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Sowohl der Stände- als auch der Nationalrat nahmen in der Herbstsession 2023 vom bundesrätlichen Bericht «Lagebeurteilung Beziehungen Schweiz-EU», den der Bundesrat in Reaktion auf zahlreiche politische Vorstösse nach dem Verhandlungsabbruch mit der EU erarbeitet hatte, Kenntnis.

Im Nationalrat stellten die Kommissionssprecherinnen Crottaz (sp, VD) und Moser (glp, ZH) den Bericht vor. Der Bundesrat analysiere darin vier zukünftige Handlungsoptionen in Form einer reinen Freihandelslösung, dem EWR- oder dem EU-Beitritt sowie der Fortsetzung des bilateralen Weges, erklärten sie. Er sei dabei zum Schluss gekommen, dass der bilaterale Weg nach wie vor die beste Option sei, die Beziehungen mit der EU stabil zu gestalten.
Anschliessend nahmen die Fraktionen den Bericht zum Anlass, um ihre eigene Vision der zukünftigen Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU zu skizzieren. Während Roland Fischer (glp, LU) für die GLP-Fraktion und Nicolas Walder (gp, GE) für die Grünen den EWR- oder gar den EU-Beitritt als sinnvollste Lösung respektive zweckmässigen Plan B bezeichneten, stiess das bundesrätliche Votum für die Weiterentwicklung des bilateralen Weges bei der Mitte-Fraktion auf Wohlwollen: Elisabeth Schneider-Schneiter (mitte, BL) betonte, dass die Mitte den Paketansatz des Bundesrates, bei welchem institutionelle Fragen in jedem einzelnen Abkommen geregelt würden, unterstütze. Für die SP-Vertreterin Claudia Friedl (sp, SG) wiederum stand der Aspekt der Dringlichkeit im Vordergrund: Der bilaterale Weg müsse rasch ausgebaut und stabilisiert werden. «Ohne eine institutionelle Lösung mit der EU werden keine bestehenden Marktabkommen mehr aufdatiert und keine neuen Marktabkommen abgeschlossen werden können», betonte sie. Darunter litten viele Branchen sowie auch der Forschungsplatz Schweiz. Für Hans-Peter Portmann (fdp, ZH) von der FDP.Liberalen-Fraktion waren noch viele Fragen zum weiteren Vorgehen ungeklärt. Er stellte dem Bundesrat daher beispielsweise die Frage, ob derzeit parallel zur Aktualisierung der Bilateralen I und II auch neue Abkommen verhandelt werden könnten. Im Namen der SVP-Fraktion verlangte Roger Köppel (svp, ZH) schliesslich vom Bundesrat, dass die Schweiz weiterhin unabhängig bleibe und sich nicht der «europäischen Fremdherrschaft» unterwerfe.

Im Ständerat stellte Pirmin Bischof (mitte, SO) seitens der APK-SR den Bericht detailliert vor. Für die Kommission stehe ebenfalls der bilaterale Weg im Fokus. Alles andere sei derzeit nicht realistisch und habe negative Auswirkungen entweder auf den Wohlstand oder die Unabhängigkeit der Schweiz. Benedikt Würth (mitte, SG) erläuterte, dass die Kommission den Bundesrat anlässlich der Konsultation um Ergänzungen im Bericht zur Streitbeilegung mit der EU gebeten habe. Dem sei der Bundesrat nachgekommen. Offen blieb für Würth jedoch die Frage, was der Paketansatz des Bundesrates genau beinhalte, also konkret, ob die Schweiz beispielsweise einzeln Ja oder Nein zu einem Stromabkommen sagen könnte. Die kleine Kammer ging ebenfalls kurz auf die Motion 22.3891 des Nationalrates ein, welche einen einfachen Bundesbeschluss zum vorliegenden Bericht erwirken wollte. Der Ständerat lehnte dieses Ansinnen ab. Carlo Sommaruga (sp, GE) schlug im Gegenzug vor, dass die Räte eine gemeinsame politische Erklärung abgeben, um den Bundesrat auf seinem europapolitischen Weg zu unterstützen. Ein solches Vorgehen sei sinnvoller als die Annahme einer Motion, deren Umsetzung sehr viel Zeit in Anspruch nehmen werde. Während Andrea Gmür-Schönenberger (mitte, LU) anschliessend die Dringlichkeit neuer Verhandlungen betonte, da insbesondere der Forschungs- und Wirtschaftsstandort Schweiz unter der jetzigen Situation leide, zeigte sich Thomas Hefti (fdp, GL) pessimistisch in Bezug auf das zukünftige Verhältnis Schweiz-EU, wobei er befürchtete, dass die Schweiz zur Erzielung einer Lösung mit der EU ihre zentralen Werte aufs Spiel setzen könnte.

Parlamentarische Vorstösse in Reaktion auf den Abbruch der Verhandlungen über das institutionelle Rahmenabkommen (Po. 13.3151, Po. 14.4080, Po. 17.4147, Po. 21.3618, Po. 21.3654, Po. 21.3667, Po. 21.3678, Mo. 21.4184, Po. 21.4450, Po. 22.3172, BRG. 23.052)
Dossier: Institutionelles Rahmenabkommen
Dossier: Entwicklung der bilateralen Beziehungen mit der EU nach dem Scheitern des Rahmenabkommens

Im Dezember 2022 verabschiedete der Bundesrat den Bericht «Lagebeurteilung Beziehungen Schweiz-EU» unter Vorbehalt der Ergebnisse der Konsultation der Aussenpolitischen Kommissionen ein erstes Mal. Nach erfolgter Konsultation Anfang 2023 publizierte der Bundesrat im Juni 2023 schliesslich die definitive Fassung des Berichts in Erfüllung diverser Postulate und einer Motion, die mehrheitlich nach dem Abbruch der Verhandlungen über das institutionelle Rahmenabkommen im Mai 2021 eingereicht worden waren. Konkret beantwortete der Bericht die Anliegen der folgenden parlamentarischen Vorstösse: Postulat Aeschi (svp, ZG; Po. 13.3151); Postulat Grüne Fraktion (Po. 14.4080); Postulat Naef (sp, ZH; Po. 17.4147); Postulat der sozialdemokratischen Fraktion (Po. 21.3618); Postulat Cottier (fdp, NE; Po. 21.3654); Postulat Grüne Fraktion (Po. 21.3667); Postulat Fischer (glp, LU; Po. 21.3678); Postulat Z'graggen (mitte, UR; Po. 21.4450); Postulat Maître (mitte, GE; Po. 22.3172); sowie die Motion Minder (parteilos, SH; Mo. 21.4184).
In seinem Bericht schätzte der Bundesrat zum einen den bisherigen bilateralen Weg der Schweiz ein und gab zum anderen einen Ausblick auf die zukünftigen Beziehungen zur EU. Einleitend konstatierte der Bundesrat, dass sich die EU stärker als früher als «geopolitischer Akteur positioniere».

Die gezogene Zwischenbilanz zum bisherigen bilateralen Weg orientierte sich an den Staatszielen der Eidgenossenschaft gemäss Bundesverfassung, namentlich der Wahrung von Unabhängigkeit und Sicherheit, der gemeinsamen Wohlfahrt, dem Einsatz für den Frieden und der nachhaltigen Entwicklung. Der Bundesrat hielt in seinem Bericht fest, dass sich die Schweiz in einer interdependenten Welt ein Gleichgewicht zwischen Unabhängigkeit und zwischenstaatlicher Einbindung schaffen wolle, um sich einen grösstmöglichen Handlungsspielraum zu bewahren. Der bilaterale Weg habe dieses Gleichgewicht zwar gewährleistet, jedoch fehle eine Vereinbarung hinsichtlich Streitbeilegung mit der EU, welche einen Schutz vor willkürlichen oder unverhältnismässigen Sanktionsmassnahmen der EU bieten würde. In Bezug auf das Kriterium «Wohlstand» hielt der Bundesrat fest, dass nicht nur die Binnenmarktbeteiligung, sondern vor allem die Kooperation in den Bereichen «Bildung, Forschung und Innovation» für die positive Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte massgeblich gewesen sei. Bezüglich «Frieden und Sicherheit» sei die Schweiz zwar eine eigenständige Akteurin, da sich ihre Interessen aber meist mit jenen der EU decken würden, sei diese eine natürliche Partnerin. Das erkläre auch die regelmässige Übernahme von EU-Sanktionen, beispielsweise angesichts des Ukraine-Kriegs. Durch die bilateralen Abkommen sei die Schweiz im Bereich «Justiz» stark in die EU-Strukturen integriert. So gelte die Reisefreiheit dank der Schengen-Assoziierung für Bürgerinnen und Bürger als selbstverständlich, diese gehe aber auch mit einer intensiven Sicherheitszusammenarbeit einher. Auch im Rahmen der Nachhaltigkeitspolitik verfolge die Schweiz die gleichen Ziele wie die EU. Auf Basis dieser Übereinstimmung sei unter anderem das weltweit erste internationale Abkommen zur Verknüpfung von Emissionshandelssystemen abgeschlossen worden. Auffällig sei jedoch das Fehlen eines Energie- und eines Gesundheitsabkommens mit der EU.

Der Ausblick des Bundesrates auf die zukünftigen bilateralen Beziehungen umfasste vier mögliche Handlungsoptionen: ein reines Freihandelsverhältnis, eine Fortsetzung des bilateralen Wegs, ein Beitritt zum EWR oder ein Beitritt zur EU. Diese vier Alternativen wurden nach deren «Grad an Binnenmarktbeteiligung», der «Möglichkeit von Kooperationen», dem «politischen Handlungsspielraum» und der «aussenpolitischen Machbarkeit» bewertet. Bei einem reinen Freihandelsverhältnis müsste die Schweiz ihre wirtschaftliche Verflechtung mit der EU reduzieren und die Rechtsharmonisierung aufheben. Das würde zwar zu mehr wirtschaftlicher Eigenständigkeit führen, hätte aber auch neue wirtschaftliche Sachzwänge zur Folge. Bei einem Beitritt zum EWR könnte die Schweiz ihre eigenständige Handelspolitik und die Mitwirkung an EU-Programmen und Schengen/Dublin wahren und wäre am EU-Binnenmarkt beteiligt. Jedoch vermutete der Bundesrat, dass die Pflichten der Schweiz als EWR-Mitglied «deutlich weiter gehen als die Mitwirkungsrechte». Ein EU-Beitritt wurde eher negativ bewertet, da dieser über die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Schweiz hinausgehe und den Handlungsspielraum der Schweiz stark einengen würde. Am positivsten wurde die Fortsetzung des bilateralen Wegs eingeschätzt, jedoch sei dessen aussenpolitische Machbarkeit fraglich geworden. Die EU mache ihre Bereitschaft zur Fortsetzung vom Ausbau der institutionellen Bedingungen abhängig, für die noch keine beiderseitig akzeptierten Lösungen gefunden worden seien.

Der Bundesrat resümierte am Ende des Berichts seine Bemühungen seit dem Verhandlungsabbruch 2021. Direkt im Anschluss habe er einen Bericht zur Analyse der Regelungsunterschiede zwischen der Schweiz und der EU in Auftrag gegeben, um die Möglichkeit eines Abbaus derselben zu prüfen. Zudem habe er als zusätzliche Verhandlungsplattform einen strukturierten politischen Dialog vorgeschlagen. Im Februar 2022 habe der Bundesrat dann seine neue Stossrichtung für das weitere Vorgehen in den Beziehungen zur EU festgelegt und basierend darauf Sondierungsgespräche aufgenommen. Schliesslich kündigte er an, dass er bis Ende Juni 2023 die Eckwerte eines neuen Verhandlungsmandats vorlegen werde, um die Grundlage für neue Verhandlungen zu schaffen.

Parlamentarische Vorstösse in Reaktion auf den Abbruch der Verhandlungen über das institutionelle Rahmenabkommen (Po. 13.3151, Po. 14.4080, Po. 17.4147, Po. 21.3618, Po. 21.3654, Po. 21.3667, Po. 21.3678, Mo. 21.4184, Po. 21.4450, Po. 22.3172, BRG. 23.052)
Dossier: Institutionelles Rahmenabkommen
Dossier: Entwicklung der bilateralen Beziehungen mit der EU nach dem Scheitern des Rahmenabkommens

Im September 2020 wollte Roland Fischer (glp, LU) den Bundesrat mittels einer Motion dazu bringen, die Botschaft zum Rahmenabkommen bis Ende 2020 zuhanden des Parlaments zu verabschieden. Der Bundesrat habe im Dezember 2018 Kenntnis vom Verhandlungsergebnis genommen und danach eine Konsultation durchgeführt, jedoch nur Klarstellungen und keine Nachverhandlungen beschlossen. Das Parlament habe sich in den vergangenen zwei Jahren nicht ordentlich mit dem Rahmenabkommen befassen können, was demokratiepolitisch problematisch sei, begründete der Motionär sein Anliegen. Der Bundesrat beantragte die Ablehnung der Motion und argumentierte in seiner Stellungnahme, dass er nach der Konsultation der Sozialpartner und Kantone im November 2020 seine Positionen festgelegt und die Wiederaufnahme der Gespräche angekündigt habe. Er werde das InstA nur dann unterzeichnen, wenn für die offenen Punkte zufriedenstellende Lösungen gefunden würden. Erst danach würde er die geforderte Botschaft verabschieden und sie dem Parlament unterbreiten.
In der Frühjahrssession 2022 und damit knapp eineinhalb Jahre später gelangte der Vorstoss in den Nationalrat. Motionär Fischer räumte ein, dass die Frist der Motion aufgrund der unterdessen abgebrochenen Verhandlungen über das Rahmenabkommen «etwas entrückt» sei. Trotzdem seien die institutionellen Fragen, die das Rahmenabkommen hätte klären sollen, weiterhin aktuell. Fischer kritisierte den Bundesrat dafür, eine horizontale Lösung der institutionellen Fragen (also ein Rahmenabkommen 2.0) «vorschnell» ausgeschlossen zu haben. Er bezweifelte, dass die EU den vertikalen Ansatz des Bundesrats – die Lösung der institutionellen Fragen separat in den einzelnen Abkommen statt allgemeingültig wie im Rahmenabkommen – goutieren würde. Daher schlug er vor, seine Motion so zu interpretieren, dass sie vom Bundesrat auch die Erarbeitung einer horizontalen Lösung für die anstehenden Verhandlungen verlange. Er forderte den Bundesrat ausserdem dazu auf, das Verhandlungsergebnis anschliessend dem Parlament vorzulegen und «es nicht wieder eigenmächtig zu versenken». Bundesrat Cassis erachtete die Motion nach dem Ende der Verhandlungen über das Rahmenabkommen für gegenstandslos, weshalb er Ablehnung des Vorstosses beantragte. Diesem Vorschlag folgte der Nationalrat mit 104 zu 49 Stimmen (bei 34 Enthaltungen). Die Fraktionen der SVP, der FDP.Liberalen und der Mitte stimmten beinahe geschlossen dagegen, die Grünliberalen und die Grünen dafür, während sich eine Mehrheit der SP-Fraktionsmitglieder der Stimme enthielt.

Rahmenabkommen bis Ende 2020 dem Parlament übergeben

Nachdem Roland Fischers (glp, LU) Postulat zur Integration der Schweiz in den Europäischen Binnenmarkt durch einen Beitritt zum EWR in der Herbstsession 2021 noch von Roger Köppel (svp, ZH) bekämpft worden war, wurde es in der Frühjahrssession 2022 im Nationalrat beraten. Postulant Fischer bedauerte in seinem Votum nicht nur die Ablehnung des EWR-Beitritts 1992, sondern auch den Verhandlungsabbruch über das InstA, das den etablierten bilateralen Weg «dynamisiert und zukunftsfähig gemacht hätte». Fischer sah die Zeit gekommen, den EWR als Alternative für die Integration der Schweiz in den europäischen Binnenmarkt zu analysieren. So hätte auch jene Generation, die 1992 noch nicht abstimmen konnte, die Möglichkeit, die Debatte über die Vor- und Nachteile des EWR zu führen. Der EWR funktioniere und habe sich bewährt, wie die Beispiele Norwegen, Island und Liechtenstein zeigen würden. Zudem seien im EWR-Vertrag die institutionellen Fragen, die Mitwirkung und die Streitbeilegung geregelt, und EWR-Mitglieder profitierten von den Kooperationsabkommen wie Horizon und Erasmus plus. Roger Köppel lehnte die Forderung des Postulats weiterhin ab und sprach sich gegen einen Bericht zu einer möglichen EWR-Mitgliedschaft aus, die er als «Nirwana der zwischenstaatlichen Beziehungen zwischen der EU und der Schweiz» und als «Ende der Schweiz als unabhängige[n] Staat» bezeichnete. Demnach sei der Binnenmarkt ein Teil der staatlichen Ordnung, wodurch man mit einer Teilnahme an fremde Institutionen andocken und damit die Steuerfähigkeit verlieren würde. Er wies seinen Ratskollegen Fischer auch darauf hin, dass die APK-NR 2013 explizit eine Unterscheidung zwischen dem Marktzugang und der Partizipation am europäischen Binnenmarkt vorgenommen hatte. Der Nationalrat habe diese Differenzierung mit der Annahme einer darauf basierenden SVP-Motion daraufhin bestätigt. Bundesrat Parmelin beantragte die Annahme des Postulats und verwies auf einen in Entstehung befindlichen Bericht über die Beziehungen zur EU. Darin würden verschiedene Alternativen zum bilateralen Weg geprüft, unter anderem auch ein EWR-Beitritt. Der Nationalrat folgte diesem Aufruf und nahm das Postulat mit 112 zu 69 Stimmen (bei 6 Enthaltungen) an. Die SVP-Fraktion sowie einige Fraktionsmitglieder der FDP.Liberalen und der Mitte sprachen sich gegen eine Annahme aus.

Parlamentarische Vorstösse in Reaktion auf den Abbruch der Verhandlungen über das institutionelle Rahmenabkommen (Po. 13.3151, Po. 14.4080, Po. 17.4147, Po. 21.3618, Po. 21.3654, Po. 21.3667, Po. 21.3678, Mo. 21.4184, Po. 21.4450, Po. 22.3172, BRG. 23.052)
Dossier: Institutionelles Rahmenabkommen
Dossier: Entwicklung der bilateralen Beziehungen mit der EU nach dem Scheitern des Rahmenabkommens

Nachdem der Bundesrat offiziell den Abbruch der Verhandlungen über das institutionelle Rahmenabkommen verkündet hatte, wurde im Juni 2022 in Reaktion darauf im Parlament eine Vielzahl an Vorstössen eingereicht, die sich mit den bilateralen Beziehungen Schweiz-EU auseinandersetzten.

Die SP-Fraktion forderte vom Bundesrat in einem Postulat (Po. 21.3618) einen Bericht, in dem vier verschiedene europapolitische Optionen verglichen werden sollten: der Abbruch des bilateralen Wegs und Übergang zum Drittstaat-Status; die Beibehaltung bestehender Abkommen ohne Aktualisierung und Erneuerung der Zusammenarbeit; der formelle Beitritt zum EWR und ein EU-Beitritt. Diese Analyse sollte unter Berücksichtigung der demokratischen Souveränität der Schweiz, ihrer Interessenwahrung, der Wahrung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wohlstands sowie der geostrategischen Interessen und schliesslich der gesellschaftlichen Entwicklung vorgenommen werden. Der Bundesrat beantragte die Annahme des Postulats, mit dem Verweis darauf, dass er in Erfüllung der Postulate Aeschi (svp, ZG; Po. 13.3151), Naef (sp, ZH; Po. 17.4147) und der Grünen Fraktion (Po. 14.4080) ohnehin schon einen derartigen Bericht ausarbeite. Der Nationalrat nahm das Postulat in der Herbstsession 2021 stillschweigend an.

Die Fraktion der Grünen reichte ein ähnliches Postulat (Po. 21.3667) ein wie die SP, forderte aber die Überprüfung einer noch grösseren Bandbreite an Alternativen – hinzu kam die Möglichkeit der Wiederaufnahme der Verhandlungen zum InstA. Die Analyse der Vorschläge sollte nicht nur wirtschaftliche Gesichtspunkte und den Lohnschutz miteinbeziehen, sondern auch Aspekte der Bildung, Forschung, Innovation und des Klimaschutzes berücksichtigen. Der Bundesrat beantragte auch in diesem Fall die Annahme des Postulats und begründete dies wiederum mit dem bereits erwähntem Bericht. Der Nationalrat nahm den Vorstoss in der Herbstsession 2021 ebenfalls stillschweigend an.

Roland Fischers Postulat (glp, LU; Po. 21.3678) war inhaltlich enger gefasst und wollte den Bundesart lediglich damit beauftragen, eine EWR-Mitgliedschaft der Schweiz zu prüfen und Bericht darüber zu erstatten. Fischer befürchtete eine Erosion des bilateralen Wegs und sah im EWR-Beitritt einen naheliegenden Integrationsschritt. Der Bundesrat beantragte auch in diesem Fall die Annahme des Postulats, dieses wurde jedoch von Roger Köppel (svp, ZH) in der Herbstsession 2021 bekämpft, weshalb es bis auf Weiteres nicht im Nationalrat beraten wurde.

Sehr konkret war die Motion Molina (sp, ZH; Mo. 21.3811), mit welcher der Motionär den Bundesrat zur Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen bewegen wollte. Innerhalb eines Jahres sollte ein Verhandlungsmandat erarbeitet werden, das dem Erhalt des Service public, der staatlichen Beihilfen, der Durchsetzung der Arbeits- und Lohnbedingungen sowie des Schweizer Frankens Rechnung tragen sollte. Die demokratischen Instrumente von Volk und Parlament sowie die Mitwirkungsrechte der Kantone sollten angepasst werden, um einem Beitritt nicht im Weg zu stehen. Der Bundesrat beantragte die Ablehnung des Vorstosses, da er bereits beim Abbruch der Verhandlungen beschlossen habe, den bewährten bilateralen Weg fortzuführen und dazu eine Reihe von Massnahmen wie die Deblockierung der zweiten Kohäsionsmilliarde beschlossen habe. Dazu gehöre die Bewahrung eines grösstmöglichen politischen Handlungsspielraums. Der Bundesrat war der Auffassung, dass auch die EU ein Interesse an der Fortsetzung der bilateralen Zusammenarbeit habe. Der Nationalrat äusserte sich 2021 noch nicht zum Vorstoss.

Mit etwas Verspätung reichte im September schliesslich auch Thomas Minder (parteilos, SH; Mo. 21.4184) eine Motion ein, mit der er eine mittel- und längerfristige Strategie für eine nachhaltige Zusammenarbeit mit der EU verlangte. Die Äusserungen zu den bilateralen Beziehungen in der Aussenpolitischen Strategie 2020-2023 seien nach dem Verhandlungsabbruch teilweise überholt. Der Bundesrat beantragte die Annahme der Motion, weil er das Motionsanliegen ebenfalls im bereits erwähnten Bericht beantworten wollte. Der Ständerat nahm Minders Vorstoss in der Wintersession 2021 mit 42 zu 1 Stimme (bei 1 Enthaltung) an.

Parlamentarische Vorstösse in Reaktion auf den Abbruch der Verhandlungen über das institutionelle Rahmenabkommen (Po. 13.3151, Po. 14.4080, Po. 17.4147, Po. 21.3618, Po. 21.3654, Po. 21.3667, Po. 21.3678, Mo. 21.4184, Po. 21.4450, Po. 22.3172, BRG. 23.052)
Dossier: Institutionelles Rahmenabkommen
Dossier: Entwicklung der bilateralen Beziehungen mit der EU nach dem Scheitern des Rahmenabkommens

Etwa anderthalb Stunden diskutierte der Nationalrat in der Herbstsession 2021 über die Freigabe des zweiten Kohäsionsbeitrags an die EU. Die APK-NR empfehle, den Vorschlag des Bundesrats anzunehmen und mit dem Entscheid einem «konstruktiven Ansatz in der Europapolitik Raum zu geben», teilte Kommissionssprecher Nussbaumer (sp, BL) zu Beginn der Debatte mit. Die Kommission wolle den Bundesbeschluss zur Freigabe der Kohäsionsmilliarde jedoch dahingehend ergänzen, dass Verpflichtungen auf Grundlage des Kohäsionskredits erst eingegangen würden, nachdem der Bundesrat die Finanzierungsbotschaft zur Schweizer Teilnahme an Erasmus plus vorgelegt hat. Um diesen Prozess zu beschleunigen, hatte die APK-NR Anfang September 2021 eine entsprechende Kommissionsmotion eingereicht.
Obwohl sich alle Fraktionen mit Ausnahme der SVP für die Annahme des Bundesbeschlusses aussprachen, benötigten die Mitglieder des Nationalrats in der Folge viel Sitzfleisch, bis sie eine Entscheidung treffen konnten. So wehrte sich die SVP-Fraktion vehement gegen das Anliegen der Kommissionsmehrheit, wobei ihre Mitglieder zahlreiche Fragen an die Rednerinnern und Redner stellten und dem Rat mehrere Minderheitsanträge vorlegten. Thomas Aeschi (svp, ZG) etwa wollte von Kommissionssprecher Nussbaumer wissen, weshalb die APK-NR trotz weiterer Diskriminierungen die Freigabe unterstütze. Er beklagte die fehlende Assoziierung an Horizon Europe und an Erasmus plus sowie die Probleme im gesamten Strombereich und beim Mutual Recognition Agreement (MRA). Nussbaumer erklärte die Entscheidung der Kommission damit, dass man mit dem Entscheid ein neues Kapitel in den bilateralen Beziehungen aufschlagen könne. Zwei Minderheitsanträge von Roger Köppel (svp, ZH) verlangten, nicht auf das Geschäft einzutreten respektive keine Verpflichtungen auf Grundlage des Rahmenkredits einzugehen, bis die Schweiz an Horizon Europe assoziiert sei oder die Börsenäquivalenz wiederhergestellt worden sei. Eine Minderheit Nidegger (svp, GE) wollte die Vorlage an den Bundesrat rücküberweisen und ihn beauftragen, die Kohäsionsmilliarde für die Sanierung der AHV zu verwenden. Franz Grüter (svp, LU) schlug mit seinem Einzelantrag vor, den Beschluss dem fakultativen Referendum zu unterstellen.
Überdies legten die Sprecherinnen und Sprecher aller Fraktionen deren Position ausführlich dar. So warf etwa Sibel Arslan (basta, NR) für die Grüne Fraktion sowohl der Schweiz wie auch der EU vor, Fehler gemacht zu haben, sah den finalen Fehltritt aber auf Schweizer Seite, und zwar im Abbruch der Verhandlungen über das Rahmenabkommen. Die Freigabe der Kohäsionsmilliarde erachtete sie als einen Schritt zur Normalisierung und als Erfüllung eines längst gemachten Versprechens. Da die Motion der APK-NR zur Finanzierungsbotschaft von Erasmus plus bereits angenommen worden war, forderte sie in einem Minderheitsantrag die Streichung der entsprechenden Bedingung. Ähnlich tönte es auch von SP-Sprecher Molina (sp, ZH), der das Ende der Verhandlungen ebenfalls als «verantwortungslos» kritisierte. Auch aus Sicht der GLP sei der Verhandlungsabbruch ein «grosser Fehler» gewesen, meinte Roland Fischer (glp, LU). Die Schweiz profitiere enorm vom europäischen Binnenmarkt und zahle im Verhältnis zu Norwegen sehr wenig für den Zugang. Die FDP setze sich für die Freigabe des Kohäsionsbeitrags ein, um die Negativspirale im Verhältnis zur EU zu durchbrechen, erklärte Christa Markwalder (fdp, BE). Auch sie sprach das überaus günstige Kosten-Nutzen-Verhältnis an, dass die Schweiz im Hinblick auf die Verflechtung mit dem Binnenmarkt aufweise. Eine Verringerung der wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten wirke sich über die europaweiten Bildungs-, Forschungs- und Kulturkooperationen auch positiv auf die Schweiz aus. Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter (mitte, BL) hob die Bedeutung der Kohäsionszahlung für das Vorankommen im Horizon-Dossier hervor. Die Nichtassoziierung der Schweiz sei zwar diskriminierend und die Verknüpfung mit der Kohäsionsmilliarde «unschön», doch rechtlich gesehen stehe die EU nicht in der Pflicht, Abkommen mit der Schweiz zu aktualisieren. Auch die Mitte-Fraktion unterstütze die Freigabe des Beitrags sowie den Minderheitsantrag Arslan, gab sie bekannt. Nationalrat Grüter vertrat schliesslich die Ansicht, dass die Schweiz der EU nichts schulde, da die EU massiv von der Schweiz als Handels- und Wirtschaftspartnerin profitiere. Er bemängelte zudem, dass der Bundesbeschluss der Schweizer Bevölkerung nicht zur Abstimmung vorgelegt worden war.
Der im Rat anwesende Aussenminister Cassis drängte die grosse Kammer zur Freigabe der Zahlung, weil man nur so eine positive Verhandlungsdynamik schaffen und Fortschritt in anderen Dossiers erzielen könne. Für die plötzliche Kehrtwende trotz andauernder Diskriminierung der EU im Rahmen der aberkannten Börsenäquivalenz habe der Bundesrat zwei Gründe, erklärte Cassis: Einerseits hätten die Schutzmassnahmen für die Schweizer Börseninfrastruktur die Situation entspannt, andererseits sei die Rechtsgrundlage für den zweiten Kohäsionsbeitrag auf Ende 2024 befristet. Den Einzelantrag von Franz Grüter empfahl er zur Ablehnung, da Finanzgeschäfte gemäss Parlamentsgesetz in Form von einfachen Bundesbeschlüssen erlassen würden – so etwa auch 2019, als das Parlament die Rahmenkredite der zweiten Kohäsionszahlung genehmigt hatte.
Die grosse Kammer lehnte in der Folge sämtliche Minderheitsanträge der SVP ab, strich aber gemäss der Forderung von Sibel Arslan die Verknüpfung mit der Finanzierungsbotschaft für Erasmus plus. Spätabends wurde der Entwurf in der Gesamtabstimmung mit 131 zu 55 Stimmen (bei 1 Enthaltung) gegen den Willen der SVP-Fraktion und einiger Fraktionsmitglieder der Mitte angenommen.

Der zweite Schweizer Beitrag an ausgewählte EU-Mitgliedstaaten (Zweite Kohäsionsmilliarde)
Dossier: Schweizer Beitrag an die erweiterte EU

In der Frühjahrssession 2021 beriet der Nationalrat über den Bericht zur Aussenwirtschaftspolitik 2020 und den Bericht über zolltarifliche Massnahmen 2020. Die APK-NR hatte empfohlen, von den beiden Berichte Kenntnis zu nehmen und die drei Bundesbeschlüsse anzunehmen, mit denen die Genehmigung der Änderung der Liste LIX-Schweiz-Liechtenstein, die Änderungsbeschlüsse der Pan-Europa-Mittelmeer-Präferenzursprungsregeln und die Genehmigung zolltarifarischer Massnahmen geplant waren. Kommissionssprecher Roland Fischer (glp, LU) hob vor allem die im Bericht beschriebenen verhältnismässig geringen negativen Effekte der Covid-Pandemie auf die Schweizer Wirtschaft hervor. Dies sei vor allem den umfangreichen Unterstützungsprogrammen von Bund und Kantonen zuzuschreiben. Er betonte aber auch, wie wichtig der diskriminierungsfreie, entwicklungsfähige Zugang zu ausländischen Märkten für die Schweiz sei. Die Kommission monierte freilich, dass dem Rahmenabkommen mit der EU im Bericht angesichts der grossen Bedeutung einer Unterzeichnung beziehungsweise Nichtunterzeichnung zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet worden sei. Dennoch beantragte die Kommission einstimmig, von den beiden Berichten Kenntnis zu nehmen.
Fabian Molina (sp, ZH) bemängelte im Namen der SP, dass die Schweiz Themen wie Nachhaltigkeit im Handel aber auch Umweltstandards und den Schutz von Menschenrechten vernachlässige. Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter (mitte, BL) drängte vor allem auf die Erhaltung der bilateralen Beziehungen mit der EU und vermisste eine umfassende Strategie gegenüber China in Bezug auf den Balanceakt zwischen Wirtschaftsbeziehungen und Menschenrechten. Auch die Fraktionen der FDP und der GLP schlossen sich dem Ruf nach einer stabilen bilateralen Vertragsbasis mit der EU an. Trotz dieser Kritik nahm der Nationalrat Kenntnis von den beiden Berichten und nahm die drei Bundesbeschlüsse einstimmig an.

Bericht zur Aussenwirtschaftspolitik 2020 (BRG 21.008)
Dossier: Aussenwirtschaftspolitische Berichte