzen

Sowohl die Gewährleistung der neuen Tessiner Kantonsverfassung, wodurch das Gesichtsverhüllungsverbot von Bundesrat und Parlament als bundesrechtskonform akzeptiert wurde, als auch das Urteil des EGMR vom Juli 2014, welches das Burkaverbot in Frankreich offiziell als EMRK-konform einstufte, verhalfen der Burka-Kontroverse in der Schweiz zu Aufwind. Anfang 2015 kündigte das Egerkinger Komitee um den Solothurner SVP-Nationalrat Walter Wobmann, das seinerzeit die Minarett-Initiative aus der Taufe gehoben hatte, denn auch an, auf nationaler Ebene eine Initiative für ein Verhüllungsverbot nach Tessiner Vorbild einzureichen, und zwar parallel zu Wobmanns parlamentarischer Initiative mit dem gleichen Anliegen. Obwohl die SPK-NR das Anliegen im April 2015 mit knapper Mehrheit unterstützt hatte, glaubte der Initiant nicht an den Erfolg über den parlamentarischen Weg. Deshalb und nicht zuletzt auch aus wahltaktischen Gründen – im Hinblick auf die bevorstehenden eidgenössischen Wahlen im Oktober 2015 erhoffte sich die SVP einen positiven Effekt von der Initiative, wie der Walliser SVP-Nationalrat Oskar Freysinger unumwunden zugab – trat das Egerkinger Komitee am 29. September 2015 vor die Medien, um die endgültige Lancierung der Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» bekanntzumachen. Der Initiativtext sei bei der Bundeskanzlei eingereicht worden und so bald als möglich wolle man mit der Unterschriftensammlung beginnen, liess das Komitee, dem neben Walter Wobmann weitere SVP-Exponentinnen und -Exponenten sowie Mitglieder der EDU, der Lega und der Schweizer Demokraten angehörten, in der Presse verlauten. Inhalt des Initiativtextes war erstens das Verbot, sein Gesicht im öffentlichen Raum oder an öffentlich zugänglichen Orten (ausgenommen Sakralstätten) zu verhüllen oder zu verbergen, sowie zweitens das Verbot, eine Person zu zwingen, ihr Gesicht aufgrund ihres Geschlechts zu verhüllen. Ausnahmen sollten aus gesundheitlichen, sicherheitsrelevanten und klimatischen Gründen sowie aus Gründen des einheimischen Brauchtums gestattet sein, um etwa Mundschutzmasken für Pflegepersonal, Motorradhelme, Kälteschutz beim Wintersport oder Fasnachtsmasken nicht unter Strafe zu stellen. In den Augen der Gegnerinnen und Gegner sollte die Initiative ein Problem lösen, das gar nicht existiere, sei doch die Wahrscheinlichkeit, in der Schweiz einer Burkaträgerin zu begegnen «nicht viel höher als auf dem Mars», wie «La Liberté» karikierend schrieb.
Die Alarmglocken schrillen liess die Initiative unterdessen in der Tourismusbranche, die sich – unter der Frankenstärke und Buchungsrückgängen aus dem Euroraum ächzend – gerade an der steigenden Anzahl zahlungskräftiger Gäste aus den Golfstaaten erfreute. Verböte die Schweiz die Burka, so die Befürchtung, würde diese Klientel zukünftig auf Reisen in die Schweiz verzichten und auch sonst könnte die Schweiz als bisher als offen und tolerant wahrgenommene Destination einen beträchtlichen Imageschaden erleiden und auch andere Touristen abschrecken. Eine prompte Reaktion auf das neuste Projekt des Egerkinger Komitees kam auch aus der Gemeinde Egerkingen (SO): Per Communiqué distanzierte sich der Gemeinderat in aller Form vom Egerkinger Komitee, das sich im Namen auf seinen Gründungsort beruft, und dessen «ideologisch verbrämter Gesinnung», wie der Tages-Anzeiger berichtete, und forderte das Komitee auf, den Namen Egerkingen nicht mehr zu verwenden.
Die Debatte um das Verhüllungsverbot loderte im Nachgang der Terroranschläge von Paris Mitte November 2015 noch einmal heiss auf. Während Kritiker des Burkaverbots befürchteten, durch die Einführung eines solchen könnte die Schweiz vermehrt in den Fokus von Dschihadisten rücken und in der Folge auch Ziel von zukünftigen Attentaten sein, zeigten sich die Initianten in den Medien wenig beeindruckt von den jüngsten Geschehnissen. Selbst durch Drohungen von Fundamentalisten wollten sie sich nicht einschüchtern lassen, denn nach den Anschlägen in Paris sei die Initiative «aktueller denn je»; es gehe letztlich darum, «unsere freiheitliche Gesellschaftsordnung zu schützen», so Wobmann gegenüber der «Schweiz am Sonntag».
Wie man das Burkaverbot schon vor dem offiziellen Inkrafttreten wirkungslos machen könnte, zeigte sich derweil im Kanton Tessin, dessen Regelung Pate für das nationale Verbot gestanden hatte: Der französisch-algerische Unternehmer Rachid Nekkaz kündigte im Dezember in Locarno (TI) medienwirksam an, alle Bussen für Burka- oder Nikabträgerinnen im Tessin – ungeachtet deren Höhe – zu übernehmen.

Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und indirekter Gegenvorschlag (19.023)
Dossier: Nationales Burkaverbot

Im Kanton Zürich wurden Mitte April die Gesamterneuerungswahlen 2015 bereits zum dritten Mal nach dem Doppelproporzverfahren (doppelter Pukelsheim) durchgeführt. Dieses Wahlverfahren, bei dem zuerst berechnet wird, wie viele Sitze einer Partei im gesamten Kanton zustehen (Oberzuteilung), und anschliessend die Sitzgewinne den Wahlkreisen zugeordnet werden (Unterzuteilung), wirkt sich auf das Verhalten der Parteien aus. Listenverbindungen werden hier obsolet und im Prinzip haben auch kleinere Parteien bessere Chancen, einen Sitz zu erobern. Damit es nicht zu einer zu starken Fraktionalisierung kommt, wird der doppelte Pukelsheim im Kanton Zürich mit einer Wahlhürde von 5 Prozent kombiniert: In mindestens einem Wahlkreis muss eine Partei also wenigstens 5 Prozent der dortigen Wählerschaft von sich überzeugen können, um an der Sitzverteilung teilnehmen zu können.
Das neue Verfahren hatte bereits bei seiner ersten Anwendung 2007 eine massive Reduktion der antretenden Listen von 47 (im Jahr 2003) auf elf (im Jahr 2007) zur Folge gehabt. Im aktuellen Wahljahr 2015 nahm diese Zahl wieder ein wenig zu: Insgesamt standen 13 Listen zur Wahl, auf denen 1734 Kandidierende aufgeführt waren (2003: 1968 Kandidierende; 2007: 1641 Kandidierende; 2011: 1720 Kandidierende). Mit vollen Listen in allen 18 Wahlkreisen und ergo 180 Kandidierenden traten die FDP, die SP, die SVP sowie die GLP an; bei der EVP und den Grünen fehlte jeweils ein Kandidat für eine volle Liste. Auch die CVP (173 Kandidierende), die Alternative Liste (170 Kandidierende) und die EDU (158 Kandidierende) traten in allen Wahlkreisen an, während die BDP (85 Kandidierende) und die Piraten (59 Kandidierende) nicht in jedem Wahlkreis Personal rekrutieren konnten. Lediglich in einem Wahlkreis traten die Juso (7 Kandidierende im Bezirk Uster) und die «Integrale Politik» (IP ZH) (4 Kandidierende im Bezirk Affoltern) an. Weil keine Listenverbindungen möglich sind, war das Engagement der Juso von der Mutterpartei nicht gerne gesehen, da die Jungpartei die SP so Stimmen kosten könnte. Die IP ZH, ein Ableger der 2007 gegründeten IP Schweiz trat zum ersten Mal an, konnte aber kaum mit einem Überspringen der 5-Prozent-Hürde rechnen. Im Gegensatz zu 2011 traten die SD – wie bereits in Basel-Landschaft – nicht mehr zu den Wahlen an; man wolle sich nach dem Debakel bei den lokalen Wahlen 2014 neu orientieren, gab Kantonalpräsident Andreas Stahel zu Protokoll.
Insgesamt traten 159 der 180 Bisherigen wieder an, wesentlich mehr als in bisherigen Jahren. Dies war freilich auch auf den Umstand zurückzuführen, dass mehr als ein Viertel der 2011 gewählten Abgeordneten während der Legislatur zurückgetreten waren. Der Frauenanteil unter den Kandidierenden lag bei 36 Prozent (2011: 34%), wobei bei Links-Grün überdurchschnittlich und bei Rechts-Bürgerlich unterdurchschnittlich viele Frauen kandidierten. Das Durchschnittsalter der Kandidierenden betrug 46 Jahre.
Die stärkste Partei im Zürcher Kantonsrat, die SVP (54 Sitze), hatte 2011 zum zweiten Mal in Folge bei den Kantonsratswahlen eine Niederlage einstecken müssen. Auch bei den nachfolgenden nationalen Wahlen hatte man ein Nationalratsmandat verloren und war ebenso bei der Ausmarchung um den Ständerat unterlegen. Zudem hatte die Volkspartei bei kantonalen Abstimmungen häufig Niederlagen über sich ergehen lassen müssen. Vor den anstehenden Wahlen 2015 zeigte man sich deshalb auffallend bemüht, die bürgerlichen Partner bei den Regierungsratswahlen nicht zu brüskieren, was allerdings nicht gänzlich gelang: Weil einzelne FDP-Exponenten auch die Regierungsratskandidatinnen und -kandidaten von SP und GP unterstützten, verglich der SVP-Kantonspräsident Alfred Heer die FDP mit einem Pudding, der einmal nach links, einmal nach rechts neige.
Erklärtes Ziel der SP, die mit ihren Anliegen im Rat jeweils nur dann durchkam, wenn sie Kompromisse hin zur Mitte eingehen konnte, war eine Steigerung des Wähleranteils um zwei Prozentpunkte und eine damit verbundene Verstärkung der momentan 35-köpfigen Fraktion. Die FDP (23 Sitze) befand sich im Aufwind; sie hatte nicht nur bei den Kommunalwahlen 2014 zulegen können, sondern mit Filippo Leutenegger auch den zweiten Sitz in der Zürcher Stadtregierung zurückerobert. Zum Mindestziel wurde deshalb der Gewinn von drei Sitzen erklärt, womit man allerdings nur die Hälfte der Verluste von 2011 wettgemacht hätte.
Die Grünen hatten 2011 mit der Wahl von Martin Graf in die Regierung einen Erfolg gefeiert. Damals hatte man die Sitzzahl im Parlament (19 Sitze) mit einem leichten Wählerzuwachs halten können. Dank dem Erfolg mit der kantonalen Kulturlandinitiative erhoffte sich die GP auch bei den kantonalen Wahlen 2015 Aufwind. Die Grünen wollten mindestens zwei weitere Mandate erringen und die viertstärkste Partei im Kanton bleiben. Die GLP (19 Sitze) hatte kurz vor den Zürcher Wahlen mit dem überdeutlichen Nein zu ihrer nationalen Initiative «Energie statt Mehrwert besteuern» eine herbe Niederlage einstecken müssen. Es blieb abzuwarten, ob dies auf die kantonale Wählerschaft abfärben würde. Die CVP (9 Sitze) hatte Ende März von sich reden gemacht, als die Kandidatur des im Wahlkreis 3 (Stadtkreise 4 und 5) antretenden Friedrich Studer für ungültig erklärt werden musste, weil der Präsident der CVP der beiden Stadtkreise gar nicht mehr im Kanton Zürich wohnhaft war und so eine Bedingung für seine Wählbarkeit verletzte. Zwar habe die CVP in diesem Wahlkreis ohnehin keine Chance und die Listenstimmen würden trotzdem mitgezählt, die Sache sei aber unschön, so der CVP-Stadtpräsident Markus Hungerbühler. Studer war aus persönlichen Gründen in den Kanton Solothurn umgezogen.
Für die kleineren Parteien war das Überspringen der 5-Prozent-Hürde vordringlichstes Ziel. Die EDU (5 Sitze) hatte dies 2007 und 2011 jeweils nur in einem Wahlkreis geschafft. In Hinwil schien die Partei allerdings über eine relativ treue Wählerschaft zu verfügen. Auch die EVP (7 Sitze) hatte damals über Gebühr zittern müssen. Da sich die EDU und die EVP in den gleichen Wahlkreisen die christlichen Stimmen abspenstig machten, drohte für beide Ungemach. Wenig Sorgen über die Wahlhürde musste sich die Alternative Liste (AL) machen, da sie im Wahlkreis 3 – also in den Stadtkreisen 4 und 5 – jeweils sehr stark abschneidet. In der Regel lag die AL hier jeweils gar noch vor der SVP und der FDP. Entsprechend strebte die Linkspartei Fraktionsstärke an. Zu den drei bisherigen Sitzen, unter anderem gehalten von Markus Bischoff, der auch für die Regierungsratswahlen antrat, sollten also noch mindestens zwei weitere hinzu kommen. Zittern musste hingegen die BDP, die ihre Kandidierenden auf einige Wahlkreise konzentrierte. Vor vier Jahren noch hatte sie ihre sechs Sitze dank mehr als 5 Prozent Wähleranteil in drei Wahlkreisen geschafft. Kaum Chancen konnten sich die Piraten und die IP ausrechnen. Das Scheitern an der 5 Prozent-Hürde könnte mitunter zu dramatischeren Sitzverschiebungen führen als leichte Wählerverschiebungen zwischen den arrivierten Parteien.
In den Medien wurde der Wahlkampf insgesamt als lau bezeichnet, zumal kaum medial verwertbare Skandale oder personalisierte Ereignisse, sondern insbesondere sachliche, aber vermutlich nur wenig mobilisierende Podiumsdiskussionen im Zentrum standen. Zu reden gab immerhin – auch das scheint ein Dauerbrenner kantonaler Wahlkampagnen zu sein – die Plakatierung, die von den verschiedenen Gemeinden mit unterschiedlichen juristischen Grundlagen sehr uneinheitlich bewilligt oder eben nicht bewilligt wurde. Für Gesprächsstoff sorgte auch ein Plakat der SVP, das Bundesrätin Simonetta Sommaruga zeigte, die von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker einen Begrüssungskuss erhielt. Das Plakat war mit dem Slogan «Wähle lieber SVP» versehen. Zu reden gab der Umstand, dass die SVP den Schnappschuss ohne Erlaubnis der Abgebildeten als Wahlwerbung verwendete, was rechtlich nicht zulässig ist. Weil die Magistratin das Plakat aber weder kommentieren noch juristisch dagegen vorgehen wollte, liess man die SVP gewähren.

Als grosse Siegerin der Zürcher Kantonsratswahlen 2015 ging die FDP hervor. Der Freisinn konnte um ganze acht Mandate und 4.4 Prozentpunkte an Wählerstärke zulegen (neu: 31 Sitze; 17.3% Wähleranteil). Dieses «triumphale Comeback» nach «jahrzehntelangem Niedergang» – so der Tages-Anzeiger – verhalf dem Bürgerblock zur absoluten Mehrheit, weil sowohl die SVP (54 Sitze) als auch die CVP (9 Sitze) ihren Besitzstand wahren konnten: Beide legten leicht an Wähleranteil zu (SVP +0.4 Prozentpunkte; CVP +0.1 Prozentpunkte). Für rechtsbürgerliche Anliegen ist allenfalls nicht einmal die CVP nötig, da auch die EDU ihre 5 Sitze zu verteidigen wusste (Wähleranteil: 2.7%; +0.1 Prozentpunkte). Zu den Gewinnerinnen durfte sich aber auch die Linke zählen. Die SP holte mit einem Wähleranteil von 19.7 Prozent (+0.4 Prozentpunkte) einen zusätzlichen Sitz (neu: 36 Sitze) und die AL konnte gar zwei zusätzliche Mandate für sich verbuchen und kommt nun auf 5 Sitze. Sie weiss neu 3 Prozent der Zürcher Wahlberechtigten hinter sich (+1.4 Prozentpunkte); in den Stadtkreisen 4 und 5 sind es gar 17.7 Prozent. Die Gewinne der FDP und der Linken gingen unter anderem auf Kosten der Mitte. Zwar konnte die EVP ihren Wähleranteil um 0.5 Prozentpunkte auf 4.3 Prozent steigern und damit einen Sitz gewinnen, die GLP und die BDP mussten aber Federn lassen. Die BDP verlor einen Sitz (neu: 5 Sitze) und verfügte nur noch über 2.6 Prozent Wähleranteil (-0.9 Prozentpunkte). Schlimmer erging es der GLP, die 5 Sitzverluste verschmerzen musste (neu: 14 Sitze). Mit 7.6 Prozent Wähleranteil (-2.6 Prozentpunkte) überholten die Grünliberalen aber gar noch die Grünen, für die die kantonalen Wahlen zum eigentlichen Debakel verkamen. Sie verloren nicht nur ihren Sitz bei den Regierungsratswahlen, sondern mussten auch im Parlament 6 Sitze räumen (neu: 13 Sitze). Der Verlust von 3.4 Prozentpunkten, der noch einen Wähleranteil von 7.2 Prozent bedeutete, liess das Lager mit den grünen Anliegen (GP und GLP) um einen Viertel schrumpfen. Für die Piraten, die Juso und die IP waren die Hürden zu hoch. Insgesamt 15 wiederkandidierende Kantonsratsmitglieder wurden abgewählt.
Wie schon bei den Wahlen im Kanton Basel-Landschaft und im Kanton Luzern verfügte der Bürgerblock aus SVP, FDP und CVP damit auch im Kanton Zürich wieder über eine komfortable Mehrheit im Parlament. Dies sei der erfolgreichen bürgerlichen Wahlallianz «Top 5» zu verdanken, kommentierten bürgerliche Kreise. Der Fraktionschef der SP, Markus Späth, gab allerdings in einem Interview zu Protokoll, dass die FDP und nicht die Bürgerlichen gewonnen hätten. Er hoffe, die FDP werde jetzt wieder ein wenig selbständiger und unabhängiger von der SVP und dass sich dies dann in bildungs-, sozial- und gesellschaftspolitischen Fragen bemerkbar mache. Die Wählerinnen und Wähler seien der grünen Anliegen überdrüssig und hätten «gemerkt, dass das nur kostet und nichts bringt», erklärte hingegen SVP-Kantonsrat Hans-Peter Amrein am Tag danach. Eine andere Interpretation lieferte indes CVP-Fraktionschef Philipp Kutter: Umweltanliegen seien kein Alleinstellungsmerkmal der grünen Parteien, die Energiewende beispielsweise sei breit abgestützt.
Die Niederlage der grünen Kräfte wurde in den Medien auch als Korrektur interpretiert, nachdem diese vor vier Jahren stark vom Reaktorunfall in Fukushima profitiert hätten. Eine Analyse der Wählerverschiebungen infolge einer Nachwahlbefragung zeigte in der Tat, dass zahlreiche Wählerinnen und Wähler der GLP und der GP aus dem Wahljahr 2011 im aktuellen Wahljahr der Urne ferngeblieben waren. Zudem hatte die GP viele Anhängerinnen an die SP und die AL verloren, während zahlreiche Wählerinnen und Wähler der GLP zur FDP abgewandert zu sein schienen. Der Frauenanteil im Zürcher Parlament nahm von 33.3 auf 33.9 Prozent nur leicht zu. Zu reden gab nach den Wahlen vor allem die historisch tiefe Wahlbeteiligung von 32.7 Prozent (2011: 38.2%). Erklärt wurde diese mit einer Entfremdung von der kantonalen Politik. Die lokale Verwurzelung nehme durch Arbeitsmobilität und Anonymisierung ab, was mit einem sinkenden Interesse an kantonaler Politik und eben auch einer abnehmenden Partizipationsbereitschaft einhergehe.

Kantonsratswahlen Zürich 2015
Dossier: Kantonale Wahlen - Zürich
Dossier: Kantonale Parlamentswahlen 2015

Das 2013 aufgegleiste Comeback der Schweizer Demokraten nahm auch 2014 keine Fahrt auf. Für die Partei noch schlimmer: Für die Landratswahlen im Kanton Basel-Landschaft 2015 – einst Hochburg der rechtsnationalen Nachfolgerin der Nationalen Aktion und Heimatkanton ihres Präsidenten und einstigen Nationalrats Rudolf Keller – fanden die SD nicht einmal mehr Kandidierende, die zu den Wahlen antreten wollten. Es tue weh, mit anzusehen, wie die Partei langsam einschlafe, gab Josua Studer, der letzte SD-Landrat zu Protokoll, der von 2007 bis 2011 für die Partei in der Baselbieter Legislative gesessen hatte. Kantonale Mandate haben die SD seit 2012 keine mehr; auch bei den Gesamterneuerungswahlen im Kanton Bern konnte die Partei kein Mandat erringen und lediglich noch 0,3% der Wählerschaft von sich überzeugen. Auch die verbleibenden kommunalen Ämter im Kanton Zürich mussten die SD im Berichtsjahr allesamt abgeben. In Winterthur und in Uster traten die SD nicht einmal mehr an und gaben den jeweiligen bisherigen Sitz kampflos preis. In Zürich verloren die SD beide Sitze, und in Wädenswil war zwar der als Strategieexperte bekannte Albert A. Stahel für die Partei angetreten, konnte aber den dortigen Sitz ebenfalls nicht halten. Der für die Zürcher Stadtexekutive antretende Walter Wobmann konnte ebenfalls nicht in die Entscheidung eingreifen. Ein Lebenszeichen der Partei war die nach wie vor in sechs Ausgaben erscheinende Parteizeitung, der „Schweizer Demokrat“.

Neuausrichtung der SD

Die Räte behandelten 2014 die Botschaft des Bundesrates zur Volksinitiative „Millionen-Erbschaften besteuern für unsere AHV (Erbschaftssteuerreform)“, die im Vorjahr zustande gekommen war. Das von der EVP, der SP, den Grünen, der CSP, dem SGB sowie dem Verein Christnet lancierte Begehren verlangt die Einführung einer nationalen Erbschafts- und Schenkungssteuer. Die Initiantinnen und Initianten fordern, dass Nachlässe und Schenkungen über CHF 2 Mio. zu einem Satz von 20 Prozent besteuert werden. Zwei Drittel der Erträge sollen dem Ausgleichsfonds der AHV und ein Drittel den Kantonen zukommen. Für Kontroversen sorgten im Vorfeld die im Initiativtext verankerte Rückwirkungsklausel, die besagt, dass im Falle einer Annahme der Vorlage Schenkungen ab dem 1. Januar 2012 dem Nachlass zuzurechnen wären und ein vom Schweizerischen Gewerbeverband (SGV) in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten, das zum Schluss kam, dass die Volksinitiative den Grundsatz der Einheit der Materie verletze. Die Frage der Gültigkeit der Volksinitiative prägte in der Sommersession 2014 denn auch den Auftakt der Beratungen im erstbehandelnden Ständerat. Die kleine Kammer nahm bei 5 Enthaltungen einen Ordnungsantrag Diener Lenz (glp, ZH) mit 25 zu 14 Stimmen an und wies die Vorlage mit dem Auftrag, die Gültigkeit vertieft zu prüfen und einen Mitbericht der Staatspolitischen Kommission (SPK) einzuholen, an die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates (WAK-SR) zurück. Am 25. August 2014 teilte die WAK-SR mit, dass die Volksinitiative gemäss den geltenden Kriterien und der Praxis der Bundesversammlung für gültig erklärt werden müsse. Nach diesem Entscheid folgte der Ständerat in der Herbstsession schliesslich dem Bundesrat und empfahl die Initiative bei 2 Enthaltungen mit 32 zu 11 Stimmen zur Ablehnung. In der Wintersession schloss sich der Nationalrat dem Beschluss des Ständerates mit 124 zu 56 Stimmen und einer Enthaltung an. Das Initiativbegehren wurde ausserhalb der geschlossenen Linken nur von zwei CVP-Parlamentariern unterstützt.

„Millionen-Erbschaften besteuern für unsere AHV (Erbschaftssteuerreform)“

Das Jahr 2014 wurde stark durch Debatten um die Zuwanderungspolitik geprägt. Dies lag nicht zuletzt im Umstand begründet, dass neben der am 9. Februar zur Abstimmung gelangten Volksinitiative "Gegen Masseneinwanderung" das Stimmvolk mit der Volksinitative "Stopp der Überbevölkerung - zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen" am 30. November über eine zweite Initiative zu befinden hatte, die sich thematisch dem genannten Bereich zuordnen liess. Letztere wurde in der öffentlichen Debatte nach ihrer Urheberin, der Vereinigung Umwelt und Bevölkerung (Ecopop), bezeichnet. Das im Mai 2011 lancierte Begehren forderte die Einführung einer Beschränkung des Bevölkerungswachstum infolge Zuwanderung auf jährlich 0,2% der ständigen Wohnbevölkerung. Zudem hätten bei einer Annahme der Ecopop-Initiative mindestens 10% der Mittel, welche die Schweiz jährlich in die internationale Entwicklungszusammenarbeit investiert, für Massnahmen zur Förderung der freiwilligen Familienplanung eingesetzt werden müssen. Ferner hätte eine Annahme zur Folge gehabt, dass künftig keine völkerrechtlichen Verträge mehr hätten abgeschlossen werden dürfen, die gegen die Initiativbestimmungen verstossen würden. Bestehende Verträge hätten innerhalb von vier Jahren angepasst oder gekündigt werden müssen. Wenig überraschend beantragte der Bundesrat im Herbst 2013 die Volksinitiative dem Souverän ohne Gegenentwurf zu unterbreiten mit der Empfehlung, sie abzulehnen. Die Regierung verwies in ihrer Botschaft darauf, dass im Falle einer Annahme der Initiative weder das Freizügigkeitsabkommen noch das EFTA-Übereinkommen weitergeführt werden könnten, was sich ihrer Meinung nach massgeblich auf das Wirtschaftswachstum der Schweiz auswirken würde. Der Antrag des Bundesrates wurde in der Sommersession 2014 von beiden Kammern deutlich gutgeheissen. Im Nationalrat stimmten drei, im Ständerat nur gerade ein Volksvertreter gegen den bundesrätlichen Vorschlag. Auf Sympathien stiess die Vorlage hingegen bei der SD, der AUNS und Teilen der SVP-Basis. Acht SVP-Kantonalsektionen wichen von der nationalen Parteilinie ab. Sieben beschlossen wie SD und AUNS die Ja-Parole, die Genfer Kantonalsektion erteilte die Stimmfreigabe. Alle anderen Parteien sowie die Wirtschaftsverbände und die Gewerkschaften sprachen sich gegen eine Annahme der Ecopop-Initiative aus. Die Initianten verfügten über wenig Kampagnenerfahrung und über wenig finanzielle Ressourcen. Anders das gegnerische Lager, das zwar nicht vollständig zentralisiert, aber nicht minder geeint zu Werke ging. Neben dem überparteilichen Komitee "Ecopop Nein", das vom Wirtschaftsverband Economiesuisse geleitet wurde und von dem der grösste Kampagneneffort ausging, engagierten sich auch Parteien (v.a. FDP und glp), Gewerkschaften (Syna, TravailSuisse) und kantonale Komitees gegen die Ecopop-Initiative. Auf Seite der Ecopop-Befürworter schalteten sich neben dem Initiativkomitee auch Akteure des rechtskonservativen Lagers in den Wahlkampf ein, was auf Pro-Seite zu einem selten gesehenen Konglomerat aus ökologischer Wachstumskritik und fremdenfeindlichen Motiven führte. Die Ecopop-Initiative wurde schliesslich von Volk und Ständen klar verworfen. Nur 25,9% der Partizipierenden stimmten der Vorlage zu (Stimmbeteiligung: 50%). Die Klarheit des Resultates überraschte, zumal im Vorfeld Umfrageresultate auf einen höheren Ja-Stimmenanteil hindeuteten. Die höchsten Ja-Anteile wurden in den Kantonen Tessin (36,9%), Schwyz (34,2%) und Obwalden (32,6%) registriert. Die tiefste Zustimmung verzeichneten die Westschweizer Kantone Waadt (17,3%), Wallis (21,3%) und Genf (21,4%).


Abstimmung vom 30. November 2014

Beteiligung: 50,0%
Ja: 671 099 (25,9%) / 0 Stände
Nein: 1 920 454 (32,1%) / 20 6/2 Stände

Parolen:
– Ja: SD, AUNS.
– Nein: SVP (8)*, SPS, FDP, CVP, GPS, GLP, BDP, EVP, CSP, EDU, eco, sgv, SGB, TravS.
* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Die VOX-Analyse zur Ecopop-Initiative kam zum Schluss, dass das Volksbegehren, dessen Inhalt mehrere Dimensionen umfasste, fast ausschliesslich als Zuwanderungsvorlage verstanden wurde. Die Umweltanliegen der Volksinitiative, wie auch der vorgeschlagene Beitrag an die Familienplanung in armen Ländern, blieben weitgehend unbeachtet. Gemäss der Umfrage fanden die Initianten ihre Unterstützung dann auch in den der SVP nahestehenden Kreisen, die dem Anliegen zu 56% zustimmten, während nur eine kleine Zahl der Sympathisanten der Grünen (19%) und der Grünliberalen (11%) ein Ja in die Urne legten. Eine zusätzliche Befragung innerhalb der VOX-Studie ergab, dass jede zweite Person, die bei der Masseneinwanderungsinitiative Ja gestimmte hatte, bei der Ecopop-Initiative ein Nein in die Urne legte. Vor allem Anhänger der SVP, aber auch solche von FDP und CVP votierten anders als noch im Februar.

Volksinitative "Stopp der Überbevölkerung - zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen" (Ecopop)

"Rüebli-Votum schwächt den Bildungsraum", titelte die Basellandschaftliche Zeitung nach Annahme der Mundart-Initiative im Kanton Aargau und sah eine weitere Hürde für die allfällige Schaffung eines gemeinsamen Nordwestschweizer Bildungsraumes. Im Gegensatz zu den Kantonen Glarus und Luzern, deren Stimmbevölkerung ähnliche Anliegen im Vorjahr versenkt hatten, sprachen sich die Aargauerinnen und Aargauer am 18. Mai 2014 für eine Volksinitiative der Schweizer Demokraten aus, die Mundart als grundsätzliche Unterrichtssprache im Kindergarten festlegt. Der Kanton Aargau reiht sich somit hinter Zürich als zweiter Gliedstaat ein, der das Hochdeutsch gänzlich aus dem Kindergartenalltag verbannt. Für eine gleichwertige Behandlung von Schweizer- und Hochdeutsch hatte sich 2011 der Kanton Basel-Stadt ausgesprochen. Nationalrat Romano (cvp, TI) äusserte aufgrund des Aargauer Stimmentscheids die provozierenden Fragen, ob es einer Verfassungsänderung bedürfe, damit Mundart anstelle des Hochdeutschen den Status einer Landessprache erhalten könne und ob die lateinischsprachigen Schulen in Zukunft Mundart unterrichten müssten, um den nationalen Zusammenhalt zu sichern. Bundesrat Berset sah in beiderlei Hinsicht keinen Handlungsbedarf. Erfolgreich war die Unterschriftensammlung der SVP des Kantons Zug, die im September eine weitere kantonale Mundart-Initiative bei den Behörden deponierte.

Mundart

Die politischen Kampagnen zur Abstimmung über die Volksinitiative „Für eine öffentliche Krankenkasse“ vom 28. September 2014 begannen schon bald nach der parlamentarischen Beratung in der Frühjahrsession und zogen sich mit grosser Intensität bis zum Abstimmungstermin hin. Die Argumentationslinien verliefen entlang denen in den Räten, wobei sich medial die häufige Beschäftigung der Bevölkerung mit dem Thema in ihrem Alltagsleben und gleichzeitig ein grosser Bedarf nach Faktenwissen abzeichneten. Zahllose Politikerinnen, Gesundheitsexperten, Kadermitglieder der Kassen und Journalistinnen äusserten sich in Interviews, Podien und Kolumnen. Auffallend stark mobilisierte das Thema in der Romandie, die sich bei Volksinitiativen mit ähnlichen Forderungen in der Vergangenheit bereits offener für einen Systemwechsel gezeigt hatte als die Deutschschweiz. Verschiedene Details gaben Anlass zu Diskussionen. So ortete zu Beginn der Kampagne das Gutachten eines St. Galler Rechtsprofessors, in Auftrag gegeben von der Initiativgegnerschaft, einen Fehler im Initiativtext: Da der Text kantonal einheitliche Prämien verlange, wären in Zukunft keine Rabatte für junge Erwachsene und insbesondere keine Kinderprämien mehr möglich. Auch Rabatte bei Hausarzt- oder Telemedizin-Modellen und bei hohen Franchisen wären laut dem Gutachten nicht mehr erlaubt. Die Initianten widersprachen: Es sei zu einer Unklarheit aufgrund ungenauer Übersetzung des ursprünglich in französischer Sprache eingereichten Initiativtexts durch die Bundeskanzlei gekommen. Bei genauer Übersetzung müsse es heissen: „Für jeden Kanton wird eine Prämie festgelegt“, während in der geltenden Übersetzung von einer „einheitlichen" Prämie die Rede ist. Auch die Höhe der durch die öffentliche Kasse realisierbaren Einsparungen sorgte für Diskussionsstoff. Während die Befürworter von einer Milliarde – mittel- bis langfristig gar von drei Milliarden – sprachen, hielten die Gegner dagegen, man könne höchstens von CHF 350 Mio. an Einsparungen im administrativen Bereich ausgehen, viel wahrscheinlicher jedoch von nur CHF 100 Mio. Bereits im Frühling 2013 hatte sich das Gegner-Komitee „Alliance Santé“ konstituiert, dem rund 100 Parlamentsmitglieder, Vertreter der Leistungserbringer, die beiden grossen Krankenversichererverbände Santésuisse und Curafutura, Patienten- und Konsumentenschutzverbände, der Versicherungs-, der Gewerbe- und der Bauernverband sowie der Pharmaverband Interpharma angehörten. Zwischen Juni und August 2014 formten sich zudem diverse kantonale Komitees. Die Ärzteschaft, der in Abstimmungen zum Gesundheitswesen ein grosser Einfluss zugeschrieben wird, bildete einen Spezialfall: Einige Verbände, unter ihnen der Verband der Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte, schlossen sich dem Ja-Komitee an, da sie sich von der Einheitskasse eine Minderung des eigenen administrativen Aufwands, mehr Zeit für die Patientinnen und Patienten und eine bessere Koordination der Behandlungen erhofften. Andere, darunter der Spitalverband H+, befürchteten ein Staatsmonopol in der Medizin mit allfälliger Leistungsrationierung und schlossen sich dem Nein-Lager an. Der Dachverband FMH beschloss aufgrund der internen Divergenzen schliesslich Stimmfreigabe. Seitens der Parteien beschlossen nebst der SP die Grünen, die EVP und die CSP die Ja-Parole, alle anderen grossen Parteien sprachen sich für ein Nein aus. Travail.Suisse schloss sich dem Ja-Lager an.
Einige Aufmerksamkeit erhielt die schwierige Rolle des Gesundheitsministers Berset, der im Abstimmungskampf das Nein des Bundesrates zur Initiative seiner eigenen Partei vertreten musste – eine Rolle, die er dem allgemeinen Tenor nach gut erfüllte. Deutlich umstrittener war die Rolle der Krankenversicherer im Abstimmungskampf. Durch ihre Verbände waren sie im Nein-Komitee vertreten und steuerten drei der fünf Millionen Franken zum Kampagnenbudget bei, viele engagierten sich aber auch direkt gegen die Volksinitiative. Bereits früh publizierten diverse Kassen in ihren auflagenstarken Kundenmagazinen Artikel gegen die öffentliche Krankenkasse oder boten in Interviews prominenten Mitgliedern des Nein-Lagers eine Plattform. Vom Initiativkomitee ernteten die Kassen damit umgehend Kritik: Sie würden das Gebot der objektiven, verhältnismässigen und zurückhaltenden Information krass verletzen, das für sie als mit öffentlichen Bundesaufgaben betraute Organe in gleicher Weise wie für staatliche Behörden gelte. Die Kassen hielten dagegen, sie würden auch befürwortenden Stimmen Platz in ihren Publikationen einräumen; zudem würden sie das Geschäft durch und durch kennen und hätten damit die Pflicht, über die Konsequenzen der Initiative zu informieren. Im Juli wurde im Kanton Bern eine Abstimmungsbeschwerde gegen sieben Kassen beim Regierungsrat eingereicht; diese hätten durch ihre nicht objektive und unsachliche Information in ihren Publikationen die Abstimmungsfreiheit verletzt. Der Beschwerdeführer wurde von der SP juristisch unterstützt. Wenige Tage darauf folgten Abstimmungsbeschwerden in den Kantonen Waadt, Genf, Basel-Stadt und Tessin. Allerdings stellte sich schnell heraus, dass die kantonalen Behörden nicht zuständig sind: Da die Beanstandungen kantonsübergreifende Aspekte betreffen, führe der Rechtsmittelweg direkt ans Bundesgericht, so die jeweiligen Antworten. Das daraufhin mit zwei Stimmrechtsbeschwerden angerufene oberste Gericht stellte knapp drei Wochen vor der Abstimmung fest, die Krankenkassen seien bei der vorliegenden Abstimmung nicht zur sonst erforderlichen Neutralität verpflichtet, da die Vorlage sie in qualifizierter Weise betreffe. Eine sachliche Argumentation und Zurückhaltung beim Einsatz von Werbemitteln und finanziellen Ressourcen könnten dennoch erwartet werden. Das Gericht zweifelte diese Sachlichkeit bei einzelnen Publikationen zwar an. Es führte aber aus, da der Abstimmungskampf intensiv geführt werde und auch das Ja-Lager ausreichend zu Wort käme, würden die Äusserungen der Krankenkassen das Abstimmungsergebnis nicht wesentlich beeinflussen. Auf diverse Punkte der Beschwerden war das Gericht gar nicht eingetreten, da diese als nicht ausreichend begründet angesehen wurden.

Volksinitiative „für eine öffentliche Krankenkasse“ (BRG 13.079)
Dossier: Vorstösse zur Ermöglichung von Einheitskrankenkassen (seit 1998)

Im März 2014 nahm der Ständerat als Erstrat die Beratung über die Änderung des Bundesgesetzes über den Strassentransitverkehr im Alpengebiet (Sanierung Gotthard-Strassentunnel) auf. Die Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen der kleinen Kammer (KVF-SR) empfahl dem Plenum mit 7 gegen 6 Stimmen, auf die Vorlage einzutreten und ohne Änderung zuzustimmen. Eine Minderheit Stadler (glp, UR) beantragte Nichteintreten, eine Minderheit I Janiak (sp, BL) forderte die Rückweisung an den Bundesrat mit dem Auftrag, die Vereinbarkeit mit dem Landverkehrsabkommen sowie die Verfassungsmässigkeit vertieft zu prüfen. Eine Minderheit II Graber (cvp, LU) verlangte die Rückweisung an den Bundesrat, damit dieser aufzeige, wie die Forderungen der Zentralschweizer Regierungskonferenz in der Vorlage erfüllt werden. Eine Minderheit III Graber (cvp, LU) beantragte schliesslich die Rückweisung an den Bundesrat mit dem Auftrag, ein Programm vorzulegen, welches aufzeigt, welche Strassenbauprojekte wegen der zweiten Röhre entfallen bzw. verzögert werden und wie die Mehrkosten aus dem Unterhalt der zusätzlichen Röhre finanziert werden. In seinem Votum für den Antrag der Kommissionsminderheit nahm Standerät Markus Stadler Bezug auf die wichtigsten Argumente der Kommissionsmehrheit. Im Gegensatz zur Darstellung der Mehrheit werde das Tessin während der Sanierung nicht abgeschnitten: Der neue Gotthard-Basistunnel sei bis dahin in Betrieb und neben dem Gotthard führten auch noch andere Pässe in den Norden. Zudem wäre es möglich, den Tunnel in den Sommermonaten zu öffnen. Die Verkehrssicherheit werde durch eine zweite Röhre nur in den Röhren erhöht, auf den Zufahrtsstrecken erhöhe sich dafür das Unfallrisiko durch erwarteten Mehrverkehr. Die Sicherheit lasse sich mit einfachen Massnahmen sehr viel günstiger und effizienter steigern: Beispielsweise könnte der Mindestabstand zwischen Lastwagen erhöht oder die Höchstgeschwindigkeit gesenkt werden. Stadler betonte zudem den Widerspruch der Vorlage mit dem Alpenschutzartikel. Weitere Rednerinnen und Redner sorgten für eine ausgesprochen lange Eintretensdebatte. Mit 25 gegen 16 Stimmen trat die kleine Kammer schliesslich auf die Vorlage ein und lehnte sämtliche Minderheitenanträge ab. In der Gesamtabstimmung stimmte der Ständerat der Vorlage ebenfalls mit 25 gegen 16 Stimmen zu. Der Nationalrat debattierte in der Herbstsession über die Vorlage. Neben dem Minderheitenantrag Rytz (gps, BE) auf Nichteintreten waren weitere Minderheitsanträge gestellt worden: Minderheit I Graf-Litscher (sp, TG) forderte die Rückweisung an den Bundesrat mit dem Auftrag, Verfassungsmässigkeit sowie Vereinbarkeit mit dem Landverkehrsabkommen vertieft zu klären. Die Minderheit II Graf-Litscher (sp, TG) verlangte die Rückweisung an den Bundesrat verbunden mit der Aufgabe, ein Verzichts-, Verzögerungs- und Finanzierungsprogramm vorzulegen. Die Minderheit III Grossen (glp, BE) beantragte die Rückweisung an den Bundesrat mit dem Auftrag, in Artikel 84 Absatz 3 der Bundesverfassung ergänzend festzuhalten, dass die Benutzung zusätzlicher Fahrspuren pro Richtung auf Transitachsen im Alpengebiet verboten ist. Minderheit IV Nordmann (sp, VD) wollte die Rückweisung an den Bundesrat mit dem Auftrag verbinden, dem Parlament eine Sanierung ohne zweite Röhre dafür mit zeitlich umfassendem Bahnverlad von Strassenfahrzeugen zu unterbreiten. Nach langer Debatte zeigten sich sowohl in der Abstimmung über Eintreten wie auch in den Abstimmungen über die Rückweisungsanträge klare Gräben entlang der Parteilinien: Die Fraktionen von SP, Grünen und Grünliberalen stimmten geschlossen für Nichteintreten und für die Rückweisungsanträge, während die Fraktionen von SVP, FDP, CVP und BDP (bis auf 2 Stimmen) geschlossen für die bundesrätliche Vorlage eintraten. In der Schlussabstimmung vom 26. September 2014 nahm der Nationalrat die Vorlage mit 120 gegen 76 Stimmen an, der Ständerat mit 28 zu 17 Stimmen. Der Verein „Nein zur 2. Gotthardröhre“, welchem neben SP, Grünen, Grünliberalen auch EVP und CSP sowie über 40 weitere national oder regional tätige Organisationen angehören, ergriff das Referendum. Bereits im Dezember und somit noch vor Ablauf der Referendumsfrist am 15.1.2015 liess der Verein verlauten, die notwendigen 50'000 Unterschriften seien beglaubigt, darüber hinaus seien noch einmal so viele zusätzliche Unterschriften zusammengekommen.

Sanierung Gotthard-Strassentunnel (13.077)
Dossier: Sanierung des Gotthard-Strassentunnels

Die von der CSP bereits 2013 geplante Namensänderung wurde 2014 vollzogen. Mitte Januar nahmen die Delegierten in Fribourg die entsprechenden Statutenänderungen mit 15 zu 2 Stimmen an. Die Partei nennt sich neu "Mitte links – CSP". Ein neues Logo, das allerdings die gleichen Grundfarben (türkis, weiss) enthielt wie bisher, wurde Anfang Mai in Bern präsentiert. Mit der Namensänderung sollen neue, vor allem jüngere Wählerschichten angesprochen werden, die mit dem bisherigen „C“ wahrscheinlich eher abgeschreckt worden seien. An der politischen Ausrichtung wolle man jedoch nichts ändern. Nimmt man die Abstimmungsparolen der CSP zu den eidgenössischen Abstimmungen zum Nennwert, entsprach diese politische Linie durchaus links-grünen Positionen: Die Parolen der CSP waren nämlich bei allen zwölf eidgenössischen Abstimmungen identisch mit den Empfehlungen von SP und GP.

Namensänderung der CSP zu "Mitte-Links - CSP"

Über die Bedeutung von Mundart wurde auch 2013 rege diskutiert. Mit einer Vielzahl kantonaler Initiativen aus rechtskonservativen Kreisen mauserte sich ein ursprünglich pädagogisches Anliegen zu einer politischen Wertediskussion um Identität und Heimat. So lehnte etwa die Stimmbevölkerung in den Kantonen Glarus und Luzern zwei SVP-Anliegen ab, die den Kindergartenunterricht ausschliesslich in Dialektsprache abhalten wollten, und sprach sich damit im Gegensatz zu den Zürcher Stimmberechtigten, die 2011 ein ähnliches Anliegen gutgeheissen hatten, für eine gleichwertige Behandlung von Dialekt und Hochdeutsch im Vorschulalter aus. Während eine weitere Initiative dieser Art im Kanton Solothurn im Sammelstadium scheiterte, steht eine Volksabstimmung zur SD-Initiative „Ja zur Mundart im Kindergarten“ im Kanton Aargau noch aus. Mitte Jahr lancierte das Forum Helveticum ein Projekt zur Verbesserung der sprachkulturellen Verständigung. An einem ersten Treffen kamen Vertreter von Bildungsinstitutionen, Lehrerverbänden, Erziehungsdirektionen und der SRG zu Wort. Als angebracht empfanden die Teilnehmenden unter anderem eine verstärkte Aufklärungsarbeit in der lateinischen Schweiz zur Bedeutung der Mundart, da der geläufige Gebrauch der Dialektsprache dort nicht nur im wortwörtlichen Sinne auf Unverständnis stosse. Gleichzeitig soll in der Deutschschweiz die Funktion des Hochdeutschen als Instrument der nationalen Kohäsion betont werden.

Mundart

Die CSP Obwalden gehört nicht zur CSP, sondern politisierte bis 2002 unter dem Dach der CVP Schweiz. Aufgrund von internen Streitigkeiten verselbständigte sich die CSP-OW und war zwischen 2005 und 2009 assoziiertes Mitglied der CSP Schweiz. Seit 2010 ist die CSP-OW aber wieder eine eigenständige, nur auf kantonaler Ebene agierende Partei. Allerdings wurde 2011 mit Karl Vogler ein CSP-OW-Mitglied in den Nationalrat gewählt, das sich für den Anschluss an die CVP-Fraktion entschied.

CSP Obwalden

Im März gab die Bundeskanzlei bekannt, dass die eidgenössische Volksinitiative „Millionen-Erbschaften besteuern für unsere AHV (Erbschaftssteuerreform)“ mit 110'000 gültigen Unterschriften zu Stande gekommen war. Das von der EVP, der SP, den Grünen, der CSP, dem SGB sowie dem Verein Christnet lancierte Begehren forderte auf Bundesebene die Einführung einer zwanzigprozentigen Erbschaftssteuer ab einem Vermögen von zwei Millionen Franken. Zwei Drittel der Erträge sollten dem Ausgleichsfonds der AHV und ein Drittel den Kantonen zukommen. Im Juni veröffentlichte der Schweizerische Gewerbeverband (SGV) ein von ihm in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten, das zum Schluss kam, dass die Volksinitiative den Grundsatz der Einheit der Materie verletzte. Der SGV forderte das Parlament auf, den Initiativtext für ungültig zu erklären. Für Kontroversen sorgte auch die im Initiativtext verankerte Rückwirkungsklausel, die besagte, dass im Falle einer Annahme der Vorlage Schenkungen ab dem 1. Januar 2012 dem Nachlass zuzurechnen waren. Im September gab der Bundesrat bekannt, dass er sich der Einführung einer nationalen Erbschaftssteuer widersetzte. In der im Dezember vorgelegten Botschaft meldete die Landesregierung vor allem Bedenken bezüglich der föderalistischen Kompetenzordnung an. Der Bundesrat sprach sich entschieden gegen einen Eingriff in die Steuerhoheit und in das Steuersubstrat der Kantone aus.

„Millionen-Erbschaften besteuern für unsere AHV (Erbschaftssteuerreform)“

Prominenten Zuwachs erhielten die Schweizer Demokraten im Stadtparlament in Wädenswil, wo Albert A. Stahel, bekannt als Strategieexperte, der Partei beitrat. 2010 als Vertreter der SVP ins Stadtparlament gewählt, wechselte Stahel 2011 zur GLP, bevor er auch den Grünliberalen 2013 den Rücken kehrte und der Partei beitrat, bei der sein Sohn Andreas Stahel – ursprünglich ebenfalls aus der SVP ausgetreten – kantonaler Präsident ist, den Schweizer Demokraten. Den Wechsel begründete Stahel mit konträren Positionen der nationalen GLP zu seinen eigenen. Bei den kommunalen Wahlen 2014 will Stahel noch einmal für die SD antreten. Neben Wädenswil halten die SD noch in den Gemeindeparlamenten von Zürich (2 Sitze), Uster und Winterthur (je 1 Sitz) kommunale Legislativmandate.

Albert A. Stahel tritt den SD bei

Die bereits im Vorjahr ins Auge gefasste Namensänderung für die nationale Mutterpartei nahm im Berichtjahr Gestalt an. Ende August schlug der Vorstand der CSP das neue Label „Mitte links – CSP“ vor. An der Delegiertenversammlung vom 26. Oktober in Delémont wurde über diesen Vorschlag beraten. Die Abgeordneten hiessen den neuen Namen gut und wiesen den Vorstand an, die entsprechenden Statutenänderungen vorzubereiten. Mit dem neuen Label sollen neue Wählerschichten angesprochen werden. An der bisherigen politischen Ausrichtung mit dem Fokus auf die Sozial- und Umweltpolitik soll sich aber nichts ändern.

Namensänderung der CSP zu "Mitte-Links - CSP"

An der Delegiertenversammlung Ende August beschloss die CSP etwas überraschend und nach eingehenden Diskussionen die Ja-Parole zur Initiative zur Aufhebung der Wehrpflicht. Mit einer freiwilligen Armee könnten die Leute gezielter und entsprechend ihrer Kompetenzen eingesetzt werden. Die CSP-Zürich entschied sich allerdings entgegen der Parole der Mutterpartei für Stimmfreigabe. Zum Raumplanungsgesetz hatte die Partei Ende Januar in Martigny, auch unter dem Eindruck der starken Präsenz der Walliser Sektion, Stimmfreigabe beschlossen.

Parolen der CSP zu den eidgenössischen Abstimmungen 2013

Nachdem die SD 2012 all ihre Sitze in kantonalen Parlamenten verloren hatten – im Nationalrat ist die rechte Partei bereits seit 2007 nicht mehr vertreten – sprach ihr Präsident Rudolf Keller bereits davon, die Partei für tot zu erklären. So weit kam es im Berichtjahr allerdings nicht. Mit einer Namensänderung sollte der Partei eine neue Richtung gegeben werden. Schon einmal hatte sich die Partei in den 1990er Jahren umbenannt: Die Schweizer Demokraten sind die Nachfolger der 1961 in Winterthur gegründeten Nationalen Aktion und der in den 70er Jahren von der NA abgespalteten Republikaner. Die rund 4'000 Mitglieder wurden aufgerufen, sich an der Suche nach einem neuen Namen zu beteiligen. An einer ausserordentlichen Delegiertenversammlung Ende März in Suhr (AG) gab sich die Partei ein neues Programm, verzichtete aber – trotz rund 300 Vorschlägen – auf einen neuen Namen. Mit dem neuen Programm versuchen sich die SD von der SVP abzugrenzen. Betont werden deshalb vor allem soziale und ökologische Fragen. Unter anderem wird auch verlangt, dass in der Volksschule der Text der Nationalhymne gelernt werden muss. Rudolf Keller wurde als Präsident bestätigt.

Neuausrichtung der SD

Die CSP Schweiz hatte sich 1997 aus den jeweils unabhängigen Kantonalparteien Jura, Freiburg, Luzern und Zürich national zusammengeschlossen. Seit 2002 gehörte auch die CSP Valais Romand dazu, nicht aber die CSP Oberwallis, die zur CVP-Familie gehört. Insgesamt verfügte die CSP Ende Berichtjahr in den Kantonen über 16 Mandate (ZH: 1; FR: 4; JU: 8; VS: 3), wobei die drei Sitze im Kanton Wallis bei den Gesamterneuerungswahlen verteidigt werden konnten. Der Sitz in Zürich fiel bereits 2012 der CSP zu, weil der für die Christlich-Sozialen auf der Liste der Grünen antretende Kandidat als Ersatz für eine zurücktretende Kantonsrätin der GP nachrutschte.

Das Abschneiden der CSP bei kantonalen Gesamterneuerungswahlen im Jahr 2013

Im Kanton Wallis traten in den 14 Wahlbezirken insgesamt 249 Kandidierende an. Die zentrale Frage war, ob die CVP und die CSP ihre bisherige Mehrheit im 130-köpfigen Grossen Rat würden halten können. Die Nationalratswahlen 2011 hatten gezeigt, dass die Christdemokraten im Kanton Wallis sowohl von links als auch von rechts bedrängt werden. Die C-Parteien verfügten vor den Wahlen zusammen über 68 Sitze, wobei die CVP 54 Mandatsträger nach Sion schickte und in allen 14 Wahlbezirken mit insgesamt 67 Kandidierenden antrat. Die CVP hatte insbesondere im Oberwallis viele Zurückgetretene zu ersetzen. Die CSP (bisher 14 Sitze) trat in sechs Bezirken alleine an. Dort schickte sie 19 Kandidierende ins Rennen. Die FDP trat in neun Wahlkreisen mit 37 Personen an, um ihre 28 Sitze zu verteidigen; im Gegensatz zu 2009 kandidierte der Freisinn im Oberwallis allerdings nur noch im Wahlkreis Visp. Insbesondere die SVP plante einen Angriff auf die Hegemonie der C-Parteien mit dem Ziel, die seit 1999 sukzessive eroberten 12 Sitze weiter auszubauen. Ausser in zwei Kleinstbezirken trat die Volkspartei im ganzen Kanton – in vier Wahlkreisen zusammen mit den „Freien Wählern“ – mit dem insgesamt grössten Kandidatenensemble von 70 Personen an. Die SVP konnte dabei auf ihr für den Regierungsrat antretendes Zugpferd Oskar Freysinger setzen (siehe unten). Die Linke wollte die insgesamt 22 Mandate mit unterschiedlichen Listen in den verschiedenen Wahlkreisen ausbauen. Die SP trat in drei Bezirken (Conthey, Hérens und Monthey) alleine, in Visp mit ihrer Jungpartei und Gewerkschaften, in Brig zusätzlich mit den Grünen und in Leuk mit Unabhängigen an. In Sion und St. Maurice kandidierte eine „Alliance“ aus SP und CSP. Insgesamt wurden in diesen sieben Bezirken 29 Personen mit Bezug zur SP gelistet. Die Sozialdemokraten traten in Martigny und Sierre zudem auch unter dem Label Alliance de Gauche (AdG) zusammen mit der CSP und der GP an. 14 Personen warben auf diesen Listen um die Gunst der Wählerschaft. Die Grünen verbanden sich nicht überall mit der SP, sondern traten in drei Bezirken (Conthey, Monthey und Sion) alleine mit 8 Kandidierenden an. Vor vier Jahren war die GP lediglich in einem Bezirk alleine angetreten. Eine ebenfalls dem linken Lager zuzuordnende parochiale Vereinigung unter dem Namen Entremont Autrement schickte im Bezirk Entremont fünf Kandidierende ins Rennen. Im Gegensatz zu 2009 traten die Piratenpartei und die alternative Linke nicht mehr an. Im gleichen Wahlkreis kam es vor, dass mehrere Kandidierende mit gleichem Namen (also gleichem Vor- und Nachnamen) antraten. Die Wählerschaft war deshalb aufgefordert worden, die Listennummer und/oder den Beruf der gewählten Politiker/innen ebenfalls auf dem Wahlzettel zu vermerken. Die Grossratswahlen standen deutlich im Schatten der Regierungswahlen, die zu einem Zweikampf zwischen Christian Varone (fdp) und Oskar Freysinger (svp) hochstilisiert wurden (siehe unten). Darüber hinaus fand am 3. März die für den Kanton Wallis bedeutende Abstimmung zum revidierten Raumplanungsgesetz (RPG) statt. Der Wahlkampf für den Grossen Rat war deshalb unaufgeregt.

Nicht wenige Kommentare nach den Wahlen liessen vermuten, dass besagte Abstimmung zum RPG mitverantwortlich war für den Wahlausgang und die ausserordentlich hohe Wahlbeteiligung von 68,2% (2009: 54,6%). Der Verlust der CVP von fünf Sitzen wurde denn auch darauf zurückgeführt, dass sich die CVP-Bundesrätin Doris Leuthard stark für die Revision des RPG eingesetzt hatte. Allerdings büsste auch die CSP zwei Sitze ein. Mit neu noch 61 Sitzen verfügten die C-Parteien damit zwar nach 150 Jahren erstmals nicht mehr über eine absolute Mehrheit im Grossen Rat, blieben aber nach wie vor mit Abstand stärkste Kraft. Insgesamt erhielten sie 41,6% der Wählerstimmen (2009: 48,5%). Von den Verlusten der CVP (neu 49 Sitze) und der CSP (neu 12 Sitze) profitierte die SVP, die gleich um neun Sitze (neu 21 Sitze) und um fast sechs Prozentpunkte an Wählerstärke zulegte (neu: 17,2%; 2009: 11,5%). Die FDP konnte ihre 28 Mandate verteidigen und an Wählerstärke sogar leicht zulegen (neu: 24,6%; 2009: 22,3%). Die Linke hingegen büsste insgesamt zwei Sitze ein: die AdG musste drei Sitze abgeben, während die Entremont Autrement neu einen Vertreter in den grossen Rat schicken konnte. Dort wo SP (4 Sitze) und Grüne (2 Sitze) alleine antraten, konnten sie ihre Besitzstände wahren. Insgesamt verfügte die Linke damit insgesamt über weniger Rückhalt in der Wählerschaft (16,6%) als noch vor vier Jahren (17,7%). Trotz Bruch mit der CVP-CSP-Hegemonie, wurden keine grossen politischen Veränderungen erwartet. Kommentatoren interpretierten die (verloren gegangene) absolute Mehrheit der C-Parteien als lediglich symbolisch, weil zahlreiche Geschäfte sowieso von einer erdrückenden bürgerlichen Mehrheit unterstützt werden würden. Bedeutender seien im Parlament von je her die regionalpolitischen Unterschiede, die sich nicht selten quer durch die Fraktionen zeigen. Insgesamt hatte der Grosse Rat einen leichten Rechtsrutsch zu verzeichnen. Darüber hinaus wies das Parlament auch ein höheres Durchschnittsalter als vor vier Jahren auf. Waren die Gewählten 2009 im Schnitt noch 43 Jahre alt gewesen, wiesen die 2013 neu bestellten Mandatsträger ein mittleres Alter von 48 Jahren auf. Der Frauenanteil nahm hingegen deutlich ab. Waren 2009 noch 28 Sitze von Frauen besetzt (21,5%) nahmen ab 2013 lediglich noch 20 Frauen Einsitz im kantonalen Parlament (15,3%). Ein weiterer augenfälliger Unterschied zu den Wahlen 2009 zeigte sich hinsichtlich der Fluktuation. Waren 2009 nicht weniger als 53% der Gewählten neu im Parlament, betrug dieser Anteil 2013 noch 29%.

Grossratswahlen Wallis 2013
Dossier: Kantonale Parlamentswahlen 2013
Dossier: Kantonale Wahlen - Wallis

Mit dem Verlust der beiden Sitze bei den Gesamterneuerungswahlen im Kanton Aargau waren die SD in keinem Kanton mehr in der Legislative vertreten. Auch aus dem kommunalen Parlament in der Stadt Bern wurden die SD abgewählt. Damit hatte die Partei, die seit den 60er Jahren im Nationalrat vertreten war, nur noch in der Stadt Zürich, in Uster und in Winterthur Vertreter in der Legislative.

SD verliert weitere Legislativmandate bei kantonalen Wahlen im Jahr 2012

Die negativen Resultate bei den kantonalen Wahlen und das Scheitern bei der Unterschriftensammlung für die eigene Initiative führten schliesslich zu Auflösungserscheinungen. Parteipräsident Rudolf Keller verkündete in der Dezemberausgabe des Parteiblattes „Schweizer Demokrat“, das die Partei „fast tot“ sei und nichts mehr anderes übrig bleibe, als sie zu beerdigen. Allerdings strebte Keller einen Neuanfang mit einem neuen Parteiprogramm und unter einem neuen Namen an. Die SD müsse neu erfunden werden.

Auflösungserscheinungen bei den SD