Der Ungehorsam gegenüber rechtlichen Erlassen wurde aber nicht nur als Grenzfrage zwischen Recht und Moral diskutiert, sondern auch unter dem Aspekt der Funktionsfähigkeit des politischen Systems. Im Zusammenhang mit dem Widerstand im Transportgewerbe gegen die von Volk und Ständen gutgeheissene Schwerverkehrsabgabe und mit dem Zögern der Bundesrates, von seiner Kompetenz zur Anordnung einer umstrittenen Tempobeschränkung im Strassenverkehr Gebrauch zu machen, wurde der Ausdruck «Akzeptanz» für die Schweiz zum neuen politischen Begriff. Es machte sich eine Tendenz geltend, Zumutbarkeit und Durchsetzbarkeit zu massgebenden Kriterien für den Erlass rechtlicher Neuerungen zu erheben und die Bedeutung der Konsensherstellung vor dem behördlichen Entscheid zu erweitern: nicht nur der Möglichkeit des negativen Ausgangs einer Volksabstimmung soll die Regierung vorbeugen, sondern auch der Gefahr einer verbreiteten Missachtung des rechtlich endgültigen Entscheids durch Teile der Bevölkerung oder gar durch die Verwaltung eines mit der Durchführung beauftragten nachgeordneten Gemeinwesens im Bundesstaat. Solche Vorstellungen waren an sich nicht neu; bereits früher hatte man gegenüber Steuererhöhungsabsichten auf eine wachsende Neigung zum «Steuerwiderstand» hingewiesen oder im Zusammenhang mit der Gurtentragpflicht an der Loyalität kantonaler Vollzugsorgane gezweifelt. Neu war die als Quasi-Legitimation wirkende Begriffsbildung und die Rücksicht, welche die Behörden der erwähnten Tendenz entgegenbrachten. Dabei dachte man freilich nicht in erster Linie an einen ethisch begründeten Widerstand, sondern an den Willen zur Durchsetzung des materiellen Interesses oder des blossen Beliebens. In der Presse wurde für die Rechtssetzung zwar Rücksichtnahme auf das Volksempfinden und auf die Leistungsfähigkeit der staatlichen Vollzugsorgane als Gebot politischer Klugheit anerkannt, zugleich aber vor Führungsschwäche und Abhängigkeit der Behörden gegenüber betroffenen Minderheiten gewarnt.

Funktionsfähigkeit des politischen Systems