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Jahresrückblick 2023: Aussenpolitik

Die schweizerische Aussenpolitik war im Jahr 2023 stark von der Reaktion auf internationale Konflikte und Krisen geprägt, wobei der mediale und politische Fokus auf dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine lag. Auch im Jahr 2023 übernahm der Bundesrat Sanktionen der EU gegen Russland, insbesondere Dienstleistungsverbote gegen Unternehmen oder die russische Regierung, Kontrollen und Beschränkungen für die Ausfuhr von Dual-Use-Gütern sowie Finanzsanktionen und Reisebeschränkungen gegen einzelne Personen. Die Medien berichteten zwar auch 2023 häufig über die Sanktionen, jedoch nicht mehr im selben Ausmass wie 2022 (vgl. Abbildung 2 der APS-Zeitungsanalyse). Die Abbildung zeigt auch, dass sich die Medien intensiv mit der Neutralität der Schweiz auseinandersetzten. Diese wurde insbesondere in Zusammenhang mit der Wiederausfuhr von Kriegsmaterial diskutiert, aber auch bezüglich finanzieller und humanitärer Hilfen, beispielsweise in Form von Ambulanzfahrzeugen. Im Juni fand in London die zweite «Ukraine Recovery Conference» statt. Bei dieser Gelegenheit betonte Aussenminister Ignazio Cassis, dass die Schweiz beim Wiederaufbau der Ukraine insbesondere auf die Bereiche Diplomatie, Wirtschaft und Good Governance fokussiere. Mit dem Wiederaufbau beschäftigte sich auch der Nationalrat; dieser bekräftigte durch Annahme fünf gleichlautender Motionen seinen Willen, dass durch Sanktionen eingefrorene staatliche und staatsnahe Vermögenswerte Russlands zum Wiederaufbau in der Ukraine verwendet werden sollen. Ob der Ständerat dieser Forderung ebenfalls zustimmt, blieb im Berichtsjahr noch offen.

Ab Herbst 2023 prägte ein weiterer Konflikt die schweizerische Aussenpolitik. Anfang Oktober eskalierte der seit Jahrzehnten schwelende Nahostkonflikt mit einem Überfall der Hamas auf israelisches Gebiet. Der Bundesrat reagierte auf den Angriff, indem er zur sofortigen Freilassung der Geiseln aufrief und die Einstufung der Hamas als terroristische Organisation befürwortete. Er berief eine Taskforce ein, um rechtliche Optionen für ein Verbot der Organisation zu prüfen. Bis Ende Februar 2024 will er einen entsprechenden Entwurf erarbeiten. National- und Ständerat stützten diesen Entscheid in der Wintersession, in dem sie Motionen ihrer Sicherheitspolitischen Kommissionen mit der Forderung nach einem Verbot der Hamas annahmen.

Eine grosse humanitäre Krise wurde im Februar auch durch ein starkes Erdbeben in der Grenzregion Türkei/Syrien hervorgerufen. Die Folgen des Erdbebens lösten in der Schweiz eine grosse Welle der Solidarität aus; in privaten Aktionen wurden Sachspenden für die Betroffenen gesammelt. Auch die offizielle Schweiz engagierte sich, indem die Abteilung für Humanitäre Hilfe der DEZA die Schweizer Rettungskette mit 80 Expertinnen und Experten sowie acht Suchhunden in das Gebiet schickte. Die Medien berichteten ausführlich über diese Katastrophe und ihre Auswirkungen, was sich in einem Peak bei der Berichterstattung zur humanitären Hilfe zeigt (vgl. Abbildung 1).

Die Beziehungen der Schweiz zur EU bildeten auch im Jahr 2023 einen Schwerpunkt der Schweizer Aussenpolitik, wobei das Dossier wieder etwas an Fahrt aufnahm. Anfang Juni publizierte der Bundesrat die lange erwartete Lagebeurteilung zu den Beziehungen mit der EU, welche vier mögliche zukünftige Handlungsoptionen umfasste, von denen der Bundesrat die Fortsetzung des bilateralen Weges präferierte. Ende Juni verabschiedete er sodann die Eckwerte für ein neues Verhandlungsmandat mit der EU. Nach Abschluss der Sondierungsgespräche mit Brüssel und der Gespräche mit Kantonen, Sozialpartnern und Wirtschaftskreisen legte der Bundesrat Ende Jahr seinen Entwurf für ein neues Mandat mit den Leitlinien für die Verhandlungen vor. Dieser beinhaltete den Abschluss neuer Abkommen in den Bereichen Strom, Lebensmittelsicherheit und Zusammenarbeit im Gesundheitswesen sowie die Teilnahme der Schweiz an Horizon Europe und weiteren EU-Programmen. Es umfasste auch die Aufnahme institutioneller Lösungen für die bestehenden Marktzugangsabkommen, etwa zur Streitbeilegung mittels paritätischem Schiedsgericht, sowie von Regeln für staatliche Beihilfen und der regelmässigen Zahlung der Schweiz an ausgewählte EU-Mitgliedsstaaten. Zum Chefunterhändler wurde der Leiter der Abteilung Europa des EDA, Patric Franzen, ernannt, zuvor hatte Alexandre Fasel die abtretende Livia Leu als Staatssekretär des EDA ersetzt. Auf der parlamentarischen Ebene entschied sich der Nationalrat im September für die Einsetzung einer ständigen Subkommission der APK-NR für Europafragen. Schliesslich wurde im Oktober 2023 mit der Unterschriftensammlung für die Volksinitiative «Für den wirksamen Schutz der verfassungsmässigen Rechte» begonnen, die verlangt, dass die Schweiz zukünftig keine internationalen Abkommen mehr abschliesst, die in die Grundrechte der Schweizerinnen und Schweizer eingreifen oder die Schweizer Behörden verpflichten, sich an die Rechtssprechung inter- oder supranationaler Organisationen zu halten – mit Ausnahme des Internationalen Gerichtshofs und des Internationalen Strafgerichtshofs.

Die Schweiz nahm in den Jahren 2023 und 2024 auch das erste Mal Einsitz als nicht-ständiges Mitglied im UNO-Sicherheitsrat, wobei sie im Mai gar den Vorsitz des Sicherheitsrates übernahm. Aussenminister Ignazio Cassis und Bundespräsident Alain Berset präsidierten je eine Sitzung zu den Themen nachhaltiger Frieden respektive Schutz der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten.

Jahresrückblick 2023: Aussenpolitik
Dossier: Jahresrückblick 2023

Jahresrückblick 2022: Aussenpolitik

Nach der Corona-Pandemie und dem institutionellen Rahmenabkommen 2020 und 2021 wurde das Jahr 2022 nun von einem gänzlich neuen Thema dominiert: Der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine löste in der Schweiz nicht nur Diskussionen zum Sanktionswesen aus, sondern auch eine Grundsatzdebatte zur Schweizer Neutralitätspolitik. Die APS-Zeitungsanalyse für das Jahr 2022 zeigt – im Vergleich zu den Vorjahren – das Aufkommen komplett neuer Themenschwerpunkte wie «Neutralität» und «Sanktionen» in der Medienberichterstattung (vgl. Abbildung 2 der Analyse im Anhang). Wenig überraschend zeigen sich Ausschläge in der Artikelzahl zum Thema Aussenpolitik im Februar und März rund um den Kriegsausbruch in der Ukraine. Zwar nahm der prozentuale Anteil der Berichte dazu in den folgenden Monaten ab, hielt sich aber bis in den Herbst hinein auf einem hohen Niveau.

Das Jahr 2022 begann aussenpolitisch mit einem grossen Paukenschlag, dem Kriegsausbruch in der Ukraine Ende Februar, der den Bundesrat gemäss Medien völlig auf dem falschen Fuss erwischte. Noch im Januar hatten sich die Aussenminister Russlands und der USA in Genf getroffen, um die angespannte Lage an der russisch-ukrainischen Grenze zu deeskalieren. Aussenminister Cassis hatte damals von einer «freundschaftlichen, aber konzentrierten Stimmung» gesprochen. Der Angriff Russlands auf die Ukraine im Donbass löste im Parlament, wie auch in der Bevölkerung heftige Reaktionen aus. Stände- und Nationalrat verabschiedeten wenige Tage nach Kriegsausbruch eine Erklärung, mit der sie einen sofortigen Waffenstillstand verlangten, und übten in der Folge Druck auf den Bundesrat aus, wirtschaftliche Sanktionen der EU zu übernehmen. Nach mehreren verbalen Verurteilungen des Vorgehen Russlands als völkerrechtswidrig und aufgrund des massiven Drucks aus dem In- und Ausland beschloss der Bundesrat am 27. Februar die Übernahme der Sanktionspakete der EU gegen Russland. Bundespräsident Cassis wurde in der Folge nicht müde zu betonen, dass die Schweiz ihre Neutralität mit dieser Art der Sanktionsübernahme beibehalte. In den folgenden Wochen und Monaten übernahm die Schweiz sämtliche Ausweitungen der Sanktionen der EU gegen Russland – und später auch gegen Belarus. Fast zeitgleich zur Übernahme des EU-Sanktionsregimes gab die Regierung bekannt, die ukrainische Bevölkerung mit Hilfsgütern zu unterstützen. Ein erstes Paket in Höhe von CHF 8 Mio. wurde in raschen Abständen durch weitere Hilfsgüterlieferungen und die finanzielle Unterstützung von humanitären Organisationen ergänzt. Im Bereich der Guten Dienste unterstützte die Schweiz den Reform- und Wiederaufbauprozess in der Ukraine mithilfe der von langer Hand geplanten Ukraine Recovery Conference, die im Juli in Lugano stattfand. Die seit 2017 jährlich stattfindende Ukraine Reform Conference wurde angesichts des Kriegsgeschehens umbenannt und inhaltlich neu ausgerichtet.

Der Erlass und die Übernahme von Sanktionen stellten nicht nur den Bundesrat, sondern auch das Parlament vor neue Fragen und hielten dieses auf Trab. Davon zeugen nicht nur die parlamentarischen Vorstösse zum Thema, sondern auch die intensiven Debatten, die im Rahmen der Anpassung des Embargogesetzes geführt wurden. Eine bereits im Jahr 2019 eingereichte parlamentarische Initiative zur Einführung einer Rechtsgrundlage für gezielte Sanktionen bei schweren Menschenrechtsverletzungen und Korruption durch hochrangige Politiker und Politikerinnen erhielt aufgrund der geopolitischen Umstände besondere Relevanz. Zwar wurde diese vom Ständerat abgelehnt, doch trug sie massgeblich zu einer umfassenden Debatte innerhalb des Parlaments über das Schweizer Sanktionswesen bei. Im Mai 2022 verlangte die APK-NR vom Bundesrat mittels einer Kommissionsmotion die Entwicklung einer kohärenten, umfassenden und eigenständigen Sanktionspolitik. Der reine Nachvollzug von EU- und UNO-Sanktionen genügten nach Ansicht der Kommission nicht, um die Landesinteressen der Schweiz in den Bereichen Sicherheit, Versorgungssicherheit und Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten.

Eng mit den Überlegungen zur Sanktionsthematik verknüpft war die Frage, inwiefern die Schweiz diese mit ihrer Neutralität respektive mit ihrer Neutralitätspolitik vereinbaren könne. Während die SVP die Schweizer Neutralität durch die übernommenen EU-Sanktionen als bedroht erachtete, liess Alt-Bundesrat Blocher bezüglich der Sanktionsübernahme verlauten: «Wer hier mitmacht, ist eine Kriegspartei.» Derweil wünschte sich die APK-SR vom Bundesrat in einem Postulat mehr Klarheit und Orientierung in der Neutralitätspolitik. Diese Forderung versprach der Bundesrat durch einen aktualisierten Neutralitätsbericht – der letzte stammte aus dem Jahr 1993 – zu erfüllen. Aussenminister Cassis scheiterte jedoch Anfang September mit der Konzeptionierung der von ihm geprägten «kooperativen Neutralität», als der Gesamtbundesrat den Neutralitätsbericht zurückwies. Erst Ende Oktober verabschiedete die Regierung den Bericht in Erfüllung des Postulats und beschloss, an der Neutralitätspraxis aus dem Jahr 1993 festzuhalten. Im gleichen Monat kündigte die neu gegründete nationalkonservative Gruppierung «Pro Schweiz» an ihrer Gründungsversammlung die Lancierung einer Volksinitiative an, mit der sie die «immerwährende bewaffnete Neutralität» der Schweiz in der Verfassung festschreiben will.

Wenn auch nicht im gleichen Ausmass wie in den Jahren zuvor, sorgten aber auch im Jahr 2022 die bilateralen Beziehungen mit der EU für einige Schlagzeilen. Insbesondere die vom Bundesrat im Januar vorgestellte neue Stossrichtung für das Verhandlungspaket mit der EU sorgte aufgrund des gewählten sektoriellen Ansatzes vielerorts für Kopfschütteln, nicht zuletzt bei EU-Vertreterinnen und -Vertretern selbst. Auch das Parlament kämpfte weiterhin mit den Nachwehen des gescheiterten Rahmenabkommens und beschäftigte sich mit der Vielzahl der 2021 eingereichten parlamentarischen Vorstösse, deren Forderungen von einer nachhaltigen Zusammenarbeit mit der EU, über einen EWR-Beitritt bis zum EU-Beitritt reichten. Der vom Bundesrat versprochene Europabericht, welcher eine Vielzahl der Vorstösse hätte beantworten sollen, liess indes auf sich warten. Im März schwebte überdies die Abstimmung über das Frontex-Referendum wie ein Damoklesschwert über der sowieso schon belasteten Beziehung mit der EU. Ein Nein hätte unter Umständen den Ausschluss aus dem Schengen/Dublin-Abkommen nach sich ziehen können. Zwar verschwanden entsprechende Diskussionen nach dem deutlichen Ja im März 2022 rasch, ein im Sommer publik gewordener Briefwechsel zwischen EU-Vize-Kommissionspräsident Maros Sefčovič und Staatssekretärin Livia Leu warf jedoch ein erneut negatives Licht auf den Stand der bilateralen Verhandlungen. Daraus ging hervor, dass auf beiden Seiten weiterhin Unklarheiten über die jeweiligen Forderungen und roten Linien existierten. Etwas Versöhnlichkeit zeigte das Parlament im März, als es einer Aktualisierung des Abkommens mit der Europäischen Gemeinschaft über Zollerleichterungen und Zollsicherheit zustimmte, sowie in der Herbstsession mit der Annahme zweier Vorlagen zur Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands. Auch die Anpassungen der Systeme ETIAS und VIS waren in beiden Räten ungefährdet.

Im Gegensatz zu den stagnierenden Beziehungen zur EU zeigte sich die Schweiz sehr aktiv im Umgang mit einzelnen Partnerländern. Das Verhältnis zum Vereinigten Königreich wurde im Frühling 2022 unter anderem durch ein Mobilitätsabkommen für Dienstleistungserbringende, ein Sozialversicherungsabkommen und durch einen Präsidialbesuch von Bundespräsident Cassis in London gestärkt. Ebenfalls im Frühjahr reiste Cassis wenige Wochen nach der Annahme des neuen Grenzgängerabkommens mit Italien im Parlament nach Italien, um sich unter anderem mit dem italienischen Aussenminister Luigi di Maio zu treffen. Generell zeigte sich Cassis in seiner Doppelrolle als Aussenminister und Bundespräsident sehr reise- und gesprächsfreudig. Das belegen unter anderem Staatsbesuche in Österreich und der Tschechischen Republik, Polen und Moldawien, Japan, Niger und dem Vatikan, aber auch Gespräche mit dem Aussenminister der VAE und der slowakischen Präsidentin Zuzana Čaputová.
In seiner Chinapolitik musste der Bundesrat 2022 innenpolitisch mehrere Dämpfer hinnehmen: Das Parlament stimmte gegen seinen Willen mehreren Motionen zu, mit denen die wirtschaftlichen Beziehungen mit China und der Whole-of-Switzerland-Ansatz anders ausgestaltet werden sollen.
Auf multinationaler Ebene stach insbesondere die erfolgreiche Wahl der Schweiz als nichtständiges Mitglied des UNO-Sicherheitsrats im Juni hervor. Darüber hinaus beschloss das Parlament, dass sich die Schweiz weiterhin an der internationalen Währungshilfe beteiligen soll, und verabschiedete einen Verpflichtungskredit in Höhe von CHF 10 Mrd. bis 2028, der als Notreserve bei starken Störungen des internationalen Währungssystems eingesetzt werden kann.

Jahresrückblick 2022: Aussenpolitik
Dossier: Jahresrückblick 2022

Jahresrückblick 2021: Aussenpolitik

Nach dem Jahr 2020, das auch im Bereich der Aussenpolitik mehrheitlich von der Covid-19-Pandemie dominiert worden war, kehrten 2021 wieder andere Themen ins Scheinwerferlicht zurück. Allen voran gewannen die Beziehungen zur EU aufgrund unvorhergesehener Ereignisse an Salienz. Die Zeitungsanalyse 2021 von Année Politique Suisse unterstreicht diese Entwicklung eindrücklich: Zeitungsartikel zu den Beziehungen zwischen der Schweiz und Europa machten im vergangenen Kalenderjahr rund die Hälfte aller Artikel im Themenbereich Aussenpolitik aus (vgl. Abbildung 2 der APS-Zeitungsanalyse 2021 im Anhang).

Hauptgrund für die Prominenz der bilateralen Beziehungen in den Medien dürfte das Ende der Verhandlungen über das Rahmenabkommen mit der EU im Mai 2021 gewesen sein. Zwar widerspiegelte der mediale Tonfall nach dem Treffen zwischen Bundespräsident Parmelin und EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen Ende April die Hoffnung, dass sich die Verhandlungen in eine weitere Runde würden retten können, doch die Reaktionen aus Politik und Wirtschaft zeigten die verhärteten Fronten in der Diskussion in der Schweiz auf. Auch das Parlament übte Ende April/Anfang Mai zunehmend Druck auf den Bundesrat aus, endlich neue Ansätze in die seit längerem blockierten Verhandlungen zu bringen. Ein Abbruch der Verhandlungen schien für den Bundesrat schliesslich angesichts der bestehenden Differenzen unvermeidlich, wobei die einseitige Entscheidung von der EU überhaupt nicht begrüsst wurde. Verschiedene politische und zivilgesellschaftliche Akteure wie die SP und die Operation Libero drängten nach dem Verhandlungsabbruch auf neue Lösungsansätze, der polarisierendste zielte gar auf einen EU-Beitritt ab. Eine in der Folge rasch ergriffene Massnahme betraf die seit 2019 blockierte zweite Kohäsionsmilliarde, die auf Initiative des Bundesrats in der Herbstsession von beiden Räten freigegeben wurde. Nachdem dieser zweite Schweizer Beitrag aufgrund der Nichtverlängerung der Börsenäquivalenz 2019 blockiert worden war, erhoffte sich der Bundesrat von der Freigabe nun die Assoziierung an Horizon Europe.

Die Verschlechterung der Beziehungen zur EU hatte sich zu Beginn des Jahres noch nicht unbedingt abgezeichnet. Im März hatte der Bundesrat die Botschaft zur Prümer Zusammenarbeit und dem Eurodac-Protokoll veröffentlicht und damit die Grundlage für eine vertiefte Kooperation mit der EU in Sachen Kriminalitätsbekämpfung gelegt. Diese waren in den beiden Räten unbestritten und wurden einstimmig angenommen. Auch ein weiteres Geschäft im Rahmen der Schengen-Weiterentwicklung, die Interoperabilität zwischen den EU-Informationssystemen, fand im Ständerat eine grosse Mehrheit. Etwas umstrittener gestalteten sich die Ratsdebatten über die Schweizer Beteiligung an der Weiterentwicklung von Frontex und über eine dafür nötige Revision des AIG. Da die Räte und die vorberatenden Kommissionen der EU-Migrationspolitik kritisch gegenüberstanden, brachten sie Ausgleichsmassnahmen in die Vorlage ein, um der humanitären Tradition der Schweiz gerecht zu werden. In der Folge wurde vor allem über deren Ausgestaltung diskutiert und weniger über den Frontex-Beitrag, der personelle und finanzielle Mittel umfasste und aufgrund der drohenden Beendigung der Schengen-Assoziierung bei einer Nichtübernahme unbestritten schien.

Deutlich positiver als die EU-Politik liest sich die Bilanz der Schweiz im Hinblick auf die Kooperation mit einzelnen europäischen Staaten. Die bilateralen Beziehungen zum Vereinigten Königreich im Nachgang des Brexit nahmen 2021 weiter Form an. Im Januar nahm der Ständerat als Zweitrat eine Motion Cottier (fdp, NR) an, die eine vertiefte Handelsbeziehung im Rahmen der «Mind the Gap-Strategie» des Bundesrats verlangte. Zudem veröffentlichte der Bundesrat im Juni die Botschaft zum Abkommen mit dem Vereinigten Königreich über die Mobilität von Dienstleistungserbringenden, durch das die Schweiz einen vereinfachten Zugang zum britischen Arbeitsmarkt erhalten soll. Dieses nahm die kleine Kammer in der Wintersession einstimmig an. Auch die Nutzung des französischen Satellitensystems «Composante Spatiale Optique» wurde von beiden Räten ohne grösseren Widerstand angenommen.

Auch in der Aussenwirtschaftspolitik ereignete sich im vergangenen Jahr einiges, angefangen mit der Abstimmung über das Freihandelsabkommen mit Indonesien, welches die Schweizer Bevölkerung im März mit 51.6 Prozent Ja-Stimmen knapper als erwartet annahm. Deshalb werteten auch die unterlegenen Gegner und Gegnerinnen des Abkommens dieses Resultat als Erfolg, insbesondere im Hinblick auf das Freihandelsabkommen mit dem Mercosur, welches gemäss geltender Gesetzgebung automatisch dem fakultativen Referendum unterstellt werden soll. Erwähnenswert war im Kontext des Aussenhandels auch die Anpassung des Embargogesetzes, durch die das Einfuhrverbot von Feuerwaffen, Waffenbestandteilen, Munition und weiteren Gütern aus Russland und der Ukraine fortgeführt werden konnte und die es dem Bundesrat erlaubt, in vergleichbaren Situationen nicht mehr die Bundesverfassung für ein Embargo bemühen zu müssen.

Deutlich weniger Veränderungen als in anderen Jahren gab es bei den Beziehungen zu internationalen Organisationen. Hervorzuheben ist hier die Sistierung des UNO-Migrationspakts durch den Ständerat, welcher die Ergebnisse der Subkommissionen der aussenpolitischen Kommissionen zum Thema «Soft Law» abwarten wollte. Ebenfalls von Bedeutung waren die Bewilligung der von der WAK-SR geforderten ständigen parlamentarischen Delegation bei der OECD durch die beiden Räte in der Herbstsession und die Ratifikation der ILO-Übereinkommen 170 und 174.

Einen Bedeutungsaufschwung erlebten die bilateralen Beziehungen der Schweiz mit China, was sich in einer Vielzahl an parlamentarischen Vorstössen äusserte. Auslöser für die rege Tätigkeit des Parlaments war die mit Spannung erwartete Publikation der Schweizer China-Strategie im März. Diese wurde unter anderem für ihren unklaren Umgang mit den chinesischen Menschenrechtsverletzungen kritisiert, weshalb die aussenpolitischen Kommissionen der Räte selbst aktiv wurden. Bereits vor Veröffentlichung der China-Strategie hatte die APK-NR in der Frühjahrssession einen Bericht zur Umsetzung des bilateralen Menschenrechtsdialogs eingefordert – mit diesem sollte die China-Strategie beurteilt werden. Auch die Situation der tibetischen Exilgemeinschaft in der Schweiz, die laut APK-NR unter der zunehmenden Einflussnahme Chinas leidet, wurde in der Frühjahrssession thematisiert. Kurz darauf engagierte sich die APK-NR auch in diesem Themenfeld: Mittels Motion forderte sie einen stärkeren Fokus der Schweiz auf die Förderung der Menschenrechte in China, der auch in der Schweizer China-Strategie zum Ausdruck kommen sollte. Die Motion wurde vom Nationalrat zwar befürwortet, aber vom Ständerat abgelehnt. Die APK-NR war es auch, die den Bundesrat im Sommer mit einem Postulat ins Schwitzen brachte, das die Prüfung von vertieften Beziehungen mit Taiwan – unter anderem auf politischer Ebene – forderte, was ganz und gar nicht zur Ein-China-Politik der Schweiz passte und vom Bundesrat daher abgelehnt wurde. Anders sah dies der Nationalrat, der das Postulat überwies. Etwas allgemeiner ging die APK-SR vor, die in einer von ihrem Rats bereits unterstützten Motion eine Institutionalisierung des zwischenstaatlichen Austauschs und der Koordination von Schweizer Akteuren mit China verlangte, um die politische Kohärenz der China-Politik sicherzustellen.

Zu kleineren Ausschlägen in der APS-Zeitungsanalyse 2021 führten zudem die Guten Dienste der Schweiz (vgl. Abbildung 1). Im Juni fand in Genf das viel beachtete Treffen zwischen US-Präsident Biden und dem russischen Präsidenten Putin statt, das von den Bundesräten Cassis und Parmelin genutzt wurde, um die Bedeutung des internationalen Genfs als Standort für interdisziplinäre Kooperation hervorzuheben. Im August verstärkte sich die Berichterstattung in diesem Themenbereich aufgrund der durch die Machtübernahme der Taliban ausgelösten Krise in Afghanistan. In deren Wirren evakuierte die Schweiz ihr DEZA-Kooperationsbüro in Kabul und vergab den lokalen Mitarbeitenden der Schweizer Aussenstellen insgesamt 230 humanitäre Visa. Im Bereich der Menschenrechte hatte der Bundesrat noch vor diesen beiden Grossereignissen die Leitlinien Menschenrechte 2021-2024 publiziert.

Die vorübergehenden Lockerungen der globalen Corona-Massnahmen machte sich im EDA vor allem anhand der Auslandreisen von Aussenminister Cassis bemerkbar. Nach einem mageren 2020 schien der EDA-Vorsteher 2021 einiges nachzuholen und reiste in mehrere Länder, die im Fokus der Schweizer MENA-Strategie standen, darunter Algerien, Mali, Senegal, Gambia, Irak, Oman, Libanon, Libyen und Saudi-Arabien. Von besonderer Bedeutung war der Staatsbesuch in der Ukraine, den Cassis zum Anlass nahm, um den Vorbereitungsprozess für die Ukraine-Reformkonferenz 2022 einzuläuten.

Jahresrückblick 2021: Aussenpolitik
Dossier: Jahresrückblick 2021

Jahresrückblick 2020: Aussenpolitik

Nebst dem Dauerbrenner «Institutionelles Rahmenabkommen» hielten auch die Auswirkungen der Corona-Krise im Bereich der Aussenpolitik das Parlament und den Bundesrat auf Trab. Sie waren aber beileibe nicht die einzigen Themen, welche die Schweizer Aussenpolitik im Jahr 2020 prägten.

Mitte März beschloss der Bundesrat aufgrund der Corona-Pandemie die Einführung von Schengen-Grenzkontrollen – und damit faktisch die Schliessung der Grenzen – zu allen Nachbarländern mit Ausnahme Liechtensteins. Diese Restriktionen wurden in den darauffolgenden Wochen auf die Schengen-Aussengrenzen und Flüge aus sämtlichen Schengen-Staaten ausgeweitet. Kurz darauf ergriff das EDA erste Massnahmen, um den im Ausland gestrandeten Bürgerinnen und Bürgern die Rückreise in die Schweiz zu erleichtern. Da diese Massnahmen bereits nach wenigen Tagen nicht mehr ausreichten, da abgesagte Flüge und geschlossene Grenzen die eigenständige Rückreise verunmöglichten, initiierte das EDA die bis anhin grösste Rückholaktion von Schweizer Reisenden aller Zeiten. Im Rahmen dieser Aktion führten Edelweiss und Swiss bis Ende April Repatriierungsflüge für rund 7000 Personen durch. Mit dem Abflachen der ersten Infektionswelle wurde im Mai rasch der Ruf nach einer möglichst baldigen Öffnung der Grenzen zu Deutschland und Frankreich und der Wiederherstellung der Personenfreizügigkeit laut. Trotz des Drängens der Parlamentarierinnen und Parlamentarier führte der Bundesrat Lockerungen erst wie geplant im Juni ein.

Das Evergreen der Schweizer Aussenpolitik, das institutionelle Rahmenabkommen, geriet ob der Corona-Krise bisweilen fast ein wenig in Vergessenheit, gewann aber spätestens nach der Ablehnung der Begrenzungsinitiative an der Urne wieder an Bedeutung. Das hatte einerseits mit einer Erklärung der Sozialpartner zu tun, welche sich nicht hinter die zuletzt vorgestellte Fassung des Rahmenabkommens stellen wollten. Andererseits sorgte aber vor allem auch die Absetzung des bisherigen EU-Chefunterhändlers – Roberto Balzaretti – und die damit einhergehende Ernennung von Livia Leu zur neuen Staatssekretärin und Chefunterhändlerin für mediale Schlagzeilen. Während zahlreiche Parlamentarierinnen und Parlamentarier den Nutzen des Wechsels in Frage stellten und den Bundesrat für seinen Personalverschleiss kritisierten, zeigten Vertreter der EU wenig Verständnis für erneute Verzögerungen aufseiten der Schweiz. Durch die Annahme eines Postulats Nussbaumer(sp, BL; Po. 18.3059) forderte das Parlament vom Bundesrat derweil die Möglichkeit der parlamentarischen Mitwirkung in den Angelegenheiten Schweiz-EU, sofern das Rahmenabkommen angenommen werden sollte. Deutlich weniger polarisierend waren die Genehmigung und Umsetzung des Europäischen Reiseinformations- und Genehmigungssystems für den Schengen-Raum sowie eine nötig gewordene Änderung des Ausländer- und Integrationsgesetzes, die vom Ständerat einstimmig angenommen wurden.

Neben diesen zwei zentralen Aspekten tat sich aber in der Aussenpolitik 2020 noch einiges: Begonnen hatte das aussenpolitische Jahr im Januar mit der Veröffentlichung der Aussenpolitischen Strategie 2020-2023, die erstmals im Rahmen eines interdepartementalen Prozesses erarbeitet worden war, um die Kohärenz zwischen Innen- und Aussenpolitik zu verbessern. Frieden und Sicherheit, Wohlstand, Nachhaltigkeit sowie Digitalisierung bildeten die vier inhaltlichen Schwerpunkte der Strategie. Im Februar folgte sodann die Strategie der internationalen Zusammenarbeit 2021-2024, welche den Handlungsrahmen für die Bereiche der Entwicklungszusammenarbeit, der humanitären Hilfe, der Förderung des Friedens und der menschlichen Sicherheit vorgab. Im Vergleich zur Strategie der Vorperiode (2017-2020) wurden die Beendigung der extremen Armut und die Bekämpfung des Klimawandels stärker gewichtet.

Von besonderer Bedeutung für die Schweizer Aussenpolitik ist traditionsgemäss die Rolle der Schweiz in internationalen Organisationen aber auch als Sitz ebenjener. Die Kandidatur für ein nichtständiges Mandat im UNO-Sicherheitsrat 2023/24 beschäftigte das Parlament im abgelaufenen Jahr auf ganz unterschiedliche Weise. Während Roland Büchel (svp, SG) noch immer für einen Verzicht auf die Kandidatur kämpfte, sorgte sich die Aussenpolitische Kommission des Ständerats vor allem um den Einbezug des Parlaments im Falle eines Erfolgs. Für den Bundesrat stand die Kandidatur ausser Frage, was er unter anderem durch die Erwähnung in der Aussenpolitischen Strategie zementierte. Er argumentierte überdies, dass das Mandat nicht zuletzt auch der Standortförderung des internationalen Genfs diene. Die Wettbewerbsfähigkeit Genfs wurde 2020 auch durch die Finanzhilfen an die Internationale Fernmeldeunion und die Strategie zur Digitalaussenpolitik, mit welcher Genf zum Zentrum der internationalen Gouvernanz im Bereich Cyberspace gemacht werden soll, gefördert. Die SVP bemühte sich zudem um den Rückzug der Schweiz vom UNO-Flüchtlingspakt und eine Senkung des Finanzbeitrags an die UNRWA, fand aber keine Unterstützung über die Fraktionsgrenzen hinaus.

In der Entwicklungspolitik gaben vor allem die Kapitalerhöhungen der Weltbankgruppe und der Afrikanischen Entwicklungsbank Anlass zu ausführlichen Ratsdebatten. Zwei Minderheiten der Ratsrechten setzten sich für ein Nichteintreten ein und begründeten ihre Ablehnung unter anderem mit der finanziellen Belastung der Schweiz in der Corona-Krise, die solche Ausgaben nicht zuliesse. Im Endeffekt nahmen beide Räte die Krediterhöhungen an, genauso wie einen von der APK-NR beantragten Nachtragskredit für die humanitäre Hilfe.

Ferner beschäftigte sich das Parlament ausgiebig mit dem Umgang der Schweiz mit dem Brexit. Im Rahmen der sogenannten Mind-the-Gap-Strategie setzten sich die Räte unter anderem mit einem Abkommen zur Fortsetzung der Personenfreizügigkeit auseinander und loteten eine vertiefte wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem Vereinigten Königreich aus. In beiden Fällen sprach sich das Parlament mit grosser Mehrheit für die Kooperation mit Grossbritannien aus.
Im Nachgang des 2019 gefällten EDA-Entscheids zu den Tätigkeiten der Pilatus AG in Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten veröffentlichte der Bundesrat Anfang Jahr einen Bericht zur Überprüfung des Bundesgesetzes über die im Ausland erbrachten Sicherheitsdienstleistungen. Er beschloss die Prüfung einer Gesetzesrevision, weshalb im Juni eine Motion der SIK-NR zur gleichen Thematik abgelehnt wurde.
Wenn auch inhaltlich nicht sonderlich bedeutsam, war die schiere Menge an Anpassungen von Doppelbesteuerungsabkommen im Jahr 2020 dennoch bemerkenswert. Grund für die Änderungsprotokolle waren die neuen OECD-Mindeststandards, denen sich die Schweiz im Rahmen des BEPS-Übereinkommens bereits im vergangenen Jahr unterworfen hatte. Zudem genehmigte das Parlament auch das lange Zeit sistierte Doppelbesteuerungsabkommen mit Saudi-Arabien.
Obwohl die Genfer Standesinitiative für ein Referendum über das Freihandelsabkommen mit Mercosur (Kt.Iv. 19.313) im März noch klar vom Ständerat abgelehnt worden war und sich mehrere Kantone bereits im vergangenen Jahr erfolglos gegen das Freihandelsabkommen mit Indonesien gewehrt hatten, zeichnete sich allmählich ein Wandel in der Schweizer Aussenwirtschaftspolitik ab. Im Juni kam es mit dem erfolgreichen Referendum gegen das Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit Indonesien nun zu einer Anomalie in der Schweizer Wirtschaftspolitik. Erst einmal hatte die Bevölkerung über ein Abkommen im Bereich der Aussenwirtschaft abstimmen können – wobei die Abstimmung über den EWR dem ausserordentlichen obligatorischen Referendum unterlegen hatte – und noch nie war bisher ein fakultatives Referendum zu einem Freihandelsabkommen zustande gekommen.

Die Corona-Krise wirkte sich erwartungsgemäss auch auf die Themenkonjunktur in den Zeitungen aus. So sank die Zahl der aussenpolitischen Artikel von über 10 Prozent im Dezember 2019 auf 4 Prozent im April 2020. Wenig erstaunlich waren Artikel zu zwischenstaatlichen Beziehungen überaus stark vertreten, was sich mit den Grenzschliessungen/-öffnungen und den Quarantänebestimmungen erklären lässt. Gegen Jahresende nahm die Berichterstattung zu Europa, die im Vergleich zu den Vorjahren unterdurchschnittlich ausfiel, etwas zu. Grund hierfür war das Rahmenabkommen, dessen Verhandlung nach der Abstimmung zur Begrenzungsinitiative weiter vorangetrieben wurde.

Jahresrückblick 2020: Aussenpolitik
Dossier: Jahresrückblick 2020

Jahresrückblick 2019: Aussenpolitik

Im Jahr 2019 beschäftigte sich das Parlament im Rahmen der Schweizer Aussenpolitik mit Geschäften im Bereich der Aussenwirtschaft – wie Freihandelsabkommen und Doppelbesteuerungsabkommen – aber auch mit zwischenstaatlichen Beziehungen. Wie die Medienanalyse von APS zeigt, nahm das mediale Interesse – im Vergleich der letzten drei Jahre – an Geschäften, die sich mit Staatsverträgen oder Entwicklungspolitik befassten, tendenziell eher ab. Über die Beziehung zwischen der Schweiz und der EU wurde besonders oft berichtet. Dies dürfte insbesondere an den neuen Entwicklungen und Eskalationsstufen rund um das institutionelle Rahmenabkommen mit der EU sowie an dem zweiten Beitrag an ausgewählte EU-Mitgliedsstaaten – in den Medien als Kohäsionsmilliarde bezeichnet – liegen.

Ein erster gewichtiger Schwerpunkt im Jahr 2019 bildete jedoch ein anderer Politikbereich, die Aussenwirtschaftspolitik. So entschieden die Räte unter anderem über aktualisierte Freihandelsabkommen zwischen den EFTA-Staaten und der Türkei sowie Ecuador. Hinzu kam das revidierte Agrarabkommen zwischen der Schweiz und der Türkei. Insbesondere gegenüber Letzterem gab es aufgrund der kritischen Menschenrechtslage in der Türkei zwiespältige Gefühle. Eine Minderheit forderte, mit Verweis auf Berichte der EU und der UNO, gar die Rückweisung an den Bundesrat. Der Bundesbeschluss wurde aber vom Ständerat im März und vom Nationalrat im Juni angenommen. Die Kantone Thurgau (Kt.Iv. 17.317) und Genf (Kt.Iv. 18.303) hatten in den vergangenen Jahren Standesinitiativen lanciert, um bei den Verhandlungen von Freihandelsabkommen mit Malaysia und Indonesien die Zollbefreiung von Palmöl und Palmkernöl zu verhindern. Grund dafür war einerseits die Sorge, dass einheimische Ölproduzenten durch die Aufweichung der Grenzschutzmassnahmen benachteiligt werden könnten, andererseits wurden auch die negativen ökologischen Folgen der Palmölproduktion bemängelt. Im März wurden zwei dieser Initiativen durch den Nationalrat versenkt, drei weitere standen aber noch an, womit das Thema beileibe noch nicht vom Tisch war. Ebenfalls im März wurde im Nationalrat – als Zweitrat – eine Motion der APK-SR (Mo. 18.3717) angenommen, die verlangte, dass die beiden Freihandelsabkommen sich nicht negativ auf die inländische Ölproduktion auswirken dürfen. Diesen Forderungen wurde Rechnung getragen, woraufhin der Nationalrat dem Freihandelsabkommen mit Indonesien zustimmte. Eine Minderheit zeigte sich zwar mit den Regelungen zur Nachhaltigkeit von Palmöl nicht zufrieden, doch sie unterlag mit ihrem Antrag. Zwar noch kein konkretes FHA, aber dafür zumindest die Erlaubnis für erste Sondierungsgespräche über ein Freihandelsabkommen mit den USA gab es in der Sommersession. Die Motion von Ständerat Graber (cvp, LU; Mo. 18.3797) aus dem Jahr 2018 erhielt auch vonseiten des Bundesrats Unterstützung und wurde im Juni vom Nationalrat ebenfalls angenommen. Dadurch soll die Schweizer Exportindustrie gestärkt und der Zugang zum amerikanischen Markt, der sich seit 2016 immer protektionistischer gibt, gesichert werden.
Eine Änderung des Doppelbesteuerungsabkommens mit Grossbritannien wurde ebenso problemlos angenommen wie der Abschluss eines nach mehrjähriger Verhandlung erarbeiteten Doppelbesteuerungsabkommen mit Brasilien. Weitere Anpassungen an bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen zur Implementierung von Mindeststandards stehen 2020 bevor.

Am meisten Gesprächsstoff boten sicherlich jene Debatten, welche die Beziehung zwischen der EU und der Schweiz zum Thema hatten. Für hitzige Diskussionen und Differenzen zwischen der Bundesversammlung und dem Bundesrat sorgte im Juni das kritisierte und noch immer nicht abgeschlossene institutionelle Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU. Ausdruck der Unzufriedenheit war die im März abgelehnte Motion von Ständerat Minder (parteilos, SH; Mo. 18.4165), die vom Bundesrat die Nichtunterzeichnung des Abkommens verlangte. Anfang Juni kam es schliesslich zu einer mehr oder weniger offenen Konfrontation zwischen Bundesbern und Brüssel, als der Bundesrat in einer Botschaft Klärung zu fundamentalen Fragen des institutionellen Abkommens forderte. Zwar schätzte man den Entwurf des Abkommens grundsätzlich positiv ein, doch die Europäische Kommission solle mehr Rücksicht auf nationale Prozesse nehmen, damit man in Fragen des Lohn- und Arbeitnehmerschutzes, der Unionsbürgerrichtlinie und der staatlichen Beihilfen eine Einigung finde. Auch der Ständerat schlug in die gleiche Kerbe, als er kurz darauf mittels Motion (Mo. 19.3416) die Regierung und deren Chefunterhändler mit Zusatzverhandlungen beauftragte. Des Weiteren hing die «Begrenzungsinitiative» der SVP quasi als Damoklesschwert über dem bilateralen Weg der Schweiz.
Die Antwort aus Brüssel liess nur einige Tage auf sich warten, als Kommissionspräsident Juncker durchblicken liess, dass Nachverhandlungen kaum eine Chance hätten. Die Medien berichtete, dass sich die EU offiziell «offen für ergänzende Gespräche» zeige, aber durch die Blume deutlich mache, dass der Schweiz kaum Spielraum eingeräumt werden würde. Für Empörung sorgte Jean-Claude Juncker mit seinem Ultimatum, dass die von der Schweiz geforderten ergänzenden Gespräche innert einer Woche abgehandelt werden müssten. Als Druckmittel hatte die EU noch immer die in der Luft hängende Verlängerung der Börsenäquivalenz in der Hinterhand, die bei Nichterfüllung des Ultimatums beendet werden könnte.

Ebenjene Entwicklungen hinsichtlich der Anerkennung der Börsenäquivalenz sorgten in der Schweiz mit ihrem traditionell starken Bankenplatz schon seit geraumer Zeit für rote Köpfe. Die Europäische Kommission hatte Ende Dezember 2017 die Verlängerung der Börsenäquivalenz von den Fortschritten bei den Verhandlungen über ein institutionelles Abkommen abhängig gemacht. Zwar hatte sie die EU anfänglich befristet bis zum 30. Juni 2019 verlängert, erklärte sie danach aber für beendet. Dementsprechend zahlten sich die 2018 ergriffenen Massnahmen des Bundesrats zum Schutz der Börseninfrastruktur im Fall einer Nichtverlängerung der Äquivalenzanerkennung aus. Auch medial war das bevorstehende Ende der Börsenäquivalenz – und damit gezwungenermassen das institutionelle Rahmenabkommen – das dominierende Thema. Eine drohende Eskalation, die mit der Aufhebung der Börsenäquivalenz erst ihren Anfang nähme, wurde befürchtet. Die medial kritisierte bilaterale «Trotzkopf-Logik», die sich durch gegenseitige angedrohte Sanktionen äussere, wurde für enorm kontraproduktiv befunden. Das effektive Ende der Börsenäquivalenz Anfang Juli wurde in der Presse hingegen eher nüchtern thematisiert; man verwies auf die in naher Zukunft marginalen, möglicherweise gar positiven Auswirkungen für die Schweizer Börse. Kritisiert wurde vor allem, dass diese gegenseitige Blockade keine positiven Signale hinsichtlich zukünftiger Verhandlungen über das Rahmenabkommen aussende.

Sehr umstritten war aufgrund dieser Kette von Ereignissen der zweite Schweizer Beitrag an ausgewählte EU-Staaten, der im März und Juni ausgiebig diskutiert wurde. Die Aufstockung der Mittel für den Migrationskredit auf Kosten des Kohäsionsrahmenkredits wurde vor allem von den linken Parteien kritisiert. Im Nationalrat errangen schliesslich zwar beide Kreditanträge eine Mehrheit, doch der Ständerat stimmte den vorgeschlagenen Änderungen nicht zu. Eng verbandelt mit dem Kohäsionskredit war ein Entwurf für eine Asylgesetzesänderung. Dieser sollte es dem Bundesrat erlauben, ohne Zustimmung des Parlaments internationale Abkommen im Rahmen des – vom Parlament bereits beschlossenen – Migrationskredits abzuschliessen. Bei beiden Geschäften entstanden Differenzen zwischen den beiden Parlamentskammern, denn es war bis anhin nicht eindeutig geklärt, ob die Massnahmen der EU – siehe Börsenäquivalenz – als diskriminierend eingestuft werden können, was wiederum die Blockierung der Schweizer Fördergelder zur Folge hätte. Der Bundesrat gelangte im Herbst zum Schluss, dass die EU-Massnahmen unter dem WTO-Gleichbehandlungsgebot tatsächlich als diskriminierend gelten. Somit würden die beiden Kredite selbst bei einer Genehmigung durch die Räte bis auf Weiteres nicht ausbezahlt werden. Im Dezember beriet der Nationalrat schliesslich ein letztes Mal über den zweiten Beitrag der Schweiz an die EU und bereinigte die Differenzen zum Ständerat. Somit waren die beiden Kredite zwar bewilligt, ausbezahlt werden sie aber erst, wenn die Börsenäquivalenz wiederhergestellt ist.
Im August zeigte sich Bundesrat Cassis nicht sehr optimistisch und bezeichnete eine Einigung im Rahmenabkommen mit der amtierenden Kommission als «ein Wunder». Nach ihrem Amtsantritt liess die neue Kommissionspräsidentin, Ursula von der Leyen verlauten, dass die Verhandlungen mit der Schweiz auch weiterhin Chefsache blieben. Die Medien zweifelten aber nach wie vor an einer Einigung vor der Abstimmung zur Begrenzungsinitiative.

Nicht alle Verhandlungen zwischen der EU und der Schweiz gestalteten sich so problematisch wie die bisher aufgeführten. Die Sicherheit des Schengen-Raums und eine qualitativ hochwertige Grenzkontrolle schienen diesbezüglich ein verbindendes Element zu sein. Auf alle Fälle sprachen sich Ständerat und Nationalrat mit grosser Mehrheit für den bundesrätlichen Entwurf zum EES (Entry-Exit-System / Einreise- und Ausreisesystem) und die damit verbundenen Anpassungen des Ausländer- und Integrationsgesetzes aus. Bereits im Mai hatte sich das Volk nachdrücklich zum Schengen-Raum bekannt, als es der Übernahme einer EU-Waffenrichtlinie zustimmte, die unter anderem den Besitz halbautomatischer Waffen verschärfen sollte.

Auch über die Rolle der Schweiz als Gastland und Zentrum der Global Governance wurde intensiv beraten. Ebendiese soll auch weiterhin gestärkt und ausgebaut werden, damit die Schweiz – und insbesondere Genf – weiterhin ein internationales Zentrum für Diplomatie, Krisenbewältigung und NGOs sein kann. In eine ähnliche Richtung zielte die Diskussion über die Erneuerung des Kredits für drei Genfer Zentren in der Herbstsession. Diese bemühen sich um politische Sicherheit, humanitäre Minenräumung und die demokratische Kontrolle von Streitkräften. Obwohl der Kredit noch nicht definitiv beschlossen wurde, zeigten sich beide Kammern von der Wichtigkeit der Schweizer Aussenwahrnehmung in diesen Politikfeldern überzeugt.

Jahresrückblick 2019: Aussenpolitik
Dossier: Jahresrückblick 2019