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Am 7. März 2021 nahm die Schweizer Stimmbevölkerung die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» mit 51.2 Prozent Ja-Stimmen an. Damit fiel das Ergebnis letztlich knapper aus als aufgrund von Vorumfragen erwartet. Die Stimmbeteiligung betrug 51.4 Prozent. Die höchste Zustimmung erfuhr das Verhüllungsverbot im Jura (60.7% Ja), gefolgt vom Tessin (60.5%) und Schwyz (60.2%). In St. Gallen, wo wie im Tessin bereits ein kantonales Verhüllungsverbot gilt, dem 2018 zwei Drittel der Stimmbevölkerung zugestimmt hatten, war die Zustimmung mit 53.1 Prozent vergleichsweise schwach. Am wenigsten Unterstützung erhielt die Initiative im Kanton Basel-Stadt (40.6% Ja), gefolgt von Zürich (45.2%) und Genf (48.7%). Auch die Kantone Appenzell Ausserrhoden (49.1%), Bern (49.6%) und Graubünden (49.6%) lehnten die Initiative knapp ab. Bemerkenswert hoch war die Zustimmung für eine Initiative aus den Reihen der SVP – auch im direkten Vergleich mit dem 2009 angenommenen Minarettverbot, das ebenfalls vom Egerkinger Komitee initiiert worden war – in der Westschweiz. Verschiedene Expertinnen und Experten mutmassten in den Medien, dass einerseits die Nähe zu Frankreich den Diskurs analog der dort geführten Debatten stärker auf den sicherheitspolitischen Aspekt gelenkt habe und andererseits die in der Romandie stark präsenten, prominenten bürgerlichen und linken Stimmen, die sich für die Initiative starkgemacht hatten, wohl erheblichen Einfluss gehabt und den Anti-SVP-Reflex beschränkt hätten.
Die Befürwortendenseite wertete den Entscheid als «ein klares Signal des Widerstands gegen die Islamisierung der Schweiz», wie sich der Urheber des ersten kantonalen Verhüllungsverbots Giorgio Ghiringhelli vom «Corriere del Ticino» zitieren liess. Als «Zeichen gegen den ‹politischen Islam›, der vielen Menschen Unbehagen bereitet», interpretierte die NZZ das Votum. Der Berner SP-Grossrat Mohamed Hamdaoui sah im Resultat dementsprechend einen Positionsbezug der gemässigten Muslime gegen den Islamismus, wie er gegenüber «Le Temps» verlauten liess.
Das unterlegene Lager bedauerte den Volksentscheid derweil aus verschiedenen Gründen. Feministische Kreise, die sich gegen das Verhüllungsverbot starkgemacht hatten, fühlten sich durch das Argument, die Vollverschleierung sei Ausdruck der Unterdrückung der Frauen, für rassistische und xenophobe Zwecke missbraucht, wie deren Vertreterin Meriam Mastour gegenüber der Presse erklärte. Die Tourismusbranche befürchtete einen Imageschaden für die Schweiz und zeigte sich besorgt, dass künftig weniger kaufkräftige und konsumfreudige Gäste aus den Golfstaaten die Schweiz besuchen würden. Die Jungen Grünen und der IZRS erklärten unabhängig voneinander, eine gerichtliche Anfechtung des Verhüllungsverbots wenn nötig bis vor den EGMR unterstützen zu wollen. Pascal Gemperli, Pressesprecher der FIDS, zeigte sich um die Sicherheit der muslimischen Gemeinschaft besorgt und befürchtete zunehmende Aggression und Gewalt gegenüber Musliminnen und Muslimen. Bundesrätin Karin Keller-Sutter betonte gegenüber den Medien, das Abstimmungsresultat sei nicht als Votum gegen die Musliminnen und Muslime in der Schweiz zu verstehen. Diese Linie wurde im unterlegenen Nein-Lager breit vertreten. Dass der Ja-Anteil gegenüber der Minarettinitiative deutlich abgenommen habe, gebe Anlass zur Hoffnung, dass die Schweiz vielleicht doch nicht so islamfeindlich sei, so der Tenor.
Letztlich sei der Entscheid «vor allem auf symbolischer Ebene bedeutsam», resümierte die NZZ. Die konkreten praktischen Auswirkungen sind in der Tat noch unklar. Wie Karin Keller-Sutter erklärte, liege die Umsetzung bei den Kantonen, weil sie über die Polizeihoheit verfügten. Sie hätten nun zwei Jahre Zeit, entsprechende Gesetze zu erlassen. Der Bund müsse das Verbot unterdessen für diejenigen Bereiche, in denen er zuständig ist – beispielsweise im öffentlichen Transportwesen und im Zollwesen – auf Gesetzesebene konkretisieren. Gemäss dem «Blick» zeigten sich einige Kantonsvertretende wenig motiviert, ein gesetzliches Verhüllungsverbot zu erlassen, und würden die Umsetzung lieber ganz dem Bund überlassen. Initiant Walter Wobmann (svp, SO) warf dem Bund in derselben Zeitung bereits vor, die Initiative nicht umsetzen zu wollen: Ein Bundesgesetz sei «unabdingbar, um zu verhindern, dass am Schluss in jedem Kanton etwas anderes gilt», zitierte ihn das Blatt.


Abstimmung vom 7. März 2021

Beteiligung: 51.42%
Ja: 1'427'344 (51.2%) / Stände: 16 4/2
Nein: 1'360'750 (48.8%) / Stände: 4 2/2

Parolen:
– Ja: EDU, Lega, SD, SVP
– Nein: FDP (4*; Frauen: 1*; Jungfreisinnige: 2*), GLP, GP, KVP, Die Mitte (2*), PdA, SP; EKR, SSV, Travail.Suisse, VPOD, Schweizer Tourismus-Verband, EKS, SBK, Schweizerischer Israelitischer Gemeindebund (SIG), Schweizerischer Rat der Religionen, Katholischer Frauenbund (SKF), Alliance F, Amnesty International, Operation Libero
– Stimmfreigabe: EVP (3*); Schweizerische Evangelische Allianz
* Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und indirekter Gegenvorschlag (19.023)
Dossier: Nationales Burkaverbot

Knapp zwei Jahre nach der Ablehnung der Bündner Olympia-Kandidatur 2022 durch das Stimmvolk Graubündens wagte der Regierungsrat mit einer positiven Antwort auf einen Auftrag Cavegn (cvp) für die Unterstützung einer Kandidatur für die Olympischen Winterspiele 2026 im August 2015 einen erneuten Anlauf. Dieser Prozess war von den drei Bündner Wirtschaftsdachverbänden und Hotelleriesuisse Graubünden angestossen und unterstützt worden. Die Begründung: Die wirtschaftliche Situation im Kanton Graubünden habe sich seit 2013 stark verschlechtert, in einzelnen Tälern sei die Situation gar «alarmierend». Schweizerische Olympische Winterspiele könnten dieser Problematik Abhilfe verschaffen und der Wirtschaft sowie dem Tourismus den notwendigen Schub verleihen. Nach der positiven Reaktion der Kantonsregierung und deren Antrag auf Annahme überwies das Kantonsparlament den Auftrag in der Wintersession 2015 und gab damit das «definitive Startsignal» (NZZ) zur Ausarbeitung einer Kandidatur des Kantons Graubünden.
Wie Andreas Wieland, der Vorsteher des Projektteams, welches aus prominenten Personen aus Wirtschaft und Tourismus bestand, gegenüber der NZZ verlauten liess, liege der Schwerpunkt der Bündner Kandidatur 2026 – anders als bei der Kandidatur 2022 – stärker auf der bestehenden Infrastruktur und weniger auf Neubauten. So sollten die Winterspiele 2026 dezentral und verteilt über die Bergregionen des Kantons Graubünden, aber auch in der restlichen Schweiz mit einer modernen High-Tech-Übertragung stattfinden. Der Schneesport solle im Bündnerland und der Hallensport vorwiegend in Zürich ausgetragen werden, so der Plan.

Neben der Zustimmung der Bündner Wirtschafts-, Tourismus- und bürgerlichen Politikkreise zu potenziellen Olympischen Spielen 2026 wurden auch kritische Stimmen zu einer möglichen Bündner Kandidatur laut. Diese stammten vorwiegend aus den Reihen der linken Parteien sowie des Komitees «Olympiakritisches Graubünden», welche sich bereits beim Vorgängerprojekt zwei Jahre zuvor gegen eine Kandidatur gewehrt hatten. «Milliardeninvestitionen in den übersättigten Wintertourismus» (NZZ) sowie der den Winterspielen vorauseilende Ruf des Gigantismus seien im Ostschweizer Kanton deutlich fehl am Platz und brächten nachhaltig keinen Profit ein, lautete das Argument. Während die SP dem Vorhaben nicht vollständig ablehnend gegenüberstand, zeigte sich die Partei doch besorgt über die starke Kostenunsicherheit. Wie SP-Grossrat Jon Pult im Gespräch mit der Südostschweiz postulierte, leide die Glaubwürdigkeit der Diskussion zu den Olympischen Spielen stark unter dem Fakt, dass die «gleichen Repräsentanten, die vor wenigen Jahren gesagt haben, dass die damalige Bündner Kandidatur sehr gut sei, alle profitieren würde, sauber sei, nachhaltig und umweltbewusst» jetzt sagten, dass die neue Kandidatur «ganz anders» sei.

Im Oktober 2016 erhielt der Kanton Graubünden schliesslich eine Absage des Wunsch-Parnerstandorts Zürich: Die Stadt werde keine weitreichenden Garantien übernehmen, sich nicht als Host City zur Verfügung stellen, nicht im OK mitwirken und auch keine neue Infrastruktur für die Olympischen Spiele schaffen, so die Position der Zürcher Stadtregierung. Sie sei allerdings offen dafür, die Eröffnungs- und Schlusszeremonie und auch die Medaillenübergaben vor dem Panorama der Stadt Zürich abzuhalten – gegebenenfalls gegen eine Entschädigung.
Anfang Dezember 2016 verkündete der Bundesrat, dass er eine Schweizer Olympia-Kandidatur begrüsse, und zeigte sich grundsätzlich bereit, diese auch finanziell zu unterstützen. Noch im selben Monat hiess der Bündner Grossrat eine Regierungsbotschaft für den Verpflichtungskredit in der Höhe von CHF 25 Mio. mit 97 zu 17 Stimmen bei 1 Enthaltung gut. Von dem für die Kandidaturphase des Bündner Projekts bis zur Vergabe des Standorts der Olympiade 2026 durch das Internationale Olympische Komitee im Herbst 2019 vorgesehenen Verpflichtungskredit würde der Kanton Graubünden jedoch maximal CHF 9 Mio. übernehmen müssen, für den restlichen Betrag würden der Bund und Swiss Olympic je zur Hälfte aufkommen, führte die grossrätliche Kommission für Wirtschaft und Abgaben in ihrer Medienmitteilung auf. Das letzte Wort bezüglich der Finanzierungsfrage und somit auch zur Kandidatur werde Mitte Februar 2017 das Bündner Stimmvolk haben, so die NZZ.

Parallel zu diesen Entwicklungen prüfte der Schweizerische Sport- und Olympiadachverband Swiss Olympics auf nationaler Ebene verschiedene Voraussetzungen, welche Veranstaltende von schweizerischen Olympischen Spielen erfüllen müssten. Neben dem Bündner Projekt standen auch ein Walliser und ein Berner Projekt für Olympische Spiele 2026 zur Diskussion, zudem hatte auch die Genferseeregion bereits Interesse an einer Kandidatur bekundet.

Kandidatur für Olympia 2026 in Graubünden
Dossier: Olympiakandidaturen

Angesichts des von vier Schweizer Regionen und Kantonen geäusserten Interesses an einer Kandidatur für die Olympischen Spiele 2026 in der Schweiz fand am 11. März 2016 eine ausserordentliche Versammlung des Schweizerischen Sport- und Olympiadachverbands Swiss Olympics statt. Das Parlament des Verbands (das sogenannte «Sportparlament») – bestehend aus Delegierten der olympischen Verbände der Schweiz – entschied, eine Schweizer Kandidatur unter zwei Hauptbedingungen zu unterstützen: Erstens müsse insbesondere die Austragungsregion, aber auch die restliche Schweiz vom Projekt profitieren können und zweitens müsse die Kandidatur so attraktiv und überzeugend sein, dass sie bei der Abstimmung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) im Herbst 2019 die Mehrheit der Stimmen auf sich vereinen könne. Darüber hinaus gab das Sportparlament weitere zu erfüllende Rahmenbedingungen vor: Die Kandidatur solle die Unterstützung von Politik, Wirtschaft und Tourismus der Schweiz hinter sich vereinen, verschiedensten Umweltaspekten Rechnung tragen und als «Motor für eine Revitalisierung des Wintersports» dienen, wie es die Zeitung «Südostschweiz» formulierte. Für den Projektierungsprozess sprach das Sportparlament ein Budget von CHF 1 Mio. verteilt über vier Jahre und legte zudem einen eher straffen Zeitplan fest: Bis Ende 2016 müssten die jeweiligen Kandidaturen ein Bewerbungsdossier einreichen, zudem müssten bis zum darauffolgenden Frühling in allen an einer Kandidatur interessierten Kantonen Volksabstimmungen abgehalten werden, damit im Herbst 2017 ein Schweizer Kandidat für die Olympischen Spiele 2026 gewählt und aufgestellt werden könne. Für eine solche Wahl müssten aber sämtliche Bedingungen erfüllt sein, betonte Swiss Olympic.

Neben den drei Schweizer Kantonen Graubünden, Wallis und Bern und der Genferseeregion, die sich allesamt eine Olympiakandidatur vorstellen konnten, zeigten sich sowohl Teile der Politik als auch Vertretende aus den Reihen der Wirtschaftsverbände sowie der Sport- und Tourismusbranche erfreut über diesen positiven Grundsatzentscheid von Swiss Olympic. Auch der Bundesrat hatte sich für die Austragung der Olympischen Winterspiele 2016 in der Schweiz ausgesprochen. Gemäss dem obersten «Schweizer Sportler» (Südostschweiz), Guy Parmelin, welcher mit einer Grussbotschaft die Sitzung des Sportparlaments eröffnete, stellten die Olympischen Spiele eine grosse Chance dar, die Schweiz auf der internationalen Bühne zu präsentieren. Dem stimmte auch Jörg Schild als Präsident von Swiss Olympic zu; die Schweiz sei mit ihren Bergen und einer langen Wintersport-Tradition eine exzellente Kandidatin zur Ausrichtung dieses vierjährlichen Sportfests. Es handle sich darüber hinaus um eine «grosse Chance für die Schweiz, der Welt zu beweisen, dass ökologische und finanziell tragbare Spiele möglich seien», so Schild gegenüber der Südostschweiz.
Es gelte allerdings zu beachten, dass die grösste Hürde für die Ausrichtung einer Winterolympiade in der Schweiz wohl in deren Finanzierung liege, warf Sportminister Parmelin im Nachgang der Session des Sportparlaments trotz seiner Freude über den positiven Entschluss ein. Diese könnte insbesondere zum Problem werden, da die ein Jahr nach den Winterspielen angedachte Landesausstellung 2027 in der Bodenseeregion mit der Olympiade um die Gelder konkurrenzieren könnte. Es handle sich um «zwei sehr teure Anlässe in kurzer Zeit», was die finanzielle Unterstützung beider Vorhaben vonseiten des Bundes politisch sehr unwahrscheinlich mache, so der Bundesrat.

Kritische Stimmen gegenüber einer Schweizer Kandidatur für die Olympischen Spiele wurden zudem aus Wissenschaftskreisen laut. Das Risiko von chancenlosen Kandidaturen sei auch bei diesem Anlauf gross, fand der emeritierte Professor für Freizeit und Tourismus, Hansruedi Müller: Die Schweiz habe bereits ausreichend Erfahrungen mit «kläglich gescheiterten Kandidaturen» gemacht, postulierte er im Gespräch mit der BZ. Auf zwei Austragungen der Olympischen Spiele, welche in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts in der Schweiz stattgefunden hatten, folgten 13 erfolglose Bewerbungen. Nicht wenige Male scheiterte der Traum des erneuten Entfachens des olympischen Feuers in der Schweiz an der Stimmbevölkerung. Dies sei auf das zunehmende Imageproblem der Olympischen Spiele zurückzuführen, fand Jean-Loup Chappelet, Professor für Public Management an der UNIL: Sie gälten als zu teuer und zu elitär. Dazu kämen viele negative Schlagzeilen, unter anderem bezüglich des Gigantismus der Spiele in Sotschi und Peking, Menschenrechtsverletzungen sowie verheerenden Umweltschäden. Infolge der Neuerungen im Rahmen der Reformagenda 2020 des IOC, welche angestossen worden sei, um dieser international beobachteten Entwicklung entgegenzuwirken, seien Kandidierende aus kleineren Ländern, welche sich vom Gigantismus lossagen und auf Nachhaltigkeit setzten, jedoch geradezu erwünscht, hielt Swiss Olympics-Präsident Jörg Schild dagegen.

Gemäss einer repräsentativen Umfrage des Forschungsinstituts Demoscope im Sommer 2016 befürwortete eine Mehrheit von 57 Prozent der Schweizer Bevölkerung generell eine Schweizer Kandidatur für die Olympischen Spiele 2026. Allerdings war ein ähnlicher Anteil der Befragten auch der Meinung, dass die Kosten den Nutzen überwögen. Drei von vier Befragten erwarteten aber einen positiven Effekt auf die Schweizer Tourismusindustrie, so die NZZ. Diese hohen Zustimmungswerte, welche sich vor allem im Mittelland und der Nordwestschweiz zeigten, zeugten von ausgeprägter «innerhelvetischer Solidarität mit Tourismusregionen», schrieb die Südostschweiz. Die Umfrage von Demoscope fragte auch nach dem präferierten Projekt, wobei die Bündner Kandidatur wegen ihres dezentralen Charakters deutlich die Nase vorn hatte. Knapp jede fünfte befragte Person bevorzugte diese gegenüber den Westschweizer Kandidaturen, bei den Befragten aus der Ostschweiz war es sogar jede Vierte.

Kandidaturen für die Olympischen Spiele 2026 in der Schweiz
Dossier: Olympiakandidaturen

Zwei Monate vor Abstimmungstermin eröffnete Umweltministerin Leuthard (cvp) die Kampagne zur Abstimmung zum revidierten Raumplanungsgesetz (RPG). Die Teilrevision gelangte zur Abstimmung, da der Schweizerische Gewerbeverband (SGV) im Vorjahr das Referendum zu den beschlossenen Anpassungen ergriffen hatte. Von Seiten des Bundesrates hörte man zum Kampagnenauftakt ein klares Plädoyer der Umweltministerin zur Unterstützung des revidierten Raumplanungsgesetzes. Aufgrund der engen Platzverhältnisse sei es dringend nötig, haushälterischer mit der Ressource Boden umzugehen. Sollte die Teilversion des RPG abgelehnt werden, würde Pro Natura an ihrer Landschaftsinitiative festhalten. Vor den Folgen bei Annahme dieses Volksbegehrens warnte die Bundesrätin eingehend: Ein 20-jähriges Moratorium für Bauzonen würde jegliche Entwicklung behindern und darüber hinaus diejenigen Kantone bestrafen, welche bis anhin haushälterisch mit dem Boden umgegangen seien. Drei Tage später lancierten die Gegner der RPG-Teilrevision mit einem überparteilichen Komitee, das sich aus Wirtschaftsverbänden und Vertretern der CVP, FDP und SVP zusammensetzte, die Referendumskampagne. Zu den umstrittensten Änderungen des als indirekten Gegenvorschlag zur Landschaftsinitiative beschlossenen Raumplanungsgesetzes zählte ein Verbot der Baulandhortung, nach welchem der Umfang der Bauzonen den voraussichtlichen kantonalen Baulandbedarf der nächsten 15 Jahre nicht überschreiten darf. Die Rückzonungspflicht von überdimensionierten Bauzonen sowie die Möglichkeit zur Bauverpflichtung und die Einführung einer obligatorischen Mehrwertabgabe erachtete das Referendumskomitee als zu weit gehend. Man anerkenne einen gewissen Handlungsbedarf in der Raumplanung, akzeptiere die im Laufe der parlamentarischen Beratungen von linker Seite eingebrachten Forderungen jedoch nicht, da diese sogar über die in der Landschaftsinitiative enthaltenen Ansprüche hinaus gehen würden, liess der Schweizerische Gewerbeverband (SGV) zu Beginn der Kampagne verlauten. Die Vorlage wirke sich insbesondere auf den Kanton Wallis negativ aus, wo ein Grossteil der Bevölkerung Boden besitze, sowie auf kleinere und mittlere Unternehmen, die strategische Baulandreserven verlieren würden. Darüber hinaus würden Mieterinnen und Mieter unter den Anpassungen leiden, da die Baulandverknappung und die Mehrwertabgabe die Bodenpreise in die Höhe schnellen lassen würden. Vertreter des Mieterverbandes taten dieses Argument jedoch als irreführend ab: Man habe die Auswirkungen auf Seiten der Mieter eingehend studiert und vertrete einhellig die Meinung, dass mit den Anpassungen das verdichtete Bauen gefördert werde, was aus Mietersicht positiv sei. Unterstützt wurde dieses Argument von der UVEK-Vorsteherin, welche verkündete, dass die Preise auf dem Wohnungsmarkt aufgrund der Wohnraumverdichtung sogar sinken könnten. Darüber hinaus regte sich an der Medienkonferenz des gegnerischen Komitees Widerstand von Seiten des Bundesamtes für Raumentwicklung (ARE): Die Gegner der Revision würden mit Quellenverweis auf das ARE mit veralteten und zum Teil manipulierten Zahlen operieren und den Umfang der nötigen Rückzonungen weit dramatischer darstellen, als dies tatsächlich der Fall sei. Über diese unerwünschte Störung der eigenen Pressekonferenz entsetzten sich die Gegner der Abstimmungsvorlage in einem Brief an die zuständige Bundesrätin. Der Sprecher des ARE rechtfertigte die spontane Reaktion eines Mitarbeiters damit, dass man lediglich den Eindruck habe verhindern wollen, es handle sich bei den präsentierten Zahlen um offizielle Angaben des Bundesamtes. Laut Angaben des SGV hätten bei Inkrafttreten der Revision dreizehn Kantone bedeutende Rückzonungen zu befürchten. Im UVEK hingegen erwartete man solche aufgrund des anhaltenden Bevölkerungswachstums nur für vier bis sechs Kantone. Trotz dieser Unklarheiten bezüglich der Auswirkungen formierten sich in 24 Kantonen kantonale Unterstützungskomitees zum revidierten RPG, darunter auch je ein Komitee aus dem Ober- und Unterwallis sowie ein Komitee aus dem tourismusstarken Bündnerland. Angeführt wurde letzteres unter anderem von Nationalrätin Silva Semadeni (sp, GR), Mitträgerin der Landschaftsinitiative. Der Kanton Graubünden hätte mit Inkrafttreten der Revision nichts zu befürchten, da er mit den vor 10 Jahren unternommenen Änderungen des kantonalen Richtplans die bundesrechtlichen Neuerungen bereits grösstenteils umgesetzt habe, liess das kantonale Komitee verlauten. Äusserst kritisch stand der Kanton Wallis der Vorlage zur Revision des Raumplanungsgesetzes gegenüber. Mit Ausnahme der Grünen empfahlen im Tourismuskanton alle Kantonalparteien die Nein-Parole. Die Grünen begründeten ihr Ja mit dem Argument, man bleibe den Prinzipien des Natur- und Landschaftsschutzes treu, und kritisierten gleichzeitig das Nein der Walliser SP als opportunistisch: die Sozialdemokraten würden befürchten, mit einer Zustimmung zum revidierten RPG ihren Erfolg bei den anstehenden kantonalen Parlamentswahlen zu gefährden (vgl. dazu auch Teil I, 1e (Wahlen in kantonale Parlamente)). Auch der Staatsrat kritisierte die RPG-Revision an seiner Medienkonferenz aufs Schärfste. Das revidierte Gesetz sei auf den Bergkanton mit seiner speziellen Wohn- und Grundeigentumsstruktur schlichtweg nicht anwendbar. Insbesondere die Umsetzung der Rückzonungspflicht würde aufgrund unpräziser Ausgestaltung im RPG zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen. Darüber hinaus sei die Rückzonungspflicht das falsche Mittel zur Bekämpfung der Zersiedelung, liess Staatsrat Jean-Michel Cina (VS, cvp) verlauten. Er erzürnte sich ebenfalls über die Kompetenzverlagerung an den Bund, da sie zu wenig Raum für regionale Besonderheiten lasse. Trotz seiner positiven Stellungnahme im Vernehmlassungsverfahren äusserte auch der Waadtländer Regierungsrat im Verlaufe der Kampagne mit einem Brief an den Bundesrat Bedenken zur Ausgereiftheit der neuen Bestimmungen. Bundesrätin Leuthard (cvp) antwortete persönlich auf die Fragen und Forderungen des Waadtlandes. In ihrer schriftlichen Rückmeldung entkräftete sie die Befürchtungen, dass mit Inkrafttreten der Übergangsbestimmungen grosse urbane Projekte im Kanton blockiert würden, wie die Waadtländer Regierung in ihrem Schreiben vermutet hatte. Neben dem SGV beschlossen FDP und SVP sowie gewichtige Wirtschaftsverbände wie der Hauseigentümerverband (HEV) und Economiesuisse die Nein-Parole zur Revision. Die Ja-Parole zum revidierten Gesetz gaben neben dem Mieterverband auch der Bauernverband (SBV), der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein (SIA), diverse Heimatschutz- und Umweltorganisationen und der Tourismusverband (STV) heraus. Die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) beförderte mit Ausnahme des Kantons Wallis ein einhelliges Ja. Von den Parteien empfahlen die Grünen, SP, CVP, BDP, GLP und EVP das revidierte RPG zur Annahme. Höchst umstritten war die Parolenfassung bei der CVP Schweiz. Der Parteivorstand beantragte mit Stichentscheid des Präsidenten Christophe Darbellay seinen Delegierten, die Revision wegen ihrer Auswirkungen auf den Kanton Wallis abzulehnen. Zur Befürwortung der Revision mahnte eindringlich die eigene Bundesrätin und UVEK-Vorsteherin, deren Empfehlung die Parteimehrheit an der Delegiertenversammlung schlussendlich mit 170 zu 89 Stimmen folgte. Gegen die Revision stimmten eine geschlossene Walliser CVP-Sektion mit Unterstützung von Genfer und Tessiner Parteikollegen. Ein Antrag auf Stimmfreigabe scheiterte mit beinahe Zweidrittelmehrheit. Im Gegensatz dazu beschloss die Junge CVP an ihrer Delegiertenversammlung, die RPG-Revision nicht zu unterstützen. Wie auch bei der FDP wichen eine Vielzahl von kantonalen CVP-Sektionen vom Beschluss ihrer Mutterpartei ab. Im Gegensatz zur eigenen Partei unterstützten darüber hinaus die FDP Frauen die Teilrevision (zu den parteiinternen Diskussionen vgl. Teil IIIa). Neben dem im Dezember des Vorjahres von links-grüner Seite initiierten nationalen Pro-Komitee bildete sich im Laufe der Kampagne auf eidgenössischer Ebene noch ein weiteres, bürgerliches Komitee zur Unterstützung der Revision mit National- und Ständeräten der BDP, CVP, FDP, GLP und SVP sowie weiteren bürgerlichen Kantonalpolitikern. Das Ergreifen des Referendums durch den SGV stiess bei diesen Vertretern auf Unverständnis. Zum einen beschuldigten sie den SGV, im Hinblick auf die nur bedingt zurückgezogene Landschaftsinitiative, die ein zwanzigjähriges Bauzonenmoratorium fordert, mit dem Feuer zu spielen. Zum anderen sahen sie in der geplanten Verdichtung der Stadt- und Dorfkerne auch eindeutige Vorteile für die KMU. Die Zersiedelung begünstige den Bau von grossen Einkaufzentren am Stadtrand, wobei das Kleingewerbe als grosser Verlierer dastehen würde. Die Intensität der Kampagne äusserte sich auch in einer Vielzahl von Zeitungsinseraten. Insgesamt verzeichnete die Analyse der Année Politique Suisse während den letzten acht Wochen vor der Abstimmung 1261 Inserate in über 50 untersuchten Tages- und Wochenzeitungen. Dies entsprach über 60% aller gesammelten Inserate zu den drei im März zur Abstimmung gelangten Vorlagen. Die Gegner- und Befürworterschaft zeigten sich auf dem Inseratemarkt zur RPG-Revision ähnlich präsent.

Erste Teilrevision des Raumplanungsgesetzes RPG 1 (BRG 10.019)
Dossier: Revision des Raumplanungsgesetzes RPG