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Der am ETH-Tag in Zürich im November 1991 als Festrede gehaltene Vortrag des Theologen Hans Küng zum Thema "Die Schweiz ohne Orientierung? Europäische Perspektiven" wurde im Berichtsjahr in Buchform unter demselben Titel veröffentlicht. In seinem Plädoyer für eine Öffnung der Schweiz forderte Küng unter anderem, die Schweizer Geschichte mit einer kritischen Distanz zu lesen, einen verstärkten Dialog zwischen politischer und intellektueller Elite, die Erneuerung der demokratischen Strukturen, das Überdenken der schweizeischen Neutralität, weltpolitisches Engagement und eine aktive Mitgestaltung Europas sowie neue ethisch-religiöse Grundlagen. Insgesamt schlug der Theologe jedoch nur wenig Konkretes vor, das in bezug auf die Abstimmung über den EWR eine Orientierungshilfe für unentschiedene Stimmbürgerinnen und Stimmbürger gebracht hätte.

Der am ETH-Tag in Zürich im November 1991 als Festrede gehaltene Vortrag des Theologen Hans Küng zum Thema "Die Schweiz ohne Orientierung? Europäische Perspektiven" wurde im Berichtsjahr in Buchform unter demselben Titel veröffentlicht

Vor allem in der deutschsprachigen Schweiz machte sich eine Identitätskrise im Zusammenhang mit innenpolitischen Skandalen wie dem Rücktritt von Bundesrätin Kopp oder der Fichen-Affäre, welche ihren Ausdruck auch in dem gegen die 700-Jahr-Feier gerichteten "Kulturboykott" fand, bemerkbar; in der West- und Südschweiz wurde das Selbstverständnis der eigenen Gesellschaft nicht derart in Frage gestellt wie östlich der Saane und nördlich des Gotthards.

Vor allem in der deutschsprachigen Schweiz machte sich eine Identitätskrise im Zusammenhang mit innenpolitischen Skandalen wie dem Rücktritt von Bundesrätin Kopp oder der Fichen-Affäre, welche ihren Ausdruck auch in dem gegen die 700-Jahr-Feier gerichteten "Kulturboykott" fand, bemerkbar; in der West- und Südschweiz wurde das Selbstverständnis der eigenen Gesellschaft nicht derart in Frage gestellt wie östlich der Saane und nördlich des Gotthards [2]

Der Geschichtsprofessor Ulrich Im Hof nannte in einem Seminar zum Nationalbewusstsein sieben für ihn relevante Elemente unserer nationalen Identität: Der demokratische Republikanismus, die Freiheitsrechte des einzelnen Bürgers, der Föderalismus, die Vielsprachigkeit, unser Arbeits- und Erziehungsethos, der Unabhängigkeitswille gekoppelt mit der Neutralität sowie der Solidaritäts- und Humanitätsgedanke. Gemäss seinen Ausführungen sind diese Identitätsfaktoren jedoch mit allzu abstrakten und mythischen Inhalten besetzt, so dass sie sich nicht mehr mit der effektiven Daseinsrealität decken würden. Um der Gefahr der Verunsicherung und des Misstrauens seitens der Bürger vorzubeugen, sollten diese Elemente neu überdacht und mit Inhalten, welche der heutigen Realität entsprechen, besetzt werden.

Seminar zum Nationalbewusstsein

Am 10. Januar fand in Bellinzona die Eröffnungszeremonie zur 700-Jahr-Feier statt. In seiner Ansprache äusserte sich Bundespräsident Flavio Cotti positiv zur Idee einer Zukunft der Schweiz in einem geeinten Europa und zur Wandlungsfähigkeit unserer politischen Institutionen. Gleichzeitig kündigte er ein Solidaritätsgeschenk für alte und behinderte Menschen im Betrag von 700 Fr. pro Person an und versprach, der Bundesrat werde sich dafür einsetzen, dass die Dritte Welt mit zusätzlichen 700 Mio Fr. unterstützt werde. Der Tessiner Architekt Mario Botta hatte für die Durchführung der Eröffnungsfeier ein eigens dafür konzipiertes Zelt im Castello Grande aufstellen lassen; dieses originelle Zelt wurde für sieben Schwerpunktfeiern in den verschiedenen Landesregionen weiterverwendet.

10. Januar fand in Bellinzona die Eröffnungszeremonie zur 700-Jahr-Feier statt

Das Vertrauen der Bevölkerung in die Problemlösungsfähigkeit des Staates ist laut einer im Juli und August durchgeführten UNIVOX-Befragung zum Teil stark zurückgegangen. Der Umweltschutz stand nach Ansicht der Befragten zwar weiterhin an der Spitze der ungelösten Probleme, aber die Ausländer- und Asylpolitik, die Sozialpolitik sowie politisch-institutionelle Anliegen haben stark aufgeholt. Der Anteil derjenigen, welche in den einzelnen Politikbereichen ohne Einschränkung in die Problemlösungsfähigkeit des Staates vertrauten, ging im Vergleich zum Vorjahr um etwa 20 Prozentpunkte zurück. Immerhin rund drei Fünftel der Bevölkerung glaubte in den erwähnten Problembereichen "unbedingt" und "eher" an die Problemlösungsfähigkeit des Bundesrates (1990: 80% bis 96%). Der Anteil der Befragten, welcher generell zufrieden war mit der Art, wie die Schweiz regiert wird, sank gegenüber dem Vorjahr von 54% auf 42%; derjenige der Unzufriedenen stieg von 16% auf 24%.

Vertrauen

In Appenzell Innerrhoden wurde eine Strukturreform eingeleitet, die der Bedeutung einer Verfassungstotalrevision gleichkommt; insbesondere will der kleinste Schweizer Kanton die Gewaltentrennung in seinen politischen Institutionen einführen. Die Mitglieder der Regierung haben gegenwärtig im Grossen Rat ein Stimmrecht, und die Sitzungen werden nicht von einem Grossratspräsidenten, sondern vom regierenden Landammann geleitet. Ausserdem sollen in Zukunft die Aufgaben und Kompetenzen der Gemeinden klarer definiert werden. Die mit der Überprüfung der politischen Strukturen beauftragte Kommission und der Regierungsrat konnten sich im Berichtsjahr noch auf kein Reformmodell einigen. Immerhin wurde die Verfahrensfrage geklärt. Demnach soll die Landsgemeinde 1992 einen Grundsatzentscheid über die Fortführung der Reform fällen; erst danach wird die Kommission über die Weiterbearbeitung eines der Modelle entscheiden.

Appenzell Innerrhoden
Dossier: Revisionen der Kantonsverfassungen

Den Abschluss der Feierlichkeiten bildete ein Symposium in Lugano unter dem Titel "Die Schweiz an der Schwelle zum nächsten Jahrhundert", in welchem die Zukunftsdiskussionen von fünf Arbeitsgruppen im Plenum präsentiert wurden. Dabei fielen vor allem die beiden radikalen Umbruchsthesen von Christian Lutz, Leiter des Gottlieb Duttweiler Instituts (GDI), und von Giuseppe Rusconi, einem Tessiner Bundeshausjournalisten, auf. An der, Schlusszeremonie in Basel forderte Bundesrat Felber die Bevölkerung auf, nach den vielfältigen Überlegungen zur Zukunft der Schweiz die Annäherung an Europa in Form eines EWR-Vertrages zu wagen.

Die Schweiz an der Schwelle zum nächsten Jahrhunder

Gesamthaft fanden auf eidgenössischer, kantonaler und kommunaler Ebene über 3000 Veranstaltungen im Rahmen der Jubiläumsfeiern statt, welche auf eine unterschiedliche Resonanz stiessen; tendenziell entkrampfte sich das Verhältnis der Bevölkerung zum eigenen Fest im Verlaufe des Jahres auch in der Deutschschweiz. Zahlreiche Projekte und Anlässe sollen auch nach dem Jubiläumsjahr weitergeführt resp. wiederholt werden.

über 3000 Veranstaltungen im Rahmen der Jubiläumsfeiern

Im Rahmen der Diskussion um eine eventuelle Unterzeichnung des EWR-Vertrags durch die Schweiz und den damit zusammenhängenden Änderungen von Bundesgesetzen und der Verfassung äusserte demgegenüber der Politikwissenschafter Germann die Meinung, das politische System Schweiz würde sich vollständig blockieren, wolle man sämtliche Verfassungsanpassungen an das EWR-Recht mittels Teilrevisionen durchführen. Eine andere Position nahmen Staatsrechtler an der Jahresversammlung des Schweizerischen Juristenvereins, welche dem Thema «Sinn und Zweck einer Verfassung» gewidmet war, ein. Gemäss Jean-François Aubert bedarf eine allfällige Unterzeichnung des EWR-Vertrags einzig der Beachtung von Art. 89 Absatz 5 BV (Staatsvertragsreferendum); spätere Verfassungsanpassungen könnten als Teilrevisionen durchgeführt werden.

Beziehungen zur EG/EU und Reform der Bundesverfassung
Dossier: Totalrevision der Bundesverfassung 1/2: Vorgeschichte (1966 bis 1996)

Im Kanton Luzern hat der Grosse Rat zwar noch keinen Entscheid in Sachen Totalrevision der Staatsverfassung gefällt, aber das Begehren ist weitgehend unbestritten. Die Liberale Partei des Kantons Luzern (FDP) erörterte in verschiedenen Verfassungsseminarien Ideen zu einer Totalrevision und kündigte die Ausarbeitung eines Verfassungsvorentwurfs an.

Luzern
Dossier: Revisionen der Kantonsverfassungen

Ein Kolloquium über nationale Identität und den Sonderfall Schweiz, organisiert von der Stiftung "Akademie 91 Luzern" zusammen mit der Theologischen Fakultät Luzern, machte deutlich, dass das Sonderfall-Bewusstsein ein Bestandteil unserer Nationalität ist, letztere aber als ein mentales Konstrukt und somit als ein Resultat von Lernprozessen und kommunikativen Vorgängen zu verstehen sei. Für den Wirtschaftshistoriker Siegenthaler hängt die Geschichte der nationalen Bewusstseinsbildung eng zusammen mit der Geschichte der nationalen Krisen und der Suche nach ihrer Bewältigung. Die Symbole der nationalen und kulturellen Identität seien jedoch in unterschiedlichen Zusammenhängen als Bausteine eines Ganzen zu verschiedenen Zwecken verwendet und immer wieder neu instrumentalisiert worden; aus diesem Grund könne die Sonderfallthese auch kritisch hinterfragt und, falls erforderlich, verändert werden.

Kolloquium über nationale Identität und den Sonderfall Schweiz

Die breit angelegte zweite Vernehmlassungsrunde zum Entwurf für eine neue Staatsverfassung erzielte insgesamt ein gutes Echo. Die SVP, SP, Freie Liste, der LdU und mit Vorbehalten auch die FDP würdigten den Entwurf im grossen ganzen positiv. Insgesamt wurden jedoch über 2'500 Abänderungsanträge eingereicht. Die EVP, welcher die christlichen Werte in der Vorlage zu kurz kamen, lehnte den Entwurf ab, ebenso die Schweizer Demokraten, welche sich insbesondere mit der fakultativen Einführung des Ausländerwahlrechts auf Gemeindeebene nicht abfinden wollten.

zweite Vernehmlassungsrunde

Frauenspezifische Projekte kamen unter anderem im Rahmen der Frauensession im Parlament zum Zuge; thematisiert wurden Fragen der geschlechtsspezifischen Machtausübung im Staat und die Diskrepanz zwischen juristischer und faktischer Gleichstellung. Unter dem Titel "Frauen öffnen die Schweiz" fanden mehrere Veranstaltungen statt, an denen die Themen Frauen und Okologie, Frauen und Ökonomie sowie Frauen und Ökumene in unserer Gesellschaft erörtert wurden. Ebenfalls im Rahmen der 700-Jahr-Feiern wurde am 15. September im Bundeshaus eine Jugendsession durchgeführt.

Frauenspezifische Projekte

Der Nationalrat wandelte drei Motionen – je eine der grünen und der sozialdemokratischen Fraktion sowie eine der Freisinnigen Nabholz (ZH) –, welche den Bundesrat aufforderten, die Totalrevision der Bundesverfassung zügig voranzutreiben, auf Antrag des Bundesrates in Postulate um.

Motionen für materielle Verfassungsreform bzw. Verfassungsrat (Mo, 90.440, Mo. 90.450 und Mo. 90.503)
Dossier: Totalrevision der Bundesverfassung 1/2: Vorgeschichte (1966 bis 1996)

In der Stadt Bern fanden von Juni bis September verschiedene Festanlässe zum 800jährigen Bestehen Berns (BE 800) statt. Höhepunkt war ein Festumzug im September, an dem über 3200 Figuranten und 55 Umzugswagen teilnahmen.

In der Stadt Bern fanden von Juni bis September verschiedene Festanlässe zum 800jährigen Bestehen Berns (BE 800) statt

Erste Resultate aus den Untersuchungen des Nationalen Forschungsprogramms (NFP) 21 über die kulturelle Vielfalt und nationale Identität zeigten, dass eine nationale Identität immer weniger von der Vorstellung des Sonderfalls leben kann, sondern mehr auf Sachrealitäten beruht, für die der Staat eine wichtige Organisationsgrösse geblieben ist. Ausserdem kann sich, gemäss dem Selbstverständnis des NFP 21 und dessen Leiter Prof. Kreis, die nationale Identität der Schweiz praktisch nur in der kulturellen Vielfalt verkörpern. In komplexen Gesellschaften wie der Schweiz von heute existiert kulturelle Identität laut mehrerer Teilstudien nicht als Einheit mit Ausschliesslichkeitscharakter. Indem das Individuum mehreren identitätsvermittelnden Gruppen angehört, entsteht eine Verkettung von verschiedenen partiellen Identitäten, wodurch die kulturelle Vielfalt in das Individuum hineinverlagert wird. Ein weiterer Bericht hielt aber auch die Verständigungsprobleme zwischen den verschiedenen Sprachregionen fest. Eine Untersuchung zu eidgenössischen Festen kam zum Schluss, dass diese heute, in der pluri-kulturellen, keinem einheitlichen Wertesystem verpflichteten Nation, ihre gesellschaftlich integrierende Funktion verloren hätten. Der Projektbericht der Politikwissenschafter hielt fest, dass die institutionelle politische Beteiligung dazu tendiert, von der jeweiligen Situation, der Art der Themen, der persönlichen Betroffenheit und des Stils der öffentlichen Auseinandersetzung abhängig zu werden; nur rund dreissig Prozent der Stimmbürgerschaft können als konstante Urnengänger bezeichnet werden, fünfzig Prozent hingegen als unregelmässige oder gelegentliche Urnengänger und zwanzig Prozent als prinzipielle Abstinenten.

Kulturelle Vielfalt und nationale Identität" (NFP 21)

Im Rahmen der Veranstaltungen "Fest der Solidarität" im Kanton Graubünden wurden verschiedene Austauschprogramme von Jugendlichen einzelner Berufsgruppen, so z.B. auch der Bauern, durchgeführt. Fragen zum Verhältnis der ersten zur Dritten Welt standen am Symposium "Wem gehört die Welt?" im Vordergrund; ein offener Geist ("Spiert aviert") sowie die Bereitschaft zur Mitgestaltung der Zukunft Europas waren am europäischen Jugendtreffen im Engadin gefragt.

Austauschprogramme von Jugendlichen

Zahlreiche Aktivitäten im Ausland, wie zum Beispiel die Ausstellung "Switzerland 700" in London, entstanden aus der Zusammenarbeit der schweizerischen diplomatischen Vertretungen und den entsprechenden ausländischen Behörden sowie der Privatwirtschaft.

grenzüberschreitende Projekte

Eine von Geschichtsprofessor Altermatt, welcher der vom Bundesrat eingesetzten "groupe de réflexion" angehörte, durchgeführte Zwischenbilanz Ende Juli glaubte einen Graben zwischen den Intellektuellen und dem Volk zu erkennen. Die vorwiegend kritische Meinung zu den Festlichkeiten unter den Intellektuellen, Kultur- und Medienschaffenden kontrastiere stark zur Haltung der übrigen Bevölkerungsgruppen. Im übrigen sei die Festbereitschaft in der Westschweiz wie erwartet grösser als in der Deutschschweiz.

Graben zwischen den Intellektuellen und dem Volk

Die Kommission für soziale Fragen des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK) publizierte unter dem Titel "Eine neue Schweiz im neuen Europa" zehn Thesen als Beitrag zum Jubiläumsjahr. Die Autoren lehnen darin ein selbstzufriedenes schweizerisches Sonderfalldenken ab und plädieren für ein Bemühen, international auf moralischer Ebene vorbildlich zu sein. Eine moralisch integre Politik beinhalte auch den Respekt vor der Schöpfung, welche höher gewertet werden sollte als die Wohlstandsmehrung. Die Reformen in Richtung einer weltweiten Friedensordnung, vermehrter Solidarität im Nord-Süd-Konflikt und mehr demokratischer Mitbestimmung im politisch-sozialen Leben würden jedoch gemäss den Autoren eine Totalrevision der Bundesverfassung voraussetzen.

Die Kommission für soziale Fragen des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK) publizierte unter dem Titel "Eine neue Schweiz im neuen Europa" zehn Thesen als Beitrag zum Jubiläumsjahr

Die vom Bundesrat eingesetzte Expertenkommission "Schweiz morgen" präsentierte nach zweijähriger Arbeit ihren Schlussbericht. Darin entwarf sie in vier Szenarien, unter besonderer Berücksichtigung der Aspekte der Lebensqualität, mögliche Entwicklungen der Schweiz in wirtschaftlich-sozialer, kultureller und politischer Hinsicht nach dem Jahre 2000. Die 16köpfige Kommission unter der Leitung von Christian Lutz, Leiter des Gottlieb-Duttweiler-Instituts (GDI) in Rüschlikon und Präsident der schweizerischen Gesellschaft für Zukunftsforschung, umfasste Wissenschaftler aus verschiedenen Fachbereichen, Unternehmer, Journalisten und eine Vertreterin aus der Bundesverwaltung. In sieben Themenbereichen hatte die Kommission mögliche Grundhaltungen in bezug auf die Rolle der Schweiz in einer Welt im Umbruch, die institutionelle Entwicklung, die Umwelt- und Raumpolitik, die Sozialpolitik, die Wirtschaft, den kulturellen Wandel und die individuellen Lebensformen skizziert. Die verschiedenen Handlungsoptionen wurden in der Folge als Bausteine unterschiedlicher Gesamtszenarien verwendet.

Ein erstes Szenarium geht von einem Status quo aus, der einen kurzsichtigen, punktuellen Pragmatismus beinhaltet und für die Schweiz, gemäss der Kommission, kein sinnvolles Konzept darstellt. Ein zweites Szenarium mit der Devise "Mehr Leistung und Wettbewerb in Wirtschaft und Gesellschaft" hat persönliche Freiheit, individuelle Selbstverwirklichung und private Initiative als höchste Werte zum Ziel, würde aber gleichzeitig eine abnehmende Solidarität in der Gesellschaft, kulturelle Verarmung, eine extrem materialistische Haltung sowie einen Abbau der direkten Demokratie und des Föderalismus bewirken. Das dritte, dem die Sympathie der Kommission galt, hat eine idealistische Ausrichtung, deren Zielorientierung eine umwelt- und sozialverträgliche, basisorientierte und beschauliche Schweiz ist. Das vierte Szenario trägt hedonistische Züge mit dem Motto: Alle sollen sich ein schönes Leben machen können.

Neben der Entwicklung der Szenarien und der Beschreibung von deren möglichen politisch-sozialen und wirtschaftlich-kulturellen Implikationen erarbeitete die Kommission sowohl abstrakte als auch konkrete Leitideen für jene Bereiche, in denen sie einen starken Handlungsbedarf erkannte: Dazu gehört als wichtigstes Element eine aktive Rolle der Schweiz in einem demokratisch legitimierten Europa der Regionen, was einen EG-Beitritt bis zum Jahr 2000 erfordern würde, sowie ein stärkeres Engagement der Schweiz bei der Lösung internationaler Probleme, wozu ein Beitritt zu UNO, IWF und Weltbank empfohlen wird. Gemäss der Kommission braucht die Schweiz eine Reform der politischen Strukturen, womit unter anderem die Stärkung der parlamentarischen Demokratie gemeint ist, eine Ökologisierung der Wirtschaft, mehr Wettbewerb, eine Neuordnung des sozialen Ausgleichs mit einem Mindesteinkommen für alle und mehr Chancengleichheit von Mann und Frau in der Gesellschaft. Der Bericht sollte unter anderem dem Bundesrat als Basis für die Regierungsrichtlinien der kommenden Legislaturen dienen.

Expertenkommission Schweiz morgen

Das "Fest der Eidgenossenschaft" wurde im Juli in der Innerschweiz mit dem "Mythenspiel", welches inhaltliche, formale aber auch finanzpolitische Kritik erregte, eröffnet. Ein anderer Schwerpunkt war die "Arena Helvetica", welche in Form eines gross angelegten Umzugs die eidgenössische Wehrgeschichte darstellte. Das Programm des umstrittenen "Armeetages 91" in Emmen (LU) konnte restrukturiert werden, nachdem in einer ersten Planungsphase der vorgesehene Bau eines speziellen Autobahnanschlusses zur Durchführung eines Defilees und einer Armeeschau starke Kritik in der Öffentlichkeit hervorgerufen hatte. Schlussendlich wurden zwei kürzere sogenannte Vorbeimärsche mit je 3000 Soldaten und 470 Fahrzeugen in den Mittelpunkt der vielfältigen Darstellungen gestellt.

Mythenspiel Armeetages 91

Die Schwerpunktfeiern der Festtrilogie begannen mit dem "Fest der vier Kulturen", welches dezentral in den Kantonen der Westschweiz durchgeführt wurde; dabei kamen über 60 Veranstaltungen aus allen kulturellen Bereichen zum Tragen. In Lausanne bildeten beispielsweise die Ballettauffiihrungen "La Tour" von Maurice Béjart und "Fondue" von Heinz Spoerli einen Höhepunkt.

Fest der vier Kulturen

Die Vereinigung für Verfassungsreform (VVR), welche 1984 als parteipolitisch unabhängiger Verein mit Einzel- und Kollektivmitgliedern (darunter Jugend-, Frauen-, Konsumenten- und Umweltorganisationen) gegründet worden war, um auf der Grundlage des Verfassungsentwurfs der Staatsrechtsprofessoren Alfred Kölz und Jörg Paul Müller die Idee der Totalrevision weiterzutragen, kündigte zu Jahresbeginn eine Volksinitiative für eine Totalrevision der Bundesverfassung und eine solche für die Schaffung eines Verfassungsrates an; zu deren Lancierung kam es aber noch nicht.

Verfassungsentwurf von Kölz und Müller und Vereinigung für Verfassungsreform (VVR)
Dossier: Totalrevision der Bundesverfassung 1/2: Vorgeschichte (1966 bis 1996)

Im Rahmen einer Veranstaltungsreihe zum 700-Jahr-Jubiläum an der ETH Zürich hat Bundesrat Arnold Koller ein zukünftiges Bild der Schweiz als Verfassungsstaat skizziert, in welchem sich ein Reformwille aus dem Innern unseres Staatsgefüges mit den Herausforderungen unserer europäischen Umgebung und der internationalen Staatengemeinschaft zu einem neuen Ganzen verbindet. Sowohl aus innenpolitischer Sicht – die Parlaments- und Regierungsreform sowie die Anwendungsmodalitäten des Referendums gehören zu den wichtigsten Elementen – als auch von einer aussenpolitischen Perspektive aus gesehen – ein Anpassungsprozess an die Europäische Gemeinschaft braucht vermehrt Flexibilität, da letztere sich ebenfalls in einer ständigen Entwicklung befindet – müsste laut Koller die Verfassungsreform in grösseren Teilstücken vonstatten gehen. Er warnte aber auch vor der Illusion, eine perfekte Verfassung ausarbeiten zu wollen, welche über einen grossen Zeitraum Bestand haben könne.

Beziehungen zur EG/EU und Reform der Bundesverfassung
Dossier: Totalrevision der Bundesverfassung 1/2: Vorgeschichte (1966 bis 1996)