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Jahresrückblick 2020: Sozialversicherungen

Über den Themenbereich «Sozialversicherungen» berichteten die Medien im Jahr 2020 deutlich weniger als in den Vorjahren (ersichtlich in Abbildung 2 der APS-Zeitungsanalyse 2020). Jedoch war die Berichterstattung zu Beginn des Jahres noch vergleichsweise stark (vgl. Abbildung 1); zu diesem Zeitpunkt dominierte die Frage nach den Überbrückungsleistungen und damit nach der Schaffung einer neuen Sozialversicherung. Diese Frage wurde bis zum Ende der Sommersession 2020 geklärt, als das Parlament die Vorlage in der Einigungskonferenz und somit noch vor der Abstimmung über die Begrenzungsinitiative, die Corona-bedingt auf Ende September hatte verschoben werden müssen, bereinigte. Das von Mitgliedern der SVP angestrebte fakultative Referendum kam nicht zustande. Neu erhalten somit Ausgesteuerte ab 60 Jahren ÜL, wenn sie mindestens 20 Jahre, fünf davon ab dem Alter von 50 Jahren, in die AHV einbezahlt haben, ihr Erwerbseinkommen mindestens 75 Prozent des AHV-Höchstbeitrags betrug und ihr Reinvermögen unterhalb der EL-Vermögensschwelle liegt.

Nach diesem Anfangsinteresse an den Sozialversicherungen geriet die Thematik aufgrund der Corona-Pandemie stark in den Hintergrund. Zwar wurden die Kurzarbeitsentschädigung sowie der Erwerbsersatz als zwei der drei Hauptmassnahmen zur Abfederung der Auswirkungen der Pandemie (neben den Corona-Krediten) wichtiger als jemals zuvor, dies widerspiegelte sich jedoch nicht in der entsprechenden medialen Berichterstattung (siehe Abbildung 1). Darüber hinaus wirkte sich Corona auch stark auf die Debatte im Krankenversicherungsbereich sowie bezüglich der finanziellen Lage des AHV-Ausgleichsfonds und der Pensionskassen aus.

Besonders viele Neuerungen gab es im Jahr 2020 bei der Arbeitslosenversicherung (ALV). Noch vor Ausbruch der Pandemie bereinigte das Parlament die Vorlage zur Vereinfachung der Bestimmungen zur Kurzarbeit im Arbeitslosenversicherungsgesetz und sah darin unter anderem vor, dass der Bundesrat bei schwieriger Konjunktur die Höchstbezugsdauer für Kurzarbeitsentschädigung (KAE) verlängern kann. Aufgrund des Abbruchs der Frühjahrssession konnte die Schlussabstimmung zum Gesetz erst in der Sommersession durchgeführt werden. Als der Bundesrat während der ersten Corona-Welle entschied, zur Abfederung der Pandemie unter anderem auf Kurzarbeitsentschädigungen zu setzen, stützte er sich in seiner Verordnung somit noch auf die bisherigen Gesetzesbestimmungen. Von diesen bundesrätlichen Corona-Massnahmen zur ALV fiel insbesondere die Ausdehnung des Zugangs zu KAE auf zusätzliche Kategorien von Erwerbstätigen, etwa auf nicht kündbare Temporärangestellte, Lehrlinge oder arbeitgeberähnliche Angestellte ins Gewicht. Damit die ALV die Massnahmen finanzieren konnte – bei Überschuldung der ALV tritt ihre Schuldenbremse in Kraft, wodurch die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge im Folgejahr erhöht werden müssen –, sprach das Parlament auf Antrag des Bundesrates in der ersten Nachmeldung zum Nachtrag I zum Voranschlag 2020 eine Zusatzfinanzierung von CHF 6 Mrd. und erhöhte diese im Nachtrag IIa um weitere CHF 14.2 Mrd. Diese Zusatzfinanzierung bedurfte jedoch einer Änderung des AVIG, welche National- und Ständerat in der Herbstsession 2020 guthiessen.
Neben den KAE setzte der Bundesrat zur Bewältigung der Pandemie auch auf Erwerbsersatz, dessen Einsatz er ebenfalls in einer Verordnung regelte. Neu sollten nicht nur Dienstleistende der Schweizer Armee und Mütter nach der Geburt in den Genuss von EO kommen, sondern temporär und unter gewissen Bedingungen auch Selbständigerwerbende, sofern ihr Betrieb vom Bund geschlossen wurde, sie sich in ärztlich verordnete Quarantäne begeben mussten oder wegen Betreuungsaufgaben ihrer Arbeit nicht nachgehen konnten. Betreuungsaufgaben wegen Schulschliessungen konnten überdies auch Angestellte geltend machen. Für diese Massnahme genehmigte das Parlament einen Nachtragskredit über CHF 4 Mrd., zumal auch der EO-Fonds nur flüssige Mittel von CHF 1 Mrd. aufwies.

Diskutiert wurde im Bereich der Krankenversicherungen vor allem darüber, wer die hohen Corona-Kosten im Gesundheitswesen übernehmen soll: Zwar wurden für die Krankenkassen für das Jahr 2020 wegen Corona tiefere Kosten erwartet, zumal zeitweise alle nicht dringlichen Behandlungen untersagt worden waren, teuer würden hingegen ebendiese Ausfälle von Behandlungen für die Spitäler werden.
Unabhängig von der Corona-Pandemie waren Bundesrat und Parlament im Krankenversicherungsbereich sehr aktiv, insbesondere bei den Massnahmen zur Kostendämpfung, von denen sie sich eine Eindämmung des Prämienanstiegs erhofften. Das erste Massnahmenpaket teilte die SGK-NR vor der ersten Ratsbehandlung im Mai 2020 in zwei Teile auf: In einem ersten Schritt sollten im Teilpaket 1a die weniger umstrittenen Aspekte behandelt werden, wobei sich bei den Behandlungen rasch zeigte, dass es im Gesundheitsbereich beinahe keine unumstrittenen Aspekte gibt. Entsprechend begann der Nationalrat noch vor Abschluss dieses Teilpakets mit der Behandlung des Teilpakets 1b mit den als umstrittener eingeschätzten Massnahmen. Gleichzeitig führte der Bundesrat zwischen August und November 2020 auch eine Vernehmlassung zum zweiten Massnahmenpaket zur Kostendämpfung durch, dessen Hauptmassnahme die Einführung einer Zielvorgabe für die Kostenentwicklung in der OKP darstellt. Da auch die von der CVP in der Zwischenzeit erfolgreich eingereichte eidgenössische Initiative «Für tiefere Prämien» eine Kostenbremse im Gesundheitswesen forderte, schlug der Bundesrat das zweite Massnahmenpaket als indirekten Gegenvorschlag zur CVP-Initiative vor.
Auch der Prämien-Entlastungs-Initiative der SP stellte der Bundesrat mit der Vorlage zu den individuellen Prämienverbilligungen einen indirekten Gegenvorschlag zur Seite. Darin beantragte er als Reaktion auf die stetige Senkung der IPV-Beiträge durch die Kantone, die entsprechenden Kantonsbeiträge an die kantonalen Bruttokosten sowie an die verbleibende Prämienbelastung zu knüpfen. Auch diesen Gegenvorschlag schickte er in der Folge in die Vernehmlassung. Mit der KVG-Ergänzung über die Vollstreckung der Prämienzahlungspflicht der Versicherten, dem Bundesgesetzes über die Datenweitergabe der Versicherungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung standen auch zwei auf parlamentarischen Initiativen basierende Gesetzesvorlagen kurz vor oder am Anfang der parlamentarischen Beratung, während bei der Einführung eines monistischen Finanzierungssystems für die Gesundheitsleistungen (EFAS) 2020 keine Fortschritte erzielt werden konnten. Abgeschlossen wurde hingegen die Vorlage zur Zulassung von Leistungserbringenden in der Sommersession 2020, mit welcher die bisher zeitlich befristete Zulassungsbeschränkung der Leistungserbringenden permanent geregelt wurde. In der Wintersession 2020 einigten sich die Räte auch auf neue Regelungen zur Vergütung des Pflegematerials.

Der Themenbereich Altersvorsorge erhielt im Jahr 2020 von den Medien deutlich weniger Aufmerksamkeit als in den Vorjahren. Dies hing sicherlich einerseits damit zusammen, dass anders als in den Jahren 2017 (Altersvorsorge 2020) und 2019 (STAF) keine eidgenössische Abstimmung zu diesem Thema stattfand. Andererseits überdeckte auch in diesem Themenbereich die Corona-Berichterstattung verschiedene, durchaus berichtenswerte Ereignisse. So machte der Bundesrat bezüglich der Reform der beruflichen Vorsorge einen Schritt vorwärts. Nachdem der Arbeitgeberverband, Travail.Suisse und der Gewerkschaftsbund im Juli 2019 ihren Kompromissvorschlag für die BVG-Revision präsentiert hatten, wurden bald von allen Seiten Kritik und Alternativvorschläge laut, insbesondere bezüglich des Rentenzuschlags im Umlageverfahren. Dennoch entschied sich der Bundesrat Ende November 2020 in der Botschaft zum neu als «BVG 21» betitelten Geschäft, am Kompromiss der Sozialpartner festzuhalten.
Wenige Aktivitäten gab es bezüglich der Revision der AHV. Zwar begann die SGK-SR im August 2020 die Vorberatung der Vorlage zur Stabilisierung der AHV (AHV 21), diese dauerte jedoch aufgrund vertiefter Abklärungen so lange, dass die Vorlage im Jahr 2020 noch nicht im Plenum beraten werden konnte.
Für zwei Volksinitiativen zur Altersvorsorge – für die Volksinitiative «Berufliche Vorsorge – Arbeit statt Armut» sowie für die Volksinitiative «für eine generationengerechte Altersvorsorge (Vorsorge Ja – aber fair)» – verstrichen die Sammelfristen im Jahr 2020 unbenutzt. Zudem wurde im Februar 2020 die Volksinitiative «Für ein besseres Leben im Alter (Initiative für eine 13. AHV-Rente)» durch den Gewerkschaftsbund lanciert. Einiges zu reden wird zukünftig auch ein Urteil des EGMR geben, der die Schweiz wegen unzulässiger Ungleichbehandlung von Witwen und Witwern rügte: Das Gericht kritisierte, dass ein verwitweter Vater nur eine Rente erhält, bis seine Kinder volljährig sind, während verwitwete Mütter ein Leben lang eine Rente erhalten.
Doch auch das Thema «Altersvorsorge» blieb von der Corona-Pandemie nicht unberührt. So verloren sowohl der AHV-Ausgleichsfonds als auch die Pensionskassen durch den Corona-bedingten Aktiensturz viel Geld. Die OAK BV berichtete im Mai 2020, dass der Deckungsgrad der Pensionskassen durchschnittlich um 6 Prozent auf 105.6 Prozent gefallen war, vermeldete dann aber im Laufe des Jahres wieder steigende Zahlen: Ende September 2020 lag der durchschnittliche Deckungsgrad bereits wieder bei 110.2 Prozent. Auch das BSV erwartete mittelfristig nur geringe Folgen durch die Pandemie – es nutzte für seine Prognose gemäss NZZ aber auch positivere Wirtschaftsprognosen als die restliche Bundesverwaltung. Ein grosses, nicht nur Corona-bedingtes Problem im Rahmen des BVG löste der Bundesrat Anfang Juli, als er der Auffangeinrichtung BVG erlaubte, Gelder bis CHF 10 Mrd. aus dem Freizügigkeitsbereich zinslos und unentgeltlich bei der Bundestresorie anzulegen. Da Freizügigkeitsguthaben nicht mit Negativzinsen belastet werden dürfen, war eine sichere Anlage der Gelder aufgrund der Negativzinsen zuvor kaum möglich gewesen.

Schliesslich schloss das Parlament in der Sommersession 2020 auch die Weiterentwicklung der IV erfolgreich ab. Mit der Vorlage hatte der Bundesrat beabsichtigt, die bisher noch unzureichende Wiedereingliederung bei Kindern, Jugendlichen und Menschen mit psychischen Erkrankungen zu verbessern. Entgegen anfänglicher Entscheide des Nationalrats, die Kinderrenten zu senken und die Kinderrenten in «Zulage für Eltern» oder «Zusatzrente für Eltern» umzubenennen, entschied sich das Parlament zum Schluss, auf beide Massnahmen zu verzichten.

Jahresrückblick 2020: Sozialversicherungen
Dossier: Jahresrückblick 2020

In der Wintersession 2020 bereinigte das Parlament die Änderung des KVG bezüglich der Vergütung des Pflegematerials. Einstimmig bestätigte der Ständerat die vom Bundesrat vorgeschlagenen Änderungen und löste die Ausgabenbremse, nachdem Kommissionssprecher Bischof (cvp, SO) im Namen der Kommission die Annahme der Vorlage empfohlen hatte. Auf Einzelantrag von Peter Hegglin (cvp, ZG) und Bitte von Marina Carobbio Guscetti (sp, TI) schloss der Rat – ebenfalls einstimmig – zudem eine Lücke, welche der Gesetzestext bis dahin noch aufgewiesen hatte: So war man davon ausgegangen, dass alle Beträge, die bisher vergütet worden waren, auch zukünftig vergütet würden. Tatsächlich wären durch die geplante Änderung aber Materialien, die ausschliesslich vom Pflegefachpersonal angewendet werden, sich aber nicht auf der MiGeL befinden, weder von der OKP noch von den Kantonen vergütet worden. Um dies zu verhindern, stimmte der Rat dem Antrag Hegglin zu, wonach die entsprechenden Mittel und Gegenstände während eines Jahres ab Inkrafttreten der Änderung weiterhin nach dem bisherigen Recht vergütet werden sollten. Damit habe man Zeit, die entsprechenden Güter auf die MiGeL zu setzen. Diese Lösung hatte auch Bundesrat Berset zuvor im Rahmen der Debatte unterstützt. Einstimmig (41 zu 0 Stimmen) verabschiedete der Ständerat das Gesetz in der Gesamtabstimmung.
Gegen diese Änderung hatte auch der Nationalrat nichts einzuwenden, stillschweigend nahm er die Differenz an und stimmte dem Gesetz in den Schlussabstimmungen (195 zu 0 Stimmen) genauso einstimmig zu wie der Ständerat (41 zu 0 Stimmen).

Änderung des KVG bezüglich Vergütung des Pflegematerials (BRG 20.046)
Dossier: Änderungsvorschläge zur Mittel- und Gegenständeliste (MiGeL)

Nachdem der Nationalrat in der Sondersession 2020 bereits das Paket 1b behandelt hatte, machte er sich in der Wintersession 2020 an die Differenzbereinigung zum Paket 1a des ersten Massnahmenpakets zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen. Stillschweigend pflichtete er dem Zweitrat bei, dass bei einer entsprechenden Abmachung zwischen Versicherungen und Leistungserbringenden auch die Versicherung für die Übermittlung der Rechnungen zuständig sein kann. Alle übrigen Fragen waren hingegen umstritten.
Bei der Frage der Patientenpauschale waren sich National- und Ständerat zwar einig, dass Pauschalen auch bei ambulanten Behandlungen eingeführt werden sollen, entgegen dem Nationalrat hatte es der Ständerat aber abgelehnt, diese auf national einheitliche Tarifstrukturen zu stellen. Die Mehrheit der SGK-NR wollte diesbezüglich an der bisherigen Position des Nationalrats festhalten, um so eine gleiche Tarifierung von medizinischen Leistungen bei ambulanten oder stationären Behandlungen zu erleichtern, wie Ruth Humbel (cvp, AG) und Pierre-Yves Maillard (sp, VD) für die Kommission erklärten. Eine Minderheit de Courten (svp, BL) beantragte, dem Ständerat zuzustimmen, um die pauschale Leistungsabgeltung im ambulanten Bereich nicht zu verkomplizieren. Umstritten war überdies die Frage, ob der Bundesrat gewisse Pauschaltarife von der Pflicht der einheitlichen Tarifstruktur ausnehmen können sollte, wie eine Minderheit Gysi (sp, SG) weiterhin forderte, während die Kommissionsmehrheit darauf verzichten wollte. In beiden Fragen folgte der Rat der Kommissionsmehrheit (mit 134 zu 51 Stimmen bei 2 Enthaltungen und 119 zu 70 Stimmen).
Auch die Organisation der Tarifstrukturen war weiterhin umstritten. Zwar pflichtete der Nationalrat dem Ständerat bei, dass der Bundesrat nur dann in die Organisation der Tarifstrukturen eingreifen können sollte, wenn keine solche bestehe oder sie nicht den gesetzlichen Anforderungen entspricht. Auch für den Fall, dass sich Leistungserbringende und Versicherungen nicht einigen können, sollte der Bundesrat eingreifen können; hier wollten ihn Ständerat und eine Minderheit de Courten jedoch dazu verpflichten, die Tarifautonomie der Tarifpartner wahren zu müssen. Hier gehe es ja gerade um diejenigen Fälle, bei denen sich die Tarifpartner nicht einigen könnten, betonten die Kommissionssprechenden, entsprechend mache es keinen Sinn, hier die Tarifautonomie zu wahren. Mit 136 zu 51 Stimmen (bei 1 Enthaltung) folgte der Rat der Kommissionsmehrheit und lehnte die Wahrung der Tarifautonomie gegen die geschlossen stimmende SVP-Fraktion ab.
In der ersten Behandlungsrunde hatte der Nationalrat dem Entwurf eine Regelung für finanzielle Unterstützung von Organisationen und Patientenstellen, welche den Individuen bei der Rechnungskontrolle helfen, beigefügt; der Ständerat hatte diese jedoch wieder gestrichen. Nun beabsichtigte die SGK-NR, auf die entsprechende Unterstützung zu verzichten; stattdessen sollen sich die Tarifpartner auf eine einfache, verständliche Rechnungsstellung einigen, betonte Humbel. Eine Minderheit Gysi wollte hingegen an der ursprünglichen Formulierung festhalten, während eine Minderheit Mäder (glp, ZH) eine Präzisierung vorschlug: Nur Organisationen, welche «statutengemäss und organisatorisch unabhängig» sind, sollten subsidiär unterstützt werden. Deutlich (mit 108 zu 83 Stimmen) entschied sich der Nationalrat gegen die finanzielle Unterstützung, nachdem sich der Minderheitsantrag Gysi zuvor knapp mit 96 zu 95 Stimmen gegen den Minderheitsantrag Mäder durchgesetzt hatte.
Zum Schluss blieb noch die Frage der Pilotprojekte, wo vor allem umstritten war, in welchen Bereichen und zu welchem Zweck solche Projekte möglich sein sollten. Ruth Humbel erklärte, dass der Ständerat den Artikel offener gefasst hatte als der Bundesrat und der Nationalrat, dadurch aber das Legalitätsprinzip und die Verfassungsmässigkeit verletzt habe, wie ein entsprechender Bericht des BJ gezeigt habe. Der Vorschlag der Kommissionsmehrheit, welcher die betroffenen Bereiche ausdrücklich und ausführlich auflistete, entspreche nun einer der vom BJ vorgeschlagenen Möglichkeiten. Eine Minderheit de Courten beantragte hingegen eine möglichst schlanke Formulierung, die jedoch die Rechte der Versicherten ausdrücklich wahren sollte. Eine Minderheit Weichelt-Picard (al, ZG) wollte auf Pilotprojekte zur Übernahme von Leistungen im Ausland verzichten, weil ältere und kranke Personen nicht einfach ins Ausland abgeschoben werden sollten, wie die Minderheitensprecherin betonte. Wie bereits in der ersten nationalrätlichen Behandlung erneut auf Ablehnung einer Minderheit Prelicz-Huber (gp, ZH) stiess die Möglichkeit, Projekte zur Einschränkung der freien Arztwahl zu schaffen, während eine Minderheit Moret (fdp, VD) auch Projekte zur Entschädigung von innovativen und neuen Behandlungsansätzen in die Liste aufnehmen wollte. Deutlich folgte der Rat gegenüber allen Minderheiten dem Mehrheitsantrag.

Erstes Massnahmenpaket zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen (BRG 19.046)
Dossier: Anstieg der Krankenkassenprämien dämpfen (seit 2020)

Ende November 2020 legte der Bundesrat seine Botschaft zur Reform der beruflichen Vorsorge vor, welche er in Anlehnung an die AHV-Reform «BVG 21» getauft hatte. Dabei entschied er sich, trotz der breiten, in der Vernehmlassung geäusserten Kritik am Kompromissvorschlag der Sozialpartner an eben diesem festzuhalten. Die Hauptziele der Reform bestünden darin, den Mindestumwandlungssatz zu senken und gleichzeitig das Rentenniveau auf dem heutigen Stand zu sichern, hielt der Bundesrat fest. Diese Ziele könnten mit dem Modell der Sozialpartner in grösserem Ausmass erreicht werden als mit den anderen vorgeschlagenen Modellen, welche er in der Botschaft ebenfalls ausführlich vorstellte. So könne das Rentenniveau mit dem Vorschlag der Sozialpartner für Personen bis zu einem BVG-versicherten Jahreslohn von CHF 60'000 gleichbehalten, für Personen mit tiefen Löhnen und Teilzeitangestellte gar verbessert werden. Personen mit höheren Löhnen müssten mit Renteneinbussen von bis zu 8 Prozent rechnen, was jedoch noch immer deutlich weniger sei als bei den Alternativvorschlägen.
Zudem sei der Reformvorschlag durch eingehende Verhandlungen zwischen Spitzenverbänden der Arbeitnehmenden und dem Schweizerischen Arbeitgeberverband (SAV) entstanden, während die alternativen Modelle von Arbeitnehmerverbänden und Versichertenorganisationen nicht unterstützt würden. Keine Chance sprach der Bundesrat einer Reformvorlage zu, welche einzig Kompensationsmassnahmen an die direkt von der Senkung des Mindestumwandlungssatzes Betroffenen beinhaltet. Stattdessen brauche es auch eine Anpassung der beruflichen Vorsorge an die Entwicklung im Erwerbsverhalten. Schliesslich reagierte er auch auf die Kritik, wonach der Rentenzuschlag systemfremd sei: Tatsächlich gebe es im BVG-System durchaus Umlagefinanzierung, nämlich in der Querfinanzierung der auszubezahlenden Renten durch die tiefere Verzinsung der Guthaben der aktiven Versicherten (oder durch zusätzliche Beiträge der aktiven Versicherten und der Arbeitgebenden) bei Vorsorgeeinrichtungen mit wenigen überobligatorischen Leistungen.
Der Bundesrat nahm somit keine Änderungen gegenüber der Vernehmlassungsvorlage vor, da er befürchtete, dass punktuelle Änderungen des Kompromissvorschlags dessen Unterstützung gefährden würden. Damit wies die Reform der beruflichen Vorsorge folgende Eckpunkte auf: Der Mindestumwandlungssatz soll von 6.8 Prozent auf 6 Prozent gesenkt werden. Dies mache Ausgleichsmassnahmen notwendig, wenn bei den neuen Renten keine Renteneinbussen entstehen sollen: Durch die Halbierung des Koordinationsabzugs und durch die Vereinfachung der Sätze für die Altersgutschriften soll das Alterssparen verstärkt werden, zudem soll ein Rentenzuschlag von CHF 100 bis CHF 200 pro Monat für künftige Rentnerinnen und Rentner, der durch eine Erhöhung der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge um 0.5 Prozentpunkte finanziert werden soll, die Altersrente von Neurentnern aufbessern. Dies würde jährlich durchschnittlich Kosten von CHF 2.7 Mrd. verursachen.
Die Medien sahen diesen Entscheid der Regierung kritisch. Als «absturzgefährdet» bezeichnete etwa die NZZ das Reformprojekt und auch der Tages-Anzeiger sprach ihm ob der zahlreichen ablehnenden Voten in der Vernehmlassung keine grossen Erfolgschancen zu.

Reform der Beruflichen Vorsorge (BVG 21; BRG 20.089)
Dossier: Koordinationsabzug und Eintrittsschwelle BVG

Unter vergleichsweise grosser medialer Aufmerksamkeit forderte die BVG-Kommission im Sommer 2020 mit knapper Mehrheit die Senkung des BVG-Mindestzinssatzes, also des Zinssatzes der Vorsorgeguthaben der Versicherten im Obligatorium, für das Jahr 2021 von 1 Prozent auf 0.75 Prozent. Die Kommissionsmitglieder hatten gar Vorschläge für einen Mindestzins ab 0.25 Prozent eingebracht. Berechnet wird der Zinssatz aufgrund der Entwicklung der Rendite der Bundesobligationen, Aktien, Anleihen und Liegenschaften. Da die Performance der Aktien, Anleihen und Liegenschaften 2019 ausserordentlich gut war, sei eine Senkung des Mindestzinses für das Jahr 2021 nicht nötig, liess der Bundesrat jedoch im November 2020 verlauten und beliess den Mindestzinssatz bei 1 Prozent.

BVG-Mindestzinssatz 2021
Dossier: Entwicklung des BVG-Mindestzinssatzes (seit 2003)

Die Sozialversicherungsmassnahmen zur zweiten Welle stützten sich ab dem 26. September 2020 nicht mehr auf Notverordnungen, sondern auf das vom Parlament in der Herbstsession 2020 verabschiedete Covid-19-Gesetz. Dabei hatten die Räte entschieden, die Möglichkeiten zum Bezug von Corona-Erwerbsersatz bis zum 30. Juni 2021 zu verlängern und gleichzeitig rückwirkend auf den 17. September zu ermöglichen; am 16. September war die Bezugsmöglichkeit gemäss der «Covid-19-Verordnung Erwerbsausfall» abgelaufen. Zudem weitete das Parlament die Bezugsmöglichkeit für Corona-Erwerbsersatz im Rahmen der Debatte zum Covid-19-Gesetz auf Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung, also Inhaber einer GmbH oder AG, aus, sofern sie ihre Tätigkeit auf Anordnung der Behörden oder wegen Betroffenheit von einem behördlichen Veranstaltungsverbot einstellen oder unterbrechen mussten. Neu haben zudem Personen Anspruch, deren Erwerbstätigkeit wegen Corona-Massnahmen massgeblich eingeschränkt ist. Nach langen Diskussionen im Rahmen des Covid-19-Gesetzes konnten sich die Räte darauf einigen, dass eine «massgebliche Einschränkung» bei einem Umsatzverlust von mindestens 55 Prozent (verglichen mit dem Durchschnitt der Jahre 2015 bis 2019) vorliegt, sofern dieser auf die Corona-Massnahmen zurückgeführt werden kann. Anfang November stellte der Bundesrat seine Ausführungsverordnung zu diesem Aspekt vor.
Mitte November erlaubte es der Bundesrat den Arbeitgebenden zudem erneut, die BVG-Arbeitnehmerbeiträge durch ihre Arbeitgeberbeitragsreserven zu bezahlen, um so die wirtschaftlichen Folgen der neuen Corona-Massnahmen abzufedern.

Corona-Massnahmen in den Sozialversicherungen: Kurzarbeit und Erwerbsersatz
Dossier: Hauptmassnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie
Dossier: Covid-19 – Massnahmen zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen

Noch bevor die Räte den gemäss SGK-NR weniger umstrittenen Teil des ersten Massnahmenpakets zu Ende beraten hatten, behandelte der Nationalrat in der Sondersession im Oktober 2020 die übrigen Artikel des ersten Kostendämpfungspakets unter dem Namen Paket 1b des ersten Massnahmenpakets zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen. Dazu gehörten die Massnahmen zur Steuerung der Kosten, das Beschwerderecht der Versicherer gegen Spitalplanungsentscheide sowie das Referenzpreissystem für patentabgelaufene Arzneimittel. Mit 17 zu 0 Stimmen bei 8 Enthaltungen hatte die SKG-NR ihren Entwurf, der gegenüber dem bundesrätlichen Vorschlag einige gewichtige Änderungen enthielt, zuvor angenommen. Eintreten war unbestritten.

Als ersten Hauptpunkt diskutierte der Nationalrat die Frage der Kostensteuerung, wobei Ruth Humbel (cvp, AG) und Philippe Nantermod (fdp, VS) die Kommissionsposition ausführlich darlegten: Eine knappe Kommissionsmehrheit unterstütze die Kostensteuerung generell. Diese lege fest, dass Tarifverträge entsprechend der Forderung der angenommenen Motion Brand (svp, GR; Mo. 18.3305) Massnahmen zur Kostenkorrektur im Falle eines unvorhergesehenen Anstiegs der Gesundheitskosten enthalten müssen. Anstatt entsprechende Regeln vorzuschreiben, wie der Bundesrat beabsichtigt hatte, setzte die Kommission jedoch auf degressive Tarife: Bei häufigerer Anwendung sollten die Tarife entsprechend sinken. Stattdessen folgte der Rat jedoch äusserst knapp mit 91 zu 90 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) einer Minderheit II Hess (bdp, BE), die vorschlug, die Kostensteuerungsmassnahmen aus dieser Vorlage zu streichen, zumal sie ein «Bestandteil des Zielkostensystems» seien, welches erst im zweiten Kostendämpfungspaket behandelt werden wird. Entsprechend solle diese Massnahme ins zweite Paket verschoben werden.

Der zweite Hauptpunkt der Vorlage stellte das Beschwerderecht der Krankenversicherungen und ihrer Verbände gegenüber Entscheidungen der Kantonsregierungen bezüglich der Spitallisten sowie bezüglich Preisfestsetzungen für Arzneimittel, wie die Kommissionsmehrheit den bundesrätlichen Vorschlag ergänzt hatte, dar. Eine Minderheit Prelicz-Huber (gp, ZH) wehrte sich dagegen, dass «private Interessen eine Steuerung durch die politische Seite, durch die Kantone, aufheben» können sollen. Stattdessen soll die Kompetenz sowie die Entscheidhoheit in den entsprechenden Fragen bei den Kantonen und damit bei der Politik verbleiben. Nur die Politik und das Volk hätten das Wohl der ganzen Bevölkerung im Blick, während die Versicherungen ihre Partikularinteressen verfolgten, argumentierte sie. Konsequenterweise müsse man sonst auch ein Beschwerderecht unter anderem für Patienten- und Patientinnenorganisationen oder für die Sozialpartner einrichten. Zudem könne die entsprechende Regelung zu einer Blockade und zu Rechtsunsicherheit führen. Dem widersprach unter anderem Thomas de Courten (svp, BL), der die Versicherungen im Gesundheitswesen als «Anwälte der Patientinnen und Patienten» bezeichnete und die Massnahme für nötig erachtete, damit ein Gleichgewicht in der Verhandlungsmacht sichergestellt und die alleinige Macht der Kantone gebrochen werden könne. Die Minderheit setzte sich mit 104 zu 75 Stimmen (bei 6 Enthaltungen) respektive 94 zu 87 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) durch, der Nationalrat sprach sich somit gegen das Beschwerderecht der Krankenversicherungen aus. Die Stimmen für die Kommissionsmehrheit stammten von Mehrheiten der SVP-, FDP.Liberale- und Mitte-Fraktion.

Den dritten zentralen Aspekt stellte die Frage des Referenzpreissystems für patentabgelaufene Arzneimittel dar, das der Bundesrat einführen wollte. Mit einem Referenzpreissystem für Generika dürfte die OKP zukünftig nur noch denjenigen Preis für ein Arzneimittel vergüten, der in diesem Referenzpreissystem festgelegt worden war — ausser es ist das einzige für die Patientin oder den Patienten mögliche Arzneimittel, dann wird es unabhängig vom Preis vergütet. Die Kommissionsmehrheit lehnte nun die Schaffung eines solchen Systems ab. Hier gehe es um Fragen der Versorgungssicherheit und der Patientensicherheit (wie in diesem Bericht ausgeführt wird), erklärte Kommissionssprecherin Humbel. Bei wechselnden Referenzpreisen bestehe die Gefahr, dass es zu nicht medizinisch begründeten Medikamentenwechseln komme, was zu abnehmender Therapietreue und sinkender Patientensicherheit und dadurch zu Folgekosten führen könne. Zudem könnten Firmen aufgrund des Preisdrucks darauf verzichten, ihre Produkte in der Schweiz anzubieten, wodurch die Abhängigkeit von den übrigen Lieferanten steige. Wie problematisch eine solche Abhängigkeit sei, habe sich im Rahmen der Corona-Krise gezeigt. Die Kommission wolle deshalb auf das Referenzpreissystem verzichten und stattdessen, beruhend auf einem Vorschlag von Curafutura, Pharmasuisse, Ärzte mit Patientenapotheke und Intergenerika die Generikapenetration erhöhen. Der Marktpreis solle daher jährlich statt alle drei Jahre überprüft und die Generikapreise gegenüber den Originalen um weitere fünf Prozent gesenkt werden. Zudem soll eine preisunabhängige Vertriebsmarge geschaffen werden, damit Ärztinnen, Ärzte, Apothekerinnen und Apotheker nicht wie bisher mehr Geld verdienten, wenn sie teurere Medikamente verkauften. Entsprechend habe man auch einstimmig die Motion 20.3936 eingereicht.
Eine Minderheit I Hess unterstützte hingegen das Referenzpreissystem des Bundesrates. Minderheitensprecher Hess argumentierte, seine Minderheit habe das bundesrätliche System etwas vereinfacht und abgeschwächt. So solle das Referenzpreissystem nur gelten, wenn mehr als zwei wirkstoffgleiche Medikamente auf dem Markt sind und ein Arzneimittel vom Bundesrat nicht als unverzichtbar festgelegt worden war. Mit einem eigenen Preis, also unabhängig vom Generika-Preis, sollten überdies Biosimilars, das sind Nachahmerpräparate, deren Wirkstoffe nicht mit denjenigen der Originale identisch sind, ins Preissystem aufgenommen werden, da diese gemäss dem revidierten Heilmittelgesetz nicht mit Generika gleichgesetzt werden können. Mit diesem Modell, das er als Referenzpreissystem «light» bezeichnete, könne das grösstmögliche Sparvolumen erreicht werden, argumentierte der Minderheitensprecher.
Eine Minderheit II Porchet (gp, VD) wollte überdies das Substitutionsrecht für Apothekerinnen und Apotheker stärken. Diese sollten zukünftig bei neuen Behandlungen eines der drei preisgünstigsten Arzneimittel abgeben müssen, sofern dies aus medizinischer und pharmazeutischer Sicht möglich ist.
Mit 114 zu 65 Stimmen (bei 6 Enthaltungen) lehnte der Nationalrat die Einführung des Referenzpreissystems light ab. Interessant ist dabei, dass sich die Positionen der SP und der Grünen in dieser Frage deutlich unterschieden, was in Gesundheitsfragen nur selten der Fall ist: Während die SP die Einführung eines Referenzpreissystems zusammen mit der Mehrheit der Mitte-Fraktion unterstützte, sprachen sich die Grünen mit der GLP-Fraktion, der Mehrheit der SVP-, der FDP.Liberalen- und der Minderheit der Mitte-Fraktion dagegen aus. Abgelehnt wurden auch die Anträge auf eine Sonderbehandlung der Biosimilars (103 zu 75 Stimmen bei 7 Enthaltungen) sowie der Antrag der Minderheit II Porchet (108 zu 77 Stimmen). In letzterer Frage standen SP und Grüne zusammen mit den Grünliberalen wieder gemeinsam auf der Seite der Minderheit.

Im Rahmen dieser drei Hauptthemen behandelte der Nationalrat auch weitere Detailfragen, so zum Beispiel die Frage der verhandelten Rabatte. Als «Tabubruch» und als «absolutes No-Go» bezeichnete Barbara Gysi (sp, SG) den Vorschlag der SGK-NR, wonach maximal 25 Prozent der Einsparungen durch zwischen Tarifpartnern und Leistungserbringenden ausgehandelten tieferen Preisen und Tarifen den Versicherungen zur freien Verfügung stehen sollten, dass sie gemäss Gysi also «in die Taschen der Versicherer fliessen» sollten. Bisher mussten die entsprechenden Einsparungen vollumfänglich den Versicherten zugute kommen. «Braucht es denn wirklich dieses sogenannte Incentive [...], damit die Krankenversicherer ihre Arbeit tun, nämlich günstige Preise aushandeln?», fragte Gysi rhetorisch. Entsprechend beantragte ihre Minderheit die Streichung des Artikels, zumal dieser gemäss Flavia Wasserfallen (sp, BE) auch ohne seriöse Abklärungen in die Kommission gelangt sei. Kommissionssprecherin Humbel führte aus, dass der Ständerat bei Annahme dieser Regelung noch prüfen müsse, ob dieser Artikel dem grundsätzlichen Gewinnverbot in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung und der Forderung in Art. 56 Abs. 3bis KVG, wonach alle nicht der Qualitätsverbesserung dienenden Vergünstigungen an die Versicherten weitergegeben müssen, widerspricht und was unter dem Ausdruck «zur freien Verfügung» genau verstanden werden soll. Thomas de Courten befürwortete schliesslich den Mehrheitsantrag; es sei der «Sinn dieser ganzen Debatte, dass wir die Kosten dämpfen und die Anreize entsprechend setzen». Mit 117 zu 67 Stimmen (bei 1 Enthaltung) sprach sich der Nationalrat für den Kommissionsvorschlag aus.
Ausführlich legte schliesslich Thomas de Courten seinen Minderheitsantrag zu den Parallelimporten dar. Er wehrte sich darin gegen den Vorschlag der Kommissionsmehrheit, patentabgelaufene Medikamente ohne Zulassungspflicht durch Swissmedic auf den Schweizer Markt zu bringen. Parallelimporte seien bereits heute erlaubt, dabei müssten aber dieselben Bedingungen eingehalten werden, die für alle anderen Medikamente auch gelten. Mit dem Vorschlag der Kommission könnten Zulassungsentscheide irgendwelcher anderen Länder zukünftig auch für die Schweiz gelten, ohne dass zum Beispiel die Good Manufacturing Practice der Schweiz im Herstellungsprozess beachtet werden müsste. Eine zusätzliche Prüfung durch Swissmedic sei nicht nötig, da man davon ausgehe, dass die ausländischen Zulassungsbehörden dieselben Qualitätsanforderungen stellten wie Swissmedic, begründete Kommissionssprecherin Humbel den Minderheitsantrag. Mit 128 zu 53 Stimmen folgte der Rat diesbezüglich jedoch der Mehrheit, Gehör fand das Anliegen von de Courten nur bei der Mehrheit der SVP-Fraktion und je einem Mitglied der FDP.Liberalen- und der Mitte-Fraktion.

In der Gesamtabstimmung nahm der Nationalrat seinen Entwurf schliesslich mit 130 zu 52 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) an. Die Gegenstimmen stammten von der SP-Fraktion sowie von der Mehrheit der Grünen-Fraktion.

Erstes Massnahmenpaket zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen (BRG 19.046)
Dossier: Anstieg der Krankenkassenprämien dämpfen (seit 2020)

Ein weiteres Urteil bezüglich EL fällte das Bundesgericht im September 2020 und zwar in der Frage, ab wann bei rückwirkender Berechnung von EL Freizügigkeitsgelder angerechnet werden. Dem Betroffenen waren im Februar 2018 rückwirkend ab November 2014 eine ganze IV-Rente sowie EL zugesprochen worden. Im April 2018 wurde sein Pensionskassenguthaben frühzeitig ausbezahlt, was bei Bezug einer vollen Invalidenrente möglich ist. Bei der rückwirkenden Berechnung der EL wurde nun das Freizügigkeitsguthaben aber bereits ab November 2014 angerechnet. Nachdem das Verwaltungsgericht des Kantons Bern eine entsprechende Beschwerde abgewiesen hatte, entschied das Bundesgericht im Sinne des Klägers: Das Freizügigkeitsguthaben sei erst ab 1. März 2018 zu berücksichtigen, zumal nur tatsächlich vorhandene Vermögen und Einkommen angerechnet werden dürfen, über die auch verfügt werden kann. Da die Möglichkeit zum Bezug des Freizügigkeitsgeldes erst ab dem Zeitpunkt bestehe, ab dem die IV-Verfügung rechtskräftig sei, könne das Guthaben auch erst ab dann angerechnet werden.

Urteil BGer zur Frage, ab wann bei rückwirkender Berechnung von EL Freizügigkeitsgelder angerechnet werden

In der Herbstsession 2020 behandelte das Parlament das dringliche Bundesratsgeschäft für die Anlage von Geldern aus dem Freizügigkeitsbereich der Auffangeinrichtung BVG bei der Bundestresorerie. Dabei zeigten sich sowohl Ständerat als auch Nationalrat von der Vorlage überzeugt und nahmen sie einstimmig an (SR: 38 zu 0 Stimmen; NR: 187 zu 0 Stimmen). Da der Gesetzesartikel dringlich erklärt werden sollte, mussten die Räte zwischen der Differenzbereinigung und der Schlussabstimmung noch über die Dringlichkeitsklausel befinden. Diese passierte den Ständerat ebenfalls einstimmig (43 zu 0 Stimmen). Im Nationalrat stiess sie zwar bei der SVP-Fraktion auf Widerstand, erreichte das qualifizierte Mehr bei 146 zu 53 Stimmen dennoch deutlich. In den Schlussabstimmungen waren sich die Räte wieder einig, erneut sprachen sich sowohl Ständerat als auch Nationalrat einstimmig für die Vorlage aus (SR: 44 zu 0 Stimmen; NR: 196 zu 0 Stimmen). Somit konnte die Situation der Auffangeinrichtung BVG kurzfristig verbessert werden, zur Schaffung einer langfristigen Lösung war die Einsetzung einer Arbeitsgruppe des BSV unter Einbezug der EFV geplant.

Anlage von BVG-Geldern aus dem Freizügigkeitsbereich der Auffangeinrichtung bei der Bundestresorerie

Im Mai 2020 legte der Bundesrat dem Parlament die Änderung des KVG bezüglich der Vergütung des Pflegematerials vor. Ziel der Vorlage war es, in Übereinstimmung mit einer Motion der SGK-NR (Mo. 18.3710) eine einheitliche Vergütung für Pflegematerial, das von der betroffenen Person selbst oder von Laien angewendet wird, und von Pflegematerial, das von Pflegefachpersonen angewendet wird, einzuführen. 2017 hatte das Bundesverwaltungsgericht die Position des Bundesrates bestätigt, wonach gemäss dem bestehenden Gesetz die von Pflegefachpersonen verwendeten Materialien Bestandteil der Pflegeleistung seien und nicht separat verrechnet werden dürften. Die von den Versicherten selbst angewendeten Materialien seien hingegen separat von der OKP zu übernehmen.
Neu sollen die Materialien in drei Kategorien gegliedert werden: Die Kategorie A enthält einfache Verbrauchsmaterialien mit direktem Bezug zu den Pflegeleistungen (z.B. Handschuhe) sowie Material und Gegenstände zum Mehrfachgebrauch für verschiedene Patientinnen und Patienten (z.B. Blutdruckmessgeräte), diese sollen auch zukünftig gemäss den Regeln der Pflegefinanzierung von OKP, Versicherten und Kantonen bezahlt werden. Zur Kategorie B gehören Mittel und Gegenstände für die Untersuchung oder Behandlung einer Krankheit gemäss MiGeL (z.B. Verbandmaterial), diese werden neu unabhängig von der anwendenden Person durch die OKP finanziert. Auch die Materialien der Kategorie C, Mittel und Gegenstände, die nicht von der versicherten Person selbst oder durch eine nichtberuflich mitwirkende Person verwendet werden können (z.B. Heimventilation), werden von der OKP übernommen.
Die Vorlage soll eine Entlastung für Gemeinden und Kantone in der Höhe von jährlich CHF 65 Mio. mit sich bringen und stattdessen die Gesamtkosten der OKP um 0.2 Prozent erhöhen. Da die Höhe des Bundesbeitrags an die Prämienverbilligung 7.5 Prozent der OKP-Bruttokosten beträgt, steigt auch der entsprechende Bundesbeitrag um CHF 4.9 Mio.

Zwischen Dezember 2019 und Februar 2020 fand die Vernehmlassung zur Vergütung des Pflegematerials statt. Dabei gingen 126 Stellungnahmen ein. Die Kantone und mit ihnen die GDK sowie die Leistungserbringenden sprachen sich für die Änderung aus. Auch die CVP, EVP, FDP, GLP und SP zeigten sich mehrheitlich zufrieden, äusserten jedoch teilweise Vorbehalte, insbesondere bezüglich der Kostenverlagerung zur OKP. Die SVP lehnte die Vorlage ab, da sie dadurch eine Mengenausweitung ohne qualitative Verbesserung der Pflegeleistungen befürchtete. Auch die Versichererverbände lehnten die Vorlage ab, da sie die höheren Kosten fürchteten.

In der Herbstsession 2020 behandelte der Nationalrat die Vorlage. Hatte sich die SVP im Rahmen der Vernehmlassung als einzige Partei noch gegen die KVG-Änderung ausgesprochen, stimmte auch sie der Gesetzesänderung nun zu: Einstimmig mit 189 zu 0 Stimmen nahm der Nationalrat die Vorlage an.

Änderung des KVG bezüglich Vergütung des Pflegematerials (BRG 20.046)
Dossier: Änderungsvorschläge zur Mittel- und Gegenständeliste (MiGeL)

Damian Müller (fdp, LU) reichte eine Motion ein, mit der er dem Sicherheitsfonds BVG für die Dauer der Übergangsmassnahmen zur BVG-Revision jährlich CHF 500 Mio. aus der Gewinnausschüttung der SNB zukommen lassen wollte. Sein Anliegen ergänzte eine Reihe ähnlich lautender Vorstösse (Mo. 18.4327; Pa.Iv. 18.465; Pa.Iv. 19.481; Pa.Iv. 20.432). Damit solle das Rentenniveau der Übergangsgeneration gesichert werden – ein Aspekt, der im Rahmen der Revision noch diskutiert werden müsse, aber für den Erfolg der Vorlage vor dem Volk zwingend sei, wie der Motionär betonte. Die CHF 500 Mio. seien auf die Negativzinsen, welche die zweite Säule jährlich mit ungefähr demselben Betrag belasteten, zurückzuführen.
Der Bundesrat lehnte den Vorschlag in seiner Stellungnahme ab: Der Bundeshaushalt werde durch die Corona-Pandemie stark belastet und der Bund benötige folglich die Gewinnbeteiligung der SNB. Zudem seien die Sozialpartner für die Finanzierung der beruflichen Vorsorge zuständig und schliesslich hänge die Höhe der Ausschüttungen insbesondere auch von der Entwicklung der Währungsreserven ab, nicht nur von den Negativzinsen.
In der Herbstsession 2020 nahm der Ständerat stillschweigend einen Ordnungsantrag Dittli (fdp, UR) auf Zuweisung der Motion an die SGK-SR an.

Gewinne aus den Negativzinsen in der beruflichen Vorsorge gehören den Versicherten (Mo. 20.3670)
Dossier: Was tun mit den Erträgen der Schweizerischen Nationalbank?

Anders als der Ständerat gab der Nationalrat der Standesinitiative des Kantons St. Gallen für ein Verbot von Provisionszahlungen für Wechsel der Grundversicherung in der Herbstsession 2020 Folge. Zwar hatte sich die Mehrheit der SGK-NR im Oktober 2019 noch für eine Selbstregulierungslösung und eine entsprechende Motion der SGK-SR (Mo. 18.4091) ausgesprochen, der Rat folgte ein Jahr später jedoch mit 96 zu 79 Stimmen (bei 8 Enthaltungen) der Kommissionsminderheit, der die Kommissionsmotion der SGK-SR zu wenig weit ging.

Keine Prämiengelder für Vermittlungsprovisionen (St.Iv. 18.305)

Ein allgemeines Anliegen an die Sozialversicherungen formulierte Philippe Nantermod (fdp, VS) im September 2018 mit seiner Motion «Rechtssicherheit stärken und Vertragsumdeutungen vermeiden». Er störte sich daran, dass Dienstleisterinnen und Dienstleister, die über Plattformen Verträge abschliessen, also zum Beispiel Uber-Fahrerinnen und -Fahrer, zu wenig stark vor Umklassierungen ihrer Erwerbstätigkeit geschützt seien. So sei es für die Sozialversicherungen relevant, ob Personen von den Ausgleichskassen als selbständig oder unselbständig erwerbstätig eingestuft werden, weil selbständig Erwerbende beispielsweise nicht obligatorisch bei der beruflichen Vorsorge oder der ALV versichert sind und sich ihre AHV/IV/EO-Beiträge anders berechnen als bei Unselbständigen. Durch Sozialleistungen der Unternehmen, wie Weiterbildungsangebote oder Versicherungen gegen bestimmte soziale Risiken, könne es zu einer Umklassierung zu einer unselbständigen Tätigkeit kommen, betonte Nantermod. Neu soll deshalb der Wille der Parteien bei der Wahl der Vertragsart, zum Beispiel des Arbeitsvertrags oder des Auftragsverhältnisses, für ihre Rechtsverhältnisse gestärkt und Umklassierungen dadurch verhindert werden. Der Bundesrat habe die Problematik aufgrund der Postulate Derder (fdp, VD; Po. 15.3854) und Reynard (sp, VS; Po. 17.3222) zwar erkannt und sei im Rahmen des Postulats der FDP.Liberalen-Fraktion (Po. 17.4087) dabei, Abklärungen vorzunehmen, es bedürfe jedoch kurzfristiger Lösungen, betonte Nantermod. Genau diese Abklärungen wollte der Bundesrat jedoch abwarten und empfahl daher die Motion zur Ablehnung. Diesem Antrag folgte der Nationalrat jedoch nicht und stimmte der Motion in der Herbstsession 2020 mit 121 zu 69 Stimmen zu. Abgelehnt wurde der Vorstoss von den geschlossen stimmenden SP- und Grünen-Fraktionen sowie von einem Mitglied der Mitte-Fraktion.

Rechtssicherheit stärken und Vertragsumdeutungen vermeiden (Mo. 18.3753)

In der Herbstsession 2020 behandelte der Ständerat das von der SGK-NR geschaffene Paket 1a des Massnahmenpakets zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen, das die weniger umstrittenen Teile des ersten Massnahmenpakets des Bundesrats beinhaltete. Nachdem er ohne Gegenantrag auf die Vorlage eingetreten war, schuf er einige Differenzen zum Erstrat.
Nur eine kleine Änderung gegenüber der nationalrätlichen Version nahm der Ständerat, in Übereinstimmung mit seiner Kommission, bei der Frage der Rechnungsstellung im Tiers payant-System vor. Hier ergänzte er stillschweigend einen Passus, wonach die Versicherungen und die Leistungserbringenden abmachen können, dass die Versicherung für die Übermittlung der Rechnungen zuständig sein soll. Mit der Änderung des Nationalrats, wonach die Rechnungen auch elektronisch verschickt oder auf einem Webportal hinterlegt werden können, zeigten sich die Ständerätinnen und Ständeräte hingegen einverstanden.
Für deutlich mehr Diskussionen sorgte die Frage der Behandlungstarife, insbesondere die Patientenpauschaltarife bei ambulanten Behandlungen, gemäss Kommissionssprecher Pirmin Bischof (cvp, SO) «ein Herzstück der Vorlage». Neu sollen gemäss Bundesrat vereinbarte Patientenpauschaltarife auf einer gesamtschweizerisch vereinbarten einheitlichen Tarifstruktur beruhen müssen, erklärte Bischof. Die Tarife müssten zwar nicht schweizweit identisch sein, wohl aber die in der Rechnung aufgeführten Teile einer Behandlung. Dies habe den Vorteil, dass die Rechnungen gesamtschweizerisch vergleichbar seien. Nachteilig sei hingegen, dass kantonale Differenzen in der Struktur nicht mehr möglich seien. Der Vorteil dieser Änderung liege gemäss Marina Carobbio Guscetti (sp, TI) auch darin, dass man damit das Risiko einer Mengenausweitung reduzieren könne. «Je mehr man verrechnet, desto mehr verdient man.» Eine Minderheit Müller (fdp, LU) beantragte, auf die Schaffung dieser Patientenpauschalen zu verzichten. Bereits heute gebe es solche Pauschalen und sie würden auch bei ambulanten Behandlungen angewendet. Da sich die Behandlung aber zwischen den verschiedenen Patientinnen und Patienten stark unterscheide, würde eine Vereinheitlichung zu einer Übervergütung von einfachen und zu einer Untervergütung von komplizierten Fällen, welche häufig bei kränkeren und sozial schwächeren Patientinnen und Patienten auftreten, führen. Obwohl die Minderheit Müller in der Kommission mit 8 zu 3 Stimmen (bei 1 Enthaltung) unterlegen war, meldeten sich mit Brigitte Häberli-Koller (cvp, TG), Erich Ettlin (cvp, OW), Hannes Germann (svp, SH) und Josef Dittli (fdp, UR) deutlich mehr Kommissionsmitglieder im Namen der Minderheit zu Wort. Einen ganz anderen Aspekt der Regelung stellte Gesundheitsminister Berset in den Mittelpunkt: Für ihn liege der zentrale Unterschied zur heutigen Regelung darin, dass der Bundesrat neu subsidiär eingreifen könne, wenn sich die Tarifpartner nicht auf eine Tarifanpassung einigen könnten. Mit 22 zu 21 Stimmen setzte sich die Minderheit in dieser Frage jedoch knapp durch, der Ständerat lehnte damit die Schaffung einer Patientenpauschale ab.
Eine weitere offene Frage bezüglich der Behandlungstarife betraf die Schaffung einer nationalen Tariforganisation im ambulanten Bereich, entsprechend der Swiss DRG im stationären Bereich, die für die Erarbeitung und Weiterentwicklung der Tarifstrukturen zuständig sein sollte. Hier sei man sich mehrheitlich einig, betonte Bischof, offen sei lediglich noch die Frage der Organisationshoheit. Solle der Bundesrat über die Organisationsform entscheiden, dabei erst eine Konsultation durchführen oder gar nur subsidiär zuständig sein, wenn sich die Leistungserbringenden und Versicherungen nicht einigen können? Letzteres schlug die SGK-SR vor. Bundesrat Berset stellte zudem in seiner Antwort auf eine Frage von Charles Juillard (cvp, JU) fest, dass ausschliesslich Tarifpartner in der Organisation vertreten sein würden und die Kantone somit darin erst mitwirken könnten, wenn EFAS angenommen worden sei und die Kantone somit ebenfalls für die ambulante Behandlung zuständig wären. Stillschweigend folgte der Ständerat in diesem Punkt dem Vorschlag seiner Kommission.
Ein weiterer umstrittener Aspekt der Tariffrage betraf die Finanzierung von Rechnungsprüfungen, welche die Patientenorganisationen durchführen sollten, durch das EDI. Die Kommissionsmehrheit wollte diesen vom Nationalrat eingefügten Punkt aus der Vorlage streichen, eine Minderheit Carobbio Guscetti wollte ihn beibehalten. Natürlich sollten sich Patientinnen und Patienten von externen Organisationen beraten lassen können, der Bund solle sich dabei aber nicht an der Finanzierung dieser Dienstleistung beteiligen, zumal eine solche Finanzhilfe nur eine zusätzliche Kontrolleinheit bedeuten würden, erklärte Kommissionssprecher Bischof. Minderheitensprecherin Carobbio Guscetti betonte hingegen, dass die anfangs eingesetzte Expertengruppe einen ähnlichen Vorschlag gemacht habe und die GDK das Anliegen unterstütze. Nicht abgeneigt gegenüber der Finanzierung zeigte sich auch Bundesrat Berset, für den die Massnahme nicht im Widerspruch zur Strategie des Bundesrates stand. Mit 28 zu 13 Stimmen (bei 1 Enthaltung) sprach sich der Ständerat aber gegen die Finanzierung aus und schuf damit eine weitere Differenz zum Nationalrat.
Schliesslich stand noch der Experimentierartikel im Raum, gemäss Bischof der «zweite Kernartikel dieser Vorlage». Die SGK-SR wollte den nationalrätlichen Vorschlag um die Möglichkeit, experimentelle Projekte zur Förderung der Digitalisierung durchführen zu können, ergänzen. Streichen wollte sie hingegen Projekte zur Einschränkung der freien Arztwahl. Eine weitere Minderheit Müller schlug indes vor, vollständig auf den Katalog mit möglichen Bereichen, in denen Projekte durchgeführt werden können, zu verzichten. Ohne Katalog könnten auch Projekte durchgeführt werden, welche Grundrechtseingriffe enthielten, erklärte Bischof den Widerstand der Kommissionsmehrheit gegen diesen Vorschlag. Die betroffenen Patientinnen und Patienten hätten keine Möglichkeit, sich gegen die Projekte zu wehren. Gesundheitsminister Berset sprach sich vehement gegen den Minderheitsantrag und die Streichung des Katalogs aus. Der Bundesrat und die Verfassungsrechtsexperten des Bundes seien sich einig, dass dies gegen Artikel 5 Absatz 1 der Bundesverfassung verstosse, wonach das Recht Grundlage und Schranke staatlichen Handelns darstelle. Damit würden die möglichen Experimente keine Grenzen kennen. So könnten zum Beispiel für die Bevölkerung eines Kantons die Hälfte des Leistungskatalogs gestrichen, die Franchise auf CHF 10'000 erhöht oder risikobezogene Prämien eingeführt werden. Paul Rechsteiner (sp, SG) kritisierte des Weiteren, dass die freie Arztwahl auf der Liste möglicher Projekte aufgeführt sei: Die Einschränkung der freien Arztwahl sei ein fundamentaler Systemeingriff, der Grundrechtsdimensionen betreffe und entsprechend per Gesetz zu entscheiden sei. Man solle den «Akteuren im Gesundheitswesen [nicht] per Gesetz abschliessend vorschreiben, wo sie experimentieren können», betonte hingegen Minderheitensprecher Müller. Innovation entstehe «relativ chaotisch», ergänzte Erich Ettlin (cvp, OW). Zudem könne ja das EDI die Pilotprojekte bewilligen, müsse es aber nicht. Mit diesen Argumenten setzte sich die Kommissionsminderheit durch: Mit 23 zu 19 Stimmen sprach sich der Ständerat gegen die Einschränkung der Experimente auf einen Katalog aus. Im Anschluss bat Bischof den Nationalrat, in seiner nächsten Sitzung diese vom Ständerat geänderte Bestimmung etwas abzuschwächen und ihr eine Ausnahme für Grundrechtsverletzungen anzufügen.
Mit 31 zu 0 Stimmen (bei 12 Enthaltungen) nahm der Ständerat das Gesetz in der Gesamtabstimmung ohne Gegenstimme an. Die Enthaltungen stammten von sechs Mitgliedern der SP- sowie von je drei Mitgliedern der SVP- und der Grünen-Fraktion.

Erstes Massnahmenpaket zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen (BRG 19.046)
Dossier: Anstieg der Krankenkassenprämien dämpfen (seit 2020)

Im August 2020 gab Pensionskassenexperte Josef Bachmann, der Kopf hinter der Volksinitiative «für eine generationengerechte Altersvorsorge (Vorsorge Ja – aber fair)», gegenüber dem Tages-Anzeiger bekannt, dass die Initiative nicht zustandekomme. Die Initianten hätten die Unterschriftensammlung in der Zwischenzeit abgebrochen.

Eidgenössische Volksinitiative «für eine generationengerechte Altersvorsorge (Vorsorge Ja – aber fair)»
Dossier: Volksinitiativen zur Altersvorsorge (seit 2015)

Im weiteren Verlauf der durch die Corona-Krise bedingten ausserordentlichen Lage verfeinerte der Bundesrat die sozialversicherungspolitischen Massnahmen zur Abfederung der Auswirkungen der Pandemie.

Bezüglich der Massnahmen der ALV gab die Regierung Ende März 2020 eine Reihe von Erleichterungen bekannt. So sollte vorerst auf einen Nachweis von Arbeitsbemühungen durch Stellensuchende verzichtet, telefonische erste Beratungs- und Kontrollgespräch der ALV ermöglicht, zur Verhinderung der Aussteuerung von Arbeitssuchenden während der ausserordentlichen Lage maximal 120 zusätzliche Taggelder bewilligt und die Rahmenfrist für den Leistungsbezug wenn nötig um zwei Jahre verlängert werden.
Auch die Anmeldung und der Bezug von KAE wurden Ende März erleichtert: Die Frist zur Voranmeldung wurde aufgehoben und die Bewilligungsdauer von KAE wurde von drei auf sechs Monate erhöht. Anfang April erweiterte der Bundesrat den Zugang zu KAE zudem auf Arbeitnehmende auf Abruf mit einem schwankenden Beschäftigungsgrad, solange diese länger als sechs Monate im entsprechenden Unternehmen angestellt waren. Damit erhoffte er sich, 200'000 Personen vor der Kündigung zu bewahren. Zudem wurden Zwischenbeschäftigungen bei den KAE ab diesem Zeitpunkt nicht mehr angerechnet, wodurch einerseits der administrative Aufwand für die Vollzugsorgane gesenkt und andererseits offene Stellen in der Landwirtschaft, im Gesundheitsbereich und in der Logistik besetzt werden sollten. Auch das Abrechnungsverfahren für KAE wurde vereinfacht – dieses kann während der ausserordentlichen Lage summarisch statt individuell vorgenommen werden –, damit die Anträge von mehr als 118'000 Unternehmen mit rund 1.34 Mio. Beschäftigten (Stand: 5.4.2020) verarbeitet werden konnten. Schliesslich wurde auch die maximale Bezugsdauer von vier Monaten bei einem Arbeitsausfall von über 85 Prozent aufgehoben.
Mitte Mai kündigte der Bundesrat wieder einen schrittweisen Ausstieg aus den ALV-Massnahmen an, welcher mit den Lockerungsetappen zur Öffnung der Wirtschaft koordiniert sei. Ende Mai liefen die KAE-Bezugsmöglichkeiten für Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung, mitarbeitende Ehegatten und Lernende aus, zudem wurde die Voranmeldefrist wieder eingeführt, zumal die Auswirkungen der Massnahmen nun für die Unternehmen wieder abschätzbar seien, wie der Bundesrat begründete. Weitere Verschärfungen nahm die Regierung Anfang Juli vor, als sie beispielsweise die Karenzfrist von einem Tag und die Berücksichtigung von Überstunden wieder einführte. Gleichzeitig verlängerte sie aber auch die Höchstbezugsdauer von KAE von 12 auf 18 Monate.
Weitere grosse Änderungen nahm der Bundesrat in diesem Bereich Mitte August vor, als er die Covid-19-Verordnung zur ALV änderte. Neu sollte diese bis maximal Ende 2022 gültig sein, sofern das Covid-19-Gesetz verabschiedet würde – ansonsten träte die Verordnung per sofort ausser Kraft. Da gemäss Bundesrat aufgrund der wirtschaftlichen Öffnung keine Ausnahmeregelungen mehr nötig seien und man grösstenteils zum ursprünglichen System von KAE und Arbeitslosenentschädigungen zurückkehren könne, bestand die Verordnung nur noch aus fünf Paragraphen: Durch die zusätzlichen Taggelder musste auch die Rahmenfrist für den Leistungsbezug um bis maximal sechs Monate verlängert werden. Ab September sollte der Arbeitsausfall bei Kurzarbeitsentschädigungen wie vor den Corona-bedingten Erleichterungen nur noch während maximal vier Abrechnungsperioden über 85 Prozent liegen dürfen. Um aber die Sondersituation während der ausserordentlichen Lage zu berücksichtigen, werden die entsprechenden Abrechnungsperioden zwischen dem 1. März und dem 31. August nicht angerechnet. Für Berufsbildnerinnen und Berufsbildner sollte Zeit, welche sie für die Ausbildung von Lernenden aufwendeten, als Arbeitsausfall im Sinne von KAE angerechnet werden können. Damit sollte die Ausbildung der Jugendlichen sichergestellt werden, die zu diesem Zeitpunkt ja bereits nicht mehr für KAE angemeldet werden konnten. Damit die Vollzugsstellen die entsprechenden Anträge noch vor Ende des Jahres im ordentlichen Verfahren behandeln können, sollte das summarische Verfahren bis längstens Ende 2020 weitergeführt werden.

Neben den Leistungen der ALV beschäftigte sich der Bundesrat während der ausserordentlichen Lage auch mit der Finanzierung der ALV. Mitte Mai 2020 beantragte er im Nachtrag IIa zum Voranschlag 2020 eine Zusatzfinanzierung für die ALV über CHF 14.2 Mrd., da die bis zu diesem Zeitpunkt ausbezahlten KAE für 1.94 Mio. Arbeitnehmende an 190'000 Unternehmen zu sehr hohen, nicht budgetierten Ausgaben geführt hätten. Um nun zu verhindern, dass die Schuldenbremse der ALV aufgrund dieser hohen ungedeckten Ausgaben und damit eine Steigerung der Lohnprozente für das Jahr 2021 um mindestens 0.3 Prozent ausgelöst wird, sei dieser Nachtragskredit nötig, betonte der Bundesrat. Die Zusatzfinanzierung bedurfte überdies einer rechtlichen Grundlage, welche durch eine dringliche, befristete Änderung des AVIG geschaffen werden sollte. Nach einer verkürzten Vernehmlassung legte der Bundesrat im August 2020 die Änderung dem Parlament vor, welches diese in der Herbstsession ohne grossen Widerstand guthiess.

Neben der Kurzarbeit setzte der Bundesrat auch weiterhin auf Erwerbsersatz für Selbständigerwerbende, kündigte aber bereits Ende April eine sukzessive Aufhebung der Massnahmen an. Dennoch solle auch der Anspruch der Selbständigerwerbenden, deren Betriebe Ende April oder Anfang Mai wieder öffnen konnten, bis zum 16. Mai verlängert werden, zumal diese kaum ab dem ersten Tag ihre Dienstleistungen vollständig erbringen könnten. Ihre Situation sei vergleichbar mit derjenigen der indirekt von Corona betroffenen Selbständigerwerbenden, deren Anspruch ebenfalls bis zum 16. Mai andauerte. Über den Mai hinaus Anspruch hätten weiterhin Personen in Quarantäne sowie Personen, deren Kinder nicht von Dritten betreut werden können. Mitte Juni, im Rahmen der Aufhebung der ausserordentlichen Lage, passte der Bundesrat die Covid-19-Verordnung Erwerbsausfall an und präzisierte die geltenden Fristen: Anspruch auf EO könne somit nur noch bis zum 16. September geltend gemacht werden, anschliessend fänden auch keine rückwirkenden Neuberechnungen aufgrund von aktuelleren Steuerverfügungen mehr statt. Anfang September entschied der Bundesrat, direkt und indirekt von Corona betroffene Selbständigerwerbende erneut für Erwerbsersatzleistungen zuzulassen, obwohl deren Zugang erst Mitte Mai ausgelaufen war, da viele Betriebe ihre Tätigkeit noch nicht wieder vollständig aufgenommen hätten. Er dehnte den Anspruch gar auf in eigener Firma angestellte Personen im Veranstaltungsbereich in Härtefallsituation aus. Mitte September und somit kurz vor dem kommunizierten Stichtag für Anmeldungen für Erwerbsausfall verlängerte der Bundesrat die Geltungsdauer der Covid-19-Verordnung Erwerbsausfall erneut, jedoch nur für Personen in Quarantäne, für Eltern, deren Kinder nicht von Dritten betreut werden können, sowie für Selbständigerwerbende, deren Betriebe schliessen mussten oder deren Veranstaltungen verboten worden waren.

Zusätzlich nahm der Bundesrat auch in weiteren Sozialversicherungsbereichen Änderungen vor. Besonders relevant waren seine Massnahmen im BVG: Ende März veranlasste er, dass Arbeitgebende zur Bezahlung ihrer BVG-Beiträge auf ihre Arbeitgeberbeitragsreserven zurückgreifen dürfen. Für die Arbeitnehmenden hatte dies keine Auswirkungen, es entlastete jedoch die Arbeitgebenden. Die grosse Anpassung folgte sodann im Juli 2020, als der Bundesrat ein dringliches Geschäft (BRG 20.056) einreichte, mit dem die Auffangeinrichtung BVG ihre Gelder zinsfrei bei der Bundestresorie anlegen können sollte. Damit sollte verhindert werden, dass sich die Situation der Auffangeinrichtung aufgrund der Negativzinsen weiter verschlechterte.
Ende April entschied der Bundesrat zudem, zeitlich begrenzt auf die Erhebung von Verzugszinsen auf Beitragszahlungen von verschiedenen Sozialversicherungen (AHV/IV/EO/ALV) zu verzichten und somit Unternehmen und Selbständige zu entlasten. Diese Regelung sollte rückwirkend ab dem 21. März und bis zum 30. Juni 2020 gelten.
Bezüglich des KVG entschied sich die Regierung Mitte Juni schliesslich, die Kosten der Coronatests zu übernehmen. Um bei einer Zunahme der Fallzahlen schnell reagieren zu können, sei ein «engmaschiges Monitoring» nötig. Um zu verhindern, dass Personen, bei denen die Kosten über die OKP abgerechnet werden und die ihre Franchise noch nicht ausgeschöpft hatten oder den Selbstbehalt fürchteten, auf einen Test verzichteten, sollte der Bund für die Kosten aufkommen. Einige Kantone hatten die entsprechenden Kosten bereits zuvor übernommen.

Corona-Massnahmen in den Sozialversicherungen: Kurzarbeit und Erwerbsersatz
Dossier: Hauptmassnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie
Dossier: Covid-19 – Massnahmen zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen

Anfang Juli 2020, inmitten der Corona-Pandemie, unterbreitete der Bundesrat dem Parlament eine Botschaft für eine auf drei Jahre befristete und dringliche Änderung des BVG. Darin schlug er vor, der Auffangeinrichtung BVG zu erlauben, Gelder bis CHF 10 Mrd. aus dem Freizügigkeitsbereich zinslos und unentgeldlich bei der Bundestresorerie anzulegen. Die Auffangeinrichtung BVG befinde sich in einer schwierigen Situation, erklärte der Bundesrat. Die von den Sozialpartnern getragene Stiftung muss sämtliche Freizügigkeitsguthaben von Personen, die ihr entsprechendes Guthaben nicht bei einer Bank oder Versicherung deponieren wollen oder können – zum Beispiel weil sie arbeitslos sind –, aufnehmen und maximal bis zum Rentenalter der Betroffenen verwalten. Ein Problem stellen nun vor allem die Negativzinsen dar. Freizügigkeitsguthaben dürfen nicht mit Negativzinsen belastet werden, liquide Mittel können aber oft nur mit Negativzins angelegt werden, zinsfreie und sichere Anlagen sind kaum möglich. Dadurch ist es für die Auffangeinrichtung BVG seit der Einführung der Negativzinsen 2015 schwierig geworden, den Nominalwert der Gelder garantieren zu können, so der Bundesrat. Im Rahmen der Pandemie sei ihr Deckungsgrad nun weiter gesunken und neue Mittelzuflüsse aufgrund steigender Arbeitslosigkeit könnten die Situation noch weiter verschärfen. Daher sollen die entsprechenden Gelder während dreier Jahre zinslos und unentgeltlich bei der Bundestresorie angelegt werden können, wobei Neu- und Ersatzanlagen jedoch nur bei einem Deckungsgrad unter 105 Prozent möglich sein sollen. In der Zwischenzeit soll eine langfristige Lösung gefunden werden. Ausnahmsweise habe der Bundesrat zudem auf die Durchführung einer Vernehmlassung verzichtet, da die Positionen der betroffenen Kreise, in diesem Fall die Auffangeinrichtung BVG, bereits bekannt seien; so habe der Stiftungsrat der Auffangeinrichtung im März 2020 um die Einrichtung eines entsprechenden Kontos gebeten, erklärte der Bundesrat.

Anlage von BVG-Geldern aus dem Freizügigkeitsbereich der Auffangeinrichtung bei der Bundestresorerie

Die Medien sorgten sich im Rahmen der Corona-Pandemie auch um die Finanzen der Altersvorsorge. So hätten sowohl die Pensionskassen als auch der AHV-Ausgleichsfonds bei einem Corona-bedingten Kurssturz an der Börse viel Geld verloren, spekulierten sie. Bei der AHV wurde gar ein doppelter Effekt der Krise erwartet: So verhindere die schlechte Börsenkonjunktur nicht nur eine Kompensation des üblichen Defizits der Umlageergebnisse – seit 2014 schreibt die AHV konstant Umlagedefizite –, das Umlageergebnis verschlechtere sich durch den Rückgang der Lohnbeiträge aufgrund von Stellenverlusten und Kurzarbeit sogar noch stärker. Zwar drohe dem AHV-Fonds keine kritische Finanzsituation, das Problem sei vielmehr die Liquidität: Man wolle nicht im falschen Moment Wertschriften verkaufen müssen, um die Renten ausbezahlen zu können, betonten die Medien. Manuel Leuthold, Präsident des Verwaltungsrates der compenswiss, legte gegenüber der Sonntagszeitung das Vorgehen des Fonds während der Krise dar. Da man während der Baisse die meisten Aktien nicht verkauft habe, sei der AHV-Ausgleichsfonds Ende Juni 2020 insgesamt «nur» 1.5 bis 2 Prozent im Minus gewesen. Deutlich höhere Kosten erwarte er hingegen durch die verzögert eintreffenden Sozialversicherungsbeiträge: So nehme die AHV deshalb 2020 vermutlich CHF 1 Mrd. weniger ein als geplant.
Dass die Situation von AHV, IV und EO nicht noch schlimmer sei, führte Avenir Suisse auf die «künstliche Beatmung» durch die ALV zurück: Durch die KAE fielen die Pandemie-Sozialversicherungskosten grösstenteils bei der ALV an und müssten somit durch Bundesgelder finanziert werden. Zudem würden die tatsächlichen Folgen der Krise erst in den Folgejahren spürbar, wenn die Unternehmen keine KAE mehr beziehen könnten und es entsprechend zu Stellenabbau komme.
Diese Entwicklungen brachten die Medien auch mit den beiden Revisionen der Altersvorsorge (AHV 21 und BVG 21) in Zusammenhang: Durch die Verschlechterung der finanziellen Lage steige einerseits der Problemdruck, andererseits nehme der Spielraum für Zusatzbelastungen, v.a. also durch die im Rahmen der AHV 21 geplante Mehrwertsteuererhöhung um 0.7 Prozent, sowie für Kompensationsmassnahmen, also die Ausgleichszahlungen an Frauen in der Höhe von CHF 700 Mio. bei der AHV und der Rentenzuschlag von CHF 100 bis CHF 200 pro Monat für künftige Rentnerinnen und Rentner bei der beruflichen Vorsorge, ab. Zudem wurde einmal mehr über eine Erhöhung des Rentenalters diskutiert.
Bei der Jahreskonferenz der OAK BV Mitte Mai präsentierte diese schliesslich Zahlen zur Lage der Pensionskassen: Die Deckungsgrade lagen durchschnittlich bei 105.6 Prozent (sie waren seit Anfang Jahr um 6 Prozent gefallen) und der Anteil Pensionskassen in Unterdeckung war von 1.1 Prozent auf 25.4 Prozent gestiegen. Sanierungsfälle mit einem Deckungsgrad unter 90 Prozent gebe es im Moment jedoch nur wenige. Auch per Ende Juni und per Ende September veröffentlichte die OAK BV die aktuellsten Zahlen und konnte dabei von einer Entspannung der Situation berichten: Mit 107.9 Prozent (Ende Juni) respektive 110.2 Prozent (Ende September) stiegen die Deckungsgrade im Laufe des Jahres langsam wieder an.
Anfang Juli 2020 legte auch das BSV seinen Bericht zu den neuen Finanzperspektiven für AHV, IV und EO vor. Darin schätzte das Bundesamt die Kosten der Covid-19-Krise für die drei Sozialversicherungen zwischen 2020 und 2030 auf CHF 4 bis 5 Mrd. Die wirtschaftliche Entwicklung werde durch die Pandemie nur kurzfristig beeinträchtigt – das Umlageergebnis verschlechtere sich temporär um CHF 1 Mrd. pro Jahr –, mittelfristig habe sie somit nur geringfügige Konsequenzen. Entsprechend sollten die Lohnbeiträge der Sozialversicherungen ab 2025 wieder dasjenige Niveau erreichen, das sie ohne die Pandemie gehabt hätten. In der Folge zog die NZZ diese Zahlen des BSV jedoch in Zweifel, zumal sie gemäss einem vertraulichen Papier auf einer eigenen, rosigeren Wirtschaftsprognose beruhten, als sie die Bundesverwaltung für ihre Prognosen verwende. So rechnete das BSV für die Zeit ab 2022 mit einem eigenen Szenario «Erholung», bei dem das BIP und die Löhne stärker wachsen als im EFD-Modell der übrigen Bundesverwaltung. Begründet wurden die unterschiedlichen Perspektiven mit verschiedenen Zeithorizonten: Das BSV müsse längerfristiger kalkulieren als das EFD. Die NZZ vermutete hingegen, dass die Zahlen «geschönt» worden seien, um die Abfederungsmassnahmen der beiden Reformen nicht zu gefährden.

Probleme für Vorsorgeeinrichtungen wegen Corona

Nach dem Corona-bedingten Abbruch der Frühjahrssession folgte in der Sommersession 2020 die Einigungskonferenz zur Zulassung von Leistungserbringenden. Der grosse noch offene Streitpunkt betraf die Frage des Beschwerderechts für Krankenversicherungen zu kantonalen Erlassen über die Festlegung und Berechnung der Höchstzahlen: Der Nationalrat hatte eine entsprechende Regelung ergänzt, der Ständerat lehnte diese durchwegs ab. Die Teilnehmenden an der Einigungskonferenz entschieden sich diesbezüglich mit 14 zu 10 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) in der ersten und 19 zu 6 Stimmen (bei 1 Enthaltung) in der zweiten Abstimmung für die Position des Ständerates und somit gegen ein entsprechendes Beschwerderecht. In der Einigungskonferenz unumstritten war der zweite offene Punkt, die Sprachvoraussetzungen für Ärztinnen und Ärzte: Diesen Punkt hatte der Ständerat zuvor zur Interpretationsklärung noch einmal präzisiert – die entsprechende Version nahm die Einigungskonferenz einstimmig an.

Eine Minderheit de Courten (svp, BL) beantragte die Ablehnung des Vorschlags der Einigungskonferenz. Man habe versucht, der Vorlage verschiedene Elemente zur Kostendämpfung hinzuzufügen – etwa die Verknüpfung mit EFAS, ein Beschwerderecht bei der Zulassungssteuerung für die Krankenversicherungen oder die Lockerung des Vertragszwangs bei ausgewiesener Überversorgung in einem Kanton –, doch alle Vorschläge seien abgelehnt worden, erklärte de Courten im Rahmen der Nationalratsdebatte. Damit bleibe nur eine «Fortsetzung des Providuriums». Ganz anders sah die Situation Gesundheitsminister Berset, der darauf verwies, dass die Zulassung von Leistungserbringenden nach 20 Jahren mit Übergangslösungen endlich langfristig gesetzlich geregelt werden könne. Pierre-Yves Maillard (sp, VD) verwies in der nationalrätlichen Beratung zum Antrag der Einigungskonferenz auf die in der letzten Phase ohne Zulassungsregelung (zwischen Januar 2012 und Mitte 2013) aufgrund der Neuniederlassung von Ärztinnen und Ärzten aus dem EU-Raum sehr stark gestiegenen Kosten und Prämien. Angesichts dessen sei der schlimmste Fall überhaupt einer ohne Massnahmen. Entsprechend solle man auch jegliche Rechtsunsicherheit bezüglich der Zulassung vermeiden. Mit 103 zu 56 Stimmen (bei 12 Enthaltungen) folgte der Nationalrat diesem Plädoyer. Eine Mehrheit der SVP- und die gesamte FDP.Liberale-Fraktion lehnten den Vorschlag der Einigungskonferenz ab oder enthielten sich der Stimme.

Im Ständerat ergriff zwei Tage später niemand das Wort, um den Minderheitsantrag zu bewerben: Mit 40 zu 3 Stimmen sprach sich die kleine Kammer für den Vorschlag der Einigungskonferenz aus. In den Schlussabstimmungen gab es anschliessend keine Überraschungen mehr: Mit 43 zu 2 Stimmen respektive 122 zu 74 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) nahm das Parlament die permanente Regelung zur Zulassung von Ärztinnen und Ärzten an.

KVG. Zulassung von Leistungserbringern (BRG 18.047)
Dossier: Zulassungsbeschränkung für Ärztinnen und Ärzte (seit 1998)

In der Sommersession 2020 debattierte der Nationalrat das von der SGK-NR geschaffene Paket 1a, das eine Hälfte des bundesrätlichen Massnahmenpakets zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen beinhaltete. Die Grundsatzdebatte begann mit einem Nichteintretensantrag de Courten (svp, BL). Dass die Kosten im Gesundheitswesen mit dieser Vorlage gesenkt werden könnten, sei Wunschdenken, damit würden nur die vergangenen Fehler wiederholt, kritisierte der Minderheitensprecher den bundesrätlichen Vorschlag. Es brauche nicht mehr, sondern weniger Regulierung und Bürokratie. Das aktuelle Projekt solle gestoppt werden, um «den Weg für einen neuen Anlauf frei zu machen». Mit 139 zu 52 Stimmen – einzig die SVP sprach sich für Nichteintreten aus – lehnte der Rat diesen Antrag jedoch ab.
In der Folge lagen sowohl von Seiten der Kommissionsmehrheit als auch von linken und rechten Kommissionsminderheiten zahlreiche Änderungsanträge gegenüber der Version des Bundesrates vor.
Zuerst behandelte der Nationalrat das Thema der Rechnungsstellung und somit konkret die Frage, wer im Tiers payant den Versicherten die Rechnung zustellen muss. Einig war man sich, dass es wichtig sei, dass die Versicherten ihre Rechnungen kontrollieren könnten; bisher seien ihnen die Rechnungen nicht konsequent genug zugeschickt worden, war der Tenor. Der Bundesrat wollte die Zustellungspflicht bei den Leistungserbringenden belassen, die Pflicht aber neu mit Sanktionsmöglichkeiten im Gesetz festschreiben. Die Kommissionsmehrheit wollte diese Pflicht auf die Versicherungen übertragen, während zwei Minderheiten de Courten hier keinen Rechtsetzungsbedarf sahen respektive festhalten wollten, dass eine Übermittlung durch die Leistungserbringenden auch elektronisch erfolgen könne. Deutlich sprach sich die grosse Kammer für den Mehrheitsantrag der SGK-NR aus. Ebenfalls die Frage der Rechnungskontrolle betraf der Minderheitsantrag Wasserfallen (sp, BE), wonach eine vom Bund finanziell unterstützte Patientenschutzorganisation geschaffen werden sollte, welcher die Patientinnen und Patienten ihre Rechnungen zur Kontrolle vorlegen könnten. Zur Verdeutlichung der Notwendigkeit dieser Massnahme zählte Flavia Wasserfallen verschiedene Fälle auf, in denen Leistungen verrechnet wurden, die gar nie getätigt worden waren. Die Schaffung einer dritten Partei bei der Rechnungskontrolle sei jedoch aufwändig und kostspielig, lehnte Ruth Humbel (cvp, AG) den Vorschlag im Namen der Kommission ab. Dennoch entschied sich der Nationalrat mit 96 zu 92 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) für die Schaffung einer entsprechenden Patientenorganisation.
Die zweite grosse Frage betraf die Behandlungstarife. Mussten bisher nur Einzelleistungstarife auf einer gesamtschweizerisch vereinbarten einheitlichen Tarifstruktur beruhen, wollte der Bundesrat diese Anforderung auch auf ambulante Behandlungen ausdehnen, wobei er jedoch Ausnahmen vorsehen können wollte. Die Wirkung dieser Ausnahmen bezweifelte eine weitere Minderheit de Courten, deren Sprecher betonte, dass dadurch bestehende entsprechende Bestrebungen der Tarifpartner zur Suche von geeigneten Pauschalen nicht mehr fortgesetzt werden könnten. Mit 131 zu 58 Stimmen teilte die grosse Kammer die Sorge der Minderheit nicht und lehnte deren Antrag ab. Deutlich umstrittener war der Vorschlag des Bundesrates für eine Organisation zur Erarbeitung und Pflege der Tarifstruktur bei ambulanten ärztlichen Behandlungen, ähnlich wie die Swiss DRG im stationären Bereich. Der Bundesrat wollte die Verbände der Leistungserbringenden und Versicherungen bei Vorgaben zu Form, Betrieb und Finanzierung mit der Schaffung einer entsprechenden Organisation beauftragen und subsidiär selbst tätig werden, falls die Organisation nicht zustande käme oder nicht den gesetzlichen Grundlagen entspräche. Zudem sah er die Möglichkeit vor, die Schaffung einer Organisation auch von Verbänden zu anderen ambulanten Behandlungen – beispielsweise in der Chiropraktik oder der Physiotherapie – zu verlangen. Die Leistungserbringenden wären in der Folge verpflichtet, dieser Organisation unter Sanktionsandrohung die für den Betrieb nötigen Daten zu liefern; die Organisation müsste die Tarifstrukturen ihrerseits dem Bundesrat zur Genehmigung vorlegen. Zu diesem Konzept lagen zahlreiche Mehr- und Minderheitsanträge vor. Zum Beispiel sollten an der Schaffung der Organisation auch die Kantone beteiligt sein (Minderheit Prelicz-Huber; gp, ZH) respektive nicht die Verbände dafür zuständig sein, sondern wie bis anhin die Tarifpartner (Minderheit de Courten). Weiter wurden die Ausdehnung auf andere Bereiche, die Vorgaben zu Form, Betrieb und Finanzierung, die subsidiäre Kompetenz zur Schaffung der Organisation durch den Bundesrat sowie die Sanktionsmöglichkeiten von Kommissionsminderheiten bekämpft. Die Kommissionsmehrheit zeigte sich mit dem Vorschlag des Bundesrates mehrheitlich einverstanden, schlug aber vor, dass der Bundesrat erst eine Konsultation durchführe und seine Vorgaben bezüglich Form, Betrieb und Finanzierung der zu schaffenden Organisation erst anschliessend festsetze. Zudem sollten sowohl Leistungserbringende als auch Versicherungen zur Datenlieferung verpflichtet werden. Zwar setzte sich die bundesrätliche Version gegen sämtliche Minderheiten durch, zum Schluss folgte der Rat in letztgenannten Punkten jedoch deutlich der Kommissionsmehrheit.
Der dritte grosse Punkt betraf die Frage des Experimentierartikels: Dieser sollte inhaltlich, zeitlich und räumlich begrenzte Pilotprojekte mit Vorschlägen, die gegen einzelne Bestimmungen des KVG verstossen, ermöglichen und damit ein Testen alternativer Mechanismen zulassen. Der Bundesrat wollte diese Projekte auf bestimmte Bereiche beschränken, die Kommissionsmehrheit hingegen wollte einzig die Genehmigung des EDI voraussetzen. Verschiedene Minderheiten beabsichtigten, einzelne Anwendungsfelder zu streichen – beispielsweise Projekte zur Einschränkung der Arztwahl (Minderheit Gysi; sp, SG) – respektive neue Felder, wie Projekte zur Einholung von Zweitmeinungen (Minderheit Prelicz-Huber) zu erschliessen. Sie alle scheiterten an der Version des Bundesrates, die jedoch ihrerseits gegen die Kommissionsmehrheit mit 109 zu 88 Stimmen verlor. Somit wird der Anwendungsbereich des Experimentierartikels nicht eingeschränkt. Des Weiteren strich der Nationalrat auf Anraten der Mehrheit der SGK-NR die Verpflichtung der Versicherungen und Leistungserbringenden zur Teilnahme an solchen Projekten aus der bundesrätlichen Vorlage.
Mit 140 zu 48 Stimmen (bei 9 Enthaltungen) nahm der Nationalrat die veränderte Vorlage in der Gesamtabstimmung an. Unzufrieden mit dem Projekt zeigten sich die SVP – sie lehnte das Bundesratsgeschäft mehrheitlich ab – sowie einzelne Mitglieder der SP und der Grünen, die sich der Stimme enthielten.

Erstes Massnahmenpaket zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen (BRG 19.046)
Dossier: Anstieg der Krankenkassenprämien dämpfen (seit 2020)

Im Juni 2020 schickte die SGK-SR den Vorentwurf der KVG-Ergänzung über die Vollstreckung der Prämienzahlungspflicht der Versicherten in die Vernehmlassung. Darin hatte sie auch das Anliegen der Motion Brand (svp, GR) sowie einer ähnlichen Motion Heim (sp, SO; Mo. 17.3323) aufgenommen: Zukünftig sollen Eltern für die ausstehenden Prämien und Kostenbeteiligung ihrer Kinder auch nach deren Erreichen der Volljährigkeit haftbar bleiben.

KVG. Unterhaltspflichtige Eltern schulden nichtbezahlte Kinderprämien

Basierend auf der Standesinitiative des Kantons Thurgau schickte die SGK-SR im Juni 2020 den Vorentwurf der KVG-Ergänzung über die Vollstreckung der Prämienzahlungspflicht der Versicherten in die Vernehmlassung. Damit wolle sie «den Anliegen der Kantone, der Versicherten, der Versicherer und der Leistungserbringer ausgewogen Rechnung» tragen, erklärte die Kommission in einer Medienmitteilung. So soll das Verfahren bei Nichtbezahlen von Prämien und Kostenbeteiligungen geklärt werden. Unter anderem sollen Eltern zukünftig für die ausstehenden Prämien und die Kostenbeteiligung ihrer Kinder bei deren Erreichen der Volljährigkeit haftbar bleiben, wie es die Motionen Heim (sp, SO; Mo. 17.3323) und Brand (svp, GR; Mo. 18.4176) verlangt hatten. Schwarze Listen soll es zudem zukünftig nicht mehr geben und die Krankenversicherungen sollen die Versicherten nur noch maximal viermal jährlich betreiben können. Stattdessen erhalten sie die Möglichkeit, säumigen Versicherten ein günstigeres Versicherungsmodell zuzuweisen. Schliesslich sollen die Kantone entsprechend der Forderung des Kantons Thurgau neu 90 statt 85 Prozent der ausgewiesenen Forderungen der Krankenversicherungen übernehmen und dafür die Verlustscheine erhalten und bewirtschaften können. Eine Minderheit beantragte, den Kantonen die Führung schwarzer Listen weiterhin zu erlauben. Die Vernehmlassung läuft bis Anfang Oktober 2020.

Vollstreckung der Prämienzahlungspflicht der Versicherten (Kt. Iv. 16.312)
Dossier: Schwarze Liste für säumige Prämienzahlende

Anfang März 2020 gab die CVP bekannt, dass sie ihre Volksinitiative «Für tiefere Prämien – Kostenbremse im Gesundheitswesen» (Kostenbremse-Initiative) mit 119'000 Unterschriften der Bundeskanzlei überreicht habe. Mit der Initiative zwinge man das Parlament und die anderen Parteien zum Handeln, betonte CVP-Nationalrat Stefan Müller-Altermatt (cvp, SO). Die NZZ sah hingegen eher den Bundesrat in der Pflicht, da die Initiative Parallelen zum zweiten Kostendämpfungspaket, das die Regierung in Kürze vorlegen wolle, beinhalte. Folglich spekulierte die NZZ, dass der Bundesrat die Initiative entweder als erfüllt erachten könnte oder aber ihr das Bundesratsgeschäft als indirekten Gegenvorschlag entgegenstellen könnte. So kam es dann im Mai 2020 auch: Noch bevor die Bundeskanzlei aufgrund des Corona-bedingten Fristenstillstands das Zustandekommens der Initiative bestätigen konnte, gab der Bundesrat bekannt, das zweite Kostendämpfungspaket als indirekten Gegenvorschlag zur Initiative behandeln zu wollen. Im Juni 2020 konnte die Bundeskanzlei schliesslich auch über das formelle Zustandekommen der Initiative mit 103'761 gültigen Unterschriften informieren.

Eidgenössische Volksinitiative «Für tiefere Prämien – Kostenbremse im Gesundheitswesen» (BRG 21.067)
Dossier: Anstieg der Krankenkassenprämien dämpfen (seit 2020)
Dossier: Volksinitiativen zum Thema «Krankenkasse» (seit 2015)

In der Sommersession 2020 behandelte der Ständerat die Standesinitiative des Kantons Thurgau zusammen mit der Motion der SGK-NR zur Schaffung einer Notfalldefinition durch die Kantone (Mo. 18.3708) und diskutierte über eine Fristverlängerung für Erstere. Die Standesinitiative sah einen Gläubigerwechsel hin zum Kanton vor, wenn dieser 90 Prozent der offenen Forderungen der Krankenversicherungen gegenüber den Versicherten übernimmt – bisher mussten die Kantone 85 Prozent der ausstehenden Forderungen übernehmen und erhielten nach Begleichung der Schuld nur 50 Prozent von den Krankenversicherungen zurück. Kommissionssprecher Rechsteiner (sp, SG) erklärte, dass die Kommission aufgrund der Standesinitiative zusammen mit der Verwaltung eine Vernehmlassungsvorlage über die Vollstreckung der Prämienzahlungspflicht der Versicherten erarbeitet habe. Entsprechend würdigte Rechsteiner die Thurgauer Standesinitiative auch als eine der wenigen, welche «zu einem konkreten Gesetzgebungsentwurf geführt» hätten, und beantragte, ihre Behandlungsfrist zu verlängern. Dagegen wehrte sich Jakob Stark (svp, TG) – gemäss seiner eigenen Aussage als ehemaliger Thurgauer Regierungsrat «nicht ganz unschuldig daran, dass diese Initiative zustande gekommen ist» –, weil dadurch der materiell unbestrittene Gegenstand der Initiative weiter verzögert werde. Dabei gehe es auch «etwas um den Respekt vor einem kantonalen Parlament». Rechsteiner verwies jedoch darauf, dass die Kantonsparlamente den Stellenwert von Standesinitiativen im Bundesparlament tendenziell überschätzten. Zudem brauche es bei Gesetzen mit wenigen Ausnahmen eine Vernehmlassung – entsprechend dauere es halt etwas länger als in kantonalen Exekutiven. Mit 29 zu 3 Stimmen (bei 1 Enthaltung) folgte der Ständerat der Einschätzung der Kommission und stimmte der Fristverlängerung zu.

Vollstreckung der Prämienzahlungspflicht der Versicherten (Kt. Iv. 16.312)
Dossier: Schwarze Liste für säumige Prämienzahlende

Stillschweigend lehnte der Nationalrat in der Sommersession 2020 die Motion Kuprecht (svp, SZ) für eine Übertragung der Kontrolle über die OAK BV an das Parlament ab. Im Februar 2020 hatte die SGK-SR die Ablehnung mit 22 zu 14 Stimmen (bei 1 Enthaltung) empfohlen, da die Oberaufsichtskommission «ihre Aufgaben umfassend und ohne zusätzliche Einschränkungen wahrnehmen können» müsse. Bereits heute unterliege die OAK BV zudem der Überprüfung durch die GPK.

Gesetzesgrundlage zur Kontrolle der Oberaufsichtskommission über die berufliche Vorsorge (Mo. 19.3600)