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Jahresrückblick 2023: Verbände

Zu den bedeutsamsten Ereignissen des Jahres 2023 gehörten für viele Verbände die eidgenössischen Wahlen. Wohl am meisten Präsenz hatten dabei Economiesuisse, Arbeitgeber-, Gewerbe- und Bauernverband, die erhebliche Mittel in ihre gemeinsame Wahlkampagne «Perspektive Schweiz» investierten, welche zu einem (land)wirtschaftsfreundlich zusammengesetzten Parlament beitragen sollte. Dabei wurde insbesondere von links-grüner Seite, aber auch in Medienkommentaren und von vereinzelten Bürgerlichen darauf verwiesen, dass der SBV und die grossen Wirtschaftsverbände namentlich in den Themen Freihandel und Subventionen grundlegend andere Interessen hätten, die mit der Zusammenarbeit nur notdürftig zugedeckt und früher oder später aufbrechen würden. In den Medien wurde denn auch unterschiedlich eingeschätzt, inwieweit der Rechtsruck im Nationalrat tatsächlich im Sinn der grossen Wirtschaftsverbände sei, da er vor allem durch Gewinne der SVP zustandekam, die in europa- und migrationspolitischer Hinsicht oft andere Positionen vertritt als etwa Economiesuisse. Einig war sich die Presse indessen, dass der Bauernverband gestärkt aus den Wahlen hervorging. Vor allem im Zusammenhang mit den Wahlen konnte dieser gegenüber den Vorjahren auch seine Medienpräsenz deutlich steigern (siehe Abbildung 2 der APS-Zeitungsanalyse).

Mit Vorwürfen sah sich im Wahlkampf der Gewerkschaftsbund (SGB) konfrontiert, weil er den Organisationsaufwand für eine grosse Kaufkraftdemonstration kurz vor den Wahlen nicht als Wahlkampfkosten gemäss der neuen Transparenzgesetzgebung zur Politikfinanzierung deklariert hatte. Der SGB legte sein Budget für die Demonstration daraufhin rasch offen, stellte sich aber auf den Standpunkt, es habe sich nicht um eine Wahlkampfveranstaltung gehandelt. Scharfe Kritik handelte sich sodann die Kampagnenorganisation Campax ein, als sie im Wahlkampf einen Aufkleber verbreitete, auf dem die SVP und die FDP mehr oder weniger explizit als «Nazis» bezeichnet wurden. Campax änderte das Sujet daraufhin ab, doch der Vorfall führte zu erneuten bürgerlichen Forderungen, die Regeln für politische Kampagnenaktivitäten von staatlich unterstützten NGOs zu verschärfen.

Mehrere Verbände mussten sich im Berichtsjahr mit bedeutenden internen Konflikten auseinandersetzen. Im Schweizer Tierschutz (STS) eskalierten Diskussionen um Spesenabrechnungen und Führungsstil zu einem heftigen Machtkampf zwischen der Präsidentin und einem Teil der übrigen Vorstandsmitglieder. Stärker politisch aufgeladen war ein Machtkampf zwischen konservativen und progressiven Kräften in der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG), in dessen Zug der Vorstand alle Neueintritte bis 2024 sistierte, um einen befürchteten «Putsch» an der Mitgliederversammlung zu verhindern. Auch beim Konsumentenforum entbrannte ein Konflikt mit stark politischer Note, indem ein Vereinsmitglied der Verbandsspitze vorwarf, auf Kosten der Konsumentinnen- und Konsumenten-Interessen eine Kaperung der Organisation, insbesondere durch Wirtschaftsverbände, zu orchestrieren. Beim Hauseigentümerverband (HEV) war dessen Nein-Kampagne zum Klimagesetz Auslöser für interne Auseinandersetzungen und zahlreiche, teilweise prominente Verbandsaustritte. Zu einer Zerreissprobe kam es sodann bei der Frauen-Dachorganisation Alliance F, als deren Spitze sich im März im Parlament zugunsten der BVG-Reform einsetzte. Als Reaktion sistierten die SP Frauen zunächst ihre Verbandsmitgliedschaft und prüften unter anderem den Aufbau einer neuen, linken Frauen-Dachorganisation. Schliesslich entschieden sie jedoch, unter bestimmten Bedingungen vorerst doch bei Alliance F zu bleiben.

Beim Gewerbeverband (SGV) fielen Auseinandersetzungen um die politische Ausrichtung des Verbands derweil mit einem Personalgeschäft zusammen, das dem Verband deutlich mehr mediale Aufmerksamkeit bescherte als in den Vorjahren (siehe Abbildung 2): Als Nachfolger des langjährigen Verbandsdirektors Hans-Ulrich Bigler wurde zunächst Henrique Schneider gewählt, aufgrund einer Plagiatsaffäre wurde Schneiders Wahl jedoch noch vor dessen Amtsantritt widerrufen. So wählte der SGV mit Urs Furrer letztlich einen Verbandsdirektor, von dem die Medien einen moderateren Kurs erwarteten als von Bigler und Schneider. Reibungsloser ging die Neubesetzung von Spitzenposten in einer Reihe anderer Verbände über die Bühne, so beim Arbeitgeberverband, bei der Syna, beim VPOD, beim Versicherungsverband, bei Curafutura, bei der Bankiervereinigung, bei Avenir Suisse und bei Auto Schweiz.

Grössere strukturelle Veränderungen gab es in der Schweizer Verbandslandschaft 2023 kaum. Mit «Cinéconomie» wurde eine neue Allianz von Interessenorganisationen der Filmwirtschaft gegründet. Die Bankiervereinigung konnte die Rückkehr von Raiffeisen in den Verband verzeichnen, wohingegen der Krankenkassenverband Curafutura den Austritt der KPT hinnehmen musste.

Mediale Aufmerksamkeit für eigene inhaltliche Forderungen erzielte der Arbeitgeberverband mit einem Papier zum Fachkräftemangel, in dem er unter anderem längere und flexiblere Arbeitszeiten forderte, was starke Kritik von den Gewerkschaften provozierte. Der Mieterinnen- und Mieterverband forderte in der Diskussion um die steigenden Mieten insbesondere staatliche Mietzinskontrollen gegen missbräuchliche Mieten und deutlich mehr gemeinnützigen Wohnungsbau. Auch verschiedene Gruppierungen der Klimabewegung versuchten, Aufmerksamkeit für ihre Anliegen zu generieren, wobei sie wie in den Vorjahren wiederum zu teilweise umstrittenen Aktionsformen griffen.

Jahresrückblick 2023: Verbände
Dossier: Jahresrückblick 2023

Die Vereinigung Schweizer Automobil-Importeure (Auto-Schweiz) wählte im Mai 2022 den Berner Nationalrat und ehemaligen Parteipräsidenten der SVP Schweiz Albert Rösti zu ihrem neuen Präsidenten. Gegenkandidaturen gab es keine, Rösti wurde einstimmig für die dreijährige Amtszeit gewählt.
Rösti übernahm damit die Nachfolge von François Launaz, der den Verband seit 2014 geführt hatte und seinen Rücktritt mit dem Überschreiten des Pensionsalters begründete. Als Beispiel für «diverse politische Erfolge» in Launaz' Amtszeit nannte Auto-Schweiz die Annahme des Strassenfinanzierungsfonds NAF im Jahr 2017. Der NAF sei massgeblich durch die von Auto-Schweiz mitlancierte sogenannte «Milchkuh-Initiative» beeinflusst worden, auch wenn die Initiative selbst 2016 an der Urne abgelehnt worden war. Die politische Interessenvertretung war nach Einschätzung von Launaz mittlerweile generell die Hauptaufgabe des Verbands, der sich einst vor allem auf die technische Homologation neuer Fahrzeuge konzentriert hatte. Launaz hatte sich entsprechend erfreut über die Kandidatur des «versierten Polit-Profis» Rösti geäussert. Wo dieser in seinem neuen Amt die politischen Schwerpunkte setzen will, machte Rösti bereits vor seiner Wahl deutlich: Die Strassenfinanzierung müsse neu geregelt und die wichtigsten Hauptachsen auf den Autobahnen auf mindestens drei Spuren ausgebaut werden, denn das Schweizer Strassennetz sei «permanent überlastet». Angesichts des Trends hin zur Elektromobilität müsse zudem für die Versorgung mit genügend Strom und die nötige Ladeinfrastruktur gesorgt werden.

Präsidium von Auto-Schweiz

Die Gewerkschaft Unia legte im Oktober ihre Jahresrechnungen für die Jahre 2016 bis 2020 offen. Sie tat dies unter medialem Druck, nachdem erste Zahlen als Nebenprodukt eines Gerichtsurteils bekannt geworden waren und bereits auf ein beträchtliches Vermögen der Gewerkschaft hatten schliessen lassen. Tatsächlich wies die Unia Ende 2020 ein Nettovermögen von CHF 457 Mio. aus. Das Bruttovermögen vor Abzug der Hypothekarschulden und Abschreibungen betrug CHF 836 Mio. Die Aktivposten umfassten Immobilien im Wert von CHF 444 Mio. und Finanzanlagen im Umfang von CHF 329 Mio. Das Immobilienportfolio bestand aus 151 Liegenschaften und 2'861 Wohnungen. Würden die Immobilien nicht nach den Anschaffungskosten, sondern nach dem Marktwert eingestuft, läge das Vermögen gemäss Schätzungen des Blick sogar nochmals rund eine Viertelmilliarde Franken höher. Der Tages-Anzeiger ging angesichts dieser Grössenverhältnisse davon aus, dass die Unia «mit hoher Wahrscheinlichkeit die finanzkräftigste politische Organisation der Schweiz [ist] – potenter als alle Parteien, Wirtschaftsverbände und NGOs». Die offengelegten Zahlen gelten für den gesamten Unia-Konzern. Zu diesem gehören neben der als Verein organisierten eigentlichen Gewerkschaft Unia auch die Unia-Stiftung und sechs Aktiengesellschaften, darunter drei Immobilienfirmen. Zu ihrem Liegenschaftsbesitz erklärte die Unia, dass dieser historisch gewachsen sei, indem die Vorgängergewerkschaften GBI, SMUV und VHTL den grössten Teil ihres Vermögens in Liegenschaften investiert hätten. Ein Teil der Gebäude werde von der Unia selbst genutzt, so die beiden Hauptsitze in Bern und Zürich sowie über 100 Unia-Sekretariate im ganzen Land. Andere Immobilien würden vermietet, hauptsächlich als Wohnhäuser. Der Personalaufwand für die über 1'200 Mitarbeitenden der Unia belief sich im Jahr 2020 auf CHF 115 Mio. Dazu gehörten auch die Gehälter der sieben Geschäftsleitungsmitglieder von durchschnittlich CHF 150'930.

Die Zahlen wurden in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Abgesehen davon, dass manche Bürgerliche und Medien etwas schadenfreudig die Frage aufwarfen, ob die Unia noch glaubwürdig gegen Kapitalisten und Grosskonzerne auftreten könne, wenn sie doch selbst ein solcher sei, wurden die folgenden vier Kritikpunkte geäussert:

Erstens stelle sich die Frage, ob die Höhe der Jahresbeiträge für die Gewerkschaftsmitglieder zu rechtfertigen sei, wenn die Unia auf solch hohen Vermögenswerten sitze. Die Mitgliederbeiträge der Unia, die Arbeitnehmende aus den Wirtschaftssektoren Bau, Gewerbe, Industrie und private Dienstleistungen vertritt, sind einkommensabhängig; bei einem Monatslohn von 4'000 Franken betragen sie 40 Franken im Monat. Die Kritik ging dahin, dass die Vermögenserträge auch während des Aktien- und Immobilienbooms der letzten Jahre in die Gewerkschaftsbürokratie geflossen seien, statt damit die Mitgliederbeiträge zu senken. Kritisiert wurde in dem Zusammenhang auch, dass die Vermögenslage auch den 182'000 zahlenden Mitgliedern der Gewerkschaft bisher nicht bekannt gewesen sei, sondern nur den 129 Delegierten, die einmal pro Jahr die Konzernrechnung absegneten. Die Unia hielt dem entgegen, dass es sich beim Vermögen um das gemeinsame Vermögen der Mitglieder handle. Die Erträge daraus würden vollständig für die Finanzierung von Gewerkschaftsaktivitäten verwendet und trügen dazu bei, «den hohen Standard der Mitgliederdienstleistungen und die finanzielle Unabhängigkeit der Gewerkschaft zu sichern». Niemand ziehe daraus einen persönlichen Vorteil.

Zweitens sahen bürgerliche Kritikerinnen und Kritiker sowie manche Medien einen Widerspruch darin, dass die Linke stets mehr Transparenz in der Politikfinanzierung fordere, die Unia aber bisher selbst nicht transparent gewesen war. Dabei sei es aus demokratiepolitischen Gründen wichtig, die Vermögensverhältnisse von politisch gewichtigen Akteuren wie den Gewerkschaften oder Arbeitgeberverbänden zu kennen. Die Unia rechtfertigte die bisherige Geheimhaltung damit, dass das Vermögen gleichzeitig auch die Streikkasse der Unia sei; es würde die Verhandlungsposition der Unia bei Arbeitskonflikten schwächen, wenn die Gegenseite ihre Vermögensverhältnisse – und damit ihre Durchhaltefähigkeit in einem Streik – kenne. Unia-Chefin Vania Alleva forderte zudem, die Medien sollten mit Transparenzforderungen alle politischen Akteure mit gleichen Ellen messen; so sind die meisten Wirtschaftsverbände und anderen Gewerkschaften nicht transparenter als bisher die Unia, was ihre Finanzlage angeht. Zu den wenigen Gegenbeispielen zählt der Baumeisterverband (SBV), einer der Hauptkontrahenten der Unia in Arbeitsfragen: Dieser weist rund CHF 20 Mio. Eigenkapital aus.

Ein dritter Kritikpunkt knüpfte an eine bereits vorher laufende Debatte an und betraf die Tatsache, dass ein Teil der Unia-Einkünfte aus öffentlichen Geldern und gesetzlichen Pflichtabgaben stammt, nämlich aus dem Betrieb von Arbeitslosenkassen und aus den Entschädigungen für Vollzugskosten von allgemeinverbindlichen Gesamtarbeitsverträgen (GAV). Aus diesen beiden Bereichen zusammen nahm die Unia 2020 rund CHF 80 Mio. ein, während ihr die Mitgliederbeiträge CHF 58 Mio. einbrachten. Ob aber die Einnahmen aus dem Betrieb von Arbeitslosenkassen und der Kontrolle des GAV-Vollzugs für die Gewerkschaft einen Gewinn abwerfen oder lediglich den Aufwand für diese Aufgaben decken, lässt sich auch anhand der neu veröffentlichten Zahlen nicht feststellen. Bürgerliche Stimmen glauben, dass die Unia damit Gewinne erzielt und ihr Vermögen auch damit geäufnet habe. Die Unia beteuert jedoch, dass dies nicht zutreffe – das gehe aus Abrechnungen hervor, die beim zuständigen SECO hinterlegt seien. Die FDP.Liberale-Fraktion reichte in der Folge zwei Interpellationen zum Thema ein (Ip. 21.4121 und Ip. 21.4122), die vom Bundesrat Auskunft zu diesen Geldflüssen verlangten. Bereits vor dem Bekanntwerden der Zahlen zur Unia war zudem eine Kommissionsmotion der WAK-NR hängig gewesen, die eine Offenlegung der Abrechnungen über die Entschädigungen für die GAV-Kontrollen verlangte.

Ein vierter Kritikpunkt schliesslich kam von linker Seite: Es sei problematisch, dass die Unia bei der Vermietung ihrer Wohnungen nicht nur kostendeckende Mieten verlange, sondern sich bei der Festlegung der Mieten am Marktpreis orientiere – und deshalb in den letzten Jahren mit ihrem ansehnlichen Immobilienportfolio Gewinne auf Kosten von Mietenden gemacht habe. Die Unia verteidigte sich damit, dass die Mieten in ihren Liegenschaften gerade in den Ballungszentren mit besonders angespanntem Wohnungsmarkt unterhalb des Marktniveaus lägen und sie mit ihren Immobilien keine Renditenmaximierung betreibe; insgesamt lägen die Mieten in den Unia-Liegenschaften «laut einer unabhängigen Bewertung» rund 30 Prozent unter Marktniveau.

Vermögen der Unia

Per 1. November 2018 wurde Markus Bänzinger zum neuzen Direktor der IHK gewählt. Bänzinger kandidierte 2015 als Nationalrat, ob er 2019 erneut antreten werde, wisse er aber laut einem Interview im St. Galler Tagblatt noch nicht. Zuvor hatte Kurt Weigelt das Amt des Direktors inne gehabt.

Bänzinger Direktor IHK

Viele Gewerbe- und Unternehmerverbände, darunter auch Economiesuisse, lehnten die Selbstbestimmungsinitiative ab. Economiesuisse argumentierte etwa, dass rund 600 Wirtschaftsabkommen der Schweiz – darunter beispielsweise bilaterale Verträge mit der EU oder Freihandelsabkommen – bei einer Annahme der Initiative gefährdet seien. Gestört fühlte man sich ob diesem Argumentarium in der Weltwoche: Glaube man den Aussagen des Verbandes, so steuere die Schweiz bei einer Annahme der Initiative auf eine «wirtschaftliche Apokalypse» zu. Auch die SVP kritisierte den Wirtschaftsverband scharf: Thomas Matter (svp, ZH) warf der Economiesuisse gar vor, sie wolle die direkte Demokratie abschaffen, wie das St. Galler Tagblatt berichtete. Heinz Karrer, Präsident der Organisation, tat daraufhin die Kritik Matters als Polemik ab. Die einzige Gefahr für «unser funktionierendes System», so Karrer ebenfalls im St. Galler Tagblatt, sei die Initiative selbst.
Dass die Argumente von Economiesuisse «Quatsch» seien, fand aber auch FDP-Nationalrat Thierry Burkhart (fdp, AG), wie der Sonntags-Blick berichtete. Economiesuisse verwende stets die gleichen Argumente, wonach die Schweiz auf eine wirtschaftliche Katastrophe zusteuere, würde nicht entsprechend abgestimmt. Diese Rhetorik sei nicht glaubwürdig und verfehle die Wirkung. Dennoch, so Burkhart weiter, sei es wichtig, dass die Initiative auch von der Wirtschaft bekämpft werde.
Kaum Unterstützung erhielt die Initiative ferner vom SGV, dessen Delegierte die Nein-Parole beschlossen. Der Gewerbeverband des Kantons St. Gallen wich freilich ab und gab die Ja-Parole heraus.

Economiesuisse/SGV zur Selbstbestimmungsinitiative

Mitte 2015 entbrannte ein Streit zwischen den Gewerkschaften Unia und Syna einerseits und dem Schweizerischen Baumeisterverband (SBV) andererseits. Streitpunkt war die Verlängerung des Landesmantelvertrags (LMV), wie der Gesamtarbeitsvertrag (GAV) im Bauhauptgewerbe genannt wird, welcher Ende Jahr auslief. Das Phänomen ist nicht neu; schon in vergangenen Jahren gerieten sich die Sozialpartner in der Baubranche zum Zeitpunkt der Erneuerung des LMV jeweils heftig in die Haare (etwa 2011 und 2007). Die Gewerkschaften forderten eine Neuverhandlung des bestehenden Vertrags, während der Baumeisterverband auf einer unveränderten Weiterführung des Vertrags bestand. Letzteres war den Gewerkschaften nicht genug, weil sie sich insbesondere um die Sicherung der Frührente ab 60 – dem üblichen Pensionsalter für Arbeitnehmer auf dem Bau – Sorgen machten. Mit dem bestehenden Vertrag drohten demnächst Rentenkürzungen, wenn die geburtenstarke Babyboomer-Generation das Pensionsalter erreiche, weshalb die Gewerkschaften höhere Rentenbeiträge, insbesondere von Seiten der Arbeitgeber, forderten. Weitere Forderungen waren verbesserte Kontrollen gegen Lohndumping und eine neue Regelung für Schlechtwettertage, an denen die meisten Bauunfälle passieren.
Der Baumeisterverband weigerte sich jedoch, mit den Gewerkschaften zu verhandeln, solange die Unia ihre Fachstelle Risikoanalyse betreibt. Im Auftrag von Baufirmen prüft diese Fachstelle Subunternehmen auf deren Risiko, Lohndumping zu betreiben. Aus Sicht des Baumeisterverbands verstösst die Unia damit gegen die Sozialpartnerschaft, da solche Überprüfungen nicht nur vonseiten der Arbeitnehmervertretung, sondern gemeinsam mit Vertretern der Arbeitgeber durchgeführt werden müssten. Eine Schliessung dieser Fachstelle stand für die Unia wiederum nicht zur Diskussion. In der Zwischenzeit griff der Baumeisterverband zu einem ungewöhnlichen Mittel, um die Gewerkschaften zu einer Einigung zu bewegen: 26'000 Bauarbeiter – gemäss Verbandspräsident 40 Prozent der Betroffenen – bezeugten mit ihrer Unterschrift, dass sie sich eine unveränderte Weiterführung des bestehenden LMV wünschen. Die Unia ihrerseits zeigte sich von diesem – aus rechtlicher Sicht belanglosen – Verhalten unbeeindruckt und organisierte Mitte November landesweit Streiks, die jeweils einen Tag dauerten und an denen sich einige tausend Bauarbeiter beteiligten. In Zürich, Bellinzona, Genf, Neuenburg und Delsberg kam es auch zu Demonstrationen.
Auch wenn sich der Baumeisterverband in der Folge darüber beklagte, die Gewerkschaften hätten die vertragliche Friedenspflicht verletzt, gewannen die Gewerkschaften mit den Streiks das Kräftemessen der Sozialpartner. Denn einen Monat später, kurz vor Ablauf des bestehenden Vertrags, einigte man sich auf einen neuen LMV für die nächsten drei Jahre, der das Kernanliegen der Gewerkschaften enthielt: Die Rentenbeiträge wurden um zwei Prozentpunkte erhöht, wovon drei Viertel die Arbeitgeber übernahmen. Damit sollte das bisherige Rentenniveau der Frühpensionierten gesichert sein. Auch wurde das Ausbezahlen von Löhnen in bar verboten, eine Massnahme, die die Kontrolle von Lohndumping etwas vereinfachen sollte. Der Baumeisterverband hingegen konnte sein Anliegen – die Schliessung der Fachstelle Risikoanalyse der Unia – nicht durchsetzen.

Streit zwischen Gewerkschaften und dem Schweizerischen Baumeisterverband

Die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative (MEI) führte zum Streit zwischen den beiden grössten Wirtschaftsverbänden Economiesuisse und dem Gewerbeverband (SGV). Gleich zu Beginn des Jahres knallte es zwischen den beiden, nachdem sich der Arbeitgeberverband und die Wirtschaftsverbände Economiesuisse, Swissmem und Scienceindustries in einem „Vorschlag der Wirtschaft“ zur Umsetzung der MEI anstatt für Kontingente für eine Schutzklausel stark machten. In ihren Augen soll die Zuwanderung grundsätzlich offengelassen und erst nach dem Erreichen einer gewissen Schwelle, die vom Bundesrat definiert werden soll, beschränkt werden. Noch gleichentags verschickte der SGV eine Medienmitteilung mit dem Titel „Keine Wirtschaft ohne Schweizer KMU und Gewerbe“. Der SGV zeigte sich darin verärgert, dass die vier Verbände ihren Vorschlag als generelle Position der Wirtschaft bezeichneten und deutete dies als eine „Irreführung der öffentlichen Meinung“. Denn der SGV, dessen KMU zwei Drittel aller Arbeitsplätze stellten und der damit die „Nummer 1“ unter den Wirtschaftsverbänden sei, unterstütze die Schutzklausel nicht, hiess es im Communiqué. Obwohl der SGV mit Economiesuisse einigging, dass die Kündigung der Bilateralen „schwerwiegende negative Folgen“ für die KMU hätte, glaubte der Verband nicht daran, dass die vier Verbände die Wirtschaft freiwillig beschränken würden. Der SGV befürchtete, dass mit einer Schutzklausel die Einwanderungsschwelle zu hoch angesetzt würde, was dem Volkswillen nicht gerecht werde und auch nicht im Interesse der KMU sei. Man wolle deshalb die Botschaft des Bundesrats abwarten und bis dahin dessen Verhandlungsposition nicht durch eine „wenig durchdachte Serie theoretischer Vorschläge“ unnötig schwächen. An einem Treffen der Wirtschaftsdachverbände Mitte Februar in Lausanne – die Stimmung wurde von einem Teilnehmer als unheimlich bezeichnet – konnten sich die beiden Verbände neben der Migrationsthematik auch bei der Rentenreform und beim neuen RTVG, gegen das der SGV das Referendum ergriffen hatte, nicht einigen. Obwohl die Medien den Schlagabtausch dankbar annahmen, wurde auch etwas wehmütig den Zeiten gedacht, als die vormaligen FDP-Nationalräte Gerold Bührer (Economiesuisse) und Edi Engelberger (SGV) die beiden Wirtschaftsverbände führten und ihre Differenzen jeweils beim Jassen klärten.

Ebenfalls zu Beginn des Jahres veröffentlichte der SGV im Hinblick auf die Parlamentswahlen im Herbst ein Rating, das die derzeitigen National- und Ständeräte betreffend ihrer KMU-Freundlichkeit bewertete. Zum Ärger der Mitte-Rechts-Parteien trat die SVP dabei mit Abstand als KMU-freundlichste Partei hervor: Gemäss dem Rating gehören 40 der 50 KMU-freundlichsten Nationalräte der SVP an; im Ständerat belegen vier der fünf SVP-Ständeräte die ersten vier Plätze. Weil bekannte KMU-nahe Politiker aus CVP und FDP zum Teil weit abgeschlagen waren, kritisierten CVP-Präsident Christophe Darbellay und FDP-Präsident Philipp Müller das Rating heftig. Es würden zu viele Geschäfte bewertet und deren Gewichtung sei unverhältnismässig, so ihr Fazit. So würde die Haltung eines Parlamentariers zur MEI als ebenso wichtig beurteilt wie die Haltung zur Einheitskrankenkasse oder zur Autobahnvignette, obwohl die MEI für die Wirtschaft „hundertmal wichtiger“ sei, sagte etwa Darbellay. Für Müller und Darbellay fiel im Rating, das 169 KMU-relevante Parlamentsgeschäfte bewertete, die unterstützende Haltung der SVP-Politiker zur MEI und damit die potenzielle Gefährdung der Bilateralen Verträge mit der EU zu wenig ins Gewicht.

In den Medien wurde daraufhin einerseits die Emanzipation des SGV von der Economiesuisse in den Fokus genommen, andererseits die Nähe des SGV zur SVP untersucht. Die Emanzipation des SGV setzte 2013 ein, als Economiesuisse als Kampagnenführerin gegen die Abzocker-Initiative an der Urne eine herbe Niederlage einstecken musste. Aufgrund der dadurch verursachten Krise bei Economiesuisse, übernahm in der Folge der SGV die Kampagnenführung gegen die 1:12- und gegen die Mindestlohn-Initiative – beides Male erfolgreich. Dadurch gewann der SGV an Selbstbewusstsein, was auch SGV-Präsident Jean-François Rime gegenüber der Zeitung Le Temps bezeugte: Die Zeiten, als der SGV als Kofferträger der Economiesuisse fungierte, seien vorbei. Der Machtkampf wurde von den Medien allerdings relativiert, weil die gegenseitige Abhängigkeit der Verbände offensichtlich war. Denn obwohl Economiesuisse die Kampagnenführung bei den jüngsten Abstimmungen dem SGV überliess, finanzierte sie zu grossen Teilen die Kampagnen und trug dadurch wesentlich zu deren Erfolgen bei. Das mediale Fazit lautete: Für den SGV sind die Giftpfeile gegen Economiesuisse identitätsstiftend, im Grunde wissen aber beide, dass es ohne den Anderen nicht geht.

Die SVP-Nähe des Gewerbeverbands fand nicht erst mit dem umstrittenen KMU-Rating im Januar den Weg in die öffentliche Debatte: Mitte-rechts-Parteien monierten schon länger, der SGV stehe unter zunehmendem Einfluss der SVP. Erste Hinweise gab es 2010: Jahrelang war der SGV von einem FDP-Vertreter präsidiert worden, bis 2010 mit Bruno Zuppiger ein SVP-Nationalrat das Präsidium übernahm. Nach der politischen Affäre Zuppiger und dessen Rücktritt sowohl als Nationalrat als auch als SGV-Präsident konnte mit Jean-François Rime das Spitzenamt in SVP-Hand behalten werden. Es war aber insbesondere die MEI, die Nährboden für Zweifel an der Unabhängigkeit des SGV von der SVP bot. Zwar sprach sich der SGV an der Seite der restlichen Wirtschaftsverbände im Vorfeld der Abstimmung klar gegen die Initiative aus, allerdings büsste der Verband an Glaubwürdigkeit ein, weil Rime Mitglied des Initiativkomitees der MEI war. Auch dass der SGV bei der Umsetzung der MEI den Alleingang antrat und nicht eine gemeinsame Position mit den anderen Wirtschaftsverbänden vertrat, wurde auf die SVP-Nähe des Verbands zurückgeführt. Direktor Hans-Ulrich Bigler, der selber im Herbst des gleichen Jahres für die FDP in den Nationalrat gewählt wurde, widersprach dieser Auslegung. Der Vorstand und die Gewerbekammer – das Parlament des SGV – seien beide parteipolitisch breit abgestützt und ausgewogen mit Vertretern aller wichtigen bürgerlichen Parteien besetzt, sagte er gegenüber der Sonntagszeitung.

Streit zwischen Economiesuisse und dem Gewerbeverband über die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative
Dossier: Masseneinwanderungsinitiative

Die Gewerkschaft Unia erzürnte kurz vor Weihnachten 2014 die Sozialpartner der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM). Stein des Anstosses war ein Buch, welches die Industrieabteilung der Unia unter Leitung von Nationalrat Corrado Pardini (sp, BE) in Auftrag gegeben und publiziert hatte. Unter dem Titel „Heavy Metall“ schilderte der Journalist Oliver Fahrni den Ablauf der letztjährigen GAV-Verhandlungen im MEM-Bereich, wobei er sich nicht selten abschätzig und populistisch über die einzelnen Verhandlungsteilnehmenden äusserte. Einzig Pardini wurde als positiver Gegenpol porträtiert, welcher mit seinem Verständnis einer „konfliktiven Sozialpartnerschaft“ für die wahren Interessen der Arbeitnehmerschaft kämpfe. Nebst den persönlichen Verunglimpfungen war vor allem die Tatsache pikant, dass Fahrni vertrauliche Protokolle, E-Mails und Zwiegespräche zitierte. Selbst die Mediationsverhandlungen mit Bundesrat Schneider-Ammann, welche aufgrund eines drohenden Vertragsabbruchs stattgefunden hatten, wurden dargestellt. Die Unia hatte vor diesen Gesprächen eine Vereinbarung unterschrieben, in welcher sie sich zu absoluter Verschwiegenheit verpflichtete. In einem gemeinsamen Communiqué warfen die Gewerkschaften und Verbände Syna, Swissmem, Angestellte Schweiz, KV Schweiz und SKO der Unia vor, die Sozialpartnerschaft zu gefährden. Pardini reagierte gelassen: Aussergewöhnliche Umstände erforderten aussergewöhnliche Massnahmen. Was wirklich vertraulich sei, habe man zudem nicht veröffentlicht.

Ablauf der letztjährigen GAV-Verhandlungen im MEM-Bereich

Die Infrastrukturbranche erhielt Ende 2014 eine neue politische Vertretung. Fünf Baufirmen vereinigten sich im November in Liestal zum Schweizer Netzinfrastrukturverband (Sniv). Einstimmig zum Präsidenten gewählt wurde Peter Legler, CEO der Swisscom-Tochter Cablex. Legler betonte, dass sichere, wettbewerbsfähige und hochverfügbare Infrastrukturen unverzichtbar seien, sowohl für die Schweizer Wirtschaft als auch für die Landesverteidigung. Der Sniv wolle sich künftig auf dem politischen Parkett dafür einsetzen. Andere Verbände der Branche, wie etwa die Vereinigung für Freileitungs- und Kabelanlagen (VFFK), zeigten sich über die Gründung erstaunt: Man sei nicht im Voraus dazu kontaktiert worden. Sie signalisierten aber grundsätzliche Kooperationsbereitschaft, sofern das gemeinsame Engagement der gesamten Infrastruktur-Branche diene.

Schweizer Netzinfrastrukturverband (Sniv)

2014 wurde ein neuer Verband zur Vertretung der Finanzbranche aus der Taufe gehoben. Alliancefinance setzt seinen Fokus auf die kleinen und mittleren Unternehmen, welche im Finanzsektor tätig sind. Diese würden laut Vizepräsident Jacques Bally meist vergessen, wenn es um die Regulierung des Marktes gehe. Die Interessen von grossen Banken und unabhängigen Vermögensverwaltern, Treuhändern usw. stünden sich jedoch oft entgegen, weshalb die Schaffung einer neuen politischen Kraft gerechtfertigt sei. Besonders die zurzeit herrschende „Regulierungswut in Bundesbern“ ist den Mitgliedern des Verbands ein Dorn im Auge.

Alliancefinance

Für grosse Medienaufmerksamkeit sorgten im März die Austrittsdrohung des Verbands der Schweizerischen Uhrenindustrie (FH) aus der Economiesuisse und die damit einhergehenden Beanstandungen, welche eines der wichtigsten Mitglieder, Swatch-Group-Chef Nick Hayek am Dachverband äusserte. Sowohl in der Debatte um den starken Franken von 2011 wie auch bei der Kampagne gegen den Atomausstieg und bei der Swissness-Diskussion habe sich die Economiesuisse ungeschickt positioniert. Tatsächlich war dieser letzte Punkt wohl der Hauptgrund für den angedrohten Austritt: Der FH war unzufrieden mit der Festlegung des Ständerats im vergangenen Winter, dass Produkte mit dem Label „Swiss-Made“ nur zu 50% wirklich aus der Schweiz stammen müssten. Der Verband hatte für eine Sonderlösung plädiert, die zumindest bei Uhren eine höhere Schwelle von 60% angesetzt hätte. Als sich das Parlament nach längerem Hin und Her im Sommer doch noch für eine generelle Untergrenze von 60% aussprach, war es allein eine Frage der Zeit, bis der FH seine Drohung zurückziehen würde: Nach der gewonnenen 1:12-Abstimmung und der personellen Reorganisation der Economiesuisse erfolgte dieser Schritt im November.

Verbands der Schweizerischen Uhrenindustrie (FH)

Der Verband der Treuhänder in der Schweiz beschloss im Sommer, die Dachorganisation freier Berufe (SVFB) zu verlassen. Als Begründung wurde das Abstimmungsverhalten von Nationalrat und SVFB-Präsident Pirmin Bischof (cvp, SO) während den Debatten zur Lex USA angegeben: Bischof habe sich mit seiner Zustimmung zum Gesetz gegen die fundamentalen Interessen des Verbandes gestellt, eine Mitgliedschaft sei daher nicht länger tragbar. Auf den Austritt angesprochen, betonte Bischof, dass im Vorfeld der Ratsdebatten fünf verschiedene Stellungnahmen beim SVFB eingegangen seien: Als Dachverband müsse man die Interessen aller Mitglieder vertreten, was er auch in der kritisierten Abstimmung versucht habe. Dem SVFB werden mit dem Weggang des Treuhänderverbands CHF 15 000 an Mitgliederbeiträgen entzogen.

Verband der Treuhänder

Der auf grünes Wirtschaften ausgerichtete Verband Swisscleantech kündigte im März an, sein Wirkungsgebiet auf soziale Themen ausweiten zu wollen: Volksbegehren wie die Abzockerinitiative, 1:12 oder die Mindestlohninitiative würden eine gewisse Wut und ein Misstrauen gegenüber der Wirtschaft in der Bevölkerung aufzeigen. Die Unternehmen müssten darauf eingehen, indem sie vermehrt ihre soziale Verantwortung wahrnähmen und z.B. für eine faire Entlohnung auf allen Stufen sorgten. Gleichzeitig sei der Dialog mit der Bürgerschaft wichtig, um zu erklären, dass die Schweiz auf das liberale Wirtschaftsmodell angewiesen sei und dass man die oben genannten Initiativen daher ablehnen sollte.

Swisscleantech

Economiesuisse-Präsident Gerold Bührer (fdp, SH) kündigte im Sommer seinen Rücktritt von der Spitze des Wirtschaftsdachverbandes an. Als Nachfolger präsentierte der Vorstand Rudolf Wehrli, Präsident des Chemiekonzerns Clariant und ehemaliger Präsident des Pharma- und Chemiebranchenverbandes SGCI (heute Scienceindustries). Wehrli war der breiteren Öffentlichkeit bisher kaum bekannt. Er sei aber in der Wirtschaft stark vernetzt und gelte als ruhiger Stratege und Analytiker mit integrierender Persönlichkeit. Die Generalversammlung bestätigte ihn am 31. August. Die Medien kommentierten, dass auf Wehrli schwierige Zeiten zukommen würden: Wegen der Finanzkrise und Bonusexzessen auf gewissen Chefetagen habe der Dachverband in der Bevölkerung an Glaubwürdigkeit verloren. Ausserdem stünden schwierige Dossiers an: Die Zukunft der Personenfreizügigkeit zwischen Schweiz und Europäischer Union sowie wichtige Volksinitiativen wie die Abzocker-Initiative, die Mindestlohn-Initiative und die 1:12-Initiative der Jungsozialisten.

Economiesuisse

Die Grossunternehmen Cablecom, Sunrise und Orange traten im Frühjahr aus dem Schweizerischen Telekommunikationsverband Asut aus. Sie begründeten ihren Schritt damit, dass ihre Interessen gegenüber jenen des Marktführers Swisscom zu kurz kämen. Asut-Präsident Fulvio Caccia bedauerte diesen Entscheid und bestätigte, dass dies Sparmassnahmen innerhalb der Organisation nach sich ziehen werde. Er betonte aber, dass die Austritte nicht existenzbedrohend seien, da der Verband immer noch rund 430 Mitglieder der Branche vertrete.

Telekommunikationsverband Asut

Der Verband der Chemie- und Pharmaindustrie SGCI änderte seinen Namen in Scienceindustries und will aus dem Schatten von Economiesuisse hinaustreten. Scienceindustries vertritt über 250 Firmen, darunter Novartis, Roche und Syngenta. Der Verband ist gegen einen überstürzten Ausstieg aus der Kernenergie. Als besonders wichtig wird das Energieabkommen der Schweiz mit der EU betrachtet, da dieses ein gesamtheitliches und koordiniertes Vorgehen vorsehe, was unterstützenswert sei. Die Personenfreizügigkeit wird von Scienceindustries als lebenswichtig für die eigenen Mitglieder und die Industrie betrachtet.

Der Verband der Chemie- und Pharmaindustrie SGCI Scienceindustries

Als Ersatz für den in den Bundesrat gewählten Johann Schneider-Ammann wurde der vormalige Vizepräsident Hans Hess Präsident des Branchenverbandes Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (Swissmem). Hess will sich insbesondere der Wechselkurs- und Rohstofffrage widmen.

Swissmem

Für den im Berichtsjahr ordnungsgemäss in den Ruhestand getretenen Direktor des SGV, Nationalrat Pierre Triponez (fdp, BE), schlug der Vorstand einstimmig den 49-jährigen Hans-Ulrich Bigler vor. Bigler ist Mitglied der FDP und war seit 2006 Direktor des Dachverbands der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (Swissmem). Die Gewerbekammer wählte ihn am 27. März ohne Gegenkandidaten zum neuen Direktor.

Direktor des SGV Hans-Ulrich Bigler

Der Konflikt, der im Vorjahr zwischen Economiesuisse und seinen Mitgliederorganisationen Swissmem und Baumeisterverband offen ausgebrochen war, konnte im Berichtsjahr beigelegt werden. Die durchgeführten Sparübungen bei Economiesuisse und auch die verstärkte Berücksichtigung der Anliegen der Industrie hatten zur Beruhigung beigetragen und Swissmem veranlasst, die im Vorjahr angedrohte Kündigung der Mitgliedschaft definitiv zurück zu ziehen.

Austritt aus dem Dachverband

Zwischen dem Dachverband Economiesuisse und zwei seiner Mitgliederorganisationen kam es im Berichtsjahr zu offenen Problemen. Sowohl der von Nationalrat Schneider-Ammann (fdp, BE) präsidierte Verband der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (Swissmem) als auch der von Nationalrat Messmer (fdp, TG) präsidierte Baumeisterverband gaben bekannt, dass sie einen Austritt aus dem Dachverband überprüfen würden. Swissmem reichte Ende Mai die vorsorgliche Kündigung der Verbandsmitgliedschaft auf Jahresende ein, räumte aber ein, dass er diese bei einer angemessenen Reduktion der Verbandsbeiträge wieder zurück ziehen könnte. Die Delegiertenversammlung der Bauunternehmer ermächtigte die Verbandsleitung ebenfalls, aus der Economiesuisse auszutreten und nur noch dem Gewerbeverband und der Arbeitgeberorganisation anzugehören. Dabei wurde deutlich, dass es beiden Organisationen nicht nur um die als zu hoch kritisierten Verbandsbeiträge ging, sondern der Konflikt auch politische Hintergründe hatte. Die Baumeister führten den Gegensatz zwischen binnenorientierter Wirtschaft und den in einem internationalen Umfeld tätigen Unternehmen ins Feld. Swissmem monierte Interessengegensätze zwischen der Pharmaindustrie und der Maschinenindustrie im Bereich der Parallelimporte und die unterschiedlichen Interessen der Exportwirtschaft und der Banken in der Währungspolitik. Aber auch die hohen Managerlöhne in der Pharmabranche und bei den Grossbanken war für Swissmem Anlass für Kritik, da mit dieser Diskussion das Ansehen der Unternehmen insgesamt in Mitleidenschaft gezogen würde. Während der Präsident von Economiesuisse, Ueli Forster, für die politischen Argumente der Baumeister einiges Verständnis aufbrachte, wies er diejenigen von Swissmem als unbegründet zurück. Die bei Economiesuisse eingeleiteten Sparanstrengungen und Strukturreformen sowie die in Aussicht gestellte Strategiediskussion bewogen Swissmem und die Baumeister, kurz vor dem Amtsantritt des neuen Präsidenten Bührer die Austrittdrohung zurück zu nehmen. Als Eckpunkt der neuen Strategie für Economiesuisse nannte Bührer die Konzentration der Verbandspolitik auf acht Kernthemen.

Austritt aus dem Dachverband

Die politisch zwar aktive, aber unter Mitgliederschwund leidende Gewerkschaft Textil, Chemie, Papier (GTCP) beschloss auf Antrag ihres Zentralvorstandes, einen Zusammenschluss mit der Gewerkschaft Bau und Holz (GBH) anzustreben. Die GTCP hofft mit dieser Fusion attraktiver für die Arbeitnehmer der von ihr bearbeiteten Branchen zu werden, da sie das bessere Dienstleistungsangebot der mehr als zehnmal grösseren GBH wird anbieten können.

Der rund 3'000 Mitglieder zählende Verband der Bekleidungs-, Leder- und Ausrüstungsarbeitnehmer (VBLA) beschloss, mit dem SMUV, mit welchem er schon seit längerer Zeit eng zusammenarbeitet, Verhandlungen über eine Fusion aufzunehmen. Wie bei der GTCP war auch beim VBLA die Wahl des Anschlusspartners mehr eine Frage der politischen Ubereinstimmung als der beruflichen Verwandtschaft.

Auch beim Christlichnationalen Gewerkschaftsbund (CNG) waren ähnliche Bestrebungen auszumachen. Der Christliche Metallarbeiterverband (CMV) taufte sich in Christliche Gewerkschaft für Industrie, Handel und Gewerbe um, mit dem Ziel, für die bisher schwach vertretenen Frauen und Angestellten attraktiver zu werden. Die Abkürzung CMV wurde trotz der Namensänderung beibehalten.
Zudem beschloss der CMV, in Zukunft eng mit dem wesentlich kleineren Christlichen Transport-, Handels- und Lebensmittelpersonalverband (CTHL) zusammenzuarbeiten und dessen Mitglieder von den eigenen Dienstleistungen profitieren zu lassen.

Restrukturierungs- und Konzentrationsbestrebungen innerhalb der Gewerkschaftsbewegung 1990

Zum Nachfolger von Nationalrat Reich (fdp, ZH), der im Vorjahr seinen Rücktritt als Direktor der Wirtschaftsförderung (wf) auf Ende 1990 bekanntgegeben hatte, wurde Matthias Kummer gewählt. An der Mitgliederversammlung wurde bekanntgegeben, dass die wf nicht beabsichtige, sich in eine aggressive Propagandaorganisation zu verwandeln, wie dies von Nationalrat Blocher (svp, ZH) und anderen Unternehmern verlangt worden war.

Personalwechsel bei der Wirtschaftsförderung (wf) 1990