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Jahresrückblick 2021: Aussenpolitik

Nach dem Jahr 2020, das auch im Bereich der Aussenpolitik mehrheitlich von der Covid-19-Pandemie dominiert worden war, kehrten 2021 wieder andere Themen ins Scheinwerferlicht zurück. Allen voran gewannen die Beziehungen zur EU aufgrund unvorhergesehener Ereignisse an Salienz. Die Zeitungsanalyse 2021 von Année Politique Suisse unterstreicht diese Entwicklung eindrücklich: Zeitungsartikel zu den Beziehungen zwischen der Schweiz und Europa machten im vergangenen Kalenderjahr rund die Hälfte aller Artikel im Themenbereich Aussenpolitik aus (vgl. Abbildung 2 der APS-Zeitungsanalyse 2021 im Anhang).

Hauptgrund für die Prominenz der bilateralen Beziehungen in den Medien dürfte das Ende der Verhandlungen über das Rahmenabkommen mit der EU im Mai 2021 gewesen sein. Zwar widerspiegelte der mediale Tonfall nach dem Treffen zwischen Bundespräsident Parmelin und EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen Ende April die Hoffnung, dass sich die Verhandlungen in eine weitere Runde würden retten können, doch die Reaktionen aus Politik und Wirtschaft zeigten die verhärteten Fronten in der Diskussion in der Schweiz auf. Auch das Parlament übte Ende April/Anfang Mai zunehmend Druck auf den Bundesrat aus, endlich neue Ansätze in die seit längerem blockierten Verhandlungen zu bringen. Ein Abbruch der Verhandlungen schien für den Bundesrat schliesslich angesichts der bestehenden Differenzen unvermeidlich, wobei die einseitige Entscheidung von der EU überhaupt nicht begrüsst wurde. Verschiedene politische und zivilgesellschaftliche Akteure wie die SP und die Operation Libero drängten nach dem Verhandlungsabbruch auf neue Lösungsansätze, der polarisierendste zielte gar auf einen EU-Beitritt ab. Eine in der Folge rasch ergriffene Massnahme betraf die seit 2019 blockierte zweite Kohäsionsmilliarde, die auf Initiative des Bundesrats in der Herbstsession von beiden Räten freigegeben wurde. Nachdem dieser zweite Schweizer Beitrag aufgrund der Nichtverlängerung der Börsenäquivalenz 2019 blockiert worden war, erhoffte sich der Bundesrat von der Freigabe nun die Assoziierung an Horizon Europe.

Die Verschlechterung der Beziehungen zur EU hatte sich zu Beginn des Jahres noch nicht unbedingt abgezeichnet. Im März hatte der Bundesrat die Botschaft zur Prümer Zusammenarbeit und dem Eurodac-Protokoll veröffentlicht und damit die Grundlage für eine vertiefte Kooperation mit der EU in Sachen Kriminalitätsbekämpfung gelegt. Diese waren in den beiden Räten unbestritten und wurden einstimmig angenommen. Auch ein weiteres Geschäft im Rahmen der Schengen-Weiterentwicklung, die Interoperabilität zwischen den EU-Informationssystemen, fand im Ständerat eine grosse Mehrheit. Etwas umstrittener gestalteten sich die Ratsdebatten über die Schweizer Beteiligung an der Weiterentwicklung von Frontex und über eine dafür nötige Revision des AIG. Da die Räte und die vorberatenden Kommissionen der EU-Migrationspolitik kritisch gegenüberstanden, brachten sie Ausgleichsmassnahmen in die Vorlage ein, um der humanitären Tradition der Schweiz gerecht zu werden. In der Folge wurde vor allem über deren Ausgestaltung diskutiert und weniger über den Frontex-Beitrag, der personelle und finanzielle Mittel umfasste und aufgrund der drohenden Beendigung der Schengen-Assoziierung bei einer Nichtübernahme unbestritten schien.

Deutlich positiver als die EU-Politik liest sich die Bilanz der Schweiz im Hinblick auf die Kooperation mit einzelnen europäischen Staaten. Die bilateralen Beziehungen zum Vereinigten Königreich im Nachgang des Brexit nahmen 2021 weiter Form an. Im Januar nahm der Ständerat als Zweitrat eine Motion Cottier (fdp, NR) an, die eine vertiefte Handelsbeziehung im Rahmen der «Mind the Gap-Strategie» des Bundesrats verlangte. Zudem veröffentlichte der Bundesrat im Juni die Botschaft zum Abkommen mit dem Vereinigten Königreich über die Mobilität von Dienstleistungserbringenden, durch das die Schweiz einen vereinfachten Zugang zum britischen Arbeitsmarkt erhalten soll. Dieses nahm die kleine Kammer in der Wintersession einstimmig an. Auch die Nutzung des französischen Satellitensystems «Composante Spatiale Optique» wurde von beiden Räten ohne grösseren Widerstand angenommen.

Auch in der Aussenwirtschaftspolitik ereignete sich im vergangenen Jahr einiges, angefangen mit der Abstimmung über das Freihandelsabkommen mit Indonesien, welches die Schweizer Bevölkerung im März mit 51.6 Prozent Ja-Stimmen knapper als erwartet annahm. Deshalb werteten auch die unterlegenen Gegner und Gegnerinnen des Abkommens dieses Resultat als Erfolg, insbesondere im Hinblick auf das Freihandelsabkommen mit dem Mercosur, welches gemäss geltender Gesetzgebung automatisch dem fakultativen Referendum unterstellt werden soll. Erwähnenswert war im Kontext des Aussenhandels auch die Anpassung des Embargogesetzes, durch die das Einfuhrverbot von Feuerwaffen, Waffenbestandteilen, Munition und weiteren Gütern aus Russland und der Ukraine fortgeführt werden konnte und die es dem Bundesrat erlaubt, in vergleichbaren Situationen nicht mehr die Bundesverfassung für ein Embargo bemühen zu müssen.

Deutlich weniger Veränderungen als in anderen Jahren gab es bei den Beziehungen zu internationalen Organisationen. Hervorzuheben ist hier die Sistierung des UNO-Migrationspakts durch den Ständerat, welcher die Ergebnisse der Subkommissionen der aussenpolitischen Kommissionen zum Thema «Soft Law» abwarten wollte. Ebenfalls von Bedeutung waren die Bewilligung der von der WAK-SR geforderten ständigen parlamentarischen Delegation bei der OECD durch die beiden Räte in der Herbstsession und die Ratifikation der ILO-Übereinkommen 170 und 174.

Einen Bedeutungsaufschwung erlebten die bilateralen Beziehungen der Schweiz mit China, was sich in einer Vielzahl an parlamentarischen Vorstössen äusserte. Auslöser für die rege Tätigkeit des Parlaments war die mit Spannung erwartete Publikation der Schweizer China-Strategie im März. Diese wurde unter anderem für ihren unklaren Umgang mit den chinesischen Menschenrechtsverletzungen kritisiert, weshalb die aussenpolitischen Kommissionen der Räte selbst aktiv wurden. Bereits vor Veröffentlichung der China-Strategie hatte die APK-NR in der Frühjahrssession einen Bericht zur Umsetzung des bilateralen Menschenrechtsdialogs eingefordert – mit diesem sollte die China-Strategie beurteilt werden. Auch die Situation der tibetischen Exilgemeinschaft in der Schweiz, die laut APK-NR unter der zunehmenden Einflussnahme Chinas leidet, wurde in der Frühjahrssession thematisiert. Kurz darauf engagierte sich die APK-NR auch in diesem Themenfeld: Mittels Motion forderte sie einen stärkeren Fokus der Schweiz auf die Förderung der Menschenrechte in China, der auch in der Schweizer China-Strategie zum Ausdruck kommen sollte. Die Motion wurde vom Nationalrat zwar befürwortet, aber vom Ständerat abgelehnt. Die APK-NR war es auch, die den Bundesrat im Sommer mit einem Postulat ins Schwitzen brachte, das die Prüfung von vertieften Beziehungen mit Taiwan – unter anderem auf politischer Ebene – forderte, was ganz und gar nicht zur Ein-China-Politik der Schweiz passte und vom Bundesrat daher abgelehnt wurde. Anders sah dies der Nationalrat, der das Postulat überwies. Etwas allgemeiner ging die APK-SR vor, die in einer von ihrem Rats bereits unterstützten Motion eine Institutionalisierung des zwischenstaatlichen Austauschs und der Koordination von Schweizer Akteuren mit China verlangte, um die politische Kohärenz der China-Politik sicherzustellen.

Zu kleineren Ausschlägen in der APS-Zeitungsanalyse 2021 führten zudem die Guten Dienste der Schweiz (vgl. Abbildung 1). Im Juni fand in Genf das viel beachtete Treffen zwischen US-Präsident Biden und dem russischen Präsidenten Putin statt, das von den Bundesräten Cassis und Parmelin genutzt wurde, um die Bedeutung des internationalen Genfs als Standort für interdisziplinäre Kooperation hervorzuheben. Im August verstärkte sich die Berichterstattung in diesem Themenbereich aufgrund der durch die Machtübernahme der Taliban ausgelösten Krise in Afghanistan. In deren Wirren evakuierte die Schweiz ihr DEZA-Kooperationsbüro in Kabul und vergab den lokalen Mitarbeitenden der Schweizer Aussenstellen insgesamt 230 humanitäre Visa. Im Bereich der Menschenrechte hatte der Bundesrat noch vor diesen beiden Grossereignissen die Leitlinien Menschenrechte 2021-2024 publiziert.

Die vorübergehenden Lockerungen der globalen Corona-Massnahmen machte sich im EDA vor allem anhand der Auslandreisen von Aussenminister Cassis bemerkbar. Nach einem mageren 2020 schien der EDA-Vorsteher 2021 einiges nachzuholen und reiste in mehrere Länder, die im Fokus der Schweizer MENA-Strategie standen, darunter Algerien, Mali, Senegal, Gambia, Irak, Oman, Libanon, Libyen und Saudi-Arabien. Von besonderer Bedeutung war der Staatsbesuch in der Ukraine, den Cassis zum Anlass nahm, um den Vorbereitungsprozess für die Ukraine-Reformkonferenz 2022 einzuläuten.

Jahresrückblick 2021: Aussenpolitik
Dossier: Jahresrückblick 2021

Ende Oktober 2021 kündigte das EDA die bevorstehende Ukrainereise von Aussenminister Cassis an. Das EDA verkündete in der dazugehörigen Medienmitteilung, dass der Hauptzweck der Auslandreise die Lancierung des Vorbereitungsprozesses für die Ukraine-Reformkonferenz (URC2022), die im Juli 2022 in Lugano stattfindet, sei. Die Reise führte die Schweizer Delegation am 27. Oktober in die Hafenstadt Odessa, wo sie sich mit Schweizer Projektpartnern aus den Bereichen digitale Transformation, Berufsbildung und biologische Landwirtschaft austauschte. Tags darauf traf sich Bundesrat Cassis mit Präsident Volodymyr Zelenskyy und führte im Anschluss mit seinem ukrainischen Pendant – Aussenminister Kuleba – bilaterale Gespräche. In diesen betonte Cassis den Schweizer Einsatz für eine friedliche Lösung des Konflikts in der Ostukraine, erwähnte aber auch die humanitäre Hilfe der Schweiz, welche beiden Konfliktparteien zu Gute komme. Zum Abschluss der Dienstreise wurde am 29. Oktober offiziell der Vorbereitungsprozess für die URC2022 begonnen. Bis zur Ministerkonferenz im Juli 2022 – die unter dem Motto «Reforms for All – All for Reforms» steht – sollen in der Ukraine, in der Schweiz und weiteren Partnerländern verschiedene URC-Veranstaltungen stattfinden. Wie die NZZ berichtete, sollen im Rahmen der neuen Dezentralisierungsreform in der Ukraine tausende Kleingemeinden fusioniert werden, den daraus entstehenden Grossgemeinden werde danach eine gewisse Steuerautonomie verliehen.

Aussenminister Cassis auf Ukrainebesuch
Dossier: Staatsbesuche im Ausland 2021

In der Herbstsession 2021 befasste sich der Nationalrat mit den parteiübergreifend gleichlautenden Motionen Flach (glp, AG; Mo. 19.4319), Mazzone (gp, GE; Mo. 19.4034; von Katharina Prelicz-Huber (gp, ZH) übernommen), Barazzone (cvp, GE; Mo. 19.4033; von Vincent Maitre (mitte, GE) übernommen), Fluri (fdp, SO; Mo. 19.4037), Sommaruga (sp, GE; Mo. 19.4035; von Mattea Meyer (sp, ZH) übernommen) und Quadranti (bdp, ZH; Mo. 19.4036; von Irène Kälin (gp, AG) übernommen). Diese forderten eine Beteiligung der Schweiz am Verteilungsmechanismus der «Koalition der Willigen». Nationalrat Maitre lobte den flexiblen und pragmatischen Charakter des Verteilmechanismus, bei dem Länder eigene Aufnahmekriterien festlegen und diese dem EASO melden können. Da die Teilnahme nicht verbindlich sei, müsse man auch keine Anpassung im Asylrecht vornehmen. Katharina Prelicz-Huber insistierte, dass man nicht auf eine Lösung im Rahmen des Dublin-Abkommens warten könne, «während weiterhin Tausende von Menschen ertrinken», auch wenn der Bundesrat ad-hoc-Lösungen nicht gerne sehe. Kurt Fluri, der nach eigener Aussage spontane Lösungen ebenfalls ablehne, kritisierte, dass noch immer keine gesamthafte Lösung im Rahmen des Dublin-Systems absehbar sei. Da sich die Schweiz aber bereits an den Verteilungsabläufen beteilige, wäre die Annahme der Motion nur symbolisch, weshalb er seine Motion zurückziehe. Bundesrätin Keller-Sutter wies darauf hin, dass sich die meisten EU-Staaten nie an der «Koalition der Willigen» beteiligt hätten und sich unterdessen selbst anfängliche Befürworter aufgrund der enttäuschenden Resultate daraus zurückgezogen hätten. Man wolle das Dublin-System nicht unterlaufen, indem Menschen ohne Chance auf Asyl auf verschiedene Länder verteilt würden.
Der Nationalrat lehnte die fünf verbleibenden Motionen mit 97 zu 92 Stimmen ab. SP, Grüne und Grünliberale stimmten dafür, während sich die SVP und die FDP einstimmig dagegen aussprachen. Die Mitte-Fraktion zeigte sich gespalten, wobei eine Mehrheit die Vorstösse ablehnte.

Die Schweiz soll sich am Verteilungsmechanismus der "Koalition der Willigen" beteiligen

In der Herbstsession 2021 befasste sich der Ständerat mit der Motion von Eva Herzog (sp, BS), welche die Ergänzung des Epidemiengesetzes zur Garantie des Grenzverkehrs auch in Pandemiezeiten forderte. Die Motionärin zeigte sich erstaunt darüber, dass der Bundesrat die Ablehnung der Motion beantragt hatte, obwohl die in der Motion geforderte Bestimmung bereits im befristeten Covid-19-Gesetz verankert ist. Ständerätin Herzog lobte das Vorgehen des Bundesrats, der mit Fortschreiten der Pandemie die besondere Situation der Grenzregionen mehr und mehr berücksichtigt habe. Sie zeigte aber wenig Verständnis für die Aussage des Bundesrats, dass das Motionsanliegen erfüllt sei, wo doch die Covid-Verordnungen und das Covid-Gesetz nur befristet gelten. Sie gab sich auch nicht mit der Begründung des Bundesrats zufrieden, dass man mit einer derartigen Regelung im Epidemiengesetz den eigenen Handlungsspielraum eingrenzen würde, denn ihre Motion enthalte eine «Kann-Formulierung » und liesse einen genügend grossen Handlungsrahmen zu. Unterstützung erhielt Herzog von ihrem Parteikollegen Carlo Sommaruga (sp, GE), der durch die Gesetzesänderung zukünftige Spannungssituationen und Blockaden im Grenzverkehr verhindern wollte. Bundesrat Berset meinte, dass für die Erfüllung des Motionsanliegens keine gesetzliche Änderung notwendig sei und der Bundesrat das Thema wie bisher flexibel handhaben wolle. Nach der Pandemie werde eine Analyse der Lage vorgenommen, die sich auch der Überarbeitung des Epidemiengesetzes widmen werde. Weil es wahrscheinlich eine allgemeine, umfassende Diskussion darüber geben werde, was geändert oder angepasst werden müsse, lehne der Bundesrat vor Abschluss der Analyse fast alle Anträge unabhängig von deren Inhalt ab, erklärte Berset. Man spiele mit dem Antrag auf Ablehnung also nicht die Bedeutung der Motion herunter, sondern wolle vor der anstehenden Gesetzesrevision noch keine Entscheidungen treffen, die zu Unstimmigkeiten zwischen künftigen Änderungsanträgen führen könnten. Der Ständerat liess sich von der bundesrätlichen Begründung nicht überzeugen und nahm die Motion mit 29 zu 7 Stimmen an.

Ergänzung des Epidemiengesetzes zur Garantie des Grenzverkehrs auch in Pandemiezeiten
Dossier: Kontrolle der Schweizer Landesgrenzen in Covid-19-Zeiten

Im Juni 2021 reichte die SiK-NR ein Postulat ein, mit dem sie den Bundesrat aufforderte, zu prüfen, welche gesetzlichen Anpassungen für die Ratifikation des Atomwaffenverbotsvertrags notwendig wären. Die Schweiz habe bereits 2017 an der UNO-Generalversammlung dem Vertrag über ein Atomwaffenverbot zugestimmt, diesen aber bis anhin nicht ratifiziert, monierte die Kommission. Zudem habe das Parlament 2018 eine Motion Sommaruga (sp, GE; Mo. 17.4241) überwiesen, welche vom Bundesrat ebenfalls eine rasche Ratifikation gefordert hatte. Der Bundesrat zeigte sich bereit, das Postulat im Rahmen der Neubeurteilung des Kernwaffenverbotsvertrags 2022 zu erfüllen und beantragte dessen Annahme. In der Herbstsession 2021 nahm der Nationalrat das Geschäft stillschweigend an.

Ratifikation des Atomwaffenverbotsvertrags

Im Vorfeld der Herbstsession 2021 beantragte die SPK-NR dem Nationalrat mit 14 zu 10 Stimmen, die Beratung der Botschaft zum UNO-Migrationspakt für ein Jahr zu sistieren. Kommissionssprecher Romano (mitte, TI) erklärte den Ratsmitgliedern, man müsse die Rückmeldungen der Subkommissionen zur Handhabung von «Soft-Law-Instrumenten» und zu den parlamentarischen Mitwirkungsrechten abwarten. Kurt Fluri (fdp, SO) – ebenfalls Sprecher der SPK-NR – wies darauf hin, dass der Ständerat bei einer nationalrätlichen Ablehnung der Sistierung seinen Sistierungsbeschluss einfach wiederholen könnte, womit die Sistierung dann sowieso beschlossen wäre. Er warnte vor dem Anliegen der Minderheit Glättli (gp, ZH), die Sistierung abzulehnen, da man bei einem Meinungsumschwung im Ständerat Gefahr laufe, dass der Migrationspakt behandelt werde, ohne dass die Resultate der Subkommissionen vorlägen. Minderheitsführer Glättli griff in der Ratsdebatte insbesondere die SVP-Fraktion frontal an und äusserte sein Unverständnis über die Zustimmung der Partei zur Sistierung. Diese habe sich in den vergangenen Jahren eindeutig gegen den Migrationspakt positioniert und sogar eine Volksabstimmung gefordert. Er warf der SVP vor, die Sistierung nur zu befürworten, um nicht über eine Frage diskutieren zu müssen, «bei der ihr offensichtlich inhaltlich die Argumente ausgegangen» seien. Bundesrat Cassis signalisierte die Bereitschaft des Bundesrats, die Debatte über den Migrationspakt jederzeit wieder aufzunehmen. Schliesslich nahm der Rat den Sistierungsantrag der Kommissionsmehrheit mit 105 zu 77 Stimmen (ohne Enthaltungen) an. Die Gegenstimmen stammten von den Fraktionen der SP, der Grünen und der Grünliberalen.

Botschaft zum UNO-Migrationspakt
Dossier: Uno-Migrationspakt

Im September 2021 nahm Bundesrat Cassis an der Afghanistan Konferenz der UNO teil, an der die Situation in Afghanistan nach der Machtübernahme durch die Taliban besprochen wurde. Das Ziel der Konferenz bestand darin, auf die grosse humanitäre Krise aufmerksam zu machen und die finanzielle Soforthilfe zu sichern. Bundesrat Cassis kündigte eine Erhöhung der Mittel für humanitäre Hilfe um CHF 33 Mio. an, womit sich die Schweizer Hilfe bis Ende 2022 auf rund CHF 60 Mio. belaufen werde. Cassis erinnerte aber auch daran, dass finanzielle Hilfe alleine nicht ausreiche, und forderte die Taliban auf, internationalen Organisationen und NGOs uneingeschränkten Zugang zur Bevölkerung zu ermöglichen. Auch die Achtung der Menschenrechte und der Minderheitenschutz müssten garantiert werden. Aussenminister Cassis traf sich im Rahmen der Konferenz unter anderem mit UNO-Generalsekretär António Guterres, um sich über die humanitäre Soforthilfe und die zukünftige internationale Entwicklungskooperation in Afghanistan zu unterhalten.

Afghanistan Konferenz der UNO 2021
Dossier: Humanitäres Engagement der Schweiz in Afghanistan

Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan Anfang August 2021 und dem gleichzeitigen Beschluss der USA und weiterer Staaten, ihre Truppen aus Afghanistan abzuziehen und ihre Botschaften zu evakuieren, leitete auch das EDA am 14. August die Evakuation des DEZA-Kooperationsbüros in Kabul ein und schloss dieses vorübergehend. Nebst drei Schweizer Staatsangehörigen beschäftigte das Kooperationsbüro 38 lokale Mitarbeitende, die nach Einschätzung des Bundesrats von den Taliban als «westliche Kollarobateure» betrachtet werden könnten und daher an Leib und Leben gefährdet seien, berichtete die NZZ. Das EDA gab am 16. August in einer Medienmitteilung bekannt, dass man den Mitarbeitenden und ihren engsten Familienangehörigen – insgesamt 230 Personen – ein humanitäres Visum für die Schweiz gewähre und sie dem Resettlement-Kontingent anrechenen werde. Seit 2019 wird jährlich ein Kontingent von 1'500-2'000 Personen für Resettlement-Flüchtlinge definiert. Unter Resettlement versteht man in Zusammenarbeit mit dem UNHCR die dauerhafte Neuansiedlung besonders schutzbedürftiger Flüchtline unter vollem Flüchtlingsschutz.
Tags darauf schickte das VBS 10 Soldaten nach Kabul, um die Bemühungen vor Ort zu unterstützen.
Auch die Schweizer Parteien meldeten sich diesbezüglich zu Wort. Wie La Liberté am 18. August berichtete, hatte die SP innert kürzester Zeit eine Online-Petition gestartet, welche die bürokratielose Aufnahme von mindestens 5'000 afghanischen Flüchtlingen verlangte. Kurz darauf drängten die SP, die Grünen sowie zahlreiche Hilfsorganisationen gar zur Aufnahme von 10'000 Flüchtlingen, wie die NZZ festhielt. Am anderen Ende des politischen Spektrums wehrte sich die SVP gegen jegliche Art von Kontingenten.
Am 19. August schob der Bundesrat derartigen Bestrebungen jedoch einen Riegel: Bundesrätin Karin Keller-Sutter äusserte zwar Verständnis für die Forderungen, doch die Aufnahme ganzer Gruppen sei nicht möglich, wie sie vor den Medien zu Verstehen gab. Sie führte aus, dass die Lage zu instabil sei, viele Menschen zurzeit nicht aus Afghanistan ausreisen könnten und man nicht wisse, ob überhaupt Bedarf bestehe. Sobald das UNHCR überprüft habe, ob und wie viele Menschen langfristig Schutz bräuchten, müsse die Staatengemeinschaft als Ganzes und damit auch die Schweiz über eine mögliche Aufnahme entscheiden.
Dies sorgte für Kritik aus den Reihen der besagten Parteien. So kritisierte Grünen-Präsident Balthasar Glättli (gp, ZH) in der NZZ, dass der Bundesrat «ein kaltes Herz» zeige. Er müsse sich vielmehr im Sinne der humanitären Tradition der Schweiz aktiv für die Aufnahme von Flüchtlingen einsetzen. Am 23. August vermeldete das EDA, dass ein Charterflug mit medizinischem Personal und Covid-Schutzmaterial nach Usbekistan gestartet sei, um die Evakuierungsanstrengungen sämtlicher westlicher Länder zu unterstützen. In der Medienmitteilung teilte das EDA zudem mit, dass sich weiterhin 35 Schweizer Staatsangehörige in Afghanistan befänden und man deren Repatriierung vorbereite. Die Repatriierung wurde schliesslich am 27. August vom EDA für beendet erklärt, nachdem insgesamt 385 Personen aus Afghanistan in die Schweiz geflogen worden waren.
Weiterhin offen blieb die Frage, wie die Schweizer Entwicklungshilfe ihre Arbeit in Afghanistan fortzusetzen gedenke. Die Weltwoche erklärte, dass die DEZA die bestehenden Projekte anpassen und fortführen wolle und sie schon in der Vergangenheit in den von den Taliban kontrollierten Gebieten tätig gewesen sei. Anfang September beschloss der Bundesrat, das humanitäre Engagement in Afghanistan zu verstärken, indem zusätzliche CHF 33 Mio. für Hilfe vor Ort freigegeben wurden. Insgesamt würde die Schweiz über die kommenden 16 Monate CHF 60 Mio. in Afghanistan und die umliegenden Staaten investieren, erklärte der Bundesrat.

Evakuation des DEZA-Kooperationsbüros in Kabul
Dossier: Humanitäres Engagement der Schweiz in Afghanistan

Angesichts der Krise in Afghanistan forderte die APK-NR Ende August 2021 mittels einer Motion einen Beitrag der Schweiz zu Stabilität und Frieden in der Region. Die Schweiz solle auch aufgrund ihrer humanitären Tradition ihre Bemühungen in Zusammenarbeit mit allen beteiligten Parteien verstärken und dem Parlament, wenn nötig, einen Nachtragskredit für die humanitäre Hilfe in Afghanistan vorlegen, der grössentechnisch mit den Hilfszahlungen für Syrien vergleichbar sei. In seiner Stellungnahme im November zeigte sich der Bundesrat besorgt über die sich verschlechternde Sicherheits- und Menschenrechtslage in Afghanistan. Die Schweiz habe Mitte September an der Afghanistan-Konferenz der UNO teilgenommen und sei bereit, ihre Guten Dienste anzubieten, sofern eine Nachfrage danach bestehe. Man habe Anfang September zudem das Budget des DEZA-Kooperationsprogramms in Afghanistan für das Jahr 2021 um CHF 33 Mio. aufgestockt, von denen CHF 23 Mio. über einen Nachtragskredit finanziert werden sollen. Auch im Jahr 2022 sei ein ausgeweitetes Budget in der Höhe von CHF 27 Mio. vorgesehen, womit sich die Schweizer Hilfe bis Ende 2022 auf CHF 60 Mio. belaufen werde. Da er die Anliegen der Motion als erfüllt ansah, beantragte der Bundesrat deren Ablehnung.

Beitrag der Schweiz zu Stabilität und Frieden in Afghanistan
Dossier: Humanitäres Engagement der Schweiz in Afghanistan

Ende Juli 2021 kündigte das EDA an, dass Bundesrat Cassis Anfang August nach Thailand, Laos und Vietnam reisen werde. Die Reise erfolge im Kontext der Aussenpolitischen Strategie 2020-2023, welche eine Intensivierung des Schweizer Engagements in Asien vorsah. In Bangkok wurde die Schweizer Delegation in einer Übergabezeremonie für die Lieferung von Beatmungsgeräten und Antigentests zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie verdankt. Anlässlich der 1. August-Feier sprach der Bundesrat zudem online mit der Auslandschweizer-Gemeinschaft in Thailand. Die politischen Gespräche mit dem thailändischen Premierminister Chan-o-cha und Aussenminister Pramudwinai drehten sich nicht nur um die Pandemiebekämpfung, sondern auch um die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und ASEAN. Zudem äusserten beide Delegationen Interesse in Bezug auf ein mögliches Freihandelsabkommen zwischen der EFTA und Thailand und würdigten das 90-Jahre-Jubiläum ihrer bilateralen Beziehungen.
Mit dem Besuch in Laos wurde Cassis zum ersten Schweizer Aussenminister, der das Land auf einer Amtsreise besuchte. Im Zentrum der Gespräche mit dem laotischen Vize-Premierminister Siphandone stand die Entwicklungszusammenarbeit, die die Schweiz in Laos seit 1995 tätigt. Zudem wurde ein Kooperationsabkommen für die Bereiche Beschäftigung, Berufsbildung, Landwirtschaft, Ernährungssicherheit, Klimawandel, lokale Gouvernanz und Bürgerbeteiligung sowie humanitäre HIlfe abgeschlossen.
Zum Abschluss der Auslandsreise traf sich Cassis in Hanoi mit dem neuen vietnamesischen Premierminister Minh Chinh und feierte mit ihm das 50-jährige Jubiläum der bilateralen diplomatischen Beziehungen zwischen der Schweiz und Vietnam. Cassis kündigte ausserdem an, dass die Schweiz Hilfsgüter im Wert von CHF 5 Mio. zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie nach Vietnam schicken werde. Mit Aussenminister Son tauschte sich Cassis auch über Vietnams Erfahrungen als nichtständiges Mitglied im UNO-Sicherheitsrat aus und stellte bei dieser Gelegenheit die Schweizer Kandidatur für 2022 vor. Ein weiterer Schwerpunkt des Treffens war das Freihandelsabkommen zwischen Vietnam und der EFTA, über das seit 2012 verhandelt wird.

Bundesrat Cassis reist nach Thailand, Laos und Vietnam
Dossier: Staatsbesuche im Ausland 2021

Nachdem der Nationalrat die Änderungen des Ständerats ohne grössere Diskussion angenommen, selbst aber eine sprachliche Präzisierung am Gesetzestext vorgenommen hatte, gelangte das Bundesgesetz über die Durchführung von internationalen Abkommen im Steuerbereich zur Differenzbereinigung in der Sommersession 2021 noch einmal in die kleine Kammer. Martin Schmid (fdp, GR) empfahl dem Ständerat im Namen der WAK-SR, dem Nationalrat zu folgen. Die Kantonskammer bereinigte die Differenz in der Folge einstimmig. Auch in der Schlussabstimmung wenige Tage später nahmen beide Räte die Vorlage jeweils einstimmig an.

Durchführung von internationalen Abkommen im Steuerbereich (BRG 20.082)

Im Juni 2021 forderte Eva Herzog (sp, BS) in einer Motion, dass das Epiedemiengesetz dahingehend geändert wird, dass der Bundesrat bei Grenzschliessungen die notwendigen Massnahmen ergreifen können soll, um die Reisefreiheit und Mobilität von Grenzgängerinnen und Grenzgängern und Einwohnerinnen und Einwohnern mit persönlicher, familiärer oder beruflicher Bindung im Grenzgebiet sicherzustellen. Da die Corona-Pandmie nicht die letzte ihrer Art sein werde und die abgebrochenen Verhandlungen über das Rahmenabkommen mit der EU die Situation der Grenzregionen nicht vereinfacht hätten, müsse man präventiv Massnahmen ergreifen, um das Leben in diesen Regionen in Krisenzeiten aufrechtzuerhalten. Eine derartige Bestimmung sei bereits im Covid-19-Gesetz enthalten, sei aber wie das Gesetz selber auf Ende 2021 befristet.
In seiner Stellungnahme machte der Bundesrat klar, dass er sich bemühe, verhältnismässige Massnahmen zur Pandemiebekämpfung zu ergreifen und von einer Mobilitätsbeschränkung absehe, wenn die epidemiologische Lage dies erlaube. Das Motionsanliegen werde durch die Umsetzung des Epidemiengesetzes, der Covid-19-Verordnung 3 und der Covid-19-Verordnung «Massnahmen im Bereich des internationalen Personenverkehrs» bereits berücksichtigt, argumentierte der Bundesrat. Er setze sich jedoch gegen eine explizite Regelung im Epidemiengesetz ein, da man dadurch den eigenen Handlungsspielraum – beispielsweise bei Ausbruch einer noch bedrohlicheren Pandemie – einschränken würde. Zudem sollten derartige Massnahmen an den Binnengrenzen im Rahmen der Schengen-Zusammenarbeit erarbeitet werden. Aus diesen Gründen beantragte er die Ablehnung der Motion.

Ergänzung des Epidemiengesetzes zur Garantie des Grenzverkehrs auch in Pandemiezeiten
Dossier: Kontrolle der Schweizer Landesgrenzen in Covid-19-Zeiten

Der Bundesrat beantragte im März 2021 die Abschreibung des Postulats Bigler (fdp, ZH) sowie der Motion Imark (svp, SO; 16.3289) zur Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen in Partnerländern der internationalen Zusammenarbeit. Der Postulatsbericht erfülle die Anliegen beider Vorstösse, so der Bundesrat. Der Nationalrat schrieb beide Geschäfte in der Sommersession 2021 ab.

Rapport détaillé sur le financement des ONG palestiniennes et israéliennes (Po. 18.3820)
Dossier: NGOs und der israelisch-palästinensische Konflikt

Die Motion Imark (svp, SO), welche die Verwendung von Steuergeldern für Rassismus, Antisemitismus und Hetze konsequent unterbinden wollte, wurde in der Sommersession 2021 auf Antrag des Bundesrats von beiden Ratskammern abgeschrieben. Grund dafür war die im Januar 2020 erfolgte Veröffentlichung des Berichts in Erfüllung dieser Motion sowie des Postulats Bigler (fdp, ZH, Po.18.3820).

Couper court au détournement des deniers publics à des fins de racisme, d'antisémitisme et d'incitation à la haine (Mo. 16.3289)
Dossier: NGOs und der israelisch-palästinensische Konflikt

Im März 2021 beantragte der Bundesrat die Abschreibung der Motion der APK-NR, welche damit einen Nachtragskredit für die humanitäre Hilfe gefordert hatte. Im Bericht über Motionen und Postulate der eidgenössischen Räte im Jahre 2020 liess der Bundesrat verlauten, dass er im April 2020 einen Kredit über CHF 400 Mio. beschlossen habe, um die negativen Folgen der Covid-Pandemie in von Armut, Konflikten und Katastrophen geprägten Staaten zu mildern. Das Parlament hatte daraufhin im Nachtrag IIa nur CHF 200 Mio. an Darlehen und CHF 107.5 Mio. an Beiträgen freigegeben. Diese erfüllten das Motionsanliegen aus Sicht des Bundesrats jedoch bereits. Zusätzlich zu den Krediten in der Entwicklungshilfe habe das EJPD einen Kredit von CHF 1.1 Mio. für Projekte des UNO-Flüchtlingshilfswerks und des IKRK freigegeben. Die beiden Räte schrieben die Motion kurz darauf während der Sommersession 2021 ab.

Nachtragskredit für die humanitäre Hilfe

In der Sommersession 2021 kam es zur Abschreibung des Postulats Béglé (Po. 17.3789) zur Rolle der Schweiz beim Aufbau einer internationalen Cyberspace-Gouvernanz. Im Rahmen des Berichts über die Motionen und Postulate der gesetzgebenden Räte im Jahr 2020 kam der grosse Rat wie zuvor der Bundesrat zum Schluss, dass das Anliegen des Postulats mit der Strategie Digitalaussenpolitik 2021-2024 erfüllt worden sei.

Epizentrum der internationalen Digitalisierungsgouvernanz
Dossier: Aussenpolitische Strategien

Im April 2021 entschied die APK-SR einstimmig, die Beratung der Botschaft zum UNO-Migrationspakt zu sistieren, bis die Subkommission der beiden aussenpolitischen Kommissionen ihre Arbeit zum Thema «Soft Law» abgeschlossen hat. Obwohl das Parlamentsgesetz vorsieht, dass die aussenpolitischen Kommissionen über «wesentliche» Vorhaben – darunter können auch Soft Law-Abkommen fallen – informiert oder konsultiert werden müssen, geschah das in der Vergangenheit nicht immer, wie das Beispiel des UNO-Migrationspakts zeigt. Die Subkommission sollte vorgängig ermitteln, ob das Kriterium der «Wesentlichkeit» in diesem Fall durch die Bundesverwaltung korrekt angewendet wurde und ob die Mitwirkung der Kommissionen zweckmässig und im internationalen Rechtsvergleich ausgeprägt sei.
Diesen Sistierungsantrag unterbreitete die Kommission der kleinen Kammer in der darauffolgenden Sommersession. Ihr Sprecher, Marco Chiesa (svp, TI), betonte dabei, dass die Subkommission damit beschäftigt sei zu ermitteln, ob ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf hinsichtlich der Beteiligung des Parlaments im Soft Law-Bereich vorliege. Chiesa bezeichnete den Migrationspakt als ein Beispiel für Soft Law, das über einen «relativ ausgeprägt[en]» Gestaltungswillen verfüge, das also bereits «an der Grenze zum Hard Law» sei. Die Subkommission sei bemüht, in der ersten Jahreshälfte 2022 einen Lösungsansatz zu präsentieren, so Chiesa. Nationalrat Minder (parteilos, SH), der ebenfalls Mitglied der besagten Subkommission war, erklärte, dass man aufgrund der Komplexität des Themas auch die PVK mit einem internationalen Rechtsvergleich habe beauftragen müssen. Er warnte davor, den Migrationspakt vorschnell anzunehmen und damit ein Präjudiz zu schaffen. Zudem zweifelte er daran, dass die mit der Corona-Pandemie verbundene angespannte Arbeitsmarktlage den richtigen Rahmen für eine Diskussion über den Migrationspakt biete. Aussenminister Cassis zeigte Verständnis für das Vorhaben der ständerätlichen Kommission und fügte an, dass der Bundesrat jederzeit bereit sei, die Diskussion über den Migrationspakt fortzuführen. Der Ständerat folgte daraufhin der Empfehlung seiner Kommission und sistierte das Geschäft.

Botschaft zum UNO-Migrationspakt
Dossier: Uno-Migrationspakt

Die kleine Kammer nahm in der Sommersession 2021 Kenntnis vom Aussenpolitischen Bericht 2020. APK-SR-Sprecher Damian Müller (fdp, LU) fasste die wichtigsten Schlussfolgerungen des Berichts zusammen und verwies dann auf vier Fragen, welche sich die Kommission gestellt hatte. Diese betrafen die internationale Forschungs- und Bildungspolitik, das Mandat der USA im Iran, die Impfsituation des Botschaftspersonals und die Zusammenarbeit mit NGOs wie dem IKRK. Da diese Fragen zur Zufriedenheit der Kommissionsmitglieder beantwortet worden waren, sprach er dem Aussenminister ein Lob für dessen Arbeit aus.
Kritischer gab sich Carlo Sommaruga (sp, GE), der die im Bericht versprochene «Kohärenz» vor allem auf die Entwicklungspolitik bezog und in diesem Bereich noch viel Verbesserungspotenzial sah. Er kritisierte auch die im Bericht enthaltene Aussage des Bundesrats, dass der Abschluss eines institutionellen Abkommens mit der EU angestrebt werde, für dessen Abschluss man mit den Kantonen und Sozialpartnern zusammenarbeite. Der kurz darauf erfolgte Abbruch der Verhandlungen stellte für Sommaruga eine Kluft zwischen der europäischen Strategie 2020 und jener im Jahr 2021 dar. Er forderte daher vom Bundesrat eine präzise Strategie, um den im Bericht angekündigten bilateralen Weg fortführen zu können. Bundesrat Cassis bekräftigte das bundesrätliche Bekenntnis zu Europa, gab dabei aber zu bedenken, dass ein gemeinsam gestalteter bilateraler Weg aussen- und innenpolitisch getragen werden müsse. Die Partnerschaft mit der EU bleibe aber die Priorität des Bundesrats.

Aussenpolitischer Bericht 2020 (BRG 21.009)
Dossier: Aussenpolitische Berichte (ab 2009)

In der Sommersession 2021 beschäftigte sich die grosse Kammer als Zweitrat mit dem Bundesgesetz über die Durchführung von internationalen Abkommen im Steuerbereich (StADG), das im Rat grundsätzlich unbestritten war. Der Bundesrat sah eine Totalrevision des Bundesgesetzes über die Durchführung von zwischenstaatlichen Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung vor, welches noch aus dem Jahr 1951 datiert und für veraltet befunden wurde. Die WAK-NR hatte das Geschäft im Vorfeld der Session zur Annahme empfohlen und war den Beschlüssen des Ständerats weitgehend gefolgt. Kommissionssprecherin Amaudruz (svp, GE) erklärte, die Kommission habe nur eine kleine Änderung hinsichtlich der Ausgleichszahlungen bei der Verrechnungssteuer vorgenommen. Zudem seien zwei Minderheitsanträge Aeschi (svp, ZG) eingereicht worden. Minderheitssprecher Aeschi forderte in diesen eine Abschwächung der Strafbestimmungen in zweierlei Hinsicht. Einerseits verlangte er die Streichung des Tatbestands der Fahrlässigkeit, sodass nur vorsätzlich ungerechtfertigte Rückerstattungen der Verrechnungssteuer bestraft werden könnten, andererseits wollte er die Busse auf maximal CHF 30'000 beschränken, während im Gesetzestext eine Busse bis zum «Dreifachen des unrechtmässigen Vorteils» vorgesehen war. Da sich jedoch alle Fraktionen mit Ausnahme der SVP ausdrücklich für die Kommissionsmehrheit und gegen die Minderheitsanträge ausgesprochen hatten, schienen diese Anliegen wenig aussichtsreich.
Bundesrat Maurer stellte erfreut fest, dass zwischen Parlament und Bundesrat keine Differenzen bestünden. Der Gesamtbundesrat akzeptiere die «sprachliche Präzisierung» der Kommissionsmehrheit. Maurer bat die grosse Kammer, die Minderheitsanträge von Nationalrat Aeschi abzulehnen, weil man sonst im vorliegenden Gesetz eine andere Strafbestimmung schaffen würde als im Verrechnungssteuergesetz. Zudem würde man ausländische Straftäter gegenüber inländischen bevorzugen. Die Minderheitsanträge wurden mit 139 zu 49 beziehungsweise 140 zu 49 Stimmen klar abgelehnt. Der Gesetzesentwurf als Ganzes wurde einstimmig angenommen und ging aufgrund der vorgenommenen Präzisierung des Gesetzestexts zur Differenzbereinigung zurück an den Ständerat.

Durchführung von internationalen Abkommen im Steuerbereich (BRG 20.082)

Anfang April 2021 reiste Bundesrat Ignazio Cassis in den Irak, Oman und Libanon, um die Schwerpunkte der neuen aussenpolitischen Strategie für die Region des Mittleren Ostens und Nordafrika (MENA) mit Vertretern der betroffenen Staaten zu beraten. Begleitet wurde er dabei von den beiden Mitgliedern der APK-SR, Damian Müller (fdp, LU) und Andrea Gmür-Schönenberger (mitte, LU).
Zu Beginn der Reise traf sich Cassis mit dem irakischen Premierminister Mustafa Al-Kadhimi. Der Besuch im Irak war der erste eines Bundesrats seit 1979. Im Zentrum der Gespräche standen vor allem das humanitäre Engagement der Schweiz im Irak, der Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit und die Bereitschaft der Schweiz, sich für den Abbau politischer Spannungen in der Region einzusetzen. Zum Abschluss unterschrieb Bundesrat Cassis ein Memorandum of Understanding (MoU) zur Aufnahme politischer Konsultationen zwischen den beiden Ländern. Dabei ging es auch um die Einrichtung einer neuen Botschaft im Irak, nachdem die Schweiz ihr Verbindungsbüro 2008 aus Sicherheitsgründen geschlossen hatte.
Daraufhin reiste die Delegation in den Oman, der wie die Schweiz eine neutrale Aussenpolitik betreibt und sich stark um die regionale Sicherheit im Mittleren Osten bemüht. Zentrale Themen des Besuchs waren Initiativen im Bereich der globalen Gesundheit sowie der Berufsbildung. Auch mit dem Oman wurde ein MoU für regelmässige politische Konsultationen abgeschlossen.
Zum Abschluss reiste die Schweizer Delegation in den Libanon, wo sich die Schweiz zuletzt nach der Explosion im Hafen von Beirut an den Wiederaufbaubemühungen beteiligt hatte. Die Unterstützungsleistungen in Höhe von CHF 6 Mio. fokussierten gemäss der aktuellen Strategie der Internationalen Zusammenarbeit vor allem auf den Gesundheits- und Bildungsbereich. Bundesrat Cassis besuchte zudem eine informelle Siedlung syrischer Flüchtlinge und bekräftigte dabei die Unterstützung der Schweiz, welche seit Beginn der Syrienkrise 2011 rund CHF 520 Mio. an Hilfszahlungen umfasste.

Bundesrat Cassis reist in den Irak, Oman und Libanon
Dossier: Staatsbesuche im Ausland 2021

In der Frühjahrssession 2021 setzte sich der Nationalrat mit der Genehmigung der Genfer Akte des Lissabonner Abkommens über Ursprungsbezeichnungen und geografische Angaben auseinander. Simone de Montmollin (fdp, GE) berichtete im Namen der WBK-NR dass das Abkommen zur Unterstützung empfohlen werde, da die Schweiz aufgrund des Geltungsbereichs der Genfer Akte ihre wirtschaftlichen Interessen besser schützen könne. Das Abkommen sei vor allem für Schweizer Agrarprodukte mit hoher Wertschöpfung von grosser Bedeutung. Bundesrätin Karin Keller-Sutter merkte an, dass der Schweiz durch den Beitritt keine direkten finanziellen oder personellen Kosten entstehen würden. Auch das aktuelle Schweizer Verfahren zur Anerkennung und Verwaltung von geografischen Angaben müsse nicht angepasst werden. Die Schweiz würde im Markenschutzgesetz dennoch einige Bestimmungen gesetzlich verankern, unter anderem eine Berechtigungsgrundlage für eine internationale Registrierung, Gründe einer Verweigerung, Übergangsfristen bei Verstössen und die Erhebung von Verfahrensgebühren. Der Nationalrat nahm das Geschäft mit 182 Stimmen einstimmig an.
Genauso eindeutig war das Ergebnis der Schlussabstimmung. Sowohl der Ständerat mit 44 Stimmen, wie auch der Nationalrat mit 194 zu 1 Stimmen genehmigten das Abkommen klar.

Genehmigung des Lissabonner Abkommens über Ursprungsbezeichnungen und geografische Angaben (BRG 20.048)

In der Frühjahrssession 2021 nahm der Nationalrat Kenntnis vom Aussenpolitischen Bericht 2020. Der Bericht gab einen Überblick über die Aussenpolitik der Schweiz im Berichtsjahr, wobei er sich strukturell an der Aussenpolitischen Strategie 2020-2023 und deren vier Schwerpunkten ausrichtete. Einen besonderen Fokus legte er aus Aktualitätsgründen auf die Corona-Pandemie. Diese führte im Jahr 2020 zur grössten Rückholaktion der Schweizer Geschichte und zu einem ausgeweiteten Einsatz der IZA. Darüber hinaus stärkten der Einbezug der Schweiz in das europäische Krisendispositiv, der funktionierende EU-Binnenmarkt und der grosse Nutzen zahlreicher bilateraler Abkommen während der Pandemie das europapolitische Ziel des Bundesrats, den bilateralen Weg mithilfe eines institutionellen Rahmenabkommens zu vertiefen. Ein weiterer zentraler Aspekt der Aussenpolitik im Berichtsjahr war die Schweizer Kandidatur für den UNO-Sicherheitsrat, welche durch den angekündigten Einbezug des Parlaments im Inland vorangetrieben wurde. Ebenfalls hervorgehoben wurden die geografischen und thematischen Teilstrategien, mit denen der Bundesrat die Kohärenz der Aussenpolitik verstärken will. Dazu gehören die MENA-Strategie, die China-Strategie und die Subsahara-Afrika-Strategie, sowie die IZA-Strategie, die Strategie zur Digitalaussenpolitik und die Strategie Landeskommunikation.
Claudia Friedl (sp, SG) kritisierte im Namen der APK-NR das Fehlen einer «Teilstrategie Europa» in diesem Bericht. Zudem unterstütze die Kommission zwar grundsätzlich das Bestreben des Bundesrats, die Politikkohärenz zu erhöhen, sie verlange aber, dass die Agenda 2030 den übergeordneten Rahmen für die Aussenpolitik bilden solle. Die Kommission bemängelte laut Friedl auch das zu kurze Kapitel zum Thema «Migration und Flucht», merkte aber selbst an, dass der Bundesrat im Migrationsbericht vertieft darauf eingehen wolle. Kommissionssprecher Denis de la Reussille (pda, NE) fügte dem Votum seiner Kollegin hinzu, dass die Frage des Zugangs zu Wasser weiterhin eine wichtige Rolle in der Schweizer Aussenpolitik spielen werde. Bei dieser Thematik könne sich die Schweiz mit ihrem Fachwissen einbringen. Noch kritischer als die Kommission war Nationalrat Roland Büchel (svp, SG), der sich entrüstet darüber zeigte, dass das Rahmenabkommen und die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU im Bericht erst an achter Stelle aufgeführt wurden. Er verlangte die Überweisung dieses Dossiers an das Parlament. Nationalrätin Tiana Angelina Moser (glp, ZH) bezeichnete die fehlende Führungsverantwortung des Gesamtbundesrats, dessen verwirrende Kommunikation und den mangelnden Einbezug des Parlaments diesbezüglich als «Trauerspiel» und forderte ebenfalls die Überweisung des Rahmenabkommens an das Parlament. Christine Bulliard-Marbach (mitte, FR) sprach die bevorstehende Publikation der China-Strategie an und verlangte, dass die Schweiz von China die Respektierung der Menschenrechte, mehr Transparenz und die Einhaltung international anerkannter Handelsregeln einfordern müsse. Zum Abschluss der Debatte erklärte Bundesrat Ignazio Cassis, dass sich die globalen Kräfteverhältnisse nicht zuletzt aufgrund der wachsenden Konkurrenz der Grossmächte veränderten. Die Schweiz müsse in internationalen Auseinandersetzungen als Brückenbauerin fungieren, an ihren Trümpfen wie den guten Diensten festhalten und zugleich ihre Aussenpolitik agiler gestalten, beispielsweise durch Wissenschaftsdiplomatie oder die digitale Aussenpolitik. Cassis betonte zudem, dass die Europafrage auch bei einem gescheiterten Rahmenabkommen zentral bleiben werde und dass die Schweiz sich auch in den bilateralen Beziehungen mit europäischen Staaten engagiere, unter anderem durch die Mind the Gap-Strategie mit dem Vereinigten Königreich.

Aussenpolitischer Bericht 2020 (BRG 21.009)
Dossier: Aussenpolitische Berichte (ab 2009)

Anfang Februar 2021 legte der Bundesrat den Räten seine Botschaft zum UNO-Migrationspakt vor und beantragte zugleich die Abschreibung dreier inhaltlich identischer Motionen (Mo. 18.4093; Mo. 18.4103; Mo. 18.4106), welche den Bundesrat damit beauftragt hatten, dem Parlament den Antrag auf Zustimmung zum Migrationspakt in Form eines Bundesbeschlusses zu unterbreiten. Der Bundesrat hatte beschlossen, dies in Form eines einfachen Bundesbeschlusses zu tun, da es sich beim Migrationspakt nicht um einen völkerrechtlichen Vertrag handelt und dieser somit nicht dem fakultativen Referendum untersteht. Der Migrationspakt, ein Soft-Law-Instrument, war im Dezember 2018 von der UNO-Generalversammlung verabschiedet worden und will durch gemeinsam getragene Prinzipien und Zielsetzungen die weltweite Migration künftig sicherer machen und geordneter steuern. Laut Botschaft entsprechen die Grundsätze des Pakts – Partnerschaft und internationale Zusammenarbeit bei gleichzeitig souveräner nationalstaatlicher Migrationssteuerung – der Ausrichtung der Schweizer Migrationspolitik und stünden auch in Einklang mit der Aussenpolitischen Strategie 2020-2023 sowie der Strategie Nachhaltige Entwicklung 2016-2019. Der Bundesrat legte in der Botschaft dar, dass die 23 Ziele des Migrationspakts grundsätzlich mit der Schweizer Rechtsordnung und Praxis kompatibel seien und nur punktuell Abweichungen bestünden. Da diese aber ausschliesslich freiwillige Umsetzungsinstrumente beträfen, entständen mit der Zustimmung zum Migrationspakt weder ein innenpolitischer Handlungszwang noch finanzielle Verpflichtungen. Aus Sicht des Bundesrats entsprächen Ziele wie die Bekämpfung von Menschenhandel, Rückkehr und Reintegration oder auch sichere Grenzen den Interessen der Schweiz und seien zudem für die Erreichung der UNO-Nachhaltigkeitsziele von Bedeutung. Die Schweiz sei angesichts der volatilen Migrationslage auf internationale Zusammenarbeit angewiesen. Die Botschaft legte dar, dass sich viele migrationspolitische Herausforderungen der Schweiz auf inadäquate Systeme und fehlende Kapazitäten auf Seiten der Herkunftsländer zurückführen liessen. Daher sei auch die Stärkung der Migrationspolitik anderer Länder für die Schweiz von grossem Interesse. Ein Verzicht auf Zustimmung hätte für die Schweiz langfristig negative Folgen, befürchtete der Bundesrat. Insbesondere die bilateralen Beziehungen mit Ländern wie Nigeria, Tunesien oder Marokko, welche den Migrationspakt als Referenzpunkt für ihre eigene Migrationspolitik verwenden werden, könnten sich dadurch verschlechtern. Auch auf multilateraler Ebene würde ein Verzicht die Schweiz benachteiligen, da sie ihre Interessen in multilateralen Gremien schlechter vertreten könnte und die Rolle des internationalen Genfs geschwächt würde. Der Bundesrat gab zu bedenken, dass die Schweiz in diesem Fall auch keine Möglichkeit hätte, einzelne Themen weiterzuentwickeln, die im UNO-Migrationspakt nur ungenügend ausgeführt wurden.
Bereits vor Beginn der parlamentarischen Beratungen kündigte sich allen voran bei den bürgerlichen Parteien Widerstand gegen das internationale Übereinkommen an. In der NZZ äusserte sich Nationalrat Kurt Fluri (fdp, SO) besorgt über die politische Verbindlichkeit des Pakts und befürchtete, dass dieser die Migration insgesamt fördere. Auch die SVP kritisierte das Abkommen und bezeichnete dieses als «realitätsfremde internationale Vereinbarung», die schädlich sei für die Schweiz. Die Partei zweifelte auch an der Unverbindlichkeit des Soft-Law-Instruments. Die Erfahrung zeige, dass aus derartigen Vereinbarungen Rechtsansprüche abgeleitet würden, gab die SVP zu bedenken. Laut Elisabeth Schneider-Schneiter (mitte, BL) zeige die Diskussion über den Migrationspakt vor allem, dass Handlungsbedarf in Bezug auf den Umgang mit Soft Law bestehe. Gemäss geltendem Recht besässen die Räte nämlich gar keine Kompetenz, um über den Beitritt zum Migrationspakt zu entscheiden, so die Mitte-Nationalrätin. Nationalrat Sommaruga (sp, GE) – ein Befürworter des Migrationspakts – zeigte sich damit unzufrieden, dass der Bundesrat die Unterzeichnung des Vertrags von der Zustimmung des Parlaments abhängig macht. Er warf Bundesrat Cassis daher vor, dass dieser es verpasst habe, dem Bundesrat die Unterzeichnung aufzuzwingen. Die Schweiz riskiere bei einer Ablehnung durch das Parlament den Unmut der anderen Staaten.

Botschaft zum UNO-Migrationspakt
Dossier: Uno-Migrationspakt

Jahresrückblick 2020: Aussenpolitik

Nebst dem Dauerbrenner «Institutionelles Rahmenabkommen» hielten auch die Auswirkungen der Corona-Krise im Bereich der Aussenpolitik das Parlament und den Bundesrat auf Trab. Sie waren aber beileibe nicht die einzigen Themen, welche die Schweizer Aussenpolitik im Jahr 2020 prägten.

Mitte März beschloss der Bundesrat aufgrund der Corona-Pandemie die Einführung von Schengen-Grenzkontrollen – und damit faktisch die Schliessung der Grenzen – zu allen Nachbarländern mit Ausnahme Liechtensteins. Diese Restriktionen wurden in den darauffolgenden Wochen auf die Schengen-Aussengrenzen und Flüge aus sämtlichen Schengen-Staaten ausgeweitet. Kurz darauf ergriff das EDA erste Massnahmen, um den im Ausland gestrandeten Bürgerinnen und Bürgern die Rückreise in die Schweiz zu erleichtern. Da diese Massnahmen bereits nach wenigen Tagen nicht mehr ausreichten, da abgesagte Flüge und geschlossene Grenzen die eigenständige Rückreise verunmöglichten, initiierte das EDA die bis anhin grösste Rückholaktion von Schweizer Reisenden aller Zeiten. Im Rahmen dieser Aktion führten Edelweiss und Swiss bis Ende April Repatriierungsflüge für rund 7000 Personen durch. Mit dem Abflachen der ersten Infektionswelle wurde im Mai rasch der Ruf nach einer möglichst baldigen Öffnung der Grenzen zu Deutschland und Frankreich und der Wiederherstellung der Personenfreizügigkeit laut. Trotz des Drängens der Parlamentarierinnen und Parlamentarier führte der Bundesrat Lockerungen erst wie geplant im Juni ein.

Das Evergreen der Schweizer Aussenpolitik, das institutionelle Rahmenabkommen, geriet ob der Corona-Krise bisweilen fast ein wenig in Vergessenheit, gewann aber spätestens nach der Ablehnung der Begrenzungsinitiative an der Urne wieder an Bedeutung. Das hatte einerseits mit einer Erklärung der Sozialpartner zu tun, welche sich nicht hinter die zuletzt vorgestellte Fassung des Rahmenabkommens stellen wollten. Andererseits sorgte aber vor allem auch die Absetzung des bisherigen EU-Chefunterhändlers – Roberto Balzaretti – und die damit einhergehende Ernennung von Livia Leu zur neuen Staatssekretärin und Chefunterhändlerin für mediale Schlagzeilen. Während zahlreiche Parlamentarierinnen und Parlamentarier den Nutzen des Wechsels in Frage stellten und den Bundesrat für seinen Personalverschleiss kritisierten, zeigten Vertreter der EU wenig Verständnis für erneute Verzögerungen aufseiten der Schweiz. Durch die Annahme eines Postulats Nussbaumer(sp, BL; Po. 18.3059) forderte das Parlament vom Bundesrat derweil die Möglichkeit der parlamentarischen Mitwirkung in den Angelegenheiten Schweiz-EU, sofern das Rahmenabkommen angenommen werden sollte. Deutlich weniger polarisierend waren die Genehmigung und Umsetzung des Europäischen Reiseinformations- und Genehmigungssystems für den Schengen-Raum sowie eine nötig gewordene Änderung des Ausländer- und Integrationsgesetzes, die vom Ständerat einstimmig angenommen wurden.

Neben diesen zwei zentralen Aspekten tat sich aber in der Aussenpolitik 2020 noch einiges: Begonnen hatte das aussenpolitische Jahr im Januar mit der Veröffentlichung der Aussenpolitischen Strategie 2020-2023, die erstmals im Rahmen eines interdepartementalen Prozesses erarbeitet worden war, um die Kohärenz zwischen Innen- und Aussenpolitik zu verbessern. Frieden und Sicherheit, Wohlstand, Nachhaltigkeit sowie Digitalisierung bildeten die vier inhaltlichen Schwerpunkte der Strategie. Im Februar folgte sodann die Strategie der internationalen Zusammenarbeit 2021-2024, welche den Handlungsrahmen für die Bereiche der Entwicklungszusammenarbeit, der humanitären Hilfe, der Förderung des Friedens und der menschlichen Sicherheit vorgab. Im Vergleich zur Strategie der Vorperiode (2017-2020) wurden die Beendigung der extremen Armut und die Bekämpfung des Klimawandels stärker gewichtet.

Von besonderer Bedeutung für die Schweizer Aussenpolitik ist traditionsgemäss die Rolle der Schweiz in internationalen Organisationen aber auch als Sitz ebenjener. Die Kandidatur für ein nichtständiges Mandat im UNO-Sicherheitsrat 2023/24 beschäftigte das Parlament im abgelaufenen Jahr auf ganz unterschiedliche Weise. Während Roland Büchel (svp, SG) noch immer für einen Verzicht auf die Kandidatur kämpfte, sorgte sich die Aussenpolitische Kommission des Ständerats vor allem um den Einbezug des Parlaments im Falle eines Erfolgs. Für den Bundesrat stand die Kandidatur ausser Frage, was er unter anderem durch die Erwähnung in der Aussenpolitischen Strategie zementierte. Er argumentierte überdies, dass das Mandat nicht zuletzt auch der Standortförderung des internationalen Genfs diene. Die Wettbewerbsfähigkeit Genfs wurde 2020 auch durch die Finanzhilfen an die Internationale Fernmeldeunion und die Strategie zur Digitalaussenpolitik, mit welcher Genf zum Zentrum der internationalen Gouvernanz im Bereich Cyberspace gemacht werden soll, gefördert. Die SVP bemühte sich zudem um den Rückzug der Schweiz vom UNO-Flüchtlingspakt und eine Senkung des Finanzbeitrags an die UNRWA, fand aber keine Unterstützung über die Fraktionsgrenzen hinaus.

In der Entwicklungspolitik gaben vor allem die Kapitalerhöhungen der Weltbankgruppe und der Afrikanischen Entwicklungsbank Anlass zu ausführlichen Ratsdebatten. Zwei Minderheiten der Ratsrechten setzten sich für ein Nichteintreten ein und begründeten ihre Ablehnung unter anderem mit der finanziellen Belastung der Schweiz in der Corona-Krise, die solche Ausgaben nicht zuliesse. Im Endeffekt nahmen beide Räte die Krediterhöhungen an, genauso wie einen von der APK-NR beantragten Nachtragskredit für die humanitäre Hilfe.

Ferner beschäftigte sich das Parlament ausgiebig mit dem Umgang der Schweiz mit dem Brexit. Im Rahmen der sogenannten Mind-the-Gap-Strategie setzten sich die Räte unter anderem mit einem Abkommen zur Fortsetzung der Personenfreizügigkeit auseinander und loteten eine vertiefte wirtschaftliche Zusammenarbeit mit dem Vereinigten Königreich aus. In beiden Fällen sprach sich das Parlament mit grosser Mehrheit für die Kooperation mit Grossbritannien aus.
Im Nachgang des 2019 gefällten EDA-Entscheids zu den Tätigkeiten der Pilatus AG in Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten veröffentlichte der Bundesrat Anfang Jahr einen Bericht zur Überprüfung des Bundesgesetzes über die im Ausland erbrachten Sicherheitsdienstleistungen. Er beschloss die Prüfung einer Gesetzesrevision, weshalb im Juni eine Motion der SIK-NR zur gleichen Thematik abgelehnt wurde.
Wenn auch inhaltlich nicht sonderlich bedeutsam, war die schiere Menge an Anpassungen von Doppelbesteuerungsabkommen im Jahr 2020 dennoch bemerkenswert. Grund für die Änderungsprotokolle waren die neuen OECD-Mindeststandards, denen sich die Schweiz im Rahmen des BEPS-Übereinkommens bereits im vergangenen Jahr unterworfen hatte. Zudem genehmigte das Parlament auch das lange Zeit sistierte Doppelbesteuerungsabkommen mit Saudi-Arabien.
Obwohl die Genfer Standesinitiative für ein Referendum über das Freihandelsabkommen mit Mercosur (Kt.Iv. 19.313) im März noch klar vom Ständerat abgelehnt worden war und sich mehrere Kantone bereits im vergangenen Jahr erfolglos gegen das Freihandelsabkommen mit Indonesien gewehrt hatten, zeichnete sich allmählich ein Wandel in der Schweizer Aussenwirtschaftspolitik ab. Im Juni kam es mit dem erfolgreichen Referendum gegen das Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit Indonesien nun zu einer Anomalie in der Schweizer Wirtschaftspolitik. Erst einmal hatte die Bevölkerung über ein Abkommen im Bereich der Aussenwirtschaft abstimmen können – wobei die Abstimmung über den EWR dem ausserordentlichen obligatorischen Referendum unterlegen hatte – und noch nie war bisher ein fakultatives Referendum zu einem Freihandelsabkommen zustande gekommen.

Die Corona-Krise wirkte sich erwartungsgemäss auch auf die Themenkonjunktur in den Zeitungen aus. So sank die Zahl der aussenpolitischen Artikel von über 10 Prozent im Dezember 2019 auf 4 Prozent im April 2020. Wenig erstaunlich waren Artikel zu zwischenstaatlichen Beziehungen überaus stark vertreten, was sich mit den Grenzschliessungen/-öffnungen und den Quarantänebestimmungen erklären lässt. Gegen Jahresende nahm die Berichterstattung zu Europa, die im Vergleich zu den Vorjahren unterdurchschnittlich ausfiel, etwas zu. Grund hierfür war das Rahmenabkommen, dessen Verhandlung nach der Abstimmung zur Begrenzungsinitiative weiter vorangetrieben wurde.

Jahresrückblick 2020: Aussenpolitik
Dossier: Jahresrückblick 2020

Im November 2020 veröffentlichte der Bundesrat seine Strategie zur Digitalaussenpolitik 2021-2024. Damit erfüllte er zugleich ein Postulat Béglé (cvp, VD), das den Bundesrat beauftragt hatte, zu überprüfen, wie die Schweiz zum Welt-Epizentrum der internationalen Gouvernanz im Bereich Cyberspace werden könnte. Mit dem Bericht skizzierte der Bundesrat die Aktionsfelder der Digitalaussenpolitik für die kommenden Jahre. Die Strategie hält fest, dass der Bundesrat der wachsenden Bedeutung der Digitalisierung bereits in der Legislaturplanung 2019-2023 mehr Gewicht verliehen habe. Auch in der Aussenpolitischen Strategie 2020-2023 nehme die Digitalisierung neuerdings einen thematischen Schwerpunkt ein. Weitere Grundlagendokumente wie die Nationale Strategie zum Schutz der Schweiz vor Cyberrisiken 2018-2022, die Strategie der Internationalen Zusammenarbeit 2021-2024 und die Massnahmen zur Stärkung der Rolle der Schweiz als Gaststaat 2020-2023 widmeten sich teilweise ebenfalls dieser Thematik. Auch auf internationaler Ebene habe das Thema an Relevanz gewonnen, was sich unter anderem im High-level Panel zur Digitalen Zusammenarbeit der UNO und der daraus resultierenden Roadmap zur Stärkung der digitalen Zusammenarbeit zeige.
Im Rahmen der Strategie identifiziert der Bundesrat die Neutralität und die Guten Diensten der Schweiz als Stärken, welche es ihr auch im digitalen Raum erlauben würden, als Brückenbauerin zu fungieren. In der Vergangenheit hätte die Schweiz zudem immer wieder wichtige Impulse gegeben, beispielsweise mit der Austragung des Weltgipfels zur Informationsgesellschaft 2003. Auch von ihrer Rolle als Gaststaat profitiere die Schweiz, da das Internationale Genf als operationelle Plattform für die Verwirklichung der Agenda 2030 und der Ziele der nachhaltigen Entwicklung diene. Wichtige internationale Organisationen und Nichtregierungsorganisationen, welche die Debatte um den digitalen Wandel mitgestalteten, hätte überdies ihren Sitz in der Schweiz. Zudem stehe man mit den Schweizer Hochschulen und Forschungsstätten sowie mit international bedeutenden Firmen an vorderster Front in der Entwicklung digitaler Technologien. Insgesamt nannte der Bericht vier Aktionsfelder, in denen die Schweiz ihre Interessen und Werte umsetzen könnte: die digitale Gouvernanz mit Genf als führendem Standort für Digitalisierungs- und Technologiedebatten; Wohlstand und Entwicklung mit Möglichkeiten im Bereich Fintech, der IZA und der Agenda 2030; Cybersicherheit unter Einbezug privater Akteure und der Fortbildung der völkerrechtlichen Normen und schliesslich die digitale Selbstbestimmung und die Entwicklung einer Swiss Cloud zur Minderung der Abhängigkeit von internationalen Anbietern.

Epizentrum der internationalen Digitalisierungsgouvernanz
Dossier: Aussenpolitische Strategien