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Ende April 2022 kam das Referendum gegen die AHV21 zustande. Damit wurde an der Urne nicht nur über die Mehrwertsteuererhöhung um 0.4 Prozentpunkte respektive 0.1 Prozentpunkte und somit über eine Zusatzfinanzierung für die AHV von CHF 12.4 Mrd. bis 2032 abgestimmt – diese musste als Verfassungsänderung sowieso der Stimmbürgerschaft vorgelegt werden –, sondern auch über die übrigen Massnahmen des Reformprojekts. Dieses sah vor, das Rentenalter der Frauen in vier Schritten (2024 bis 2027) demjenigen der Männer anzupassen, wodurch die AHV bis 2032 CHF 9 Mrd. weniger ausgeben respektive mehr einnehmen sollte als bisher. Im Gegenzug sollten die ersten neun betroffenen Frauenjahrgänge Zuschläge zu ihren Renten oder günstigere Bedingungen beim Rentenvorbezug erhalten, die insgesamt CHF 2.8 Mrd. kosten sollten. Allgemein sollte der Start des Rentenbezugs flexibilisiert und neu zwischen 63 und 70 Jahren möglich werden – mit entsprechenden Abzügen und (teilweise) Gutschriften bei früherem oder späterem Bezug –, wobei die Rente nicht mehr nur vollständig, sondern auch teilweise bezogen werden kann. Dies würde bis 2032 etwa CHF 1.3 Mrd. kosten. Insgesamt könnten die AHV-Ausgaben bis ins Jahr 2032 um insgesamt CHF 4.9 Mrd. gesenkt werden.

Die Gegnerinnen und Gegner der AHV21-Reform wehrten sich vor allem gegen die Finanzierung der Reform auf dem «Buckel der Frauen» (Tages-Anzeiger), also durch die Erhöhung des Frauenrentenalters. Dadurch würde den Frauen faktisch die Rente gekürzt – ein Jahr weniger Rente entspreche CHF 26'000, rechnete das Referendumskomitee vor. Diese Reduktion würde noch nicht einmal für diejenigen Jahrgänge, welche Kompensationsmassnahmen erhielten, vollständig ausgeglichen. Besonders störend daran sei, dass Frauen noch immer einen deutlich geringeren Lohn für ihre Arbeit und einen Drittel weniger Rente als die Männer erhielten, während sie gleichzeitig sehr viel mehr unbezahlte Arbeit leisteten. Darüber hinaus erachtete die Gegnerschaft die Erhöhung des Frauenrentenalters auch als ersten Schritt hin zum Rentenalter 67, das sie jedoch unter anderem mit Verweis auf die schlechten Arbeitsmarktchancen älterer Arbeitnehmender sowie auf die Erhöhung der Langzeitarbeitslosigkeit und der Sozialhilfequote ablehnte. Schliesslich erachteten die Gegnerinnen und Gegner auch die aktuelle Situation der AHV als weniger gravierend als die Befürwortenden der Revision: Die AHV sei solide, werde aber immer durch dramatische Prognosen schlechtgeredet – diese seien bisher jedoch nie eingetroffen. Die Nein-Parole zu beiden AHV-Vorlagen gaben die SP, die Grünen, die PdA sowie die SD aus, sie wurden von den Gewerkschaften unterstützt.

Die Befürwortenden der Reform betonten, dass die AHV struktureller Reformen bedürfe, zumal sie ansonsten bereits in wenigen Jahren mehr ausgeben als einnehmen werde. Die AHV21-Reform führe durch Massnahmen sowohl auf Einnahmeseite – durch die Mehrwertsteuererhöhung – als auch auf Ausgabenseite – durch die Erhöhung des Frauenrentenalters – zu einer Verbesserung der AHV-Finanzen. Bezüglich des Arguments der Gegnerschaft, dass vor allem die Frauen für die Reform aufkommen müssten, verwiesen die Befürwortenden auf die «substanziellen Kompensationen», welche die Frauen der Übergangsgeneration erhielten. Zudem sei eine Rentenaltererhöhung der Frauen auf 65 Jahre gerechtfertigt, da sie einerseits als Teil der Gleichstellung erachtet werden könne und da die grossen Rentenunterschiede andererseits nicht aus der AHV, sondern aus der beruflichen Vorsorge stammten. Im Gegenzug forderten jedoch auch verschiedene Mitglieder der Pro-Komitees Verbesserungen für die Frauen in der zweiten Säule, vor allem beim Koordinationsabzug, welcher gesenkt werden sollte. Die Ja-Parole zu beiden Vorlagen gaben die SVP, die FDP, die Mitte, die GLP, die EVP und die EDU sowie etwa Economiesuisse, der Arbeitgeberverband, der Gewerbeverband und der Bauernverband aus.

In der medialen Berichterstattung stand vor allem die Frage nach den Auswirkungen für die Frauen sowie der Fairness ihnen gegenüber im Mittelpunkt. Im Zentrum des Interesses stand dabei der Bund Schweizerischer Frauenorganisationen, Alliance f. So zeigten sich die im Verband organisierten Frauen öffentlich gespalten: Selbst der Vorstand des Verbands bestand aus Befürworterinnen und Gegnerinnen der AHV21. Alliance f sei in einer «delikate[n] Ausgangslage», betonten folglich etwa die AZ-Medien. Als Konsequenz gab der Verband Stimmfreigabe heraus und schuf zwei Frauenallianzkomitees, ein befürwortendes und ein ablehnendes. Damit wolle man sich trotz unterschiedlicher Positionen in die Diskussion einbringen und somit verhindern, dass die Männer die Debatte um das Frauenrentenalter dominierten, betonte etwa Co-Präsidentin von Alliance f und Präsidentin des befürwortenden Frauen-Komitees, Kathrin Bertschy (glp, BE).

Zusätzliche Aufmerksamkeit erhielt die AHV21-Abstimmung Ende Mai, als das BSV die neuen Finanzperspektiven der AHV herausgab. So war der Bundesrat in der Botschaft zur AHV21 im August 2019 von einem negativen Betriebsergebnis der AHV im Jahr 2030 von CHF 4.6. Mrd. ausgegangen. Im Juni 2021 hatte das BSV für 2030 ein Defizit von CHF 3.7 Mrd. prognostiziert, in den neusten Finanzperspektiven Ende Mai 2022 war hingegen nur noch von einem Defizit von CHF 1.8 Mrd. die Rede. Das BSV erklärte diese Veränderungen mit dem guten Betriebsergebnis des AHV-Ausgleichsfonds 2021 sowie mit einem stärkeren Beschäftigungs- und Reallohnwachstum als erwartet. Diese Entwicklung zeige auf, dass die AHV in einer «systematische[n] Angstmacherei zulasten der Bevölkerung» schlechtgeredet werde, liess der SGB verlauten. Die NZZ erachtete diese Zahlen trotz der Korrekturen noch immer als schlecht, «die AHV [werde] so oder so ins Minus» rutschen.

Im Juni 2022 entschied die SGK-SR, dass ihr Entwurf zur Pensionskassenreform BVG21 noch nicht reif für die Behandlung in der Herbstsession 2022 sei. Die Gegnerinnen und Gegner der AHV21-Reform sahen darin einen Versuch, kritische Debatten zur BVG21-Reform vor der Abstimmung über die AHV21 zu verhindern. Doch auch Befürwortende der AHV21-Reform störten sich an diesem Vorgehen der Kommission, zumal man bei einer Behandlung der BVG21-Reform den Frauen hätte zeigen wollen, dass man als Ausgleich zur Rentenaltererhöhung wie mehrfach versprochen ihre Pensionskassenrenten erhöhen werde.

Zu medialen Diskussionen führten in der Folge auch die Vorumfragen. Bereits Anfang Mai berichtete die SonntagsZeitung mit Verweis auf eine Umfrage des Marktforschungsinstituts Demoscope, welche gemäss SonntagsBlick von den Befürwortenden in Auftrag gegeben worden war, dass sich 62 Prozent der SP-Sympathisierenden und 59 Prozent der Sympathisierenden der Grünen für die AHV21 aussprechen wollten. Insgesamt machte die Studie eine Zustimmung zur AHV21 von 55 Prozent aus. Darob publizierte jedoch der SGB die Resultate einer eigenen, zuvor beim Forschungsinstitut Sotomo in Auftrag gegebenen Studie, gemäss welcher die Sympathisierenden der SP die AHV21 zu 63 Prozent ablehnten, während der durchschnittliche Ja-Stimmenanteil über alle Parteien hinweg bei 48 Prozent zu liegen kam. Die Diskussion darüber, wie verlässlich Studien sind, welche von den Befürwortenden respektive der Gegnerschaft einer Vorlage in Auftrag gegeben werden, währte in den Medien jedoch nicht lange. Ab August konzentrierte sich die mediale Debatte auf die Vorumfragen von SRG/gfs.bern und Tamedia/Leewas, welche auf eine mehr oder weniger deutliche Annahme der zwei Vorlagen hindeuteten (Mehrwertsteuererhöhung: zwischen 54 und 65 Prozent, AHVG: zwischen 52 und 64 Prozent). Vor allem zeichnete sich in den Vorumfragen aber bereits ein deutlicher Geschlechtergraben ab, so sprachen sich beispielsweise Anfang August 2022 in der ersten Tamedia-Umfrage 71 Prozent der Männer für die Änderung des AHVG und somit für die Erhöhung des Frauenrentenalters aus, während diese nur 36 Prozent der Frauen befürworteten.

Hatten die Vorumfragen letztlich doch eine relativ deutliche Annahme beider AHV21-Vorlagen in Aussicht gestellt, wurde es am Abstimmungssonntag für die Gesetzesänderung sehr eng: Mit 50.55 Prozent Ja-Stimmen und gut 31'000 Stimmen Unterschied sprach sich die Stimmbürgerschaft für Annahme der Reform aus. Deutlicher fiel das Verdikt für die Zusatzfinanzierung über eine Mehrwertsteuererhöhung aus (55.07%).


Abstimmung vom 25. September 2022

Änderung des Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG; AHV21)
Beteiligung: 52.2%
Ja: 1'442'591 Stimmen (50.5%)
Nein: 1'411'396 Stimmen (49.5%)

Bundesbeschluss über die Zusatzfinanzierung der AHV durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer
Beteiligung: 52.2%
Ja: 1'570'813 Stimmen (55.1%)
Nein: 1'281'447 Stimmen (44.9%)

Parolen:
-Ja: SVP, FDP, Mitte, GLP, EVP, EDU; Economiesuisse, SAV, SBV, SGV
-Nein: SP, GPS, PdA, SD; SGB, Travail.Suisse, VPOD
* in Klammern Anzahl abweichender Kantonalsektionen


«Männer haben Frauen überstimmt», titelte in der Folge der «Blick», von einem «eklatante[n] Geschlechtergraben, wie es ihn noch nie gegeben hat», sprach die WOZ. In der Tat zeigten verschiedene Nachbefragungen einen grossen Zustimmungsunterschied zwischen Frauen und Männern. In der Vox-Analyse lag die Zustimmung zur Gesetzesänderung bei den Frauen im Schnitt bei 38 Prozent, bei den Männern bei 64 Prozent – wobei die direktbetroffenen Frauen unter 65 Jahren der Vorlage nur mit 25 Prozent (18-39 Jährige) respektive mit 29 Prozent (40-64 Jährige) zustimmten, die Frauen im Rentenalter hingegen mit 63 Prozent. In der Folge kam es in Bern und anderen Städten zu Demonstrationen, in denen Teile der Gegnerinnen der Vorlage ihre Wut über das Ergebnis ausdrückten. In einer Rede zeigte sich Tamara Funiciello (sp, BE) gemäss Medien empört darüber, dass «alte, reiche Männer» entschieden hätten, dass «Kita-Mitarbeiterinnen, Nannys, Reinigungskräfte und Pflegefachfrauen» länger arbeiten müssten. Dies führte im Gegenzug zu Unmut bei Vertreterinnen und Vertretern der bürgerlichen Parteien, welche kritisierten, dass «die Linke» den Stimmentscheid nicht akzeptieren wolle. Zudem sprach Regine Sauter (fdp, ZH) Funiciello die Berechtigung ab, im Namen aller Frauen zu sprechen, zumal Frauen keine homogene Masse bildeten. Funiciello hingegen betonte gemäss Tages-Anzeiger, dass es «für Verbesserungen [...] den Druck von der Strasse und den Dialog im Bundeshaus» brauche.

Doch nicht nur zwischen den Geschlechtern, auch zwischen den Sprachregionen zeigten sich bereits am Abstimmungssonntag grosse Unterschiede. Sämtliche mehrheitlich romanischsprachigen Kantone lehnten die Reform ab, allen voran die Kantone Jura (29% Ja-Stimmen), Neuenburg (35%) und Genf (37%), während sich nur drei deutschsprachige Kantone mehrheitlich gegen die Reform des AHV-Gesetzes aussprachen (Basel-Stadt: 47% Zustimmung; Solothurn: 49.8%, Schaffhausen: 50.0%). Die höchste Zustimmung fand sich in den Kantonen Zug (65%), Nidwalden (65%) und Appenzell-Innerrhoden (64%). «Die Deutschschweiz sichert die AHV», bilanzierte folglich etwa die NZZ, während SGB-Präsident und Nationalrat Maillard (sp, VD) die Unterschiede zwischen den Sprachregionen kritisierte, neben dem Geschlechtergraben und dem Sprachgraben aber auch einen Einkommensgraben ausmachte. Diese Ergebnisse bestätigte später auch die Vox-Analyse, welche für Personen mit Haushaltseinkommen unter monatlich CHF 3'000 eine deutlich tiefere Zustimmung zur Gesetzesänderung ermittelte als für Personen mit höheren Haushaltseinkommen (unter CHF 3'000: 32%; CHF 3'000-5'000: 49%, CHF 5'000-9'000: 52%, CHF 9'000-11'000: 59%, CHF über 11'000: 60%). Dieselben Unterschiede waren jeweils auch bei der Mehrwertsteuererhöhung erkennbar, wenn auch in geringerem Ausmass.

Als Motive für ihren Stimmentscheid machte die Vox-Analyse bei den Befürwortenden die Notwendigkeit zur Stabilisierung der AHV aus – sowohl bei der Gesetzesänderung (41%) als auch bei der Mehrwertsteuererhöhung (64%) wurde dieser Punkt häufig genannt. Zusätzlich erachteten aber die Befürwortenden die Gesetzesänderung – also wohl vor allem die Rentenaltererhöhung – auch als Schritt hin zur Gleichberechtigung (45%). Die Gegnerinnen und Gegner erachteten sowohl die Gesetzesänderung als ungerecht (84%), insbesondere im Hinblick auf die Lohnungleichheit zwischen Frauen und Männern, als auch auf die Mehrwertsteuererhöhung (46%), die vor allem einkommensschwache Personen treffe und allgemein ein «schlechtes Finanzierungsmittel» (Vox-Analyse) darstelle.

Bereits am Tag nach der Volksabstimmung zur AHV21 schwenkte das mediale Interesse weg von der Reform der AHV hin zur BVG21-Reform. Denn nicht nur die Gegnerinnen und Gegner der AHV21-Reform, sondern auch weite Teile der Befürwortenden wiesen auf die Verpflichtung oder gar das «Versprechen» (AZ) hin, die mit dieser Annahme der Reform einhergingen: Im Gegenzug müsse das Bundesparlament die Benachteiligung der Frauen bei der Altersvorsorge im Rahmen der anstehenden BVG21-Reform korrigieren.

Reform «Stabilisierung der AHV (AHV 21)» (BRG 19.050)
Dossier: Debatten um das Frauenrentenalter
Dossier: Erhöhung des Rentenalters

Der Abstimmungskampf zum Referendum gegen den Ausbau des Schweizer Beitrags an die EU-Grenzschutzagentur Frontex wurde in der Westschweizer Öffentlichkeit schon im Januar 2022 lanciert, noch bevor das Referendum zustande gekommen war. In einem Meinungsbeitrag in Le Temps beschrieben Ständerätin Lisa Mazzone (gp, GE) und eine Flüchtlingshelferin die Zustände auf dem Mittelmeer und in Libyen und wiesen vor allem auf die Menschenrechtsverletzungen durch Frontex hin. Wenige Tage darauf meldete sich FDP-Ständerat Damian Müller (fdp, LU) im gleichen Medium zu Wort und kritisierte seine Ratskollegin dafür, in ihrem Beitrag keine Alternativen anzubieten und stattdessen Frontex kategorisch abzulehnen. Er argumentierte überdies, dass fehlende Mittel für Frontex dazu führen könnten, dass es in Europa und der Schweiz zu einer Explosion «irregulärer Überfahrten» von Wirtschaftsmigrantinnen und -migranten kommen würde. Der Frontex-Beitrag sei essentiell, um ein Mindestmass an Kontrolle der Migrationsströme sicherzustellen. Zudem brauche man darüber hinaus eine verstärkte Entwicklungshilfe in den Ursprungsländern der Flüchtenden in Kombination mit besseren Grenzkontrollen durch die Nachbarländer Libyens.

Die deutschsprachigen Medien griffen das Thema erst im Februar grossflächig auf, nachdem das Referendumskomitee am 20. Januar knapp 58'360 Unterschriften – davon 54'377 gültige – eingereicht hatte. Diskutiert wurde in den Medien insbesondere über mögliche interne Konflikte innerhalb der SP und der SVP. Bei der SP orteten die Medien einen Widerspruch zwischen der Ablehnung von Frontex und dem Wunsch nach Beibehaltung des Schengen-Abkommens, bei der SVP hingegen zwischen dem parteilichen Ziel einer restriktiven Migrationspolitik, und somit der Unterstützung von Frontex, bei gleichzeitiger Ablehnung aller Arten von EU-Verträgen. Der Blick sah die «Linke» gar in der «EU-Falle» sitzen, da die Schweiz bei einem Nein nicht nur aus dem Schengen-Dublin-System ausgeschlossen würde, sondern sich in diesem Fall auch die bilateralen Beziehungen mit der EU dramatisch verschlechtern würden. Dabei waren die Auswirkungen einer Ablehnung auf den Verbleib im Schengen-Raum jedoch umstritten. Gemäss EJPD-Vorsteherin Karin Keller-Sutter würde durch ein Nein zum Frontex-Ausbau ein Beendigungsverfahren für das Schengen-Abkommen ausgelöst, welches bei einer fehlenden Einigung nach sechs Monaten den Ausschluss der Schweiz aus Schengen/Dublin zur Folge hätte. Dieser Einschätzung widersprach jedoch der emeritierte Rechtsprofessor Rainer J. Schweizer in der NZZ. Demnach könne der Ausschluss der Schweiz aus Schengen/Dublin nicht gemäss der Guillotineklausel von 2004 vonstatten gehen, da die Schweiz seither rund 370 Rechtsakte der EU übernommen habe. Dies würde folglich einen umfassenden Austrittsvertrag nach dem Vorbild des Brexit-Vertrags vonnöten machen. Dieser Meinung schloss sich die SP (sowie auch die Grünen) an. Ergänzend präsentierte etwa SP-Ständerat Daniel Jositsch (sp, ZH) einen Plan B in Form einer parlamentarischen Initiative, falls die Schweizer Stimmbevölkerung den Frontex-Ausbau tatsächlich ablehnen sollte. Darin schlug er vor, das Schweizer Kontingent der von der UNO anerkannten Flüchtlinge innerhalb der 90 Tage bis zum Schengen-Ausschluss auf 4'000 zu erhöhen, sozusagen als humanitäre flankierende Massnahme zum Frontex-Ausbau. Da die SP die Unterstützung an den Frontex-Ausbau an diese Bedingung gekoppelt hatte, könnte die Schweiz nach der Aushandlung dieser Erhöhung den Frontex-Beitrag dann trotzdem freigeben.
Die Nein-Parole beschloss die SP an ihrem Parteitag mit grosser Mehrheit, wenngleich einzelne Parteiexponentinnen und -exponenten wie Nationalrat Eric Nussbaumer (sp, BL) sich nur halbherzig anschliessen mochten. In den Befragungen im Vorfeld der Abstimmung zeichnete sich jedoch eine SP-interne Spaltung ab: Die Sympathisierenden der SP wollten der Vorlage gemäss einer Ende April durchgeführten Tamedia-Vorumfrage entgegen dem Kurs des Parteipräsidiums und des Parteitags mit fast 53 Prozent zustimmen. Ähnliches spielte sich bei den Grünen ab, bei denen 48 Prozent der Sympathisierenden trotz Nein-Parole der Partei eine Ja-Stimme in Aussicht stellten, wogegen 44 Prozent der Parteileitung zu folgen gedachten. Auch bei den traditionell SP-nahen Organisationen zeigten sich die Auswirkungen dieses inhaltlichen Dilemmas, wie CH Media berichtete. Obwohl das Sekretariat des Gewerkschaftsbundes seinem Vorstand und den Mitgliedern in einem internen Papier Stimmfreigabe vorgeschlagen hatte, da «ein Interessenkonflikt zwischen einer menschenwürdigen europäischen Flüchtlingspolitik und der Personenfreizügigkeit im Rahmen von Schengen» vorliege, beschloss der SGB-Vorstand die Nein-Parole. Hingegen entschied sich der Gewerkschaftsbund gemäss Mediensprecher Gaillard jedoch dagegen, den Abstimmungskampf des Referendumskomitees mitzufinanzieren. Auch andere NGOs wie die SFH, die traditionell die Anliegen der SP unterstützten, taten sich mit der Parolenfassung schwer. SFH-Direktorin Miriam Behrens befürchtete, dass die Schweiz bei einem Nein nicht mehr an der Verbesserung der europäischen Migrationspolitik mitwirken könnte. Andererseits könnte der Ausbau der EU-Agentur die Kontrolle der Mitgliedstaaten erschweren, in deren Kompetenzbereich die meisten Verstösse fielen. Amnesty International verzichtete darauf, sich am Abstimmungskampf zu beteiligen, da die im Referendum betroffenen Bestimmungen nicht die konkreten Bedingungen von Schutzsuchenden oder die Verteidigung der Menschenrechte beträfen.

Am anderen Ende des politischen Spektrums hatte die SVP ebenfalls mit der Beschlussfassung zu kämpfen. Obwohl die Vorlage zum Ausbau des Schweizer Beitrags an Frontex aus dem Departement von SVP-Bundesrat Ueli Maurer stammte, lehnten sie mehrere einflussreiche SVP-Mitglieder von Anfang an ab, darunter Esther Friedli (svp, SG), Lukas Reimann (svp, SG), Marcel Dettling (svp, SZ)) und Marco Chiesa (svp, TI), oder wechselten nach der parlamentarischen Phase aus dem Ja- ins Nein-Lager (Céline Amaudruz (svp, GE) und Roger Köppel (svp, ZH)). Die Südostschweiz berichtete, dass sich die Parteibasis eine Nein-Parole wünsche, was eine unheilige Allianz mit der SP und den Grünen bedeuten würde. Die Vertreterinnen und Vertreter des Nein-Lagers innerhalb der SVP wollten die Gelder lieber an der eigenen Grenze investieren, als diese der Frontex, deren Nutzlosigkeit sich gezeigt habe, zur Verfügung zu stellen. Die Befürworterinnen und Befürworter setzten sich hingegen für mehr Grenzschutz an den EU-Aussengrenzen und weniger «illegale Migration» ein. Es lag daher an der neunköpfigen Parteileitung, eine Empfehlung auszuarbeiten, deren Mitglieder hatten in der Schlussabstimmung im Parlament aber unterschiedliche Positionen vertreten. Die Partei beschloss schliesslich Anfang April 2022 die Ja-Parole und folgte damit nicht zuletzt der Empfehlung ihres verantwortlichen Bundesrats Ueli Maurer.
Bei der Parolenfassung weniger schwer taten sich die Mitte und die FDP, deren Delegiertenversammlungen im Januar (Mitte) und Februar (FDP) klare Ja-Parolen ausgaben.

Mitte März trat erstmals das Referendumskomitee «No Frontex» an die Öffentlichkeit. Das Komitee lehnte nicht nur die Erhöhung des Beitrags, sondern die Grenzschutzagentur als Ganzes ab, weil diese «ohne jegliche demokratische Kontrolle der Mitgliedstaaten» agiere, berichtete die Tribune de Genève. Mitte April versuchten die Frontex-Gegnerinnen und -Gegner mit Demonstrationen und anderen öffentlichen Anlässen, die Stimmbevölkerung für die Thematik zu sensibilisieren.

In der Folge äusserten sich aber auch zahlreiche Befürworterinnen und Befürworter öffentlich zu Wort. Während sich die Frontex-Gegnerinnen und -Gegner auf humanitäre Argumente stützten, wandten sich Wirtschaftsorganisationen mit ökonomischen Bedenken an die Öffentlichkeit. So gründete der Tourismussektor im April ein Ja-Komitee, da dieser bei einer Ablehnung der Vorlage den Ausschluss aus dem Schengen-Visa-Raum befürchtete. Dadurch bräuchten Touristen aus Fernmärkten ein separates Visum für einen Aufenthalt in der Schweiz, was die Attraktivität einer Schweiz-Reise drastisch senken würde, begründete STV-Direktor Philipp Niederberger die Ängste der Branche. Hotelleriesuisse rechnete mit Einbussen von bis zu CHF 188 Mio. pro Jahr und der Bundesrat erwartete jährliche Ausfälle von jährlich maximal CHF 500 Mio. Franken für den Schweizer Tourismus. Doch nicht nur wirtschaftliche Bedenken wurden vorgebracht, KKJPD-Präsident Fredy Fässler (sp, SG) warnte davor, bei einem Nein zum Frontex-Beitrag vom Sicherheitssystem der EU abgehängt zu werden, was für die Polizeiarbeit hochproblematisch wäre.

Ebenfalls im April, also knapp einen Monat vor der Abstimmung, wurde bekannt, dass OLAF – die Antibetrugsbehörde der EU – in einem geheimen Bericht mehrfache Verfehlungen durch Frontex-Verwaltungsräte festgestellt hatte. Die Frontex-Spitze um Direktor Fabrice Leggeri sei demnach in Mobbing und illegale Pushbacks – also in illegale Ausweisungen oder Rückschiebungen von Migrantinnen und Migranten unmittelbar vor oder nach dem Grenzübertritt, ohne dass diese die Möglichkeit hatten, einen Asylantrag zu stellen – verwickelt gewesen. Nach Veröffentlichung dieser Vorwürfe verweigerte der Haushaltsausschuss des EU-Parlaments Frontex die Décharge. Auch der Vorsitzende des Frontex-Verwaltungsrats, Marko Gasperlin, gab in einem Blick-Interview zu Protokoll, dass in bestimmten Fällen «absolut falsch gehandelt» worden sei, auch wenn das Frontex-System im Grossen und Ganzen funktioniere. Zwei Wochen vor dem Abstimmungstermin bat der umstrittene Frontex-Chef Fabrice Leggeri seinen Rücktritt an, der vom Verwaltungsrat gleichentags akzeptiert wurde. Leggeri wurde nicht nur für die zahlreichen nachgewiesenen Pushbacks verantwortlich gemacht, er wurde auch des Missmanagements und des Mobbings bezichtigt. Unklar war, wie sich diese Nachricht auf die Volksabstimmung auswirken würde. Einerseits bestätige der Rücktritt die Kritik an der Grenzagentur, andererseits sei er Zeugnis einer gewissen Reformbereitschaft, argumentierte der Tages-Anzeiger. Letzterer Interpretation schloss sich das EFD an. Eine Sprecherin erklärte, dass Frontex nun das angeschlagene Vertrauen zurückgewinnen könne und dass sich gezeigt habe, dass die Aufsichtsmechanismen funktionierten.

Eine Tamedia-Meinungsumfrage vom 4. Mai machte jeglichen Anflug von Spannung hinsichtlich des Ausgangs der Abstimmung zunichte, denn eine grosse Mehrheit der Befragten (64%) wollte ein Ja an der Urne einlegen. Auf eine deutliche Annahme der Vorlage am 15. Mai deuteten nicht nur die Meinungsumfragen, sondern auch die Auswertung der Zeitungs- und Inserateanalyse von Année Politique Suisse hin. Während das Ja-Lager in den untersuchten Printmedien rund 120 Inserate publizieren liess, fand quasi keine Gegenkampagne statt (ein einzelnes Kontra-Inserat während der ganzen Untersuchungsperiode). Die Pro-Inserate warnten vor allem davor, dass ein Nein die Sicherheit der Schweiz, die Reisefreiheit und die Schweizer Wirtschaft bedrohen würde. Einen direkten Zusammenhang zum oftmals genannten Ausschluss der Schweiz aus Schengen/Dublin machten nur 35 Prozent der Inserate, also deutlich weniger als drei Jahre zuvor beim Referendum zur Umsetzung der EU-Waffenrichtlinie.

Übernahme und Umsetzung der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Europäische Grenz- und Küstenwache (Frontex; BRG 20.064)
Dossier: Beteiligung der Schweiz am Ausbau von Frontex

Jahresrückblick 2021: Verbände

2021 wurde die Verbandslandschaft in der Schweiz wie schon im Vorjahr wesentlich durch das Coronavirus und die Massnahmen zu dessen Bekämpfung geprägt. So versuchten die Dachverbände der Arbeitgebenden und der Gewerkschaften wie auch zahlreiche Branchenverbände wiederholt mit Positionsbezügen auf die Pandemiepolitik der Behörden Einfluss zu nehmen. Während in der Unterstützung für Hilfsgelder und Kurzarbeit im Grossen und Ganzen Einigkeit zwischen Gewerkschaften und Verbänden der Arbeitgebenden aus verschiedenen Branchen herrschte, traten bei anderen Massnahmen deutliche Interessengegensätze zutage. Besonders stark profilierte sich in der Öffentlichkeit GastroSuisse mit seinem Präsidenten Casimir Platzer, der sich im Frühjahr immer wieder mit markigen Worten gegen die Schliessung der Innenräume von Gastbetrieben und im Herbst gegen die Zertifikatspflicht in Restaurants äusserte. Diese Forderungen brachten Platzer nicht nur mit manchen Gegenstimmen aus den eigenen Reihen in Konflikt, sondern auch mit Economiesuisse und dem Schweizer Arbeitgeberverband (SAV): Die beiden Dachverbände befürworteten die Zertifikatspflicht, forderten aber vom Bundesrat verbindliche Aussagen darüber, ab welchen Impfquoten er welche Lockerungsschritte ausrufen werde. Der Gewerbeverband (SGV) gab wie der SAV und Economiesuisse bei beiden Abstimmungen über das Covid-19-Gesetz die Ja-Parole heraus, markierte aber ansonsten grössere Distanz zu den Massnahmen des Bundes.
Auch die Gewerkschafts-Dachverbände SGB und Travail.Suisse unterstützten die beiden Covid-Vorlagen. Darüber hinaus wiesen die Gewerkschaften immer wieder auf die zentrale Bedeutung der Kurzarbeit, des Erwerbsersatzes und der Unterstützungsgelder für betroffene Unternehmen hin, um die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu begrenzen. Mit der Argumentation, dass ein vorsichtiger Weg letztlich schneller aus der Krise führe, mahnten SGB und Travail.Suisse bei Diskussionen über Massnahmenlockerungen meist zu behutsamen Schritten. Zu ihren Hauptforderungen zählten im Weiteren die Umsetzung und Kontrolle von Schutzkonzepten am Arbeitsplatz sowie die Sicherstellung der Fürsorgepflicht der Arbeitgebenden auch im Homeoffice.

Eine strikte oder sogar absolute Beachtung individueller Freiheitsrechte und ein verhältnismässiges Vorgehen des Staats gehörten zu den Hauptforderungen mehrerer politischer Gruppierungen, die im Zuge der Proteste gegen die Covid-19-Massnahmen entstanden und in der öffentlichen Debatte teilweise starke Beachtung fanden. Zu den prominentesten dieser neuen Organisationen zählten die «Freunde der Verfassung», die im Herbst 2021 bereits über 12'000 Mitglieder zählten und die gleich bei mehreren Referenden und Initiativen eine bemerkenswerte Fähigkeit zum Sammeln von Unterschriften an den Tag legten. Weitere Organisationen, die sich zu Sprachrohren der Covid-Protestbewegung entwickelten, waren die an die jüngere Generation gerichtete Gruppierung «Mass-voll!», das «Aktionsbündnis Urkantone für eine vernünftige Corona-Politik» sowie die «Freiheitstrychler». Auch wenn es zwischen diesen Organisationen bisweilen Differenzen über Inhalte und Stil gab, waren sie in ihrer Opposition gegen das Covid-19-Gesetz und gegen dessen zweite Revision geeint; sie unterlagen indessen in beiden Volksabstimmungen klar.

Aber auch unabhängig von der Pandemie machten Verbände und Organisationen im Jahr 2021 von sich reden, so beispielsweise die Operation Libero, die sich gleich zu Beginn des Jahres mit einem medienwirksamen Crowdfunding erfolgreich aus einem Engpass bei der Finanzierung ihrer Fixkosten befreite, im Oktober mit Sanija Ameti eine profilierte neue Co-Präsidentin präsentierte und kurz darauf zusammen mit den Grünen eine Volksinitiative für eine engere Zusammenarbeit der Schweiz mit der EU ankündigte.

Eher gegen den eigenen Willen geriet im Herbst die Gewerkschaft Unia in die Schlagzeilen, weil der beträchtliche Umfang ihres Vermögens bekannt wurde. Die Unia musste sich in der Folge gegen verschiedene Kritikpunkte verteidigen. Die Diskussion befeuerte aber auch übergeordnete Debatten, die bereits davor am Laufen gewesen waren, namentlich jene um eine angemessene Transparenz in der Politikfinanzierung und jene um eine korrekte Abgeltung der Sozialpartner für ihre quasistaatlichen Aufgaben bei der Kontrolle der Einhaltung allgemeinverbindlicher Gesamtarbeitsverträge.

Auf der Seite der Arbeitgeber-Dachverbände bekannten sich Economiesuisse, der SGV und der SAV 2021 zum Ziel, in Zukunft eine stärkere und harmonischere Zusammenarbeit zugunsten der gemeinsamen Interessen zu pflegen. Das Bekenntnis ist als Neuanlauf zu werten, nachdem in den Vorjahren – etwa vor der Abstimmung zur Konzernverantwortungsinitiative Ende 2020 – beträchtliche Spannungen zwischen SGV und Economiesuisse zutage getreten waren und sich die Wirtschaftsverbände bei verschiedenen Volksabstimmungen nur mit Mühe oder gar nicht hatten durchsetzen können. Dasselbe war im Jahr 2021 namentlich bei den Abstimmungen über das Freihandelsabkommen mit Indonesien und das E-ID-Gesetz der Fall.

Auch andere Verbände engagierten sich mit wechselndem Erfolg in Abstimmungskämpfen. So konnte etwa der Bauernverband nach einer von ihm angeführten Kampagne, die zu einer aussergewöhnlich starken Mobilisierung der ländlichen Bevölkerung beitrug, im Juni die Ablehnung der Trinkwasserinitiative und der Pestizidinitiative feiern. Intern gespalten war bei der Parolenfassung zur Trinkwasserinitiative der Interessenverband der biologischen Landwirtschaft BioSuisse, eine Mehrheit seiner Delegierten entschied sich schliesslich für eine Nein-Empfehlung; die Pestizidinitiative wurde von BioSuisse hingegen unterstützt. Bei der Ablehnung des CO2-Gesetzes gehörten Verbände des Autogewerbes und der Erdölindustrie, der Hauseigentümerverband und GastroSuisse zu den Siegern. Die Gewerkschaften wiederum konnten mit der Ablehnung des E-ID-Gesetzes und der Annahme der vom Berufsverband der Pflegefachleute (SBK) lancierten Pflegeinitiative Erfolge feiern; dies ist umso bemerkenswerter, als davor noch nie in der Schweizer Abstimmungsgeschichte eine gewerkschaftlich initiierte Volksinitiative an der Urne angenommen worden war. Auf ähnlich erfolgreiche Kampagnen in der Zukunft hoffen nebst der Operation Libero mit der oben erwähnten Europainitiative auch GastroSuisse mit seiner im März angekündigten Volksinitiative für «gerechte Entschädigungen» in künftigen Pandemiefällen sowie die GSoA mit ihrer Volksinitiative «Stopp F-35», welche die vom Bund geplante Beschaffung von Kampfflugzeugen des Typs F-35 unterbinden soll und für die 2021 bereits die Unterschriftensammlung begann.

Der Anteil der Verbände an der Presseberichterstattung bewegte sich 2021 auf ähnlichem Niveau wie in den beiden Vorjahren (vgl. Abbildung 2 der APS-Zeitungsanalyse 2021 im Anhang). Im Jahresverlauf nahmen Verbände zwischen September und November am meisten Raum ein (vgl. Abbildung 1). Dies hatte zum einen mit der Berichterstattung zum Unia-Vermögen und zum SBK als Initiant der Pflegeinitiative zu tun. Noch mehr trug die Kategorie «Andere Verbände» bei, von denen neben der Operation Libero und GastroSuisse vor allem Gruppierungen der Klimabewegung – unter anderem mit Protestaktionen von Extinction Rebellion und einer Klage der Klimaseniorinnen – in der Presse von sich reden machten.

Jahresrückblick 2021: Verbände
Dossier: Jahresrückblick 2021

Wie sie gleich nach der ersten Abstimmung über das Covid-19-Gesetz angekündigt hatten, ergriffen die Freunde der Verfassung, das Netzwerk Impfentscheid und das Aktionsbündnis Urkantone auch das Referendum gegen die zweite Revision des Covid-19-Gesetzes, unterstützt wurden sie dabei von der Jungen SVP. Innert drei Wochen – mehr Zeit hatte das Referendumskomitee nach der erfolglosen Abstimmung über das Covid-19-Gesetz nicht zur Verfügung – sammelten sie 187'239 Unterschriften. 5'401 Unterschriften wiesen dabei bereits eine Stimmrechtsbescheinigung auf, für weitere 75'526 Unterschriften liess die Bundeskanzlei eine entsprechende Prüfung vornehmen – aufgrund des Covid-19-Gesetzes war es zu diesem Zeitpunkt möglich, auch unbescheinigte Unterschriften einzureichen. In der Folge bestätigte die Bundeskanzlei das Zustandekommen des Referendums mit 74'469 gültigen Unterschriften. Diese hohe Anzahl Unterschriften in so kurzer Zeit sorgte in der Presse für einige Anerkennung bezüglich der Organisationsfähigkeit und des breiten Netzwerks des Komitees, die NZZ sprach etwa von einem (erneuten) «Achtungserfolg». Die Medien wiesen aber auch auf die hohen Kosten und die entsprechenden finanziellen Mittel hin, welche für das Zustandekommen des Referendums nötig gewesen seien.

Ins Zentrum gegen die zweite Revision des Covid-19-Gesetzes stellte das Referendumskomitee vier Argumente: Als besonders kritisch erachtete es erstens das Covid-19-Zertifikat, welches zu einer «Zweiklassengesellschaft» und zur Diskriminierung von 2 Mio. Menschen führe. Teilweise wurde das Zertifikat gar mit der Rassentrennung des Apartheids-Regimes Südafrikas verglichen. Zweitens kritisierten die Gegnerinnen und Gegner der Reform die Befreiung der Geimpften – nicht aber der Ungeimpften – von der Quarantänepflicht, womit Letztere diskriminiert würden. Bei beiden Massnahmen werde ignoriert, dass auch Geimpfte ansteckend sein und sich selbst anstecken könnten. Drittens erkannte das Komitee in den Regelungen zur Kontaktrückverfolgung eine Möglichkeit zur Massenüberwachung der Bevölkerung. Und schliesslich kritisierte es viertens die weitreichenden zusätzlichen Kompetenzen, welche die Revision für den Bundesrat mit sich bringe und welche die Gefahr einer Diktatur verstärkten. Insgesamt seien dies «radikale und extreme Umkehrungen in unserer Gesellschaft», welche man mit dem Referendum verhindern wolle.

Früh zeichnete sich ab, dass diesmal auch die SVP das Referendum unterstützen würde. Hatte sie bei der Juni-Abstimmung aufgrund der breiten wirtschaftlichen Unterstützungsmassnahmen noch Stimmfreigabe erteilt, standen die Wirtschaftshilfen in dieser Revision deutlich weniger im Zentrum. Zudem mache ein Engagement gegen das Gesetz für die SVP Sinn, zumal es in keiner Partei mehr Personen gebe, welche die offizielle Corona-Politik des Bundes ablehnten, hob die Weltwoche hervor. Ende August 2021 fasste die Delegiertenversammlung der SVP mit 181 zu 23 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) die Nein-Parole zum Gesetz deutlich. In der Folge sprachen sich zwar mit Aargau und Glarus zwei Kantonalsektionen für das Gesetz aus, ansonsten zeigte sich die Partei aber deutlich geeinter als noch bei der Juni-Abstimmung, als 16 Kantonalparteien von der nationalen Parole abgewichen waren.

Daneben machten vor allem ein linkes Komitee «Geimpfte gegen das Covid-Gesetz» und dessen prominenteste Vertreterin, die Schriftstellerin Sibylle Berg, von sich reden. Das Komitee kritisierte einerseits, dass mit dem Zertifikat Ungeimpften – aber etwa auch Sans-Papiers – der Zugang zum gesellschaftlichen Leben verweigert werde, und äusserte andererseits Datenschutzbedenken. Es werde eine «Infrastruktur für totale Überwachung geschaffen», wurde gar argumentiert. Jedoch warf die WOZ dem Komitee selbst mangelnde Transparenz vor, nachdem sie bei einer Inserateanfrage festgestellt hatte, dass das Inserat über den SVP-Werber Alexander Segert bezahlt worden war. Das Komitee selbst habe zugegeben, dass es nicht wisse, wer genau das Inserat finanziert habe, betonte die Zeitung.

Neben der SVP sprach sich von den nationalen Parteien nur die EDU gegen das Gesetz aus, jedoch gaben auch die Jungfreisinnigen des Kantons Thurgau, die Mitte-Partei des Kantons Neuenburg sowie die Schweizer Demokraten des Kantons Bern Nein-Parolen aus. Unterstützt wurden die Referendumsführenden erneut auch von der Organisation «Mass-Voll», was aufgrund ihres radikaleren Stils vereinzelt zu Spannungen führte.

Anders als bei der Juni-Abstimmung setzten die Befürworterinnen und Befürworter der zweiten Revision diesmal weniger stark auf das Wirtschaftsargument. Vielmehr stand zu Beginn der Diskussionen um die Vorlage – kurz vor und während der Sommerferien – vor allem die gefährdete Reisefreiheit im Zentrum der Kritik. So bedarf das Schweizer Zertifikat zur Anerkennung durch die EU einer gesetzlichen Grundlage, welche mit Ablehnung der Revision nicht mehr vorhanden wäre, erklärte etwa EDI-Sprecher Markus Binder. Ein freiwilliger Einsatz des Zertifikats für Reisen sei somit nicht möglich, genauso wenig wie ein erneutes dringliches Gesetz zur Schaffung einer solchen rechtlichen Grundlage. Somit müsste das Parlament den ordentlichen Weg der Gesetzgebung beschreiten, wobei unklar sei, wie lange sich dies hinziehen würde.
Als weiteres zentrales Argument warnten die Befürwortenden des Gesetzes vor dem «Schliessungshammer» (NZZ), der ohne Zertifikat drohe. Denn ohne das Zertifikat habe der Bundesrat keine «weicheren» Optionen und müsse bei einem erneuten Anstieg der Fallzahlen und vor allem der Spitalauslastung wieder mit einem Lockdown reagieren, wurde befürchtet. Somit könne sich das Nein der Gegnerinnen und Gegner zum Eigentor entwickeln, indem sie dadurch weniger Freiheiten hätten als vor dem Referendum.
Insbesondere in Kultur-, Gastro- und Hotelleriekreisen hob man schliesslich die zentrale Bedeutung des Zertifikats sowie des Schutzschirms für Grossveranstaltungen hervor, die beide nur aufgrund der Revision des Covid-19-Gesetzes möglich waren. Man habe bisher stark unter der Pandemie gelitten, könne nun aber aufgrund des Zertifikats die Lokale und Veranstaltungen wieder stärker auslasten. Gerade auch dank des Schutzschirms für Grossveranstaltungen sei überhaupt erst wieder an eine Planung für Grossanlässe zu denken.

Die Befürwortenden bildeten ein breites Spektrum der Schweizer Politiklandschaft ab: Von den nationalen Parteien sprachen sich EVP, FDP, GLP, Grüne, Mitte, PdA und SP für das Gesetz aus, ebenso wie Economiesuisse, der Gewerbeverband, der SGB, Travailsuisse sowie verschiedene Tourismus-Organisationen. Auch Swiss Olympic sprach sich mit Verweis auf die Wichtigkeit des Zertifikats für den Sport für das Gesetz aus.

Bei der medialen Berichterstattung über mögliche Folgen eines Neins standen vor allem Unsicherheiten im Vordergrund. Klar war, dass die Regelungen aus der zweiten Revision des Covid-19-Gesetzes bei einem Nein an der Urne bis ein Jahr nach ihrer Verabschiedung vom Parlament in Kraft bleiben würden – konkret somit bis zum 19. März 2022. Jedoch waren die meisten Regelungen des Covid-19-Gesetzes bis Ende 2021 begrenzt, einige zentrale Aspekte, wie zum Beispiel der Schutzschirm für die Grossveranstaltungen, aber auch Regelungen bezüglich der Arbeitslosenversicherung könnten aber noch bis Mitte 2022 oder gar Ende 2023 in Kraft bleiben. Denkbar war überdies eine Verlängerung des Covid-19-Gesetzes. Ob dies nötig sein würde, war von der Entwicklung der Pandemie abhängig: Womöglich wäre die Pandemie bereits vor Auslaufen der entsprechenden Regelungen vorbei, so dass die Unterstützungsmassnahmen für die Wirtschaft oder das Covid-19-Zertifikat gar nicht mehr vonnöten wären, spekulierten die Medien. Auch was bei einem Nein bis im März 2022 genau passieren würde, war unklar. So könnte das Covid-19-Zertifikat zwar rechtlich den Winter hindurch weiterhin in Kraft bleiben, ob dies politisch jedoch durchsetzbar wäre, war gemäss Presse fraglich. Schliesslich fragte man sich auch, ob eine durch das Epidemiegesetz begründete Einlasskontrolle das fehlende Zertifikat ersetzen könne. Diese Vermutungen unterband Bundesrat Berset jedoch, indem er klarstellte, dass zwar eine Zulasskontrolle für Geimpfte und Ungeimpfte aufgrund des Epidemiengesetzes rechtlich weiterhin möglich wäre, das dafür nötige Kontrollinstrument mit dem Zertifikat jedoch verloren ginge und es somit wenn nötig nur noch Einschränkungen für alle – Geimpfte und Ungeimpfte – gebe.

Im Abstimmungskampf dominierten anfangs die Gegnerinnen und Gegner der Revision deutlich. Sie nahmen ihren Schwung aus dem «Achtungserfolg», den sie mit über 40 Prozent Nein-Stimmen bei der Juni-Abstimmung und dem grossen Sammelerfolg bei den Unterschriften erzielt hatten, mit. Die Gegnerschaft der Revision begann demnach früh, Flyer, Inserate und Plakate zu publizieren – immer wieder sprachen die Medien von 50 Tonnen Werbematerial, welches die Gegnerschaft für den Abstimmungskampf produzierte. Gleichzeitig warben sie auf Youtube und Telegram für ein Nein zur Änderung des Gesetzes und gingen letztlich gemäss Zeitungsberichten gar von Haustür zu Haustür. Überdies verschafften sie sich mit fast wöchentlichen Demonstrationen Aufmerksamkeit – insbesondere die sogenannten Freiheitstrychler wurden bald zum Symbol des Protests gegen die bundesrätlichen Massnahmen – und eine Möglichkeit, ein breites Netzwerk zu erreichen, wie die Medien betonten. Lange Zeit waren denn sowohl in den Medien als auch werbetechnisch fast ausschliesslich die Gegnerinnen und Gegner zu sehen und zu hören. Organisiert wurde ihre Kampagne von der PR-Firma von Alexander Segert, der zuvor bereits mit verschiedenen umstrittenen Kampagnen für die SVP aufgefallen war. In einem Crowdfunding hatte das Contra-Komitee gemäss eigenen Angaben in wenigen Tagen CHF 300'000 eingenommen, die Medien berichteten aber auch über hohe Einzelbeträge von vermögenden Personen.

Bereits Mitte August wurden die Befürworterinnen und Befürworter der Revision für ihr fehlendes Engagement im Abstimmungskampf kritisiert. Als Mitte Oktober noch immer nichts von einer koordinierten überparteilichen Pro-Kampagne zu sehen war, wurden die Medien langsam ungeduldig. Sie befürchteten, dass sich die Befürwortenden ob der hohen Rate an Geimpften und später auch der Vorumfragen, die auf eine Zustimmung zwischen 61 Prozent (1. & 2. Welle SRG) und 69 Prozent (3. Welle Tamedia) hindeuteten, in falscher Sicherheit wiegten. So sei es deutlich schwieriger, «eine schweigende Mehrheit zu mobilisieren […] als eine laute Minderheit» (NZZ). Sie zeigten aber auch Verständnis für die Probleme der befürwortenden Parteien: Diese hätten kaum Geld zur Verfügung, zumal die Wirtschaftsverbände kein Geld für eine Kampagne aufwenden wollten. «Weil lange rein gar nichts ging», wie er erklärte, gründete der Zürcher FDP-Lokalpolitiker Peter Metzinger ein zivilgesellschaftliches Pro-Komitee. Sein Komitee verfügte nur über wenig Geld, bekam aber nach einer Weile «einen Zustupf im überschaubaren Rahmen» von der Economiesuisse, wie Michael Wiesner, Kommunikationsleiter von Economiesuisse, erklärte.
Mitte Oktober folgte dann zwar eine gemeinsame Pressekonferenz der Parteipräsidentinnen und -präsidenten von EVP, FDP, GLP, Grünen, Mitte und SP, in dem sie das Gesetz als Schlüssel zur Freiheit und als pragmatisches Mittel, um aus der Krise zu kommen, präsentierten. Die Medien erkannten in der nüchternen Kommunikationsweise zwar durchaus eine Notwendigkeit – man hatte weder das Geld noch die Zeit für eine emotionale Kampagne –, erachteten diese ob der lauten und emotionalen Gegnerschaft aber auch als sinnvolle Taktik. In der Folge lancierten verschiedene Parteien und Verbände Aufrufe und Appelle für eine Annahme der Revision, etwa über die sozialen Medien.
Eine eigene Kampagne lancierte schliesslich die sogenannte Tourismus-Allianz unter der Führung des Schweizer Tourismus-Verbands, die für ein Ja zur Gesetzesrevision als Basis für grenzüberschreitenden Tourismus und für EU-kompatible Nachweise warb. Aufmerksamkeit erzielte auch Andreas Kyriacou, Präsident der Freidenker-Vereinigung, der anfangs nur ein Plakat mit dem Slogan «Impfen statt Schimpfen» und der Unterschrift «Freiheitsimpfler» veröffentlichte. Dieses fand rasch Verbreitung in den sozialen Medien und generierte Spenden, dank denen es in der Folge in über 100 Gemeinden aufgehängt wurde.

Je näher der Abstimmungssonntag rückte, desto nervöser wurden sowohl das Pro- als auch das Contra-Lager, wie die Medien ausführlich berichteten. So beklagten sich etwa beide Seiten über fehlende Akzeptanz und Diskussionsbereitschaft der anderen Seite. Immer wieder war in den Medien von einer «Spaltung der Gesellschaft» die Rede. Die Gegnerschaft monierte einerseits die fehlende Nennung der Zertifikate im Gesetzestitel – was auf die nachträgliche Ergänzung der Regelungen zum Covid-19-Zertifikat durch das Parlament zurückzuführen war – und reichte gemäss NZZ am Sonntag 750 – häufig identische – Abstimmungsbeschwerden bei den Kantonen ein. Andererseits kritisierten die Gegnerinnen und Gegner, dass sie mehrfach unter fadenscheinigen Begründungen davon abgehalten worden seien, ihre Plakate aufzuhängen, oder dass diese gezielt heruntergerissen worden seien.
Die Befürworterinnen und Befürworter monierten hingegen insbesondere den rauen Ton der Gegnerschaft, der sich zudem verstärkt habe und schliesslich gar in Todesdrohungen gegen einen Politiker ausgeartet seien. Insbesondere die Mahnung des Berner Sicherheitsdirektors Reto Nause (BE, mitte) kurz vor dem Urnengang warf in den Medien grosse Wellen: «Wir erwarten einen unruhigen Abstimmungssonntag. Was, wenn die Gegner des Covid-Gesetzes das demokratische Verdikt nicht akzeptieren?», fragte er rhetorisch. So sei von vereinzelten Personen im Internet bereits zur Bewaffnung aufgerufen worden. Auf beiden Seiten berichteten die Medien überdies von Stimmen, die sich vor Ungereimtheiten bei der Abstimmung durch die andere Seite fürchteten – etwa versperrte Abstimmungslokale oder Manipulation der brieflichen Stimmen. Umgehend beteuerten jedoch verschiedene Mitglieder der Gegnerschaft, etwa der Sprecher des Aktionsbündnisses Urschweiz und Organisator der Contra-Kampagne, Josef Ender, oder die Präsidentin der Jungen SVP Zürich, Camille Lothe, dass es keine Hinweise auf Manipulation der Stimmabgabe oder der Auszählung gebe.
Die Medien sprachen ob diesen Vorwürfen von einer Gefahr für die Demokratie: Dass eine Seite die Einhaltung der demokratischen Regeln in Frage stelle, habe es so noch nie gegeben und sei brandgefährlich, war der Tenor. Der emeritierte Politikwissenschaftsprofessor Wolf Linder versuchte hingegen, die Geschehnisse zu relativieren: So würden «keine Parteien oder signifikanten politischen Kräfte die Verlässlichkeit unserer Abstimmungsergebnisse ernsthaft hinterfragen», daher solle man diesen Einzelmeinungen nicht zu viel Gewicht beimessen. Gar etwas Positives konnte Stefan Schmid von CH Media der aufgeheizten Situation abgewinnen: Sie steigere die erwartete Beteiligung an der Abstimmung. Die Pandemie habe denn auch die Gesellschaft nicht gespalten, sondern nur entsprechende Unterschiede sichtbarer gemacht. «Wichtig ist jetzt freilich, dass sich nach geschlagener Schlacht Siegerinnen und Verlierer, wie das hierzulande üblich ist, die Hand reichen und das Sägemehl von der Schulter klopfen», betonte er. Andere Kommentatorinnen und Kommentatoren zweifelten jedoch daran, ob dies allen Gegnerinnen und Gegner bei einer allfälligen Niederlage gelingen würde.

Neben den Kampagnen von Befürwortenden und Gegnerschaft wurde die Abstimmung zur zweiten Revision des Covid-19-Gesetzes auch stark von den äusseren Umständen, allen voran von der Entwicklung der Pandemie beeinflusst. So begannen Mitte Oktober 2021 die Covid-19-Fallzahlen in der Schweiz, vor allem aber auch im benachbarten Ausland, wieder zu stiegen. Teile Deutschlands reagierten beispielsweise bereits im September 2021 mit einer Verschärfung der 3G-Regel hin zu einer 2G-Regel, bei der nur noch Geimpfte oder Genesene, nicht aber Getestete Zulass zu öffentlichen Innenräumen erhielten. Eine solche Verschärfung blieb in der Schweiz lange Zeit kaum vorstellbar und wurde von verschiedenen Sprechenden deutlich zurückgewiesen. Trotz der steigenden Fallzahlen verzichtete der Bundesrat vor der Abstimmung weitgehend auf Verschärfungen der Corona-Regelungen, was bei den Medien die Vermutung weckte, er wolle die Chancen des Gesetzes im Referendum nicht schmälern. Hingegen gab die Regierung Ende Oktober bekannt, verschiedene Regelungen des Covid-19-Gesetzes verlängern zu wollen – wie es die Kritikerinnen und Kritiker bereits in der Kampagne zur ersten Abstimmung befürchtet hatten. Darüber hinaus sprach der Bundesrat etwa zeitgleich eine Empfehlung für eine Auffrischungsimpfung für über 65-Jährige aus und nährte damit auch die Befürchtungen der Gegnerschaft, wonach zukünftig immer wieder neue Impfungen nötig sein würden. Schliesslich startete der Bundesrat drei Wochen vor dem Urnengang mit einer nationalen Impfwoche einen letzten Versuch, die Schweizer Impfquote vor dem Winter zu erhöhen. Dabei setzte er CHF 100 Mio. ein und startete eine umfassende Werbekampagne für die Impfung. In den Inseratespalten publizierte er denn auch ähnlich viele Inserate zur Impfwoche und zur Impfung wie die Gegnerschaft gegen die Revision des Covid-19-Gesetzes.
In der Woche vor dem Abstimmungssonntag wurde schliesslich bekannt, was vielerseits befürchtet worden war: In der Zwischenzeit war eine neue Virusvariante, Omikron, festgestellt worden, die deutlich ansteckender zu sein schien als die bisher vorherrschende Deltavariante. Unklar war auch, wie die vorhandenen Impfungen gegen die neue Variante wirken würden. Dies versetzte die Schweiz gemäss NZZ endgültig in einen «Schwebezustand, epidemiologisch und politisch gesehen».

Am Abstimmungssonntag folgte dann ein «klares Verdikt einer leisen Mehrheit», wie die AZ das Abstimmungsresultat betitelte: Mit 62.0 Prozent Ja-Stimmen und zwei ablehnenden Kantonen – in Appenzell Innerrhoden und Schwyz sagte die Mehrheit der Stimmenden Nein zur Revision – war die Zustimmung zum Gesetz gegenüber der ersten Abstimmung im Juni (60.2%) gar noch angestiegen. Zahlreiche Gemeinden und sechs Kantone (AR, GL, NW, OW, TG, UR) waren verglichen mit der Juni-Abstimmung neu ins Ja-Lager gewechselt. Die Medien hoben die hohe Stimmbeteiligung von 65.7 Prozent hervor und interpretierten das Ergebnis der Abstimmung als Vertrauensbeweis in die bundesrätliche Politik. Sie betonten aber wie bereits im Juni auch, dass dies keine Blankovollmacht für den Bundesrat darstelle. Die SVP wollte das Resultat denn auch nicht als Einladung für Massnahmenverschärfungen verstanden wissen. Gesundheitsminister Berset forderte die Gegnerinnen und Gegner auf, das Abstimmungsresultat zu akzeptieren: Zur Schweiz gehöre es, dass man sich nach der Abstimmung zusammenraufe. «Wir dürfen nicht endlos streiten.» Zu grossen Streitereien kam es denn in der Folge nicht mehr: Der befürchtete Grossaufmarsch blieb aus, nur vereinzelte Protestierende fanden sich auf dem Bundesplatz ein. Die meisten Sprechenden der Gegnerschaft akzeptierten das Ergebnis, lediglich «Mass-Voll» liess verlauten, dass das Resultat wegen «beispiellosen Unregelmässigkeiten [...] nicht legitim und für uns nicht bindend» sei.


Abstimmung vom 28. November 2021

Beteiligung: 65.7%
Ja: 2'222'594 Stimmen (62.0%)
Nein: 1'361'084 Stimmen (38.0%)

Parolen:
- Ja: EVP, FDP, GLP, GPS, Mitte*, PdA, SPS; Economiesuisse, Gemeindeverband, KdK, SGB, SGV*, SSV, TravailSuisse, VöV, Schweizer Tourismusverband, Hotelleriesuisse, Verband Seilbahnen Schweiz, Swissmem, Freidenker-Vereinigung
- Nein: EDU, SVP*; «Freunde der Verfassung», Aktionsbündnis «Urkantone für eine vernünftige Corona-Politik», Netzwerk Impfentscheid, «Mass-Voll»
- Stimmfreigabe: SD*; GastroSuisse, Piratenpartei
* verschiedene abweichende Kantonalsektionen: Ja: SVP AG, SVP GL; Nein: Mitte NE, SD BE; Stimmfreigabe: SGV AG


Anhand der Gemeindeergebnisse zeigte sich in der Folge, dass die Opposition in der Innerschweiz im Vergleich zum Juni abgenommen hatte, in der Westschweiz hingegen angestiegen war. Gemäss der Vox-Nachabstimmungsbefragung hätten sich die Lager jedoch weiter polarisiert: Die SVP-Sympathisierenden hätten klarer Nein, diejenigen der FDP- und GLP klarer Ja gesagt als noch im Juni 2021. Mehrheitlich Nein gestimmt hatten neben den Sympathisantinnen und Sympathisanten der SVP auch Personen, die sich selbst auf der Links-Rechts-Achse als «rechtsaussen» einstufen, sowie Personen mit traditioneller Werthaltung und solche mit tiefem oder mittlerem Vertrauen in den Bundesrat. Als Hauptgrund für ihre Ablehnung der Gesetzesänderung nannten sie die empfundene Bevormundung durch die Behörden und entsprechend die fehlenden Freiheiten (zusammen 17%), ebenso übten viele Kritik an der indirekt wahrgenommenen Impfpflicht (10%). Die Befürwortenden hingegen wollten mit Annahme der Änderung vor allem die Corona-Politik des Bundesrates unterstützen (36%).

Zweite Revision des Covid-19-Gesetzes (Änderung und Zusatzkredit; BRG 21.016)
Dossier: Covid-19-Gesetz und Revisionen

Ende September 2021 durfte die «Ehe für alle» schliesslich den von ihren Befürwortenden bereits lang ersehnten Erfolg in der Volksabstimmung feiern, womit auch die Schweiz als beinahe letztes Land Westeuropas ihren gleichgeschlechtlichen Paaren das Recht zur Eheschliessung zugestand. Bei einer Stimmbeteiligung von 52.6 Prozent befürworteten deutliche 64.1 Prozent der Stimmenden die Möglichkeit der zivilen Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Besonders erfreut zeigten sich die Befürwortenden auch darüber, dass sich die Stimmbevölkerung in allen 26 Kantonen mehrheitlich für die Vorlage ausgesprochen hatte. «Eine Abstimmung wird zum Triumph für die gleichgeschlechtliche Liebe», titelte etwa die NZZ und wertete die Zustimmung der Kantone als Bestätigung dafür, dass die Vorlage auch dann erfolgreich gewesen wäre, wenn sie mittels Verfassungsänderung umgesetzt worden wäre, wie dies die Gegnerschaft mehrfach verlangt hatte. Nicht zuletzt zeige die Volksabstimmung auch einen spürbaren Wertewandel in den ländlichen Gebieten, denn bei der 2005 erfolgten Volksabstimmung über die eingetragene Partnerschaft hätten sich einige ländlich geprägte Kantone noch mehrheitlich gegen mehr Rechte für gleichgeschlechtliche Paare ausgesprochen, so die NZZ weiter.
Gleichwohl variierte die Zustimmung zwischen den Kantonen auch bei dieser Abstimmung beträchtlich und zwar von einem relativ knappen Ja im Kanton Appenzell Innerrhoden (50.8%) bis zu einem überaus klaren Ja im Kanton Basel-Stadt (74%). Der Deutschschweizer Stadtkanton blieb jedoch eine Ausnahme; in allen anderen Kantonen betrugen die ablehnenden Stimmen jeweils mindestens 30 Prozent.

Das klare Ja wurde von verschiedensten Akteuren auch als Zeichen interpretiert, dass es Zeit sei, weitere Debatten in diesem Bereich anzustossen oder zu intensivieren. Andrea Caroni (fdp, AR) etwa meinte, nun müsse man auch an diejenigen Personen denken, die sich gegen eine Heirat entscheiden, aber trotzdem rechtlich absichern möchten, was ein Pacte civil de solidarité (Pacs) ermöglichen würde. Laura Zimmermann, Co-Präsidentin der Operation Libero, sah die Zeit gekommen, um über die Öffnung der Fortpflanzungsmedizin für unverheiratete Paare oder für alleinstehende Frauen zu diskutieren. Die Frage, ob nun auch die Leihmutterschaft bald eingeführt werde, wie Gegnerinnen und Gegner der «Ehe für alle» befürchteten, verneinte Bundesrätin Karin Keller-Sutter nach der Abstimmung gegenüber der Aargauer Zeitung deutlich. Zum einen könnte eine solche Forderung klar nur durch eine Verfassungsänderung erfüllt werden und zum anderen würden sich hier auch «schwierige ethische Fragen» stellen. Etwa bestehe die Gefahr, dass Leihmütter ausgebeutet werden könnten. Dass auch der vor der Abstimmung lauter gewordene Unmut gegen Konversionstherapien in den Medien die Politik in Zukunft stärker beschäftigen könnte, zeigten drei parlamentarische Initiativen zu diesem Thema, die um den Abstimmungstermin herum im Parlament eingereicht wurden (Pa.Iv. 21.483; Pa.Iv. 21.496; Pa.Iv. 21.497).


Abstimmung vom 26. September 2021

Beteiligung: 52.6%
Ja: 1'828'642 Stimmen (35.9%)
Nein: 1'024'307 Stimmen (64.1%)

Parolen:
-Ja: FDP (1*), GLP, GPS, Mitte (2*), SP; Amnesty International, Evangelisch-reformierte Kirche, diverse LGBTQ+-Organisationen, Pro Familia, Pro Juventute, Schweizerischer Katholischer Frauenbund, SGB
-Nein: EDU, EVP, SVP (3*), Schweizer Bischofskonferenz, Freikirchen.ch
* in Klammern Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Le mariage pour tous (Pa.Iv. 13.468)

Aufgrund des von den «Freunden der Verfassung» ergriffenen Referendums stimmte die Schweizer Stimmbevölkerung im Juni 2021 über das Covid-19-Gesetz ab. Dieses enthielt einerseits die Regelungen zu den Unterstützungsmassnahmen für die Unternehmen und die Bevölkerung (u.a. Härtefallhilfen, Covid-Erwerbsersatz, Kurzarbeitsentschädigung), andererseits Ermächtigungen für den Bundesrat, zeitlich begrenzt von bestehenden Gesetzen abzuweichen. Während der erste Teil auch bei den Gegnerinnen und Gegnern unumstritten war, kritisierten sie den zweiten Teil stark. Dieser Teil enthielt beispielsweise Regelungen zur Einschränkungen von Behandlungen in den Spitälern, zur Abweichungen von gesetzlichen Fristen, zur elektronischen Durchführungen von Generalversammlungen von Unternehmen oder zu Einschränkungen im Asylbereich. Das Covid-19-Gesetz war nun insofern speziell, als Gesetze üblicherweise erst nach Ablauf der Referendumsfrist in Kraft treten. Da das Gesetz jedoch von einer Mehrheit der Mitglieder beider Kammern dringlich erklärt worden war, war es gleich nach Annahme im Parlament im September 2020 in Kraft getreten – was die Abstimmung darüber gemäss Tages-Anzeiger zu einer «demokratiepolitische[n] Kuriosität» machte. Zusätzlich speziell war, dass das Covid-19-Gesetz zum Zeitpunkt der Abstimmung vom Parlament bereits zweimal revidiert worden war – einmal in der Wintersession 2020 und einmal in der Frühjahrssession 2021. Da das Gesetz mit den Corona-bedingten Veränderungen Schritt halten müsse, seien verschiedene Teile des Gesetzes zum Zeitpunkt der Abstimmung gar nicht mehr in Kraft, betonte der Tages-Anzeiger. Zudem würde das Gesetz bei einer allfälligen Ablehnung an der Urne nicht per sofort ausser Kraft treten, sondern ein Jahr nach seiner Inkraftsetzung, also am 25. September 2021. Die meisten Regelungen des Gesetzes sind auf Ende 2021 befristet, lediglich einzelne dieser Regelungen würden bis Ende 2023 (etwa Regelungen zur Kurzarbeit) oder gar bis Ende 2031 (Regelungen zu den Covid-Krediten) gültig bleiben.

Der Abstimmungskampf zum Referendum gegen das Covid-19-Gesetz war nun geprägt von der Frage, worüber am 13. Juni 2021 genau abgestimmt wird. So betonten die Gegnerinnen und Gegner des Gesetzes im Abstimmungsbüchlein, dass mit dem Referendum sichergestellt werden solle, dass die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger «die höchste Instanz im Land» bleiben. Mit der Ablehnung des Covid-19-Gesetzes solle man zeigen, «dass Krisenmanagement gegen das Volk in der Schweiz nicht geht». So befürchteten sie, dass der Bundesrat das Notrecht durch das Gesetz unnötig verlängern würde und man durch eine Annahme des Gesetzes die bisherige bundesrätliche Corona-Politik legitimiere. Andreas Glarner (svp, AG) etwa argumentierte, dass man dem Bundesrat damit einen Blankocheck für weitere Einschränkungen gebe und sprach sich damit gegen das Gesetz aus – die SVP selbst entschied sich in der Folge für Stimmfreigabe. Gegen diese Argumentationen wehrten sich die Befürworterinnen und Befürworter des Gesetzes, da sie in ihren Augen am Covid-19-Gesetz vorbeizielten. So würden die Gegnerinnen und Gegner insbesondere die Corona-Massnahmen des Bundesrates kritisieren, etwa die Schliessung der Restaurants oder Läden, die jedoch nicht im Covid-19-Gesetz geregelt seien, sondern im 2013 von der Stimmbürgerschaft angenommenen Epidemiengesetz. Diese Bestimmungen würden somit durch eine Ablehnung des Gesetzes auch nicht aufgehoben. Der Kampf gegen das Gesetz stelle gemäss den Befürwortenden folglich bloss eine Art «Stellvertreterkrieg» dar, in dem sich die Gegnerinnen und Gegner ein Misstrauensvotum gegen die bundesrätliche Covid-Politik oder einen Denkzettel an den Bundesrat wünschten.
Die Gegnerschaft kritisierte aber durchaus auch verschiedene Aspekte des Gesetzes selbst: So fürchteten sie eine Diskriminierung oder gar einen Verlust der Grundrechte von ungeimpften Personen aufgrund des Covid-19-Zertifikats, da mit diesem eine Zweiklassengesellschaft, ja gar eine «neue Form der Apartheid», geschaffen werde. Zudem diene das Contact Tracing über die SwissCovidApp zur Massenüberwachung, wie die beiden Co-Präsidenten der «Freunde der Verfassung», Marion Russek und Werner Boxler, in der Weltwoche betonten. Das anfängliche Argument, wonach es aufgrund des Gesetzes zu einer verkürzten Prüfung von Impfstoffen kommen könnte, liess das Komitee nach einer Weile fallen – der Bundesrat hatte erklärt, dass es in der betreffenden Regelung einzig um Arzneimittel, nicht aber um Impfstoffe gehe.
Neben einzelnen Bestimmungen kritisierte die Gegnerschaft aber auch die Verbindung der Unterstützungsmassnahmen mit den zusätzlichen Ermächtigungen für den Bundesrat, da man den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern damit die Möglichkeit nehme, Ersteren zuzustimmen und Letztere abzulehnen. Gleichzeitig betonten sie, dass eine Ablehnung des Covid-19-Gesetzes an der Urne nicht das Ende der Unterstützungsmassnahmen bedeute – was das Hauptargument der Befürworterinnen und Befürworter darstellte. So könne das Parlament die Unterstützungsmassnahmen durch die Annahme einer Motion von Pirmin Schwander (svp, SZ; Mo. 21.3402) innert kürzester Frist in ein eigenes Gesetz giessen. Diese Argumentation teilten die Befürwortenden nicht, vielmehr warnten sie vor drastischen Folgen durch die Ablehnung des Gesetzes: Das vorzeitige Ende der Unterstützungsmassnahmen der Wirtschaft führe nämlich zu einem starken Anstieg der Konkurse, der Arbeitslosigkeit und der Sozialhilfequote. Zwar könne das Parlament allenfalls ein neues Gesetz beschliessen, dabei müsse es sich aber um ein ordentliches Gesetz handeln – ein weiteres dringliches Gesetz sei nicht möglich –, erklärte der Bundesrat. Ein solches könne aber unter anderem aufgrund der Referendumsfrist nicht vor dem 25. September 2021 in Kraft gesetzt werden. Somit käme es bei einer Ablehnung des Covid-19-Gesetzes zu einem Unterbruch der Unterstützungsmassnahmen. Auch der Bundesrat betonte zur Lancierung seines Abstimmungskampfes an einer Pressekonferenz, bei der unter anderem Gesundheitsminister Berset und Bundespräsident Parmelin sowie KdK-Präsident Rathgeb (GR, fdp) anwesend waren, dass das Covid-19-Gesetz die einzige rechtliche Grundlage zur Unterstützung der Betroffenen sei und dessen Ablehnung grosse Unsicherheiten bei Unternehmen und Arbeitnehmenden auslösen würde. Christian Rathgeb verwies auf die zentrale Bedeutung des Gesetzes für die Kantone und mahnte vor einem Bauchentscheid: «Die Menschen brauchen jetzt nicht einen Denkzettel, sondern konkrete finanzielle Unterstützung.»
Die Befürworterinnen und Befürworter wehrten sich auch gegen den Diktatur-Vorwurf der Gegnerschaft an den Bundesrat. So werde das Notrechtregime durch das Covid-19-Gesetz nicht verlängert, sondern wie von der Verfassung verlangt in ordentliches Recht überführt – das entsprechend auch vom Parlament verabschiedet worden sei. «Alles läuft, wie es die Verfassung vorsieht – auch wenn die «Freunde der Verfassung» das nicht wahrhaben wollen», betonte etwa die NZZ. «Wenn dies die Basis für eine Diktatur sein soll, wird es eine ebenso lächerliche wie grosszügige Diktatur sein – eine Diktatur, in der es für fast jeden Zweck Milliardenhilfen gibt und für jeden LKW-Fahrer eine Toilette», verteidigte dieselbe Zeitung das Gesetz mit Verweis auf eine spezifische Regelung im Covid-19-Gesetz zum Toilettenzugang von LKW-Fahrerinnen und -Fahrern.

Zu breiteren medialen Diskussionen im Abstimmungskampf führte auch das Abstimmungsbüchlein: Die Gegnerinnen und Gegner des Gesetzes kritisierten, dass hier das ursprüngliche Covid-19-Gesetz aufgeführt worden war, obwohl dieses in der Zwischenzeit bereits mehrfach revidiert worden war. Dies sei aber insofern korrekt, als das Referendum zum ursprünglichen Gesetz gefasst worden sei – auch wenn die Ablehnung des Gesetzes auch die Revisionen ausser Kraft setzen würde, war der mediale Konsens in dieser Frage. Ansonsten stand das Referendum zum Covid-19-Gesetz deutlich im Schatten der gleichzeitig stattfindenden Abstimmungen zum CO2-Gesetz, zur Trinkwasser- und zur Pestizidinitiative sowie zum kaum beworbenen Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus. Die Studie des fög zählte etwa eine vergleichsweise geringe Anzahl Zeitungsartikel zum Covid-19-Gesetz, deren Tonalität leicht positiv war. Auch in den Inseratespalten schnitt das Covid-19-Gesetz unterdurchschnittlich ab, wie die Studie von Année Politique Suisse zeigte. Die Vorumfragen der SRG (67% Ja respektive 64% Ja) und von Tamedia (66%, 67%, 69%) liessen schliesslich kaum Zweifel an einer Annahme des Gesetzes aufkommen.

In der Zwischenzeit hatten die EDU, die «Freunde der Verfassung», das Aktionsbündnis «Urkantone für eine vernünftige Corona-Politik» sowie die Gruppe «Mass-voll» die Nein-Parole ausgegeben. Die SVP hatte unter grossem medialen Interesse bereits im März 2021 entschieden, Stimmfreigabe zu erteilen, da sie «die negativen Folgen einer Ablehnung [als] grösser [erachtete] als die einer Zustimmung». Verschiedene Kantonalsektionen wichen jedoch von dieser Parole ab, so sprachen sich die Sektionen der Kantone Bern, Luzern, Waadt und Wallis für eine Annahme und die Sektionen der Kantone Appenzell-Innerrhoden, Basel-Landschaft, Schwyz und Zürich sowie die Junge SVP für eine Ablehnung aus. Ansonsten traf das Covid-19-Gesetz weitgehend auf Unterstützung, etwa durch sämtliche anderen grösseren Parteien (EVP, FDP, GLP, GPS, Mitte, SP) und zahlreiche grösseren Verbände wie Economiesuisse, SGB und Travailsuisse, aber auch durch den SGV oder GastroSuisse.

Am Abstimmungssonntag sollte sich das Bild aus den Vorumfragen bestätigen: Mit 60.2 Prozent bei einer Stimmbeteiligung von 59.7 Prozent sprachen sich die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger für das Covid-19-Gesetz aus. Zwar war kein Ständemehr nötig, dennoch verdeutlichte die Ablehnung der Vorlage in den Kantonen Uri (45.1%), Schwyz (40.9%), Nidwalden (48.6%), Obwalden (43.3%), Glarus (49.1%), Appenzell Ausserrhoden (47.0%), Appenzell Innerrhoden (39.2%) und Thurgau (49.9%) die Unterschiede zwischen den Regionen: So lag die Zustimmung in der Romandie mit 65.5 Prozent und in der italienischsprachigen Schweiz mit 68.8 Prozent beispielsweise deutlich höher als in der Deutschschweiz (58.3 Prozent).
Die Medien waren sich nicht sicher, wie dieses Resultat zu interpretieren war. Einerseits wurde von einem «Achtungserfolg der Gegner» (AZ) gesprochen – insbesondere da diese nicht von einer grossen Partei unterstützt worden seien (TdG) –, andererseits sei die Abstimmung zuvor als «Plebiszit über die generelle Corona-Politik des Bundesrates» angepriesen worden, weshalb das Resultat nun als Bestätigung ebendieser durch die Stimmbürgerschaft verstanden werden könne (NZZ). Einig war man sich jedoch mehrheitlich, dass dies nicht als Blankocheck für den Bundesrat verstanden werden dürfe – zugleich forderte unter anderem die SVP weitere Lockerungen der Corona-Massnahmen.


Abstimmung vom 13. Juni 2021

Beteiligung: 59.7%
Ja: 1'936'344 Stimmen (60.2%)
Nein: 1'280'128 Stimmen (39.8%)

Parolen:
- Ja: EVP, FDP, GLP, GPS, KVP, Mitte, PdA, SPS; Economiesuisse, Gemeindeverband, KdK, SAV, SGB, SGV, SSV, TravailSuisse, VPOD, GastroSuisse
- Nein: EDU; «Freunde der Verfassung», Aktionsbündnis «Urkantone für eine vernünftige Corona-Politik», «Mass-voll»
- Stimmfreigabe: SD, SVP*
* verschiedene abweichende Kantonalsektionen: Ja: SVP BE, SVP LU, SVP NE, SVP VD, SVP VS; Nein: SVP AI, SVP BL, SVP SZ, SVP ZH, JSVP CH


Die Nachabstimmungsbefragung von gfs.bern zeigte einige Wochen später, dass die Vorlage von Personen unter 40 Jahren, von Sympathisantinnen und Sympathisanten der SVP sowie von Personen mit geringem bis mittlerem Vertrauen in den Bundesrat mehrheitlich abgelehnt worden war. Als Hauptgrund für ihre Ablehnung nannten die Befragten das Missbrauchspotenzial des Gesetzes (15% der Antworten), während die Befürwortenden vor allem auf die Notwendigkeit einer Gesetzesgrundlage (16%) sowie der finanziellen Unterstützung (12%) verwiesen.

Noch am Abstimmungssonntag kündigten die Junge SVP und die «Freunde der Verfassung» überdies bereits ein Referendum zur zweiten Revision des Covid-19-Gesetzes und damit hauptsächlich zum Covid-19-Zertifikat an. Die zweite Revision war Mitte März 2021 vom Parlament verabschiedet worden, weshalb die Referendumsfrist nur noch drei Wochen andauerte. Die beiden Komitees zeigten sich überzeugt, dass man die nötigen 50'000 Unterschriften innert dieser kurzen Frist zusammenbekommen werde.

Bundesgesetz über die gesetzlichen Grundlagen für Verordnungen des Bundesrates zur Bewältigung der Covid 19-Epidemie (Covid-19-Gesetz; BRG 20.058)
Dossier: Covid-19-Gesetz und Revisionen

Am 26. Mai 2021 brach der Bundesrat die Verhandlungen über das institutionelle Rahmenabkommen mit der EU offiziell ab. Nach dem Treffen von Bundespräsident Parmelin mit Kommissionspräsidentin von der Leyen Ende April 2021, hatte sich in dem Dossier lang wenig bewegt, bis schliesslich Radio SRF mit der Publikation eines vom Bundesrat als geheim eingestuften Dokuments, welches die Risiken und Nebenwirkungen eines gescheiterten Rahmenabkommens aufschlüsselte, für neuen Gesprächsstoff sorgte. Potenziell schwerwiegende Konsequenzen drohten in einer ganzen Palette von Themenbereichen, die von Strom und Handel über Gesundheit bis zur Filmförderung reichten. Insbesondere auf die Gefahr, dass bestehende Abkommen nicht erneuert werden, oder dass die EU die Äquivalenz der Schweizer Gesetzgebung nicht anerkennen würde, wurde hingewiesen. So könne beispielsweise eine fehlende Gleichwertigkeit beim Datenschutz zahlreiche Schweizer KMUs und deren Geschäftspraktiken bedrohen, hielt der Bericht fest. Nichtsdestotrotz fand sich im Medienecho zu jenem Zeitpunkt zumindest ein Funken Hoffnung auf einen positiven Ausgang der Verhandlungen. Der Sonntags-Blick zitierte in der Ausgabe vom 23. Mai aus einer E-Mail der EU-Chefunterhändlerin Riso, in der diese die Diskussion über die Unionsbürgerrichtlinie als «am wenigsten finalisierte» Frage bezeichnete, gleichzeitig aber eine gewisse Kompromissbereitschaft der EU ausdrückte, den Vertrag erneut durchzugehen und nach Lösungen zu suchen. Gleichentags veröffentlichte die Sonntagszeitung jedoch die Meldung, dass der Bundesrat den Abbruch der Verhandlungen über das Rahmenabkommen am 26. Mai vorsehe. Gemäss Sonntagszeitung plante der Bundesrat stattdessen einen Auffangplan, um den Konflikt mit der EU und die negativen wirtschaftlichen Folgen innen- und aussenpolitisch abzuschwächen. Unter anderem sei die Freigabe des zweiten Kohäsionsbeitrags vorgesehen, um Kooperationen wie das Forschungsprogramm Horizon weiterführen zu können. Eine weitere Möglichkeit der Bekräftigung des bilateralen Wegs – «Stabilex» genannt – beinhalte die einseitige Anpassung des Schweizer Rechts in politisch unumstrittenen Bereichen an EU-Bestimmungen, berichteten sowohl die Sonntagszeitung wie auch die NZZ.

Am 26. Mai bestätigte der der Bundesrat also diese Gerüchte und erklärte die Verhandlungen in einer Medienmitteilung für beendet. Dieser war zu entnehmen, dass der Bundesrat in zentralen Bereichen des Abkommens – Lohnschutz, Unionsbürgerrichtlinie, staatliche Beihilfen – weiterhin substanzielle Differenzen identifiziert hatte, weshalb er sich entschieden habe, das InstA nicht zu unterzeichnen und dies der EU auch so mitzuteilen. Im offiziellen Schreiben an die Europäische Kommission bot der Bundesrat die Einrichtung eines regelmässigen politischen Dialogs sowie die Prüfung von Problemen hinsichtlich der bestehenden Abkommen und die Suche nach pragmatischen Lösungen an. Er formulierte darin auch die Erwartungshaltung, dass die geltenden Abkommen «von beiden Parteien weiterhin vollumfänglich angewandt und im Falle relevanter Weiterentwicklungen des EU-Rechts aktualisiert» würden. Dabei hob er vor allem die Zusammenarbeit im Gesundheits- und Strombereich hervor. In seiner Medienmitteilung gestand der Bundesrat, dass das Nichtzustandekommen gewisse Nachteile mit sich bringe, wie zum Beispiel die Tatsache, dass keine neuen Marktzugangsabkommen abgeschlossen werden können. Er betonte jedoch, dass die Schweiz die bilaterale Zusammenarbeit mit der EU weiterführen wolle, weil man nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht verbunden sei, sondern auch eine europäische Wertegemeinschaft bilde und gemeinsam globale Herausforderungen angehe. Der Bundesrat versprach, den politischen Dialog mit der EU zu suchen und sich für eine rasche Deblockierung der Kohäsionsmilliarde einzusetzen. Er liess auch verlauten, dass er das EJPD damit beauftragt habe, gemeinsam mit anderen Departementen die Möglichkeit von eigenständigen Anpassungen im Schweizer Recht (Stabilex) zu prüfen, um dadurch die bilateralen Beziehungen zu stabilisieren.
Die EU-Kommission bezog gleichentags Stellung zur «einseitige[n] Entscheidung» und drückte ihr Bedauern über den Ausgang der Verhandlungen aus. Das InstA hätte eine Verbesserung des bilateralen Ansatzes ermöglicht und dessen Weiterentwicklung sichergestellt, liess die Kommission verlauten. Aus Kreisen der Kommission wurden zudem Stimmen laut, die behaupteten, die EU hätte zurzeit dringendere Probleme als die Schweiz, beispielsweise die Lage in Belarus. Der luxemburgische Aussenminister Jean Asselborn wünschte sich im Gespräch mit Le Temps eine solide Verhandlungsbasis, weil man die Situation so nicht auf sich beruhen lassen könne. Weitere prominente EU-Parlamentarier reagierten prompt auf diesen Paukenschlag. Andreas Schwab, der Vorsitzende der EU-Parlamentsdelegation für die Beziehungen zur Schweiz, sah durch den Entscheid mehr als sieben Jahre Verhandlungen «sinnlos vergeudet», wobei die offenen Fragen auch nach dem Verhandlungsabbruch weiter bestünden. Die vom Bundesrat geplante Freigabe der Kohäsionsmilliarde würde die angespannte Situation seiner Meinung nach nicht verbessern. Er warnte auch, dass sich die EU-Kommission in Zukunft noch genauer darauf achten werde, ob die Schweiz die geltenden bilateralen Verträge korrekt umsetze. Die NZZ berichtete, dass die EU auf den Schweizer Vorschlag der selektiven Rechtsangleichung verärgert reagiert habe. Neue sektorielle Marktzugangsabkommen in den Bereichen Strom oder Medizinaltechnik seien ohne übergeordneten Rahmen nicht denkbar, schliesslich habe die EU-Kommission klar gemacht, dass ein privilegierter Zugang zum Binnenmarkt gleiche Regeln und Pflichten voraussetze, so die NZZ.

«Gratulation an den Bundesrat» titelte der Blick am Tag nach der Entscheidung und sowohl SVP-Parteipräsident Chiesa (svp, TI) wie auch SGB-Präsident Maillard (sp, VD) zeigten sich erleichtert über den Abbruch, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Maillard äusserte seine Zufriedenheit über den Abbruch an der Delegiertenversammlung des SGB, wo er klar machte, dass die Gewerkschaften nie eine Schwächung des Lohnschutzes hingenommen hätten. Der SGB forderte für das weitere Vorgehen die Beibehaltung der bilateralen Abkommen, mehr sozialen Schutz, Mindestlöhne und verbindliche Tarifverträge, nur dann würde man Reformen unterstützen, sagte Maillard. Chiesa sah im Abbruch indes einen «Sieg für die Selbstbestimmung, die direkte Demokratie und die Schweizer Bevölkerung». Die Reaktionen der Schweizer Parteien fielen sowohl bezüglich Inhalt als auch Intensität unterschiedlich aus. Als «das grösste Armutszeugnis, das ich von unserer Landesregierung je gesehen habe» kritisierte Jürg Grossen (glp, BE) den Bundesrat harsch für dessen Entscheid. Er sparte auch nicht mit Kritik an anderen Parteien wie der SP, die sich von den Gewerkschaften habe treiben lassen, der Mitte, deren Präsident eine schädliche Haltung vertreten habe, und der FDP, welche laut Grossen mit ihren zwei Bundesräten die Hauptverantwortung für das Scheitern trage. Die SP und die FDP bedauerten das Scheitern des InstA zwar beide, machten aber mit Ignazio Cassis respektive den Gewerkschaften unterschiedliche Akteure dafür verantwortlich. SP-Co-Präsident Wermuth (sp, AG), der sich lange optimistisch gegeben hatte und einen Kompromiss bei der Unionsbürgerrichtlinie in Betracht gezogen hatte, kritisierte den Bundesrat im Tages-Anzeiger dafür, dass er parallel zum Abbruch keinen Plan B vorlegen konnte und forderte eine Auslegeordnung, bei der auch der EWR- und EU-Beitrittsverhandlungen zur Wahl stehen. Petra Gössi (fdp, SZ) griff an gleicher Stelle hingegen die Gewerkschaften an, die «jeden Kompromiss beim Lohnschutz verhindert» hätten und forderte neben einer gemeinsamen Lösungssuche mit der EU auch ein «Fitnessprogramm», beispielsweise einen Einheitssatz bei der Mehrwertsteuer. Gössi erklärte, dass sich die FDP für den bilateralen Weg nach aktuellem Stand einsetze und weder eine Vertiefung noch einen Rückbau der Beziehungen unterstütze. Konkret fordere sie eine limitierte Dynamisierung der Bilateralen in technischen Sachbereichen, die unbestritten sind; aktive Partnerschaften mit Drittstaaten durch neue Freihandelsabkommen und einen flexibleren Arbeitsmarkt mit höheren Kontingenten für Fachkräfte aus Drittstaaten. Zufrieden zeigten sich gegenüber dem Tages-Anzeiger Mitte-Präsident Gerhard Pfister (mitte, ZG), der gemäss Blick an den Von-Wattenwyl-Gesprächen Anfang Mai bereits offen den Verhandlungsabbruch gefordert haben soll und sich über die neu herrschenden Klarheit freute, – ebenso wie Thomas Aeschi (svp, ZG), der einzig das Abkommen über die Medizinaltechnik als Problem anerkannte. Ebenjene Medtech-Branche wurde von den Medien zum «ersten Opfer» des Verhandlungsabbruchs ernannt, denn am gleichen Tag, an dem das Rahmenabkommen beerdigt wurde, trat eine neue EU-Regulierung zu Medizinprodukten in Kraft. Zwar hatte die Schweiz ihr Recht an diese neue Regulierung angepasst, doch da die EU die Erneuerung des Abkommens zur gegenseitigen Anerkennung von Produktbescheinigungen verzögerte, galten Schweizer Anbieter in der EU fortan als Drittstaatenanbieter. Daher mussten Schweizer Exportfirmen plötzlich Bevollmächtigte mit Niederlassung im EU-Raum bestimmen und deren Produkte benötigten eine spezifische Etikettierung. Insgesamt rechnete der Branchenverband Swiss Medtech mit einmaligen Zusatzkosten von CHF 110 Mio. und einem jährlichen Zusatzaufwand in Höhe von CHF 75 Mio., was einer Exportsteuer von 1.4 bis 2 Prozent gleichkäme. Laut Swiss Medtech mache diese neue Regelung die Schweiz als Hauptsitz für aussereuropäische Firmen unattraktiv.

Wie der Tages-Anzeiger berichtete, hatten europafreundliche Akteure aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft schon im Vorfeld des Verhandlungsabbruchs unter der Leitung der Operation Libero über eine Volksinitiative zur institutionellen Einigung mit der EU beraten. Die Operation Libero verkündete, dass die Idee einer Volksinitiative nach dem Scheitern des Rahmenabkommens «überhaupt nicht vom Tisch» sei. Zwar sei es schwieriger geworden, die Unterzeichnung des Rahmenabkommens zu fordern, doch es gebe weiter Ideen, wie man die institutionellen Fragen mit der EU klären könnte. Der emeritierte Rechtsprofessor Thomas Cottier befürwortete die Lancierung einer Volksinitiative, denn es müsse endlich eine richtige europapolitische Debatte in Gang gesetzt werden. Den Plan B des Bundesrats, sich durch Stabilex einseitig an EU-Recht anzupassen, bezeichnete er als «kolossales Eigentor» und den Ausgang der Verhandlungen als «Regierungsversagen», weil die Schweiz sich damit noch stärker als bisher selbstständig an das EU-Recht anpassen werde ohne über ein Mitspracherecht zu verfügen und ohne dass dadurch der Marktzugang gesichert werde. Cédric Wermuth und SP-Nationalrat Eric Nussbaumer (sp, BL) gingen in ihren Vorschlägen noch weiter und stellten einen EU- oder EWR-Beitritt in Aussicht. Um diese Annäherung zu starten, schlug die SP ein ganzes Bündel an Massnahmen, Reformen und Gesprächsangeboten vor. Die Kohäsionsmilliarde solle nicht nur freigegeben, sondern auch substanziell erhöht werden. Darüber hinaus solle die Schweiz in den Bereichen Migration, Green New Deal, Wirtschaftsprogramm nach Covid aber auch in Steuerfragen, wie der Unternehmensbesteuerung, Kooperationsverträge mit der EU abschliessen. Mittelfristig könne man so die Beziehung zur EU wieder normalisieren, erklärte Parteipräsident Wermuth. Die Forderung des EU-Beitritts mit Opting-Out (Ausnahmebestimmungen) seines Parteikollegen Fabian Molina beurteilte Wermuth nüchtern als «kein kurzfristig realistisches Szenario», aber er hielt die Beitrittsdiskussion für nötig. Molinas Extremposition stiess bei den Grünen und den Grünliberalen zu diesem Zeitpunkt jedoch auf wenig Unterstützung. Sowohl Balthasar Glättli (gp, ZH) wie auch Jürg Grossen bevorzugten gemässigtere Alternativen wie ein neues Rahmenabkommen oder den EWR. Die Mitte und die FDP distanzierten sich hingegen in der Öffentlichkeit von Annäherungsmassnahmen, die über die Freigabe der Kohäsionsmilliarde hinausgingen. Im Parlament wurden Anfang Juni verschiedene Vorstösse eingereicht, die vom Bundesrat eine umfassende Auslegeordnung der bilateralen Beziehungen forderten oder konkrete Handlungsalternativen vorschlugen, darunter auch eine Motion von Molina zum EU-Beitritt.

Abbruch der Verhandlungen über das Rahmenabkommen mit der EU
Dossier: Institutionelles Rahmenabkommen

Nach dem mit Spannung erwarteten Treffen zwischen Bundespräsident Parmelin und der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula Von der Leyen, am 23. April 2021 schien die Lage mehr oder weniger unverändert. Die Verhandlungen zu einem Rahmenabkommen wurden nicht abgebrochen, angenähert hatte man sich aber auch nicht und darüber hinaus seien auch keine weiteren Treffen vereinbart worden, berichtete die NZZ am Folgetag. «Wir haben festgestellt, dass wir in unseren Positionen weiterhin erhebliche Differenzen haben», fasste Bundespräsident Parmelin die Ergebnisse des eineinhalbstündigen Gesprächs vor der Presse lapidar zusammen. Der Chefsprecher der EU-Kommission erklärte im Nachgang des Treffens, dass die Schweiz die drei umstrittenen Bereiche gänzlich aus dem Abkommen herauslösen wolle, was aus Sicht der EU «nicht akzeptabel» sei. Dennoch zeigte sich die EU für weitere Verhandlungen offen und forderte die Schweiz auf, Kompromisse einzugehen. Bundesrat Parmelin liess verlauten, dass der Gesamtbundesrat die Situation analysieren werde und dafür auch die zuständigen Parlamentskommissionen, die Kantone und die Sozialpartner konsultieren wolle. Im Interview mit dem Sonntagsblick meinte Guy Parmelin, dass eine Verhandlung «immer das Risiko eines Scheiterns» beinhalte, wobei die Verhandlungen mit der EU aber noch nicht vorbei seien. Er deutete dabei an, dass der Bundesrat «immer in Alternativen denkt», relativierte aber zugleich, dass eine Diskussion über Alternativen zum Rahmenabkommen noch verfrüht sei. Die Stimmbevölkerung solle aber nur dann über das Abkommen entscheiden dürfen, wenn der Bundesrat von dessen Inhalt überzeugt sei.
Die Reaktionen der Schweizer Parteien verdeutlichten die Ungewissheit über den Zustand des Rahmenabkommens. Während die SVP offiziell die Beerdigung des Rahmenvertrags forderte, begrüsste die FDP die Weiterführung der Gespräche. Jürg Grossen (glp, BE) kritisierte, dass der Bundesrat Maximalforderungen eingebracht habe, womit er mutwillig das Scheitern des Abkommens riskiert habe. Economiesuisse und Swissmem bedauerten die ausbleibenden Fortschritte, wohingegen die Mitte und die SP bekräftigten, den Vertrag in der vorliegenden Form ablehnen zu wollen. Die Gewerkschaften zeigten sich weiterhin unerbittlich und hielten daran fest, das Abkommen zu blockieren, solange der Lohnschutz nicht davon ausgenommen werde. Ausgerechnet in der SP – die sich lange auf diesen Standpunkt gestellt hatte – regte sich nach dem Treffen jedoch vereinzelt Widerstand gegen diese Haltung. Eine Gruppe prominenter Parteimitglieder – darunter Alt-Bundesrat Moritz Leuenberger und Nationalrat Molina (sp, ZH) – setzten sich hingegen dafür ein, dass der Lohnschutz zwar ins Abkommen aufgenommen wird, dort aber garantiert wird. Diesem Vorgehen diametral entgegen stand SGB-Präsident Maillard, der den EuGH nicht an der Auslegung der Schweizer Lohnschutzmassnahmen teilhaben lassen wollte. Die APK-NR gab in einer Stellungnahme bekannt, dass sie den Bundesrat dazu auffordere, erneut Kompromissvorschläge auszuarbeiten, um die drei offenen Punkte zu lösen – flankierende Massnahmen, Unionsbürgerrichtlinie und staatliche Beihilfen – und das Abkommen zeitnah abzuschliessen. Die APK-SR machte sich hingegen bereits auf ein Scheitern des Rahmenabkommens gefasst und nahm einen Antrag an, der vom Bundesrat ein aussenpolitisches Konzept forderte, in dem dieser aufzeigen solle, wie die Beziehungen mit der EU im Sinne eines «Modus Vivendi» für die kommenden Jahre konstruktiv und stabil gestaltet werden könnten.
Die EU schien nach dem ergebnislosen Spitzentreffen auf Nebenschauplätzen zusätzlichen Druck auf die Schweiz aufbauen zu wollen. Am 26. April berichtete die NZZ über Aussagen einer EU-Beamtin, dergemäss die Gespräche über die Teilnahme am Forschungsprogramm Horizon Europe erst dann beginnen würden, wenn die Schweiz den zweiten Kohäsionsbeitrag freigegeben habe. Dieser war von der Schweiz blockiert worden, nachdem die EU der Schweiz die Börsenäquivalenz entzogen hatte. Wegen der fehlenden Assoziierung der Schweiz an Horizon Europe wurde zudem Anfang Mai der Aufnahmeantrag der SBB für ein paneuropäisches Bahnprojekt sistiert und der Tages-Anzeiger vermutete auch hinter der Aufhebung der Exportkontrolle für Corona-Impfstoffe der EU für Liechtenstein eine Ungleichbehandlung gegenüber der Schweiz.
Für Aufsehen sorgte wenige Tage nach dem Treffen in Brüssel die Veröffentlichung des Schweizer Verhandlungsmandats, welches gegen den Willen des Bundesrats an die Medien gelangt war. Die NZZ stellte fest, dass die Schweiz in den drei strittigen Punkten zwar weitreichende Eingeständnisse gefordert habe, diese jedoch nicht so weit gingen, wie es die EU dargestellt hatte. So habe die Schweiz zwar den expliziten Ausschluss gewisser Aspekte, aber keinen vollständigen Ausschluss der Unionsbürgerrichtlinie gefordert. Als Knackpunkt erwies sich offensichtlich vor allem das «Recht auf Daueraufenthalt», da das EJPD Fürsorgeabhängigkeit und erschwerte Ausschaffungsbedingungen befürchtete.
In der Zwischenzeit blieb auch das Parlament nicht untätig. Die FDP-Fraktion sowie Aussenpolitikerinnen und Aussenpolitiker verschiedener Parteien verlangten vom Bundesrat eine Stellungnahme zu den potenziellen Risiken im Falle eines Scheiterns des Rahmenabkommens. Hervorgehoben wurden in der Interpellation (Ip. 21.3516) vor allem die auslaufenden Marktzugangsabkommen sowie die Nachteile bei Forschungs- und Bildungsprogrammen. Auch die APK-NR wurde aktiv und forderte vom Bundesrat die Herausgabe eines als geheim deklarierten Dokuments, welches die negativen Folgen eines Scheiterns im Detail darstellte. Nationalrätin Schneider-Schneiter (mitte, BL) liess verlauten, dass der Inhalt dieser Studie zentral für die Meinungsbildung sei, und ihr Ratskollege Nussbaumer (sp, BL) befand es für «unsäglich», wie der Bundesrat in diesem Dossier die «Rechte des Parlaments beschnitten» habe.
Während die Meinungsbildung der Aussenpolitikerinnen und Aussenpolitiker noch im Gange war, verlangten die Kantone vom Bundesrat die Fortführung der Verhandlungen. Auch aufseiten der EU fand sich weiterhin Unterstützung für das Rahmenabkommen. Am 11. Mai trafen sich die Europa-Minister der 27 EU-Mitgliedstaaten und ermutigten die Kommission dazu, die Verhandlungen mit der Schweiz nicht abzubrechen, sondern eine einvernehmliche Lösung zu erarbeiten. Weiterhin blieb jedoch unklar, welche Form eine derartige Lösung annehmen könnte, da beide Seiten keine weiteren Kompromisse einzugehen bereit waren. Die NZZ und der Tages-Anzeiger zeigten sich am 14. Mai in ihrer Berichterstattung etwas überrascht davon, dass Verteidigungsministerin Amherd dem Gesamtbundesrat einen «Plan B» vorgelegt habe. In einer Phase, in der viele Politiker das Abkommen bereits für tot erklärt hätten, setzte sich Amherd für ein Entgegenkommen der Schweiz ein. Ihr Vorschlag sah vor, dass die Schweiz die Unionsbürgerrichtlinie übernähme und im Gegenzug eine Schutzklausel eingeführt würde, mithilfe derer man die neuen Regeln in den ersten Jahren widerrufen könne, falls gewisse Grenzwerte überschritten würden. Damit wolle Amherd den Ergebnissen einer ersten bundesrätlichen Aussprache entgegenwirken, bei der eine Mehrheit der Ratsmitglieder zum Abbruch der Verhandlungen tendiert habe, wie der Tages-Anzeiger berichtete. Amherds Vorschlag fand Zuspruch bei der APK-NR, die wenige Tage darauf den Bundesrat zur Anpassung des Verhandlungsmandats aufforderte, um doch noch einen Kompromiss zu ermöglichen. Zudem machte sie wie zuvor schon ihre Schwesterkommission deutlich, dass der Verhandlungsabbruch ohne Konzept für die Weiterführung der bilateralen Verträge keine Möglichkeit darstelle. Schliesslich manifestierte sich auch in der Zivilbevölkerung Widerstand gegen das drohende Verhandlungsende. Eine «Allianz von Europafreunden», wie der Tages-Anzeiger sie bezeichnete, erarbeitete einen Initiativtext, um das Rahmenabkommen notfalls vor das Stimmvolk zu bringen. Diese Allianz setzte sich auf unterschiedlichen Interessensgruppen zusammen, darunter die Operation Libero, das Komitee «Progresuisse», aber auch die Alt-Bundesräte Arnold Koller (cvp) und Doris Leuthard (cvp).

Abbruch der Verhandlungen über das Rahmenabkommen mit der EU
Dossier: Institutionelles Rahmenabkommen

In der Volksabstimmung vom 7. März 2021 wurde das Bundesgesetz über elektronische Identifizierungsdienste (E-ID-Gesetz) mit 64.4 Prozent Nein-Stimmen schweizweit wuchtig abgelehnt. Kein Kanton stimmte dem Gesetz zu; den höchsten Ja-Anteil erzielte es im Tessin mit 44.2 Prozent. Am deutlichsten fiel die «Ohrfeige», wie die Presse das Resultat vielfach betitelte, im Kanton Basel-Stadt aus, wo sich nur 29.3 Prozent der Stimmberechtigten für die Vorlage aussprachen. Die Stimmbeteiligung lag schweizweit bei 51.3 Prozent.
Das ausgesprochen klare Nein bedurfte in den Medien denn auch nicht langer Interpretation: «Durchgefallen» lautete das Verdikt im St. Galler Tagblatt und im «Corriere del Ticino»; die Stimmbevölkerung habe die E-ID «versenkt», urteilten die Westschweizer Zeitungen «La Liberté», «L'Express» und «Le Nouvelliste». Wahlweise als «Schlappe», «Klatsche», «Abfuhr», «Bruchlandung» oder «Debakel» wurde das Resultat in verschiedenen Deutschschweizer Zeitungen bezeichnet. Im Hinblick auf die vorgesehene Lösung mit privaten E-ID-Anbieterinnen und -Anbietern erkannte die NZZ darin ein «Misstrauensvotum gegen die Banken, Versicherungen und bundeseigenen Unternehmen», die sich im Konsortium SwissSign zusammengeschlossen und auf die Herausgabe der E-ID vorbereitet hatten.
Einig waren sich das unterlegene Befürwortendenlager und die siegreiche Gegnerschaft darin, dass sich das Votum nicht gegen die Idee einer E-ID an sich richtete – von der Notwendigkeit einer solchen im digitalen Zeitalter zeigten sich alle überzeugt –, sondern gegen die Ausgestaltung mit privaten Anbieterinnen und Anbietern. «Das Misstrauen gegenüber einer nicht staatlichen Lösung reichte weit ins bürgerliche Lager, obwohl die offiziellen Parteidevisen jeweils eindeutig schienen», resümierte die Aargauer Zeitung. Der «Blick» fasste zusammen: «Alle wollen die E-ID – aber vom Staat!»
So kündigte die Contra-Seite bereits am Abstimmungssonntag an, im Parlament schnellstmöglich auf ein neues Projekt mit einer staatlichen E-ID hinarbeiten zu wollen. SP, Grüne und GLP wollten in der Folgewoche zwei entsprechende Vorstösse einreichen, liess die Zürcher SP-Nationalrätin Min Li Marti in der NZZ verlauten. Die für das gescheiterte Gesetz zuständige Bundesrätin Karin Keller-Sutter wollte ihrerseits dem Bundesrat ein Aussprachepapier vorlegen, um über das weitere Vorgehen zu entscheiden, wie sie gegenüber den Medien bekanntgab. Es sei nun wichtig, dass die Regierung und die Parteien die Unsicherheiten und Ängste der Bevölkerung ernst nehmen würden. Unterdessen bedeute das Abstimmungsresultat aber nicht, dass eine rein staatliche Lösung automatisch eine Mehrheit erzielen würde, gab sie zu Bedenken.


Abstimmung vom 7. März 2021

Beteiligung: 51.29%
Ja: 984'574 (35.6%)
Nein: 1'778'196 (64.4%)

Parolen:
– Ja: EVP (2*), FDP, KVP, Mitte (Junge Mitte: 2*), SVP (2*; JSVP: 1*); KdK, SGV, SSV, Economiesuisse, SAV, SGV, Baumeisterverband, Swissmem, SwissICT, SwissBanking, VöV
– Nein: EDU, GLP (6*; JGLP: 1*), GP (1*), PdA, Piratenpartei, SD, SP (1*); SGB, Travail.Suisse, VPOD, Syndicom, Schweizerischer Seniorenrat, Schweizerischer Verband für Seniorenfragen, Vereinigung aktiver Senioren- und Selbsthilfeorganisationen in der Schweiz (VASOS)
– Stimmfreigabe: Pro Senectute
* Anzahl abweichender Kantonalsektionen

E-ID-Gesetz
Dossier: Elektronische Identität

Jahresrückblick 2020: Verbände

Verschiedene Branchenverbände befürchteten aufgrund der zur Eindämmung des Coronavirus verhängten Massnahmen drastische Folgen für die durch sie vertretenen Wirtschaftssektoren. Entsprechend forderten sie während des Lockdowns und danach bessere Kreditbedingungen oder Ausnahmeregelungen für ihre Branchen: Beispielsweise forderten die Verbände Hotelleriesuisse und Gastrosuisse vom Bundesrat einen Erlass der Covid-19-Kredite und eine rasche Wiedereröffnung der Restaurants und Bars; der Industrieverband Swissmem wollte, dass dringend benötigte Spezialistinnen und Spezialisten die verhängten Einreisesperren umgehen können. Unterstützt wurde die Forderung durch Economiesuisse. Beide Verbände erhofften sich zudem eine Abschaffung der Industriezölle, um Unternehmen finanziell zu entlasten.
Auch eine Forderung der Unia bezüglich des Lockdowns sorgte für Aufsehen. Weil gemäss der Gewerkschaft Arbeitnehmende in Industrie und Gewerbe während des Lockdowns nicht ausreichend geschützt waren – ein Banker könne etwa im Homeoffice arbeiten und dadurch die vom Bund empfohlenen Hygiene- und Abstandsregeln gut einhalten, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Industrie, im Detailhandel, im Gewerbe oder auf dem Bau müssten weiterhin ungeschützt ihren beruflichen Tätigkeiten nachgehen –, forderte Unia-Chefin Vania Alleva landesweit eine Schliessung von Baustellen und Betrieben, bis auch dort umsetzbare und greifende Schutzmassnahmen und -konzepte erarbeitet worden seien. Seitens der Tagespresse musste sich Alleva aufgrund der hohen Kosten, welche diese Massnahme für Industrie und Gewerbe mit sich gebracht hätte, teils scharfen Vorwürfen stellen.

Abseits von Corona ging das Verbandswesen seinen gewohnten Gang. So kam es beispielsweise zu Personalmutationen (nicht abschliessende Auflistung): Jacques Bourgeois trat Ende März nach fast zwei Jahrzehnten von seinem Amt als Direktor des Schweizerischen Bauernverbands (SBV) zurück und wurde von Martin Rufer abgelöst. Flavia Kleiner gab ihr Amt als Co-Präsidentin bei Operation Libero per 20. Juni ab, nachdem sie dieses seit der Gründung der Bewegung 2014 innegehabt hatte, zuletzt zusammen mit Laura Zimmermann. Ihre Nachfolge trat Stefan Manser-Egli an. Einen Wechsel gab es auch bei Economiesuisse, hier trat Christoph Mäder per 1. Oktober die Nachfolge des bis dahin amtierenden Economiesuisse-Präsidenten Heinz Karrer an. Karrer hatte zuvor zwölf Jahre im Vorstand des Wirtschaftsverbands geamtet, sieben davon als Präsident. Ebenfalls im Oktober wurde am Gewerbekongress in Freiburg der Tessiner Fabio Regazzi (cvp) als neuer Präsident des Schweizerischen Gewerbeverbandes (SGV) bestätigt, Diana Gutjahr (svp, TG) wurde in den Vorstand gewählt. Gemäss NZZ wäre die Wahl Gutjahrs anstelle Regazzis wünschenswert gewesen, denn sie, so analysierte die Zeitung, hätte unter anderem in Anbetracht der tiefen Frauenquote beim SGV frischen Wind in den Verband gebracht.

Ferner fanden 2020 mehrere Volksabstimmungen statt. Auch die Verbände nahmen zu den Anliegen Stellung und fassten Parolen.
Medienwirksam diskutiert wurde die von der AUNS zusammen mit der SVP lancierte Begrenzungsinitiative. Sowohl die grossen Wirtschaftsverbände – vertreten durch den SGV und Economiesuisse – als auch die Arbeitnehmerverbände – vertreten durch den Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB), Travail.Suisse sowie die Gewerkschaften Unia, Syna und VPOD – lehnten die Initiative ab. Ein besonders wichtiges Gegenargument war die Befürchtung einer Kündigung des Personenfreizügigkeitsabkommens mit der EU, die eine Annahme der Initiative womöglich zur Folge gehabt hätte.
Die grossen Schweizer Wirtschaftsdachverbände Economiesuisse, der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV), der SGV sowie der SBV fassten ferner gemeinsam die Nein-Parole zur ebenfalls viel diskutierten Konzernverantwortungsinitiative, über die im November abgestimmt wurde. Diese verlangte, dass Unternehmen rechtlich belangt werden können, sollten diese oder ihre Tochterfirmen im Ausland gegen geltende Menschenrechte und Umweltstandards verstossen. Die Wirtschaft, so hiess es seitens der Verbände, stehe ohne Wenn und Aber zu den Menschenrechten und Umweltstandards, doch, so die Argumentation, würde eine Annahme der Initiative Betroffenen im Ausland kaum helfen, zu Rechtsunsicherheit führen und dabei die Schweizer Wirtschaft unter Generalverdacht stellen. Der Gegenvorschlag, welcher bei Ablehnung der Initiative in Kraft treten würde und anstelle von rechtlichen Konsequenzen mehr Transparenz forderte, genoss von den Verbänden Unterstützung. Eine noch grössere Anzahl an Verbänden und insbesondere NGOs stand hingegen für die Initiative ein: Amnesty International, Greenpeace, Swissaid oder die Gesellschaft für bedrohte Völker gehörten zu den Trägerorganisationen der Konzernverantwortungsinitiative. Die Operation Libero, die Unia, der WWF, Terre des Femmes, der SGB und zahlreiche weitere Umweltschutz-, Menschenrechts- und Arbeitsrechtsorganisationen sicherten dem Anliegen ihre Unterstützung zu.

Auch historische Jubiläen konnten im Coronajahr begangen werden: Die Dachorganisation für lokale und regionale Behindertenorganisationen Pro Infirmis feierte ihr 100-jähriges Bestehen; Economiesuisse konnte diese Zahl gar noch überbieten: Seit 150 Jahren gibt es den Dachverband der Schweizer Wirtschaft, wenngleich nicht immer in gleicher Form wie heute.

Zu Jahresbeginn erreichte der Anteil der Zeitungsberichte zum Thema «Verbände» gemessen an allen anderen 2020 durch Année Politique Suisse erfassten Berichte seinen höchsten Wert und sank dann, mit einem erneuten leichten Anstieg im Sommer, bis Ende Jahr deutlich ab. Am stärksten in den Medienberichterstattungen vertreten waren die Industrieverbände sowie die Gewerkschaften und Arbeitnehmerverbände. Ebenfalls öfters Thema der medialen Berichterstattung waren die Gewerbeverbände, wenig vertreten waren hingegen die Landwirtschaft und die übrigen Arbeitgeberverbände.

Jahresrückblick 2020: Verbände
Dossier: Jahresrückblick 2020

Am 25. September 2020, und damit nur wenige Tage vor der Abstimmung über die Begrenzungsinitiative, veröffentlichte das SRF einen Brief der Sozialpartner an den Bundesrat aus dem August 2020 und bezeichnete das Rahmenabkommen als «klinisch tot». In besagtem Brief hielten der SAV, der SGV, der SGB und TravailSuisse die Ergebnisse ihrer Aussprache zum Rahmenabkommen fest. Die Sozialpartner machten deutlich, dass das Rahmenabkommen in der gegenwärtigen Form nicht unterzeichnet werden solle und brachten zahlreiche Änderungsforderungen zum Ausdruck. Unter anderem verlangten sie die Gewährleistung des autonomen Lohnschutzes (inkl. Kautionen) und einen Teilausschluss der Unionsbürgerrichtlinie, um den Bezug von Sozialleistungen durch arbeitslose EU-Bürger und -Bürgerinnen zu verhindern. SGV, SGB und TravailSuisse riefen den Bundesrat dazu auf, ein Rahmenabkommen mit einem bilateralen Streitschlichtungsmechanismus und dem Ausschluss der vitalen Interessen – also Lohnschutz, Teile der Unionsbürgerrichtlinie und Staatsbeihilfen – zu entwickeln. Nur der SAV zeigte sich mit der Logik des vorliegenden Entwurfs einverstanden und forderte einzig eine weitergehende völkerrechtliche Absicherung im Bereich der flankierenden Massnahmen. Gemäss Angaben aller Beteiligten hätte die Stellungnahme der Sozialpartner erst nach erfolgter Volksabstimmung bekannt gegeben werden sollen, berichtete der Tages-Anzeiger. Wenige Stunden nach Veröffentlichung des Briefs kündigte EU-Ratspräsident Charles Michel auf Twitter an, dass man die Wettbewerbsbedingungen im EU-Markt von nun an besser durchsetzen werde, auch für jene die sich der Union annähern möchten. Die Sonntagszeitung sah in dieser Formulierung eine klare Drohung an die Schweiz und befürchtete, dass die EU die bestehenden Verträge nicht mehr aktualisieren würde, sofern die Schweiz das Rahmenabkommen nicht endlich abschliesse. SGB-Chef Maillard, der den Brief mitunterzeichnet hatte, betonte in einem Interview mit der WOZ, dass der vorliegende Vertragstext bei der Bevölkerung gegen die Gewerkschaften, das Gewerbe, grosse Teile der CVP, viele Kantone und ehemalige Bundesräte kaum eine Chance hätte. Bei einer Abstimmung würde sich nur die SVP profilieren, der man damit ein Geschenk machen würde. Maillard zeigte sich einer Alternativlösung gegenüber offen, bei der sich die Schweiz mittels einer erhöhten finanziellen Beteiligung am EU-Haushalt mehr Zeit für die Verhandlungen erkaufen würde. Ähnliche Vorschläge hatten zuvor auch Alt-Bundesrat Johann Schneider-Ammann, Ständerat Andrea Caroni (fdp, AR) und SP-Präsident Cédric Wermuth (sp, AG) gemacht.
Hans Hess, Präsident von Swissmem, äusserte in einem NZZ-Interview die Meinung, dass der Bundesrat das Rahmenabkommen ohne Zustimmung der Gewerkschaften verabschieden solle, da nur das Volk ein Vetorecht habe und alle Interessengruppen angehört worden seien. Für Hess wäre es undemokratisch, wenn man dem Volk keine Chance gäbe, über das Abkommen abzustimmen, nur weil die Gewerkschaften an ihren «harten Positionen» festhielten. Der Widerstand der Sozialpartner führte in den Tagen danach auch zu neu entfachter Kritik vonseiten der Parteien. So betonten Petra Gössi (fdp, SZ), Cédric Wermuth und Pirmin Bischof (cvp, SO) gegenüber der NZZ allesamt, dass der Ball nun beim Bundesrat liege. Alle drei erwarteten jedoch «substanzielle inhaltliche Verbesserungen», die über Präzisierungen und unverbindliche Absichtserklärungen hinausgingen. CVP-Ständerat Bischof forderte Verbesserungen in den souveränitätspolitischen Fragen wie der dynamischen Rechtsübernahme und der Rolle des EuGH bei der Streitbeilegung, da diese mit dem direktdemokratischen und föderalistischen System der Schweiz schwer zu vereinbaren seien. Damit stünden die Chancen auf einen erfolgreichen Vertragsabschluss schlecht, so die NZZ, denn der Bundesrat habe die Teile des Abkommens, die sich auf Souveränitätsfragen bezogen, bereits akzeptiert. Wenn die Schweiz auch diesbezüglich Nachverhandlungen fordern würde, stiesse das bei der EU kaum auf Verständnis.

Aussprache der Sozialpartner zum Rahmenabkommen
Dossier: Institutionelles Rahmenabkommen

Noch bevor der Abstimmungskampf zur Änderung der direkten Bundessteuer zur steuerlichen Berücksichtigung der Kinderdrittbetreuungskosten, über die im Mai 2020 hätte abgestimmt werden sollen, richtig begonnen hatte, gab der Bundesrat im März 2020 bekannt, die Abstimmung aufgrund des Corona-bedingten Lockdowns auf September 2020 zu verschieben.
Die Abstimmungsvorlage umfasste zwei Aspekte: einerseits die im Titel aufgeführte Erhöhung des Drittbetreuungsabzugs von CH 10'000 auf CHF 25'000, andererseits die der Vorlage von der bürgerlichen Parlamentsmehrheit hinzugefügte Erhöhung des Kinderabzugs von CHF 6'500 auf CHF 10'000. Im Zentrum der Abstimmungskampagne stand der zweite Aspekt, die Erhöhung des Kinderabzugs, wobei dieselbe Frage die Diskussion dominierte, die schon im Rahmen der Parlamentsdebatte im Mittelpunkt gestanden hatte: Wer profitiert von den Kinderabzügen? Zur Beantwortung dieser Frage stützten sich beide Seiten auf die Daten der ESTV, welche Finanzminister Maurer in der Parlamentsdebatte präsentiert hatte.
Die Befürworterinnen und Befürworter stellten den Nutzen der Vorlage für den Mittelstand in den Mittelpunkt ihrer Kampagne. «Der Mittelstand profitiert», warb etwa die CVP auf ihrer Internetseite. Stütze man sich auf die Definition des BFS für «Mittelstand», erhalte der Mittelstand 49 Prozent der Ermässigungen, argumentierte Marianne Binder-Keller gegenüber dem Sonntagsblick. Gegen diese Darstellung wehrten sich die Gegnerinnen und Gegner der Vorlage: Der (obere) Mittelstand profitiere zwar auch, in erster Linie nütze die Vorlage aber vor allem den Gutverdienenden, kritisierten sie: Je höher das Einkommen, desto grösser sei der Spareffekt. 70 Prozent der Gesamtentlastung kämen so den 15 Prozent der Familien mit den höchsten Löhnen zu, während 45 Prozent der Familien keine Entlastung erfahren würden, da sie keine Bundessteuern bezahlten. Gar als «Klientelpolitik» bezeichnete etwa das liberale Komitee, vor allem bestehend aus Mitgliedern der GLP, die Vorlage. Noch einseitiger sei die Verteilung schliesslich, wenn nicht nur die Familien, sondern alle Haushalte, also auch die Alleinstehenden und die kinderlosen Paare, die ja ebenfalls von den Steuerausfällen betroffen wären, berücksichtigt würden, betonte überdies Jacqueline Badran (sp, ZH). Berücksichtige man diese ebenfalls, profitierten lediglich sechs Prozent aller Haushalte von 70 Prozent der Steuerausfälle. Man lasse jedoch den Mittelstand im Glauben, dass er von der Vorlage profitiere, indem in der Debatte sowie im Abstimmungsbüchlein jeweils das steuerbare Einkommen aufgeführt werde. Dies sei «total irreführend» (Badran gemäss Blick), da niemand die Höhe seines persönlichen steuerbaren Einkommens kenne. Die ESTV begründete die Verwendung des steuerbaren Einkommens jedoch damit, dass sich der tatsächliche Steuerbetrag beim Bruttoeinkommen zwischen verschiedenen Personen stark unterscheiden könne.
Obwohl die Befürworterinnen und Befürworter immer betonten, dass die Mehrheit der Familien profitiere, gab zum Beispiel Philipp Kutter (cvp, ZH), der die Erhöhung der Kinderabzüge im Nationalrat eingebracht hatte, in einem Interview gegenüber der NZZ unumwunden zu, dass die Vorlage auch eine Steuersenkung für Gutverdienende beinhalte: Über den Steuertarif seien allgemeine Steuersenkung für Gutverdienende «chancenlos», mehrheitsfähig sei einzig der «Weg über die Kinderabzüge».

Nicht nur der Mittelstand, sondern auch die Familien standen im Zentrum der Vorlage. Diese müssten endlich unterstützt werden, betonte Philipp Kutter, was mithilfe der aktuellen Vorlage möglich sei: 60 Prozent aller Familien könnten von einer Erhöhung des Kinderabzugs profitieren. Dem entgegnete etwa die NZZ, dass die Familien in den letzten Jahren stark entlastet worden seien (v.a. durch die Reduktion der Bundessteuer für Haushalte mit Kindern), deutlich stärker zumindest als Kinderlose. Brigitte Häberli-Koller (cvp, TG) befürwortete indes insbesondere, dass durch die aktuelle Vorlage alle Familienmodelle unabhängig der Betreuungsform entlastet würden. Die Gesellschaft habe als Ganzes ein Interesse daran, dass die Leute Kinder bekommen, ergänzte Kutter. Familiäre Strukturen seien für die Gesellschaft wichtig, überdies sei man dadurch weniger auf Zuwanderung angewiesen, die ja ebenfalls teilweise auf Ablehnung stosse. Demgegenüber wurde in der NZZ die Frage diskutiert, ob Kinderabzüge überhaupt gerechtfertigt seien. So könne man es als private Konsumentscheidung ansehen, Kinder zu haben; in diesem Falle würden Kinderabzüge der Besteuerung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit widersprechen. Es gäbe aber einen politischen Konsens, dass das Steuerrecht Kinderkosten berücksichtigen solle. Die Entscheidung, wie diese Unterstützung erfolgen solle (durch degressiv wirkende Kinderabzüge, neutral wirkende Abzüge vom Steuerbetrag oder durch progressiv wirkende Kinderzulagen zum Erwerbseinkommen), sei dann eine weitere, umverteilungspolitische Entscheidung.

Ein weiteres Argument der Gegnerinnen und Gegner der Erhöhung des Kinderabzugs lag in den daraus folgenden hohen Kosten: Die Vorlage verursache voraussichtlich fast 40mal höhere Kosten, als für die Erhöhung des Drittbetreuungsabzugs geplant worden war, und übertreffe damit auch die Kosten der medial deutlich umstritteneren Verlängerung des Vaterschaftsurlaubs. Dadurch sei zukünftig weniger Geld für andere, sinnvollere Projekte vorhanden, argumentierten sie. SP, Grüne und die Kritikerinnen und Kritiker der Vorlage aus der FDP stellten dabei insbesondere die Individualbesteuerung in den Mittelpunkt. Dieser sprachen sie eine deutlich grössere Wirkung auf die Erwerbstätigkeit von Frauen zu als den Drittbetreuungsabzügen. Da sie aber ebenfalls zu hohen Steuerausfällen führen würde, befürchteten sie, dass die Abschaffung der Heiratsstrafe bei Annahme der aktuellen Vorlage auf die lange Bank geschoben würde, weil kein Geld mehr vorhanden wäre. Verstärkt wurde dieses Argument durch die hohen Kosten zur Bewältigung der Corona-Pandemie: Hatte der Bundesrat während der Budgetdebatte fürs Jahr 2020 noch mit einem Überschuss von CHF 344 Mio. gerechnet, wurde jetzt ein Defizit über CHF 20 Mrd. erwartet. Die Medien vermuteten von diesem Defizit nicht nur Auswirkungen auf die Vorlage zum Drittbetreuungs- und zum Kinderabzug, sondern auch auf die gleichzeitig stattfindenden Abstimmungen zu den Kampfflugzeugen und über den Vaterschaftsurlaub. «Angesichts enormer Zusatzlasten kann sich unsere Gesellschaft erst recht keine Steuergeschenke mehr leisten, die nichts bringen», argumentierte etwa GLP-Nationalrat Thomas Brunner (glp, SG). Das sahen die Befürwortenden anders, Philipp Kutter etwa betonte: «Das wird den Bund nicht umbringen».

Schliesslich waren sich Befürwortende und Gegnerschaft nicht einig, inwiefern das ursprüngliche Ziel der Vorlage, die Förderung der Beschäftigung hochgebildeter Personen, insbesondere von Frauen, durch die Ergänzung der Kinderabzüge gefördert wird. Raphaela Birrer argumentierte im Tages-Anzeiger, dass die Erhöhung der Kinderabzüge die Anreize zur Erhöhung der Erwerbstätigkeit verstärke. In einer Studie zur Wirkung der beiden Abzüge (Kinderabzug und Drittbetreuungsabzug) auf die Erwerbstätigkeit bestätigte Avenir Suisse diesen Effekt nur bedingt: Zwar senkten beide Abzüge den Grenzsteuersatz (also die Besteuerung von zusätzlichem Einkommen) und förderten damit die Erwerbstätigkeit, jedoch sei der entsprechende Effekt des Kinderabzugs gering. Zudem senke er auch den Grenzsteuersatz von Einverdienerhaushalten, wodurch die Erwerbstätigkeit von Frauen nicht gesteigert werde. Von der Erhöhung des Betreuungskostenabzugs sei hingegen ein deutlich stärkerer Effekt auf die Erwerbstätigkeit zu erwarten, damit könne der Anreiz des aktuellen Steuersystems für Zweitverdienende, nicht oder nur wenig zu arbeiten, gemildert werden. Die GLP stellte entsprechend insbesondere diesen Aspekt in den Mittelpunkt und sprach von einer Mogelpackung, weil die Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch die Erhöhung des Kinderabzugs nicht verbessert werde. Nationalrätin Christa Markwalder (fdp, BE), die sich ebenfalls im liberalen Komitee engagierte, reichte im Juni 2020 eine parlamentarische Initiative (Pa.Iv. 20.455) ein, mit der sie das Originalanliegen der Vorlage, also den Drittbetreuungsabzug, erneut aufnahm. Damit sollte dieser bei einer Ablehnung der Vorlage möglichst schnell verwirklicht werden können.
Die Frage, ob die Vorlage Anreize zur Erhöhung der Erwerbstätigkeit beinhalte oder nicht, hatte aber noch eine zweite Komponente. So störte sich die Weltwoche überhaupt daran, dass das Steuerrecht «für alle möglichen Zwecke instrumentalisiert» werde. Es sei nicht dafür da, «bestimmte Lebensmodelle zu fördern», argumentierte Katharina Fontana. Zudem sei es unmöglich, Steuergerechtigkeit herzustellen, zumal sich niemand jemals gerecht besteuert fühle.

Bezüglich der Komitees gibt es weniger zu sagen. Auf der Befürworterseite der Vorlage standen insbesondere die CVP und die SVP. Ja-Parolen gaben auch die BDP, EVP und die FDP.Liberalen aus, unterstützt wurden sie vom Gewerbeverband. Die Medien interessierten sich indes insbesondere für die Position der Freisinnigen, zumal sie die Vorlage im Parlament anfangs bekämpft, ihr mit ihrem Meinungswandel dann aber zum Durchbruch verholfen hatten. Nun wolle sich die Partei nicht an der Kampagne beteiligen, so die WOZ, zumal sie intern gespalten war: Einzelne Personen, darunter Ständerat Andrea Caroni (fdp, AR) und Nationalrätin Christa Markwalder, sprachen sich gegen die Vorlage aus und beteiligten sich gar am liberalen Nein-Komitee. Dieses setzte sich insbesondere aus Mitgliedern der GLP zusammen und kämpfte vor allem dagegen, dass die «Mogelpackung» viel koste, aber keine oder gar negative Auswirkungen hätte. Damit würden «keine Anreize für arbeitstätige Elternteile geschaffen», betonte Kathrin Bertschy (glp, BE). Auf linker Seite kämpften vor allem die SP und die Grünen, welche die Unterschriften für das Referendum gesammelt hatten, für ein Nein. Unterstützt wurden sie von den Gewerkschaften, aber auch Avenir Suisse sprach sich gegen die Kinderabzüge aus. Stimmfreigabe erteilten hingegen unter anderem die FDP Frauen. Sie befürworteten zwar den Drittbetreuungsabzug, störten sich aber an den hohen Kosten des Kinderabzugs, durch den das wichtigere Projekt der Individualbesteuerung weiter hinausgeschoben werde. Auch der Arbeitgeberverband entschied sich für Stimmfreigabe, nachdem er das Projekt im Parlament noch bekämpft hatte, da es «kaum zu einer stärkeren Arbeitstätigkeit der Eltern beitrage», wie der Blick berichtete. Dasselbe geschah mit Economiesuisse, der das Kosten-Nutzen-Verhältnis der Vorlage anfangs zu wenig ausgewogen gewesen sei. Der Sonntags-Blick vermutete, dass sich die Verbände nicht zu einer Nein-Parole hätten durchringen können, da das Referendum «aus dem falschen politischen Lager» stammte. Interessant war für die Medien schliesslich auch die Position des Bundesrates, insbesondere von Finanzminister Maurer. Dieser hatte die Vorlage im Parlament mit deutlichen Worten bekämpft, vertrat nun aber – wie im Gesetz für politische Rechte geregelt – die Position des Parlaments. Ersteres hatte er so gut getan, dass sich auch die NZZ nicht sicher war, ob er denn nun die Vorlage persönlich befürworte, wie seine Partei, oder sie ablehne.

Der Abstimmungskampf zur Vorlage verlief ungemein schwach. So stand sie deutlich im Schatten der Corona-Pandemie sowie der anderen vier Vorlagen. Sie wurde gemäss Analysen vom Fög und von Année Politique Suisse einerseits nur sehr schwach in Zeitungsinseraten beworben und andererseits auch in den Medien vergleichsweise selten thematisiert. Die briefliche Stimmabgabe deutete anfänglich auf mässiges Interesse am Super-Sonntag hin, wie der Abstimmungstag mit fünf Vorlagen in den Medien genannt wurde. Die SP schaltete sieben kurze Animationsfilme und gab ein Comic-Heftchen zu den Filmen aus, um zu verhindern, dass die Vorlage untergeht. Die ersten Vorumfragen Mitte August 2020 zeigten dann auch, dass die Meinungsbildung zur Vorlage noch nicht weit fortgeschritten war. Auf diese Tatsache wurde in den entsprechenden Berichten das Zwischenergebnis, wonach die Sympathisierenden von SP und Grünen die Vorlage mehrheitlich befürworteten, zurückgeführt. Besserverdienende gaben zu diesem Zeitpunkt an, der Vorlage eher zuzustimmen. Christian Levrat (sp, FR) hoffte, diese Personen durch die Kampagne noch umstimmen zu können. Die erste Tamedia-Umfrage ergab insgesamt eine Zustimmung («dafür» oder «eher dafür») von 55 Prozent und eine Ablehnung von 37 Prozent, während die SRG-Vorumfrage mit 51 Prozent zu 43 Prozent zu ähnlichen Ergebnissen kam. Diese Zahlen kehrten sich bis zum Termin der letzten Welle Mitte September um: Die Tamedia-Umfrage ergab eine Zustimmung von 46 Prozent und eine Ablehnung von 51 Prozent, die SRG-Umfrage eine von 43 Prozent zu 52 Prozent. Bei den Sympathisierenden von SP und Grünen war die Zustimmung vom ersten zum zweiten Termin gemäss SRG-Umfragen um 19 respektive 14 Prozentpunkte gesunken, bei den Sympathisierenden der GLP ebenfalls um 12 Prozentpunkte. Bei den übrigen Parteien nahm sie ebenfalls leicht ab.

Das Resultat der Abstimmung zur Änderung der direkten Bundessteuer über die steuerliche Berücksichtigung der Kinderdrittbetreuungskosten war schliesslich deutlicher, als die Vorumfragen und die Ausgangslage viele Kommentatorinnen und Kommentatoren hatten vermuten lassen: Mit 63.2 Prozent Nein-Stimmen lehnte das Stimmvolk die Vorlage mit einer vergleichsweise hohen Stimmbeteiligung von 59.2 Prozent deutlich ab. Dieses Nein lasse jedoch einigen Interpretationsspielraum, betonten die Medien. So gab es zwischen den Kantonen doch beträchtliche Unterschiede: Am kritischsten zeigte sich die Stimmbevölkerung im Kanton Appenzell-Ausserrhoden (28.1%), gefolgt von denjenigen in Appenzell-Innerrhoden (29.3%) und Bern (29.5%), am höchsten lag die Zustimmung im Tessin (52.0%) und in Genf (50.1%), beide Kantonsbevölkerungen hätten die Vorlage angenommen. Allgemein wurde gemäss BFS ersichtlich, dass die italienischsprachige (52.0%) und die französischsprachige Schweiz (48.5%) der Vorlage deutlich mehr abgewinnen konnten als die Deutschschweiz. Kaum Unterschiede waren zwischen Stadt und Land erkennbar: Die ländlichen Regionen (35.3%) lehnten die Vorlage ähnlich stark ab wie die Kernstädte (35.8%). Das Resultat könne nicht mit dem Links-Rechts-Schema erklärt werden, betonte die NZZ. Stattdessen seien vor allem die persönliche Einstellung zur Familienpolitik und zur Rolle des Staates relevant gewesen. Die externe Kinderbetreuung würde in der Romandie stärker akzeptiert und durch den Staat stärker unterstützt als in der Deutschschweiz, betonte denn auch CVP-Ständerätin Marianne Maret (cvp, VS) gegenüber der NZZ. Entsprechend habe in der Westschweiz vor allem der Drittbetreuungsabzug im Mittelpunkt gestanden, während in der Deutschschweiz hauptsächlich über den Kinderabzug diskutiert worden sei, stellte SP-Nationalrätin Franziska Roth (sp, SO) fest. Eine zu späte Kampagne in der Romandie machte schliesslich SP-Nationalrat Roger Nordmann für den hohen Anteil Ja-Stimmen in der französischsprachigen Schweiz verantwortlich. Christian Levrat erachtete das Ergebnis insgesamt als Absage des Volkes an die bürgerliche Steuerpolitik und als Ausblick auf andere bürgerliche Projekte zur Abschaffung der Stempelabgabe, der Industriezölle, des Eigenmietwerts oder der Heiratsstrafe. Stattdessen müssten nun Familien mit tiefen und mittleren Einkommen entlastet werden, insbesondere durch die Senkung der Krankenkassenprämien und die kostenlose Bereitstellung von Kita-Plätzen. Philipp Kutter wollte die Entlastung von Familien weiterverfolgen und plante anstelle des Kinderabzugs einen Abzug vom Steuerbetrag. Dass neben der Erhöhung des Kinderabzugs auch die Erhöhung des Drittbetreuungsabzugs gescheitert war, erachtete Christa Markwalder nicht als entmutigend und setzte auf ihre eingereichte parlamentarische Initiative. Anders als bei der ersten Behandlung des Themas im Nationalrat, als sich die SP- und die Grüne-Fraktion gegen Eintreten ausgesprochen hatten, kündigte Christian Levrat an, die parlamentarische Initiative zu unterstützen. Dies sei aber nur ein erster Schritt, zusätzlich brauche es auch Lösungen, die sich für die Mehrheit der Bevölkerung auszahlten.


Abstimmung vom 27. September 2020

Beteiligung: 59.2%
Ja: 1'164'415 (36.8%)
Nein: 2'003'179 (63.2%)

Parolen:
- Ja: BDP (1*), CVP, EVP (1*), FDP (1*), SVP; SGV
- Nein: EDU, GLP (1*), GPS, PdA, SD, SP; SGB, SSV, Travail.Suisse, VPOD
- Stimmfreigabe: Economiesuisse, SAV
* Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Steuerliche Berücksichtigung der Kinderdrittbetreuungskosten

Der SGB und der Arbeitnehmerdachverband Travail.Suisse und damit einhergehend auch die grossen Gewerkschaften Unia, Syna und VPOD fassten im Februar 2020 die Nein-Parole zur Begrenzungsinitiative, wie der SGB per Medienmitteilung kommunizierte.
Die Initiative wolle den Lohnschutz aufweichen, die Arbeitsbedingungen verschlechtern und die Schweiz isolieren, so die Hauptargumente der ablehnenden Arbeitnehmerverbände. VPOD-Präsidentin Katharina Prelicz-Huber (gp, ZH) betonte zudem, für migrantische Arbeitskräfte drohe sich bei einer Annahme der Initiative die arbeitsrechtliche Situation besonders zu verschlechtern, da deren Rechte mit der Initiative geschwächt und sie so leichter ausgebeutet werden könnten.
Die Gewerkschaften kündigten mit der Parolenfassung ebenfalls eine grossangelegte Gegenkampagne an, die sodann in den Medien thematisiert wurde. Wie die Initiativgegnerinnen und -gegner bekannt gaben, planten sie, eine Abstimmungszeitung in jeden Schweizer Haushalt verschicken zu wollen. Damit würden die Gewerkschaften auf ein «bevorzugtes Kampagneninstrument der SVP» setzen, konstatierte der Tages-Anzeiger und titelte: «Gewerkschaften greifen SVP mit deren eigenen Mitteln an».
Aufgrund der Corona-Pandemie wurde die ursprünglich für Mai vorgesehene Abstimmung auf September verschoben, weshalb auch die Kampagne unterbrochen wurde. Im Juni gab der SGB schliesslich bekannt, die Kampagne gegen die Begrenzungsinitiative fortzuführen.

Gewerkschaften sagen Nein zu Begrenzungsinitiative

An der Volksabstimmung vom 9. Februar 2020 musste die Volksinitiative «Mehr bezahlbare Wohnungen» (Wohnrauminitiative), wie im Vorfeld bereits erwartet worden war, eine Niederlage einstecken. Bei einer Stimmbeteiligung von 41.7 Prozent äusserten sich 42.9 Prozent der Stimmenden positiv zum Volksbegehren. Auf überwiegende Zustimmung stiess die Wohnrauminitiative lediglich in den städtisch geprägten Kantonen Basel-Stadt (60.2%) und Genf (60.1%) sowie in den Westschweizer Kantonen Neuenburg (56.2%), Waadt und Jura (je 53.2%). Am deutlichsten abgelehnt wurde das Volksbegehren in ländlichen Kantonen, allen voran in Appenzell Innerrhoden (24.0%), Obwalden (27.4%), Schwyz (27.6%) und Nidwalden (27.7%). Das Scheitern der Volksinitiative führt dazu, dass der indirekte Gegenvorschlag, welcher eine Aufstockung des Fonds de Roulement, also des Fonds des Bundes zur Vergabe zinsgünstiger Darlehen an gemeinnützige Wohnbauträger, um CHF 250 Mio. über eine Dauer von 10 Jahren vorsieht, in Kraft tritt.
Das Ja in den Städten habe deutlich gemacht, dass das Problem teurer Wohnungen dort gross sei, liess etwa Natalie Imboden, Generalsekretärin des Schweizerischen Mieterinnen- und Mieterverbandes (SMV), gegenüber den Medien verlauten. Ebenso verwies sie auf einen «masslosen Angriff» der Vermietenden, der aktuell mit mehreren parlamentarischen Initiativen im Parlament stattfinde und der das ungebremste Streben nach Renditen aufzeige (etwa Pa.Iv. 17.491; Pa.Iv. 17.514; Pa.Iv. 17.515). Der SMV kündigte am Tag der Abstimmung ferner an, dass er beabsichtige, sich für eine weitere Erhöhung des Fonds de Roulement einzusetzen; die vom Bund beschlossene Aufstockung an Darlehen für preisgünstige Wohnbauträger würden nicht ausreichen. Eine zweite Initiative zu diesem Anliegen werde es aber in naher Zukunft nicht geben; man konzentriere sich momentan auf die Bekämpfung des Paketes an Vorstössen zur Schwächung des Mietrechts und sei bereit, bei Annahme im Parlament dagegen das Referendum zu ergreifen, bekräftigte Balthasar Glättli (gp, ZH) vom SMV gegenüber den Medien. Auf der anderen Seite interpretierte Hans Egloff (svp, ZH) als Präsident des Hauseigentümerverbandes das Resultat dergestalt, dass regional zugeschnittene Lösungen zielführender seien und dass es andere Massnahmen brauche, da in den Städten die 10-Prozent-Quote bereits erreicht werde. Auch er ortete Handlungsbedarf, wobei er zum einen Subjekt- anstelle von Objekthilfen vorschlug und empfahl zu überprüfen, ob alle Mietparteien in Genossenschaftswohnungen tatsächlich auch Anrecht auf eine solche hätten.


Abstimmung vom 9. Februar 2020

Beteiligung: 41.7%
Ja: 963'740 (42.9%), Stände 16 5/2
Nein: 1'280'331 (57.1%), Stände 4 1/2

Parolen:
- Ja: Grüne, PdA, SP; Berufsverband Soziale Arbeit Schweiz, Caritas, Hausverein, Mieterinnen- und Mieterverband, Schweizerischer Gewerkschaftsbund, Travail Suisse, Wohnbaugenossenschaften Schweiz
- Nein: BDP, CVP, EDU, EVP, FDP, GLP, SVP; Baumeisterverband, Centre patronal, Economiesuisse, Gemeindeverband, Gewerbeverband, Hauseigentümerverband, Verband der Immobilienwirtschaft
- Stimmfreigabe: Städteverband

Volksinitiative «Mehr bezahlbare Wohnungen» (BRG 18.035)
Dossier: Gebäudeprogramm; Reduktion des Energieverbrauchs ab 2000

Nach einem langen und emotionalen Abstimmungskampf nahm die Schweizer Stimmbevölkerung am 19. Mai 2019 die Übernahme der geänderten EU-Waffenrichtlinie mit 63.7 Prozent Ja-Stimmen deutlich an. Die Stimmbeteiligung lag bei 43.9 Prozent. Ausser im Tessin (45.5% Ja) überwog die Zustimmung in allen Kantonen. Am höchsten fiel sie in Basel-Stadt mit 75 Prozent Ja-Stimmen aus, gefolgt von den drei Westschweizer Kantonen Genf, Neuenburg und Waadt sowie dem Kanton Zürich mit jeweils über 70 Prozent. Gesamtschweizerisch zeigte sich ein klarer Stadt-Land- oder Zentrum-Peripherie-Graben, wobei die Zustimmung in den städtischen Zentren am höchsten und – nebst dem Tessin – in den ländlichen Regionen wie dem Berner Oberland, der Innerschweiz und den Bündner Südtälern am niedrigsten ausfiel.
Vertreterinnen und Vertreter der Befürworterseite werteten das Ergebnis in der Presse als positives Signal für die Beziehungen der Schweiz zur EU und blickten zuversichtlich in Richtung der anstehenden europapolitischen Entscheidungen über die Begrenzungsinitiative sowie über das institutionelle Rahmenabkommen mit der EU. Demgegenüber sah das unterlegene Nein-Lager im Resultat kein Ja zu Europa, sondern schöpfte daraus neuen Elan für den Kampf gegen die Personenfreizügigkeit und das Rahmenabkommen. «Solche angstgetriebenen Abstimmungsergebnisse wären künftig die Regel, falls der Bundesrat das Rahmenabkommen mit der EU unterschreibt», zitierte beispielsweise die Aargauer Zeitung eine Mitteilung der SVP. Die Gesellschaft für ein freiheitliches Waffenrecht ProTell, die an vorderster Front gegen die Änderungen im Waffenrecht gekämpft hatte, liess derweil verlauten, man werde die Umsetzung der EU-Waffenrichtlinie nun sehr genau überwachen und den Bundesrat an seinen Versprechungen messen, die er im Abstimmungskampf gemacht habe.
Der Ausgang der Abstimmung wurde sowohl von der Befürworter- als auch von der Gegnerseite zu einem grossen Teil der neuen Justizministerin Karin Keller-Sutter zugeschrieben. Sie habe mit ihrer Glaubwürdigkeit als ehemalige Polizeidirektorin eines Grenzkantons die Unentschlossenen überzeugt, lobte sie etwa der Waadtländer FDP-Nationalrat Laurent Wehrli in der «Tribune de Genève». Auch der Walliser SVP-Nationalrat und Interimspräsident von ProTell Jean-Luc Addor bezeichnete die Übernahme des EJPD durch Karin Keller-Sutter gegenüber der gleichen Zeitung als «Schlüsselmoment» in der Kampagne, weil die St. Gallerin – im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin und «historischen Waffengegnerin» Simonetta Sommaruga – im Dossier als glaubwürdig wahrgenommen worden sei. Die neue Bundesrätin bestand ihre Feuertaufe vor dem Stimmvolk offensichtlich mit Bravour.


Abstimmung vom 19. Mai 2019

Beteiligung: 43.9%
Ja: 1'501'880 (63.7%)
Nein: 854'274 (36.3%)

Parolen:
– Ja: BDP, CVP, EVP, FDP (Jungfreisinnige: 3*), GLP, GP, KVP, SP; KdK, Economiesuisse, SAV, SGV, SGB, Travail.Suisse, Gastrosuisse, Hotelleriesuisse, SBLV
– Nein: EDU, FP, SD, SVP; IGS, SOG, Schweizerischer Unteroffiziersverband, Jagd Schweiz, ProTell, SBV
* Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands. Übernahme der Richtlinie 2017/853 zur Änderung der EU-Waffenrichtlinie
Dossier: Das Bundesgesetz über Waffen, Waffenzubehör und Munition (Waffengesetz)

Wie angekündigt sammelten verschiedene Komitees Unterschriften für ein Referendum zum Bundesgesetz über die Steuerreform und die AHV-Finanzierung (STAF): ein linkes Komitee, bestehend aus den Grünen, den Jungen Grünen, der Juso, VPOD und Westschweizer Gewerkschaften; ein Generaktionenkomitee, das sich aus der Jungen GLP und der Jungen BDP zusammensetzte; ein bürgerliches Komitee aus Mitgliedern der Jungen SVP und vier kantonalen Sektionen der Jungfreisinnigen; sowie ein Bürgerkomitee «Kuhhandel Nein», das Unterschriften über die Onlineplattform Wecollect sammeln wollte. Die breite Liste an Gegnern der STAF führte in der Presse zu einigen Diskussionen: Die Spaltung der Linken – die SP stellte sich als einzige linke Partei klar hinter die Vorlage – war ein Thema, über die sich emanzipierenden Jungparteien wurde berichtet und es wurde darüber diskutiert, was denn nun ein allfälliges «Nein» an der Urne zur STAF ob einer so breiten Gegnerschaft zu bedeuten hätte.
Anfang November erschienen die ersten Zeitungsberichte, welche den Erfolg der Unterschriftensammlung, der bis dahin als gesichert gegolten hatte, in Frage stellten: So laufe die Sammlung der Unterschriften mittels Onlineplattform sehr langsam, was als Anzeichen für allgemeine Schwierigkeiten, die nötigen 50'000 Unterschriften zusammenzubekommen, gewertet werden könne. Als Gründe dafür wurde unter anderem genannt, dass sich die starken Kampagnenorganisationen nicht an der Unterschriftensammlung beteiligten und dass die Dauer der Unterschriftensammlung aufgrund der Feiertage schlechter genutzt werden könne als sonst. Ferner schränke die Komplexität der Vorlage die Bereitschaft der Schweizerinnen und Schweizer ein, das Referendum zu unterzeichnen. Im neuen Jahr vermeldeten die Komitees jedoch, dass sie die Unterschriften erfolgreich eingereicht hätten und Anfang Februar 2019 bestätigte die Bundeskanzlei das Zustandekommen des Referendums: Über 60'000 gültige Unterschriften hatten die Komitees gesammelt.
In der Folge berichteten die Medien insbesondere über die Zusammensetzung der beiden Lager: Ihre Unterstützung zur STAF vermeldet hatten in der Zwischenzeit die FDP, die CVP, die SP, die BDP, die EVP und die EDU. Auch die Wirtschaft stellte sich weitgehend hinter das neue Gesetz; Economiesuisse, Swissholding, der Arbeitgeberverband, der Bauernverband und auch der Gewerbeverband – mit Ausnahme einiger Kantonalsektionen – fassten die Ja-Parole. Kantone, Städte und Gemeinden unterstützten die Vorlage durch ihre entsprechenden Organisationen (KdK, Städteverband, Gemeindeverband) ebenso. Gegen die STAF sprachen sich die Grünen, die GLP und die meisten Jungparteien ausser den Jungfreisinnigen und der Jungen CVP sowie der VPOD aus, nicht aber der SGB, der Stimmfreigabe beschloss. Von besonderem Interesse für die Presse war die Position der SVP: Diese entschloss sich, aufgrund ihrer internen Differenzen zwischen der Bundeshausfraktion, welche die STAF deutlich abgelehnt hatte, und einer Befürwortergruppe um Finanzminister Maurer ebenfalls für Stimmfreigabe. Dadurch bleibe der Partei eine Zerreissprobe erspart, urteilten die Medien. In den Monaten vor der Abstimmung gaben jedoch zahlreiche Kantonalsektionen der SVP die Ja-Parole aus. Bis zum Schluss sprachen sich 10 Kantonalsektionen für die STAF aus und 4 dagegen. Doch nicht nur die SVP war bezüglich dieser Vorlage gespalten; auch bei den Grünliberalen und den Grünen fanden sich verschieden Kantonalsektionen, welche der Vorlage gegen den Willen der nationalen Partei zustimmten.
Die Differenzen zur Vorlage innerhalb der Parteien widerspiegelten sich auch in den Vorumfragen. Am deutlichsten votierten in der ersten SRG-Vorumfrage im April 2019 die Anhängerinnen und Anhänger der FDP (82%) und der CVP (71%) für die STAF, gefolgt von denjenigen der SP (59%) und der BDP (57%). Doch auch bei den Sympathisantinnen und Sympathisanten der Grünen (45% Ja-Stimmen, 42% Nein-Stimmen) und der GLP (43% Ja-Stimmen, 32% Nein-Stimmen) fand die Vorlage eine relative Mehrheit. Einzig die Anhängerinnen und Anhänger der SVP sprachen sich mehrheitlich gegen die STAF aus (35% Ja-Stimmen, 55% Nein-Stimmen). Insgesamt gaben in dieser ersten SRG-Umfrage 54 Prozent der Befragten an, der Vorlage sicher oder eher zustimmen zu wollen, 37 Prozent wollten die STAF sicher oder eher ablehnen. Unsicher zeigten sich noch 9 Prozent der Befragten. Bis zur zweiten SRG-Umfrage Anfang Mai 2019 war die Differenz zwischen den beiden Lagern dann merklich angestiegen: Der Anteil Zustimmende war auf 59 Prozent gestiegen, der Anteil Ablehnende leicht gesunken (35%). Veränderungen gab es auch innerhalb der Parteien, wobei das Befürworterlager in beinahe allen Parteien deutlich anwuchs; selbst in der SVP erreichte es nun eine relative Mehrheit (47%).

Die Berichterstattung zur STAF umfasste zahlreiche verschiedene Aspekte. Immer wieder Thema war die schwarze Liste der EU für Steueroasen: Seit Ende 2017 befand sich die Schweiz auf der sogenannten grauen Liste, der Beobachtungsliste, und im Oktober 2018 entschied sich die EU, die Schweiz vorläufig auf dieser Liste zu belassen. Da die Frist der EU, die umstrittenen Steuerschlupflöcher abzuschaffen, jedoch Ende 2018 ablief und ihr nächster Beurteilungstermin im März 2019, also vor der Abstimmung im Mai 2019, anstand, befürchteten die Medien, die Schweiz könne noch vor der Abstimmung auf die schwarze Liste geraten. Dies hätte womöglich scharfe Gegenmassnahmen der EU-Mitgliedstaaten zur Folge gehabt. Mitte März gab die EU jedoch bekannt, der Schweiz noch bis Ende 2019 Zeit für die Umsetzung ihrer Versprechen einzuräumen. Die EU respektiere die Schweizer Verfassung, die ein Referendum ermögliche, erklärten die EU-Finanzminister.
Viel Aufmerksamkeit in der Berichterstattung zur STAF erhielt Wirtschaftsprofessor Christoph Schaltegger von der Universität Luzern. Er kritisierte, dass die STAF das Anreizproblem der Nehmerkantone des Finanzausgleichs nicht stark genug mildere: Viele Nehmerkantone würden heute durch die Ansiedelung neuer Firmen oder durch höhere Gewinne von Firmen mehr Geld verlieren, als sie durch die höheren Steuern erzielten, weil ihre Einkünfte aus der NFA dadurch überproportional sänken. Zwar würde die STAF diese Problematik mildern – die Gewinne der Unternehmen würden in der NFA weniger stark gewichtet –, jedoch seien auch im Falle einer Annahme noch immer 11 Kantone (AR, AI, Fr, GL, GR, JU, LU, SO, TG, UR, VS) von diesen Anreizproblemen betroffen. Grundsätzlich bestehe ein Konflikt zwischen NFA und den Zielen des Steuerteils der STAF, erklärte Schaltegger: Die Geberkantone hätten aufgrund der STAF Anreize, sich für Unternehmen attraktiv zu positionieren, während Nehmerkantone sich aus finanzieller Sicht eher unattraktiv geben müssten. Aufwind bekam diese Problematik im April 2019, als bekannt wurde, dass das Finanzdepartement bei der Berechnung der Folgen für die einzelnen Kantone die Gewinne der Gemeinden mitberücksichtigt hatte. Dies wäre jedoch nur zulässig, wenn die Gemeinden mit ihren Gewinnen mithelfen würden, die kantonalen Mindereinnahmen wettzumachen. Dazu wären jedoch kantonale Gesetzesänderungen nötig; die betroffenen Kantone bestritten jedoch, solche Änderungen zu planen.
Nicht nur wegen der Folgen bezüglich der NFA verglich die Presse die Auswirkungen der STAF auf die Kantone, sie berichteten auch regelmässig über den Stand der kantonalen Umsetzungsvorlagen zur STAF und zu deren Auswirkungen auf den Steuerwettbewerb zwischen den Kantonen. Besonders rosig präsentierte sich die Situation für die Kantone Genf, Basel-Stadt und Waadt, meldeten sie. Diese hätten ihre Gewinnsteuern allesamt deutlich reduziert, was ihnen gemäss Finanzminister Maurer deutlich leichter gefallen sei als anderen Kantonen, weil sie viele Unternehmen hätten, die bisher privilegiert besteuert worden seien. Insgesamt seien jedoch gemäss Medien die meisten Kantone dabei, ihre Gewinnsteuern denjenigen der Zentralschweizer Tiefsteuerkantone anzunähern. Verlieren würden dabei vor allem die Kantone Aargau und Zürich, deren Gewinnsteuern vergleichsweise hoch bleiben werden. Sie seien besonders stark auf die Möglichkeiten, die ihnen die STAF biete, angewiesen. Neben den Gewinnsteuern verglichen die Zeitungen auch immer wieder die sozialen Kompensationsmassnahmen, welche die Kantone planten. Hatte die Presse zum Beispiel Ende November 2018, nachdem der Kanton Bern eine Reduktion der Unternehmensbesteuerung abgelehnt hatte, noch berichtet, dass die meisten Kantone auf solche sozialen Ausgleichsmassnahmen verzichten würden, tönte dies im April 2019 anders: Gemäss NZZ planten 16 Kantone einen sozialen Ausgleich zu den Unternehmenssteuersenkungen. Die Drohung der SP, in allen Kantonen, die bei der kantonalen Umsetzung der STAF auf einen sozialen Ausgleich verzichten wollten, das Referendum zu ergreifen, habe demnach Erfolg gehabt, urteilten die Medien.
Neben Schaltegger schaltete sich auch Aymo Brunetti, Wirtschaftsprofessor der Universität Bern, in die Diskussion zur STAF ein. Er kritisierte insbesondere die laue Haltung des Bundesrates bezüglich der Erhöhung des Rentenalters. Er rechnete vor, dass die zusätzliche Lebenserwartung für 65-Jährige bei der Gründung der AHV 1948 12-13 Jahre betragen habe, diese nun aber bei 21 Jahren und bald sogar bei 25 Jahren liege. Zudem seien 1948 sechs Erwerbstätige auf einen Rentner gekommen, heute seien es noch gut drei. Heute müssten entsprechend vor allem die Jungen und Ungeborenen für die Renten der Älteren bezahlen: Ein 55-Jähriger zahle die zusätzlichen Lohnbeiträge noch 10 Jahre lang, ein 25-Jähriger aber viermal so lange. Zusätzlich erlangte der AHV-Teil der STAF auch aufgrund der Diskussionen zum Reformpaket AHV 21 regelmässig mediale Aufmerksamkeit. Im Februar 2019 zum Beispiel präsentierte der Bundesrat den Vernehmlassungsbericht zur neuen AHV-Rerfom. Die SP reagierte auf die darin enthaltene Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre mit einer Referendumsdrohung – hatte sie doch zuvor erklärt, mit der STAF sei die Rentenaltererhöhung vom Tisch. Immer wieder erschienen zudem Berichte, die besagten, dass die CHF 2 Mrd., welche die AHV durch die STAF erhalten würde, ihr bloss einige Jahre weiterhelfen würden. Eine Erhöhung des Frauenrentenalters könne damit wohl nicht verhindert werden, erklärte zum Beispiel der Tagesanzeiger.
Schliesslich diskutierten die Zeitungen die Frage, was bei einer Ablehnung der STAF geschehen würde. Einig war man sich, dass die umstrittenen Steuerprivilegien so bald wie möglich abgeschafft werden müssten. Unklar blieb dabei, wie geduldig sich die EU gegenüber der Schweiz zeigen würde. Und gänzlich unterschiedlich waren die Positionen der linken und der bürgerlichen Gegnerinnen und Gegner der Vorlage bezüglich der folgenden Revision: Die Präsidentin der Grünen, Regula Rytz (gp, BE), gab an, die Steuerprivilegien nach Ablehnung der STAF nur mit unbestrittenen Entlastungen abschaffen zu wollen; die Bürgerlichen hingegen sprachen davon, den Steuerteil der STAF ohne die AHV-Finanzierung umsetzen zu wollen.

Dass letztere Diskussionen unnötig waren, zeigte sich spätestens am 19. Mai 2019. Mit 66.4 Prozent sprachen sich die Stimmenden bei einer Beteiligung von 42.7 Prozent für den AHV-Steuer-Deal aus. Die Stimmenden in allen Kantonen nahmen die STAF an, besonders hoch war die Zustimmung in den Kantonen Waadt (80.7%), Neuenburg (72.4%) und Wallis (71.8%) mit über 70 Prozent Zustimmung, am tiefsten in den Kantonen Solothurn (58.6%), Bern (60.4%) und Aargau (62%). Wie die Nachabstimmungsbefragung «Voto» zeigte, sprachen sich die Sympathisantinnen und Sympathisanten sämtlicher Parteien mehrheitlich für die Vorlage aus, wenn auch bei der SVP (52%) nur knapp. Die Nachbefragung zeigte zudem, dass 42 Prozent der Befragten beide Vorlagen angenommen hätten, wenn diese den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern einzeln vorgelegt worden wären; 29 Prozent hätten nur zum AHV-Teil, 7 Prozent nur zum Unternehmenssteuerteil Ja gesagt und 7 Prozent hätten beide Vorlagen abgelehnt. Entsprechend erwies sich gemäss der Studie auch die Sanierung der AHV als Hauptargument der Ja-Stimmenden, während die Nein-Stimmenden vor allem mit der Verknüpfung der zwei Teile Mühe bekundeten. Trotz der Kritik, welche die Verknüpfung der zwei Themen erfahren hatte, erwies sich diese Taktik aus Sicht der Abstimmungsgewinnerinnen und -gewinner somit als erfolgreich.


Abstimmung vom 19. Mai 2019

Beteiligung: 42.7%
Ja: 1'541'147 (66.4%), Stände: 23
Nein: 780'457 (33.6%), Stände: 0

Parolen:
– Ja: BDP (1), CVP, EDU, EVP, FDP, SP; Jungfreisinnige (4), Junge CVP; Economiesuisse, Gemeindeverband, KdK, SAV, SBV, SGV, SSV, TravailSuisse, Kaufmännischer Verband Schweiz, Swiss Family Business, Science Industries, Swissholdings
– Nein: GLP (3), GPS (1), SD; Junge BDP, Junge Grüne, Junge Grünliberale, Juso, Junge SVP; VPOD
– Stimmfreigabe: SVP (10xJa, 4xNein); SGB
* in Klammern die Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Steuervorlage 17 (SV17) und Bundesgesetz über die Steuerreform und die AHV-Finanzierung (STAF; BRG 18.031)
Dossier: Unternehmenssteuerreform III, Steuervorlage 17 und AHV-Steuer-Deal (STAF)

Im Dezember wurde vom Bundesrat ein erster Entwurf zum Rahmenvertrag mit der EU veröffentlicht, worauf die Meinungen der Wirtschaftsverbände insbesondere betreffend des Lohnschutzes auseinandergingen, wie etwa der «Blick» berichtete. Während SAV-Präsident Valentin Vogt und Hans Hess, Präsident von Swissmem, das Abkommen verteidigten, da sie etwa den Lohnschutz auch im Zusammenhang mit den flankierenden Massnahmen nicht als gefährdet betrachteten, enervierten sich die Gewerkschaften darüber, dass der Lohnschutz Teil der Verhandlungen geworden sei. Der neue SGB-Präsident Pierre-Yves Maillard (sp, VD) etwa verlangte in einem Interview mit der Aargauer Zeitung vom Bundesrat, sich an sein Versprechen zu halten, wonach der Lohnschutz bei den Verhandlungen eine rote Linie sei, die nicht überschritten werden dürfe. Eine ähnliche Meinung vertrat auch Hans-Ulrich Bigler (fdp, ZH) vom SGV, denn der Lohnschutz, so Bigler gemäss «Blick», sei unverhandelbar. Würde der Lohnschutz Teil des Abkommens, müsste die Schweiz Richtlinien und Änderungen der EU automatisch übernehmen.
Später berichtete die Sonntagszeitung darüber, dass sich der Disput unter den Verbänden weiter zuspitzte, als Vogt ohne Absprache mit dem Gewerbeverband signalisierte, «den Rahmenvertrag mit grossen Geschenken an die Gewerkschaften retten» zu wollen. Ein Skandal sei dies für Bigler, so die Sonntagszeitung, denn für diesen stehe fest, dass der Vertrag in dieser Form nicht unterschrieben werden dürfe. Später zog Vogt seine Offensive zurück, denn die Gewerkschaften sowie der Gewerbeverband blieben ihrer Position treu.
Economiesuisse-Präsident Heinz Karrer schliesslich hatte bereits im Herbst in der NZZ seine Überzeugung bekannt gegeben, dass im Hinblick auf die Verhandlungen über das Rahmenabkommen mit der EU eine dynamische Übernahme von EU-Gesetzgebungen seitens der Schweiz möglich sei. Da ein Schiedsgericht jeweils die Verhältnismässigkeit überprüfen würde, sodass die EU keine unverhältnismässigen Retorsionsmassnahmen beschliessen könnte, sehe er im Rahmenabkommen gar einen «grosse[n] Vorteil für die Schweiz». Die Gesprächsverweigerung der Gewerkschaften halte er daher für «unschweizerisch», wie das St. Galler Tagblatt zitierte.

Rahmenabkommen Meinungen der Wirtschaftsverbände

Am 17. September 2018 lancierte das Referendumskomitee seine Kampagne gegen das Gesetz über die Grundlage der Überwachung von Versicherten vor dem Hauptsitz der CSS-Krankenversicherung in Bern. Ziel dieser Aktion sei gemäss Komitee, den Fokus der Diskussion auch auf die Krankenkassen zu lenken. Da alle Bürger krankenversichert seien, könnten sie alle zukünftig einmal ins Visier der Sozialdetektive geraten, argumentierte Dimitri Rougy vom Referendumskomitee. Dass das neue Gesetz – entgegen deren Erklärungen – für die Krankenkassen wichtig sei, zeige das starke Lobbying, das sie diesbezüglich in Bern betrieben hätten. Dieser Darstellung widersprach die CSS: Observationen spielten für sie jetzt und auch zukünftig bei der Missbrauchsbekämpfung keine Rolle, erklärte CSS-Sprecherin Christina Wettstein.
Noch während der Abstimmungskampagnen präsentierte der Bundesrat seine Verordnung zur Anforderung an die mit der Überwachung betrauten Personen. Diese müssten über eine Bewilligung des BSV verfügen, in den letzten 10 Jahren nicht für ein mit der Überwachung zusammenhängendes Delikt verurteilt worden sein, über eine Polizeiausbildung oder gleichwertige Ausbildung, dazu zählt auch eine Ausbildung an einer Detektivschule, sowie über ausreichende Rechtskenntnisse verfügen und mindestens zwei Jahre Berufserfahrung in der Personenüberwachung haben. Zudem soll das BSV ein Verzeichnis über die entsprechenden Personen führen. Dies sei zwar besser als gar keine Regelung, erklärte Silvia Schenker (sp, BS) als Mitglied des Referendumskomitees, löse aber das Grundproblem der Überwachung nicht.
In der Folge versuchten die Referendumsführenden klar zu machen, dass es ihnen nicht in erster Linie darum gehe, Observationen zu verhindern. Diese dürften aber nicht willkürlich erfolgen, sondern müssten auf einer sorgfältig ausgearbeiteten gesetzlichen Grundlage beruhen. Eine solche stelle das neue Gesetz aber nicht dar, da zu viele Punkte unklar seien. Zudem gingen die Möglichkeiten, welche die Versicherungen erhielten, viel zu weit. Man würde damit «mit Kanonen auf Spatzen […] schiessen», betonte Anne Seydoux (cvp, JU). Erstere Kritik unterstützte auch ein bürgerliches Komitee, vor allem bestehend aus Jungen Grünliberalen sowie teilweise aus Jungfreisinnigen. Unterstützt wurden sie von einigen Kantonalsektionen, etwa der GLP Neuenburg oder der CVP Jura, CVP Neuenburg und CVP Genf. Offiziell bekämpft wurde die Vorlage schliesslich von SP, Grünen und Grünliberalen, Letztere entschieden sich aber mit 67 zu 61 Stimmen nur knapp und gegen den Willen des Parteivorstands gegen das Gesetz. Unterstützung in den Medien erhielten die Komitees während des Abstimmungskampfes auch von einem Teil des Verbandes Schweizerischer Polizeibeamter (VSPB): Die Hälfte der Verbandsmitglieder, die an einer entsprechenden Befragung teilgenommen hätten, lehne das neue Gesetz ebenfalls ab, weil Privatdetektive verglichen mit den Strafverfolgungsbehörden zu viele Kompetenzen erhielten, berichteten die Medien.
Auf der anderen Seite betonten die Befürworterinnen und Befürworter des neuen Gesetzes, zu dem unter anderem die SVP, FDP, CVP, BDP und EDU sowie zum Beispiel der Gewerbeverband, der Arbeitgeberverband und der Versicherungsverband zählten, dessen Wichtigkeit für die Sozialversicherungen. Einerseits sei eine konsequente Verfolgung von Missbrauch für das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Sozialversicherungen zentral, andererseits könnten so Kosten gespart werden, wodurch mehr Geld für die tatsächlich Berechtigten übrigbliebe. Um letzteren Punkt zu verdeutlichen, führten die Befürwortenden des Gesetzes an, wie viele unrechtmässig bezogenen Leistungen durch die Observationen gespart werden können. Alleine zwischen 2009 und 2016 habe die IV gemäss Zahlen des BSV wegen festgestellten Missbräuchen in etwa 2000 Fällen pro Jahr insgesamt Renten in der Höhe von CHF 1.2 Mrd. eingespart. Jährlich seien 220 Fälle mithilfe von Observationen durchgeführt worden, wobei sich der Verdacht in der Hälfte der Fälle bestätigt habe. Der momentane Überwachungsstopp erschwere den entsprechenden Stellen hingegen die Überführung von Betrügerinnen und Betrügern. So erklärte die IV-Stelle Bern, dass sie im ersten Halbjahr 2018 nur halb so viele Fälle unrechtmässig bezogener Leistungen festgestellt habe wie im ersten Halbjahr 2017. Keine entsprechende Einschätzung abgeben wollte jedoch zum Beispiel die IV-Stelle des Kantons Aargau, die SVA Aargau, da aufgrund der langen Dauer der Überwachungen zu Beginn des Untersuchungszeitraums noch Observationen eingesetzt worden seien. Auch Silvia Schenker kritisierte entsprechende Aussagen als reine Spekulation, da nicht nachgewiesen werden könne, ob die Unterschiede tatsächlich auf die fehlenden Observationen zurückzuführen seien.

Ungewohnt grosse Aufmerksamkeit erhielt im Rahmen des Abstimmungskampfes das Abstimmungsbüchlein. Das Referendumskomitee kritisierte in den Medien die Informationspolitik des Bundesrates im Abstimmungsbüchlein deutlich. Letzteres sei fehlerhaft, so dass die freie Meinungsbildung nicht mehr gewährleistet sei. Beanstandet wurde insbesondere, dass das neue Gesetz durch Aussagen, wonach dieses keine Möglichkeiten schaffe, in Wohn- und Schlafzimmern zu filmen, und wonach Richtmikrofone und Wanzen nicht erlaubt seien, verharmlost werde. Dem widersprach die Bundeskanzlei und erklärte, man habe die Grundsätze der Sachlichkeit, Transparenz und Verhältnismässigkeit eingehalten. In der Folge versuchte das Komitee, den Versand des Abstimmungsbüchlein durch eine Abstimmungsbeschwerde beim Kanton Zürich und anschliessend beim Bundesgericht zu verhindern. Das Bundesgericht wies hingegen den Antrag auf Versandstopp ab. Ein solcher sei nicht gerechtfertigt, weil auch zwei weitere Vorlagen Ende November 2018 zur Abstimmung kämen. Inhaltlich entschied es jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Etwa drei Wochen vor dem Urnengang wurde schliesslich publik, dass die Zahlen des BSV zur Anzahl Observationen bei der IV nicht korrekt waren. So wäre etwa der Kanton Freiburg mit knapp 4 Prozent der Schweizer Bevölkerung für 30 Prozent aller Observationen verantwortlich gewesen; statt 70 Observationen, wie sie das BSV aufführte, hätten in demselben Zeitraum in Freiburg jedoch nur 8 Observationen stattgefunden, erklärte dann auch der Direktor der kantonalen Sozialversicherungsanstalt. Auch in Bern und in Basel-Landschaft waren die Zahlen falsch. Diese Fehler hatten Auswirkungen auf die Höhe der Einsparungen durch die Observationen, die von der Anzahl Observationen abhängt. In der Folge musste die Bundeskanzlei die im Abstimmungsbüchlein gedruckten Zahlen korrigieren: Jährlich komme es bei der IV von 2'400 Fällen, in denen Verdacht auf Sozialversicherungsbetrug bestehe, in 150 Fällen zu Observationen, nicht in 220 Fällen wie ursprünglich erklärt. Da das Abstimmungsbüchlein zu diesem Zeitpunkt bereits gedruckt und verschickt war, korrigierte der Bund die Zahlen nur in der elektronischen Fassung. Dies könne womöglich rechtliche Folgen – bis hin zur Ungültigerklärung der Abstimmung – haben, spekulierten die Medien.
Kurze Zeit später wurde ein weiterer Fehler im Abstimmungsbüchlein publik. So berichtigte die GPK-NR eine Angabe in einer Tabelle, wonach der Nachrichtendienst zum Beispiel Telefonüberwachungen zur Bekämpfung von «Terrorismus und gewalttätigem Extremismus» einsetzen könne. Dies stimme nur für Terrorismus, gegen gewalttätigen Extremismus, zum Beispiel gegen Links- oder Rechtsradikale, könne der Nachrichtendienst keine Telefonüberwachung einsetzen. Relevant war dieser Aspekt vor allem, weil die Gegnerinnen und Gegner der Vorlage argumentierten, die Sozialversicherungen erhielten weitergehende Kompetenzen als Polizei oder Nachrichtendienst – was die Befürworterinnen und Befürworter bestritten.
Nicht nur das Abstimmungsbüchlein, auch die Zahlen bezüglich der Observationen, die der Schweizerische Versicherungsverband (SSV) publizierte, erwiesen sich kurz darauf als unvollständig. Der Verband sprach von 100 Fällen von Observationen pro Jahr und erklärte, das «Mittel der Observation [werde] zurückhaltend, aber effizient eingesetzt». Dabei führte er jedoch nur die Observationen zum obligatorischen Bereich der Unfallversicherung, nicht aber diejenigen von anderen Versicherungen (z.B. Zusatzversicherungen, Krankentaggeldversicherungen, Haftpflichtversicherungen) auf, bei denen Überwachungen deutlich häufiger eingesetzt werden, die jedoch das neue Gesetz nicht betraf.

Die Medien publizierten während des Abstimmungskampfes mehrmals Geschichten, welche unrechtmässige Bezüge von Sozialversicherungsgeldern thematisierten. So veröffentlichte etwa das Bundesgericht Mitte Oktober 2018 ein Urteil zu einer Person, die wegen Sozialversicherungsbetrugs ihren Rentenanspruch verlor (9C_221/2018). Auch ein Bericht in der «Rundschau» sowie Überwachungsvideos von Betrügern, die der Präsident der Konferenz der kantonalen Ausgleichskassen, Andreas Dummermuth, veröffentlichte, wurden von den Medien aufgenommenen. Andererseits kamen auch Personen zu Wort, welche zu Unrecht observiert worden waren, und im Zusammenhang damit wurden auch die Folgen von solchen Überwachungen beleuchtet. So könnten diese bei den Überwachten seelische Spuren bis hin zu psychischen Beschwerden und dem Gefühl des Überwachtwerdens hinterlassen und bestehende psychische Erkrankungen noch verstärken, erklärte die Psychiaterin Maria Cerletti gegenüber dem Blick. Dabei wirke nicht nur die Überwachung selbst schädlich, sondern bereits das Wissen, dass man überwacht werden könnte.

Deutliche Vorzeichen für den Abstimmungssonntag lieferten die Vorumfragen. Die verschiedenen Wellen der Tamedia-Umfrage zeigten konstant einen Ja-Stimmenanteil von ungefähr zwei Dritteln der Stimmen (1. Welle: 67% Jastimmen, 30% Neinstimmen, 2. Welle: 68% Jastimmen, 30% Neinstimmen, 3. Welle: 67% Jastimmen, 32% Neinstimmen), die zwei Wellen der SRG-Umfrage durch gfs.bern machten Ja-Mehrheiten von 57 respektive 59 Prozent aus. Ob der relativ klaren Ausgangslage begannen sich die Medien gegen Ende des Abstimmungskampfes für die Frage zu interessieren, was bei einer Bestätigung des Gesetzes durch das Volk geschehe. So bestehe durchaus die Möglichkeit, dass der EGMR in Strassburg auch das neue Gesetz beanstande, weil dieses verschiedene Anforderungen des Urteils von 2016 nicht erfülle. Zum Beispiel seien die Regelungen bezüglich der anordnenden, durchführenden und überwachenden Einheiten sowie die Art und Weise der Überwachung zu unpräzise formuliert, erklärte etwa Kurt Pärli, Professor für Soziales Privatrecht der Universität Basel, ebenfalls gegenüber dem Blick.

Am 25. November 2018 fiel das Abstimmungsergebnis ähnlich deutlich aus, wie die Umfragen zuvor angekündigt hatten. Mit 64.7 Prozent bei einer Stimmbeteiligung von 48.4 Prozent sprachen sich die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger für das Gesetz zur Überwachung der Versicherten aus. Am höchsten lag die Zustimmung in den Kantonen Appenzell-Innerrhoden (81.2%), Nidwalden (78.0%), Obwalden (76.4%) und Schwyz (76.4%), abgelehnt wurde es in den Kantonen Jura (48.6%) und Genf (41.4%). Neben deutlichen sprachregionalen Unterschieden – in der Deutschschweiz lag die Zustimmung gemäss einer Auswertung des BFS durchschnittlich um fast 18 Prozentpunkte höher als in der Romandie, aber um etwa 2 Prozentpunkte tiefer als in der italienischsprachigen Schweiz – zeigten sich auch grosse Differenzen zwischen städtischen und ländlichen Regionen: Hier betrugen die Differenzen 15.7 Prozentpunkte in der Deutschschweiz und 11.3 Prozentpunkte in der Romandie. Lediglich in der italienischsprachigen Schweiz stimmten die Stadt- und die Landbevölkerung ähnlich (2.4 Prozentpunkte Unterschied). Unterschiede zeigten sich gemäss der Nachabstimmungsbefragung Voto auch zwischen den Altersgruppen: Personen zwischen 18 und 29 Jahren stimmten der Vorlage nur zu 42 Prozent zu, alle übrigen Altersgruppen wiesen Zustimmungsraten zwischen 60 und 76 Prozent auf. Ähnlich wie zuvor die Tamedia-Nachbefragung zeigte auch Voto auf, dass die Sympathisantinnen und Sympathisanten der Grünen (Voto: 24%, Tamedia: 22%) dem neuen Gesetz deutlich kritischer gegenüberstanden als diejenigen der SP (Voto: 42%, Tamedia: 38%). Die Befürworterinnen und Befürworter zielten gemäss Voto in erster Linie auf eine effektive Missbrauchsbekämpfung bei den Sozialversicherungen ab, die Gegnerinnen und Gegner bezogen sich in ihrer Argumentation insbesondere auf die Probleme der Vorlage bezüglich der Rechtsstaatlichkeit.

Das Ergebnis zeige, dass ohne schlagkräftige Organisation im Rücken zwar eine Abstimmung erzwungen, nicht aber gewonnen werden könne, urteilten die Medien. Mit «Die Grenzen der Bürgerbewegung» fasste das St. Galler Tagblatt die Vorlage zusammen. Auch die Initianten betonten, dass ihnen im Hinblick auf die «millionenschwere Kampagne der Versicherungsbranche» das notwendige Geld für einen Vollerfolg gefehlt habe. Einen Teil ihres Ziels hätten sie jedoch dadurch erreicht, dass durch verschiedene im Abstimmungskampf gemachte Äusserungen der Befürworterinnen und Befürworter persönlichkeitsrechtliche Aspekte hätten geklärt werden können, zum Beispiel die Frage von Filmaufnahmen aus Schlafzimmern. Daran müsse sich die Justiz orientieren, auch wenn diese nicht direkt in die Gesetzesauslegung einfliessen würden, betonte zum Beispiel Daniel Gerny in der NZZ.


Abstimmung vom 25. November 2018

Beteiligung: 48.4%
Ja: 1'667'849' (64.7%), Stände: 21
Nein: 909'172 (35.3%), Stände: 2

Parolen:
– Ja: BDP, CVP, EDU, FDP, SVP, Arbeitgeberverband, Gewerbeverband, Versicherungsverband
– Nein: GPS, GLP, PdA, SD, SP, Dachverband der Behindertenorganisationen, Gewerkschaftsbund, Pro Infirmis, Travailsuisse
– Stimmfreigabe: EVP
* in Klammern die Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Parlament schafft eine gesetzliche Grundlage für die Überwachung von Versicherten (Pa. Iv. 16.479)
Dossier: Überwachung von Versicherten (2016-2019)

Am 25. November 2018 kam die Selbstbestimmungsinitiative zur Abstimmung. Die lediglich 33.7 Prozent Ja-Stimmen – in keinem einzigen Kanton fand die Initiative eine Mehrheit – waren für die meisten Beobachterinnen und Beobachter überraschend wenig. Die grösste Unterstützung erhielt das SVP-Begehren in den Kantonen Schwyz (47.1%) und Appenzell Innerrhoden (47.0%) sowie im Tessin (46.1%). In der Romandie beziehungsweise in den Kantonen Waadt (23.4%), Neuenburg (22.6%), Genf (24.7%) und Jura (24.5%) votierten hingegen mehr als drei Viertel der Teilnehmenden gegen die Initiative. Die Stimmbeteiligung lag bei 48.41 Prozent und damit leicht höher als bei der gleichzeitig zur Abstimmung stehenden Hornkuh-Initiative (48.30%) und bei der gesetzlichen Grundlage für die Überwachung von Versicherten (48.38%).
Am Tag nach der Abstimmung waren sich die Medien einig und sprachen von einer «Klatsche» (Blick), von einem «échech historique» (Le Temps) oder einer «schweren Schlappe» für die SVP. Die Ablehnung des Begehrens der Volkspartei sei überraschend deutlich ausgefallen. Allerdings sei die Frage der Hierarchie zwischen Völker- und Landesrecht nach wie vor nicht geklärt. Von einem «Pyrrhussieg» sprach gar die Basler Zeitung, weil sich künftig wohl die Konflikte zwischen den beiden Normstufen häufen würden. Zudem waren sich die Protagonisten uneinig darüber, was das Resultat für die künftige Aussenpolitik bedeute. Zur Diskussion standen dabei der Rahmenvertrag mit der EU und der UNO-Migrationspakt. Während für die Aargauer Zeitung das Nein «kein Freipass für das Rahmenabkommen mit der EU» darstelle, sprach die Wochenzeitung von einem Signal für die internationale Zusammenarbeit.
Hans-Ueli Vogt (svp, ZH) sah einen Grund für die Niederlage in den Argumenten der Gegnerschaft, gegen die die SVP nicht angekommen sei. Die Vorlage sei zu abstrakt gewesen, urteilte dabei Roger Köppel (svp, ZH) in der Weltwoche. Ein Urteil, das auch die NZZ teilte: Für einmal habe die SVP «das Bauchgefühl» nicht ansprechen können. SVP-Präsident Albert Rösti (svp, BE) habe sich mehr erhofft, wie er der Aargauer Zeitung zu Protokoll gab. Man habe eine Schlacht verloren, nicht aber den Kampf für die Unabhängigkeit. Zudem erachte er es als Erfolg, dass man dank der SVP intensiv über die direkte Demokratie diskutiert habe – trotz massiver «Verunsicherungs-Kampagne» der Gegner, so der Berner Nationalrat im Blick. Das Nein bedeute, so der Parteipräsident weiter, dass die Bevölkerung zur Klärung des Verhältnisses zwischen Landes- und Völkerrecht keine Verfassungsänderung wolle. Es sei aber kein Plebiszit für Verhandlungen mit der EU, sondern ein Ja für die direkte Demokratie und ein Auftrag, den UNO-Migrationspakt oder den Rahmenvertrag mit der EU zu bekämpfen. Die SVP werde dies weiterhin tun und als Druckmittel auch die Begrenzungsinitiative weiter verfolgen, die im Sommer zustande gekommen war.
Während im Siegerlager die GLP das Resultat als «Ja zu einer offenen und vernetzten Schweiz» interpretierte (Beat Flach [glp, AG] in der Aargauer Zeitung), sah es die SP zwar als Stärkung der Bilateralen, nicht aber als Steilpass für ein Rahmenabkommen an. Regula Rytz (gp, BE) war stolz, dass die Bevölkerung die Sprengkraft der Initiative gegen die Institutionen erkannt habe. Das System zwinge zum Ausgleich und in der Schweiz könne niemand alleine entscheiden, kommentierte Justizministerin Simonetta Sommaruga das Verdikt. Die Bevölkerung wisse diesen Ausgleich zu schätzen. Der Gewerbeverband und Economiesuisse interpretierten das Nein als Bestätigung einer weltoffenen Wirtschaftsschweiz. Die Gewerkschaften sahen darin eine Ansage gegen die Abschottungspolitik und von einem klaren Bekenntnis zum Völkerrecht sprach Amnesty International.


Abstimmung vom 25. November 2018

Beteiligung: 48.4%
Ja: 872'288 (33.7%) / Stände: 0
Nein: 1'713'501 (66.3%) / Stände: 20 6/2

Parolen:
– Ja: EDU, FPS, SD, SVP
– Nein: BDP, CVP, EVP, FDP, GLP, GPS, KVP, PdA, SP; Economiesuisse, SGB, SGV, Travail.Suisse

Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)» (BRG 17.046)

Am 4. März 2018 war dann der Tag der Entscheidung gekommen. Wie die Vorbefragungen hatten vermuten lassen, wurde die No-Billag-Initiative deutlich abgelehnt. 71.6 Prozent der Stimmenden und Mehrheiten in allen 26 Kantonen sprachen sich gegen die Initiative aus. Besonders hoch war die Ablehnung in der Romandie, insbesondere im Kanton Neuenburg mit 78.3 Prozent Nein-Stimmen. Auch der Kanton Graubünden lehnte die Initiative mit 77.2 Prozent Nein-Stimmen deutlich ab. Am besten kam die No-Billag-Initiative im Kanton Schwyz mit 62.4 Prozent Ablehnung, gefolgt vom Kanton Schaffhausen mit 62.7 Prozent an; auch im Kanton Tessin fand die Vorlage mit 65.5 Prozent Nein-Stimmen nur etwa bei einem Drittel der Stimmenden Unterstützung. Aufgrund der intensiven Kampagne wenig überraschend fiel die Stimmbeteiligung mit 54.8 Prozent überdurchschnittlich hoch aus, im Tessin lag sie gar bei 65 Prozent. „Die No-Billag-Initiative startete ohne Chance, flog dann überraschend hoch, um schliesslich krachend abzustürzen“, fasste die Luzerner Zeitung den Abstimmungskampf fast poetisch zusammen.
Die Initianten zeigten sich zwar enttäuscht, dass sie nicht die von ihnen erwarteten 40 Prozent Zustimmung erreicht hatten, waren aber gleichzeitig zufrieden damit, das Thema aufs Tapet gebracht zu haben. Olivier Kessler unterstrich, dass es ihnen gelungen war, mit der Initiative eine grosse medienpolitische Diskussion zu lancieren und das Thema Zwangsgebühren zu enttabuisieren. Andreas Kleeb ergänzte, dass ohne die Initiative die Gebühren nicht auf CHF 365 gesenkt worden wären, und Thomas Juch fasste die Hoffnung der Initianten folgendermassen zusammen: „Wir haben heute nicht an der Urne gewonnen, aber wir werden langfristig gewinnen“.
Erste Gewinne im Sinne der Initianten hatten sich bereits kurz vor der Abstimmung angekündigt. So vermeldeten verschiedene Kritiker der Initiative, nach der Abstimmung im Parlament gegen die Sonderstellung der SRG vorgehen zu wollen. Dies bekräftigten sie durch die Einreichung verschiedener Vorstösse: Beat Vonlanthen (cvp, FR) wollte mit einer Motion (Mo. 18.3070) ein Werbeverbot ab 19:30 Uhr sowie ein Onlinewerbeverbot, eine Obergrenze für die Werbeeinnahmen und einen Ausstieg der SRG aus der Admeira erreichen. Eine BDP-Motion (Mo. 18.3100) zielte auf eine Senkung der Gebühren auf CHF 320 und auf eine entsprechende Kürzung des Budgets der SRG. Auch GLP-Präsident Jürg Grossen (glp, BE) und FDP-Präsidentin Petra Gössi (fdp, SZ) forderten, dass die SRG zukünftig sparen müsse. Selbst Gerhard Pfister, Präsident der SRG nahestehenden CVP, sprach sich für eine „Debatte über Grösse und inhaltliche Ausrichtung der SRG“ aus. SP-Präsident Christian Levrat (sp, FR) forderte stattdessen eine verstärkte Presseförderung. Aber auch die Initiativbefürworter waren bereits vor dem Abstimmungssonntag erneut tätig geworden: Natalie Rickli (svp, ZH) forderte in einer parlamentarischen Initiative eine Reduktion der Gebühren auf CHF 300 (Pa. Iv. 18.404) und Gregor Rutz (svp, ZH) beabsichtigte, die Abgabe für Unternehmen zu streichen (Pa. Iv. 18.405).
Auch von Seiten der SRG folgte eine Reaktion. Bereits Ende Januar hatte sich SRG-Generaldirektor Gilles Marchand mit einem Plan R zu Wort gemeldet: Nach Ablehnung der Initiative sollten die Strukturen der SRG vereinfacht und flexibilisiert, Prioritäten geklärt und Entscheidungen nachvollziehbarer gemacht werden. Einen Tag nach dem Abstimmungstermin machten die Verantwortlichen der SRG einen zusätzlichen Schritt auf ihre Kritiker zu. Marchand bezeichnete den Abstimmungssonntag als „Wendepunkt in der Geschichte der SRG“ und kündigte zusammen mit SRG-Präsident Jean-Michel Cina einen Reformplan an. Die SRG werde CHF 100 Mio. sparen – doppelt so viel wie aufgrund des Gebührendeckels sowieso nötig gewesen wäre. Sie werde sich zukünftig auf ihre Raison d‘Être konzentrieren und insbesondere Informationssendungen, Filme, Dokumentationen, Serien und mehr Eigenproduktionen ausstrahlen. Bei Spielfilmen soll es keine Werbeunterbrechungen mehr geben, zudem werde man auf eigenständige Inhalte auf den Internetseiten, auf Onlinewerbung und – trotz Erlaubnis des UVEK – auf zielgruppenspezifische Werbung verzichten. Damit setzte die SRG trotz Abstimmungsgewinn zumindest einen Teil der Forderungen ihrer Kritiker um.


Abstimmung vom 04. März 2018

Beteiligung: 54.8%
Ja: 833'837 (28.4%) / Stände: 0
Nein: 2'098'302 (71.6%) / Stände: 20 6/2

Parolen:
– Ja: SVP (2*), EDU, JSVP, Jungfreisinnige, Gewerbeverband
– Nein: CVP, BDP (1*), EVP, FDP, GLP, Grüne, LDP, SP, TravailSuisse, SGB, Economiesuisse, VSM, Médias Suisse
* In Klammer Anzahl abweichende Kantonalsektionen

Volksinitiative "Ja zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren" (No Billag-Initiative)

Anfang Februar 2018 veröffentlichte das Fedpol den Ergebnisbericht der Vernehmlassung zur Übernahme der geänderten EU-Waffenrichtlinie. Nebst den zahlenmässig sehr gut vertretenen Schützen- und Waffenkreisen – darunter der schweizerische Schiesssportverband (SSV), der schweizerische Büchsenmacher- und Waffenfachhändlerverband (SBV), ProTell, Legalwaffen Schweiz (LEWAS) und Jagd Schweiz – befanden sich auch alle Kantone, sieben nationale und drei kantonale Parteien, die KKJPD und die RK MZF, Economiesuisse, der schweizerische Gewerbeverband (SGV), der schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) und der schweizerische Städteverband unter den insgesamt 2205 Vernehmlassungsteilnehmenden. Davon sprachen sich der SSV und jene 2055 Stellungnehmenden, die sich dessen Stellungnahme angeschlossen hatten – darunter insbesondere Jagd Schweiz und die Aktion «Finger weg vom Schweizer Waffenrecht!», aber auch eine Vielzahl von Schützenvereinen und Privatpersonen – sowie der SBV, ProTell, LEWAS, die AUNS, die Gruppe Giardino, das Centre Patronal, der SGV, Swiss Olympic und zahlreiche weitere Schützen-, Waffensammler- und militärnahe Organisationen dezidiert gegen die geplante Änderung des Waffengesetzes aus. Einen grundsätzlich ablehnenden Standpunkt vertraten zudem auch die SVP Schweiz, ihre Sektionen Neuenburg, Jura und Valais Romand sowie die Kantone Nidwalden und Schwyz. Neun Kantone gaben zu verstehen, dass sie zwar die Ziele der EU-Waffenrichtlinie unterstützten, die vorgesehenen Änderungen am Waffengesetz aber ablehnten, da sie keinen genügenden Beitrag zur Bekämpfung von Waffenmissbrauch leisteten. Demgegenüber erklärte sich die Mehrheit der Kantone mit den Neuerungen grundsätzlich einverstanden. Insgesamt positiv beurteilt wurde der Entwurf auch von der BDP, der GLP, der FDP, der SP und den Grünen – wobei die letzteren beiden ausdrücklich bedauerten, dass er keine weitergehenden Massnahmen umfasste. Ebenso überwiegend befürwortend äusserten sich u.a. die KKJPD, die RK MZF, Economiesuisse, der Städteverband, die FER, der SGB, die GSoA, Terre des Hommes Schweiz, der schweizerische Friedensrat, die Frauen für den Frieden Schweiz, die Evangelischen Frauen Schweiz, die Haus- und Kinderärzte Schweiz und die schweizerische Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie. Unter den zustimmenden Stellungnahmen ausdrücklich positiv hervorgehoben wurden das Ziel, den Waffenmissbrauch zu bekämpfen bzw. den Zugang zu halbautomatischen Waffen einzuschränken, sowie die Vorteile der Schengen-Assoziierung für die Schweiz. Ansonsten äusserte sich die Zustimmung zur Vorlage hauptsächlich durch die Abwesenheit von Kritik.

An Letzterer wurde jedoch nicht gespart. Anlass dazu boten neben den einzelnen Bestimmungen des Waffengesetzes und deren konkreter Ausgestaltung vor allem die Stossrichtung der Revision im Allgemeinen. In der Schweiz, wo das Recht auf Waffenbesitz ein Aspekt der Unabhängigkeit und Souveränität des Staates sei, manifestiere sich im liberalen Waffenrecht der gegenseitige Respekt zwischen Staat und Bürgern, weshalb Verschärfungen nicht angebracht seien, argumentierten etwa ProTell, der SSV die RK MZF, die SVP sowie fünf Kantone (AI, AR, GL, SG, OW). Des Weiteren wurden die Entwaffnung der Bürger und schwere (Ruf-)Schäden für das Schweizer Schiesswesen befürchtet. Problematisch am Vorhaben sei ausserdem, dass darin Regelungen vorgesehen seien, die in der jüngeren Vergangenheit vom Volk abgelehnt worden waren. So komme die Registrierungspflicht für rechtmässig erworbene, aber neu verbotene halbautomatische Feuerwaffen einer Nachregistrierung gleich und der für den Erwerb einer solchen Waffe künftig erforderliche Nachweis einer Mitgliedschaft in einem Schiessverein bzw. alternativ des regelmässigen Gebrauchs der Waffe für das sportliche Schiessen erinnere zu stark an eine Bedürfnisklausel. Beide Massnahmen waren 2011 bei der Volksabstimmung über die Initiative gegen Waffengewalt abgelehnt worden – ein Umstand, den ausser Schützen- und Waffenkreisen auch die SVP und vier Kantone (AR, GE, SZ, TI) betonten. Von verschiedenen Seiten wurde zudem die fehlende Verhältnismässigkeit der Vorlage bemängelt. Während Angehörige der Waffenlobby ausführten, dass mit dem Entwurf eher die legalen Waffenbesitzer bestraft als Terroranschläge verhindert würden, äusserten sich zahlreiche Kantone und die CVP dahingehend, dass trotz erheblichen bürokratischen Mehraufwandes kaum ein Sicherheitsgewinn resultiere. Entgegen der Ankündigung des Bundesrates befanden der SSV, der SBV und ProTell den Umsetzungsvorschlag nicht für «pragmatisch» und die CVP sowie die grosse Mehrheit der Kantone bezweifelten, dass der Bundesrat den Handlungsspielraum bei der Umsetzung vollständig ausgeschöpft habe. Schützenkreise wiesen überdies auf eine hängige Klage am EuGH hin, in der die Tschechische Republik die Rechtmässigkeit der neuen EU-Waffenrichtlinie angefochten hatte, weil die Terrorabwehr den Einzelstaaten obliege und gar nicht in die Zuständigkeit der EU falle. Die Schweiz solle diesem Urteil nicht vorgreifen und das Waffenrecht nicht vorschnell anpassen.

Inhaltlich sei der Entwurf hinsichtlich zentraler Begrifflichkeiten – beispielsweise der Definitionen von «Faustfeuerwaffe» und «Handfeuerwaffe» – zu wenig präzise und überlasse zu viele Klärungen dem Verordnungsgeber, was Rechtsunsicherheit mit sich bringe. In diesem Zusammenhang forderten der SSV, der SBV, ProTell, LEWAS, der Städteverband sowie neun Kantone den Bundesrat auf zu definieren, was «Regelmässigkeit des sportlichen Schiessens» bedeute. Die Notwendigkeit einer solchen Präzisierung zeigte sich bereits in den unterschiedlichen Vorstellungen des Begriffs, welche die Vernehmlassungsantworten offenbarten: Hielten der SBV und ProTell einmal in fünf Jahren für eine angemessene Regelmässigkeit, sahen die Kantone Neuenburg, Tessin, Waadt und Wallis eine ausreichende Regelmässigkeit ab einer zweimaligen Nutzung pro Jahr gegeben. Ganz konkrete Kritik betraf darüber hinaus die vorgesehene Unterscheidung von Waffenkategorien anhand der Magazinkapazität. Diese sei kein Indikator für die Gefährlichkeit einer Waffe und die Regelung daher nicht nachvollziehbar; stattdessen wäre eine Unterscheidung anhand des Kalibers, des Munitions-Typs und einer allfälligen Serienfeuer-Möglichkeit zu diesem Zweck dienlicher. Da Magazine zum Teil waffentypübergreifend eingesetzt und separate Magazine bewilligungsfrei erworben werden könnten, sei die Regelung leicht zu umgehen und Missbrauch schwer zu verhindern, stellten mehrere Kantone fest. Die Skepsis der Waffenlobby sowie des Kantons Schwyz weckte zudem die Pflicht für Waffensammler, den Zweck der Sammlung offenzulegen. Der Mensch sei seit jeher ein Sammler, wie es ProTell ausdrückte, und viele Sammlungen dienten keinem besonderen Zweck ausser der Freude am Objekt selbst, weshalb eine solche Bestimmung verfehlt sei. Die Kritik am Entwurf beschränkte sich jedoch nicht darauf, dass er zu viele Einschränkungen vorsehe; an einigen Stellen wurde auch bemängelt, dass die Regelungen zu wenig weit gingen. So schlugen beispielsweise die SP, die GLP und fünf Kantone (NE, TI, VD, VS, GE) vor, es sei auch von Eigentümern von Ordonnanzwaffen ein Nachweis zu verlangen, dass sie die Waffe regelmässig für den Schiesssport verwendeten.

Auch lehnten nicht alle Kritiker der Waffenrechtsanpassung ebenso die Genehmigung des Notenaustausches mit der EU ab. Der Notenaustausch ist im Grunde genommen das Verfahren zur Übernahme eines weiterentwickelten Rechtsakts, der dem Schengen-Besitzstand angehört. Nachdem die EU der Schweiz am 31. Mai 2017 die neue Waffenrichtlinie als Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstandes notifiziert hatte, versicherte der Bundesrat in seiner Antwortnote vom 16. Juni 2017 der EU, dass die Schweiz die Richtlinie – vorbehaltlich der parlamentarischen Genehmigung – innerhalb einer Frist von zwei Jahren übernehmen und umsetzen werde. Die SVP, der SSV und LEWAS waren der Meinung, die Schweiz könne der EU mitteilen, die Waffenrichtlinie zu übernehmen – wozu sie als Vertragsstaat von Schengen/Dublin verpflichtet ist –, ohne dafür die Schweizer Rechtslage anpassen zu müssen. Sie hielten das Schweizer Waffenrecht für den Anforderungen der EU-Richtlinie dem Sinn nach entsprechend und sahen darum keinen Bedarf für eine Änderung des Schweizer Waffenrechts, auch wenn der Notenaustausch genehmigt würde. In die gleiche Richtung äusserte sich auch die CVP, welche die Frage stellte, ob das geltende Waffengesetz keine ausreichende Grundlage darstelle, um die Ziele der EU-Waffenrichtlinie weitgehend zu erfüllen. ProTell und der Kanton Schwyz lehnten indes auch die Genehmigung des Notenaustausches ab und forderten weitere Verhandlungen mit der EU.

Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands. Übernahme der Richtlinie 2017/853 zur Änderung der EU-Waffenrichtlinie
Dossier: Das Bundesgesetz über Waffen, Waffenzubehör und Munition (Waffengesetz)

Neben dem obligatorischen Referendum zur Zusatzfinanzierung der AHV durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, kündigten verschiedene Gruppierungen, allen voran die Westschweizer Gewerkschaften, ihr Interesse an der Ergreifung eines fakultativen Referendums zur Reform der Altersvorsorge 2020 an. So seien mit der Erhöhung des Frauenrentenalters und der Senkung des Umwandlungssatzes zwei Änderungen enthalten, die man nicht akzeptieren könne. Nach kurzer Zeit wurde jedoch deutlich, dass die Westschweizer Gewerkschaften nicht auf eine breite Unterstützung hoffen konnten und das Referendum mehrheitlich alleine würden stemmen müssen. Unterstützt wurden sie lediglich von vereinzelten linken Organisationen, zum Beispiel von der Genfer SP-Kantonalsektion. Gegen Ende der Unterschriftensammlung engagierten sich auch die Zeitschriften K-Tipp und Saldo. Als Grund dafür gaben sie an, dass sie verhindern wollten, dass auf dem Stimmzettel ausschliesslich von der AHV die Rede sei und dadurch das vollständige Ausmass der Revision unterschätzt würde. Zwar kritisierten auch weitere linke Kreise die Vorlage, allen voran die Gewerkschaften, dennoch sprachen sich die Delegierten der Unia, von VPOD, des SGB sowie von Travai.Suisse knapp für die Reform aus. Dabei wurden die unterschiedlichen Positionen der Linken in der Deutsch- und Westschweiz deutlich. Um diese verschiedenen Positionen zu vereinen, beschloss die SP eine Urabstimmung durchzuführen, bei der sich 90 Prozent der teilnehmenden SP-Mitglieder für die Reform aussprachen. Ungeachtet dieser Urabstimmung beschlossen die Juso kurze Zeit später die Nein-Parole und unterstützten das linke Referendumskomitee.

Gespalten zeigten sich wie bereits im Parlament auch die Bürgerlichen. FDP und SVP sowie breite Wirtschaftskreise inklusive Economiesuisse, dem Gewerbeverband und dem Arbeitgeberverband sprachen sich gegen die Reform aus, setzten dem linken Referendumskomitee jedoch kein bürgerliches Pendant entgegen. Unter dem Namen „Generationenallianz” bewarben sie aber gemeinsam die Ablehnung der Reform. Die anderen bürgerlichen Parteien, allen voran die CVP und BDP, warben für die Annahme der Vorlage. Unterstützt wurden sie von zahlreichen Westschweizer Verbänden, unter anderem vom Westschweizer Wirtschaftsverband Centre Patronal. Im Laufe der Kampagne sprachen sich unter anderem auch der Bauernverband, Eveline Widmer-Schlumpf als neue Präsidentin der Pro Senectute, Pro Senectute selbst sowie weitere Seniorenverbände für die Reform aus. Gespalten zeigten sich die Versicherungen: Während Helvetia und Axa Winterthur, der Pensionskassenverband Asip sowie der Verwaltungsratspräsident des AHV-Fonds die Reform befürworteten, hielten sich die anderen Versicherer bedeckt.

Da die Berichterstattung zur Vorlage nach dem Showdown im Parlament im März 2017 bis zum Abstimmungstermin im September 2017 nie wirklich abriss, beleuchteten die Medien jedes Detail der Vorlage und insbesondere des Abstimmungskampfes. So wurde ausführlich über die Positionen der verschiedenen Parteien, Verbände, Vereine und Interessengruppen, aber auch über einzelne Abweichler innerhalb der verschiedenen Akteursgruppen berichtet. Diskutiert wurden die Gefahr für die Reform durch das erforderliche Ständemehr sowie die Konsequenzen für die Reform, falls nur eine der beiden Vorlagen angenommen würde. Ausführlich beschrieben wurden die Aktivitäten der Jungparteien, die trotz geringem Budget mit viel Engagement versuchten, die jüngeren Stimmbürger zu mobilisieren und zu überzeugen. So engagierte sich zum Beispiel die Junge CVP mit einer eigenen Pro-Kampagne im Internet und mit Standaktionen, während die Jungfreisinnigen mit Aktionstagen, Plakaten und Videos für ein Nein warben. Zudem erhielten die Befürworter mit Ruth Dreifuss, Walter Andreas Müller und Beni Thurnheer prominente Unterstützung. Dieses Engagement ausserhalb des bezahlten Raums wurde auch durch eine Auswertung der Inseratekampagne durch Année Politique Suisse verdeutlicht. Diese ergab, dass Anzahl und Reichweite der Inserate zur Altersvorsorge entgegen der betont grossen Relevanz der Vorlage nur durchschnittlich gross waren, was die Komitees mit ihren knappen Budgets erklärten.

Ebenfalls sehr engagiert zeigte sich Bundesrat Berset, der nicht müde wurde, die Wichtigkeit der Reform zu betonen. Dieses starke Engagement vor allem auch in Zusammenhang mit seinen Warnungen vor den drastischen Folgen eines Neins brachten ihm jedoch viel Kritik ein. Hinzu kam eine breite Kritik am Abstimmungsbüchlein, das ausschliesslich die Referendumsführer, also die Westschweizer Gewerkschaften, zu Wort kommen liess, nicht aber die bürgerlichen Gegner der Vorlage. Grund dafür war, dass bei obligatorischen Referenden Minderheitenpositionen keine eigenen Seiten erhalten und bei fakultativen Referenden nur die Referendumskomitees. Darüber hinaus war vor allem inhaltliche Kritik am Abstimmungsbüchlein zu vernehmen, so seien die Darstellungen des Bundesrates fehlerhaft und unvollständig. Doch nicht nur zur Informationspolitik des Bundesrates, auch bezüglich der Argumentationen beider Lager wurden im Laufe der Kampagne vermehrt kritische Stimmen laut. Kritisiert wurde, dass beide Seiten nicht mit offenen Karten spielten und wichtige Argumente gezielt verschwiegen.

Inhaltlich drehte sich die Berichterstattung vor allem um die Frage, ob die AHV schneller in ernsthafte finanzielle Probleme gerate, wenn man die Reform annehme oder wenn man sie ablehne. Beide Seiten gaben zu, dass in Zukunft weitere Reformen nötig sein werden, uneinig war man sich jedoch darüber, bei welchem Abstimmungsergebnis dies dringender der Fall sei. Auch bezüglich den Gewinnern und Verlierern der Reform war man sich uneins. Sowohl Befürworter als auch Gegner betonten, dass alleine ihre Position die Situation der Jungen und der Frauen verbessern würde.

Aufgrund der knappen, ungewöhnlichen Ausgangslage mit Spaltungen innerhalb der linken und bürgerlichen Parteien war schliesslich unklar, welches Lager tendenziell in Führung lag. Wirklich Licht ins Dunkel konnten auch die Vorumfragen nicht bringen. Manchmal ergaben sie einen Vorsprung der Befürworter, manchmal der Gegner, aber grösstenteils machten sie relativ knappe Zwischenresultate zwischen den beiden Lagern aus. Entsprechend knapp gingen die Abstimmungen schliesslich auch aus. Mit 2357 Stimmen mehr bei 50.0 Prozent und 11 5/2 Standesstimmen lehnte das Stimmvolk die Mehrwertsteuererhöhung ab. Leicht deutlicher fiel die Entscheidung zur Reform der Altersvorsorge 2020 aus, die mit 52.7 Prozent abgelehnt wurde. Nach über zweijähriger Ausarbeitung der Reform wird das Parlament somit bei der Revision der Altersvorsorge von vorne beginnen müssen.


Abstimmung vom 24. September 2017

Zusatzfinanzierung der AHV durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer:
Beteiligung: 46.8%
Ja: 1`254`675 (50,0%) / Stände: 9 1/2
Nein: 1`257`032 (50,0%) / Stände: 11 5/2

Parolen:
-Ja: SP, Grüne, CVP, GLP, EVP, BDP, EDU
-Nein: SVP, FDP


Reform der Altersvorsorge 2020:
Beteiligung: 46,7%
Ja: 1`186`079 (47,3%)
Nein: 1`320`830 (52,7%)

Parolen:
-Ja: SP, Grüne, CVP, GLP, EVP, BDP
-Nein: SVP, FDP, EDU, PdA

Reform «Altervorsorge 2020» (BRG 14.088)
Dossier: Debatten um das Frauenrentenalter
Dossier: Erhöhung des Rentenalters
Dossier: Koordinationsabzug und Eintrittsschwelle BVG

Mit 60,4 Prozent Ja- gegenüber 39,6 Prozent Nein-Stimmen nahm das Schweizer Stimmvolk am 12. Februar 2017 die erleichterte Einbürgerung von Personen der dritten Ausländergeneration deutlich an. Die Stimmbeteiligung lag schweizweit bei 46,8 Prozent und schwankte zwischen 39 Prozent im Kanton Uri und rund 66 Prozent in Schaffhausen. Eher überraschend war das ebenfalls deutliche Ständemehr: 17 von 23 Ständen stimmten der Vorlage zu. Die auf frühere Abstimmungsergebnisse zur erleichterten Einbürgerung zurückgehenden Befürchtungen der Befürworter, am Ständemehr zu scheitern, wurden damit klar widerlegt. In den im Vorfeld des Urnengangs noch als „Swing States“ bezeichneten Kantonen resultierte überall ein Ja. Verglichen mit der Abstimmung von 1994, als das Anliegen am Ständemehr gescheitert war, wechselten somit die acht Kantone Luzern, Nidwalden, Solothurn, Aargau, Schaffhausen, Appenzell-Ausserrhoden, Tessin und Wallis auf die Befürworterseite, wobei es in Nidwalden, Appenzell-Ausserrhoden und Tessin ein enges Rennen war (NW 50,4%, AR 50,9%, TI 50,2% Ja-Stimmen). Die knappste Entscheidung überhaupt fiel im Kanton Thurgau, wo lediglich 24 Stimmen für die ablehnende Standesstimme ausschlaggebend waren. Ein ebenfalls hauchdünnes Nein resultierte in Glarus und St. Gallen mit Nein-Stimmenanteilen von 50,4 Prozent bzw. 50,2 Prozent. Demgegenüber stiess die Vorlage in sämtlichen Westschweizer Kantonen auf überdurchschnittlich hohe Zustimmung. Am deutlichsten stimmte der in Ausländerfragen ohnehin sehr offen eingestellte Kanton Neuenburg mit einem Ja-Stimmenanteil von 75,1 Prozent zu. Die höchste Ablehnung hingegen erfuhr die Vorlage in Appenzell-Innerrhoden, dessen Stimmbevölkerung zu 56,4 Prozent ein Nein einlegte. Augenfällig ist bei den Ergebnissen zudem das Gefälle zwischen Stadt und Land; so stimmte die Stadt Zürich zu 76 Prozent Ja (Kanton ZH: 63,2%) und die Stadt St. Gallen zu 65 Prozent (Kanton SG: 49,8%).

Bundesrätin Simonetta Sommaruga liess nach dem Urnengang verlauten, die Regierung nehme das Ergebnis „mit grosser Genugtuung“ zur Kenntnis und es stimme zuversichtlich „für weitere, ebenso umstrittene Vorlagen“. Darüber hinaus ermunterte sie junge Ausländerinnen und Ausländer der dritten Generation, nun „die Chance zu nutzen und ihre Heimat mitzugestalten“, und fügte an, die Erleichterung der Einbürgerung sollte voraussichtlich spätestens in einem Jahr in Kraft treten. Freude über den Entscheid herrschte auch beim SGB und bei der Operation Libero. Während Ersterer von einer überfälligen Reform sprach und ankündigte, nun auch die Anforderungen für andere Einbürgerungswillige senken zu wollen, sah Letztere in dieser Abstimmung einen „ersten, wichtigen Schritt zu einem liberalen Bürgerrecht“. Daran müsse man jetzt anknüpfen und beispielsweise auch die erforderliche Aufenthaltsdauer senken oder die Mindestwohnsitzfristen in den Gemeinden abschaffen. Wenig erfreut zeigte sich die SVP, die nach der Durchsetzungsinitiative und dem Asylgesetz mit dieser Abstimmung die dritte Niederlage in der Ausländerpolitik innerhalb eines Jahres hinnehmen musste. Als Kopf des Gegenkomitees und Initiator der umstrittenen Plakate machte Andreas Glarner (svp, AG) besonders die bereits Eingebürgerten für das Resultat verantwortlich und forderte die Abschaffung des Doppelbürgerrechts. Die SVP erklärte aber auch, das Verdikt von Volk und Ständen zu akzeptieren und die noch offenstehende Möglichkeit, das Referendum gegen die in dieser Sache beschlossene Gesetzesänderung zu ergreifen, nicht wahrnehmen zu wollen.


Abstimmung vom 12. Februar 2017

Beteiligung: 46,84%
Ja: 1'499'627 (60,4%) / Stände: 15 4/2
Nein: 982'844 (39,6%) / Stände: 5 2/2

Parolen:
– Ja: SP, FDP (1*), CVP (1*), Grüne, GLP, BDP (1*), EVP, Städteverband, Eidgenössische Migrationskommission, SGB, Travail.Suisse
– Nein: SVP, EDU (1*)
* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen

La Suisse doit reconnaître ses enfants (Iv.Pa. 08.432) / Erleichterte Einbürgerung der dritten Generation

Les modifications légales nécessaires pour le couplage des système d'échange de quota d'émission (SEQE) suisse et européen ont été mises en consultation, en même temps que la révision totale de la loi sur le CO2 et l'approbation de l'Accord de Paris. Des acteurs du secteur de l'énergie, des organisations de politiques énergétiques, des organisations des transports publics et privés, des organisations de protection de l'environnement et des associations faîtières de l'économie ont pris part à la consultation outre les entités cantonales, communales et les partis politiques.
Le projet de couplage a rencontré un large soutien - tous les cantons sauf Schwyz et Berne, les commissions et conférences communales, le PBD, le PCS, le PDC, les Vert'libéraux, le PLR, les associations faîtières de l'économie, les acteurs du secteur de l'énergie, quelques organisations des transports publics et privés et autres organisations l'ont approuvé. D'après les partisans, le couplage permettrait à l'économie suisse d'être sur un pied d'égalité avec ses concurrents directs dans l'UE et la Suisse aurait ainsi accès à un marché plus liquide des droits d'émission. Sur les 256 avis, 26 participants ont rejeté le projet. Il s'agit des cantons de Berne, de Schwyz, des Verts, des Jeunes Vert-e-s, de l'UDC, de la SES, des organisations des transports publics et privés, des organisations de protection de l'environnement et d'autres organisations. L'efficacité du système européen comme instrument de politique climatique a été mise en doute en raison des bas prix des droits d'émission. Plusieurs participants souhaitaient intégrer l'aviation dans le système d'échange afin que ce secteur réduise également ses émissions. Cette mesure était supportée par 15 cantons (FR, JU, AR, AI, GR, GL, ZG, ZH, UR, GE, SG, OW, LU, VS, NW), la Conférence gouvernementale des cantons alpins, la DTAP, l'EnDK, le PS, les Verts, les Jeunes Vert-e-s, le PDC, le PLR, la SES et les organisations de protection de l'environnement. Elle était refusée par le Centre Patronal, l'USAM, economiesuisse, l'UP, Aerosuisse et la SIAA. Le principal argument avancé était que l'Organisation de l'aviation civile internationale (OACI) avait déjà proposé des mesures dans ce domaine. Sur la question de l'intégration des centrales thermiques à combustibles fossiles dans le SEQE, 14 cantons (BL, ZH, UR, AR, AI, GR, GL, ZG, SG, OW, LU, VS, NW, FR) y étaient favorables. La Conférence gouvernementale des cantons alpins, la DTAP, l'EnDK, l'UP, Forum suisse de l'énergie, l'AES, la SES, Swisselectric, les organisations de protection de l'environnement ont également approuvé la proposition. Finalement, le Centre Patronal, l'USAM, Swissmem, l'USP et economiesuisse ont proposé que les entreprises puissent demander de sortir du SEQE ou à y être intégré.
Le Conseil fédéral a pris connaissance de ces résultats. Il présentera un message au Parlement pour l'approbation de l'accord sur le couplage des SEQE suisse et européen.

Verknüpfung der Emissionshandelssysteme (Schweiz-EU) (BRG 17.073)
Dossier: Die Kyoto-Protokolle
Dossier: Totalrevision des CO2-Gesetzes

La procédure de consultation a permis de recueillir 256 avis relatifs à la politique climatique post-2020, particulièrement quant à l'approbation de l'Accord de Paris sur le climat, la révision de loi sur le CO2 et l'approbation de l'accord sur le couplage des SEQE suisse et européen. Des acteurs du secteur de l'énergie, des organisations de politiques énergétiques, organisations des transports publics et privés, organisations de protection de l'environnement et des associations faîtières de l'économie ont pris part à la consultation outre les entités cantonales, communales et les partis politiques.
La ratification de l'Accord de Paris récolte un large soutien. Toutefois, les objectifs de réduction des émissions de CO2 sont plus disputés. La plupart des participants sont favorables à l'objectif global de réduction des émissions de 50% par rapport à 1990 d’ici 2030. A propos de la répartition des parts de réduction d'émissions entre la Suisse et l'étranger, une très faible majorité estime que la part à réaliser en Suisse devrait être plus élevée que celle proposée dans le projet. Les acteurs de l'économie, les entreprises et un nombre assez important de cantons appellent à la flexibilisation de ces parts. Finalement, la fixation d'un objectif moyen révèle des avis mitigés. Au sujet du couplage des SEQE, seul un quart des participants s'y oppose. Du côté des partisans, un nombre important d'acteurs doutent de l'efficacité du système européen en raison des prix bas des droits d'émission. D'autres souhaiteraient intégrer l'aviation dans le SEQE pour que le secteur réduise aussi ses émissions. Pour le projet de révision de la loi sur le CO2, la hausse du montant maximal de la taxe sur le CO2 perçue sur les combustibles satisfait la plupart des cantons, presque toutes les commissions, conférences et associations de communes et quelques partis politiques. Les organisations de protection de l'environnement voudraient un montant plus élevé que 240 francs ou alors qu'aucun montant maximal ne soit fixé pour pouvoir adapter la taxe au degré d'atteinte des objectifs. La majorité des participants est favorable au maintien des exemptions de la taxe sur le CO2 perçue sur les combustibles, au maintien de l'obligation de compenser pour les importateurs de carburants, au maintien des prescriptions relatives aux émissions de CO2 pour les véhicules, au maintien des activités de formation, d'information au public et de conseil aux professionnels. Un tiers des participants est pour l'interdiction subsidiaire des chauffages à combustibles fossiles. La proposition de l'abandon de l'affectation partielle du produit de la taxe sur le CO2 au Programme Bâtiments, ainsi que l'abandon de l'affectation partielle du produit de la taxe sur le CO2 au fond de technologie, ne rencontre pas de soutien.
Suite à la procédure de consultation, le Conseil fédéral a pris connaissance des résultats. Le projet concernant l'approbation de l'Accord de Paris a été transmis au Parlement dans le cadre d'une procédure accélérée.

Klimagesetzgebung ab 2020 (Lima 2014)
Dossier: Die Kyoto-Protokolle
Dossier: Klimawandel in der Schweiz
Dossier: UNO-Klimakonferenzen