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Ende November verabschiedete der Bundesrat seine Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte. Die Änderungen betrafen insbesondere die Organisation der Nationalratswahlen, die aufgrund der wachsenden Zahl von Listen und Kandidaturen mit zunehmendem Organisationsaufwand einhergehen. Neu sollen, um die Funktionstüchtigkeit des Wahlverfahrens sicher zu stellen, unzulässige Doppelkandidaturen auch nachträglich noch gestrichen werden können. Weiter soll der Anmeldeschluss für Kandidaturen schweizweit auf den Monat August gelegt werden und das Wahlmaterial möglichst in jedem Kanton in der viertletzten Woche vor den Wahlen an die Wahlberechtigten gelangen. Die Panaschierstatistik, die in den letzten Jahren auf immer grösseres Interesse gestossen war, soll zudem neu von Gesetzes wegen erhoben werden. Volksabstimmungen waren vom fünften hauptsächlichen Revisionspunkt betroffen: Nachzählungen von eidgenössischen Urnengängen sollen nur dann durchgeführt werden, wenn Unregelmässigkeiten glaubhaft gemacht werden können. Auf einer zu schaffenden Gesetzesgrundlage sollen dabei Stimmberechtigte als Beobachter von Urnengängen fungieren. Drei weitere, ursprünglich geplante Änderungen – eine Differenzierung der Sammelfristen zu Volksbegehren, mit denen Sammelfrist und Einholen der Stimmrechtsbescheinigungen getrennt worden wären, die gehashte AHV-Nummer aller Nationalratskandidaten zwecks Vermeidung von Doppelkandidaturen über Kantonsgrenzen hinweg und die Streichung der Berufsangabe der Kandidierenden für den Nationalrat – waren in der zwischen März und Juni durchgeführten Vernehmlassung auf Kritik gestossen und deshalb aus dem Entwurf gestrichen worden. Die Räte werden erst 2014 über die Botschaft befinden.

Bundesgesetzes über die politischen Rechte

Die wachsende Zahl angenommener Initiativen verstärkte im Berichtjahr auch die Diskussion um die Umsetzung von Volksbegehren. Angestachelt durch die in seinen Augen verwässerte Umsetzung seiner Initiative, lud Thomas Minder (parteilos, SH), Ständerat und Vater der Abzockerinitiative, Ende Jahr Komitees von Initiativbegehren an einen runden Tisch, deren Anliegen zwar an der Urne ebenfalls angenommen, aber in den Augen der Initianten nicht adäquat umgesetzt wurden. Die laut SVP zu wenig rasch erfolgende Konkretisierung der Ausschaffungsinitiative verleitete die Partei zur Lancierung einer Durchsetzungsinitiative, mit der erstere ausformuliert werden soll. Als Streitpunkt bei der Umsetzung eines angenommenen Volksbegehrens entpuppt sich erstens die Frage nach der Grösse des Spielraums, den Bundesrat und Parlament bei der Konkretisierung der Verfassungsrevision haben sollen. Zweitens ist unklar, wie Begehren umgesetzt werden sollen, die gegen internationales Recht verstossen (vgl. dazu auch hier). Die Initianten beharren in der Regel auf einer Interpretationshoheit ihres Anliegens. Allerdings sind es Parlament und Bundesrat, welche die Aufgabe der Präzisierung von Verfassungsrevisionen zu übernehmen haben. Die Interpretation eines Ja an der Urne muss dabei den konkreten Vorstellungen der Initiativkomitees nicht zu 100% entsprechen.

Unzufriedenheit bei der Umsetzung von Volksbegehren

Die aufgrund der Probleme bei der Unterschriftensammlung für die Referenden gegen die Doppelbesteuerungsabkommen mit Deutschland, Österreich und Grossbritannien eingereichte und noch 2012 von der grossen Kammer gutgeheissene Motion der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats wurde im Berichtjahr im Ständerat behandelt. Inhalt der Motion war die Forderung nach getrennten Fristen für das Sammeln und die Beglaubigung der Unterschriften. Besagte Referenden waren knapp nicht zustande gekommen, wofür die Referendaren – allen voran die Auns – das schleppende Beglaubigungsverfahren in den Gemeinden verantwortlich gemacht hatten. In der Zwischenzeit hatte das Bundesgericht die Beschwerde der Auns allerdings abgewiesen. Die nachgereichten bescheinigten Unterschriften waren nicht fristgerecht eingereicht und deshalb als ungültig betrachtet worden. Das Gericht bekräftigte damit Artikel 141 BV, wonach bescheinigte Unterschriften bis spätestens am letzten Tag der 100-tägigen Frist bei der Bundeskanzlei eintreffen müssen. Bundeskanzlerin Casanova wies die Ständeräte darauf hin, dass die Probleme häufig bei der mangelnden Organisation der Referendumskomitees selber liegen, welche die Unterschriften den Gemeinden zu spät oder gesammelt statt gestaffelt zur Beglaubigung überreichen. Auch weil der Bundesrat in seiner Antwort auf die Motion darauf hinwies, dass er eine Teilrevision der politischen Rechte zu diesem Anliegen vorbereite, lehnte die kleine Kammer die Motion mit 32 zu 1 Stimme bei 4 Enthaltungen ab. Eine Motion Stamm (svp, AG) (12.4260), die in eine ähnliche Stossrichtung zielte, wurde in der Folge auch im Nationalrat mit 127 zu 66 Stimmen abgelehnt. Die SVP wurde in diesem Begehren einzig von der geschlossenen grünen Fraktion unterstützt. In der Vernehmlassung, in welche die besagte Revision der politischen Rechte im März geschickt wurde, stiess die Idee einer gestaffelten Frist auf eher negative Reaktionen.

Getrennten Fristen für das Sammeln und die Beglaubigung der Unterschriften für Intitiativen und Referenden (Motion)

Die vor allem im Rahmen der Umsetzung und Lancierung von Volksinitiativen diskutierte Kontroverse um das Verhältnis zwischen Bundesrecht und Völkerrecht wird 2014 wohl zu einigen weiteren parlamentarischen Debatten führen. Vertreter der SVP reichten im Berichtjahr nämlich nicht weniger als drei parlamentarische Initiativen zum Thema ein. Der Vorstoss von Brand (svp, GR) fordert einen Vorrang der Bundesverfassung über das Völkerrecht, die parlamentarische Initiative Rutz (svp, ZH) will, dass die Angleichung oder Auslegung völkerrechtlicher Verträge und Bestimmungen an das Schweizer Landesrecht dem Referendum unterstellt wird und die parlamentarische Initiative Stamm (svp, AG) fordert, dass völkerrechtliche Verträge vom Bundesrat gekündigt oder neu ausgehandelt werden müssen, wenn diese der (auch aufgrund von angenommenen Initiativen revidierten) Bundesverfassung widerspricht. Die SVP hatte im Rahmen der Präsentation eines Positionspapiers das Völkerrecht als undemokratisches Recht bezeichnet, weil dieses von Organisationen beschlossen werde, die demokratisch nicht legitimiert seien. Die Volkspartei dachte zudem laut über die Lancierung einer Volksinitiative zu diesem Thema nach. Ebenfalls im Berichtjahr noch nicht im Parlament behandelt wurde ein vom Bundesrat Ende 2013 zur Annahme beantragtes Postulat der FDP, mit dem ein Bericht zum Verhältnis von Landesrecht und Völkerrecht, insbesondere im Hinblick auf mögliche Hierarchiestufen, gefordert wird. Schliesslich mischte sich auch das Bundesgericht aktiv in die Debatte ein. Noch im Februar hatten sich die Bundesrichter dafür ausgesprochen, dass die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) Vorrang selbst gegenüber Verfassungsnormen geniesse. Die Richter sprachen sich dabei in einem Urteil insbesondere gegen einen Automatismus in der Ausschaffungsinitiative aus. Die faktische Überordnung von Völkerrecht über Landesrecht durch das oberste Gericht rief bei der SVP geharnischte Reaktionen hervor. Nachdem der EGMR dann aber im September die Schweiz verurteilte, weil diese einen nigerianischen Drogenkurier hatte ausweisen wollen und das Bundesgericht in der Folge zunehmend mit Beschwerden von kriminellen Ausländern konfrontiert wurde, die sich auf diesen Fall beriefen, machten die Lausanner Bundesrichter deutlich, dass sie den Entscheid des EGMR für zweifelhaft hielten.

Verhältnis zwischen Bundesrecht und Völkerrecht

Die VOX-Analyse zur Volkswahl-Initiative zeigte einen starken positiven Zusammenhang zwischen Zustimmung zur Initiative und Misstrauen in den Bundesrat. Lediglich jede zehnte Person mit Vertrauen in den Bundesrat stimmte dem Volksbegehren zu, während immerhin jeder zweite Misstrauende ein Ja einlegte. Die Analyse bestätigte zudem die Skepsis in den eigenen Reihen der SVP. Gemäss VOX stimmte lediglich gut die Hälfte der SVP-Sympathisantinnen und Sympathisanten der Initiative aus der Küche ihrer präferierten Partei zu. Bei Anhängerinnen und Anhängern von CVP und FDP lag die Zustimmungsrate bei rund 20% und bei jenen der SP gar unter 10%. Die Nachbefragung zeigte zudem einen Geschlechterbias: Frauen waren der Volkswahl gegenüber skeptischer eingestellt als Männer. Die verschiedenen Argumente der Initiativgegner schienen allerdings laut der VOX nicht verfangen zu haben, als wichtigstes Ablehnungsargument wurde nämlich relativ unspezifisch das gute Funktionieren des aktuellen Wahlsystems genannt. Auch der zweitwichtigste Grund, das neue System stelle zu hohe Anforderungen an die Stimmbevölkerung, die nicht über das Interesse und die Kompetenz verfüge, die Regierung zu bestimmen, weist darauf hin, dass das Vertrauen ins politische System und in die Institutionen relativ hoch und der Wunsch nach Veränderung relativ gering ist.

Initiative für eine Volkswahl des Bundesrates (BRG 12.056)
Dossier: Vorschläge für eine Volkswahl des Bundesrates
Dossier: 9 statt 7 Bundesratsmitglieder?

Eine im Juli veröffentlichte Studie zur Stadt St. Gallen zeigte, dass sich Stimmberechtigte selektiv beteiligen, und zwar bei jenen Vorlagen, von denen sie sich betroffen fühlen. Über die betrachtete Zeit (konkret: sieben Abstimmungstermine) hätten sich so rund drei Viertel der Stadt-St. Galler mindestens bei einer Abstimmung beteiligt.

selektiv beteiligen

Die Stimmberechtigten befanden am 9. Juni über die Initiative für eine Volkswahl des Bundesrates. Das von der SVP lancierte Volksbegehren verlangte, dass die Schweizer Regierung nicht mehr von der Vereinigten Bundesversammlung gewählt, sondern durch die Wahlbevölkerung bestimmt wird. Die Wahl wäre zeitgleich mit den Gesamterneuerungswahlen für den Nationalrat und in gesamtschweizerischem Majorzverfahren mit einem Wahlkreis abzuhalten. Für die italienischen und französischen Sprachminderheiten würden insgesamt zwei Sitze reserviert. Im Vorjahr hatten sich Bundesrat und Parlament ziemlich eindeutig gegen das nach der Abwahl von Christoph Blocher aus dem Bundesrat 2007 aufgegleiste Begehren ausgesprochen, das schon bei den Verfassungsdiskussionen 1848 und 1872 und zwei Mal als Initiative der SP in den Jahren 1900 und 1942 keine Mehrheiten gefunden hatte. Die Initiative wurde von einem überparteilichen Komitee bekämpft, dem alle Parteien ausser der SVP angehörten. Sogar die Grünen, die als Oppositionspartei selber schon ähnliche parlamentarische Vorstösse lanciert hatten, sprachen sich gegen das Anliegen aus. Das Gegnerkomitee trat unter dem Motto an, dass Bewährtes nicht aufs Spiel zu setzen sei. Das aktuelle Gleichgewicht zwischen den Gewalten sei eine zentrale Determinante für die politische Stabilität und den Wohlstand in der Schweiz. Der von der SVP geforderte Systemwechsel sei kaum begründbar und beruhe auf populistischen Forderungen. Der Verweis auf die Kantone, wo die Volkswahl der Regierung funktioniere – das bedeutendste Argument der Initiativbefürworter – wurde von den Initiativgegnern abgewiesen, da ein Wahlkampf in den Kantonen mit einem Wahlkampf auf nationaler Ebene kaum vergleichbar sei. Ein solcher würde amerikanische Verhältnisse evozieren und die zeitlich bereits arg belasteten Bundesräte nicht nur zusätzlich unter Druck setzen, sondern auch in einen Dauerwahlkampf verwickeln, der eine Kollegialregierung verunmöglichen würde. Stille Schaffer hätten zudem gegen charismatische, medial taugliche Personen weniger gute Chancen und Geld würde eine noch grössere Rolle spielen als heute. Schliesslich wurde auch die Quotenregel für die sprachlichen Minderheiten kritisiert; die Wahrscheinlichkeit, dass die beiden Sitze an die Romandie gingen und der Kanton Tessin kaum mehr Regierungsvertreter stellen könnte, sei enorm hoch. Die SVP ihrerseits setzte sich überraschend lau für ihr Anliegen ein. Zwar wurde ein 2,8 Mio. Auflagen starkes Extrablatt in die Haushalte gestreut, in dem mit dem Untergang der Schweiz gedroht wurde, wenn den Mauscheleien im Bundesrat und den Hintertreppen-Absprachen bei Regierungswahlen nicht durch das Volk Einhalt geboten würden. Im Gegensatz zu anderen Parteien wolle man die Mitspracherechte des Souveräns stärken und nicht noch weiter abbauen. Zudem schaltete die Partei ein für SVP-Verhältnisse sehr unspektakuläres Text-Plakat („Dem Volk vertrauen!“). Wichtige Exponenten der Partei schalteten sich aber kaum in den Abstimmungskampf ein und nahmen teilweise gar demonstrativ Stellung gegen die Initiative. Die Kantonalsektion Thurgau empfahl gar die Nein-Parole und die SVP Unterwallis beschloss Stimmfreigabe bei der parteieigenen Initiative. Es wurde parteiintern auch befürchtet, dass sich eine Volkswahl zuungunsten der SVP auswirken könnte. Prominente Unterstützung erhielt die Idee der Volkswahl allerdings durch die ehemalige SP-Bundesrätin Micheline Calmy-Rey. Sie befand, dass die Volkswahl zu einer besseren Machtbalance zwischen Bundesrat und Parlament führe, weil die Regierung damit über mehr Legitimität verfügen würde. Erste Umfragen Anfang Mai liessen eine relativ geringe Begeisterung in der Bevölkerung für die Idee der Volkswahl erahnen. Tatsächlich wurde das Begehren Anfang Juni dann auch deutlich mit 76,3% Nein-Stimmenanteil und durch alle Kantone abgelehnt. In einigen Kantonen der Romandie (FR, NE, JU) lagen die Ja-Anteile gar unter 20%. Am höchsten war die Zustimmung im Kanton Tessin (32,2% Ja), was aufgrund der Debatten um den Minderheitenschutz etwas überraschend war. Die gesamtschweizerische Stimmbeteiligung lag bei 39,2%, was die laue Kampagne neben dem Umstand, dass die APS-Inserateanalyse einen absoluten Negativrekord hinsichtlich Anzahl Zeitungsinserate ausmachte, ebenfalls wiederspiegelt. Noch am Abend der Abstimmung äusserten sich die Parteipräsidenten zum Abstimmungsausgang. CVP-Präsident Darbellay wertete das Resultat als Zeichen nationaler Kohäsion, FDP-Präsident Müller war froh über die Wahrung der Konkordanz, die durch eine Volkswahl in Gefahr geraten wäre, und SP-Präsident Levrat freute sich, dass die „psychologische Verarbeitung der Abwahl Blochers“ nun zum Abschluss kommen könne. SVP-Präsident Brunner anerkannte zwar, dass das Thema vom Tisch sei, wehrte sich aber vorsorglich gegen künftige Beschneidungen der direkten Demokratie. Der Leidensdruck sei anscheinend momentan noch zu tief. Justizministerin Sommaruga sah im Resultat den Wunsch des Souveräns, die Demokratie vor Dauerwahlkämpfen zu schützen. Das deutliche Nein wurde in der Presse als Vertrauensbeweis in die Institutionen und insbesondere in den Bundesrat gewertet, man sah im Abstimmungsergebnis aber auch eine Ohrfeige an die SVP, die an einem wenig experimentierfreudigen Volk vorbeipolitisiert habe. Die noch im Vorjahr von Wermuth (sp, AG) eingereichte parlamentarische Initiative (12.489), die neben der Volkswahl auch einige zusätzliche Reformen wie die Aufstockung der Regierungsmitglieder auf neun oder die Transparenz der Wahlkampagnenfinanzierung gefordert hatte, wurde im Berichtjahr kurz nach dem abschlägigen Volksentscheid zurückgezogen.


Abstimmung vom 9. Juni 2013

Beteiligung: 39,5%
Ja: 480 291 (23,7%) / 0 Stände
Nein: 1 550 080 (76,3%) / 20 6/2 Stände

Parolen:
– Ja: SVP (2)*.
– Nein: FDP, CVP, SP, GP, GLP, BDP, EVP, CSP; SGV, Travail.Suisse.
* in Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen.

Initiative für eine Volkswahl des Bundesrates (BRG 12.056)
Dossier: Vorschläge für eine Volkswahl des Bundesrates
Dossier: 9 statt 7 Bundesratsmitglieder?

Im Berichtsjahr wurde an den vier Terminen über insgesamt zwölf nationale Vorlagen abgestimmt: sieben Volksinitiativen, drei fakultative Referenden und zwei obligatorische Referenden, die beide Gegenentwürfe zweier Volksinitiativen darstellten, wurden am 11. März (5 Vorlagen), am 17. Juni (3 Vorlagen), am 23. September (3 Vorlagen) und am 25. November (1 Vorlage) den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern zur Entscheidung vorgelegt. In neun Fällen folgten diese den Empfehlungen der Behörden, wobei für die beiden abgelehnten Bausparinitiativen eigentlich keine Behördenempfehlung vorlag, weil sich National- und Ständerat nicht hatten einigen können. Entgegen den Empfehlungen von Parlament und Bundesrat wurde hingegen die Zweitwohnungsinitiative angenommen, aber die Bundesgesetze zu Managed Care und zur Buchpreisbindung, gegen die jeweils das Referendum ergriffen worden war, abgelehnt. Die Stimmbeteiligung betrug im Schnitt 38,5% – der tiefste Wert seit 15 Jahren. Besonders gering war die Partizipation am 25. November: Aufgrund des Scheiterns der Referenden gegen die Staatsverträge über die Abgeltungssteuer mit Deutschland, Österreich und Grossbritannien wurde im November lediglich über die Revision des Tierseuchengesetzes abgestimmt, gegen die das „Netzwerk Impfentscheid“ erfolgreich das Referendum ergriffen hatte. Nur 27,6% aller Stimmberechtigten gingen an die Urne. Lediglich vier Mal war die Beteiligung seit 1877 (Beginn der Erhebung der Partizipation) geringer.

Eidgenössische Vorlagen 2012
Dossier: Eidgenössische Volksabstimmungen von Jahr zu Jahr (seit 2000)

Die Popularität von Volksinitiativen war nach wie vor gross (vgl. Tabelle Volksinitiativen_2012.pdf). Zwar wurden 2012 nur noch etwa halb so viele Initiativen (10) lanciert als noch im Wahljahr 2011 (23), als viele Parteien das Volksrecht als eigentliches Schwungrad für den Wahlkampf gebrauchten. Im Berichtjahr schafften aber nicht weniger als zehn Volksbegehren das Unterschriftenquorum (2011: 8). Mit diesen zehn im Berichtjahr zustande gekommenen Initiativen waren Ende 2012 total 20 Volksvorstösse hängig (2011: 22). Im Unterschriftenstadium befanden sich Ende 2012 total 20 Begehren (2011: 28), neun Anliegen waren im Laufe des Jahres im Sammelstadium gescheitert oder konnten nicht genügend Unterschriften sammeln (2011: 3) und fünf wurden zurückgezogen (2011: 3), zwei davon bedingt (2011: 1).

Mit der Zweitwohnungsinitiative wurde die neunzehnte Volksinitiative seit 1891 angenommen. Mehr als die Hälfte dieser 19 Begehren (11) fanden bei Volk und Ständen seit 1990 Unterstützung. Interessanterweise waren es vor allem Initiativen von Bürgerkomitees mit relativ spezifischen Anliegen, denen bisher Erfolg beschieden war. Ein Erfolg an der Urne ist aber für Initianten erst der Anfang, da die Umsetzung des Begehrens auf Gesetzesstufe mitunter lange dauern kann, wie etwa das Beispiel der Alpeninitiative zeigt.

Volksinitiativen 2012
Dossier: Lancierte Volksinitiativen von Jahr zu Jahr (ab 2007)

Im Berichtjahr wurde gegen sechs parlamentarische Beschlüsse ein Referendum ergriffen. Erfolgreich zu Stande kamen drei, nämlich das Referendum gegen das Bundesgesetz über die Krankenversicherung (Managed Care; am 14. Februar mit 131'158 gültigen Unterschriften), das Referendum gegen das Tierseuchengesetz (am 16. Juni mit 51'110 gültigen Unterschriften) und das Referendum gegen das Bundesgesetz über die Raumplanung (am 16.10.12 mit 69'277 gültigen Unterschriften). Über die ersten beiden wurde noch im Berichtjahr abgestimmt. Die Abstimmung über die Raumplanungsrevision wurde für das Frühjahr 2013 traktandiert. Kein Erfolg war den drei Referenden gegen die Bundebseschlüsse über die Doppelbesteuerungsabkommen mit Deutschland (48'604 Unterschriften), Österreich (46'848 Unterschriften) und Grossbritannien (47'363 Unterschriften) beschieden. Alle drei verfehlten laut Bericht der Bundeskanzlei vom 30. Oktober das Quorum (siehe hier). Im Vergleich zu den Vorjahren wurde die Referendumswaffe damit wieder häufiger eingesetzt (2010 und 2011: je 1 zustande gekommenes Referendum; 2009: 1 zustande gekommenes und 1 nicht zustande gekommenes Referendum).

Referenden 2012
Dossier: Ergriffene Referenden von Jahr zu Jahr (seit 2012)

Im Berichtjahr berieten die Räte über die Initiative für eine Volkswahl des Bundesrates. Die SVP hatte im Vorjahr 108'826 beglaubigte Unterschriften eingereicht. Das Begehren verlangt, dass der Bundesrat nicht mehr von der Bundesversammlung, sondern durch die Wahlbevölkerung gewählt wird. Die Wahl würde zeitgleich mit den Gesamterneuerungswahlen für den Nationalrat und im Majorzverfahren mit der Schweiz als einem Wahlkreis durchgeführt. Den italienischen und französischen Sprachminderheiten wären zwei Sitze garantiert. In seiner Mitte Mai an einer Medienkonferenz präsentierten Botschaft listete der Bundesrat zwar einige Vorteile einer Wahl der Regierung durch die Bürgerinnen und Bürger auf – so etwa die Stärkung der Legitimität der Exekutive, die Möglichkeit einer Belebung der Demokratie durch eine Debatte über Regierungsprogramme oder die zumindest vordergründig höhere Transparenz –, er empfahl das Begehren letztlich aber aufgrund gewichtigerer Nachteile zur Ablehnung: Das Regierungsgremium wäre kein Kollegium mehr, sondern eher eine Versammlung parteipolitischer Akteure. Die Kooperation mit den Medien würde im Interesse einer Wiederwahl noch stärker werden. Das Gewaltengefüge würde sich verändern, weil die Bundesversammlung eines wichtigen Kontroll- und Entscheidungsinstruments beraubt würde. Die stärker im Zentrum stehende Partei- statt Sachpolitik berge die Gefahr von Blockaden zwischen Parlament und Regierung. Weil bevölkerungsstarke Kantone mit dem vorgeschlagenen Wahlverfahren bevorteilt wären, würde das föderale Gleichgewicht gestört. Die teuren Wahlkampagnen würden zu einer Stärkung der Landes- gegenüber den Kantonalparteien führen und würden erstere überlasten. Die sprachliche Quotenregelung könnte sich als kontraproduktiv erweisen, weil ein Schutz der rätoromanischen Sprachminderheit gar nicht vorgesehen ist und die italienische und die französische Minderheit gegeneinander ausgespielt würden. Der Bundesrat wies insbesondere darauf hin, dass es für die Änderung gar keinen Anlass gebe. Die bisherigen, von der Bundesversammlung gewählten Bundesratskollegien seien nicht nur repräsentativ für alle Landesgegenden, sondern würden auch hohes Ansehen in der Bevölkerung geniessen und hätten sich als fähig erwiesen, Kriege, Bedrohungen und Wirtschaftskrisen zu umschiffen und verschiedene Herausforderungen erfolgreich anzunehmen und zu meistern. Es gäbe keinen Anlass, ein derart bewährtes Wahlverfahren zu ändern. In den langen und lebhaften Ratsdiskussionen wurde zudem darauf hingewiesen, dass die Idee einer Volkswahl des Bundesrates bereits bei den Verfassungsdiskussionen 1848 und 1872 und zweimal als Initiative der SP 1900 und 1942 jeweils abgelehnt worden sei. Diskutiert wurde auch ein drohender permanenter Wahlkampf, der stark von der finanziellen Potenz einzelner Parteien abhängen würde. Die SVP-Ratsvertreter argumentierten, dass die direkte Wahl der Exekutive in allen Kantonen sehr gut funktioniere. Die direkte Demokratie würde mit diesem Anliegen ausgebaut. Im Nationalrat hatten zwei Anträge von linker Seite für einen Gegenvorschlag, der die Erhöhung der Mitgliederzahl im Bundesrat auf neun und eine Transparenz der Kampagnenfinanzierung gefordert hätte, keine Chance. In der Schlussabstimmung wurde die Initiative im Ständerat mit 34 zu fünf Stimmen (bei 3 Enthaltungen) und im Nationalrat mit 137 zu 49 Stimmen abgelehnt. Zu den 48 Stimmen aus der SVP-Fraktion gesellte sich die Stimme von Girod (gp, ZH). Dass das Anliegen nicht wirklich in ein Links-Rechts-Schema passt, zeigt die im Berichtjahr noch nicht behandelte parlamentarische Initiative Wermuth (sp, AG) (12.489), die ebenfalls eine Volkswahl, allerdings in Verbindung mit einer Erhöhung der Zahl der Bundesräte auf neun und einer Einführung von Wahlfinanzierungsregeln, fordert. Der Vorstoss fand einige Mitunterzeichner aus dem linken Lager.

Initiative für eine Volkswahl des Bundesrates (BRG 12.056)
Dossier: Vorschläge für eine Volkswahl des Bundesrates
Dossier: 9 statt 7 Bundesratsmitglieder?

Für einigen Wirbel sorgten die Referenden gegen die Steuerabkommen mit Deutschland, Grossbritannien und Österreich, die von der Auns, dem Bund der Steuerzahler, der Juso und der jungen SVP ergriffen wurden. Aufgrund von Termindruck musste das Abstimmungsbüchlein mit den Referenden bereits gedruckt werden, obwohl noch nicht klar war, ob die Referenden überhaupt zustande kommen würden. Erst Ende Oktober verfügte die Bundeskanzlei das Nichtzustandekommen der drei Referenden aufgrund fehlender Unterschriften. Vom 56-seitigen Bundesbüchlein waren also nur noch 18 Seiten (für die Änderung des Tierseuchengesetzes) gültig. Die Mehrkosten für den Druck betrugen rund CHF 1 Mio. Für lange Diskussionen sorgte aber auch die Kritik der Referendumskomitees an einzelne Gemeinden, welche für die Beglaubigung der Unterschriften zu viel Zeit gebraucht hätten. Das Bundesgesetz über politische Rechte (Art. 62) sieht vor, dass die Unterschriften „unverzüglich“ beglaubigt und dem Komitee zurückgegeben werden müssen. Vor allem die Auns bemängelte insbesondere Gemeinden aus dem Kanton Genf, die beglaubigte Unterschriften mittels B-Post zurückgeschickt hätten, welche dann nicht fristgerecht eingereicht werden konnten. Sie kündigte eine Liste säumiger Gemeinden und gar eine Beschwerde ans Bundesgericht an. Auch der Gewerbeverband beklagte das Verhalten der Gemeinden im Rahmen seiner Unterschriftensammlung gegen das Raumplanungsgesetz. In der Folge wurden verschiedene Lösungen diskutiert. Den Gemeinden solle etwa eine Frist vorgeschrieben werden oder die Beglaubigung sei ausserhalb der Referendumsfrist von 90 Tagen anzusetzen. Eine ähnliche Diskussion wurde bereits Anfang der 1990er Jahre geführt, als das Referendum gegen die NEAT nur sehr knapp zustande gekommen war. Die Staatspolitische Kommission reichte in der Folge eine Kommissionsmotion ein, die getrennte Fristen für das Sammeln und Beglaubigen der Unterschriften verlangt. Noch in der Wintersession nahm die grosse Kammer das Begehren an. Im Ständerat stand das Geschäft 2012 noch aus. Ebenfalls noch nicht behandelt war eine Motion Stamm (svp, AG) (12.4260), die die Verantwortung für die Beglaubigung nach der Frist für die Unterschriftensammlung an die Bundeskanzlei übertragen will.

Getrennten Fristen für das Sammeln und die Beglaubigung der Unterschriften für Intitiativen und Referenden (Motion)

Um eine Abkürzung der Frist bei der Behandlung einer Volksinitiative zu erzwingen, wurden im Berichtsjahr gleich fünf gleich lautende im Berichtjahr noch nicht behandelte Motionen eingereicht. (Mo. 12.4123 (de Courten); 12.4157 (Humbel); 12.4164 (Cassis); 12.4207 (Hess); Mo. 12.4277 (Schwaller)). Normalerweise hat der Bundesrat nach Einreichung einer Initiative ein Jahr Zeit, um eine Botschaft vorzulegen. Er hat zudem die Möglichkeit, einen direkten oder indirekten Gegenvorschlag zu unterbreiten, womit sich die Frist für die Botschaft um sechs Monate verlängert. Von dieser Möglichkeit wollte die Regierung für die Volksinitiative „für eine öffentliche Krankenkasse“ eigentlich Gebrauch machen. Die Motionen verlangten nun aber, dass die Initiative möglichst rasch und ohne Gegenvorschlag zur Abstimmung gelangt. Offiziell begründet wurde dies mit der Behandlung verschiedener Vorstösse zum Krankenversicherungswesen. Inoffiziell wollten die bürgerlichen Parteien, von denen die Vorstösse stammten, verhindern, dass die von der SP eingereichte Initiative zur Einheitskrankenkasse den Sozialdemokraten im Wahljahr 2015, wenn die Initiative aufgrund der verlängerten Frist wahrscheinlich zur Abstimmung gelangen würde, Aufwind verleihen könnte. Eine Verkürzung der Behandlungsfrist für Volksinitiativen war Gegenstand einer parlamentarischen Initiative Graf-Litscher (sp, TG) (11.455). Das Parlament hat aktuell zweieinhalb Jahre Zeit für die Behandlung einer Volksinitiative, wobei sich diese Frist um ein Jahr verlängert, wenn ein direkter oder indirekter Gegenentwurf angenommen wird und noch einmal um ein Jahr, wenn dieser in die Differenzbereinigung muss. Graf-Litscher zog ihr Begehren zurück, nachdem die SPK-N einstimmig zugesagt hatte, das Geschäft im Rahmen der Revision des Parlamentsgesetzes zu behandeln.

Frist bei der Behandlung einer Volksinitiative
Dossier: Vorstösse für eine schnellere Behandlung von Volksinitiativen

Die SVP-Fraktion wollte mit einer parlamentarischen Initiative eine Änderung des Parlamentsgesetzes erwirken. Artikel 102 Absatz 2 sieht vor, dass das Parlament bei gleichzeitigem Vorliegen einer Volksinitiative und eines Gegenvorschlages nur den Gegenvorschlag zur Annahme empfehlen kann, nicht aber die Initiative. Die SVP wollte dieses Verbot mit der Begründung streichen, dass dadurch die freie Willensäusserung des Parlaments nicht mehr eingeschränkt werde. Mit 118 zu 64 Stimmen gab die grosse Kammer der Initiative allerdings keine Folge. Sie stützte sich dabei auf die Begründung ihrer Staatspolitischen Kommission, das Parlament dürfe Gegenvorschläge nicht aus taktischen Gründen entwerfen, sondern müsse den Gegenentwurf als bessere Lösung präsentieren. Abgelehnt wurde auch eine Motion Minder (parteilos, SH) (12.3963), die ein Verbot der Gleichzeitigkeit von direktem und indirektem Gegenvorschlag sowie ein Verfahren mit einer vorgängigen Eventualfrage (statt dem Stichentscheid) und zwei Abstimmungsfragen (Initiative vs. geltendes Recht bzw. Gegenvorschlag vs. geltendes Recht) vorgesehen hätte.

Abstimmungsempfehlung des Parlaments bei Volksinitiativen mit Gegenvorschlag (10.469)

Der Export einer Schaffhauser Spezialität war das Ziel einer Motion Minder (parteilos, SH) (12.3712). Mit der Volksmotion sollte „das partizipative Vakuum“ zwischen der einflussreichen, aber aufwändigen und teuren Volksinitiative und der vergleichsweise schwachen Petition gefüllt werden. Die Volksmotion, die von einer zu bestimmenden Anzahl Bürgerinnen und Bürgern eingereicht werden soll, würde in den Räten den gleichen Prozess durchlaufen wie eine parlamentarische Motion. Das Instrument war in den letzten rund dreissig Jahren in einigen Kantonen und Gemeinden eingeführt worden. Der Bundesrat lehnte die Motion mit der Begründung ab, dass ein Mehr an Volksrechten diese nicht unbedingt stärken würde, sondern eher schwächen, wovon etwa auch das Scheitern der allgemeinen Volksinitiative zeuge. Der Ständerat lehnte die Motion ab. Ebenfalls eine Erweiterung des Katalogs an Volksrechten strebte eine 2012 noch nicht behandelte parlamentarische Initiative der SVP-Fraktion an, die die Einführung eines ebenfalls in den Kantonen weit verbreiteten fakultativen Finanzreferendums fordert. Die kantonalen Erfahrungen zeigen, dass die Vetomöglichkeit der Bevölkerung gegen finanzpolitische Vorlagen mit geringeren Ausgaben und Schulden sowie tieferen Steuern einhergeht.

Finanzreferendum - Parlamentarische Initiative der SVP ohne Chance (12.459)
Dossier: Einführung eines Finanzreferendums auf nationaler Ebene

Gleich drei Mal musste die Bundeskanzlei die Unterschriften für die letztlich sehr knapp nicht zustande gekommene Bürokratie-Stopp-Initiative der FDP nachzählen. Ein zweimaliges Nachzählen ist bei knappen Zahlen vorgesehen. Eine dritte Kontrolle wird nötig, wenn die Zahl der Unterschriften zwischen 95'000 und 101'000 liegt. Für die FDP-Initiative, die drei Stunden vor Ablauf der Sammelfrist eingereicht wurde, wurden letztlich 97'537 gültige Unterschriften ausgewiesen. Auch die CVP und die GLP bekundeten einige Mühe, die nötige Zahl an Unterschriften für ihre Initiativen zu sammeln.

Gescheiterte Bürokratie-Initiative der FDP

Im Juni 2012 wurde über die Volksinitiative „Für die Stärkung der Volksrechte in der Aussenpolitik (Staatsverträge vors Volk)“ abgestimmt. Das Volksbegehren verlangt ein obligatorisches Referendum für aussenpolitische Verträge in wichtigen Bereichen sowie völkerrechtliche Verträge mit einmaligen Ausgaben von mehr als CHF 1 Mrd. oder wiederkehrenden Kosten von mehr als CHF 100 Mio. jährlich. Ein Gegenvorschlag des Bundesrates scheiterte im Vorjahr im Ständerat. Bereits Mitte März – unüblich früh – äusserte sich der Bundesrat an einer Medienkonferenz kritisch gegen die Initiative der Auns. Zwar klinge die Argumentation der Initianten, die direkte Demokratie ausbauen zu wollen, auf den ersten Blick sympathisch, so Bundesrätin Sommaruga. Bei einem Ja müsse die Stimmbevölkerung aber zu zahlreichen unbestrittenen Vorlagen abstimmen, was nicht nur aufwändig, sondern auch teuer sei. In der Presse kolportierte Expertenuntersuchungen rechneten mit rund acht zusätzlichen Abstimmungsvorlagen pro Jahr. Die Auns, die dem Bundesrat vorwarf, Staatsverträge „am Volk vorbeizuschmuggeln“, rechnete mit maximal ein bis drei zusätzlichen Vorlagen pro Jahr. Die Economiesuisse griff auch finanziell in den Abstimmungskampf ein, da sie der Ansicht war, dass eine Annahme der Vorlage der Wirtschaft Schaden zufügen werde: wenn die Bevölkerung auch über Handelsabkommen abstimmen müsse, entstehe eine grosse Unsicherheit für den Wirtschaftsstandort Schweiz.

Initiative populaire "Pour le renforcement des droits populaires dans la politique étrangère"
Dossier: Obligatorisches Referendum für Staatsverträge?

Im Vorjahr hatte der Nationalrat knapp eine auf zwei parlamentarische Initiativen Studer (evp, AG) und Müller-Hemmi (sp, ZH) (07.476) zurückgehende Vorlage der RK-N gutgeheissen, die auf die Einführung einer Verfassungsgerichtsbarkeit zielt. Die Vorlage war nach einigen Debatten im Rat und Diskussionen in der Presse von der SP, den Grünen, Anwälten, Richtern sowie zwölf Kantonen, später dann auch vom Bundesrat begrüsst worden, während FDP und SVP Opposition bekundet hatten. Im Berichtjahr wurde das Geschäft in der kleinen Kammer behandelt. Diese hatte sich bereits bei der Einreichung der beiden parlamentarischen Initiativen 2005 sehr schwer getan. In der engagierten und langen Debatte ging es letztlich um die Frage, wer letztverbindlich zuständig sein soll für die Konkretisierung von Verfassungsnormen. Eine Kommissionsminderheit wollte diese Entscheidung politisch, also von den Institutionen (direkte Demokratie, Parlament) fällen lassen und beantragte Nichteintreten. Die Mehrheit der RK-S plädierte hingegen für eine juristische Letztentscheidung. Die sich zu Wort meldenden Befürworter und Gegner der Vorlage gehörten unterschiedlichen Lagern an und ein parteipolitischer Graben konnte nur bedingt ausgemacht werden. Letztlich entschied sich die Mehrheit der kleinen Kammer mit 27 zu 17 Stimmen, nicht auf die Vorlage einzutreten. Damit ging das Geschäft zurück an den Nationalrat, der noch im Dezember über einen Minderheitenantrag der SVP, dem Ständerat zu folgen und nicht auf die Vorlage einzutreten, befinden musste. Auch in der grossen Kammer gab es gespaltene Fraktionen. Zwar stimmten die GP und die GLP geschlossen gegen den Minderheitsantrag und die SVP geschlossen dafür, die CVP (19:7 für Nichteintreten), die BDP (6:2), die FDP (18:5) und die SP (6:34 und 1 Enthaltung) waren sich jedoch nicht einig. Mit 101 zu 68 Stimmen wurde der Minderheitsantrag schliesslich angenommen und die auf eine achtjährige Vorlaufzeit zurückblickende Vorlage endgültig abgelehnt. Die Debatte um die Einführung einer Verfassungsgerichtsbarkeit nahm damit ein vorläufiges Ende, die Diskussion um den geeigneten Akteur für die Prüfung der Vereinbarkeit von Volksinitiativen und Grundrechten war damit aber nicht vom Tisch.

Einführung einer Verfassungsgerichtsbarkeit auf Bundesebene (Pa.Iv. 05.445)
Dossier: Verfassungsgerichtsbarkeit

Auf eine Vereinfachung des Abstimmungsverfahrens bei gleichzeitigem Vorliegen von Initiative und Gegenvorschlag zielte eine parlamentarische Initiative Borer (svp, SO). Seine Idee, auf eine Stichfrage zu verzichten und bei doppeltem Ja der Vorlage mit den meisten Stimmen den Vorzug zu geben, fand allerdings nur in seiner eigenen Fraktion Unterstützung. Mit 138 zu 55 Stimmen wurde sie abgelehnt. Die SPK-N hatte darauf hingewiesen, dass nur mit einer Stichfrage alle Präferenzen korrekt abgebildet würden. Wer etwa Initiative und Gegenvorschlag dem Status Quo vorzieht, die Initiative aber präferiert, der müsste den Gegenvorschlag ablehnen, wenn er nicht die Stichfrage hätte, mit der er seiner Präferenzordnung (Initiative vor Gegenvorschlag vor Status Quo) Ausdruck verleihen könne.

Pa.Iv. zur Abschaffung der Stichfrage bei Volksinitiativen mit Gegenvorschlag (11.464)

Noch Ende 2011 waren zwei Motionen diskutiert worden, die auf Massnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Volksinitiativen mit den Grundrechten abzielten. Auf der Basis des bundesrätlichen Zusatzberichts zum Verhältnis von Völkerrecht und Volksinitiativen verlangte die Motion der staatspolitischen Kommission des Ständerates einen Katalog von rechtlichen Grundlagen für die nichtbindende materielle Vorprüfung eines Initiativtextes vor der Sammlung der Unterschriften (11.3751). Beide Kammern hatten diesen Vorstoss angenommen, die nationalrätliche SPK verlangte aber in einer von der grossen Kammer ebenfalls 2011 noch angenommenen zweiten Motion zusätzlich Vorschläge für eine Erweiterung des Katalogs der Gründe für die Ungültigkeitserklärung einer Volksinitiative (z.B. ein Gebot der Beachtung der Grundrechte oder der Menschenrechtskonvention in der Verfassung). In der Frühjahrssession war dieser zweite Punkt Gegenstand recht ausführlicher Diskussionen im Ständerat über die Bedeutung der direkten Demokratie gegenüber zentraler Grund- und Menschenrechte. Schliesslich stimmte der Rat mit Stichentscheid des Präsidenten für Annahme der auch vom Bundesrat unterstützten Motion.

Vorstösse zur materiellen Vorprüfung von Volksinitiativen
Dossier: Ungültigkeitsgründe von Volksinitiativen

Aufgrund der Gesamterneuerungswahlen im Herbst des Berichtsjahres wurde im Berichtsjahr nur ein Termin für eine einzige eidgenössische Volksabstimmung wahrgenommen. Am 13. Februar wurde die Volksinitiative „für den Schutz vor Waffengewalt“ mit 43.7% Ja-Stimmen abgelehnt.

Eidgenössische Volksabstimmung 2011
Dossier: Eidgenössische Volksabstimmungen von Jahr zu Jahr (seit 2000)

Da viele Parteien Volksbegehren als Schwungrad für die Wahlen brauchten, nahm die Zahl hängiger Initiativen stark zu. Im Berichtjahr selber waren acht Initiativen zustande gekommen. Damit waren Ende 2011 nicht weniger als 22 Volksbegehren hängig (Ende 2010: 17). Im Berichtjahr wurden zudem 23 Begehren neu lanciert (2010: 14). Im Unterschriftenstadium befanden sich somit insgesamt 28 Initiativen (2010: 15). Drei Begehren scheiterten 2011 an der Unterschriftenhürde (2010: 2) und drei wurden zurückgezogen (2010: 1), davon eine bedingt (2010: 1) (vgl. Tabelle Volksinitiativen_2011.pdf). Zudem kam am 25. Juli mit 60'124 gültigen Unterschriften das Referendum gegen das Bundesgesetz über die Buchpreisbindung zustande.

Lancierte Volksinitiativen 2011
Dossier: Lancierte Volksinitiativen von Jahr zu Jahr (ab 2007)

2010 hatte der Bundesrat einen direkten Gegenvorschlag zur Volksinitiative „Für die Stärkung der Volksrechte in der Aussenpolitik (Staatsverträge vors Volk)“ vorgelegt. Das Volksbegehren will, dass aussenpolitische Verträge in wichtigen Bereichen sowie völkerrechtliche Verträge mit einmaligen Ausgaben von mehr als CHF 1 Mrd. oder wiederkehrenden Kosten von mehr als CHF 100 Mio. jährlich dem obligatorischen Referendum unterstellt werden. In ihrem Gegenvorschlag schlug die Regierung vor, lediglich jene Staatsverträge obligatorisch der Stimmbevölkerung vorzulegen, die Verfassungsrang haben. Im Berichtsjahr diskutierten die Räte über Initiative und Gegenvorschlag. In der grossen Kammer verlief die intensive Diskussion zwischen der SVP und den restlichen Fraktionen. Einigkeit herrschte hinsichtlich der zunehmenden Bedeutung der Aussenpolitik und der Notwendigkeit einer entsprechenden Anpassung der direkten Demokratie. Der Mehrheit des Nationalrates ging die Initiative aber zu weit. In der Folge unterstützte die grosse Kammer den Gegenvorschlag des Bundesrates und empfahl die Initiative zur Ablehnung. Im Ständerat wurde dann jedoch Nicht-Eintreten auf die Debatte um den Gegenvorschlag und ebenfalls Ablehnung der Initiative beschlossen. Die grosse Kammer, an die das Geschäft somit zurückging, folgte diesem Beschluss in der neuen Legislatur. Somit wird 2012 nur die Initiative zur Abstimmung gelangen. Zur Frage der Vereinbarkeit von direkter Demokratie und Übernahme des EU-Rechts siehe auch die abgelehnte Motion der SP-Fraktion (11.3434).

Initiative populaire "Pour le renforcement des droits populaires dans la politique étrangère"
Dossier: Obligatorisches Referendum für Staatsverträge?

Die Räte hatten derweil über Vorstösse zu befinden, die in ähnliche Richtungen zielten. Die parlamentarische Initiative Moret (fdp, VD) hätte die Gültigkeitsprüfung einer Initiative einer richterlichen Instanz im Sinne eines Verfassungsgerichts unterstellen wollen (Pa.Iv. 09.521). Mit dem Argument, dass diese Prüfung erst nach der Sammlung der Unterschriften zur Anwendung käme, wurde der Vorstoss in der Sondersession im April vom Nationalrat verworfen. In der gleichen Debatte wurde in der grossen Kammer ein Postulat der SPK-NR (Po. 10.3885) überwiesen, das den Bundesrat beauftragte, mögliche Verfahren für eine Gültigkeitsprüfung vor der Unterschriftensammlung aufzuzeigen. Trotz des Hinweises von Bundesrätin Sommaruga, dass der Bundesrat diesem Anliegen bereits im Zusatzbericht nachgekommen sei, wurde der Vorstoss angenommen. Im Herbst lehnte der Ständerat die parlamentarische Initiative Vischer (gp, ZH) ab, die ein Volksbegehren auch dann für ungültig erklären lassen wollte, wenn es gegen den Grundrechtsschutz und Verfahrensgarantien des Völkerrechts verstösst (z.B. Menschenrechtskonvention). Der im Vorjahr vom Nationalrat noch überwiesene Vorstoss wurde in der kleinen Kammer als zu weit gehend beurteilt (Pa.Iv. 07.477). Dafür überwies der Ständerat in der gleichen Sitzung eine Motion seiner SPK-SR, mit welcher der Bundesrat beauftragt wird, auf der Basis des Zusatzberichtes eine Vorlage zu erarbeiten, in der die rechtlichen Grundlagen für die nichtbindende materielle Vorprüfung des Initiativtextes vor der Sammlung der Unterschriften erarbeitet werden (Mo. 11.3468). Die gleichlautende Motion der staatspolitischen Kommission des Nationalrates (SPK-NR) wurde dann in der Wintersession auch von der Volksvertretung überwiesen. Allerdings nahm die nationalrätliche Kommission auch den zweiten Punkt des Zusatzberichtes des Bundesrats auf und verlangte Vorschläge für eine Erweiterung des Katalogs der Gründe für die Ungültigkeit einer Volksinitiative (Mo. 11.3468).

Vorstösse zur materiellen Vorprüfung von Volksinitiativen
Dossier: Ungültigkeitsgründe von Volksinitiativen

Im Rahmen der Abzockerinitiative, über die die Räte seit Februar 2008 debattierten, wurde erneut über die Fristen zur Behandlung von Volksinitiativen diskutiert. Aktuell beträgt die Behandlungsfrist zweieinhalb Jahre mit der Möglichkeit der Verlängerung um jeweils 1 Jahr, wenn ein Rat einen Gegenentwurf beschliesst und ein solcher in der Differenzbereinigung feststeckt. Die Frist für die Abzockerinitiative wurde bereits zweimal um 1 Jahr verlängert. Die staatspolitische Kommission des Nationalrates kündigte an, mit einem Vorstoss im Rahmen der laufenden Revision des Parlamentsgesetzes die Diskussion um die Behandlungsfrist neu lancieren zu wollen. Es dürfe nicht der Eindruck erweckt werden, dass Volksabstimmungen aus taktischen Gründen verzögert würden. Deshalb müsse die Möglichkeit der Fristverlängerung eingeschränkt werden.

Frist bei der Behandlung einer Volksinitiative
Dossier: Vorstösse für eine schnellere Behandlung von Volksinitiativen