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Rückblick auf die 51. Legislatur: Institutionen und Volksrechte

Autorinnen und Autoren: Marc Bühlmann und Marlène Gerber

Stand: 17.08.2023

Auf dem Prüfstand befanden sich die Institutionen in der 51. Legislatur vor allem wegen der Covid-19- Pandemie, was sich nicht zuletzt in den Voten zur Erklärung des Bundesrates zur Corona-Pandemie – insgesamt das am viertlängsten diskutierte Geschäft in diesem Themenbereich – zeigte. Viel diskutiert wurden in der Folge auch die Konsequenzen des Ausrufens der ausserordentlichen Lage und der Anwendung von Notrecht für das Machtgefüge zwischen der Exekutive und der Legislative. Der Abbruch der Frühjahrssession 2020 durch das Parlament wurde ebenfalls als Indiz dafür gewertet, dass das Parlament krisenresistenter werden sollte, was mit einer Vielzahl von parlamentarischen Geschäften denn auch angestrebt wurde. Zwei parlamentarische Initiativen der SPK-NR, die diese Ideen bündelten und die Handlungsfähigkeit des Parlaments in Krisensituationen verbessern wollten sowie mehr Kontrolle des bundesrätlichen Notrechts verlangten, wurden ausführlich debattiert, aber weniger umfassend umgesetzt, als von zahlreichen Vorstössen gefordert. Auch für die Volksrechte blieb die Pandemie nicht ohne Folgen: So beschloss der Bundesrat die Verschiebung eines Abstimmungstermins, den Fristenstillstand und Erleichterung bei Unterschriftensammlungen.

Die ausführlichsten Diskussionen (gemessen an der Anzahl Wörter) im Themenbereich «Institutionen und Volksrechte» führte das Parlament über die Legislaturplanung 2019-2023, wobei weniger die vom Bundesrat verfasste Bilanz zur vergangenen Legislatur oder die Leitlinien für die neue Legislatur im Zentrum standen als die Frage, in welcher Form die Legislaturplanung zukünftig diskutiert werden soll. Von grösserer inhaltlicher Relevanz war der ebenfalls breit diskutierte indirekte Gegenvorschlag zur Transparenz-Initiative, der nach erfolgreicher Einigungskonferenz verabschiedet werden konnte. Die damit geschaffenen Regelungen für mehr Transparenz bei der Politikfinanzierung gelten erstmals bei den eidgenössischen Wahlen 2023. Damit trat die Schweiz nicht zuletzt auch der zunehmenden Kritik der Greco an ihrer intransparenten Parteienfinanzierung entgegen.

Ebenfalls bereits von der Greco kritisiert worden war die Judikative respektive der Umstand, dass Schweizer Richterinnen und Richter einer Partei angehören und dieser eine sogenannte Mandatssteuer entrichten müssen. Um die dadurch in Frage gestellte richterliche Unabhängigkeit zu erhöhen, hatte ein Bürgerkomitee im Jahr 2018 die Justiz-Initiative initiiert, gemäss welcher die Bundesrichterinnen und -richter im Losverfahren bestimmt werden sollten. Diese sowie ein schlussendlich verworfener indirekter Gegenvorschlag beschäftigten das Parlament intensiv, bevor die Stimmbevölkerung die Volksinitiative im November 2021 deutlich bachab schickte. Für einige Diskussionen sorgte in der ersten Hälfte der Legislatur auch die Bundesanwaltschaft aufgrund des Rücktritts des Bundesanwalts und der schwierigen Suche nach einer Nachfolgerin oder einem Nachfolger.

Viel Gesprächsstoff im Parlament bargen diverse weitere Geschäfte, deren Beratungen jedoch am Ende wie häufig, wenn es um institutionelle Reformen geht, ergebnislos blieben, so etwa ein obligatorisches Referendum für völkerrechtliche Verträge mit Verfassungscharakter oder die Stärkung der Geschäftsprüfungskommissionen. Zustande kam hingegen die fünfte parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) der Schweizer Geschichte (siehe Kapitel «Geld, Währung und Kredit»).

Für sehr grosse mediale Aufmerksamkeit sorgten die Bundesratsersatzwahlen 2022, die aufgrund der Rücktritte von Ueli Maurer und Simonetta Sommaruga während der laufenden Legislatur nötig wurden; die Vereinigte Bundesversammlung wählte neu Elisabeth Baume-Schneider und Albert Rösti in die Exekutive. Einiges an Druckerschwärze verursachte auch die Digitalisierung der Demokratie, namentlich «E-Voting»: Nachdem Sicherheitsmängel zu einem Marschhalt gezwungen hatten, wurde Anfang 2023 eine Neuausrichtung des Testbetriebs gestartet.


Zu den Jahresrückblicken:
2020
2021
2022

Rückblick auf die 51. Legislatur: Institutionen und Volksrechte
Dossier: Rückblick auf die 51. Legislatur

Die Gerichtskommission schlug für die Gesamterneuerungswahl der Bundesanwaltschaft 2023 die amtierenden drei Personen zur Wiederwahl vor. In der Tat kandidierten der aktuelle Bundesanwalt, Stefan Blättler, und seine beiden Stellvertreter, Ruedi Montanari und Jacques Rayroud, auch für die neue Amtsperiode von 2024–2027. Die GK habe mit der Präsidentin der AB-BA und mit den Kandidierenden Gespräche geführt und sehe keinen Anlass, die Wiederwahl nicht zu empfehlen. Auch die GPK beider Räte sowie die Finanzdelegation seien eingeladen worden, sich zu melden, falls die fachliche oder persönliche Eignung einer der drei Kandidaten in Frage gestellt würde – und auch hier seien keine solchen Feststellungen eingegangen. Bei den Gesprächen mit den drei Kandidierenden habe sich die GK zudem von deren Motivation und der guten Zusammenarbeit überzeugen lassen. Einziges von der AB-BA vorgebrachtes Problem sei, dass die drei Kandidierenden etwa gleich alt seien und es problematisch werden könnte, wenn alle gleichzeitig den Ruhestand antreten würden. Es sei mit den Dreien deshalb vereinbart worden, dass sie zu unterschiedlichen Zeitpunkten in Pension gehen werden.

Während der Sommersession 2023 gab die Wiederwahl in der Vereinigten Bundesversammlung wie erwartet kaum Anlass für Diskussionen. Stefan Blättler wurde mit 209 von 210 Stimmen glänzend im Amt bestätigt. Ein Wahlzettel war leer geblieben. Die beiden Stellvertreter, Ruedi Montanari und Jacques Rayroux, erhielten 189 von 210 eingelangten Stimmen.

Gesamterneurung Bundesanwaltschaft (PAG 23.202)

In der Sommersession 2023 wählte die Vereinigte Bundesversammlung mit Selin Elmiger-Necipoglu eine neue Bundesverwaltungsrichterin und mit Philipp Egli einen neuen Bundesverwaltungsrichter. Die Ersatzwahlen für das Bundesverwaltungsgericht waren nötig geworden, weil aufgrund der Pensionierung von Muriel Beck Kadima sowie von Michael Peterli-Caruel ab Januar 2024 zwei Stellen vakant sein werden. Von den 193 gültigen Stimmen – von den 209 eingelangten Wahlzetteln blieben 16 leer – erhielt Selin Elmiger-Necipoglu 191 Stimmen und Philipp Egli 192 Stimmen. Die beiden werden sich Ende 2024 der Wiederwahl stellen müssen, weil dann die Amtsperiode ablaufen wird.

Im Vorfeld der Wahlen hatte die GK lediglich eine Stelle für eine Beschäftigung zu 90 Prozent für eine Richterin oder einen Richter deutscher Sprache ausgeschrieben, danach aber Kenntnis davon erhalten, dass noch eine weitere Stelle mit identischem Profil zu 80 Prozent zu besetzen sein wird. Die Kommission entschied sich entsprechend, von den sieben valablen Kandidaturen (vier Frauen und drei Männer) gleich zwei auszuwählen. Die Wahl fiel dabei auch deshalb auf Elmiger-Necipoglu und Egli, weil sie zwei am Bundesverwaltungsgericht momentan untervertretenen Parteien angehören.

Wahl einer Bundesverwaltungsrichterin und eines Bundesverwaltungsrichters

Mit dem Argument der «Kostenexplosion beim Bundespersonal», die «endlich gestoppt oder wenigstens gebremst werden» müsse, versuchte Manuel Strupler (svp, TG) in der Sommersession 2023 den Nationalrat von der Annahme der Motion seiner Fraktion zu überzeugen. Der Vorstoss forderte eine Begrenzung der Ferien für Bundesangestellte auf fünf Wochen. Der Personalaufwand betrage im Moment CHF 6 Mrd. jährlich und es könne «relativ einfach Personal eingespart werden», wenn der Anspruch auf Ferien begrenzt werde. Mit fünf Wochen sei man noch immer über dem gesetzlichen Minimum von vier Wochen, so Manuel Strupler. Die Begründung des Bundesrats, dass Ferien eine Möglichkeit seien, Arbeitsplätze beim Bund attraktiv zu machen und so dem Fachkräftemangel zu begegnen, sei falsch. Es brauche mehr Flexibilität der Arbeitszeit und nicht weniger Arbeitszeit. Eine Annahme der Motion würde zudem helfen, die Unterschiede hinsichtlich Anstellungsbedingungen beim Bund im Vergleich zur Privatwirtschaft zu verringern, argumentierte der SVP-Sprecher.
Finanzministerin Karin Keller-Sutter hielt sich in ihrer Erwiderung kurz und verwies auf die Notwendigkeit, dass die Bundesverwaltung als Arbeitgeberin konkurrenzfähig bleibe. In seiner schriftlichen Antwort, mit der der Bundesrat Mitte November 2022 gegen die Motion argumentiert hatte, hatte er überdies betont, dass die Privatwirtschaft keine homogene Gruppe sei und die Bundesverwaltung vor allem gegen jene Sektoren wettbewerbsfähig bleiben müsse, die ähnliche Profile von Fachpersonen benötigten wie sie. Ferien seien zudem lediglich ein Aspekt der Anstellungsbedingungen unter vielen, mit denen die Attraktivität einer Stelle in der Bundesverwaltung erhöht werden könne. Lediglich auf das Element «Ferien» zu fokussieren, wie dies die Motion tue, verkenne die Bedeutung dieses «Gesamtpakets». Zudem seien Ferien neben flexiblen Arbeitszeitmodellen ein bedeutendes Element zur Befriedigung der wachsenden Nachfrage von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach einer guten Balance zwischen Privat- und Berufsleben.
Der Nationalrat lehnte die Motion mit 126 zu 53 Stimmen (11 Enthaltungen) ab; unterstützt wurde der Vorstoss von der SVP-Fraktion und von fünf Mitgliedern der FDP-Fraktion.

Ferien für Bundesangestellte auf 5 Wochen begrenzen (Mo. 22.3961)

In der Sommersession 2023 schrieben die Räte die beiden Motionen der GPK-NR für ein elektronisches Vertragsmanagement der Bundesverwaltung ab (Mo. 14.3018 und Mo. 14.3289). Sie folgten damit dem Antrag des Bundesrats, der argumentierte, dass das Gesamtprojekt «Elektronisches Vertragsmanagement der Bundesverwaltung» abgeschlossen sei und die Kontrolle bei der Vergabe von Aufträgen jährlich durchgeführt werde.

elektronische Vertragsmanagement der Bundesverwaltung

Mitte Mai 2023 beschloss die SPK-NR einstimmig, ihrem Rat die Motion von Hans Stöckli (sp, BE) zur Annahme zu empfehlen. Der Vorstoss des Berner Sozialdemokraten fordert, dass Abstimmungsbeschwerden nicht mehr zuerst bei einer Kantonsregierung eingereicht werden müssen, sondern dass Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer direkt beim Bundesgericht vorstellig werden können. Der Bundesrat hatte die Annahme der Motion beantragt und auch der Ständerat hatte das Anliegen in der Wintersession 2022 als Erstrat einstimmig überwiesen. In ihrer Begründung argumentierte die SPK-NR, mit der heute geltenden Zwischenhürde würde Zeit verschwendet, wobei eine Beschwerde unter Umständen rasch erledigt werden muss, damit ein Abstimmungsergebnis widerrufen bzw. bestätigt werden kann. Kantonsregierungen sollen allerdings dann angerufen werden, wenn die mit einer Beschwerde beanstandete Unregelmässigkeit einen Sachverhalt betrifft, der von einem Kanton geregelt wird.
Auch der Nationalrat hiess den Vorstoss in der Sommersession 2023 ohne Diskussion und einstimmig gut.

Abstimmungsbeschwerden – neuer Rechtsmittelweg (Mo. 22.3933)

Per 1. Januar 2022 hatte der Bundesrat in seinen Weisungen über Administrativ- und Disziplinaruntersuchungen, wie von der Motion der GPK-NR verlangt, veröffentlicht, wer die Beratungs- und Anlaufstelle bei Administrativ- und Disziplinaruntersuchungen in der Bundesverwaltung übernimmt. Es sind dies die Bundeskanzlei und das Bundesamt für Justiz, die künftig bundesverwaltungsintern insbesondere bei der Vorbereitung und Durchführung von Administrativ- und Disziplinaruntersuchungen beratend tätig sein werden. Entsprechend beantragte der Bundesrat die Abschreibung der Kommissionsmotion. Diesem Antrag kamen die Räte in der Sommersession 2023 nach.

Administrativ- und Disziplinaruntersuchungen in der Bundesverwaltung (Mo. 19.4390)

Nachdem sich der Bundesrat Ende Mai 2023 in seiner Stellungnahme für den Vorschlag der SPK-SR ausgesprochen hatte, Mutterschaft und Parlamentsmandat durch eine Ausnahmeregelung im Erwerbsersatzgesetz besser vereinbar zu machen, gelangte die Vorlage, die auf mehrere Standesinitiativen zurückging (ZG: Kt.Iv. 19.311, BL: Kt.Iv. 20.313, LU: Kt.Iv. 20.323, BS: Kt.Iv. 21.311) in den Ständerat, der als Erstrat darüber zu befinden hatte.
Lisa Mazzone (gp, GE) erinnerte als Kommissionssprecherin daran, dass es mit der Vorlage nicht darum gehe, den Mutterschaftsurlaub auszubauen, sondern einzig darum, jungen Müttern zu erlauben, ein Legislativamt auszuüben, ohne den Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung zu verlieren. Im Moment sei es noch so, dass der Anspruch auf Entschädigung für den neben dem Parlamentsmandat ausgeübten Beruf entfalle, sobald im Parlament auch nur ein Knopf für eine Abstimmung gedrückt werde. Das stelle vor allem Parlamentarierinnen auf Kantons- und Gemeindeebene, die den Auftrag ihrer Wählerinnen und Wähler auch während des Mutterschaftsurlaubs wahrnehmen wollen, vor Probleme, da das Milizprinzip dort noch verbreiteter sei als auf nationaler Ebene und die Frauen dort häufiger hauptberuflich noch einer anderen Tätigkeit nachgehen. Es sei der SPK-SR aber wichtig zu betonen, dass mit dieser Ausnahmeregelung keine Aufweichung des Mutterschaftsurlaubs durch die Hintertür angestrebt werde; sie gelte lediglich für Parlamentarierinnen, weshalb die Änderung der Erwerbsersatzordnung mit der Vorlage denn auch minimal sei. Man habe bewusst darauf verzichtet, die Regelung auch auf die Exekutive und die Judikative auszuweiten, zudem gelte sie nur dann, wenn für ein Legislativamt keine Stellvertretungsmöglichkeiten vorgesehen seien, wie dies etwa in den nationalen ständigen Kommissionen der Fall ist. Sie sei froh, dass man heute über ein Problem rede, das «es vor ein paar Jahrzehnten noch überhaupt nicht gab», führte Andrea Gmür-Schönenberger (mitte, LU) als weitere Votantin aus. Ihr sei wichtig, zu betonen, dass mit der neuen Regelung keine Verpflichtung geschaffen werde. Der Entscheid, ob eine Parlamentarierin ihr Legislativamt auch im Mutterschaftsurlaub ausüben wolle, bleibe ihr selber überlassen.
In der Folge trat die kleine Kammer ohne Gegenantrag auf die Vorlage ein und hiess sie ohne Detailberatung mit 28 zu 3 Stimmen (2 Enthaltungen) gut. Die drei Gegenstimmen stammten aus der SVP-Fraktion. Damit ging das Geschäft an den Nationalrat.

Mutterschaft und Parlamentsmandat (Kt.Iv. 19.311, Kt.Iv.20.313, Kt.Iv.20.323 und Kt.Iv.21.311)
Dossier: Frauenanteil im Parlament
Dossier: Vereinbarkeit der Parlamentsarbeit mit Familie und Beruf

Er verstehe und begrüsse, dass die SPK-NR selber eine parlamentarische Initiative einreichen wolle, um dem Problem der Abschreibung zahlreicher Vorstösse aufgrund des Mangels an Beratungszeit Herr zu werden, ergriff Matthias Jauslin (fdp, AG) in der Sommersession 2023 das Wort, um seine eigene parlamentarische Initiative zu bewerben, mit der er die «Guillotine-Klausel» bei hängigen Vorstössen abschaffen wollte. Eine grosse Zahl eingereichter Motionen und Postulate werde nämlich gar nicht behandelt, weil sie nach zwei Jahren abgeschrieben, also eben dieser Guillotine-Klausel zum Opfer fallen würden. Er sei selber Mitglied der SPK-NR gewesen und wisse, dass dieses Problem zwar schon lange diskutiert werde, bisher aber nichts geschehen sei. Deshalb wolle er dem Nationalrat seine eigene parlamentarische Initiative schmackhaft machen, damit in der Folge Lösungen für diese Probleme diskutiert werden könnten. Er befürchte, dass das Anliegen «in der nächsten Amtsperiode» wieder in Vergessenheit gerate, wenn man es nicht «fest einbuche».
Mit 135 zu 44 Stimmen (11 Enthaltungen) teilte die Mehrheit des Nationalrats diese Befürchtung allerdings nicht und gab der parlamentarischen Initiative Jauslin keine Folge. Einzig eine grosse Mehrheit der Fraktion des Initianten (26 Stimmen), die geschlossen stimmende GLP-Fraktion (13) und einzelne Mitglieder der Fraktionen der SP (3), der Mitte-EVP (1) und der Grünen (1) sprachen sich für Folgegeben aus.

Guillotine-Klausel bei hängigen Vorstössen verhindern! (Pa.Iv. 22.480)

Eine «Art Personalbremse» wolle er installieren, erklärte Thomas Burgherr (svp, AG) in der Nationalratsdebatte in der Sommersession 2023 die Forderung seiner parlamentarischen Initiative, mit der er die Entwicklung beim Bundespersonal besser kontrollieren wollte. Es brauche Rahmenbedingungen, mit denen das Lohnwachstum und die Zahl beim Bund angestellter Personen gestoppt würden. Laut einer Studie sei der Durchschnittslohn in der Bundesverwaltung 12 Prozent höher als in der Privatwirtschaft, zudem sei ein Viertel aller Arbeitnehmenden der Schweiz mittlerweile im gesamten öffentlichen Sektor (Bund, Kantone, Gemeinden, öffentliche und staatsnahe Betriebe) beschäftigt. Darunter seien zahlreiche Personen mit akademischem Abschluss, «bei denen ich manchmal auch mehr Praxisbezug wünsche», so Burgherr; es gehe nicht an, dass Hochschulabgängerinnen und Hochschulabgänger ohne Erfahrungen in der Privatwirtschaft beim Staat arbeiteten «und da kaum mehr wegkommen». Mit seinem «Paketansatz» könne man auch solchen Fehlanreizen Grenzen setzen, so Burgherr. Konkret forderte er in seiner parlamentarischen Initiative etwa eine Koppelung des Stellenwachstums und der Lohnentwicklung an die Privatwirtschaft sowie die Anstellung von mehr «Praktikern» und weniger «Akademikern».
Die Debatte im Nationalrat war nötig geworden, weil die FK-NR mit 16 zu 7 Stimmen empfohlen hatte, der parlamentarischen Initiative keine Folge zu geben. Für die Kommissionsminderheit, die aus SVP-Mitgliedern bestand, ergriff Manuel Strupler (svp, TG) das Wort. Der Bund beschäftige «immer mehr Arbeitskräfte für Tätigkeiten ohne erkennbaren Mehrwert», so Strupler. Dies seien nicht seine Worte, sondern sie stammten von der ehemaligen grünen Nationalrätin Yvonne Gilli (gp, SG), der aktuellen Präsidentin der FMH. Er hoffe deshalb auch von linker Seite auf Unterstützung für die parlamentarische Initiative. Die Argumente der Kommissionsmehrheit wurden von Sarah Wyss (sp, BS) und von Jean-Paul Gschwind (mitte, JU) ausgeführt. Gegen Folgegeben spreche einerseits ein «staatspolitisches Argument», so Wyss. Eine Umsetzung der parlamentarischen Initiative würde den Handlungsspielraum des Parlaments einschränken, weil es die Entwicklung in der Verwaltung nicht mehr selber steuern könnte. Mit einer Koppelung an die Privatwirtschaft würde andererseits eine «totale Übersteuerung» eingerichtet bzw. die notwendige Flexibilität bei den Anstellungen zu stark eingeschränkt: Der Bund müsse jene Personen einstellen können, welche die nötigen Kompetenzen mitbringen. Ob es sich dabei um «Praktiker anstatt Akademiker» handle, sei zweitrangig; zudem sei unklar, was unter «Praktiker» überhaupt zu verstehen sei.
Die Hoffnung des Minderheitensprechers Manuel Stupler, dass nicht bloss Mitglieder der SVP-Fraktion den Minderheitenantrag auf Folgegeben unterstützten, wurde zwar erfüllt, die total 49 Stimmen gegen den Mehrheitsantrag – 43 stammten aus der SVP-, 4 aus der FDP- und 2 aus der Mitte-Fraktion – reichten aber gegen die 118 Voten für den Mehrheitsantrag (bei 6 Enthaltungen) nicht aus. Die parlamentarische Initiative wurde damit abgelehnt.

Einschränken der Entwicklung beim Bundespersonal (Pa.Iv. 22.465)

Mit 8 zu 1 Stimmen (2 Enthaltungen) empfahl die SPK-SR die Motion von Martin Candinas (mitte, GR), mit der er eine vermehrte Dezentralisierung der Arbeitsplätze des Bundes forderte, zur Annahme.
In der Debatte im Ständerat während der Sommersession 2023 vertrat Stefan Engler (mitte, GR) die Argumente der Kommission. Es sei bisher nicht viel gegangen, was die «ausgewogene territoriale Verteilung administrativer Strukturen» anbelange. Dank der Covid-19-Krise sei es aber zu einiger Flexibilisierung der Arbeit in der Bundesverwaltung gekommen, was zeige, dass auch flexible Arbeitsstandorte möglich sein müssten. Man sei deshalb in der Kommission gespannt auf die bundesrätliche Antwort auf ein entsprechendes Postulat von Hansjörg Knecht (svp, AG; Po. 20.4369). Es sei aber wichtig und mit Annahme der vorliegenden Motion anzustreben, dass auch periphere Regionen von dieser Flexibilisierung profitierten. Der angesprochene Hansjörg Knecht meldete sich ebenfalls zu Wort. Er könne die ablehnende Empfehlung des Bundesrates, der die Motion Candinas als bereits erfüllt betrachte, nicht nachvollziehen. Bis jetzt sei kaum Konkretes unternommen worden. Dabei würden nicht nur die Randregionen, sondern auch die Zentren von einer «besseren Verteilung der Arbeitsplätze» profitieren, da eine solche weniger «Dichtestress» etwa in Folge von Wohnungsmangel oder Verkehrsaufkommen bedeuten würde. Finanzministerin Karin Keller-Sutter wies darauf hin, dass sich seit der ablehnenden Antwort des Bundesrates im Jahr 2020 einiges getan habe. Neben dem Postulat von Hansjörg Knecht sei die Regierung auch daran, die Motion der FK-NR (Mo. 20.4338) umzusetzen, die eine nachhaltigere Gestaltung der vom Bund angebotenen Arbeitsplätze forderte. Auch die Motion Candinas werde in diese Arbeiten einfliessen. In der Folge nahm der Ständerat die zuvor schon vom Nationalrat überwiesene Motion stillschweigend an.

Vorbild beim Anbieten von dezentralen Arbeitsplätzen (Mo. 20.4727)
Dossier: Flexible Arbeitsformen in der Bundesverwaltung – Diskussionen seit der Covid-19-Krise

Anfang Dezember 2022 beschloss der Bundesrat, die Ergebnisse der Lohnverhandlungen zwischen den Personalverbänden und Finanzminister Ueli Maurer zu bestätigen. Konkret war dort Mitte November 2022 vorgesehen worden, dass das Bundespersonal für 2023 einen Teuerungsausgleich von 2.5 Prozent erhalten soll. Da die Teuerung seit dem Beschluss zum Voranschlag 2023 noch einmal zugenommen habe, müsse ein Nachtragskredit beantragt werden, so der Bundesrat in seiner Medienmitteilung. Tatsächlich war im Budget lediglich ein Teuerungsausgleich von 2.0 Prozent vorgesehen gewesen. Die Personalverbände hatten eigentlich den vollen Teuerungsausgleich von 3.0 Prozent gefordert – von dieser Jahresteuerung war die Expertengruppe «Konjunkturprognose Bund» ausgegangen. Bei den Verhandlungen habe Ueli Maurer die Sozialpartner aber davon überzeugen können, dass die aktuelle Haushaltslage dies nicht zulasse.

Im Februar 2023 gab in den Medien eine Studie des Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik an der Universität Luzern (IWP) zu reden, die einen «Private/Public Pay Gap» festgestellt hatte. Bundesangestellte verdienten laut dieser Studie CHF 14'000 mehr als Personen mit gleicher Ausbildung in der Privatwirtschaft. Die Studie begründete dies mit einer «Verwaltungslohnprämie». Bereits beim Eintritt ins Berufsleben zeige sich eine Differenz von 3.4 Prozent: Wer nach der KV-Lehre eine Anstellung in der Bundesverwaltung hat, erhält also im Schnitt 3.4 Prozent mehr Lohn als jemand, der eine ähnliche Stelle in der Privatwirtschaft besetzt. Diese Differenz könne sich laut Studie auf bis zu 17 Prozent erhöhen; vor allem bei Teilzeitangestellten und in nicht-akademischen Berufen. Die Studie warnte vor einer Verzerrung von Arbeits- und Bildungsmarkt. In der NZZ wurde in der Folge Kritik laut. Da der Bund höhere Löhne bezahle, locke er immer mehr Fachkräfte an, die daraufhin in der Privatwirtschaft fehlten. Nicht nur «die Überbezahlung der Verwaltungsangestellten» müsse ein Ende finden, sondern im Namen der Steuerzahlenden auch das Wachstum der Verwaltung.
Allerdings wurde die Studie des IWP auch kritisiert. Sie vergleiche eine sehr grosse urbane Arbeitgeberin mit Handwerksbetrieben in Randregionen, ignoriere also relevante Benchmarks, erklärte etwa Personalverbandleiter Matthias Humbel in der NZZ. Im besten Fall sei dies «ein Vergleich von Äpfeln mit einem ganzen Früchtekorb». Im Gegenteil sei die Rekrutierung von Fachkräften für den Bund schwierig, weil er auch hinsichtlich Lohn in vielen Bereichen nicht mit der Privatwirtschaft mithalten könne.

Mitte Mai beantragte die FK-NR im Rahmen der Verhandlungen zu den erwähnten Nachträgen für den Voranschlag 2023, die vom Bundesrat beantragte Erhöhung des Teuerungsausgleichs um 0.5 Prozent gegenüber dem Voranschlag abzulehnen. Falls die Räte dieser Empfehlung nachkommen würden, könnten Einsparungen von rund CHF 31.2 Mio. gemacht werden, so die Finanzkommission. Zwar müsste der bereits versprochene Teuerungsausgleich trotzdem bezahlt werden, bei Ablehnung müssten die Departemente, Behörden und Gerichte dies aber selber finanzieren und intern kompensieren, so die FK-NR in ihrer Medienmitteilung.

Teuerungsausgleich 2023 für das Bundespersonal

Mitte Mai 2023 wurde eine Volksinitiative lanciert, die auf eine Art automatisiertes Amtsenthebungsverfahren abzielt. Konkret verlangt das Begehren, dass alle zwei Jahre eine Bestätigungswahl der Mitglieder der Landesregierung durch die Stimmbevölkerung stattfinden soll. Jeweils im September und zwei Jahre nach einer Wahl eines Bundesratsmitglieds soll laut der Eidgenössischen Volksinitiative «Bestätigung der Bundesrätinnen und Bundesräte durch Volk und Stände» eine obligatorische Abstimmung stattfinden. Bundesrätinnen und Bundesräte, die das Volks- oder das Ständemehr verfehlen, müssten durch die Bundesversammlung mittels Bundesratsersatzwahlen ersetzt werden. Lanciert wurde die Initiative von der Freiheitlichen Bewegung Schweiz (FBS), deren Präsident Richard Koller damit argumentierte, dass die Bevölkerung «zornig» sei. Das Volk sei der «patron» und müsse Bundesratsmitglieder, die ihre Verantwortung nicht wahrnähmen, abwählen können. Koller verwies dabei explizit auf Alain Berset, der während der Covid-19-Pandemie in seinen Augen keinen guten Job gemacht habe. Die Sammelfrist läuft bis zum 16. November 2024.

Eidgenössische Volksinitiative «Bestätigung der Bundesrätinnen und Bundesräte durch Volk und Stände»

Im Mai 2022, also rund ein Jahr nach ihrer Schwesterkommission, die der parlamentarischen Initiative von Ada Marra (sp, VD) für eine Änderung der Arbeitsorganisation des Parlamentes knapp Folge gegeben hatte, sprach sich die SPK-SR mit 8 zu 3 Stimmen gegen den Vorschlag aus. Die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Parlamentsmandat, die vom Vorstoss bezweckt werde, würde allenfalls gar erschwert, wenn der Sessionsrhythmus geändert würde und mehr kürzere Sitzungen stattfinden würden, an denen dann berufliche und familiäre Pflichten hintanstehen müssten. Einen Sessionsrhythmus zu finden, der allen Bedürfnissen gerecht werde, sei nicht möglich. Auch die Handlungsfähigkeit des Parlaments in Krisen sei nicht vom Sessionsrhythmus abhängig, weil stets auch ausserordentliche Sessionen einberufen werden könnten.

Wiederum ein Jahr später beugte sich die SPK-NR den Überlegungen ihrer Schwesterkommission und empfahl dem Nationalrat mit 12 zu 10 Stimmen bei 1 Enthaltung, der Initiative keine Folge zu geben. Sie schliesse sich hinsichtlich der Handlungsfähigkeit in Krisen den Überlegungen ihrer Schwesterkommission an, so die SPK-NR in ihrer Medienmitteilung. Monatliche Sessionen im Normalbetrieb würden zudem verhindern, dass ein Parlamentsmandat noch nebenberuflich ausgeübt werden könne. Zudem müsste die Parlamentsorganisation – etwa die Kommissionssitzungen oder die Zusammenarbeit mit dem Bundesrat – ganz neu geregelt werden. Die Mehrheit sehe deshalb keinen Handlungsbedarf. Die starke Kommissionsminderheit war jedoch weiterhin der Meinung, dass die Vereinbarkeit «mit anderen Verpflichtungen» leichter sei, wenn Sessionen häufiger, dafür kürzer stattfinden würden. Das Geschäft geht an den Nationalrat.

Arbeitsorganisation des Parlamentes anpassen (Pa.Iv. 20.476)
Dossier: Parlament in Krisensituationen
Dossier: Vereinbarkeit der Parlamentsarbeit mit Familie und Beruf

«Keine Benachteiligung älterer Menschen bei Anstellungen durch den Staat» forderte Hans-Ueli Vogt (svp, ZH) in seiner nach seinem Rücktritt von Thomas de Courten (svp, BL) übernommenen Motion. «Altersdiskriminierung» sei in der Schweiz weit verbreitet, so die Begründung der Motion. Auch Bund, Kantone und Gemeinden würden mittels Altersschranken bei Anstellungen «offen und systematisch» diskriminieren. Mit einem Verbot solcher Altersbegrenzungen bei öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnissen auf allen drei föderalen Ebenen, dies die konkrete Forderung der Motion, würde der Staat nicht nur eine Vorbildfunktion übernehmen und gängigen «Altersstereotypen (wenig flexibel, nicht lernfähig, usw.)» entgegenwirken, sondern auch einen Beitrag zum Inländervorrang leisten, weil jüngere Arbeitskräfte aus dem Ausland oftmals ältere Fachkräfte aus der Schweiz verdrängen würden.
Der Bundesrat, der in seiner Stellungnahme vom 25. August 2021 die Motion zur Ablehnung empfahl, machte geltend, dass Altersbegrenzungen gemäss Bundesverfassung (Art. 8 Abs. 2) das Diskriminierungsverbot nicht verletzten. Laut Bundesgericht handle es sich beim Alter um einen «atypischen Diskriminierungstatbestand». Diskriminierung würde also lediglich dann vorliegen, wenn Menschen in vergleichbaren Anstellungssituationen aufgrund ihres Alters unterschiedlich behandelt würden. In der Bundesverwaltung könne die Beschäftigung gemäss entsprechend angepasstem Personalrecht gar bis zum 70. Altersjahr weitergeführt werden; der Bund mache also bereits einiges, um ältere Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Der Föderalismus sehe zudem vor, dass diese Angelegenheit in der Hoheit der Kantone liege und ihnen der Bund diesbezüglich keine Vorschriften machen könne.
In der Ratsdebatte während der Sondersession im Mai 2023 führte Thomas de Courten die Gründe für den Vorstoss noch einmal aus und erwähnte, dass er seinerzeit von zahlreichen Ratsmitgliedern «von links bis rechts» mitunterzeichnet worden sei. Nach der Repetition der schriftlichen Argumentation des Bundesrats durch die neue Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider stimmten nicht nur die geschlossene SVP-Fraktion, sondern auch sämtliche Mitglieder der GLP- und der FDP-Fraktion sowie mit Ausnahme der EVP-Mitglieder auch die Mitte-Fraktion dem Vorstoss zu. Die Unterstützung von links fehlte allerdings: Sowohl die SP- als auch die Fraktion der Grünen votierten geschlossen gegen die Motion. Mit 116 zu 70 Stimmen bei 1 Enthaltung wurde der Vorstoss an den Zweitrat überwiesen.

«Keine Benachteiligung älterer Menschen bei Anstellungen durch den Staat» (Mo. 21.3655)

Mit ihrer im September 2021 eingereichten Fraktionsmotion wollte die SVP die AB-BA abschaffen und die Aufsicht über die Bundesanwaltschaft wieder dem Bundesrat übertragen. In der nationalrätlichen Debatte in der Sondersession 2023 führte Pirmin Schwander (svp, SZ) für seine Fraktion die Argumente für diese Forderung aus. Er verwies auf den GPK-Bericht zum Aufsichtsverhältnis zwischen der Bundesanwaltschaft und der AB-BA, der unter anderem einen «modifizierten Status quo ante» vorgeschlagen hatte, also die Rückkehr zur Organisation der Bundesanwaltschaft vor der Reform des Strafbehördenorganisationsgesetzes von 2010. Auch wenn die GPK diesen Vorschlag damals verworfen habe, forderte die Motion der SVP, dass die Aufsicht über die Bundesanwaltschaft nicht mehr einem Fachgremium – der AB-BA –, sondern wieder dem Bundesgericht (fachliche Aufsicht) und dem Bundesrat (administrative Aufsicht) übertragen wird. Der GPK-Bericht, die «über 25-jährige unrühmliche Geschichte» der Bundesanwaltschaft und die Diskussionen um die Aufsicht hätten gemäss Schwander gezeigt, dass die Aufsicht wieder gestärkt werden müsse, indem sie wieder dem Bundesrat unterstellt wird. Im Moment herrsche zwar Ruhe, dies zeige aber, dass die Bundesanwaltschaft von Personen abhängig sei. Dies sei bei einer Reintegration in die Bundesverwaltung weniger der Fall. Man könne sich künftig keine «Affären in der Bundesanwaltschaft mehr leisten» und deshalb brauche es eine Organisation, die im Falle von Unstimmigkeiten rasch reagieren könne. «Und wer kann schneller reagieren als der Bundesrat?», fragte Schwander mit der Bitte, die Motion anzunehmen, die die Fraktion in ähnlicher Form bereits erfolglos als parlamentarische Initiative (Pa.Iv. 19.479) eingereicht hatte.
Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider erörterte die Position des Bundesrats, welcher der Meinung sei, dass sich das aktuelle Aufsichtsmodell grundsätzlich bewährt habe. Die judikativen Aufgaben der Bundesanwaltschaft bedingten eine Trennung von der Exekutive und auch deren Aufsicht müsse möglichst stark und unabhängig sein. Dem Bundesrat fehle es zudem an fachlicher Kompetenz, während eine Aufteilung zwischen Bundesrat und Bundesgericht – wie von 2002 bis 2011 – habe sich aufgrund einer unklaren Kompetenzenverteilung als schwierig erwiesen. Schliesslich verwies die Justizministerin auf den laufenden, von den Räten eingeleiteten Reformprozess (Mo. 21.3970 und Mo. 21.3972), der ebenfalls am jetzigen Modell festhalten, die von der GPK festgestellten Mängel aber im Sinne des «Status Quo Plus» beseitigen wolle.
Mit 122 zu 63 Stimmen (2 Enthaltungen) wollte die Mehrheit des Nationalrats ebenfalls den eingeschlagenen Weg fortführen und lehnte die Motion ab. Lediglich die geschlossen stimmende SVP-Fraktion und 13 der 14 anwesenden GLP-Mitglieder optierten für die Rückkehr zum alten Aufsichtsmodell.

Ersetzung der AB-BA durch bundesrätliche Aufsicht (Mo. 21.3988)
Dossier: Michael Lauber - Bundesanwalt

Aufgrund der Folgen verschiedener Krisen – etwa die Covid-19-Pandemie, der Ukraine-Krieg, die Energieknappheit oder die explodierenden Gesundheitskosten – müssten nun alle «den Gürtel enger schnallen», forderte Thomas Burgherr (svp, AG) im August 2022 mit einer Motion. Konkret müsse die Bundesverwaltung Einsparungen hinsichtlich Personalausgaben sowie für externe Dienstleistungen vornehmen. Es sei dem Bundesrat freigestellt, ob dies durch Reduktion der Personalzahlen oder durch Lohnkürzungen erreicht wird, so Burgherr in der Begründung seines Vorstosses. Es müsse aber ein Zeichen dafür gesetzt werden, dass nicht nur Bürgerinnen und Bürger, sondern auch der Staat spare.
In seiner Antwort betonte der Bundesrat, dass er trotz gestiegener Anforderungen an die Bundesverwaltung seit jeher sparsam mit den Mitteln umgehe und eine zurückhaltende Personalpolitik betreibe. Um «dem Gebot der Sparsamkeit» nachzukommen, würden Aufgaben laufend überprüft. Der Bundesrat beantragte die Ablehnung der Motion und Thomas Burgherr zog sie Anfang Mai 2023 zurück.

Einsparungen für externe Dienstleistungen (Mo. 22.3717)

Mit einer Reihe von Vorstössen wollte die SVP-Fraktion die Bundesausgaben reduzieren. Viel Potenzial versprach sie sich dabei von Einsparungen beim Bundespersonal. Mit einer entsprechenden Motion forderte die Partei im September 2022, die Zahl der Angestellten auf 35'000 Vollzeitstellen zu reduzieren und die Personalausgaben innerhalb von vier Jahren von «über sechs Milliarden Franken» auf CHF 5 Mrd. zu senken, wie Mike Egger (svp, SG) für seine Fraktion während der Debatte in der Sondersession 2023 ausführte. Der öffentliche Sektor umfasse aktuell (inklusive Kantone) fast eine Million Beschäftigte (etwa ein Viertel aller Arbeitskräfte in der Schweiz) und sei in den letzten zehn Jahren mit 13 Prozent stärker gewachsen als die Privatwirtschaft (8% Wachstum). Im Vergleich seien auch die Durchschnittslöhne in der Bundesverwaltung deutlich stärker gestiegen. Im Schnitt verdienten Verwaltungsangestellte CHF 126'000, während der mittlere Lohn «bei privaten Firmen» lediglich CHF 89'000 betrage. Mit entsprechendem Spardruck solle denn auch der Verzerrung auf dem Arbeitsmarkt begegnet werden, denn während es der Privatwirtschaft an Fachkräften mangle, habe der Bund diesbezüglich aufgrund der hohen Löhne kaum Probleme. Dies zwinge die Unternehmen, «an der Lohnschraube zu drehen», was deren Wettbewerbsfähigkeit reduziere.
Es handle sich beim Bund in vielen Fällen um Monopolberufe, wandte Barbara Gysi (sp, SG) ein und auch Finanzministerin Karin Keller-Sutter hob diesen Punkt hervor, als sie die ablehnende Haltung des Bundesrats gegenüber der Motion begründete: Sicherheitsberufe beim Fedpol, der Grenzsicherheit oder beim Nachrichtendienst könnten nicht einfach eingespart werden und stünden als hoheitliche Aufgaben des Bundes auch nicht im Wettbewerb mit der Privatwirtschaft. Würde die Motion angenommen, dann müssten nicht nur solche Monopolberufe gestrichen werden, sondern Einsparungen von «insgesamt 1.5 Milliarden Franken» innerhalb von vier Jahren gemacht werden, was etwa den Personalausgaben des EDI, des EJPD und des UVEK zusammen entspreche. «Es wären also sozusagen drei Departemente einzusparen», so die St. Galler Magistratin. Sie weise zudem gerne darauf hin, dass die Personalausgaben in den letzten Jahren trotz gestiegener Anforderungen gemessen an den Gesamtausgaben stabil bei acht Prozent geblieben seien. In der schriftlichen Begründung hatte der Bundesrat zudem angemerkt, dass das Parlament zuerst die Verwaltungsaufgaben reduzieren müsste, bevor bei der Verwaltung gespart werden könne. Im Moment sei aber eher das Gegenteil der Fall.
Mit Ausnahme der geschlossenen SVP-Fraktion stimmten alle Nationalratsmitglieder gegen die Motion, die damit mit 137 zu 50 Stimmen (5 Enthaltungen) abgelehnt wurde.

Sparen beim Bundespersonal (Mo. 22.3957)

Das Stimmrechtsalter 16 überzeuge nicht, kam die Mehrheit der SPK-NR in ihrem Bericht zur Vernehmlassung ihres Entwurfs für eine Einführung das aktiven Stimm- und Wahlrechts für 16-Jährige zum Schluss. Die Kommission beantragte deshalb mit 14 zu 11 Stimmen dem Nationalrat zum dritten Mal, die Idee zu sistieren. Schon im Mai 2020 hatte die SPK-NR beantragt, der parlamentarischen Initiative von Sibel Arslan (basta, BS) keine Folge zu geben. Sie wurde von der grossen Kammer in der Herbstsession 2020 aber genauso überstimmt wie in der Frühlingssession 2022 bei ihrem Antrag, die Initiative abzuschreiben. In der Folge musste die SPK-NR also einen Entwurf für eine Änderung des Artikels 137 BV ausarbeiten. Der bereits in der parlamentarischen Initiative gemachte Vorschlag, das aktive (nicht aber das passive) Stimm- und Wahlrecht auf 16 Jahre zu senken, vermochte aber erneut eine knappe Mehrheit der Kommission nicht zu überzeugen. Sie führte die Antworten der erwähnten Vernehmlassung als Argumente für diese negative Haltung ins Feld.

In der Tat widerspiegelte der Vernehmlassungsbericht die Unentschiedenheit in der Frage. Von 51 eingegangenen Stellungnahmen sprachen sich 27 für die Erweiterung der Stimmberechtigten um rund 130'000 Personen aus (die Stimmbevölkerung würde um rund 2.4 Prozent vergrössert), 21 lehnten sie ab und vier bezogen keine deutliche Position. Unter den Befürworterinnen und Befürwortern fanden sich sieben der 25 antwortenden Kantone – einzig der Kanton Zürich äusserte sich nicht zur Vorlage: Aargau, Bern, Basel-Stadt, Glarus, Jura, Graubünden und Solothurn. Auch die links-grünen Parteien (SP, die Grünen und Ensemble à Gauche) reihten sich ins Lager der Befürworterinnen und Befürworter ein. Bei den Verbänden äusserten sich der SGB und der SKV sowie alle 15 antwortenden Jugendorganisationen (Dachverband Offene Kinder- und Jugendarbeit Schweiz AFAJ, die Jugendsession, die Jugendparlamente aus Bern und Basel-Stadt, Jungwacht Blauring Jubla, Pfadibewegung Schweiz, das National Coalition Building Institute Suisse Schweiz NCBI, das Netzwerk Kinderrechte Schweiz, SAJV, Sexuelle Gesundheit Schweiz, UNICEF und Pro Juventute sowie die Jugendsektion der Mitte-Partei) dem Vorschlag gegenüber positiv. Zu den Gegnerinnen und Gegnern gehörten 15 Kantone (AG, AI, BL, LU, NE, NW, OW, SG, SH, SZ, TG, TI, VD, VS und ZG), die bürgerlichen Parteien (Mitte, FDP und SVP) sowie die Arbeitgeberverbände SGV und das Centre patronal (CP). Zudem äusserte sich eine Privatperson negativ. Neutrale Stellungnahmen gingen von den Kantonen Freiburg, Genf und Uri ein, die allerdings darauf hinwiesen, dass entsprechende Anliegen in ihren Kantonen gescheitert seien. Der Verein Schweizerischer Geschichtslehrerinnen und -lehrer (VSGS) schliesslich betonte, dass die Senkung des Wahl- und Stimmrechtsalters die politische Bildung festigen könnte, was einem Ziel der laufenden Reform des Gymnasiums entspreche.
Die Argumente in den Stellungnahmen waren nicht neu. Auf der Seite der Befürwortenden wurde ins Feld geführt, dass das Durchschnittsalter des Stimmkörpers gesenkt würde (das Medianalter liegt aktuell bei 57 Jahren), was ermögliche, das aktuelle und zukunftsweisende Entscheidungen auch von Jugendlichen mitgetragen werden könnten, was deren Legitimation stärke. Jugendliche interessierten sich für Politik, was sich durch die Senkung des Wahl- und Stimmrechtsalters weiter fördern lasse. Viele 16-jährige übernähmen Verantwortung im Berufsleben oder in Vereinen und dürften über ihr Einkommen, ihr Sexualleben und ihre Religionszugehörigkeit frei verfügen; entsprechend könnten sie auch politische Verantwortung übernehmen. Während die Auswirkungen dieser Änderung auf die Abstimmungsergebnisse in Anbetracht der Zahl 16-18-Jähriger gering bleiben dürften, sei die «demokratiepolitische Wirkung beträchtlich», so die entsprechende Zusammenfassung im Vernehmlassungsbericht.
Hauptargument der Gegnerinnen und Gegner war die Inkongruenz zwischen zivilrechtlicher Volljährigkeit und der Rechte von Bürgerinnen und Bürgern, die mit der Senkung des Wahl- und Stimmrechtsalters geschaffen würde. Jugendliche würden vor den Konsequenzen ihrer Handlungen geschützt, man würde ihnen aber das Recht geben, über gesellschaftliche Konsequenzen zu entscheiden. Es sei widersprüchlich, jemandem das Unterzeichnen von Verträgen zu verbieten, aber die demokratische Mitentscheidung zu erlauben. Kritisiert wurde zudem die vorgeschlagene Trennung zwischen aktivem und passivem Wahlrecht. Dies schaffe «Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse», zitierte der Bericht einige Stellungnahmen. Es sei wichtig, dass sich Jugendliche politisch interessierten, es bestünden aber bereits zahlreiche Möglichkeiten für politische Beteiligung (Familie, Schule, Jugendparlamente, Jungparteien). Es würde zudem zu Schwierigkeiten führen, wenn das Wahl- und Stimmrechtsalter bei nationalen und kantonalen Wahlen und Abstimmungen nicht gleich sei – etwa beim Versand des Stimmmaterials. Einige Gegnerinnen und Gegner äusserten zudem die Sorge, dass Jugendliche nicht die nötige Reife besässen, um politische Verantwortung zu übernehmen.
In zahlreichen Stellungnahmen wurde darüber hinaus darauf hingewiesen, dass mit Ausnahme des Kantons Glarus alle bisherigen Versuche, das Wahl- und Stimmrechtsalter auf kantonaler Ebene zu senken, gescheitert seien. Die Gegnerinnen und Gegner einer Senkung führten dies als Beleg ins Feld, dass die Zeit nicht reif sei für die Idee. Die Landsgemeinde im Kanton Glarus könne zudem nicht als positives Beispiel angeführt werden, weil sie ganz anders funktioniere als nationale Abstimmungen und Wahlen. Die Befürwortenden einer Senkung betonten hingegen, dass die Diskussion weitergehen müsse und die Ausweitung politischer Rechte in der Geschichte stets lange Zeit gedauert und mehrere Anläufe gebraucht habe. Zudem habe sich die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung noch nicht zu diesem Thema äussern können.

In ihrer Medienmitteilung sprach die SPK-NR von «insgesamt ablehnenden Ergebnisse[n]», die zeigten, dass die Initiative nicht weiterverfolgt werden solle. Es sei nicht «sinnvoll», zwei Kategorien von Stimmberechtigten zu schaffen, und «nicht opportun, zwischen dem bürgerlichen und dem zivilen Mündigkeitsalter zu unterscheiden». Weil eine Mehrheit der Kantone die Vorlage ablehne und auch eine Mehrheit der (kantonalen) Stimmberechtigten die Idee jeweils nicht gutgeheissen habe, empfehle die Mehrheit der SPK-NR die Vorlage zur Ablehnung und die Initiative zur Abschreibung. Den Befürworterinnen und Befürwortern empfahl sie als «besten Weg», eine Volksinitiative zu lancieren. Die starke Kommissionsminderheit betonte hingegen in der Medienmitteilung, dass die Vernehmlassungsantworten differenzierter betrachtet werden müssten und dass «die wichtige Frage der demokratischen Partizipation junger Bürgerinnen und Bürger» in einer nationalen Abstimmung diskutiert werden müsse. Der Nationalrat wird in der Sommersession 2023 über den Antrag der Kommission entscheiden.

In den Medien wurde der Antrag der Kommission als «Dämpfer» bezeichnet. Die Medien zitierten die SP und die Grünen, die mit Empörung reagierten, den Entscheid als «Affront à la volonté de la jeune génération» bezeichneten, wie Le Temps zitierte, und auf eine Korrektur im Nationalrat hofften.

Aktives Stimm- und Wahlrecht für 16-Jährige (Pa.Iv. 19.415)
Dossier: Stimmrechtsalter 16

In den letzten Jahren gab es einige Vorstösse, mit denen Parlamentsmitglieder etwas gegen die wachsende Geschäftslast im Parlament unternehmen wollten. Freilich blieben diese Anliegen stets ohne Erfolg. Einen neuen Ansatz in dieser Sache verfolgte Matthias Jauslin (fdp, AG): Der FDP-Nationalrat wollte mit seiner parlamentarischen Initiative «Guillotine-Klausel bei hängigen Vorstössen verhindern!» dafür sorgen, dass das Parlament dank Optimierungen zukünftig mehr Vorstösse behandelt. Der Aargauer Nationalrat stiess sich an Art. 119 Absatz 5 des Parlamentsgesetzes, der vorsieht, dass innert zwei Jahren unbehandelte Vorstösse automatisch abgeschrieben werden. Diese unbehandelten Abschreibungen könnten insbesondere im Nationalrat durch verschiedene Massnahmen reduziert werden, etwa durch eine Verkürzung der Beratungszeiten, durch die Behandlung gewisser Vorstösse in einem schriftlichen Verfahren, durch einen Verzicht auf Debatten, durch eine Priorisierung von Vorstössen zu wichtigen Themen, in denen eine hohe Zahl von Vorstössen auf die Behandlung wartet, oder durch die Abkürzung von Beratungen zu parlamentarischen Initiativen, bei der sich eine Kommission gegen Folgegeben ausgesprochen hatte. Um die Geschäftslast dennoch zu begrenzen, schlug Jauslin darüber hinaus vor, die Zahl der Vorstösse, die ein Ratsmitglied pro Session einreichen darf, zu begrenzen.
Mit 18 zu 6 Stimmen wollte die SPK-NR den Auftrag zur Prüfung von Optimierungsmöglichkeiten allerdings nicht entgegennehmen und empfahl entsprechend, der Initiative keine Folge zu geben. Sie teile zwar die Meinung des Initianten, dass das zentrale Recht der Parlamentsmitglieder, mittels Vorstössen den Auftrag ihrer Wählerinnen und Wähler umzusetzen, durch die Guillotine-Klausel beschnitten werde, die von Jauslin vorgeschlagenen Massnahmen seien jedoch nicht zielführend. So seien zwischen 2008 und 2022 jedes Jahr durchschnittlich 1.7 Motionen pro Ratsmitglied eingereicht worden. Eine Optimierung könne lediglich mit einer Senkung dieser Zahl erreicht werden, was einer Begrenzung auf eine Motion pro Jahr und Ratsmitglied und damit einer gravierenden Einschränkung der parlamentarischen Rechte gleichkäme. Zudem würde mit einer Verschriftlichung der Beratungen eine ebenfalls ungewollte Einschränkung der wichtigen politischen Debatte in Kauf genommen. Das diskussionslose Überweisen zahlreicher Motionen an den Zweitrat wäre nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ eine Überforderung des Letzteren, weil dieser keine Anhaltspunkte habe, mit welchen Argumenten der Erstrat eine Motion annehmen oder einer parlamentarische Initiative Folge geben wolle.
In ihrem Bericht versprach die SPK-NR allerdings, sich des Problems der Guillotine-Klausel anzunehmen. Sie wolle verschiedene Vorschläge prüfen und allenfalls eine Kommissionsinitiative dazu einreichen. So könnte etwa über Motionen und Postulate, die nach zwei Jahren nach wie vor unbehandelt sind, ohne Debatte abgestimmt werden, thematisch ähnliche Vorstösse könnten gebündelt und ohne Rederecht der Urheberinnen und Urheber behandelt werden. Auch könnte geprüft werden, ob hängige Motionen in Anträge in einem Bundesratsgeschäft umformuliert werden könnten, es könnten vermehrt Sondersessionen zur Behandlung von Vorstössen genutzt werden oder man könnte den Kommissionen die Möglichkeit geben, von der Guillotine-Klausel bedrohte Motionen und Postulate als Kommissionsvorstösse neu einzureichen.
Der Nationalrat wird in der Sommersession 2023 über den Antrag der SPK-NR entscheiden.

Guillotine-Klausel bei hängigen Vorstössen verhindern! (Pa.Iv. 22.480)

Ende März veröffentlichte die SPK-SR den Bericht zur Vernehmlassung der Umsetzung der vier Standesinitiativen (ZG: 19.311, BL: 20.313, LU: 20.323, BS: 21.311), die eine bessere Vereinbarkeit von Mutterschaft und Parlamentsmandat verlangen. Konkret sollen Frauen nach der Geburt eines Kindes ihre Mutterschaftsentschädigung nicht mehr verlieren, wenn sie ein politisches Legislativmandat wahrnehmen. Aktuell erlischt der Anspruch, wenn eine Erwerbstätigkeit wieder aufgenommen wird, wozu auch die Arbeit als Parlamentarierin gezählt wird. Dies führt dazu, dass gewählte Parlamentarierinnen entweder nicht an Sitzungen teilnehmen oder aber den Auftrag der Wählenden wahrnehmen, dadurch aber auf ihre Entschädigung verzichten müssen. Dies soll mit einer Revision des Erwerbsersatzgesetzes geändert werden. Die Vorlage sieht vor, dass eine Teilnahme an Plenar- oder Kommissionssitzungen auf allen drei föderalen Ebenen durch eine Frau – Männer bzw. Vaterschaftsurlaubsregelungen wurden explizit ausgenommen – deren Anspruch auf Mutterschaftsentschädigung nicht mehr beeinträchtigt, es sei denn, es bestehe eine Stellvertretungslösung.

Die Mehrheit der 53 eingegangenen Stellungnahmen in der Vernehmlassung unterstützten den Umsetzungsvorschlag. Von den 25 antwortenden Kantonen (GR hatte auf eine Stellungnahme verzichtet), sprachen sich 18 dafür aus, Aargau, Nidwalden und Genf wollten die Einschränkung durch die Stellvertreterlösungen streichen und Solothurn wollte nicht bloss Plenar- und Kommissionssitzungen, sondern sämtliche mit einem Mandat verbundenen Tätigkeiten aufführen. Gegen die Vorlage stellten sich Appenzell Ausserrhoden, Thurgau und Schwyz, die eine Aufweichung des Mutterschutzes befürchteten: Die Regelung könnte dazu führen, dass sich Mütter mit einem politischen Mandat verpflichtet fühlten, ihren Mutterschaftsurlaub zu unterbrechen, so die Begründung. EVP, FDP, GLP, GP, Mitte und SP begrüssten die geplante Umsetzung, die SVP lehnte sie ab, weil sie eine Besserbehandlung von Politikerinnen gegenüber anderen berufstätigen Frauen bedeute. Umstritten war die Vorlage bei den Verbänden. Bei den Gewerkschaften begrüsste der SGB die Vorlage grundsätzlich, warnte aber vor weiteren Lockerungen; Travail.Suisse stellte sich gegen jegliche Lockerung des Mutterschutzes und lehnte die Vorlage ab. Die Arbeitgeberverbände (SAV und SGV) kritisierten die Ungleichbehandlung und forderten eine Lockerung der Kriterien für Mutterschaftsurlaub für alle Frauen, standen der Vorlage also eher ablehnend entgegen. Verschiedene Frauenverbände (AllianceF, SKG und SVF) begrüssten die Vorlage zwar, verlangten aber weitere Flexibilisierungen hinsichtlich zeitlicher Gestaltung des Mutterschaftsurlaubs generell und einen Verzicht auf die Ausnahme hinsichtlich Stellvertretungsregelung. Es könne bei Kommissionssitzungen, die häufig Stellvertretungsregelungen kennen, wichtig sein, persönlich anwesend zu sein.
Die SPK-SR beschloss aufgrund der Vernehmlassungsresultate, an der ursprünglichen Lösung festzuhalten und lediglich die Teilnahme an Kommissions- und Plenarsitzungen zu regeln, im Falle von möglichen Stellvertretungslösungen aber keine Ausnahmen zu machen. Die Vorlage geht in die parlamentarische Beratung.

Mutterschaft und Parlamentsmandat (Kt.Iv. 19.311, Kt.Iv.20.313, Kt.Iv.20.323 und Kt.Iv.21.311)
Dossier: Frauenanteil im Parlament
Dossier: Vereinbarkeit der Parlamentsarbeit mit Familie und Beruf

Ende März 2023 legte der Bundesrat seinen Bericht zur Erfüllung dreier Postulate vor, die eine Diskussion von Möglichkeiten für eine verbesserte Krisenorganisation der Exekutive verlangt hatten (Po. 21.3205; Po. 21.3449; Po. 22.3343). Im Kern gehe es im Bericht darum, Instrumente zu finden, mit denen Krisen antizipiert werden können, mit denen erste Schritte zur Bewältigung einer Krise besser geplant werden können und mit denen die Aufgabenteilung zwischen verschiedensten Akteurinnen und Akteuren (Verwaltung, Kantone, Wissenschaft, Akteure aus Wirtschaft und Zivilgesellschaft) besser koordiniert bzw. diese einbezogen werden können. In verschiedenen Auswertungen zum Verhalten in bisherigen Krisen (etwa die erste und zweite Auswertung des Krisenmanagements während der Covid-19-Pandemie der BK, die Auswertungen der KdK zum Krisenmanagement aus Sicht der Kantone und zur Zusammenarbeit von Bund und Kantonen in der Covid-19-Epidemie sowie der Evaluation der GPK zur Krisenorganisation des Bundes) waren verschiedene Erkenntnisse gewonnen worden: Der Einstieg in die Krisenbewältigung sei ungenügend gewesen, weil die mangelnde Antizipation zu einem zu wenig ganzheitlichen und überdepartementalen Zugang und einer ungenügenden Inklusion von Fachbereichen geführt habe. Auch der Einbezug Dritter sei zu wenig systematisch erfolgt. Die Covid-19-Pandemie habe diesbezüglich gezeigt, wie wichtig auch der Einbezug wissenschaftlicher Expertise sei. Die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft sei damals aber von Misstrauen geprägt und die Aufgabenteilung zwischen Behörden und Expertinnen und Experten sei nicht geregelt gewesen. Schliesslich seien die aufgrund der Auswirkungen der Krise stark belasteten Verwaltungseinheiten zu wenig unterstützt worden.
Auf der Basis dieser Erkenntnisse wurden im Bericht vier Eckpunkte hervorgehoben, die künftig für eine Verbesserung der Krisenorganisation gelten sollen: Erstens soll eine Krise so lange wie möglich in den ordentlichen Strukturen angegangen werden. Zweitens sollen Krisenstäbe Leistungen beziehen, die von einem permanenten Kernstab angeboten werden, der im Krisenfall aus dafür ausgebildeten Mitarbeitenden aus dem VBS, dem Fedpol und der BK bestehen soll. Zu diesen Leistungen gehören etwa die Organisation und Planung des Einbezugs der Kantone und der Wissenschaft sowie Angebote für den Austausch von Informationen. Drittens unterstellt der Bundesrat dem bei einer Krise federführenden Departement einen «Politisch-Strategischen Krisenstab» (PSK) und einen «Operativen Krisenstab» (OPK). Der PSK setzt sich aus den Generalsekretariaten der von der Krise betroffenen Departementen und den beiden Vizekanzlerinnen oder Vizekanzlern und falls nötig dem Bundeskanzler oder der Bundeskanzlerin zusammen. Beigezogen werden können auch die «Querschnittämter» EFV, BJ und SECO und bei Bedarf weitere Bundesämter. Aufgabe des PSK ist die Vorbereitung von Entscheidungsgrundlagen und die Koordination zwischen den verschiedenen Verwaltungsstellen. Der OPK leistet dem PSK Hilfe bei der Koordination und bei der Bereitstellung von Unterlagen. Viertens zieht der PSK unter der Verantwortung des federführenden Departements die Kantone und die Wissenschaft und wenn nötig weitere relevante Akteure aus Wirtschaft oder Zivilgesellschaft «systematisch» mit ein.
Der Bundesrat wolle nun bis Ende 2023 die rechtlichen Grundlagen für die Krisenstäbe und den permanenten Kernstab erarbeiten, so der Bericht abschliessend.

Institutionelle Krisenresistenz des Bundesrates (Po. 22.3343)
Dossier: Institutionelle Krisenresistenz des Bundesrats

Mitte März 2023 legte der Bundesrat den Bericht zum Postulat von Andri Silberschmidt (fdp, ZH) vor, in dem die Ausübung des Stimmrechts aus dem Ausland untersucht wurde. Gemäss Postulat war zu prüfen, wie der Versand des Stimmmaterials an Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer funktioniert und ob die Stimmabgabe vereinfacht werden könnte. Rund 214'000 Schweizerinnen und Schweizer, die im Ausland ihren Wohnsitz haben, waren 2022 in einem Stimmregister eingetragen und entsprechend stimmberechtigt. Der postalische Weg der Stimmabgabe verhindert – abhängig etwa von der Leistung der Postsysteme im Ausland – ab und zu die rechtzeitige Abgabe der Stimme, was laut Bericht immer wieder vor allem zu Interpellationen führe.
Die Resultate des Berichts basierten unter anderem auf einer Befragung der im Ausland wohnhaften Stimmberechtigten aus fünf Kantonen (AG, FR, GE, LU, TI). Diese habe gezeigt, dass «die Stimmunterlagen bei einer überwiegenden Mehrheit» der Befragten rechtzeitig einträfen. In Europa wohnhafte Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer erhielten das Stimmmaterial häufig gar noch vor den in der Schweiz wohnhaften Stimmberechtigten. Einzig in weiter entfernten Ländern (Australien, Neuseeland, Philippinen, Südafrika und Uruguay) komme es zu «Unzulänglichkeiten bei der Zustellung der Unterlagen». Die getesteten Optionen für eine Beschleunigung des Versands (z.B. Vorverlegung des Versands, Kurierdienste, Versand an Adresse in der Schweiz, Stimmabgabe durch Stellvertretung, E-Versand) seien weniger vielversprechend als E-Voting, das auch deshalb weiterverfolgt werden solle, so der Bericht.

Stärkung der Partizipation von Auslandschweizern und Auslandschweizerinnen (Po. 20.4348)

In der Frühjahrssession 2023 beugten sich die Räte über die Differenzen der Vorlage, die aus zwei parlamentarischen Initiativen der SPK-NR, mit denen die Handlungsfähigkeit des Parlaments in Krisensituationen (Pa.Iv. 20.437) sowie die Kontrolle des bundesrätlichen Notrechts in Krisen (Pa.Iv. 20.438) verbessert werden soll, hervorgegangen war.
Die einzige, aber umstrittene verbliebene Differenz bestand in der Frage, ob eine neue Verwaltungskommission geschaffen werden soll, mit der die aktuelle Verwaltungsdelegation (VD) ersetzt werden soll. Im Unterschied zu Letzterer, die aus sechs Mitgliedern besteht (je drei aus dem Büro-SR und dem Büro-NR), bestünde das neue Gremium aus 10 Mitgliedern (je vier gewählte Stände- bzw. Nationalrätinnen oder -räte und die beiden Ratspräsidien), wäre neu eine ständige Kommission und entsprechend unabhängiger von den wechselnden Ratspräsidien und den Büros. Die Skepsis gegen eine solche «parlamentarische Führungsreform» sei gross, erörterte Andrea Caroni (fdp, AR) im Ständerat für die SPK-SR. Eine von den anderen Leitungsorganen derart abgekoppelte Kommission würde in einer Krise Abläufe wohl eher verzögern. Die SPK-SR verschliesse sich nicht einer Diskussion über Änderungen der Organe, aber eine solche solle nicht in dieser Vorlage umgesetzt werden, welche ja primär auf die Krisenresistenz des Parlaments fokussiere. Die Kommission empfehle entsprechend Festhalten am ursprünglichen ständerätlichen Entscheid, also ein gänzlicher Verzicht auf eine Verwaltungskommission. Dafür biete man gerne Hand für eine neue Vorlage, mit der aber nicht unbedingt ein neues Gremium eingeführt, sondern die VD gestärkt werden könne, um die Aufsicht über die Parlamentsdienste zu verbessern. Auch Thomas Hefti (fdp, GL) meldete sich zu Wort. Er habe fünf Jahre im Büro und drei Jahre in der VD gesessen und frage sich, was der Nationalrat bzw. die SPK-NR an der VD zu bemängeln hätten. Die aus den Ratsprotokollen herleitbaren Vorwürfe – Mangel an Kontinuität, an Legitimität, an Sozialkompetenz und an Unabhängigkeit – seien einfach zu entkräften und er hoffe, dass der Nationalrat die Vorlage in einen unbestrittenen Teil und den Teil mit der Frage nach der Verwaltungskommission splitte, um die Vorlage nicht zu gefährden. Diskussionslos folgte die kleine Kammer in der Folge ihrer SPK-SR und entschied sich für Festhalten.

In der zweiten Sessionswoche wurde die Differenz im Nationalrat diskutiert. Für die SPK-NR sprachen Gregor Rutz (svp, ZH) und Damien Cottier (fdp, NE). Sie berichteten, dass die Kommission in der Tat zwei Teile der Vorlage sehe, einen unbestrittenen Teil, dank dem sich das Parlament in Krisenzeiten neu rascher versammeln und Beschlüsse fassen kann, sowie den Teil mit der Leitung von Parlament und Parlamentsdiensten. Es sei eben für die Handlungsfähigkeit des Parlaments wichtig, dass dessen Leitung unabhängig sei und über genügend Ressourcen verfüge, um Sitzungen auch in Krisenzeiten vorbereiten zu können. Dieser Teil lasse sich darum eben eigentlich nicht abtrennen, wie vom Ständerat mit seinem Festhalteentscheid vorgeschlagen. Trotzdem empfehle die SPK-NR, dem Ständerat zu folgen und die Idee einer Verwaltungskommission ganz aus der Vorlage zu streichen. Es werde aber eine Kommissionsinitiative lanciert, mit der die Diskussion um eine Reform über die Parlamentsleitung neu angestossen werden soll. Auch die grosse Kammer folgte ihrer Kommission diskussionslos.

Die Vorlage musste in der Folge noch einmal in den Ständerat, weil dieser vor der Differenzbereinigung als Entgegenkommen eine interne Revisionsstelle in der VD vorgeschlagen hatte. Diese war nun hinfällig und musste auch von der kleinen Kammer noch gestrichen werden, was wiederum diskussionslos geschah.

In den Schlussabstimmungen passierten Bundesgesetz und Verordnung beide Kammern einstimmig (NR: 197 zu 0 Stimmen, keine Enthaltung; SR: 42 zu 0 Stimmen, keine Enthaltung). Neu können also in Krisenzeiten ausserordentliche Sessionen rascher einberufen, virtuelle Teilnahmen an Ratssitzungen ermöglicht sowie Rats- oder Kommissionssitzungen gänzlich virtuell durchgeführt werden. Darüber hinaus muss der Bundesrat zu einer gleichlautenden, von den Kommissionen beider Räte und spätestens eine Woche vor einer Session eingereichten Motion noch in der gleichen Session bis zur Beratung der entsprechenden Motion Stellung nehmen.

Kontrolle von Notrecht und Handlungsfähigkeit des Parlaments in Krisensituationen verbessern (Pa.Iv. 20.437, Pa.Iv 20.438))
Dossier: Parlament in Krisensituationen

Im März 2023, zwei Jahre nach ihrer Einreichung, wurde die Motion von Thomas Burgherr (svp, AG) unbehandelt abgeschrieben. Sie hätte eine Beschränkung der Befugnisse des Bundesrates im Epidemiengesetz verlangt. In besagtem Gesetz ist die Kompetenz der Regierung verankert, in ausserordentlichen Lagen Notverordnungen und Massnahmen zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung zu verfügen. Burgherr forderte in seinem Vorstoss eine Befristung bundesrätlicher Notbeschlüsse und -massnahmen und einen Einbezug des Parlaments.
Der Bundesrat hatte die Motion im Mai 2021 zur Ablehnung empfohlen. In seiner Stellungnahme, die identisch mit jener zur Motion Strupler (svp, TG; Mo. 21.3315) war, wies er darauf hin, dass einerseits eine Revision des Epidemiengesetz auf Basis einer Evaluation der Rolle der verschiedenen Akteure während der Pandemie vorgesehen sei. Andererseits befasse sich die SPK-NR intensiv mit der Frage, wie das Parlament in einer Krisensituation besser einbezogen werden könne. Die Motion würde beiden Arbeiten vorgreifen.

Beschränkung der Macht des Bundesrates im Epidemiengesetz (Mo. 21.3323)
Dossier: Vorstösse für ein Veto des Parlamentes gegen Verordnungen des Bundesrates
Dossier: Parlament in Krisensituationen