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Ende November 2020 fanden Lohngespräche zwischen den Personalverbänden und dem Finanzminister Ueli Maurer statt. Aufgrund der Corona-Krise, die ein Loch in den Bundeshaushalt zu reissen drohte, und weil man von einer negativen Teuerung ausging, wurde beschlossen, für das kommende Jahr keine Lohnmassnahmen für die Bundesangestellten zu treffen. Die Forderung der Personalverbände, statt Lohnerhöhungen den Vaterschaftsurlaub von 10 auf 20 Tage zu verlängern, wolle Ueli Maurer dem Bundesrat unterbreiten, war der entsprechenden Medienmitteilung zu entnehmen. Bei den Gesprächen wurde zudem die Absichtserklärung 2020–2023 zwischen Bund und den Sozialpartnern unterzeichnet, mit der die Sozialpartnerschaft umrissen wird und die wichtigsten Probleme und Lösungen in der Personalpolitik festgelegt werden.

Lohnmassnahmen Bundesverwaltung für das Jahr 2021

Noch bevor der Abstimmungskampf zur Änderung der direkten Bundessteuer zur steuerlichen Berücksichtigung der Kinderdrittbetreuungskosten, über die im Mai 2020 hätte abgestimmt werden sollen, richtig begonnen hatte, gab der Bundesrat im März 2020 bekannt, die Abstimmung aufgrund des Corona-bedingten Lockdowns auf September 2020 zu verschieben.
Die Abstimmungsvorlage umfasste zwei Aspekte: einerseits die im Titel aufgeführte Erhöhung des Drittbetreuungsabzugs von CH 10'000 auf CHF 25'000, andererseits die der Vorlage von der bürgerlichen Parlamentsmehrheit hinzugefügte Erhöhung des Kinderabzugs von CHF 6'500 auf CHF 10'000. Im Zentrum der Abstimmungskampagne stand der zweite Aspekt, die Erhöhung des Kinderabzugs, wobei dieselbe Frage die Diskussion dominierte, die schon im Rahmen der Parlamentsdebatte im Mittelpunkt gestanden hatte: Wer profitiert von den Kinderabzügen? Zur Beantwortung dieser Frage stützten sich beide Seiten auf die Daten der ESTV, welche Finanzminister Maurer in der Parlamentsdebatte präsentiert hatte.
Die Befürworterinnen und Befürworter stellten den Nutzen der Vorlage für den Mittelstand in den Mittelpunkt ihrer Kampagne. «Der Mittelstand profitiert», warb etwa die CVP auf ihrer Internetseite. Stütze man sich auf die Definition des BFS für «Mittelstand», erhalte der Mittelstand 49 Prozent der Ermässigungen, argumentierte Marianne Binder-Keller gegenüber dem Sonntagsblick. Gegen diese Darstellung wehrten sich die Gegnerinnen und Gegner der Vorlage: Der (obere) Mittelstand profitiere zwar auch, in erster Linie nütze die Vorlage aber vor allem den Gutverdienenden, kritisierten sie: Je höher das Einkommen, desto grösser sei der Spareffekt. 70 Prozent der Gesamtentlastung kämen so den 15 Prozent der Familien mit den höchsten Löhnen zu, während 45 Prozent der Familien keine Entlastung erfahren würden, da sie keine Bundessteuern bezahlten. Gar als «Klientelpolitik» bezeichnete etwa das liberale Komitee, vor allem bestehend aus Mitgliedern der GLP, die Vorlage. Noch einseitiger sei die Verteilung schliesslich, wenn nicht nur die Familien, sondern alle Haushalte, also auch die Alleinstehenden und die kinderlosen Paare, die ja ebenfalls von den Steuerausfällen betroffen wären, berücksichtigt würden, betonte überdies Jacqueline Badran (sp, ZH). Berücksichtige man diese ebenfalls, profitierten lediglich sechs Prozent aller Haushalte von 70 Prozent der Steuerausfälle. Man lasse jedoch den Mittelstand im Glauben, dass er von der Vorlage profitiere, indem in der Debatte sowie im Abstimmungsbüchlein jeweils das steuerbare Einkommen aufgeführt werde. Dies sei «total irreführend» (Badran gemäss Blick), da niemand die Höhe seines persönlichen steuerbaren Einkommens kenne. Die ESTV begründete die Verwendung des steuerbaren Einkommens jedoch damit, dass sich der tatsächliche Steuerbetrag beim Bruttoeinkommen zwischen verschiedenen Personen stark unterscheiden könne.
Obwohl die Befürworterinnen und Befürworter immer betonten, dass die Mehrheit der Familien profitiere, gab zum Beispiel Philipp Kutter (cvp, ZH), der die Erhöhung der Kinderabzüge im Nationalrat eingebracht hatte, in einem Interview gegenüber der NZZ unumwunden zu, dass die Vorlage auch eine Steuersenkung für Gutverdienende beinhalte: Über den Steuertarif seien allgemeine Steuersenkung für Gutverdienende «chancenlos», mehrheitsfähig sei einzig der «Weg über die Kinderabzüge».

Nicht nur der Mittelstand, sondern auch die Familien standen im Zentrum der Vorlage. Diese müssten endlich unterstützt werden, betonte Philipp Kutter, was mithilfe der aktuellen Vorlage möglich sei: 60 Prozent aller Familien könnten von einer Erhöhung des Kinderabzugs profitieren. Dem entgegnete etwa die NZZ, dass die Familien in den letzten Jahren stark entlastet worden seien (v.a. durch die Reduktion der Bundessteuer für Haushalte mit Kindern), deutlich stärker zumindest als Kinderlose. Brigitte Häberli-Koller (cvp, TG) befürwortete indes insbesondere, dass durch die aktuelle Vorlage alle Familienmodelle unabhängig der Betreuungsform entlastet würden. Die Gesellschaft habe als Ganzes ein Interesse daran, dass die Leute Kinder bekommen, ergänzte Kutter. Familiäre Strukturen seien für die Gesellschaft wichtig, überdies sei man dadurch weniger auf Zuwanderung angewiesen, die ja ebenfalls teilweise auf Ablehnung stosse. Demgegenüber wurde in der NZZ die Frage diskutiert, ob Kinderabzüge überhaupt gerechtfertigt seien. So könne man es als private Konsumentscheidung ansehen, Kinder zu haben; in diesem Falle würden Kinderabzüge der Besteuerung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit widersprechen. Es gäbe aber einen politischen Konsens, dass das Steuerrecht Kinderkosten berücksichtigen solle. Die Entscheidung, wie diese Unterstützung erfolgen solle (durch degressiv wirkende Kinderabzüge, neutral wirkende Abzüge vom Steuerbetrag oder durch progressiv wirkende Kinderzulagen zum Erwerbseinkommen), sei dann eine weitere, umverteilungspolitische Entscheidung.

Ein weiteres Argument der Gegnerinnen und Gegner der Erhöhung des Kinderabzugs lag in den daraus folgenden hohen Kosten: Die Vorlage verursache voraussichtlich fast 40mal höhere Kosten, als für die Erhöhung des Drittbetreuungsabzugs geplant worden war, und übertreffe damit auch die Kosten der medial deutlich umstritteneren Verlängerung des Vaterschaftsurlaubs. Dadurch sei zukünftig weniger Geld für andere, sinnvollere Projekte vorhanden, argumentierten sie. SP, Grüne und die Kritikerinnen und Kritiker der Vorlage aus der FDP stellten dabei insbesondere die Individualbesteuerung in den Mittelpunkt. Dieser sprachen sie eine deutlich grössere Wirkung auf die Erwerbstätigkeit von Frauen zu als den Drittbetreuungsabzügen. Da sie aber ebenfalls zu hohen Steuerausfällen führen würde, befürchteten sie, dass die Abschaffung der Heiratsstrafe bei Annahme der aktuellen Vorlage auf die lange Bank geschoben würde, weil kein Geld mehr vorhanden wäre. Verstärkt wurde dieses Argument durch die hohen Kosten zur Bewältigung der Corona-Pandemie: Hatte der Bundesrat während der Budgetdebatte fürs Jahr 2020 noch mit einem Überschuss von CHF 344 Mio. gerechnet, wurde jetzt ein Defizit über CHF 20 Mrd. erwartet. Die Medien vermuteten von diesem Defizit nicht nur Auswirkungen auf die Vorlage zum Drittbetreuungs- und zum Kinderabzug, sondern auch auf die gleichzeitig stattfindenden Abstimmungen zu den Kampfflugzeugen und über den Vaterschaftsurlaub. «Angesichts enormer Zusatzlasten kann sich unsere Gesellschaft erst recht keine Steuergeschenke mehr leisten, die nichts bringen», argumentierte etwa GLP-Nationalrat Thomas Brunner (glp, SG). Das sahen die Befürwortenden anders, Philipp Kutter etwa betonte: «Das wird den Bund nicht umbringen».

Schliesslich waren sich Befürwortende und Gegnerschaft nicht einig, inwiefern das ursprüngliche Ziel der Vorlage, die Förderung der Beschäftigung hochgebildeter Personen, insbesondere von Frauen, durch die Ergänzung der Kinderabzüge gefördert wird. Raphaela Birrer argumentierte im Tages-Anzeiger, dass die Erhöhung der Kinderabzüge die Anreize zur Erhöhung der Erwerbstätigkeit verstärke. In einer Studie zur Wirkung der beiden Abzüge (Kinderabzug und Drittbetreuungsabzug) auf die Erwerbstätigkeit bestätigte Avenir Suisse diesen Effekt nur bedingt: Zwar senkten beide Abzüge den Grenzsteuersatz (also die Besteuerung von zusätzlichem Einkommen) und förderten damit die Erwerbstätigkeit, jedoch sei der entsprechende Effekt des Kinderabzugs gering. Zudem senke er auch den Grenzsteuersatz von Einverdienerhaushalten, wodurch die Erwerbstätigkeit von Frauen nicht gesteigert werde. Von der Erhöhung des Betreuungskostenabzugs sei hingegen ein deutlich stärkerer Effekt auf die Erwerbstätigkeit zu erwarten, damit könne der Anreiz des aktuellen Steuersystems für Zweitverdienende, nicht oder nur wenig zu arbeiten, gemildert werden. Die GLP stellte entsprechend insbesondere diesen Aspekt in den Mittelpunkt und sprach von einer Mogelpackung, weil die Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch die Erhöhung des Kinderabzugs nicht verbessert werde. Nationalrätin Christa Markwalder (fdp, BE), die sich ebenfalls im liberalen Komitee engagierte, reichte im Juni 2020 eine parlamentarische Initiative (Pa.Iv. 20.455) ein, mit der sie das Originalanliegen der Vorlage, also den Drittbetreuungsabzug, erneut aufnahm. Damit sollte dieser bei einer Ablehnung der Vorlage möglichst schnell verwirklicht werden können.
Die Frage, ob die Vorlage Anreize zur Erhöhung der Erwerbstätigkeit beinhalte oder nicht, hatte aber noch eine zweite Komponente. So störte sich die Weltwoche überhaupt daran, dass das Steuerrecht «für alle möglichen Zwecke instrumentalisiert» werde. Es sei nicht dafür da, «bestimmte Lebensmodelle zu fördern», argumentierte Katharina Fontana. Zudem sei es unmöglich, Steuergerechtigkeit herzustellen, zumal sich niemand jemals gerecht besteuert fühle.

Bezüglich der Komitees gibt es weniger zu sagen. Auf der Befürworterseite der Vorlage standen insbesondere die CVP und die SVP. Ja-Parolen gaben auch die BDP, EVP und die FDP.Liberalen aus, unterstützt wurden sie vom Gewerbeverband. Die Medien interessierten sich indes insbesondere für die Position der Freisinnigen, zumal sie die Vorlage im Parlament anfangs bekämpft, ihr mit ihrem Meinungswandel dann aber zum Durchbruch verholfen hatten. Nun wolle sich die Partei nicht an der Kampagne beteiligen, so die WOZ, zumal sie intern gespalten war: Einzelne Personen, darunter Ständerat Andrea Caroni (fdp, AR) und Nationalrätin Christa Markwalder, sprachen sich gegen die Vorlage aus und beteiligten sich gar am liberalen Nein-Komitee. Dieses setzte sich insbesondere aus Mitgliedern der GLP zusammen und kämpfte vor allem dagegen, dass die «Mogelpackung» viel koste, aber keine oder gar negative Auswirkungen hätte. Damit würden «keine Anreize für arbeitstätige Elternteile geschaffen», betonte Kathrin Bertschy (glp, BE). Auf linker Seite kämpften vor allem die SP und die Grünen, welche die Unterschriften für das Referendum gesammelt hatten, für ein Nein. Unterstützt wurden sie von den Gewerkschaften, aber auch Avenir Suisse sprach sich gegen die Kinderabzüge aus. Stimmfreigabe erteilten hingegen unter anderem die FDP Frauen. Sie befürworteten zwar den Drittbetreuungsabzug, störten sich aber an den hohen Kosten des Kinderabzugs, durch den das wichtigere Projekt der Individualbesteuerung weiter hinausgeschoben werde. Auch der Arbeitgeberverband entschied sich für Stimmfreigabe, nachdem er das Projekt im Parlament noch bekämpft hatte, da es «kaum zu einer stärkeren Arbeitstätigkeit der Eltern beitrage», wie der Blick berichtete. Dasselbe geschah mit Economiesuisse, der das Kosten-Nutzen-Verhältnis der Vorlage anfangs zu wenig ausgewogen gewesen sei. Der Sonntags-Blick vermutete, dass sich die Verbände nicht zu einer Nein-Parole hätten durchringen können, da das Referendum «aus dem falschen politischen Lager» stammte. Interessant war für die Medien schliesslich auch die Position des Bundesrates, insbesondere von Finanzminister Maurer. Dieser hatte die Vorlage im Parlament mit deutlichen Worten bekämpft, vertrat nun aber – wie im Gesetz für politische Rechte geregelt – die Position des Parlaments. Ersteres hatte er so gut getan, dass sich auch die NZZ nicht sicher war, ob er denn nun die Vorlage persönlich befürworte, wie seine Partei, oder sie ablehne.

Der Abstimmungskampf zur Vorlage verlief ungemein schwach. So stand sie deutlich im Schatten der Corona-Pandemie sowie der anderen vier Vorlagen. Sie wurde gemäss Analysen vom Fög und von Année Politique Suisse einerseits nur sehr schwach in Zeitungsinseraten beworben und andererseits auch in den Medien vergleichsweise selten thematisiert. Die briefliche Stimmabgabe deutete anfänglich auf mässiges Interesse am Super-Sonntag hin, wie der Abstimmungstag mit fünf Vorlagen in den Medien genannt wurde. Die SP schaltete sieben kurze Animationsfilme und gab ein Comic-Heftchen zu den Filmen aus, um zu verhindern, dass die Vorlage untergeht. Die ersten Vorumfragen Mitte August 2020 zeigten dann auch, dass die Meinungsbildung zur Vorlage noch nicht weit fortgeschritten war. Auf diese Tatsache wurde in den entsprechenden Berichten das Zwischenergebnis, wonach die Sympathisierenden von SP und Grünen die Vorlage mehrheitlich befürworteten, zurückgeführt. Besserverdienende gaben zu diesem Zeitpunkt an, der Vorlage eher zuzustimmen. Christian Levrat (sp, FR) hoffte, diese Personen durch die Kampagne noch umstimmen zu können. Die erste Tamedia-Umfrage ergab insgesamt eine Zustimmung («dafür» oder «eher dafür») von 55 Prozent und eine Ablehnung von 37 Prozent, während die SRG-Vorumfrage mit 51 Prozent zu 43 Prozent zu ähnlichen Ergebnissen kam. Diese Zahlen kehrten sich bis zum Termin der letzten Welle Mitte September um: Die Tamedia-Umfrage ergab eine Zustimmung von 46 Prozent und eine Ablehnung von 51 Prozent, die SRG-Umfrage eine von 43 Prozent zu 52 Prozent. Bei den Sympathisierenden von SP und Grünen war die Zustimmung vom ersten zum zweiten Termin gemäss SRG-Umfragen um 19 respektive 14 Prozentpunkte gesunken, bei den Sympathisierenden der GLP ebenfalls um 12 Prozentpunkte. Bei den übrigen Parteien nahm sie ebenfalls leicht ab.

Das Resultat der Abstimmung zur Änderung der direkten Bundessteuer über die steuerliche Berücksichtigung der Kinderdrittbetreuungskosten war schliesslich deutlicher, als die Vorumfragen und die Ausgangslage viele Kommentatorinnen und Kommentatoren hatten vermuten lassen: Mit 63.2 Prozent Nein-Stimmen lehnte das Stimmvolk die Vorlage mit einer vergleichsweise hohen Stimmbeteiligung von 59.2 Prozent deutlich ab. Dieses Nein lasse jedoch einigen Interpretationsspielraum, betonten die Medien. So gab es zwischen den Kantonen doch beträchtliche Unterschiede: Am kritischsten zeigte sich die Stimmbevölkerung im Kanton Appenzell-Ausserrhoden (28.1%), gefolgt von denjenigen in Appenzell-Innerrhoden (29.3%) und Bern (29.5%), am höchsten lag die Zustimmung im Tessin (52.0%) und in Genf (50.1%), beide Kantonsbevölkerungen hätten die Vorlage angenommen. Allgemein wurde gemäss BFS ersichtlich, dass die italienischsprachige (52.0%) und die französischsprachige Schweiz (48.5%) der Vorlage deutlich mehr abgewinnen konnten als die Deutschschweiz. Kaum Unterschiede waren zwischen Stadt und Land erkennbar: Die ländlichen Regionen (35.3%) lehnten die Vorlage ähnlich stark ab wie die Kernstädte (35.8%). Das Resultat könne nicht mit dem Links-Rechts-Schema erklärt werden, betonte die NZZ. Stattdessen seien vor allem die persönliche Einstellung zur Familienpolitik und zur Rolle des Staates relevant gewesen. Die externe Kinderbetreuung würde in der Romandie stärker akzeptiert und durch den Staat stärker unterstützt als in der Deutschschweiz, betonte denn auch CVP-Ständerätin Marianne Maret (cvp, VS) gegenüber der NZZ. Entsprechend habe in der Westschweiz vor allem der Drittbetreuungsabzug im Mittelpunkt gestanden, während in der Deutschschweiz hauptsächlich über den Kinderabzug diskutiert worden sei, stellte SP-Nationalrätin Franziska Roth (sp, SO) fest. Eine zu späte Kampagne in der Romandie machte schliesslich SP-Nationalrat Roger Nordmann für den hohen Anteil Ja-Stimmen in der französischsprachigen Schweiz verantwortlich. Christian Levrat erachtete das Ergebnis insgesamt als Absage des Volkes an die bürgerliche Steuerpolitik und als Ausblick auf andere bürgerliche Projekte zur Abschaffung der Stempelabgabe, der Industriezölle, des Eigenmietwerts oder der Heiratsstrafe. Stattdessen müssten nun Familien mit tiefen und mittleren Einkommen entlastet werden, insbesondere durch die Senkung der Krankenkassenprämien und die kostenlose Bereitstellung von Kita-Plätzen. Philipp Kutter wollte die Entlastung von Familien weiterverfolgen und plante anstelle des Kinderabzugs einen Abzug vom Steuerbetrag. Dass neben der Erhöhung des Kinderabzugs auch die Erhöhung des Drittbetreuungsabzugs gescheitert war, erachtete Christa Markwalder nicht als entmutigend und setzte auf ihre eingereichte parlamentarische Initiative. Anders als bei der ersten Behandlung des Themas im Nationalrat, als sich die SP- und die Grüne-Fraktion gegen Eintreten ausgesprochen hatten, kündigte Christian Levrat an, die parlamentarische Initiative zu unterstützen. Dies sei aber nur ein erster Schritt, zusätzlich brauche es auch Lösungen, die sich für die Mehrheit der Bevölkerung auszahlten.


Abstimmung vom 27. September 2020

Beteiligung: 59.2%
Ja: 1'164'415 (36.8%)
Nein: 2'003'179 (63.2%)

Parolen:
- Ja: BDP (1*), CVP, EVP (1*), FDP (1*), SVP; SGV
- Nein: EDU, GLP (1*), GPS, PdA, SD, SP; SGB, SSV, Travail.Suisse, VPOD
- Stimmfreigabe: Economiesuisse, SAV
* Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Steuerliche Berücksichtigung der Kinderdrittbetreuungskosten

Der SGB und der Arbeitnehmerdachverband Travail.Suisse und damit einhergehend auch die grossen Gewerkschaften Unia, Syna und VPOD fassten im Februar 2020 die Nein-Parole zur Begrenzungsinitiative, wie der SGB per Medienmitteilung kommunizierte.
Die Initiative wolle den Lohnschutz aufweichen, die Arbeitsbedingungen verschlechtern und die Schweiz isolieren, so die Hauptargumente der ablehnenden Arbeitnehmerverbände. VPOD-Präsidentin Katharina Prelicz-Huber (gp, ZH) betonte zudem, für migrantische Arbeitskräfte drohe sich bei einer Annahme der Initiative die arbeitsrechtliche Situation besonders zu verschlechtern, da deren Rechte mit der Initiative geschwächt und sie so leichter ausgebeutet werden könnten.
Die Gewerkschaften kündigten mit der Parolenfassung ebenfalls eine grossangelegte Gegenkampagne an, die sodann in den Medien thematisiert wurde. Wie die Initiativgegnerinnen und -gegner bekannt gaben, planten sie, eine Abstimmungszeitung in jeden Schweizer Haushalt verschicken zu wollen. Damit würden die Gewerkschaften auf ein «bevorzugtes Kampagneninstrument der SVP» setzen, konstatierte der Tages-Anzeiger und titelte: «Gewerkschaften greifen SVP mit deren eigenen Mitteln an».
Aufgrund der Corona-Pandemie wurde die ursprünglich für Mai vorgesehene Abstimmung auf September verschoben, weshalb auch die Kampagne unterbrochen wurde. Im Juni gab der SGB schliesslich bekannt, die Kampagne gegen die Begrenzungsinitiative fortzuführen.

Gewerkschaften sagen Nein zu Begrenzungsinitiative

In der Wintersession 2019 befasste sich der Ständerat als Zweitrat mit der Motion Seiler Graf (sp, ZH) für eine schweizweite Regelung privater Sicherheitsdienstleistungen. Nachdem die SiK-SR die KKJPD angehört und sich darüber unterrichten lassen hatte, dass die aktuelle Situation «unhaltbar» sei, gleichzeitig aber keine Aussicht auf eine Harmonisierung des kantonalen Rechts in diesem Bereich bestehe und eine einheitliche Regelung nur mittels Bundesgesetz erreicht werden könne, beantragte sie die Motion ihrem Rat mehrheitlich zur Annahme. Die Minderheit anerkannte zwar den Handlungsbedarf, wollte jedoch nicht – nicht einmal auf deren ausdrückliche Bitte hin – in die Kompetenz der Kantone eingreifen, weil sie weitere ähnliche Kompetenzabtretungen in Zukunft fürchtete und damit den Föderalismus in Gefahr sah. Aus diesem Grund hatte die Kommission bereits einige Monate zuvor – noch vor der erwähnten Anhörung der KKJPD – eine praktisch gleichlautende Motion Rechsteiner (sp, SG; Mo. 17.4101) mehrheitlich abgelehnt, die der Motionär daraufhin zurückzog. Die Motion Seiler Graf wurde im Ständerat mit der knappen Mehrheit von 23 zu 21 Stimmen bei einer Enthaltung abgelehnt. Laut Minderheitsvertreter Thomas Minder (parteilos, SH) sei dies ein «starkes Zeichen an die Kantone, ihre verhältnismässig kleinen Probleme im Bereich der inneren Sicherheit selbst zu lösen». Ständeratspräsident Hans Stöckli (sp, BE) erheiterte das Plenum zum Schluss der Debatte mit der Bemerkung, die Motion sei damit erledigt, «aber das Problem wahrscheinlich nicht».
In der Tat hatten sich nicht nur der Polizeiverband, der gemäss der NZZ seit längerer Zeit vor Wildwuchs im Sicherheitsbereich gewarnt hatte, sondern auch der Verband Schweizerischer Sicherheitsdienstleistungsunternehmen (VSSU) und damit die Security-Branche selbst einheitliche Qualitätsstandards gewünscht. «Die private Sicherheitsbranche kann sich längerfristig nur entwickeln, wenn sie von der Öffentlichkeit als kompetent wahrgenommen wird», erklärte VSSU-Vertreter Matthias Fluri gegenüber der NZZ. Mit der Ablehnung durch den Ständerat ist das «Ende des Trauerspiels» (NZZ) jedoch wohl wieder ausser Sichtweite gerückt.

Private Sicherheitsdienstleistungen endlich schweizweit regeln (Mo. 16.3723)

Nicht nur der Gewerbeverband (SGV), auch die Gewerkschaften verloren bei den Eidgenössischen Wahlen im Herbst 2019 Sitze im Parlament. Wie der Tages-Anzeiger nach den Wahlen berichtete, wurden Corrado Pardini (sp, BE) und Nicolas Rochat Fernandez (sp, VD) von der Unia, Philipp Hadorn (sp, SO) von der SEV, Thomas Ammann (cvp, SG) von Transfair sowie Adrian Wüthrich (sp, BE) von Travailsuisse nicht wiedergewählt. Der Travailsuisse-Vizepräsident, Jacques-André Maire (sp, NE) hatte zudem bereits im Vorfeld angekündigt, dass er sich aus der Politik zurückziehen werde.
Es gab aber auch Zuwachs und Konstanten: Neu in das Parlament gewählt wurden SGB-Präsident Pierre-Yves Maillard (sp, VD), VPOD-Präsidentin Katharina Prelicz-Huber (gp, ZH), Greta Gysin (gp, TI), Geschäftsleitungsmitglied von Transfair, sowie die Unia-Gewerkschaftssekretärin Tamara Funiciello (sp, BE). Wiedergewählt wurden die Präsidentin des PVB Barbara Gysi (sp, SG), Transfair-Präsident Stefan Müller-Altermatt (cvp, SO), Irène Kälin (gp, AG), Präsidentin der Gewerkschaft Arbeit Aargau, Samira Marti (sp, BL), Präsidentin des VPOD Region Basel sowie Edith Graf-Litscher (sp, TG) und Mathias Reynard (sp, VS) von den Gewerkschaftsbünden Thurgau und Wallis.

Der Tages-Anzeiger konstatierte, die Gewerkschaften seien mit diesen Wahlresultaten «weit entfernt von der Stärke ihrer besten Tage», etwa als nach den Wahlen 2003 «je nach Zählung» bis zu zwei Dutzend Ratsmitglieder der «gewerkschaftlichen Achse angehörten». SGB-Präsident Maillard hingegen hatte keine Mühe mit dem Resultat – neben dem Klima sei insbesondere auch die Frauenfrage bei diesen Wahlen einfach wichtiger gewesen. Ferner fühle sich ja nach wie vor ein grosser Teil der SP mit den Gewerkschaften verbunden, ohne dabei selbst Mitglied einer Gewerkschaft zu sein, äusserte sich auch der nicht wiedergewählte Hadorn zur Lage. Möglich sei auch, dass die Gewerkschaften längerfristig Opfer ihres eigenen Erfolges würden, liess er zudem verlauten, da offenbar viele Menschen in der Schweiz unterdessen einen gewissen Wohlstand geniessen könnten und dadurch gewerkschaftliche Themen in den Hintergrund rückten.

Wahlen 2019 Gewerkschaften

Der wirtschaftsliberale Think-Tank Avenir Suisse und der Schweizer Bauernverband (SBV) lieferten sich im Herbst 2019 in der NZZ einen kleinen Schlagabtausch. In einem Gastkommentar kritisierte Patrick Dümmler von Avenir Suisse den wiederholten Widerstand des SBV gegen das Freihandelsabkommen zwischen den EFTA- und den MERCOSUR-Staaten. Solcher Widerstand sei ernst zu nehmen, meinte Dümmler, habe doch der innenpolitische Druck der «Landwirtschaftslobbyisten» bereits 2006 zum Abbruch der Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit den USA geführt.

Ausgangspunkt des Disputs war der Abschluss des Abkommens im Sommer 2019, welcher gemäss Dümmler alsbald von einer «unheiligen Allianz aus links-grünen Kreisen und Agrarlobbyisten» beanstandet worden sei, da man «mit einer Regierung von Regenwaldzerstörern» keine Geschäfte machen wolle. Zwar stelle sich der SBV nicht prinzipiell gegen ein Abkommen, aber er sehe die Interessen der einheimischen Landwirtschaft nicht genügend berücksichtigt. Konkret kritisiere der SBV am jetzigen Abkommen mit den MERCOSUR-Staaten, wie Dümmler darlegte, die Tierhaltung, den Umgang mit Pflanzenschutzmitteln und die mangelnde landwirtschaftliche Nachhaltigkeit in den südamerikanischen Vertragsländern – obwohl in der Schweiz längst nicht alles «Bilderbuchvorstellungen» entspreche. Dümmlers Vorwürfe lauteten schliesslich, auch die Schweizer Landwirtschaft verhalte sich in den kritisierten Punkten alles andere als vorbildlich: So seien im Jahr 2018 in der Schweiz 600 Nutztierhalterinnen und -halter wegen schlechter Tierhaltung verzeigt worden; bis ins Jahr 2016 sei trotz «milliardenschwerer Unterstützung» keines der 13 im Jahr 2008 festgelegten Umweltziele für die Landwirtschaft erreicht worden; das Grundwasser sei vielerorts, besonders im Mittelland, mit landwirtschaftlichen Pestiziden verschmutzt. Die Kritik an der brasilianischen Regierung bezüglich des Regenwalds sei angebracht, resümierte Dümmler seine Anklage, doch ein Schweizer Bauernverband, welcher «im hochsubventionierten Glashaus» sitze, solle mit Kritik vorsichtiger sein.
Die Reaktion von SBV-Präsident Markus Ritter (svp, SG) folgte prompt: Es sei immer «die gleiche Leier, die Avenir Suisse in Sachen Landwirtschaft herunterbetet», schrieb Ritter in seiner Replik, doch würden falsche Aussagen «durch Wiederholung nicht wahrer». Nicht der SBV habe 2006 das Abkommen verhindert, vielmehr seien es die Banken mit ihrer Angst um das Bankgeheimnis sowie die Pharmabranche gewesen. Ferner seien die vermeintlich verfehlten Umweltziele für die Landwirtschaft sehr wohl erreicht worden, etwa sämtliche Ziele betreffend die Biodiversität, und auch sonst liege der «Zielerreichungsgrad zwischen 80 und 95 Prozent», korrigierte Ritter. Auch der Vorwurf bezüglich des «vielerorts» verschmutzten Grundwassers könne er nicht gelten lassen: Bei 98 Prozent aller Messstellen sei der Grenzwert eingehalten worden und was die Überschreitungen betreffe, müsse nicht nur die Landwirtschaft, sondern vielmehr auch die Industrie etwas gegen die Verschmutzung unternehmen.
Zustimmung von Ritter erhielt Dümmler nur in einem Punkt: Die Landwirtschaftsbranche geniesse grosse staatliche Unterstützung und gerade deswegen sitze sie tatsächlich in einem Glashaus. Durch diese stete Beobachtung sei es umso wichtiger, dass «wir sagen, was wir tun, und tun, was wir sagen», schlussfolgerte Ritter.

Freihandel Bauern

Après la publication par le Think tank Avenir Suisse d'un registre listant les privilèges dont bénéficie le secteur agricole en comparaison aux autres secteurs économiques, le sénateur Caroni (plr, AR) demande au Conseil fédéral de rédiger un rapport donnant un «aperçu des règles spéciales au profit ou au détriment de l'agriculture». Cette demande fait suite à la réponse des autorités à l'interpellation 18.4081, dans laquelle le Conseil fédéral affirmait qu'il allait analyser cette situation plus en détail.
En chambre, le conseiller fédéral nouvellement en charge de l'économie et des questions agricoles, Guy Parmelin, affirme que l'inclusion de telles précisions est prévue dans le rapport sur la consultation quant à la politique agricole 2022 et demande, par là-même, aux sénateurs et sénatrices d'accepter ce postulat. Le postulat est adopté sans autres discussions.

Aperçu des règles spéciales au profit ou au détriment de l'agriculture (Po. 18.4275)

La campagne de votation autour de l'initiative pour la souveraineté alimentaire n'a pas été des plus mouvementées, comme l'a montré l'analyse d'Année Politique Suisse des annonces politiques publiées dans les journaux. Cette analyse dévoile également que les annonces publiées étaient fortement déséquilibrées, avec 158 annonces contre le texte pour une seule en faveur de l'initiative agricole. L'un des points d'accroche lors de cette campagne aura été la publication par le Think Tank Avenir Suisse d'un rapport chiffrant le coût annuel de l'agriculture à CHF 20 milliards. Il est difficile de savoir quel aura été l'impact de cette publication sur le résultat final. Mais, alors que l'initiative récoltait encore 62% d'avis favorable début août, les sondages préélectoraux réalisés par Tamedia ont fait état d'un effondrement du soutien, celui-ci n'atteignant plus que 39% d'intention de vote quelques jours avant la votation. Ce sondage indique également que la raison principale invoquée par les opposants au texte est le refus d'un accroissement du protectionnisme dans ce secteur. Durant la campagne, le ministre en charge de l'agriculture, Johann Schneider-Ammann, a souligné le danger que représentait l'initiative. Selon ses dires – prononcés dans les colonnes du 24 Heures – «cela pourrait entraîner la mort de l'agriculture productrice». Le comité interpartis de droite – constitué du PLR, de l'UDC, du PDC et du PBD – dénonçait, lui, une baisse du choix et une augmentation des prix des produits agro-alimentaires en cas d'acceptation de l'initiative. Mais les attaques ne sont pas uniquement venues de la droite de l'échiquier politique, quelques éminents membres du Parti socialiste s'y opposant également, à l'image de l'ancien conseiller national ainsi qu'ancien Monsieur Prix Rudolf Strahm (ps, BE) qui voit, tant dans l'initiative pour la souveraineté alimentaire que dans l'initiative pour des aliments équitables, des textes antisociaux. Les deux principaux détaillants suisses – Migros et Coop – ont également participé financièrement à la campagne du non. Bien qu'ils considèrent que les deux textes sont bien intentionnés, ils rejettent les solutions étatistes, préférant défendre la liberté de commerce.

Face à cette opposition marquée, l'initiative pour la souveraineté alimentaire échoue à séduire une majorité du corps électoral. Le texte – soutenu uniquement par les Verts ainsi que le Parti socialiste au niveau national – est rejeté par 68.4% du corps électoral mais aura, toutefois, trouvé le soutien de quatre cantons romands. En effet, tout comme l'initiative pour des aliments équitables, l'initiative lancée par les syndicats «Uniterre» et «L'autre syndicat» a réussi à séduire les cantons de Neuchâtel (52.7%), du Jura (54.1%), de Vaud (57.1%) et de Genève (60%) ainsi que la partie francophone du canton de Fribourg. Ce résultat fait montre d'un solide Röstigraben, au vu des résultats des cantons alémaniques, avec, par exemple, 16% de voix favorables dans le canton d'Obwald ou encore 32.1% dans le canton citadin de Bâle-Ville. Différentes explications ont été amenées par le politologue Lukas Golder afin d'expliquer cette différence entre régions linguistiques (à noter qu'au Tessin, le oui remporte 37.3% des voix): le débat autour des questions alimentaires serait plus politisé et moins une affaire privée en Romandie; cette dernière serait, de plus, plus interventionniste; les opposants à l'initiative se seraient concentrés sur la Suisse-allemande; et finalement, les Verts ont le vent en poupe en Romandie.
De manière générale, l'explication la plus souvent citée pour ce refus est la peur d'une hausse des prix des denrées alimentaires, comme le déclamait dans le journal Le Temps Charles-Bernard Bolay, président d'Uniterre. Le Directeur de l'USP, Jacques Bourgeois (plr, FR), considérait, lui, que l'acceptation du contre-projet à l'initiative pour la sécurité alimentaire une année auparavant a convaincu les votant.e.s qu'il n'était pas nécessaire de retoucher à la Constitution; un constat partagé par la conseillère nationale valaisanne Géraldine Marchand-Balet (pdc, VS). La directrice d'Economiesuisse, Monika Rühl, estimait que les sanctions que la Suisse aurait pu subir à l'internationale en cas d'acceptation des textes ont également joué un rôle.
Malgré tout, les résultats encourageants en Romandie ont incité les Vert.e.s vaudois.e.s à déposer trois interventions en lien avec les deux initiatives agricoles approuvées par une majorité des vaudois.e.s, afin de pleinement exploiter la marge de manœuvre sur ces questions au niveau cantonal (lutte contre le gaspillage alimentaire, soutien aux petites exploitations, bilan des mesures prises en matière d'agroécologie).


Votation du 23 septembre 2018
Participation: 37.47%
Oui: 628'301 (31.6%) / Cantons: 4
Non: 1'358'894 (68.4%) / Cantons: 16 6/2

Consignes de vote:
- Oui: Les Verts (1)*, PS (2)*
- Non: PBD, PDC, UDC (1)*, Vert'libéraux, PLR, PEV
*entre parenthèses: nombre de sections cantonales divergentes

Volksinitiative „Für Ernährungssouveränität“ (BRG 17.023)
Dossier: Volksinitiativen zur Förderung ökologischer Bedingungen in der Landwirtschaft
Dossier: Gentechnisch veränderte Organismen (GVO) in der Schweiz

Noch in der Herbstsession 2018 bereinigten die Räte den AHV-Steuer-Deal. Die WAK-SR beantragte der kleinen Kammer, alle Änderungen des Nationalrats anzunehmen. Bezüglich des Kapitaleinlageprinzips (KEP) hatte die WAK-NR über den Sommer zahlreiche Abklärungen getroffen, um die der Ständerat gebeten hatte, und nun entsprechende formelle Verbesserungen vorgenommen. Auch die beiden inhaltlichen Änderungen zum KEP hiess die ständerätliche Kommission gut und der Ständerat akzeptierte sie stillschweigend. Umstrittener war hingegen die Änderung des Nationalrats bezüglich der Gemeinden. Auch hier sehe die WAK-SR keine Schwierigkeiten, zumal den einzelnen Gemeinden daraus kein Rechtsanspruch entstehe, erklärte Pirmin Bischof (cvp, SO). Gemäss Bundesrat Maurer habe die entsprechende Formulierung bei den Kantonsvertreterinnen und -vertretern zudem «nicht viel mehr als ein Achselzucken» ausgelöst. Der Finanzminister erwartete daher diesbezüglich keinen Widerstand von den Kantonen. Einige Ständeräte erachteten die Formulierung jedoch als problematisch. Sie kritisierten insbesondere den Eingriff in die Organisationsfreiheit der Kantone heftig. Einen Antrag Eberle (svp, TG) auf Streichung beider Versionen – die Auswirkungen des Gesetzes auf die Gemeinden sollten also weder berücksichtigt, noch abgegolten werden – lehnte der Ständerat jedoch mit 30 zu 12 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) ab und nahm die Vorlage stillschweigend an.
Bevor das Bundesgesetz über die Steuerreform und die AHV-Finanzierung (STAF) jedoch reif war für die Schlussabstimmungen, mussten noch einige Änderungswünsche der Redaktionskommission behandelt werden. Die beiden Räte akzeptierten diese stillschweigend und brachten die Vorlage anschliessend mit 112 zu 67 Stimmen (bei 11 Enthaltungen) respektive 39 zu 4 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) unter Dach und Fach.

Bereits zu diesem Zeitpunkt waren sich die Kommentatoren in den Medien einig, dass das Volk 2019 sehr wahrscheinlich über das STAF abstimmen wird. Die Jungparteien der Grünen und der Grünliberalen hatten zu diesem Zeitpunkt bereits angekündigt, das Referendum ergreifen zu wollen. Widerstand gegen die Vorlage hatten unter anderem auch Westschweizer Gewerkschaften, Grüne und Jungsozialisten angekündigt. Unklar waren noch die Haltungen der SP und der Gewerkschaften, die in ausserordentlichen Delegiertenversammlungen gefasst werden sollten. Hingegen betonten Vertreter der SVP mehrfach, dass die Partei das Referendum nicht ergreifen, jedoch vermutlich die Nein-Parole zum Gesetz ausgeben werde.

Steuervorlage 17 (SV17) und Bundesgesetz über die Steuerreform und die AHV-Finanzierung (STAF; BRG 18.031)
Dossier: Unternehmenssteuerreform III, Steuervorlage 17 und AHV-Steuer-Deal (STAF)

Avenir Suisse tire à boulet rouge sur l'agriculture suisse dans une étude s'intéressant aux coûts générés par ce secteur. Selon les calculs du Think Tank libéral, l'agriculture générerait des pertes de l'ordre de CHF 20 milliards pour la Suisse par année. Alors que le chiffre avancé par les autorités concernant les aides à l'agriculture s'élève à CHF 4 milliards, Avenir Suisse y ajoute l'impact sur l'environnement (CHF 7 milliards), les pertes pour les entreprises suisses dues au blocage des accords de libre-échange (CHF 3 milliards) ainsi que CHF 4 milliards supportés par les consommateurs et consommatrices en raison des barrières douanières. Pour le Think Tank, cela n'est pas acceptable au vu du PIB que représente le secteur pour l'économie suisse, à savoir 0.7%. Avenir Suisse fait, en outre, remarquer que malgré ces gigantesques coûts, les agriculteurs et agricultrices n'en bénéficient que peu directement, quelques géants profitant de la situation (Fenaco, Migros et Coop étant directement cités). Et bien que les aides par exploitation soient passées de CHF 47'000 à CHF 70'000 par année, l'endettement, lui, augmente également, tout comme la disparition inexorable des exploitations agricoles. Avenir Suisse propose donc, en 10 points, de moderniser et libéraliser le secteur afin de réduire les coûts engendrés et faire de l'agriculteur un véritable entrepreneur.
Sans surprise, les milieux paysans ont réagi avec véhémence à cette étude, l'USP faisant remarquer que l'îlot de cherté qu'est la Suisse n'est nullement pris en compte dans l'étude, tout comme l'apport indirect de l'agriculture pour le tourisme. L'ASSAF dénonce, elle, ce qu'elle considère être un dogmatisme du libre-échange agricole.
A noter que la publication de cette étude intervient deux semaines avant les votations sur l'initiative pour la souveraineté alimentaire ainsi que l'initiative pour des aliments équitables, de quoi nourrir les débats en cours sur la protection du secteur agricole.

Avenir Suisse tire à boule trouge sur l'agriculture suisse

Ende Mai 2018 veröffentlichte die Denkfabrik Avenir Suisse das «Weissbuch Schweiz – Sechs Skizzen der Zukunft». Der Name ist eine Anlehnung an die im Jahr 1995 erschienene Publikation «Mut zum Aufbruch», die auch als «Weissbuch» bezeichnet worden war. Diese war damals von Wirtschaftsführern verfasst worden und hatte Empfehlungen abgegeben, wie ihrer Meinung nach die Schweiz nach dem EWR-Nein wettbewerbsfähig bleiben konnte. Die Reaktionen auf dieses Buch waren damals teilweise heftig ausgefallen. Auch im Weissbuch von Avenir Suisse, 23 Jahre später, dreht sich alles um das Verhältnis Schweiz-EU. Das Buch zeigt sechs mögliche Zukunftsszenarien der Schweiz für das Jahr 2030 auf, die von einer Isolation bis zum vollumfänglichen EU-Beitritt reichen. Wie der Direktor von Avenir Suisse, Peter Grünenfelder, gegenüber der NZZ sagte, gehe es Avenir Suisse mit dem «Weissbuch» insbesondere darum, Anstösse zu geben und allfällige Denkverbote, gerade was einen EU-Beitritt anbelange, aufzuheben.

Die sechs Skizzen für die Schweiz befinden sich an unterschiedlichen Stellen innerhalb eines Koordinatenkreuzes mit den Polen «Korporatismus versus offene Märkte» (x-Achse) und den Polen «Integration versus Autonomie» (y-Achse). Das erste Szenario, der «Selbstbestimmte Rückzug», ist gekennzeichnet durch Korporatismus und Autonomie und würde einen europapolitischen Alleingang der Schweiz, bedingt durch die Kündigung der Bilateralen Verträge mit der EU, bedeuten und wäre charakterisiert durch eine restriktive Zuwanderungspolitik und einem hohen Selbstversorgungsgrad. Die weiteren Skizzen «Globale Oase» und «Club Schweiz» sind beide geprägt von Autonomie und offenen Märkten, wobei die «Globale Oase» extremer ist, sowohl was den Grad an Autonomie als auch was den Grad an offenen Märkten angeht. Auch unter diesen Szenarien würde die Schweiz die Bilateralen Verträge mit der EU kündigen und stattdessen Freihandelsabkommen mit der EU und Drittstaaten abschliessen. Beiden Skizzen unterliegt eine systematische Deregulierung und Privatisierung von staatsnahen Betrieben. Die «Globale Oase» enthält zudem einen obligatorischen Bürgerinnen- und Bürgerdienst, der auch für Ausländer gelten würde. Im dritten Quadranten des Koordinatenkreuzes – charakterisiert durch Integration und offene Märkte – gibt es wiederum zwei Szenarien: Die «Tragfähige Partnerschaft» einerseits und die «Europäische Normalität» andererseits. Während die tragfähige Partnerschaft eine Erweiterung der Bilateralen Verträge mit der EU, ein dynamisches Rahmenabkommen mit Schiedsgericht und eine Lockerung der flankierenden Massnahmen einschliesst, beinhaltet die europäische Normalität einen vollumfänglichen EU-Beitritt der Schweiz, der mit einer Übernahme des Euro einhergeht. Der «Skandinavische Weg», zu guter Letzt, befindet sich im letzten Quadranten des Koordinatenkreuzes mit den Charakterzügen Integration und Korporatismus. Dieser Weg beinhaltet ebenfalls einen EU-Beitritt, allerdings ohne Übernahme des Euro, stattdessen mit der Beibehaltung einer eigenständigen Währungspolitik. Das skandinavische Modell ist zudem geprägt von einem stärker ausgebauten Sozialstaat, einer Einheitskrankenkasse und einem Ein-Säulen-Prinzip bei der Altersvorsorge.

Die Tageszeitung Blick beleuchtete das «Weissbuch» von Avenir Suisse in einer dreitägigen Serie, an deren Ende sie den Parteichefs der Jungparteien auf den Zahn fühlte. Die Frage war, welches der sechs Szenarien sie sich für die Schweiz im Jahr 2030 wünschen würden und natürlich indirekt, wie sie zur EU stehen. Dabei stellte sich das Modell der «Tragfähigen Partnerschaft» als das beliebteste heraus: Es wurde sowohl von Nico Planzer, Präsident der Jungen BDP, Tino Schneider, Co-Präsident der Jungen CVP, Pascal Vuichard, Co-Präsidenten der Jungen Grünliberale und Luzian Franzini, Präsident der Jungen Grüne, bevorzugt, wobei Vuichard dieses Szenario mit Elementen der «Globalen Oase» ergänzen würde und sich Franzini auch einen EU-Beitritt à la Skandinavien vorstellen könnte. Für den Präsidenten der Jungfreisinnigen, Andri Silberschmidt, bildet die «Globale Oase» das passendste Schweizer Zukunftsszenario – allerdings mit einer Ausnahme: Die Bilateralen Verträge mit der EU dürften nicht gekündigt werden. Ebenfalls Elemente der «Globalen Oase» beinhaltet das Schweizer Zukunftsmodell des Präsidenten der Jungen SVP, Benjamin Fischer; allerdings in Kombination mit Elementen des «Selbstbestimmten Rückzugs» und des «Clubs Schweiz». Keine der sechs Skizzen passte derweil für die Präsidentin der Jungsozialistinnen und -sozialisten, Tamara Funiciello. Ihr Zukunftsbild der Schweiz sei vielmehr jenes, in der «Menschen ohne Schweizer Pass nicht mehr diskriminiert werden, Frauen endlich gleichgestellt sind und Superreiche gerecht besteuert werden».

Weissbuch Schweiz - Sechs Skizzen der Zukunft

Selbst Wochen nach der Verabschiedung der Botschaft zur Umsetzung der geänderten EU-Waffenrichtlinie durch den Bundesrat Anfang März 2018 ebbte die gesellschaftliche Debatte über die geplante Verschärfung des Schweizer Waffenrechts nicht ab. Mitte März schloss sich der schweizerische Büchsenmacher- und Waffenfachhändlerverband (SBV) medienwirksam der Front um den schweizerischen Schiesssportverband (SSV) an und liess durch seinen Präsidenten Daniel Wyss abermals verkünden, man werde das Referendum ergreifen, sollte die Gesetzesänderung wie vom Bundesrat vorgeschlagen vom Parlament gutgeheissen werden. Für den SBV habe die neue Regelung «eine riesige, existenzgefährdende Auswirkung», da sich der Aufwand für die Waffengeschäfte durch die auf sämtliche Transaktionen ausgedehnte Meldepflicht sowie die Markierungspflicht aller wesentlichen Waffenbestandteile schätzungsweise um eine Stunde pro Tag erhöhe; «und wir bekämpfen damit keinen einzigen Verbrecher», empörte sich Wyss gegenüber der Aargauer Zeitung. Der Schaden durch die Gesetzesänderung wäre so massiv, dass der SBV diesen höher gewichte als die Abkommen von Schengen und Dublin. Am besten wäre es jedoch, wenn das Parlament die Vorlage so abänderte, dass kein Referendum nötig wäre.

Gut zwei Wochen später drängten die Befürworter der Vorlage ins Rampenlicht, indem die SP zusammen mit dem Verband Schweizerischer Polizeibeamter (VSPB), der Verbindung der psychiatrisch-psychotherapeutisch tätigen Ärztinnen und Ärzte und den Evangelischen Frauen Schweiz vor den Medien die «Plattform für ein zukunftsfähiges Waffenrecht» präsentierte. Als gemeinsames Ziel nannten sie ein striktes Waffenrecht für eine sichere Schweiz; das schweizerische Waffenrecht solle dazu enger an die Vorgaben der EU-Richtlinie angepasst werden als dies der Bundesrat vorsah. Die SP hatte 14 Änderungsanträge vorbereitet, um den Entwurf des Bundesrates zu verschärfen, u.a. betreffend die Nachregistrierung und die Aufbewahrung von Waffen, die Marktpreise für Armeewaffen sowie die Möglichkeit für Kantone, ein psychologisches Gutachten zu verlangen, wenn die Gefahr von Selbst- oder Fremdgefährdung mit der Waffe besteht. Während sich die Ärztinnen und Ärzte in erster Linie zur Verhinderung von häuslicher Gewalt und Suiziden für eine Verschärfung des Waffenrechts einsetzten, war das Hauptanliegen der Polizeibeamten ein lückenloses, schweizweites Waffenregister, um vor einem Polizeieinsatz wissen zu können, ob mit Waffen zu rechnen ist. Die kantonalen Waffenregister seien unvollständig, da eine Registrierungspflicht erst seit 2008 bestehe, argumentierte VSPB-Generalsekretär Max Hofmann in der NZZ. Er wünschte sich deshalb die Nachregistrierung sämtlicher Waffen, nicht nur der halbautomatischen. Ausserdem betonte er im «Blick» die Unverzichtbarkeit des Schengener Informationssystems für die Polizeiarbeit.
Damit stellte sich der VSPB offen gegen der Polizei im Grunde wohlgesinnte Kreise wie die Schützen. Die Polizeibeamten liessen sich von der SP instrumentalisieren, kritisierten SVP-Nationalrat Werner Salzmann (svp, BE) und ProTell-Generalsekretär Robin Udry denn auch postwendend. Für Letzteren wäre die Nachregistrierung aller Schusswaffen gemäss NZZ «der Orwellsche Albtraum eines Überwachungsstaats». Hofmann entgegnete darauf, es gehe nicht um Ideologie, sondern um die Sache und der VSPB unterstütze auch nicht alle Visionen seiner Allianzpartner. Wenige Tage nach seinem Auftritt an der Medienkonferenz der «Plattform für ein zukunftsfähiges Waffenrecht» erntete Hofmann jedoch auch aus den eigenen Reihen Kritik. Erwin Rommel, Mitglied des Zentralvorstandes des VSPB, äusserte sich in der BaZ dahingehend, dass er vom Vorgehen der Geschäftsleitung nichts gewusst habe. Ein solcher Auftritt stehe Hofmann nicht an, da der Verband laut Statuten politisch neutral bleiben müsse. Ausserdem seien die Verbandsmitglieder nicht über ihre Meinung zur Waffenrechtsverschärfung befragt worden. Der interne Knatsch bei den Polizisten fand wohl ihren Höhepunkt, als sich die KKPKS vor der SiK-NR dezidiert gegen die Vorlage des Bundesrats aussprach. Die Gesetzesänderung bringe «viel Bürokratie bei wenig Nutzen», monierte sie in der Anhörung. Ob sie jedoch den zusätzlichen Aufwand in Kauf nähme, um das Schengen-Abkommen zu schützen, sei gemäss der NZZ unklar geblieben. Die SiK entschied in der Folge, zusätzlich auch noch die Polizeibeamten und die KKJPD zu einer schriftlichen Stellungnahme einzuladen. Derweil sah sich der VSPB zu einer Rechtfertigung gezwungen und stellte in einer Mitteilung klar, man fordere entgegen der Darstellung in den Medien keine striktere Umsetzung als die vom Bundesrat angedachte und unterstütze die weitergehenden Forderungen seitens der SP nicht.

Inzwischen herrschte aber auch aufseiten der Waffenlobby nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen: «Immer mehr bürgerliche Waffenfreunde gehen auf Distanz zur neuen Führungscrew um den interimistischen ProTell-Präsidenten Jean-Luc Addor, die radikale Tendenzen zeigt», schrieb die Aargauer Zeitung Mitte April. Presseberichten zufolge sei selbst Ständerat Josef Dittli (fdp, UR), seines Zeichens – notabene neben Addor – Co-Präsident der «Parlamentarischen Gruppe für ein freiheitliches Waffenrecht», der radikale Kurs der ProTell-Führung nicht geheuer. Er unterstütze die Forderung von Addor und «gleichgesinnten Protagonisten» nach öffentlichem Waffentragen nicht. «Die Schweiz ist nicht der Wilde Westen!», zitierte ihn beispielsweise die Luzerner Zeitung. Auch SVP-Nationalrat und Wortführer der Waffenfreunde, Werner Salzmann, stecke diesbezüglich «im Dilemma», berichtete dieselbe Zeitung. Zu Wort meldete sich ebenfalls Alt-Nationalrat Willy Pfund (fdp, SO), seinerzeit Präsident von ProTell, der dieses Amt 2016 jedoch «im Zorn über den Kurs des Addor-Lagers» (Aargauer Zeitung) niedergelegt hatte. Er bezeichnete den Wunsch nach Waffentragen in der Öffentlichkeit als «unsinnige und gefährliche Forderung»: Die Öffentlichkeit reagiere heute sensibler auf solche Fragen als noch vor einigen Jahren, weshalb man damit letztlich das liberale Schweizer Waffenrecht gefährde. Die Aargauer Nationalrätin Silvia Flückiger-Bäni (svp, AG) war gar so erbost über die ProTell-Führung um Addor, dass sie nach 14-jähriger Mitgliedschaft kurzerhand den Austritt aus der Organisation gab. Einig waren sich die waffenfreundlichen Bürgerlichen und ProTell einzig darin, dass die EU-Waffenrichtlinie bekämpft werden müsse. Dies kam denn auch an der Generalversammlung von ProTell am 14. April zum Ausdruck: Nachdem die SiK-NR wenige Tage zuvor auf die Vorlage des Bundesrates zur Umsetzung der EU-Waffenrichtlinie eingetreten war, beschlossen die ProTell-Mitglieder vorsorglich einstimmig das Referendum. Zur Bekämpfung der Gesetzesvorlage werde man nächstens eine «sehr starke und einflussreiche» nationale Allianz gründen, gab ProTell-Generalsekretär Robin Udry in der Sonntagszeitung zu Protokoll.

Die SiK-NR schrieb in ihrer Medienmitteilung, sie sei mit 15 zu 9 Stimmen auf die Vorlage eingetreten, um einerseits das Schengen-Assoziierungsabkommen nicht zu gefährden und andererseits mit einer möglichst pragmatischen Umsetzung der EU-Waffenrichtlinie die Traditionen des schweizerischen Schiesswesens wahren zu können. Das Volk solle überdies die Möglichkeit haben, sich im Rahmen eines fakultativen Referendums zur Frage zu äussern. Die Minderheit habe indes keinen Revisionsbedarf im schweizerischen Waffenrecht geortet, keinen Nutzen für die Terrorbekämpfung gesehen und den hohen administrativen Umsetzungsaufwand gefürchtet. Einen Rückweisungs- und eine Sistierungsantrag hatte die Kommission abgelehnt. Neben der schon erwähnten KKPKS hatte die Kommission auch den SBV, ProTell, den SSV, die schweizerische Offiziersgesellschaft (SOG) und die Organisation «Stop Suicide» angehört, was die NZZ zur Bemerkung veranlasste, bei den Anhörungen seien fast nur Gegner der Vorlage zu Wort gekommen.

Während sich der SBV, ProTell, der SSV und die AUNS – sowie auch die GSoA als explizite Befürworterin der Waffenrechtsverschärfung – schon auf den «wohl unausweichlichen Referendumskampf» (BaZ) vorbereiteten, zeigte sich die SOG in dieser Sache wenig enthusiastisch. Ihr Präsident Stefan Holenstein geizte gegenüber der BaZ zwar nicht mit Kritik an der Vorlage und an deren Befürwortern, erachtete das Referendum jedoch nicht als zwingend. So attestierte er der CVP und der FDP eine «übertriebene Angst vor einer Kündigung des Schengen/Dublin-Abkommens» und stellte sich auf den Standpunkt, es gebe bei der Umsetzung der EU-Richtlinie durchaus noch ungenutzten Spielraum. Die Pflicht, entweder Mitglied in einem Schiessverein zu sein oder die Waffe regelmässig für das sportliche Schiessen zu nutzen, bezeichnete er als «unverhältnismässig und eine Bevormundung». Die Vorlage bekämpfe so nicht den gefährlichen Handel mit illegalen Waffen, sondern treffe legale Waffenbesitzer und indirekt, über das ausserdienstliche Schiesswesen, auch die Armee. Es sei indes möglich, das Gesetz freiheitlich auszugestalten und dem «eigenständigen Staats- und Milizwesen» der Schweiz anzupassen. An das Parlament richtete er deshalb die Forderung, auf «vorauseilenden Gehorsam gegenüber der EU» zu verzichten. Es bestehe kein Anlass, «panikartig von Schengen-Rauswurf» zu reden, sei das Abkommen doch in gegenseitigem Interesse. In dieser Hinsicht sei die von Bundesrat und Verwaltung proklamierte «Entweder-Oder-Strategie» nicht richtig. Für die SOG stehe das Referendum daher nicht im Vordergrund, sondern komme nur als Ultima Ratio in Frage.

Frischen Wind in die Debatte brachte Mitte Mai schliesslich das Bekanntwerden des genaueren Inhalts der tschechischen Klage beim EuGH betreffend die EU-Waffenrichtlinie. Die Tschechische Republik zweifelte eben nicht nur wie bisher angenommen an deren Rechtmässigkeit, sondern machte mit Hinblick auf die Schweizer Sonderregelung für Armeewaffen auch eine Verletzung des Diskriminierungsverbots geltend. Sollte der EuGH der Klägerin in diesem Punkt Recht geben, bedeutete dies wohl das Aus für die von der Schweiz ausgehandelte Ausnahmeklausel. Aufgrund der so veränderten Ausgangslage wollte die SVP die Sistierung der Vorlage in der Kommission noch einmal zum Thema machen. Die Presse berichtete zudem, das Fedpol verfolge das Verfahren mit, für eine Stellungnahme sei es jedoch noch zu früh.

Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands. Übernahme der Richtlinie 2017/853 zur Änderung der EU-Waffenrichtlinie
Dossier: Das Bundesgesetz über Waffen, Waffenzubehör und Munition (Waffengesetz)

L'initiative pour la souveraineté alimentaire des syndicats Uniterre et L'autre syndicat passe aux mains de la chambre haute. Isidor Baumann (pdc, UR) expose les raisons pour lesquelles aucun membre de la commission compétente (CER-CE) – après avoir auditionné deux membres du comité d'initiative et tenu compte des prises de position du SECO, de l'OFAG ainsi que de l'OSAV – ne soutient le présent texte: cette initiative va, à leurs yeux, trop loin et ne pourrait pas être appliquée sur certains points. De plus, elle risque de provoquer la mise en place de nouvelles mesures étatiques et d'augmenter les coûts tant pour la Confédération que pour les consommatrices et consommateurs. Il ajoute que les mesures préconisées concernant la protection douanière pourraient entrer en conflit avec les accords de l'OMC. Finalement, la commission estime que le texte sur la sécurité alimentaire remplit déjà une grande partie des volontés de la présente initiative, la rendant superflue. La CER-CE propose donc, par 11 voix contre 0 et 2 absentions, aux membres du Conseil des Etats de la rejeter.
En comparaison avec les discussions ayant eu lieu au Conseil national, celles menées dans la chambre haute ont été concises. Trois sénateurs – Konrad Graber (pdc, LU), Peter Föhn (udc, SZ) et Peter Hegglin (odc, ZG) – exposent les raisons de leur opposition au texte, invoquant des arguments similaires à ceux délivrés par la commission compétente, à savoir, que le texte est superflu et qu'une implication plus grande de l'Etat dans ce domaine ne profiterait à personne. Seul le sénateur genevois Robert Cramer (verts, GE) se fait le défenseur de l'initiative, sans pour autant avoir déposé de proposition visant à l'acceptation du texte. Pour lui, l'initiative est une possibilité offerte de changer de cap concernant la politique agricole actuellement en place et ainsi que celle réfléchie par le Conseil fédéral. L'initiative veut, en effet, mettre en place une politique alimentaire orientée sur «la santé, la régionalité, le climat, la biodiversité et la responsabilité sociale» selon les mots du sénateur vert.
Le conseiller fédéral Johann Schneider-Ammann revient, à son tour, sur les raisons invoquées par l'exécutif de ne pas soutenir cette initiative. Il explique tout d'abord que celle-ci est débattue dans un contexte bien particulier, à savoir au milieu de discussions sur la vue d'ensemble sur le développement à moyen terme de la politique agricole, sur la Politique agricole 22+, ainsi que sur les accords entre les pays du MERCOSUR et les pays de l'AELE. Il considère que cela amène une certaine confusion quant aux volontés du Conseil fédéral dans ce domaine. L'acceptation en septembre 2017 du contre-projet à l'initiative sur la sécurité alimentaire a permis d'inscrire dans la Constitution un certain nombre de points donnant une base pour l'orientation future de l'agriculture suisse, rendant l'initiative discutée superflue selon l'exécutif. De plus, et comme déjà exposé à la chambre basse, certaines des demandes de l'initiative vont à l'encontre de la politique agricole suisse, comme par exemple l'augmentation du nombre d'actifs dans l'agriculture.
Aucune proposition d'acceptation du texte n'ayant été déposée, le Conseil des Etats adhère, de facto, à la décision du Conseil national, à savoir proposer de rejeter l'initiative.

Volksinitiative „Für Ernährungssouveränität“ (BRG 17.023)
Dossier: Volksinitiativen zur Förderung ökologischer Bedingungen in der Landwirtschaft
Dossier: Gentechnisch veränderte Organismen (GVO) in der Schweiz

Gegen zwei der total 45 im Jahr 2017 vom Parlament verabschiedeten und dem fakultativen Referendum unterstellten Erlasse wurde ein Veto eingelegt. Damit lag der Anteil bekämpfter Parlamentsbeschlüsse (4.4%) in diesem Jahr etwas höher als noch in den Vorjahren (2015: 3.4%; 2016: 3.2%), wobei in den Vorjahren auch jeweils lancierte Referenden an der Unterschriftenhürde gescheitert waren (2015: 1; 2016: 3). Dies war 2017 nicht der Fall: So erzwangen verschiedene Gruppierungen angeführt von Westschweizer Gewerkschaften mit 58'054 gültigen Unterschriften eine Abstimmung über die Reform der Altersvorsorge 2020 und die jungen Grünen brachten mit 60'744 Unterschriften das Geldspielgesetz an die Urne.

Neben der Reform der Altersvorsorge, die noch im September 2017 von der Stimmbevölkerung an der Urne abgelehnt wurde, standen 2017 auch die vom Parlament im Vorjahr beschlossenen und mit einem Referendum bekämpften Erlasse zur Unternehmenssteuerreform III und zum Energiegesetz zur Abstimmung. Während das Referendum gegen die USR III im Februar zu einem Erfolg der Linken wurde und die Vorlage an der Urne ziemlich deutlich verworfen wurde, hielt das von der SVP bekämpfte Energiegesetz im Mai an der Urne stand. Mit der AHV-Vorlage und dem USR III waren gleich zwei fakultative Referenden in diesem Jahr erfolgreich; letztmals war mit der Ablehnung des Gripen-Fonds 2014 ein Bundesgesetz an der Urne gescheitert.

Übersicht Referenden 2017
Dossier: Ergriffene Referenden von Jahr zu Jahr (seit 2012)

Neben dem obligatorischen Referendum zur Zusatzfinanzierung der AHV durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, kündigten verschiedene Gruppierungen, allen voran die Westschweizer Gewerkschaften, ihr Interesse an der Ergreifung eines fakultativen Referendums zur Reform der Altersvorsorge 2020 an. So seien mit der Erhöhung des Frauenrentenalters und der Senkung des Umwandlungssatzes zwei Änderungen enthalten, die man nicht akzeptieren könne. Nach kurzer Zeit wurde jedoch deutlich, dass die Westschweizer Gewerkschaften nicht auf eine breite Unterstützung hoffen konnten und das Referendum mehrheitlich alleine würden stemmen müssen. Unterstützt wurden sie lediglich von vereinzelten linken Organisationen, zum Beispiel von der Genfer SP-Kantonalsektion. Gegen Ende der Unterschriftensammlung engagierten sich auch die Zeitschriften K-Tipp und Saldo. Als Grund dafür gaben sie an, dass sie verhindern wollten, dass auf dem Stimmzettel ausschliesslich von der AHV die Rede sei und dadurch das vollständige Ausmass der Revision unterschätzt würde. Zwar kritisierten auch weitere linke Kreise die Vorlage, allen voran die Gewerkschaften, dennoch sprachen sich die Delegierten der Unia, von VPOD, des SGB sowie von Travai.Suisse knapp für die Reform aus. Dabei wurden die unterschiedlichen Positionen der Linken in der Deutsch- und Westschweiz deutlich. Um diese verschiedenen Positionen zu vereinen, beschloss die SP eine Urabstimmung durchzuführen, bei der sich 90 Prozent der teilnehmenden SP-Mitglieder für die Reform aussprachen. Ungeachtet dieser Urabstimmung beschlossen die Juso kurze Zeit später die Nein-Parole und unterstützten das linke Referendumskomitee.

Gespalten zeigten sich wie bereits im Parlament auch die Bürgerlichen. FDP und SVP sowie breite Wirtschaftskreise inklusive Economiesuisse, dem Gewerbeverband und dem Arbeitgeberverband sprachen sich gegen die Reform aus, setzten dem linken Referendumskomitee jedoch kein bürgerliches Pendant entgegen. Unter dem Namen „Generationenallianz” bewarben sie aber gemeinsam die Ablehnung der Reform. Die anderen bürgerlichen Parteien, allen voran die CVP und BDP, warben für die Annahme der Vorlage. Unterstützt wurden sie von zahlreichen Westschweizer Verbänden, unter anderem vom Westschweizer Wirtschaftsverband Centre Patronal. Im Laufe der Kampagne sprachen sich unter anderem auch der Bauernverband, Eveline Widmer-Schlumpf als neue Präsidentin der Pro Senectute, Pro Senectute selbst sowie weitere Seniorenverbände für die Reform aus. Gespalten zeigten sich die Versicherungen: Während Helvetia und Axa Winterthur, der Pensionskassenverband Asip sowie der Verwaltungsratspräsident des AHV-Fonds die Reform befürworteten, hielten sich die anderen Versicherer bedeckt.

Da die Berichterstattung zur Vorlage nach dem Showdown im Parlament im März 2017 bis zum Abstimmungstermin im September 2017 nie wirklich abriss, beleuchteten die Medien jedes Detail der Vorlage und insbesondere des Abstimmungskampfes. So wurde ausführlich über die Positionen der verschiedenen Parteien, Verbände, Vereine und Interessengruppen, aber auch über einzelne Abweichler innerhalb der verschiedenen Akteursgruppen berichtet. Diskutiert wurden die Gefahr für die Reform durch das erforderliche Ständemehr sowie die Konsequenzen für die Reform, falls nur eine der beiden Vorlagen angenommen würde. Ausführlich beschrieben wurden die Aktivitäten der Jungparteien, die trotz geringem Budget mit viel Engagement versuchten, die jüngeren Stimmbürger zu mobilisieren und zu überzeugen. So engagierte sich zum Beispiel die Junge CVP mit einer eigenen Pro-Kampagne im Internet und mit Standaktionen, während die Jungfreisinnigen mit Aktionstagen, Plakaten und Videos für ein Nein warben. Zudem erhielten die Befürworter mit Ruth Dreifuss, Walter Andreas Müller und Beni Thurnheer prominente Unterstützung. Dieses Engagement ausserhalb des bezahlten Raums wurde auch durch eine Auswertung der Inseratekampagne durch Année Politique Suisse verdeutlicht. Diese ergab, dass Anzahl und Reichweite der Inserate zur Altersvorsorge entgegen der betont grossen Relevanz der Vorlage nur durchschnittlich gross waren, was die Komitees mit ihren knappen Budgets erklärten.

Ebenfalls sehr engagiert zeigte sich Bundesrat Berset, der nicht müde wurde, die Wichtigkeit der Reform zu betonen. Dieses starke Engagement vor allem auch in Zusammenhang mit seinen Warnungen vor den drastischen Folgen eines Neins brachten ihm jedoch viel Kritik ein. Hinzu kam eine breite Kritik am Abstimmungsbüchlein, das ausschliesslich die Referendumsführer, also die Westschweizer Gewerkschaften, zu Wort kommen liess, nicht aber die bürgerlichen Gegner der Vorlage. Grund dafür war, dass bei obligatorischen Referenden Minderheitenpositionen keine eigenen Seiten erhalten und bei fakultativen Referenden nur die Referendumskomitees. Darüber hinaus war vor allem inhaltliche Kritik am Abstimmungsbüchlein zu vernehmen, so seien die Darstellungen des Bundesrates fehlerhaft und unvollständig. Doch nicht nur zur Informationspolitik des Bundesrates, auch bezüglich der Argumentationen beider Lager wurden im Laufe der Kampagne vermehrt kritische Stimmen laut. Kritisiert wurde, dass beide Seiten nicht mit offenen Karten spielten und wichtige Argumente gezielt verschwiegen.

Inhaltlich drehte sich die Berichterstattung vor allem um die Frage, ob die AHV schneller in ernsthafte finanzielle Probleme gerate, wenn man die Reform annehme oder wenn man sie ablehne. Beide Seiten gaben zu, dass in Zukunft weitere Reformen nötig sein werden, uneinig war man sich jedoch darüber, bei welchem Abstimmungsergebnis dies dringender der Fall sei. Auch bezüglich den Gewinnern und Verlierern der Reform war man sich uneins. Sowohl Befürworter als auch Gegner betonten, dass alleine ihre Position die Situation der Jungen und der Frauen verbessern würde.

Aufgrund der knappen, ungewöhnlichen Ausgangslage mit Spaltungen innerhalb der linken und bürgerlichen Parteien war schliesslich unklar, welches Lager tendenziell in Führung lag. Wirklich Licht ins Dunkel konnten auch die Vorumfragen nicht bringen. Manchmal ergaben sie einen Vorsprung der Befürworter, manchmal der Gegner, aber grösstenteils machten sie relativ knappe Zwischenresultate zwischen den beiden Lagern aus. Entsprechend knapp gingen die Abstimmungen schliesslich auch aus. Mit 2357 Stimmen mehr bei 50.0 Prozent und 11 5/2 Standesstimmen lehnte das Stimmvolk die Mehrwertsteuererhöhung ab. Leicht deutlicher fiel die Entscheidung zur Reform der Altersvorsorge 2020 aus, die mit 52.7 Prozent abgelehnt wurde. Nach über zweijähriger Ausarbeitung der Reform wird das Parlament somit bei der Revision der Altersvorsorge von vorne beginnen müssen.


Abstimmung vom 24. September 2017

Zusatzfinanzierung der AHV durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer:
Beteiligung: 46.8%
Ja: 1`254`675 (50,0%) / Stände: 9 1/2
Nein: 1`257`032 (50,0%) / Stände: 11 5/2

Parolen:
-Ja: SP, Grüne, CVP, GLP, EVP, BDP, EDU
-Nein: SVP, FDP


Reform der Altersvorsorge 2020:
Beteiligung: 46,7%
Ja: 1`186`079 (47,3%)
Nein: 1`320`830 (52,7%)

Parolen:
-Ja: SP, Grüne, CVP, GLP, EVP, BDP
-Nein: SVP, FDP, EDU, PdA

Reform «Altervorsorge 2020» (BRG 14.088)
Dossier: Debatten um das Frauenrentenalter
Dossier: Erhöhung des Rentenalters
Dossier: Koordinationsabzug und Eintrittsschwelle BVG

Kurz nach deren Annahme durch das Parlament lancierten SP, Grüne, SGB, Unia sowie weitere Gewerkschaften und Jungparteien das Referendum gegen die Unternehmenssteuerreform III. Die Referendumsdrohung wurde bereits während der Behandlung im Parlament ausgestossen, falls die Steuerreform ohne Gegenfinanzierung beschlossen würde. Am 6. Oktober 2016 reichte das Referendumskomitee 56'000 beglaubigte Unterschriften gegen die USR III bei der Bundeskanzlei ein.

Im Abstimmungskampf kritisierten die Gegner des neuen Steuergesetzes insbesondere die ungleiche Verteilung von Kosten und Nutzen. So würden von der Vorlage nur Unternehmensbesitzer profitieren, während die Allgemeinheit die Steuerausfälle durch Leistungsabbau, höhere Gebühren und mehr Steuern zu bezahlen hätte. Die neuen "Steuertricks" seien zudem undurchsichtig, so dass nur die in deren Erarbeitung involvierten Beratungsfirmen ihre Auswirkungen abschätzen könnten. Die SP hatte im Parlament eine Gegenfinanzierung durch eine höhere Besteuerung der Dividenden gefordert, die vom Parlament jedoch abgelehnt worden war. Entsprechend befürchtete man nun auf Seiten des Referendumskomitees, dass die Steuerreform ohne Gegenfinanzierung zu hohen Kosten für Bund, Kantone und Gemeinden führen würde. Über die Höhe dieser zusätzlichen Kosten waren sich Befürworter und Gegner jedoch nicht einig: Der Bundesrat ging in seinem Bericht auf Bundesebene von Kosten von rund CHF 1,3 Mia. aus, zu denen aber weitere Kosten auf kantonaler und kommunaler Ebene hinzukommen würden. So hatten bereits vor der Durchführung der Volksabstimmung mehrere Kantone Senkungen ihrer kantonalen Gewinnsteuern veranlasst, was es ihnen erlauben sollte, international wettbewerbsfähig zu bleiben.

Auf der anderen Seite wiesen die Befürworter der USR III darauf hin, dass Nichtstun Steuersubstrat in der Höhe von CHF 5,4 Mia. pro Jahr gefährde und entsprechend deutlich teurer sei. Durch die Steuerreform könnten hingegen zehntausende Arbeitsplätze und Steuereinnahmen in Milliardenhöhe gesichert werden. Zudem warfen die Befürworter den Gegnern vor, bewusst auf die Vorlage eines alternativen Plans zu verzichten, weil ihre Alternativen kaum Anklang finden würden.

Die Unterschriftensammlung war von einer regen medialen Berichterstattung zur Steuerreform begleitet, die auch nach Zustandekommen des Referendums nicht abriss. Entsprechend verzeichnete das Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) eine sehr frühe und sehr starke Berichterstattung zur USR III, die Ende Januar durch das Interview von Eveline Widmer-Schlumpf in der Zeitung "Blick" noch weiter anstieg. In diesem hatte sich die ehemalige Finanzministerin gegen die Steuerreform in ihrer jetzigen Form ausgesprochen, da das Parlament bei dieser „nun einfach sehr weit gegangen [sei] mit zusätzlichen Entlastungen für gewisse Firmen“ und da es „ein paar Punkte [gebe], welche die Reform aus der Balance gebracht“ hätten. Immer häufiger meldeten sich anschliessend bürgerliche Politiker zu Wort, die ähnliche Bedenken gegenüber der USR III äusserten.

Nicht nur die Berichterstattung, auch die Inseratekampagne zur Unternehmenssteuerreform III startete früh und stark. So schaltete gemäss einer Analyse von Année Politique Suisse in den letzten 5 Jahren kaum ein Komitee so früh so viele Inserate wie die Befürworter der Steuerreform. Anders als bei der Berichterstattung, bei der das Verhältnis der Aufmerksamkeit für Befürworter und Gegner gemäss fög relativ ausgeglichen war, übertrumpften die Befürworter (88%) die Gegner (12%) bei den Inseraten deutlich. Auch die Parolenfassung deutete auf zwei ungleich grosse Lager hin: So sprachen sich mit SVP, FDP, CVP, BDP und GLP die meisten grösseren Parteien für die Steuerreform aus. Unterstützt wurden sie dabei unter anderem von Economiesuisse, dem Gewerbeverband sowie der Finanzdirektorenkonferenz. Die Nein-Parole beschlossen unter anderem die SP, Grünen, EVP, PdA, der Gewerkschaftsbund und Travail Suisse; Stimmfreigabe gewährte der Städteverband.

BRG Unternehmenssteuerreform III (BRG 15.049)
Dossier: Unternehmenssteuerreform III, Steuervorlage 17 und AHV-Steuer-Deal (STAF)
Dossier: Referenden gegen die Abschaffung der Verrechnungssteuer

Auf Vorschlag der Bundeskanzlei legte der Bundesrat den Abstimmungstermin für die Volksinitiative „AHVplus: für eine starke AHV“ auf den 25. September 2016 fest. Er entsprach damit nicht dem Wunsch der bürgerlichen Parteien, die Initiative möglichst früh an die Urne zu bringen, damit diese vor der Beratung der Reform der Altersvorsorge 2020 durch den Nationalrat vom Tisch gewesen wäre. Die Kommissionssitzungen zur Reform fanden folglich vor der Volksabstimmung über die Initiative statt, die Plenardebatte begann am Tag nach dem Abstimmungssonntag.

Auf der Befürworterseite formierten sich nebst dem lancierenden Gewerkschaftsbund die SP und JUSO, die Grünen, sämtliche anderen Gewerkschaftsorganisationen sowie verschiedene, jedoch nicht alle Senioren- und Seniorinnenverbände. Wichtigstes Argument der Befürworter war der Umstand, dass die Entwicklung der AHV-Renten nicht mit jener der Löhne Schritt halten könne und gleichzeitig die Lebenskosten, insbesondere für Mieten und Krankenkassen, angestiegen seien, weshalb es eines Ausgleichs bedürfe. Dieser Ausgleich sei mittels der AHV, im Gegensatz zur zweiten Säule, günstig und effizient vorzunehmen. Bei den Pensionskassen sei in den nächsten Jahren dagegen mit Rentenkürzungen von 15 bis 20% zu rechnen, ein weiterer Grund für eine Aufstockung der ersten Säule. Die AHV bezeichneten die Befürworter und Befürworterinnen als nicht nur das gerechteste, sondern aufgrund des Umlageverfahrens auch das sicherste Sozialwerk. An einer Medienkonferenz Ende Juni lancierte das Pro-Komitee seine Kampagne und kündigte an, bis zum Abstimmungstag eine grosse Auswahl an niederschwelligen Anlässen durchzuführen, um eine breite Mobilisierung zu erreichen.

Auf der Gegnerseite fanden sich neben den Bundesbehörden die bürgerlichen Parteien SVP, FDP, CVP, EVP, GLP und BDP sowie die Wirtschaftsverbände (Arbeitgeberverband, Gewerbeverband, Economiesuisse und Bauernverband). Sie warnten, angesichts der demografischen Entwicklung führe die Initiative zu Mehrkosten in unverantwortlicher Höhe und stünde damit vollkommen quer zu den tatsächlichen Entwicklungen. Bis ins Jahr 2030 wäre demnach bei Annahme der Initiative die Finanzierungslücke in der AHV fast doppelt so gross, wie sie es gemäss dem aktuellen Szenario ist, was auf Kosten der jungen Beitragszahlerinnen und -zahler gehen werde. Die Situation der Rentnerinnen und Rentner mit den tiefsten Einkommen würden zudem durch die Initiative kaum verbessert, weil diese ohnehin durch Ergänzungsleistungen unterstützt werden, welche bei einer Anhebung der AHV entsprechend gesenkt würden. Die Erhöhung der AHV sei nicht notwendig, da diese mittels des Mischindex' laufend an die Teuerung und damit an die Lohnentwicklung angepasst würde, und die Aussage der Initiantinnen und Initanten, die Renten der zweiten Säule würden stark sinken und es gelte daher die erste Säule zu stärken, entspreche nicht den Tatsachen. Überhaupt sei eine Gesamtreform der Altersvorsorge angezeigt; punktuelle Massnahmen wie die von der Initiative angestrebte Erhöhung seien keine Lösung. Auch das Gegenkomitee kündigte beim Start der Kampagne eine Reihe von Aktionen an.

Am Umstand, dass nebst den Parteien sämtliche grossen und viele mittlere und kleine Berufs- und Interessenorganisationen zur Initiative Stellung bezogen, lässt sich die zugeschriebene Wichtigkeit der Vorlage ablesen. Dies hängt zweifellos mit der parallel zum Abstimmungskampf im Parlament weiter diskutierten Reform der Altersvorsorge zusammen, deren durch den Bundesrat vorgesehener fein austarierter Massnahmenmix durch eine Annahme der Initiative auf den Kopf gestellt würde.

Im Juli bezog Bundesrat Berset im Namen des Gesamtbundesrates Stellung zur Initiative. Er wies auf die Konsequenzen einer Annahme für die Reform der Altersvorsorge hin, insbesondere da die Rentenerhöhung bereits per Anfang 2018 eingeführt werden müsste, womit wenig Zeit für eine Anpassung der Reform bliebe. Das Defizit der AHV würde rasch ansteigen. Der sozialdemokratische Vorsteher des Innendepartements erklärte an der Medienkonferenz explizit, er habe die Initiative dem Bundesrat zur Ablehnung empfohlen. Damit stellte sich Berset einmal mehr gegen ein Anliegen seiner eigenen Partei, und wiederum erhielt er von den Medien und vielen politischen Akteuren ein gutes Zeugnis für seine Ausführung dieser Aufgabe.

Die erste Tamedia-Umfrage, publiziert Mitte August, zeigte eine Zustimmung von 60% für die Initiative. Dieser hohe Wert überraschte; insbesondere gaben neben den Anhängerinnen und Anhänger des linken Lagers auch SVP- und CVP-Wählende mehrheitlich an, für oder eher für die Initiative zu sein. Auch die erste SRG-Umfrage, eine Woche später publiziert, zeigte einen Ja-Trend, wenn auch weniger deutlich. Die Zustimmung geriet in der Folge ins Bröckeln, womit sich Ende August ein enges Rennen abzeichnete. Die Anzahl der Unentschlossenen blieb vergleichsweise hoch. Mitte September wies die Tamedia-Umfrage ein Gleichgewicht zwischen Befürwortern und Gegnern aus, während die SRG-Umfrage ein Nein vorhersagte. Erstere zeigte zudem einen deutlichen Altersgraben: Während jüngere Stimmbürgerinnen und Stimmbürger der Initiative klar kritisch gegenüberstanden, gaben ältere ebenso klar an, sie annehmen zu wollen. Angesichts der Übermacht älterer Stimmender an der Urne war deshalb vereinzelt der Begriff der „Gerontokratie" zu vernehmen.

Am 25. September 2016 legten schliesslich bei einer als durchschnittlich einzustufenden Stimmbeteiligung rund 41% der Stimmenden ein Ja, 59% ein Nein in die Urne. Nur in den Kantonen Jura, Neuenburg, Genf, Tessin und Waadt traf die Initiative auf Zustimmung, womit sich annähernd ein Röstigraben ergab. Besonders deutlich wurde die Initiative in ländlichen Gebieten der Deutschschweiz abgelehnt. Das Nein der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger wurde im Allgemeinen als Anschub für die anstehende Rentendebatte gedeutet, wobei Uneinigkeit darüber herrschte, ob die Position der Linken dadurch geschwächt wurde.


Abstimmung vom 25. September 2016

Beteiligung: 43,13%
Ja: 921'375 (40,60%) / Stände: 5
Nein: 1'348'032 (59,40%) / Stände: 15 6/2

Parolen
– Ja: SP, GPS; SGB, Travail.Suisse
– Nein: SVP (1*), CVP, FDP, GLP, BDP, EVP; Economiesuisse, SGV, SAV
* In Klammern Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Volksinitiative „AHVplus: für eine starke AHV“

Anfangs Oktober 2015 war bekannt geworden, dass Peter Grünenfelder, seit 2004 Staatsschreiber des Kantons Aargau, neuer Direktor von Avenir Suisse werden würde. Der Zürcher löste im April 2016 den bisherigen Direktor Gerhard Schwarz ab, der nach vollendetem 65. Lebensjahr in Pension ging. Dass die Wahl des Stiftungsrats auf Grünenfelder gefallen war, überraschte die Medien, da der von Unternehmen getragene Think Tank Avenir Suisse fortan von einer Person geführt werden würde, deren bisherige berufliche Laufbahn fast ausschliesslich in der Verwaltung verlaufen war. Insgesamt war das mediale Echo aber äusserst positiv, da dem „Modernisierer“ Grünenfelder als Staatsschreiber ein wesentlicher Beitrag an der Entwicklung des Kantons Aargau zum Wirtschafts- und Forschungsstandort zugeschrieben wurde.

Peter Grünenfelder wird neuer Direktor von Avenir Suisse

Mit Hilfe von mehr als 70 weiteren Organisationen reichten die Gewerkschaften Uniterre und l’autre syndicat erfolgreich ihre Volksinitiative „Für Ernährungssouveränität. Die Landwirtschaft betrifft uns alle“ ein. Von den gesammelten 131’600 Unterschriften konnten 109’655 beglaubigt werden, womit die Initiative diese Etappe erfolgreich bewältigte. Die Initiative fordert, der Bund solle die einheimische Landwirtschaft fördern und dafür sorgen, dass diese einträglich, vielfältig und ökologisch sei. Er solle sicherstellen, dass die natürlichen Ressourcen geschont würden, und gewährleisten, dass es zu einer Erhöhung der Anzahl in der Landwirtschaft tätiger Personen komme. Kulturlandflächen sollen erhalten bleiben und es solle der Bauernschaft erlaubt werden, Saatgut zu vermehren, zu tauschen und damit Handel zu betreiben. Weiter fordert die Initiative, dass der Einsatz von genetisch veränderten Organismen in der Landwirtschaft verboten werde, dass auf schweizweit einheitliche Arbeitsbedingungen im landwirtschaftlichen Sektor geachtet werde und dass auf Importe von landwirtschaftlichen Produkten, welche nicht nach den sozialen und ökologischen Bedingungen der Schweiz produziert wurden, Zölle erhoben oder diese ganz verboten werden. Überdies beinhaltet der Initiativtext ein Verbot von landwirtschaftlichen Exportsubventionen sowie die Forderung, dass der Bund Informationen über die Bedingungen der Produktion und Verarbeitung von Lebensmitteln sicherstelle.
Neben der Initiative für Ernährungssicherheit des Bauernverbandes, der Volksinitiative „Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln” der Juso und verschiedener Hilfswerke sowie der Fair-Food-Initiative der Grünen ist dies innerhalb der letzten zwei Jahren die vierte erfolgreich eingereichte Initiative zum Thema Ernährungspolitik.

Volksinitiative „Für Ernährungssouveränität“ (BRG 17.023)
Dossier: Volksinitiativen zur Förderung ökologischer Bedingungen in der Landwirtschaft
Dossier: Gentechnisch veränderte Organismen (GVO) in der Schweiz

Das im Herbst 2015 beschlossene Sparprogramm der SRG führte bereits Ende Januar des folgenden Jahres zu ersten Entlassungen beim Fernsehen der italienischen Schweiz (RSI). Für Empörung bei Mitarbeitenden und Gewerkschaften sorgte dabei vor allem die Art und Weise, wie die Entlassungen den betroffenen Personen mitgeteilt worden waren. Medienberichten zufolge wurden die Entlassungen mit sofortiger Wirkung ausgesprochen und Mitarbeitende gebeten, noch am selben Tag ihren Schreibtisch zu räumen. Diese Anschuldigungen dementierte der RSI-Direktor Maurizio Canetta, gab aber später zu, Fehler in der Kommunikation begangen zu haben. Entrüstet zeigte sich auch die Lega dei Ticinesi und forderte die Absetzung des RSI-Direktors. Darüber hinaus gab die RSI im November 2016 bekannt, dass ihr zweiter Fernsehsender auf längere Sicht abgesetzt werden soll; anstelle dessen werde eine Web-Plattform ins Leben gerufen. Ausschlaggebend für diesen Entscheid waren auch finanzielle Überlegungen.

Stellenabbau bei RTI

Die Diskussionen um das Milizsystem hielten auch 2015 an. Laut einer Studie von Avenir Suisse hat in den letzten Jahren das zivilbürgerliche Engagement stark abgenommen und zwar nicht nur in Vereinen, sondern auch in der Politik. Da diese immer komplexer und anspruchsvoller werde, finde man auf nationaler Ebene praktisch keine Milizpolitikerinnen und -politiker mehr; auf kantonaler Ebene nehme die Professionalisierung ebenfalls zu: Mehr als die Hälfte der kantonalen Politikerinnen und Politiker würden mehr als 10 Stunden pro Woche für die politische Arbeit aufwenden. Am meisten mit dem abnehmenden Engagement zu kämpfen habe die kommunale Ebene, wo vor allem in den Kleinstgemeinden kaum noch politischer Wettbewerb herrsche. Der Think-Tank schlug als Gegenmassnahme einen obligatorischen, allgemeinen Bürgerdienst vor – laut der Zeitung Le Temps scheine allerdings sogar Avenir Suisse «peu convaincu» vom eigenen Vorschlag zu sein: Auf Rückfrage der Zeitung habe nämlich sogar der Direktor von Avenir Suisse, Gerhard Schwarz, zugegeben, dass das Hauptproblem, nämlich die Erosion von Werten wie Bürgersinn oder Solidarität, auch mit einem Bürgerdienst wohl kaum zu lösen sei.
Weiter angeheizt wurde die Diskussion um den «Mythos» Milizparlament bzw. die Frage, ob sich politische Arbeit überhaupt noch in Teilzeitpensen bewältigen lasse (Tages-Anzeiger), durch den Rücktritt von Alec von Graffenried (gp, BE) aus dem Nationalrat. Als Grund für die Niederlegung seines Mandats gab der Berner Politiker an, das politische Amt, seinen Beruf, seine Verbandstätigkeit und Zeit mit seiner Familie nicht mehr unter einen Hut zu bringen.
Im Juli versuchte schliesslich auch Economiesuisse eine Lanze für das Milizparlament zu brechen. Es gebe leider immer weniger Unternehmer in Bundesbern, die aber als solche wichtige ökonomische Inputs liefern könnten. Der Verband appellierte deshalb an Unternehmen, das mittlere und obere Kader bei der politischen Arbeit zu unterstützen. Das Milizsystem als Pfeiler des Erfolgs der Schweiz könne so wieder gestärkt werden, gab etwa Heinz Karrer der Tribune de Genève zu Protokoll.

Diskussionen um das Milizsystem
Dossier: Milizparlament in der Krise?

Die seit 2013 geführte Diskussion um eine vor allem in der Presse so betitelte Initiativenflut flachte eine ganze Weile lang nicht ab und gebar neben zahlreichen parlamentarischen Vorstössen (z.B. Po. 13.4155, Mo. 15.3649, Pa.Iv. 16.443) auch unzählige Reformvorschläge aus der interessierten Öffentlichkeit. Eine der Folgen dieser Debatte waren im April 2015 von Avenir Suisse vorgelegte Reformvorschläge. Vorgeschlagen wurde die Prüfung der Gültigkeit von Volksinitiativen bereits vor der Unterschriftensammlung durch die Bundeskanzlei, höhere Unterschriftenhürden, die bei 4% der Stimmberechtigten (2015: rund 210'000) angelegt werden sollen, ein obligatorisches Referendum über die Umsetzungsbestimmungen einer angenommenen Volksinitiative, die Einführung einer Gesetzesinitiative oder die Beschränkung auf maximal eine Volksinitiative pro Urnengang. Die Vorschläge waren zwar nicht wirklich neu, wurden in der Presse allerdings diskutiert, nur um danach ebenso wie die Diskussion um die Initiativenflut wieder in der Versenkung zu verschwinden.

Initiativenflut

Mitte 2015 entbrannte ein Streit zwischen den Gewerkschaften Unia und Syna einerseits und dem Schweizerischen Baumeisterverband (SBV) andererseits. Streitpunkt war die Verlängerung des Landesmantelvertrags (LMV), wie der Gesamtarbeitsvertrag (GAV) im Bauhauptgewerbe genannt wird, welcher Ende Jahr auslief. Das Phänomen ist nicht neu; schon in vergangenen Jahren gerieten sich die Sozialpartner in der Baubranche zum Zeitpunkt der Erneuerung des LMV jeweils heftig in die Haare (etwa 2011 und 2007). Die Gewerkschaften forderten eine Neuverhandlung des bestehenden Vertrags, während der Baumeisterverband auf einer unveränderten Weiterführung des Vertrags bestand. Letzteres war den Gewerkschaften nicht genug, weil sie sich insbesondere um die Sicherung der Frührente ab 60 – dem üblichen Pensionsalter für Arbeitnehmer auf dem Bau – Sorgen machten. Mit dem bestehenden Vertrag drohten demnächst Rentenkürzungen, wenn die geburtenstarke Babyboomer-Generation das Pensionsalter erreiche, weshalb die Gewerkschaften höhere Rentenbeiträge, insbesondere von Seiten der Arbeitgeber, forderten. Weitere Forderungen waren verbesserte Kontrollen gegen Lohndumping und eine neue Regelung für Schlechtwettertage, an denen die meisten Bauunfälle passieren.
Der Baumeisterverband weigerte sich jedoch, mit den Gewerkschaften zu verhandeln, solange die Unia ihre Fachstelle Risikoanalyse betreibt. Im Auftrag von Baufirmen prüft diese Fachstelle Subunternehmen auf deren Risiko, Lohndumping zu betreiben. Aus Sicht des Baumeisterverbands verstösst die Unia damit gegen die Sozialpartnerschaft, da solche Überprüfungen nicht nur vonseiten der Arbeitnehmervertretung, sondern gemeinsam mit Vertretern der Arbeitgeber durchgeführt werden müssten. Eine Schliessung dieser Fachstelle stand für die Unia wiederum nicht zur Diskussion. In der Zwischenzeit griff der Baumeisterverband zu einem ungewöhnlichen Mittel, um die Gewerkschaften zu einer Einigung zu bewegen: 26'000 Bauarbeiter – gemäss Verbandspräsident 40 Prozent der Betroffenen – bezeugten mit ihrer Unterschrift, dass sie sich eine unveränderte Weiterführung des bestehenden LMV wünschen. Die Unia ihrerseits zeigte sich von diesem – aus rechtlicher Sicht belanglosen – Verhalten unbeeindruckt und organisierte Mitte November landesweit Streiks, die jeweils einen Tag dauerten und an denen sich einige tausend Bauarbeiter beteiligten. In Zürich, Bellinzona, Genf, Neuenburg und Delsberg kam es auch zu Demonstrationen.
Auch wenn sich der Baumeisterverband in der Folge darüber beklagte, die Gewerkschaften hätten die vertragliche Friedenspflicht verletzt, gewannen die Gewerkschaften mit den Streiks das Kräftemessen der Sozialpartner. Denn einen Monat später, kurz vor Ablauf des bestehenden Vertrags, einigte man sich auf einen neuen LMV für die nächsten drei Jahre, der das Kernanliegen der Gewerkschaften enthielt: Die Rentenbeiträge wurden um zwei Prozentpunkte erhöht, wovon drei Viertel die Arbeitgeber übernahmen. Damit sollte das bisherige Rentenniveau der Frühpensionierten gesichert sein. Auch wurde das Ausbezahlen von Löhnen in bar verboten, eine Massnahme, die die Kontrolle von Lohndumping etwas vereinfachen sollte. Der Baumeisterverband hingegen konnte sein Anliegen – die Schliessung der Fachstelle Risikoanalyse der Unia – nicht durchsetzen.

Streit zwischen Gewerkschaften und dem Schweizerischen Baumeisterverband

In einer im Januar 2015 veröffentlichten Untersuchung trug die liberale Denkfabrik "Avenir Suisse" die Probleme des Milizsystems zusammen und machte Vorschläge zur Überwindung der Krise, in welcher die Idee des ehrenamtlichen politischen Engagements als bedeutendes Element des politischen Systems der Schweiz stecke. Die Idee, dass politische Ämter nebenberuflich ausgeübt werden, verkomme zu einer Fiktion. Vielmehr nehme die Anzahl Berufspolitiker und Berufspolitikerinnen nicht nur im nationalen Parlament laufend zu. War früher ein politisches Amt wichtiges Sprungbrett für eine wirtschaftliche Karriere, werde es heute eher als Zeitvergeudung betrachtet. Eine Mehrheit der Gemeinden bekundete schliesslich grosse Mühe, ihre politischen Ämter zu besetzen. Als mögliche Lösung dieser Probleme schlug Avenir Suisse einen obligatorischen Bürgerdienst vor: Alle Bürgerinnen und Bürger zwischen 20 und 70 Jahren müssten 200 Diensttage zu Gunsten der Allgemeinheit leisten. Dazu zählten militärische Dienstleistungen, Einsätze in der Feuerwehr und im Sozialwesen, aber eben auch die nebenamtliche politische Betätigung. Mit dem Pflichtdienst könnten die Vorteile des Milizsystems erhalten werden – insbesondere die Verhinderung einer Zweiteilung in abgehobene politische Elite und passive Bevölkerung, von Avenir Suisse als "Zuschauerdemokratie" bezeichnet. Die Milizidee sei nach wie vor positiv besetzt, aber individuelles Engagement lasse sich ohne Zwang nicht mehr fördern.
Andere Schlüsse zog eine Untersuchung der Gemeindeexekutiven im Kanton Aargau durch das Zentrum für Demokratie in Aarau. Zwar zeigten sich auch im Kanton Aargau Schwierigkeiten hinsichtlich der Rekrutierung von Exekutivmitgliedern, allerdings treffe dies für grössere Gemeinden in geringerem Umfang zu. Im Gegenteil zu Avenir Suisse empfiehlt die Aarauer Studie, die Idee der unbezahlten Ehrenamtlichkeit aufzugeben, die Exekutivämter stärker zu professionalisieren und sie auf strategische Aufgaben zu konzentrieren. Operative Aufgaben sollten hingegen einem Geschäftsführer überlassen werden. Unbezahlte Fronarbeit, die zudem auf Kosten einer beruflichen Karriere gehe, befriedige niemanden. Im Gegenteil führe das Festhalten am unbezahlten Milizprinzip eher zu Misstrauen gegenüber Milizpolitikerinnen und Milizpolitikern, wenn diese mehr Entlohnung forderten oder wenn sich nur noch zu einem Amt überredete Rentner zur Verfügung stellten. Empfohlen wird von den Aarauer Forschenden auch, dass Milizämter in Kombination mit Weiterbildungsmöglichkeiten stärker als berufliche Qualifikation und persönliche Entwicklung genutzt werden können. Unabdingbar – so weitere kritische Stimmen zum Beitrag von Avenir Suisse – sei auch ein Ende der Verunglimpfung von Politikerinnen und Politikern als "classe politique".
Mitte Juni trugen auch der Arbeitgeberverband und Economiesuisse mit einem Appell zugunsten des Milizprinzips zur Diskussion bei. Der Rückzug der Wirtschaft aus der Politik sei keine gute Entwicklung – so der Präsident von Economiesuisse, Heinz Karrer. Das Bewusstsein für die Bedeutung des Milizprinzips als mögliche Brücke zwischen Politik und Wirtschaft müsse wieder geschärft werden. Der Appell wurde von rund 200 Unternehmen unterstützt, die ihre Kader und Mitarbeitenden ermuntern wollen, sich vermehrt politisch zu engagieren. Flexible Arbeitszeitmodelle, zusätzliche Ferientage oder administrativer Support seien Hilfsmittel, die dazu eingesetzt werden könnten.
Ein Postulat von Jean-Pierre Grin (svp, VD), das die Möglichkeit von steuerlichen Erleichterungen für Arbeit im öffentlichen Dienst prüfen will – Grin hebt explizit die Arbeit in kommunalen Exekutiven hervor –, wurde im Nationalrat noch nicht diskutiert. Der Bundesrat beantragte die Ablehnung des Postulats.

Lösungen zur Krise des kommunalen Milizsystems
Dossier: Milizparlament in der Krise?

Im Jahr 2014 waren insgesamt 741'311 Personen gewerkschaftlich organisiert. Nachdem im Jahr 2013 der Rückgang der Zahl der gewerkschaftlich organisierten Personen vorerst gestoppt worden war, hat sich die Mitgliederzahl im Jahr 2014 wieder um ein halbes Prozent verringert.

Mitgliederbewegungen der Schweizer Gewerkschaften