Mitte Mai präsentierte Bernard Lehmann, Direktor des Bundesamts für Landwirtschaft (BLW), einen Bericht über die mögliche Ausgestaltung und allfällige Konsequenzen einer gegenseitigen Milchmarktöffnung mit der EU. Das Bundesparlament hatte in den vorigen Jahren mehrfach eine solche Analyse gefordert, nachdem 2007 bereits der Käsehandel mit den europäischen Nachbaren liberalisiert worden war. Die Verwaltung kam in dem über hundertseitigen Dokument zum Schluss, dass eine sektorielle Marktöffnung grundsätzlich zu begrüssen wäre. Eine Reform des Schweizer Milchsektors sei in näherer Zukunft ohnehin angezeigt: Die künstliche Spaltung zwischen liberalisiertem Käse und geschützter Milch erodiere den Milchpreis schleichend, und protektionistische Haltungen seien in internationalen Organisationen wie der WTO zunehmend unter Beschuss. Ökonometrische Simulationen ergaben zudem, dass eine Öffnung mit Wohlfahrtsgewinnen einhergehen würde: Die Konsumentinnen und Konsumenten könnten von tieferen Preisen profitieren, während sich den Produzierenden und Verarbeitenden neue Exportmärkte erschliessen würden. Allerdings hätte der sinkende Milchpreis – das Bundesamt ging von einer Reduktion um bis zu 25% aus – negative Folgen für die Milchbauern. Um einen Einkommensverlust zu verhindern, wären staatliche Mehrausgaben von ca. CHF 150 Mio. notwendig. Auch die Instrumente zur Stützung des schweizerischen Milchsektors müssten überarbeitet und eventuell um temporäre Massnahmen wie Investitionshilfen oder Qualitäts- und Absatzförderungen ergänzt werden. Der Schweizerische Bauernverband (SBV) sprach sich infolgedessen gegen eine Liberalisierung aus: Die prognostizierten Nettogewinne seien zu tief, als dass sich der erhöhte Einsatz von Steuergeldern lohnen würde. Anders sah dies die Vereinigung der Schweizerischen Milchindustrie: Aufgrund der hohen Milchpreise seien die hiesigen Verarbeiter international nicht konkurrenzfähig, weswegen eine Marktöffnung mit entsprechenden Begleitmassnahmen von Vorteil wäre. BLW-Direktor Lehmann ging nicht davon aus, dass der Bericht unmittelbare Auswirkungen auf die gegenwärtige Praxis haben werde, da der politische Widerstand zu gross und die Verhandlungsgrundlage mit der EU vor der endgültigen Klärung der institutionellen Fragen zu instabil sei. Die vorgebrachten Resultate könnten aber die Diskussion versachlichen. Um seine ablehnende Haltung gegenüber einer Öffnung der weissen Linie zu untermauern, veranlasste der Verband der Schweizer Milchproduzenten eine Gegenstudie bei der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL) in Zollikofen. Die Autoren kamen darin zum Schluss, dass die Verwaltung den Rückgang der Milchproduktion massiv unterschätzt habe. Aufgrund der neuen Stützungsmassnahmen würden wenig rentable Bergproduktionsbetriebe erhalten bleiben, während grosse Betriebe, welche sich auf die Milchproduktion spezialisiert haben, grosse Einbussen zu verzeichnen hätten und daher aus dem Geschäft aussteigen würden. Die Diskussionen zeigten, dass eine realistische Einschätzung der Konsequenzen einer Milchmarktöffnung äusserst schwierig ist. Verschiedenste Faktoren spielen eine Rolle, u.a. auch das auf 2015 angekündigte Ende der Milchkontingentierung in der EU.

Konsequenzen eines allfälligen Agrar- und Lebensmittel-Freihandelsabkommens mit der EU