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Nach der Rückweisung an die Kommission war die Reform «BVG 21» des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge in der Wintersession 2022 erneut für den Ständerat traktandiert. In drei Sitzungen habe sich die SGK-SR entsprechend dem Rückweisungsantrag nochmals über die verschiedenen Kompensationsmodelle für die Übergangsgeneration – gemäss zahlreichen Sprechenden das «Herzstück der Vorlage» – gebeugt. Allgemein geht es beim Zuschlag darum, dass die Reduktion der Neurenten um 12 Prozent, die durch die Senkung des Umwandlungssatzes entsteht, für die ersten Jahrgänge, die das Rentenalter erreichen, abgefedert werden. Dazu, wie diese Personen unterstützt werden sollen, lagen nun drei verschiedene Konzepte (und vier spezifische Vorschläge) vor, deren Unterschied gemäss Kommissionssprecher Erich Ettlin (mitte, OW) vor allem in der Finanzierung – über Lohnprozente oder über Beiträge der versicherten Personen – und in der Frage bestand, ob die Rentenbeziehenden einen monatlichen Zuschuss zu ihrer Rente oder eine einmalige Einlage in ihr Vorsorgekapitel erhalten. Die Kommissionsmehrheit entschied sich für eine leicht angepasste Version des ehemaligen Einzelantrags Dittli (fdp, UR), die im Vergleich zur Version der Kommissionsmehrheit vor der Sommersession deutlich weniger Begünstigte und deutlich tiefere Kosten aufwies. Gleichzeitig lagen drei Minderheitsanträge vor.

Der Entwurf des Bundesrates, der auf dem Kompromiss der Sozialpartner beruhte, wurde im Ständerat von einer Minderheit III Rechsteiner (sp, SG) vertreten. Demnach sollen alle Versicherten der Übergangsgeneration (15 Jahrgänge) anfänglich einen Rentenzuschlag zwischen CHF 100 und CHF 200 monatlich erhalten, wobei dieser Zuschlag von ihrem Alter – nicht aber von ihrem Einkommen – abhängt. Allenfalls soll der Zuschlag auch für weitere Generationen weitergeführt werden können. Finanziert werden soll er durch einen neuen Abzug vom AHV-pflichtigen Lohn in der Höhe von 0.5 Prozent. Kritisiert wurde das Modell vor allem dafür, dass Beiträge im Umlageverfahren systemfremd seien, dass es zu teuer sei und dass auch Personen mit einem hohen Vorsorgekapital einen Zuschlag erhielten. Minderheitensprecher Rechsteiner bewarb das Modell unter anderem damit, dass AHV und Pensionskassen bereits heute ihr in der Bundesverfassung festgehaltenes Ziel, «die Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise» zu ermöglichen, nicht mehr erfüllen könnten und darum eine Kompensation für alle Versicherten der Übergangsgeneration nötig sei. Zudem stellte Rechsteiner einen Eventualantrag: Bei einem Entscheid für ein anderes Modell sollte der Ständerat auf die Senkung des Umwandlungssatzes verzichten.

Das Modell des Nationalrats beruhte auf der Idee, dass eigentlich nur die obligatorisch Versicherten (ungefähr 14 Prozent aller Versicherten) von einer Senkung des Umwandlungssatzes betroffen seien – bei den überobligatorisch Versicherten gebe es ja bereits jetzt eine Mischrechnung zwischen obligatorischem und überobligatorischem Vorsorgevermögen, wie Alex Kuprecht (svp, SZ), dessen Minderheit die nationalrätliche Version mehrheitlich aufnahm, argumentierte. Demnach sollen diejenigen Personen, deren zukünftige Rente tiefer liegt als gemäss aktuellem Gesetz, diese Differenz in Form einer einmaligen Kapitaleinlage beim Erreichen des Rentenalters erhalten. Konkret erhielten dadurch 35 bis 40 Prozent der Versicherten eine Ausgleichszahlung. Finanziert werden sollte diese über die Vorsorgeeinrichtungen durch Verlustreserven und durch zusätzliche Beiträge der BVG-Versicherten sowie ihrer Arbeitgebenden. Minderheitensprecher Damian Müller (fdp, LU) widersprach der Darstellung Kuprechts, wonach nur rein obligatorisch versicherte Personen von der Änderung des Umwandlungssatzes betroffen wären: Bei denjenigen, die über eine überobligatorische Versicherung verfügen, werde zukünftig ein immer grösserer Teil des Überobligatoriums zur Deckung der Kosten des Obligatoriums eingesetzt, bis der Umwandlungssatz auf Ersterem bei 0 Prozent liege. Verschiedene Sprechende kritisierten das Modell ebenfalls dafür, dass es zu geringe Kompensationen an zu wenige Personen beinhalte.

Ein neues Modell, beruhend auf dem ehemaligen Minderheitsantrag Dittli, verfolgten die Kommissionsmehrheit sowie die Minderheit II Müller Damian. Beide wollten den Kreis der Personen, die von einem Zuschlag profitieren, gegenüber dem nationalrätlichen Vorschlag vergrössern und gegenüber demjenigen des Bundesrates verkleinern. Die beiden Vorschläge setzten dazu auf das Vorsorgekapital der Versicherten bei Renteneintritt: Solange dieses unter einem Schwellenwert liegt (Kommissionsmehrheit: zweieinhalbfacher Grenzbetrag = CHF 215'000; Minderheit Müller: vierfacher Grenzbetrag = CHF 344'160), erhält die Person den vollen, nach dem Alter abgestuften Zuschlag, bis zu einem zweiten Schwellenwert (Kommissionsmehrheit: fünffacher Grenzbetrag = CHF 430'000; Minderheit Müller: sechsfacher Grenzbetrag=CHF 516'000) einen degressiv abnehmenden Zuschlag. Damit sollten Schwelleneffekte vermieden werden. Dadurch erhielten 25 Prozent (Bundesrat) respektive 40 Prozent (Minderheit II) der Versicherten einen vollen und 25 Prozent (Bundesrat) respektive 20 Prozent (Minderheit II) der Versicherten einen abgestuften Zuschlag. Die Minderheit II verlangte überdies einen Zuschlag für 20 Jahrgänge (Bundesrat: 15 Jahrgänge) sowie einen Mindestbezugsanteil für die Rente von 75 Prozent, während die übrigen Modelle einen Rentenbezug von mindestens 50 Prozent verlangten. Finanziert werden sollten die Zuschläge durch einen Abzug auf dem erweitert koordinierten Lohn von anfänglich 0.24 Prozent (Bundesrat) respektive 0.3 Prozent (Minderheit II). Minderheitssprecher Rechsteiner kritisierte insbesondere den Mehrheitsvorschlag dafür, dass dadurch noch immer zu wenige Versicherte von einem Zuschlag profitieren könnten und erachtete stattdessen den Minderheitsantrag II als «am wenigsten schlecht».

Zusammenfassend unterschieden sich die vier Modelle insbesondere im Anteil der betroffenen Versicherten sowie in den Kosten: Beim Bundesratsmodell und der Minderheit III Rechsteiner sollten 100 Prozent der Versicherten eine Kompensation bei Kosten von insgesamt CHF 29.7 Mrd. erhalten (kumuliert bis ins Jahr 2045), bei der Minderheit II Müller 60 Prozent der Versicherten für CHF 16.8 bis 17.1 Mrd., bei der Kommissionsmehrheit 50 Prozent der Versicherten für CHF 11.7 Mrd. und bei der Minderheit I Kuprecht 35 bis 40 Prozent der Versicherten für CHF 9.7 Mrd. Die Version, welche die Mehrheit der SGK-SR noch vor der Sommersession 2022 empfohlen hatte, wäre 88 Prozent der Versicherten (70% voller Zuschlag, 18% reduzierter Zuschlag) zugutegekommen und hätte CHF 25.2 Mrd. gekostet. In der Folge setzte sich der Mehrheitsantrag gegen alle drei Minderheiten durch (Minderheit I: 34 zu 9 Stimmen; Minderheit II: 24 zu 19 Stimmen; Minderheit III: 28 zu 15 Stimmen). Mit 30 zu 12 Stimmen lehnte der Ständerat gleich darauf auch den Eventualantrag der Minderheit Rechsteiner auf einen Verzicht auf die Senkung des Umwandlungssatzes ab. Bereits in allen vier Vorschlägen enthalten war ein vom Bundesrat geschaffener, aber vom Nationalrat abgelehnter Anspruch auf einen Rentenzuschlag für Personen, welche eine Invalidenrente einer Vorsorgeeinrichtung beziehen.

Obwohl das Modell der Kurzfristkompensation im Ständerat sehr umstritten war und gemäss den Parlamentarierinnen und Parlamentariern bei einem möglichen Urnengang stark über Annahme oder Ablehnung der Vorlage mitentscheiden könnte, waren gerade auch die Bestimmungen zur Langfristkompensation, mit denen die Senkung des Umwandlungssatzes für diejenigen Personen abgemildert werden soll, die noch länger zu arbeiten haben, sehr zentral. Auch hier nahm der Ständerat zahlreiche Änderungen am nationalrätlichen Entwurf vor.
So schlug die Kommission zum Beispiel bei der Eintrittsschwelle einen Zwischenweg zwischen den Versionen des Bundesrates (CHF 21'510, wie bisher) und des Nationalrates (CHF 12'548) vor, wie es Kommissionssprecher Ettlin (mitte, OW) formulierte. Die Eintrittsschwelle sollte demnach bei CHF 17'208 zu liegen kommen, zumal Personen mit sehr kleinen Einkommen nicht immer froh seien, wenn sie darauf noch BVG-Beiträge zahlen müssten. Stillschweigend folgte der Ständerat hier seiner Kommission und entschied in der Folge auch, dass junge Leute erst ab 25 Jahren – und nicht wie vom Nationalrat vorgeschlagen bereits ab 20 Jahren – Beiträge für die berufliche Vorsorge bezahlen müssen. Umstrittener waren hingegen die Änderungen beim Koordinationsabzug. Hier schlug die Kommissionsmehrheit einen Systemwechsel von einem fixen zu einem prozentualen Wert vor: Statt wie bisher CHF 25'095 oder wie vom Nationalrat vorgeschlagen CHF 12'443 sollte der Koordinationsabzug neu 15 Prozent eines Jahreslohns bis CHF 85'320 betragen. Dadurch könne man die Problematik lösen, dass Versicherte mit mehreren Stellen den Koordinationsabzug mehrmals bezahlen müssten und gleichzeitig die Geringverdienenden besserstellen, warb Kommissionssprecher Ettlin für diesen Vorschlag. Eine Minderheit Müller wollte hingegen dem Nationalrat folgen und den heutigen Abzug halbieren. Dies sei administrativ einfacher und günstiger, während Geringverdienende trotzdem gegenüber heute bessergestellt würden. Zudem bleibe die Rente bei einem Einkommen unter jährlich CHF 50'000 auch mit dem Vorschlag der Mehrheit unter der EL-Grenze, während die Versicherten und ihre Arbeitgebenden gleichzeitig deutlich höhere Lohnabzüge für die BVG-Beiträge bezahlen müssten. In der Folge lieferten sich Ruedi Noser (fdp, ZH) und Maya Graf (gp, BL) ein Streitgespräch zur Frage, ob es beim Mehrheitsantrag ein Problem sei, dass der AHV-Lohn der Mitarbeitenden erst im Februar oder März des nächsten Jahres feststeht und somit während des Jahres unklar ist, ob eine Person tatsächlich entsprechende Beiträge leisten muss und wie hoch diese ausfallen werden. Gesundheitsminister Berset verwies auf die stärkere Betroffenheit der Frauen, bei denen ein Drittel der Arbeitnehmenden Netto-Jahreslöhne unter CHF 36'000 aufwiesen – bei den Männern seien es 10 Prozent. Wie der Minderheitensprecher kritisierte auch er, dass der Vorschlag der Kommissionsmehrheit den koordinierten Lohn und somit die BVG-Beiträge gerade bei Personen mit solch tiefen Einkommen gegenüber heute auf das Sechsfache erhöhen würde. Es sei zwar wichtig, den Koordinationsabzug zu senken, «mais [...] il doit être supportable pour les personnes directement concernées». Mit 34 zu 10 Stimmen (bei 1 Enthaltung) folgte der Ständerat seiner Kommissionsmehrheit.

Darüber hinaus nahm der Ständerat zahlreiche weitere, unbestrittene Änderungen vor. Unter anderem pflichtete er dem Bundesrat sowie dem Nationalrat bei und schuf anstelle der bisherigen vier Stufen der Altersgutschriften neu zwei Stufen in der Höhe von 9 und 14 Prozent. Die einzige Differenz zum Nationalrat blieb hier in der Frage, wann junge Erwachsene mit dem Alterssparen beginnen müssen. In der Gesamtabstimmung nahm der Ständerat den BVG-21-Entwurf mit 25 zu 10 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) an. Die ablehnenden Stimmen und Enthaltungen stammten grösstenteils von Mitgliedern der SP und der Grünen.

Die Medien konzentrierten sich drei Monate nach der Annahme der AHV21 an der Urne vor allem auf die Folgen der Revision für die Frauen. Hier waren sie sich jedoch nicht einig, ob die Frauen als häufiger Teilzeiterwerbstätige gegenüber heute genügend bessergestellt oder gar benachteiligt würden. Ganz allgemein zeigten sich die Medien unsicher, ob die Vorlage in dieser Form an der Urne durchzubringen wäre.

Reform der Beruflichen Vorsorge (BVG 21; BRG 20.089)
Dossier: Koordinationsabzug und Eintrittsschwelle BVG

In der Wintersession 2022 setzte sich der Ständerat erstmals mit dem Entwurf für eine einheitliche Finanzierung der Leistungen im ambulanten und stationären Bereich auseinander und nahm dabei verschiedene gewichtige Änderungen am Entwurf vor. Der Rat folgte dabei überall seiner Kommissionsmehrheit, deren Position Erich Ettlin (mitte, OW) darlegte.

Die zentrale Änderung gegenüber der nationalrätlichen Version stellte der Einbezug der Pflegefinanzierung in EFAS dar, wie ihn die Kantone ausdrücklich gefordert hatten. Der Nationalrat hatte einen solchen noch abgelehnt, da die dafür nötigen Informationen, etwa zur Kostentransparenz, erst beschafft werden müssten. Um unter anderem diesen fehlenden Informationen Rechnung zu tragen, soll die Pflegefinanzierung gemäss Vorschlag der SGK-SR jedoch erst nach sieben Jahren integriert werden. Stillschweigend folgte der Ständerat seiner Kommission in dieser zentralen Frage.
Doch auch allgemein will sich der Ständerat bei der Umsetzung von EFAS Zeit lassen, so sollen erst drei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes die ersten Umstellungen erfolgen, wobei während der anschliessenden vier Jahre die Anteile der Kantone langsam gesteigert werden – sieben Jahre nach Inkrafttreten sollen demnach die Kostenbeteiligungsziele der Kantone erfüllt sein. Minderheiten von Marina Carobbio Guscetti (sp, TI) und Josef Dittli (fdp, UR), welche eine Umsetzungszeit von neun Jahren respektive einen vom Bundesrat festzulegenden Spielraum zwischen sieben und neun Jahren forderten, fanden keine Mehrheit.

Als Reaktion auf den Einbezug der Pflegefinanzierung legte die kleine Kammer den Kantonsbeitrag an die ambulanten und stationären Kosten auf 26.9 Prozent fest – der Nationalrat hatte ohne Pflegefinanzierung einen Beitrag von 25.5 Prozent vorgesehen. Damit wird der Kantonsbeitrag proportional zu den entstandenen Kosten bemessen und soll lediglich die Nettoleistungen berücksichtigen. Eine Minderheit Hegglin (mitte, ZG) hatte beantragt, auf die Bruttokosten abzustellen. Der Kantonsbeitrag wäre demnach aufgrund der gesamten Leistungen ohne Franchisen oder Selbstbehalt berechnet worden. So befürchtete Minderheitensprecher Hegglin, dass Personen mit hohen Franchisen bei Berücksichtigung der Nettobeträge benachteiligt würden und die Versicherungen die Prämien für hohe Franchisen zukünftig erhöhen müssten, weil sich die Kantone stärker an den Kosten von Personen mit tiefen Franchisen beteiligten. Die Kommissionsmehrheit und der Bundesrat erachteten es allerdings als eine – wohl sogar verfassungsrechtlich – unzulässige Ungleichbehandlung, wenn sich die Kantone an den Kosten von Franchisen und Selbstbehalten beteiligten, nicht aber die Versicherungen. Mit 28 zu 11 Stimmen folgte der Ständerat seiner Kommissionsmehrheit und lehnte damit auch den von der Minderheit vorgeschlagenen tieferen Kantonsbeitrag von 24.1 Prozent der Bruttokosten ab.

Als weiteren zentralen Punkt stärkte der Ständerat die Position der Kantone bezüglich Datenzugang und Steuerungsmöglichkeiten. Bisher verfügten die Kantone über sämtliche jährlich anfallenden 1.3 Mio. Rechnungen der stationären Behandlungen – da sie diese mitfinanzierten. Da sie neu aber auch die ambulanten Leistungen mitfinanzieren werden, verlangten sie zusätzlich Zugang zu den 130 Mio. Rechnungen der ambulanten Behandlungen. Dies lehnten jedoch die Versicherungen ab, da sie eine Verlängerung der Zahlungsverfahren befürchteten. Nach einem runden Tisch des BAG schlug die Kommissionsmehrheit vor, dass die Kantone weiterhin nur die Originalrechnungen des stationären Bereichs erhalten, eine Minderheit Stöckli (sp, BE) wollte jedoch den Kantonen auch Zugang zu aggregierten Daten zur Kostenentwicklung gewähren. Man solle die «Stellung der Kantone nicht unzulässig herabminder[n]» und ihnen Zugang zu denjenigen Daten geben, die sie für ihre vielen Aufgaben benötigen, verlangte er. Mit 22 zu 20 Stimmen lehnte der Ständerat diese Ergänzung jedoch knapp ab. Generell sollen die Kantone somit eine Wohnsitzkontrolle und eine formale Prüfung der stationären Leistungen vornehmen können, jedoch keine Prüfung der WZW-Kriterien.
Hingegen verbesserte der Ständerat die Steuerungsmöglichkeiten der Kantone, unter anderem durch eine neue Zulassungssteuerung bei nichtärztlichen Leistungserbringenden – bisher war nur eine Zulassungssteuerung bei ärztlichen Leistungserbringenden möglich. In Übereinstimmung mit der überwiesenen Motion 20.3914 sollte neu aber zum Beispiel auch bei psychotherapeutischen Leistungen ein Zulassungsstopp aufgrund eines überdurchschnittlich starken Anstiegs des Kostenniveaus verglichen mit anderen Kantonen möglich sein. Eine Minderheit Dittli erachtete dies «weder [als] nötig noch [als] sinnvoll», unter anderem da die bestehenden «Instrumente der Wirtschaftlichkeitskontrolle und der Qualitätsentwicklung» für eine Kontrolle der Kosten ausreichten. Mit 23 zu 16 Stimmen folgte der Ständerat aber seiner Kommissionsmehrheit.
Gestärkt werden sollte unter anderem auch die Gemeinsame Einrichtung KVG, indem diese zukünftig die Kantonsbeiträge berechnet, einfordert und die Aufteilung der Gelder der Kantone an die Versicherungen übernimmt. Neu sollen nach dem Willen des Ständerates zudem die Kantone darin Einsitz erhalten.

Im Nationalrat sehr umstritten war die Frage nach der Vergütung der Vertragsspitäler, die bisher bei 45 Prozent durch die Versicherungen lag, während die Listenspitäler neben den 45 Prozent durch die Versicherungen auch 55 Prozent Vergütung durch die Kantone erhielten. Die grosse Kammer wollte diese Vergütung der Vertragsspitäler von 45 Prozent auf 73.1 Prozent erhöhen, um den Finanzierungsanteil aus der OKP gleich zu behalten wie bei den Listenspitälern. Der Ständerat entschied sich hingegen stillschweigend für den bundesrätlichen Vorschlag, um eine Attraktivitätssteigerung der Vertragsspitäler und damit eine Einschränkung der Wirksamkeit der Spitalplanung zu verhindern.

Abgelehnt wurde schliesslich auch ein Minderheitsantrag Carobbio Guscetti, der ausdrücklich sicherstellen wollte, dass bei Anstieg der kantonalen Beteiligung die Kosten für die Prämienzahlenden in gleichem Verhältnis sinken. Bereits bei der Spitalfinanzierung 2012 sei der erhoffte dämpfende Effekt auf die Prämien ausgeblieben, mit dieser Regelung solle dieser deshalb sichergestellt werden, forderte die Minderheitensprecherin – jedoch vergeblich. Mit 30 zu 11 Stimmen lehnte der Ständerat den Antrag ab, Kommissionssprecher Ettlin hatte argumentiert, dass die Prämien automatisch sinken müssten, da sie «den Gesundheitskosten eines Kantons entsprechen müssen».

In der Folge sprach sich die kleine Kammer in der Gesamtabstimmung mit 29 zu 6 Stimmen (bei 5 Enthaltungen) für den Entwurf aus. Die ablehnenden Stimmen und Enthaltungen stammten hauptsächlich von Mitgliedern der SP- und der Grünen-Fraktion.

Einführung eines monistischen Finanzierungssystems für die Gesundheitsleistungen (EFAS; Pa.Iv. 09.528)

Im Mai 2022 präsentierte die SGK-SR ihre Anträge zur BVG 21-Reform. Sie weiche damit «deutlich» von den Vorschlägen der Sozialpartner und des Bundesrates sowie des Nationalrates ab, betonte sie. Demnach sollen Versicherte einer Übergangsgeneration von 20 Jahrgängen einen Rentenzuschlag erhalten, wenn sie ihre Altersleistungen zu mindestens 75 Prozent als Rente beziehen. Bei einem Jahreseinkommen bis zur 3.5-fachen maximalen AHV-Altersrente (etwa CHF 100'000) erhalten sie den vollen Zuschlag, der CHF 2'400 jährlich für die ersten fünf Jahrgänge und CHF 1'800, CHF 1'200 und CHF 600 jeweils für fünf weitere Jahrgänge beträgt. Versicherte mit Jahreslohn zwischen der 3.5- und 5-fachen Maximalrente erhalten einen degressiv abgestuften Zuschlag, Versicherte mit mehr als einer 5-fachen Maximalrente erhalten keinen Zuschlag. Dadurch würden 70 Prozent der Arbeitnehmenden in Genuss des vollen und 12 Prozent in den Genuss des reduzierten Zuschlags kommen. Finanziert werden soll der Zuschlag über den Sicherheitsfonds, der den Vorsorgeeinrichtungen die Kosten des Zuschlags vergütet, gleichzeitig von ihnen aber auch Beiträge erhebt.
Doch nicht nur bei den umstrittenen Rentenzuschlägen für die Übergangsgeneration sah die Kommissionsmehrheit Differenzen zu Bundesrat und Nationalrat vor, sondern auch bei den dauerhaften Regelungen. Bei der Eintrittsschwelle schlug sie mit 60 Prozent einen Kompromiss zwischen Bundesrat (75%) und Nationalrat (44%) vor, während sie beim Koordinationsabzug auf einen bereits mehrfach vorgeschlagenen Systemwechsel setzte: Statt diesen wie bisher (CHF 25'095) oder von Bundesrat und Nationalrat vorgeschlagen (CHF 12'548) auf einen fixen Wert festzulegen, sollte er zukünftig bei 15 Prozent des AHV-Lohnes liegen. Im Gegenzug wollte die Kommissionsmehrheit den minimalen koordinierten Jahreslohn bei CHF 3'585 belassen – Bundesrat und Nationalrat hatten diesen aufheben wollen. Die Altersgutschriften sollten wie beim Bundesratsmodell erst ab 25 Jahren beginnen – der Nationalrat wollte deren Beginn auf 20 Jahre senken –, waren ansonsten aber mit den von Bundesrat und Nationalrat vorgeschlagenen Modellen identisch. Insgesamt würden somit gleich hohe Altersgutschriften ohne Zinsen anfallen wie beim Bundesratsmodell (460%), aber deutlich weniger als beim Nationalratsmodell (505%).

Noch bevor dieser Vorschlag in der Sommersession 2022 im Ständeratsplenum behandelt werden konnte, berichteten die Medien, dass er stark «absturzgefährdet» sei (Aargauer Zeitung) und von SVP, Mitte und Teilen der FDP.Liberalen nicht unterstützt werde, da sie die Rentenzuschläge als zu grosszügig erachteten. Selbst Josef Dittli (fdp, UR), der den Vorschlag grosszügigerer Zuschläge in den Kommissionsberatungen eingebracht hatte, nannte diese nach Bekanntwerden ihrer Kosten – CHF 25.2 Mrd. verglichen mit CHF 9.1 Mrd. bei der nationalrätlichen Version – «vermutlich» zu grosszügig. Der Blick berichtete denn auch, dass verschiedene Gegnerinnen und Gegner des Entwurfs der SGK-SR, etwa der Pensionskassenverband Asip oder Vertretende der Hochlohnbranche, stark gegen diesen Vorschlag und für denjenigen des Nationalrats lobbyierten. Insgesamt sprach man dem Kommissionsvorschlag für die in der Sommersession 2022 anstehende Beratung somit kaum Erfolgschancen zu und rechnete damit, dass sich mangels Alternativen wohl bereits der nationalrätliche Vorschlag durchsetzen würde.

Bis zum Beginn der ständerätlichen Beratung hatte sich die Ausgangslage jedoch bereits wieder geändert. Am Vortag der Behandlung hatte Josef Dittli in einem Einzelantrag ein neues Konzept für die Ausgleichsmassnahmen eingereicht, das grösstenteils auf dem nationalrätlichen Vorschlag beruhte – also beispielsweise ebenfalls 15 Übergangsjahrgänge vorsah. Abweichend davon sollten jedoch alle Personen einen Zuschlag erhalten, deren Vorsorgevermögen unter dem zweieinhalbfachen Grenzbetrag (also unter CHF 215'100) liegt. Damit könnten im Gegensatz zum Nationalrat auch Versicherte mit tiefen Renten einen Zuschlag erhalten, «die einen gewichtigen Anteil ihres Sparkapitals im Überobligatorium angesammelt haben», was gemäss Dittli insbesondere Frauen betreffe. Dennoch vergrössere man damit den Beziehendenkreis aber weniger stark als beim Vorschlag der SGK-SR. Personen mit Vorsorgevermögen über dieser Schwelle erhielten entsprechend der Regelung des Nationalrats dann einen Zuschlag, «wenn der daraus entstehende Betrag die reglementarische Altersrente übersteigt». Damit entstünden Kosten von CHF 11.9 Mrd., profitieren würden 37 bis 47 Prozent der Arbeitnehmenden, beim Vorschlag der SGK-SR wären es 88 Prozent und bei demjenigen des Nationalrats 35 bis 40 Prozent. Finanziert werden soll dieser Zuschlag durch Beiträge, welche der Sicherheitsfonds bei den Vorsorgeeinrichtungen entsprechend ihrer versicherten Löhne – nicht der Austrittsleistungen wie beim Vorschlag des Nationalrats – erhebt.
Er habe diesen Antrag eingereicht, weil er in verschiedenen Gesprächen realisiert habe, dass weder das Bundesratsmodell noch der Vorschlag der Kommissionsmehrheit mehrheitsfähig seien, erläuterte Dittli. Die Version des Nationalrats, welche folglich mangels Alternativen wohl gesiegt hätte, sei aber «vor dem Volk absturzgefährdet». Isabelle Chassot (mitte, FR) erachtete den Antrag Dittlis als «base de discussion intéressante», weshalb sie die Rückweisung des Geschäfts an die Kommission und die Beratung der Auswirkungen des Antrags Dittli im Verhältnis zu den bisherigen Modellen verlangte. Nach einer sehr ausführlichen Eintretensdebatte, bei der alle Sprechenden die Wichtigkeit der Revision betonten, sprach sich der Ständerat mit 28 zu 15 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) für Rückweisung an die Kommission aus. Abgelehnt wurde dieser Antrag insbesondere von Mitgliedern der SVP- und der FDP.Liberalen-Fraktion – unter anderem auch von Josef Dittli, der die von der Verwaltung kurzfristig erarbeiteten Berechnungen zu seinem Vorschlag als für eine Debatte im Plenum ausreichend erachtete.

Reform der Beruflichen Vorsorge (BVG 21; BRG 20.089)
Dossier: Koordinationsabzug und Eintrittsschwelle BVG

Im September 2021 forderte Josef Dittli (fdp, UR), dass Altersguthaben bei einem Austritt aus einem 1e-Plan geschützt werden. Wechselt eine Person von einem Arbeitgebenden mit 1e-Vorsorgeplan, bei dem die überobligatorisch Versicherten mehr Möglichkeiten zur Wahl der Anlagestrategie haben, aber auch die daraus entstehenden Risiken selbst tragen, zu einem Arbeitgebenden ohne solchen, muss das Vorsorgeguthaben bisher sofort in die neue Pensionskasse übertragen werden. Bei einem Börsentief zum Wechselzeitpunkt kann dies zu beträchtlichen Verlusten führen. Zukünftig sollen die entsprechenden Gelder deshalb zwei Jahre lang auf einem Freizügigkeitskonto belassen werden können, damit die Arbeitnehmenden den Verkaufszeitpunkt ihrer Anlagen selbst festlegen können.
Wie bereits bei einer gleichlautenden und unbehandelt abgeschriebenen Motion Weibel (glp, ZH; Mo. 19.3769) empfahl der Bundesrat die Motion zur Ablehnung. Er erachtete die Möglichkeit eines Stellenverlusts als eines der Risiken, welche Versicherte eines 1e-Plans im Gegenzug für höhere Renditen tragen müssten. Zudem würden die Betroffenen bei einer solchen Regelung bevorzugt, insbesondere wenn sich die neue Vorsorgeeinrichtung in Unterdeckung befindet: Sie könnten ihre Gelder auf dem Freizügigkeitskonto belassen und müssten sich nicht an der Sanierung beteiligen. Folglich wären auch die Sanierungskosten für alle anderen Versicherten höher.
In der Herbstsession 2021 überwies der Ständerat die Motion auf Ordnungsantrag von Damian Müller (fdp, LU) der zuständigen Kommission zur Vorprüfung.

Altersguthaben schützen bei einem Austritt aus einem 1e-Plan (Mo. 21.4142)

Auch die SGK-NR störte sich daran, dass die Arbeitgebenden selbst bei der vereinfachten Abrechnung von Sozialversicherungen und Steuern von Hausdienstangestellten zwei verschiedene Anlaufstellen für die AHV und die ALV anschreiben müssen und begrüsste daher die von den Motionen Dittli (fdp, UR) und Gmür (mitte, SZ) beantragte weitere Vereinfachung. Der Nationalrat folgte dem Antrag der Kommission in der Herbstsession 2021 und nahm die Motion Dittli stillschweigend an. Wenige Tage später entschied sich auch der Ständerat in Übereinstimmung mit seiner Kommission für Annahme der Motion Gmür, womit der Bundesrat nun gleich zwei Aufträge zur Vereinfachung der entsprechenden Abrechnung erhielt.

Abrechnung der Sozialversicherungen und der Steuern bei Hausdienstangestellten vereinfachen (Mo. 20.4425 & Mo. 20.4552)

Auch im Ständerat fand die Standesinitiative des Kantons Neuenburg, welche den Kantonen die Möglichkeit geben wollte, kantonale, regionale oder interkantonale Einrichtungen zur Erhebung der Krankenkassenprämien, zur Kostenfinanzierung zulasten der OKP sowie zur Erfüllung der administrativen Aufgaben von Krankenversicherungen gemäss dem KVG zu schaffen, keine Mehrheit. Für die Kommissionsmehrheit betonte Curafutura-Präsident Josef Dittli (fdp, UR), dass diese Einrichtung zwar keine Einheitskasse, sondern eine Alternative zu den bestehenden Krankenversicherungen darstellen solle, dass es aber «doch [...] um das Thema Einheitskasse» gehe. Die Stimmbürgerschaft habe eine solche aber bereits zweimal an der Urne verworfen. Zudem sei die Standesinitiative identisch mit einer Volksinitiative, die im Jahr 2019 an der Unterschriftenhürde gescheitert sei. Bereits heute könnten die Kantone überdies «im Prämiengenehmigungsverfahren zu den für ihren Kanton geschätzten Kosten Stellung nehmen», aber auch selbst Krankenkassen gründen. Da die aktuelle Vorlage jedoch einen «radikalen Paradigmenwechsel bei der Festlegung und Erhebung der Prämien» zur Folge habe, lehnte sie die Kommissionsmehrheit ab.
Eine Minderheit Carobbio Guscetti (sp, TI) beantragte die Annahme der Standesinitiative. Die Minderheitensprecherin hob die zahlreichen Probleme des aktuellen Systems hervor: die Intransparenz bei der Prämienfestlegung, die Wettbewerbsprobleme durch private Akteure in einem Sozialversicherungssystem, die Probleme der Reserven, die in den letzten Monaten immer wieder Thema waren. Die Standesinitiative würde diese Probleme allesamt bekämpfen, das System vereinfachen, eine klare Trennung der Grund- und Zusatzversicherungen erlauben und gleichzeitig zur Schaffung von Arbeitsplätzen in den Kantonen beitragen. Allfällige Probleme der Regelung könnten denn auch nach einer Annahme im Erstrat noch ausgemerzt werden, warb Carobbio Guscetti. Mit 26 zu 9 Stimmen gab der Ständerat der Initiative jedoch keine Folge.

Kantonale, regionale oder interkantonale Krankenversicherung. Allfällige Schaffung im Kompetenzbereich der Kantone (Kt.Iv. 20.315)
Dossier: Anstieg der Krankenkassenprämien dämpfen (seit 2020)

In der Herbstsession 2021 bestätigte der Ständerat seinen Entscheid aus der ersten Behandlung der Standesinitiative des Kantons St. Gallen für ein Verbot von Provisionszahlungen für Wechsel der Grundversicherung. Mit 8 zu 3 Stimmen hatte die Mehrheit der SGK-SR erneut beantragt, der Initiative keine Folge zu geben, zumal der Weg über den bundesrätlichen Entwurf in Erfüllung ihrer Motion (Mo. 18.4091) und somit über eine Selbstregulierung der Branche zu bevorzugen sei. Der Entwurf des Bundesrates sehe eine Verbindlicherklärung der Branchenlösungen zu einem Verbot der telefonischen Kaltakquise – also der Anrufe bei Personen, welche nicht bei den entsprechenden Versicherungen versichert sind –, eine Begrenzung der Provisionen, einen Verzicht auf Leistungen von Callcentern, eine obligatorische Ausbildung sowie eine Pflicht zur Führung eines zu unterzeichnenden Beratungsprotokolls vor, wie Josef Dittli (fdp, UR) dem Rat als Kommissionssprecher erläuterte. Eine Kommissionsminderheit Carobbio Guscetti (sp, TI) befürwortete hingegen die restriktivere Regelung gemäss Standesinitiative, welche die entsprechenden Vermittlerprovisionen gänzlich verbieten wollte. Die Minderheitensprecherin kritisierte in der Ratsdebatte, dass die Gefahr bestehe, dass die Branchenvereinbarung nicht verbindlich erklärt werden könne, «wenn die nötige Repräsentativität der Versicherer nicht gegeben» sei. So kommt es gemäss dem bundesrätlichen Vorschlag erst zu einer Verbindlicherklärung, wenn sich Versicherungen, die zwei Drittel der Versicherten abdecken, hinter eine Vereinbarung stellen. Mit 29 zu 11 Stimmen gab der Ständerat der Initiative des Kantons St. Gallen jedoch keine Folge.

Keine Prämiengelder für Vermittlungsprovisionen (St.Iv. 18.305)

In der Sommersession 2021 behandelte der Ständerat den Vorschlag seiner SGK über die Vollstreckung der Prämienzahlungspflicht. Kommissionssprecher Rechsteiner (sp, SG) fand anerkennende Worte für die ihr zugrundeliegende Standesinitiative des Kantons Thurgau, zumal diese nicht nur vollständig umgesetzt werde – was für Standesinitiativen sehr ungewöhnlich sei –, sondern im Gesetzesvorschlag gar übertroffen werde. Basierend auf der Initiative sei die Kommission die Probleme in diesem Themenbereich mithilfe der Verwaltung, der GDK und der Versichererverbände nämlich gleich «integral» angegangen. Eintreten war in der Folge unbestritten.
Ohne Diskussionen und stillschweigend bereinigte der Ständerat anschliessend die meisten Aspekte der Vorlage: eine Übernahme von 85 Prozent der Forderungen der Krankenversicherungen durch die Kantone sowie eine Zusage von 50 Prozent des Erlöses bei Zahlung der Schuld im Gegenzug gegen die Übertragung der Verlustscheine auf die Kantone; das Verbot, volljährig gewordene Personen für ausstehende Prämien aus ihrer Kindheit zu belangen sowie das Verbot, Kinder wegen Prämienausständen auf eine schwarze Liste zu setzen und ihnen folglich Leistungen zu verweigern (entsprechend der Motion 19.4290); die Beschränkung der maximalen Anzahl Betreibungen auf zwei – ausser die Betreibungen haben zu einem Verlustschein geführt; die Einführung einer eingeschränkten Wahl der Leistungserbringenden für säumige und betriebene Prämienzahlende sowie die Ermächtigung für den Bundesrat, Bestimmungen über die Bemessung von Gebühren zu erlassen.
Bereits in der Eintretensdebatte hatte sich jedoch gezeigt, dass ein Aspekt der Vorlage sehr umstritten sein würde, nämlich die Frage, ob Listen säumiger Prämienzahlender, sogenannte schwarze Listen, zukünftig verboten werden sollen. Diesen Antrag einer Kommissionsminderheit kritisierte der Thurgauer Ständerat Jakob Stark (svp, TG), dessen Kanton entsprechende Listen führt, deutlich. In seinem Kanton habe sich gezeigt, dass etwa die Hälfte der Personen, die ihre Prämien nicht bezahlten, durchaus über genügend Geld verfügen würden. Sein Kanton biete den Betroffenen ein Case-Management an, mit dem sie ihren Finanzhaushalt sanieren könnten. Von diesem Angebot machten die meisten Leute jedoch erst dann Gebrauch, wenn sie auf der schwarzen Liste stünden. Diese Verbindung von schwarzer Liste und Case-Management sei sehr erfolgreich, so fielen in vergleichbaren Kantonen vier- bis fünfmal höhere Kosten für ausstehende Prämien an als im Kanton Thurgau. Entsprechend müsse man eine solche Verbindung eigentlich allen Kantonen vorschreiben, solle es ihnen aber zumindest nicht verbieten. Paul Rechsteiner (sp, SG) erläuterte für die Kommission, dass heute noch sechs Kantone (AG, LU, SG, TG, TI, ZG) eine solche Liste führten, während die Kantone Graubünden, Solothurn und Schaffhausen sie in den letzten Jahren abgeschafft hätten und auch der Kanton St. Gallen dabei sei, die entsprechende Regelung zu streichen. Die Kommissionsmehrheit wolle den Kantonen diese Möglichkeit belassen und stattdessen den umstrittenen Begriff eines «medizinischen Notfalls» im Hinblick auf das Gerichtsurteil von 2018 aus dem Kanton St. Gallen auf Bundesebene definieren. Josef Dittli (fdp, UR) verteidigte in der Folge den Minderheitsantrag auf Streichung der schwarzen Listen. Diese Streichung sei in der Vernehmlassungsvorlage noch enthalten gewesen und von der Mehrheit der Teilnehmenden befürwortet worden, darunter von sämtlichen Krankenversicherungen, 19 Kantonen, der GDK und der FMH. Zahlreiche Kantone hätten die Listen in der Zwischenzeit abgeschafft, da sie «nicht die gewünschten Ergebnisse» erzielt und mehr Aufwand als Nutzen gebracht hätten. Aufgrund einer Ungleichbehandlung der Versicherten hinsichtlich des Zugangs zur medizinischen Versorgung, zahlreicher Umsetzungsprobleme, fehlender Evidenz für eine Wirkung der Listen auf die offenen Ausstände, der Verlagerung des Problems an die Leistungserbringenden, eines hohen Administrationsaufwands sowie hoher Kosten beantrage die Kommissionsminderheit die Streichung der Listen. Mit 22 zu 22 Stimmen zeigte sich die Meinung im Ständerat zu dieser Frage geteilt: Mit Stichentscheid von Präsident Kuprecht (svp, SZ) sprach sich die kleine Kammer für die Kommissionsmehrheit und somit für ein Beibehalten der schwarzen Listen aus. Fast einstimmig (mit 43 zu 1 Stimme) nahm sie den Entwurf anschliessend in der Gesamtabstimmung an.

Vollstreckung der Prämienzahlungspflicht der Versicherten (Kt. Iv. 16.312)
Dossier: Schwarze Liste für säumige Prämienzahlende

Eine vereinfachte Möglichkeit zur Abrechnung von Sozialversicherungen und Steuern von Hausdienstangestellten versuchten Josef Dittli (fdp, UR; Mo. 20.4425) und Alois Gmür (cvp, SZ; Mo. 20.4552) in zwei sehr ähnlichen Motionen zu erreichen, welche sie im Dezember 2020 einreichten. So sollte eine unkomplizierte, wenn möglich digitale Abrechnung bei einer einzigen Anlaufstelle geschaffen werden. Durch das «vereinfachte Abrechnungsverfahren» im Rahmen des Bundesgesetzes gegen die Schwarzarbeit müssten sich die Arbeitgebenden heute nur noch an eine AHV-Ausgleichskasse und eine Unfallversicherung wenden. Bereits damals habe das Parlament den Wunsch geäussert, stattdessen nur eine Anlaufstelle zu schaffen – diesem Wunsch solle der Bundesrat nun mit einer Verordnungsänderung nachkommen, so die Motionäre. Der Bundesrat erachtete das Anliegen als «sinnvoll» und beantragte es zur Annahme. Bereits heute sei eine solche Zusammenarbeit zwischen den AHV-Ausgleichskassen und den Unfallversicherungen freiwillig möglich, käme aber nur selten zustande. Entsprechend werde man nun für eine «entsprechenden Globalvereinbarung zwischen Ausgleichskassen und Unfallversicherern» sorgen. Stillschweigend nahmen sowohl der Ständerat als auch der Nationalrat je eine der beiden Motionen in der Frühjahrssession 2021 an.

Abrechnung der Sozialversicherungen und der Steuern bei Hausdienstangestellten vereinfachen (Mo. 20.4425 & Mo. 20.4552)

Ende Januar 2021 publizierte die SGK-SR ihren Entwurf zur Umsetzung der Standesinitiative des Kantons Thurgau über die Vollstreckung der Prämienzahlungspflicht. Dabei ging es um die Schulden, die dadurch entstehen, dass Eltern die Krankenkassenprämien und Kostenbeteiligungen ihrer Kinder nicht bezahlten. Bisher wurden die Kinder bei Erreichen der Volljährigkeit für die Schulden haftbar. Neu sollten diese Schulden jedoch auch bei Volljährigkeit der Kinder in der Verantwortung der Eltern verbleiben. Beibehalten wollte die Kommissionsmehrheit hingegen die schwarzen Listen säumiger Prämienzahlender, gemäss denen Personen mit ausstehenden Prämienforderungen in einigen Kantonen nur zu Notfallbehandlungen zugelassen werden. Kinder sollten aber in Übereinstimmung mit der Motion Barrile (sp, ZH; Mo. 19.4290) neu von dieser Regelung ausgenommen werden. Eine Minderheit Dittli (fdp, UR) beantragte die Streichung der Möglichkeit für schwarze Listen und schlug stattdessen vor, den Betroffenen nur eine eingeschränkte Wahl der Leistungserbringenden zuzugestehen. Personen, für die noch Prämien aus ihrer Kindheit offen sind, sollten von diesen Massnahmen jedoch ausgenommen werden.
Im April 2021 nahm der Bundesrat Stellung zum Entwurf der Kommission. Er befürwortete, dass die Schulden der Prämien von Kindern bei deren Erreichen der Volljährigkeit bei den Eltern verbleiben sollten, betonte aber noch einmal seine Ablehnung der schwarzen Listen. In der Vernehmlassung hätten sich zudem zahlreiche Akteure aus dem Gesundheitswesen, auch eine Mehrheit der Kantone, gegen diese ausgesprochen. Stattdessen beantragte er, der Kommissionsminderheit Dittli zu folgen. Darüber hinaus schlug er einige weitere Änderungen am Gesetzestext vor. So sollten bereits für Prämienschulden aus ihrer Kindheit eingeleitete Betreibungen von jungen Erwachsenen für nichtig erklärt werden. Schon vorgängig umstritten sei überdies die Frage gewesen, wie häufig pro Jahr die Betroffenen betrieben werden können, führte der Bundesrat aus. Anfänglich habe sich die Kommission hier für vier Betreibungen pro Jahr entschieden, diese Zahl aufgrund des Einwands der GDK, wonach dies einen unverhältnismässigen Aufwand mit sich bringen würde, jedoch auf zwei reduziert. Diese Reduktion unterstütze der Bundesrat, auch wenn die Eidgenössische Kommission für Schuldbetreibung und Konkurs befürchte, dass den Kantonen damit höhere Kosten verblieben als bei einer unbeschränkten Anzahl. Hingegen schlug der Bundesrat in seiner Stellungnahme vor, Betreibungen für Forderungen, für die bereits ein Verlustschein vorliegt, von dieser Anzahl auszunehmen, damit auch Personen mit ausstehenden Prämien aus dem Vorjahr betrieben werden können.

Vollstreckung der Prämienzahlungspflicht der Versicherten (Kt. Iv. 16.312)
Dossier: Schwarze Liste für säumige Prämienzahlende

Mittels Motion verfolgte die FDP.Liberale-Fraktion Ende 2018 die Idee eines Pflegesparkontos. Auf dem Konto sollte freiwillig, steuerbefreit und vererbbar Geld für Pflege und Betreuung im Alter gespart werden können. Eigenverantwortliches Sparen für die eigene Alterspflege müsse sich lohnen, argumentierte die Partei. Dadurch würden die Ergänzungsleistungen und die OKP entlastet. Der Bundesrat verwies auf seine Antwort auf die Motion Dittli (fdp, UR; Mo. 16.4086) mit ähnlichem Anliegen und erklärte, dass eine Versicherung aufgrund der kleinen bis mittleren Eintrittswahrscheinlichkeit und geringer Beeinflussbarkeit einer späteren Pflege sinnvoller sei als ein Sparkonto. Die Steuerbefreiung des Sparkontos würde zudem zu höheren Steuerausfällen bei Bund, Kantonen und Gemeinden führen, als das Sparkonto Minderausgaben bewirken würde. Aufgrund der Freiwilligkeit des Pflegesparkontos würden vor allem einkommensschwache Personen auf eine Erstellung verzichten, wodurch überdies der Bedarf an Ergänzungsleistungen bestehen bliebe. Mit 99 zu 74 Stimmen lehnte der Nationalrat die Motion ab. Zustimmung fand sie neben der einreichenden FDP.Liberale-Fraktion bei der SVP-Fraktion sowie bei einem Mitglied der Mitte-Fraktion.

Pflegesparkonto. Finanzierungsinstrument des 21. Jahrhunderts (Mo. 18.4180)
Dossier: Schaffung eines Pflegesparkontos

Damian Müller (fdp, LU) reichte eine Motion ein, mit der er dem Sicherheitsfonds BVG für die Dauer der Übergangsmassnahmen zur BVG-Revision jährlich CHF 500 Mio. aus der Gewinnausschüttung der SNB zukommen lassen wollte. Sein Anliegen ergänzte eine Reihe ähnlich lautender Vorstösse (Mo. 18.4327; Pa.Iv. 18.465; Pa.Iv. 19.481; Pa.Iv. 20.432). Damit solle das Rentenniveau der Übergangsgeneration gesichert werden – ein Aspekt, der im Rahmen der Revision noch diskutiert werden müsse, aber für den Erfolg der Vorlage vor dem Volk zwingend sei, wie der Motionär betonte. Die CHF 500 Mio. seien auf die Negativzinsen, welche die zweite Säule jährlich mit ungefähr demselben Betrag belasteten, zurückzuführen.
Der Bundesrat lehnte den Vorschlag in seiner Stellungnahme ab: Der Bundeshaushalt werde durch die Corona-Pandemie stark belastet und der Bund benötige folglich die Gewinnbeteiligung der SNB. Zudem seien die Sozialpartner für die Finanzierung der beruflichen Vorsorge zuständig und schliesslich hänge die Höhe der Ausschüttungen insbesondere auch von der Entwicklung der Währungsreserven ab, nicht nur von den Negativzinsen.
In der Herbstsession 2020 nahm der Ständerat stillschweigend einen Ordnungsantrag Dittli (fdp, UR) auf Zuweisung der Motion an die SGK-SR an.

Gewinne aus den Negativzinsen in der beruflichen Vorsorge gehören den Versicherten (Mo. 20.3670)
Dossier: Was tun mit den Erträgen der Schweizerischen Nationalbank?

In der Herbstsession 2020 behandelte der Ständerat das von der SGK-NR geschaffene Paket 1a des Massnahmenpakets zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen, das die weniger umstrittenen Teile des ersten Massnahmenpakets des Bundesrats beinhaltete. Nachdem er ohne Gegenantrag auf die Vorlage eingetreten war, schuf er einige Differenzen zum Erstrat.
Nur eine kleine Änderung gegenüber der nationalrätlichen Version nahm der Ständerat, in Übereinstimmung mit seiner Kommission, bei der Frage der Rechnungsstellung im Tiers payant-System vor. Hier ergänzte er stillschweigend einen Passus, wonach die Versicherungen und die Leistungserbringenden abmachen können, dass die Versicherung für die Übermittlung der Rechnungen zuständig sein soll. Mit der Änderung des Nationalrats, wonach die Rechnungen auch elektronisch verschickt oder auf einem Webportal hinterlegt werden können, zeigten sich die Ständerätinnen und Ständeräte hingegen einverstanden.
Für deutlich mehr Diskussionen sorgte die Frage der Behandlungstarife, insbesondere die Patientenpauschaltarife bei ambulanten Behandlungen, gemäss Kommissionssprecher Pirmin Bischof (cvp, SO) «ein Herzstück der Vorlage». Neu sollen gemäss Bundesrat vereinbarte Patientenpauschaltarife auf einer gesamtschweizerisch vereinbarten einheitlichen Tarifstruktur beruhen müssen, erklärte Bischof. Die Tarife müssten zwar nicht schweizweit identisch sein, wohl aber die in der Rechnung aufgeführten Teile einer Behandlung. Dies habe den Vorteil, dass die Rechnungen gesamtschweizerisch vergleichbar seien. Nachteilig sei hingegen, dass kantonale Differenzen in der Struktur nicht mehr möglich seien. Der Vorteil dieser Änderung liege gemäss Marina Carobbio Guscetti (sp, TI) auch darin, dass man damit das Risiko einer Mengenausweitung reduzieren könne. «Je mehr man verrechnet, desto mehr verdient man.» Eine Minderheit Müller (fdp, LU) beantragte, auf die Schaffung dieser Patientenpauschalen zu verzichten. Bereits heute gebe es solche Pauschalen und sie würden auch bei ambulanten Behandlungen angewendet. Da sich die Behandlung aber zwischen den verschiedenen Patientinnen und Patienten stark unterscheide, würde eine Vereinheitlichung zu einer Übervergütung von einfachen und zu einer Untervergütung von komplizierten Fällen, welche häufig bei kränkeren und sozial schwächeren Patientinnen und Patienten auftreten, führen. Obwohl die Minderheit Müller in der Kommission mit 8 zu 3 Stimmen (bei 1 Enthaltung) unterlegen war, meldeten sich mit Brigitte Häberli-Koller (cvp, TG), Erich Ettlin (cvp, OW), Hannes Germann (svp, SH) und Josef Dittli (fdp, UR) deutlich mehr Kommissionsmitglieder im Namen der Minderheit zu Wort. Einen ganz anderen Aspekt der Regelung stellte Gesundheitsminister Berset in den Mittelpunkt: Für ihn liege der zentrale Unterschied zur heutigen Regelung darin, dass der Bundesrat neu subsidiär eingreifen könne, wenn sich die Tarifpartner nicht auf eine Tarifanpassung einigen könnten. Mit 22 zu 21 Stimmen setzte sich die Minderheit in dieser Frage jedoch knapp durch, der Ständerat lehnte damit die Schaffung einer Patientenpauschale ab.
Eine weitere offene Frage bezüglich der Behandlungstarife betraf die Schaffung einer nationalen Tariforganisation im ambulanten Bereich, entsprechend der Swiss DRG im stationären Bereich, die für die Erarbeitung und Weiterentwicklung der Tarifstrukturen zuständig sein sollte. Hier sei man sich mehrheitlich einig, betonte Bischof, offen sei lediglich noch die Frage der Organisationshoheit. Solle der Bundesrat über die Organisationsform entscheiden, dabei erst eine Konsultation durchführen oder gar nur subsidiär zuständig sein, wenn sich die Leistungserbringenden und Versicherungen nicht einigen können? Letzteres schlug die SGK-SR vor. Bundesrat Berset stellte zudem in seiner Antwort auf eine Frage von Charles Juillard (cvp, JU) fest, dass ausschliesslich Tarifpartner in der Organisation vertreten sein würden und die Kantone somit darin erst mitwirken könnten, wenn EFAS angenommen worden sei und die Kantone somit ebenfalls für die ambulante Behandlung zuständig wären. Stillschweigend folgte der Ständerat in diesem Punkt dem Vorschlag seiner Kommission.
Ein weiterer umstrittener Aspekt der Tariffrage betraf die Finanzierung von Rechnungsprüfungen, welche die Patientenorganisationen durchführen sollten, durch das EDI. Die Kommissionsmehrheit wollte diesen vom Nationalrat eingefügten Punkt aus der Vorlage streichen, eine Minderheit Carobbio Guscetti wollte ihn beibehalten. Natürlich sollten sich Patientinnen und Patienten von externen Organisationen beraten lassen können, der Bund solle sich dabei aber nicht an der Finanzierung dieser Dienstleistung beteiligen, zumal eine solche Finanzhilfe nur eine zusätzliche Kontrolleinheit bedeuten würden, erklärte Kommissionssprecher Bischof. Minderheitensprecherin Carobbio Guscetti betonte hingegen, dass die anfangs eingesetzte Expertengruppe einen ähnlichen Vorschlag gemacht habe und die GDK das Anliegen unterstütze. Nicht abgeneigt gegenüber der Finanzierung zeigte sich auch Bundesrat Berset, für den die Massnahme nicht im Widerspruch zur Strategie des Bundesrates stand. Mit 28 zu 13 Stimmen (bei 1 Enthaltung) sprach sich der Ständerat aber gegen die Finanzierung aus und schuf damit eine weitere Differenz zum Nationalrat.
Schliesslich stand noch der Experimentierartikel im Raum, gemäss Bischof der «zweite Kernartikel dieser Vorlage». Die SGK-SR wollte den nationalrätlichen Vorschlag um die Möglichkeit, experimentelle Projekte zur Förderung der Digitalisierung durchführen zu können, ergänzen. Streichen wollte sie hingegen Projekte zur Einschränkung der freien Arztwahl. Eine weitere Minderheit Müller schlug indes vor, vollständig auf den Katalog mit möglichen Bereichen, in denen Projekte durchgeführt werden können, zu verzichten. Ohne Katalog könnten auch Projekte durchgeführt werden, welche Grundrechtseingriffe enthielten, erklärte Bischof den Widerstand der Kommissionsmehrheit gegen diesen Vorschlag. Die betroffenen Patientinnen und Patienten hätten keine Möglichkeit, sich gegen die Projekte zu wehren. Gesundheitsminister Berset sprach sich vehement gegen den Minderheitsantrag und die Streichung des Katalogs aus. Der Bundesrat und die Verfassungsrechtsexperten des Bundes seien sich einig, dass dies gegen Artikel 5 Absatz 1 der Bundesverfassung verstosse, wonach das Recht Grundlage und Schranke staatlichen Handelns darstelle. Damit würden die möglichen Experimente keine Grenzen kennen. So könnten zum Beispiel für die Bevölkerung eines Kantons die Hälfte des Leistungskatalogs gestrichen, die Franchise auf CHF 10'000 erhöht oder risikobezogene Prämien eingeführt werden. Paul Rechsteiner (sp, SG) kritisierte des Weiteren, dass die freie Arztwahl auf der Liste möglicher Projekte aufgeführt sei: Die Einschränkung der freien Arztwahl sei ein fundamentaler Systemeingriff, der Grundrechtsdimensionen betreffe und entsprechend per Gesetz zu entscheiden sei. Man solle den «Akteuren im Gesundheitswesen [nicht] per Gesetz abschliessend vorschreiben, wo sie experimentieren können», betonte hingegen Minderheitensprecher Müller. Innovation entstehe «relativ chaotisch», ergänzte Erich Ettlin (cvp, OW). Zudem könne ja das EDI die Pilotprojekte bewilligen, müsse es aber nicht. Mit diesen Argumenten setzte sich die Kommissionsminderheit durch: Mit 23 zu 19 Stimmen sprach sich der Ständerat gegen die Einschränkung der Experimente auf einen Katalog aus. Im Anschluss bat Bischof den Nationalrat, in seiner nächsten Sitzung diese vom Ständerat geänderte Bestimmung etwas abzuschwächen und ihr eine Ausnahme für Grundrechtsverletzungen anzufügen.
Mit 31 zu 0 Stimmen (bei 12 Enthaltungen) nahm der Ständerat das Gesetz in der Gesamtabstimmung ohne Gegenstimme an. Die Enthaltungen stammten von sechs Mitgliedern der SP- sowie von je drei Mitgliedern der SVP- und der Grünen-Fraktion.

Erstes Massnahmenpaket zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen (BRG 19.046)
Dossier: Anstieg der Krankenkassenprämien dämpfen (seit 2020)

Nachdem der Bundesrat dem Parlament die Botschaft zur AHV 21 vorgelegt hatte, diskutierten die Medien die Vorlage in unregelmässigen Zeitabständen. Im Zentrum der Diskussion stand insbesondere die vorgeschlagene Rentenaltererhöhung der Frauen, welche für Frauenorganisationen und linke Parteien eine «unglaubliche Frechheit», wie es das Streikkollektiv des Frauenstreiks ausdrückte, und einen Referendumsgrund, für viele Bürgerliche jedoch eine notwendige Massnahme zur Sanierung der AHV darstellte. Mehrfach wurde zu diesem Zeitpunkt auch bereits eine weitergehende Rentenaltererhöhung für Frauen und Männer auf 66 oder gar 67 Jahre gefordert. So schlug zum Beispiel Ständerat Ruedi Noser (fdp, ZH; Mo. 20.3225) in einer Motion vor, eine automatische schrittweise Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre mit einer Erhöhung des gesetzlichen Ferienanspruchs um zwei Wochen zu verknüpfen. Demgegenüber wurde auch darüber diskutiert, ob das Konzept der Pensionierung und des fixen Rentenalters überhaupt noch zeitgemäss sei oder ob es nicht besser abgeschafft werden sollte. Immer wieder beriefen sich die Medien zudem auf Umfragen, um die Zukunftssorgen der Bevölkerung bezüglich ihrer Altersvorsorge zu unterstreichen. Gleichzeitig ergaben aber auch mehrere solche Umfragen, dass eine Mehrheit der Befragten, insbesondere der befragten Frauen, eine Erhöhung des Frauenrentenalters ablehnte (z.B. Umfrage Deloitte: Männer: 60% für Erhöhung des Frauenrentenalters, 32% der Frauen dafür). Ende November 2019 forderte schliesslich auch die OECD in ihrem alle zwei Jahre erscheinenden Länderbericht zur Schweiz eine Rentenaltererhöhung.

Die Ausgangslage der Vorlage AHV 21 änderte sich – wie so vieles – im Frühjahr 2020 mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie. Diese habe aufgezeigt, «wie wertvoll funktionierende Sozialversicherungen sind», betonte der Tages-Anzeiger, aber habe auch grosse Kosten für die Altersvorsorge mit sich gebracht (NZZ). Gerade für die AHV sei die Situation aufgrund des Umlageverfahrens schwierig: Erste Schätzungen wiesen aufgrund des Rückgangs der Löhne und somit auch der Lohnbeiträge auf einen Corona-bedingten Schaden für die AHV und IV von CHF 4 bis 5 Mrd. hin. Vor der Pandemie sei mit einem Umlageergebnis von CHF 800 Mio. gerechnet worden, wobei die CHF 2 Mrd., welche die AHV aufgrund der STAF jährlich zusätzlich erhält, bereits inbegriffen waren. Nun müsse trotz dem Zuschuss mit einem deutlich negativen Umlageergebnis gerechnet werden, das vermutlich auch nicht durch ein positives Anlageergebnis des AHV-Ausgleichsfonds kompensiert werden könne. Bereits vor der Corona-Krise rechnete das BSV überdies ohne AHV-Reform für das Jahr 2035 mit einem Umlagedefizit von CHF 10 Mrd.
Nicht nur bezüglich des Ablaufs der Behandlung der Vorlage, auch bezüglich des Inhalts erwarteten die Medien einen Einfluss der Corona-Pandemie auf die AHV 21: So werde es jetzt noch schwieriger, Steuergelder für die AHV zu beschaffen, mutmasste etwa der Tages-Anzeiger. FDP-Ständerat Dittli (fdp, UR) betonte denn auch, dass eine Mehrwertsteuererhöhung um 0.7 Prozentpunkte wegen Corona inakzeptabel sei.

Im August 2020 begann die SGK-SR die Vorberatung der Vorlage zur Stabilisierung der AHV («AHV 21»). Dabei hörte sie sich verschiedene Vertreterinnen und Vertreter von Kantonen, Sozialpartnern und Frauenorganisationen an und erteilte der Verwaltung verschiedene Abklärungsaufträge. Bereits vor dieser ersten Sitzung hatten die Medien aber über einen von Ständerat Kuprecht (svp, SZ) initiierten bürgerlichen AHV-Pakt zur Vorlage berichtet. So hätten «sozialpolitische Wortführer» der SVP, FDP, CVP und später auch der GLP aus beiden Räten bereits im März eine parteiübergreifende Arbeitsgruppe gebildet, wie die NZZ schilderte und Alex Kuprecht (svp, SZ) und Ruth Humbel (cvp, AG) bestätigten. Ziel der Gruppe sei es gemäss Medien, eine Mitte-links Allianz, wie sie bei der Altersvorsorge 2020 zwischen der CVP und den linken Parteien entstanden war, zu verhindern. Die Gruppe habe sich auf folgende Eckwerte für die AHV 21-Vorlage geeinigt: eine Rentenaltererhöhung für Frauen auf 65 Jahre und eine Rentenverbesserung in der Höhe von CHF 400 Mio. bis CHF 550 Mio. für vier betroffene Frauenjahrgänge; eine flexible Ausgestaltung des Rentenübergangs mit Teilrenten ab 63 Jahren; eine Erhöhung der Freibeträge für Erwerbstätige über 65 Jahren; eine maximale Mehrwertsteuererhöhung um 0.3 Prozentpunkte. Zum Vergleich: Die vom Bundesrat vorgelegte Botschaft enthielt unter anderem Ausgleichszahlungen an Frauen in der Höhe von CHF 700 Mio. für neun Jahrgänge und eine Mehrwertsteuererhöhung um 0.7 Prozentpunkte. Weitere zentrale Punkte seien gemäss Presse bei den Eckwerten bisher aber ausgeklammert worden, etwa die Plafonierung der AHV-Rente für Ehepaare. Die SP reagierte mit einem Communiqué auf den Zeitungsartikel und bezeichnete die Absicht der Gruppe als «Betrug an den Frauen», da diese die «Kosten der AHV-Reform nahezu alleine tragen» sollten, obwohl sie bei den Renten bereits jetzt benachteiligt seien. Gerade bezüglich der Kompensation für die Frauen zeigte sich jedoch auch die GLP in den Medien kritisch gegenüber den Eckwerten: Eine Rentenaltererhöhung sei nur möglich, wenn gleichzeitig die diskriminierenden Aspekte der zweiten Säule angegangen würden, erklärte etwa Tiana Angelina Moser (glp, ZH).
Anfang September traf die Kommission in ihrer Vorberatung erste Vorentscheidungen: Sie sprach sich mit 9 zu 3 Stimmen (bei 1 Enthaltung) für die Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre aus. Während vier Jahren solle das Referenzalter – wie das Rentenalter neu heissen soll – um je drei Monate pro Jahr erhöht werden. Über die Ausgleichsmassnahmen für die ersten Jahrgänge von Frauen, die länger arbeiten müssen, diskutierte die Kommission erst im Oktober. Dabei beauftragte sie die Verwaltung mit der Berechnung von verschiedenen Ausgleichsvarianten, die gemäss Medien jedoch allesamt von einem Ausgleich für lediglich vier Jahrgänge ausgingen.

Die Medien verwiesen in der Folge auf den Zeitdruck, unter dem das Projekt stehe, zumal eine allfällige zusätzliche Rentenaltererhöhung erst möglich sei, nachdem das Rentenalter der Frauen angeglichen worden sei. Dies sei aber frühestens im Jahr 2026, später war gar von 2027 die Rede, möglich. Folglich erntete die SGK-SR für die Dauer ihrer Vorberatung einige Kritik: «Im parlamentarischen Alltag scheint der Reformdruck noch nicht angekommen zu sein», kritisierte etwa der Tages-Anzeiger.

Reform «Stabilisierung der AHV (AHV 21)» (BRG 19.050)
Dossier: Debatten um das Frauenrentenalter
Dossier: Erhöhung des Rentenalters

In der Sommersession 2020 gelang dem Parlament, was eigentlich für die Frühjahrssession geplant, aufgrund des Corona-bedingten Abbruchs jedoch nicht mehr möglich gewesen war: Es verabschiedete die Überbrückungsleistungen (ÜL) für ältere Arbeitslose.
In der letzten Runde des Differenzbereinigungsverfahrens machte der Nationalrat erneut einen Kompromissvorschlag: Die Behinderungs- und Krankheitskosten sollten entsprechend der Absicht des Ständerates separat vergütet, aber in den Plafond integriert werden. Im Gegenzug sollte der Plafond gemäss Absicht des Nationalrats bei Einzelpersonen und Mehrpersonenhaushalten das 2.25-fache des allgemeinen Lebensbedarfs gemäss Ergänzungsleistungen decken. Eine Minderheit Prelicz-Huber (gp, ZH) wollte weiterhin auf die separate Vergütung der Krankheitskosten verzichten, fand jedoch bei 160 zu 28 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) ausserhalb der Grünen Fraktion nur eine zusätzliche Stimme.

Die Einigungskonferenz zeigte sich mit dem Kompromissvorschlag des Nationalrats bei 18 zu 8 Stimmen mehrheitlich einverstanden. In der Ständeratsdebatte präsentierte Josef Dittli (fdp, UR) dem Rat noch ein letztes Mal die aktuellsten Zahlen: Der Plafond liege somit bei einer Einzelperson bei CHF 44'000 (anstelle der CHF 39'000, die der Ständerat vorgesehen hatte), insgesamt ergebe das Mehrkosten von CHF 1.6 Mio., mit denen jedoch der Anteil Personen, die ihren Lebensunterhalt trotz ÜL nicht decken könnten, von 16 Prozent bei der ständerätlichen Version auf 3 Prozent gesenkt werden könne. Damit rechne man mit jährlich CHF 150 Mio. bei 3'400 Bezügerinnen und Bezügern im Vergleich zu CHF 230 Mio. bei 4'600 Beziehenden, von denen der Bundesrat ausgegangen war. Alex Kuprecht (svp, SZ) vertrat in der Folge seine Minderheit auf Abschreibung der Vorlage: Er habe bereits zu Beginn der Debatte zu den ÜL darauf hingewiesen, dass die Zahlen zur Anzahl Bezügerinnen und Bezüger bei einer Rezession schnell sehr stark ansteigen könnten – dieses Szenario sei nun sehr viel schneller und sehr viel gravierender eingetreten als erwartet. Aufgrund der riesigen Neuverschuldung und des Steuereinbruchs wegen der Corona-Krise solle man nun bei neuen gebundenen Ausgaben zurückhaltend sein, zumal die Zahl der Bezügerinnen und Bezüger nun «ein Mehrfaches betragen» würde; er rechne mit jährlich CHF 500 Mio. bis CHF 1 Mrd. und zwischen 10'000 und 15'000 Bezügerinnen und Bezügern. Kuprecht und weitere Kritiker des neuen Gesetzes schöpften in ihrer Kritik noch einmal aus dem Vollen: Die Vorlage missachte das Subsidiaritäts- und das Föderalismusprinzip, sei eine zu grosse finanzielle Belastung für den Bund, zumal alle anderen Sozialwerke auch nicht gesichert seien, stelle eine Verschiebung der Verantwortung von den Sozialpartnern zum Bund dar, sei der falsche Ansatz, weil ältere Leute Arbeit, nicht Geld wollten, sowie ein bedenkliches Signal an die Arbeitswelt und an die Über-50-Jährigen. Abschliessend warb Gesundheitsminister Berset noch einmal für die Vorlage: Er pflichtete bei, dass die Situation nach Corona nun eine andere sei, betonte jedoch, dass dies nicht gegen die Vorlage spreche. So seien die gute wirtschaftliche Lage der Schweiz sowie ihre Handlungsfähigkeit in Krisenzeiten auf das Gleichgewicht zwischen einem offenen, wettbewerbsfähigen Arbeitsmarkt und einem soliden Sozialsystem zurückzuführen. Entsprechend solle man nun, nachdem man sich mit Milliarden für die Wirtschaft engagiert habe, auch CHF 150 Mio. pro Jahr für diejenigen Personen mit der schwierigsten Situation auf dem Arbeitsmarkt einsetzen. Mit 27 zu 16 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) nahm der Ständerat den Vorschlag der Einigungskonferenz an.

Ein letztes Mal versuche er nochmals, den Rat davon zu überzeugen, dass die ÜL zukünftig «verheerende Folgen» haben würden, betonte Thomas de Courten (svp, BL) in der Nationalratsdebatte zum Vorschlag der Einigungskonferenz. Man schaffe damit in schwierigen Zeiten – insbesondere auch für die übrigen Sozialwerke – ein neues Sozialwerk – und dies nur als Gegenargument zur Begrenzungsinitiative. Trotz dieser letzten mahnenden Worte entschied sich der Nationalrat mit 131 zu 57 Stimmen (bei 4 Enthaltungen), den Vorschlag der Einigungskonferenz anzunehmen. Die ablehnenden Stimmen stammten von der geschlossen stimmenden SVP-Fraktion sowie von je 2 Mitgliedern der FDP.Liberalen- und der Mitte-Fraktion. Ende Session stimmten schliesslich sowohl der Nationalrat (128 zu 64 Stimmen bei 6 Enthaltungen) als auch der Ständerat (27 zu 16 Stimmen bei 2 Enthaltungen) der Einführung von Überbrückungsrenten für ältere Arbeitslose zu.

Überbrückungsleistung für ältere Arbeitslose (BRG 19.051)
Dossier: Ältere Arbeitnehmende

Bereits am Tag darauf setzte sich der Ständerat wieder mit den Überbrückungsleistungen (ÜL) für ältere Arbeitslose auseinander, konnte dabei aber nicht alle Differenzen bereinigen. Die aktuellsten Empfehlungen der SGK-SR zur Höhe der allgemeinen Obergrenze sowie der Obergrenze der Krankheitskosten liessen die Kritik der Linken an den Änderungen des Ständerats zu den Überbrückungsleistungen, welche bereits seit Beginn der Behandlung vorgebracht worden war, immer lauter werden. Eva Herzog (sp, BS) etwa monierte, dass das Parlament mit seiner aktuellen Version vom ursprünglichen Grundgedanken des Bundesrates, nämlich die Unterstützung von Menschen, die ein Leben lang gearbeitet hätten, und die Verhinderung deren Abrutschens in die Sozialhilfe oder in die Nähe der Sozialhilfe, abgekommen sei. Die Diskussion gehe in eine «völlig falsche Richtung», zumal sie gewisse Bezügerinnen und Bezüger von ÜL in Schwierigkeiten bringe, wie Marina Carobbio Guscetti (sp, TI) ergänzte. Dem widersprach Erich Ettlin (cvp, OW) heftig. Vielmehr hole man mit den ÜL 3'400 Menschen, die heute gar nichts hätten, aus den Schwierigkeiten heraus; einige würden dabei aber womöglich in einer ungenügenden Situation bleiben. In der Folge zeigte der Ständerat dann auch kein Entgegenkommen bei der Frage nach der Höhe der Obergrenze der ÜL. Er lehnte einen Minderheitsantrag Carobbio Guscetti, mit dem die Obergrenze für Alleinstehende beim doppelten, für Mehrpersonenhaushalte bei 2.25-fachen des allgemeinen Lebensbedarfs gemäss ELG festgelegt und die Krankheits- und Behinderungskosten nicht in den allgemeinen Plafond eingebunden worden wären, ab und beharrte somit auf dem doppelten Lebensbedarf. Die Obergrenze für die gesamten ÜL inklusive dieser Gesundheitskosten erhöhte er im Vergleich zu seinem ersten Vorschlag für Mehrpersonenhaushalte, nicht aber für Alleinstehende, auf das 2.25-fache des allgemeinen Lebensbedarfs. Zudem bestätigte er die vom Nationalrat eingeführte Obergrenze für die Gesundheitskosten. Nachdem Josef Dittli (fdp, SR) für die Kommission zudem den Begriff «Mehrpersonenhaushalte» gemäss ELG als «Ehepaare, eingetragene Partnerschaften und Alleinstehende mit Kindern» definiert hatte, stimmte der Rat der entsprechenden Änderung des Nationalrats zu. Geschlagen gab sich der Ständerat bezüglich des Artikels zur Evaluation: Hier verzichtete er auf die Möglichkeit, die ÜL im Rahmen der Evaluation nach fünf Jahren wieder streichen zu können.
Nachdem der letzte Aspekt der Vorlage diskutiert und diese somit an den Nationalrat zurückgewiesen worden war, verabschiedete Ständeratspräsident Stöckli (sp, BE) den Rat ins Wochenende. Die von ihm angekündigte nächste Sitzung des Ständerates am folgenden Montag fand hingegen nicht mehr statt, die Session war in der Zwischenzeit aufgrund der Ausbreitung des Coronavirus abgebrochen worden.

Überbrückungsleistung für ältere Arbeitslose (BRG 19.051)
Dossier: Ältere Arbeitnehmende

Knapp eine Woche später nahm der Ständerat das Differenzbereinigungsverfahren zu den Überbrückungsleistungen (ÜL) für ältere Arbeitslose auf. Zu diesem Zeitpunkt unterschieden sich die Konzepte von Stände- und Nationalrat stark voneinander. Für die Kommission stellte Josef Dittli (fdp, UR) den neuen Vorschlag der SGK-SR vor, mit dem der Kreis der Anspruchsberechtigten auf 3'400 Personen und die Kosten auf CHF 150 Mio. – also unter die ursprünglich vom Bundesrat vorgeschlagenen Werte (4'700 Beziehende; CHF 230 Mio.) und deutlich unter die Werte des Nationalratmodells (6'200 Beziehende; CHF 270 Mio.) – reduziert werden würden. Bezüglich Anspruchsbeginn und -ende wollte die Kommission dem Nationalrat folgen und entsprechend die ÜL bis zum ordentlichen Pensionsalter – respektive bei Personen, die voraussichtlich EL erhalten werden, bis zum frühstmöglichen Termin des Rentenvorbezugs – sprechen. Für Letzteres müsse folglich zum erstmöglichen Zeitpunkt des Rentenvorbezugs eine Vorausberechnung des Anspruchs auf EL durchgeführt werden; wobei die entsprechenden Zahlungen bei etwa einem Drittel der ÜL-Beziehenden eingestellt würden. Personen, die voraussichtlich EL beziehen müssen, kämen folglich nicht in den Genuss von ÜL, sondern müssten sich frühpensionieren lassen.
Bezüglich der Voraussetzungen für ÜL lagen einige Minderheitsanträge von linker und bürgerlicher Seite vor. Die Kommission beharrte darauf, dass ÜL nur für Personen, die nach Erreichen des 60. Lebensjahres ausgesteuert werden, möglich sein sollten. Gleichzeitig wollte die Kommission der Regelung des Nationalrats bezüglich der Voraussetzungen beim Erwerbseinkommen sowie grösstenteils bei der Vermögensschwelle folgen; hier verlangten eine Minderheit Müller (fdp, LU) den Verzicht auf Anrechnung von Erziehungs- und Betreuungsgutschriften und eine Minderheit Graf (gp, BL) den Verzicht auf die Halbierung der Vermögensschwelle. Maya Graf argumentierte, dass man bezüglich der Vermögensschwelle die Ergänzungsleistungslogik nicht verlassen und die Sicherung der Altersvorsorge nicht erschweren solle. Damian Müller betonte für seine Minderheit, dass es ihm nicht darum gehe, die Erziehungs- und Betreuungsgutschriften zu verhindern. Vielmehr wolle er eine Differenz schaffen und dem Nationalrat so in Anbetracht der Geschwindigkeit der Behandlung des Geschäfts die Möglichkeit geben, die Bezugskriterien noch einmal zu besprechen. Der Ständerat folgte jedoch in allen Punkten deutlich der Kommissionsmehrheit. Auch die Schaffung einer Härtefallklausel durch den Bundesrat lehnte die kleine Kammer mehrheitlich ab. Hingegen stimmte der Ständerat seinem Schwesterrat in Bezug auf die Nachweispflicht von Bemühungen zur Integration in den Arbeitsmarkt zu. Dies in der Hoffnung, dass dadurch die Beitragsjahre der Arbeitslosenversicherungen im Ausland nicht angerechnet werden müssten.
Weiter waren auch die Obergrenze der ÜL, welche Bundesrat und Ständerat, nicht aber der Nationalrat schaffen wollten, sowie deren Höhe noch immer umstritten. Die Kommissionsmehrheit erachte einen Plafond als unumgänglich, erklärte Dittli. Hingegen befürwortete die Komission die Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten sowie deren Ausnahme vom allgemeinen Plafond, wenn zugleich eine eigene Obergrenze für diese Kosten geschaffen werde. Mit dem Plafond könnten 20 Prozent der Bezügerinnen und Bezüger ihren Lebensbedarf nicht decken, zum Beispiel wenn sie in Regionen mit hohen Mietzinsen oder Krankenkassenprämien lebten, kritisierte eine Minderheit Carobbio Guscetti (sp, TI) und beantragte, dem Nationalrat zu folgen. Benedikt Würth (cvp, SG) hingegen störte sich daran, dass duch die Ausnahme dieser Kosten vom allgemeinen Plafond im Extremfall Leistungen für ein Ehepaar von über CHF 100'000 möglich wären, obwohl man zuvor angenommen habe, dass diese Kosten im allgemeinen Plafond enthalten seien. Man habe daher zwei Möglichkeiten: Man könne die zu vergütenden Beträge der Krankheits- und Behinderungskosten senken, zum Beispiel von CHF 25'000 auf CHF 5'000, oder diese Kosten in den allgemeinen Plafond integrieren. Würth schlug beide Möglichkeiten in seinem Antrag vor, damit dieser Punkt später im Nationalrat erneut diskutiert werden könne. Beide Anträge Würth gewannen in der Folge gegen den Mehrheitsantrag sowie den Minderheitsantrag. Zur Frage, ob Branchen mit weitergehenden sozialpartnerschaftlichen Leistungen von der Finanzierung ausgeschlossen werden sollen oder nicht, habe der Nationalrat eine Regelung beschlossen, die nicht umsetzbar sei, kommentierte Dittli die nächste Differenz. Zum einen sei eine Steuerrückzahlung für einzelne Unternehmen äusserst problematisch, zum anderen gebe es auch im Bauhauptgewerbe, aus dem diese Forderung stamme, Arbeitnehmende, die ÜL beziehen könnten. Folglich strich der Ständerat diesen vom Nationalrat geschaffenen Absatz wieder. Mit 38 zu 1 Stimme (bei 4 Enthaltungen) löste der Ständerat die Ausgabenbremse und gab das Gesetz damit zurück an den Nationalrat.

Überbrückungsleistung für ältere Arbeitslose (BRG 19.051)
Dossier: Ältere Arbeitnehmende

In der Wintersession 2019 setzte sich der Ständerat mit den Überbrückungsleistungen (ÜL) für ältere Arbeitslose auseinander. Josef Dittli (fdp, UR) präsentierte die Vorlage und erläuterte die Position der Kommissionsmehrheit, die auf Eintreten plädierte. Er erklärte, Überbrückungsleistungen sollten wie die Ergänzungsleistungen der Differenz zwischen den anerkannten Ausgaben und den anrechenbaren Einnahmen entsprechen – jedoch mit kleineren Änderungen. Die Kosten schätzte er bei jährlich etwa 4'400 Personen auf CHF 230 Mio. ab dem Jahr 2030, wenn sich die Zahlen eingependelt hätten. Hinzu kämen die Kosten für die Förderung der Wiedereingliederung älterer einheimischer Arbeitskräfte in der Höhe von CHF 210 Mio. für die drei Jahre, die die entsprechenden Massnahmen dauern sollten.
Alex Kuprecht (svp, SZ) kritisierte als Sprecher der Kommissionsminderheit, welche Nichteintreten auf die Vorlage empfahl, eine ganze Reihe an Aspekten der neuen Überbrückungsleistungen. Einerseits sei die Höhe von maximal CHF 4'862 im Monat für Alleinstehende und maximal CHF 7'294 im Monat für Ehepaare sowie die zahlreichen von der ÜL übernommenen Kosten zu hoch. Dann stellte er die Schätzungen der Verwaltung zur Anzahl Bezügerinnen und Bezüger in Frage; diese träfen nur bei Vollbeschäftigung zu. Bei einer Rezession könnten hingegen gegen 10'000 Personen ein Anrecht auf ÜL haben und die Kosten der Massnahme entsprechend stark steigen, wie es auch im Kanton Waadt – dessen Modell unter anderem als Vorbild der Massnahme dient – geschehen sei. Kosten in der Höhe von CHF 500 Mio. jährlich seien «nicht unrealistisch», wodurch «drastische Sparmassnahmen oder Entlastungsprogramme, wie wir sie alle kennen, [...] wohl unausweichlich sein [werden]». Die Überbrückungsleistungen kämen weiter einer frühzeitigen Pensionierung für gewisse Personen gleich, womit falsche Anreize gesetzt würden. Stattdessen sollten die Arbeitslosen wieder in den Arbeitsprozess integriert werden. Als letzten Punkt kritisierte er das eigentliche Ziel, das mit dieser Regelung verfolgt werde, nämlich den Kampf gegen die Begrenzungsinitiative oder gar für das institutionelle Rahmenabkommen.
Nach einer längeren Debatte schritt die kleine Kammer zur Abstimmung und sprach sich mit 31 zu 14 Stimmen (ohne Enthaltungen) für Eintreten aus. In der Detailberatung änderte der Ständerat den bundesrätlichen Vorschlag an einigen, teilweise sehr gewichtigen Stellen. So folgte er einem mehrere Aspekte umfassenden Konzeptantrag Noser (fdp, ZH). Dieser störte sich daran, dass 62-Jährige besser fahren würden, wenn sie arbeitslos würden und dann ÜL bezögen, als wenn sie sich mit 62 Jahren frühpensionieren liessen. Er beantragte deshalb, den ÜL-Bezug nur bis zum Erreichen des Frühpensionierungsalters zuzulassen. Kommissionssprecher Dittli kritisierte diesen Vorschlag im Namen der Kommission, weil die Betroffenen dadurch ihr Vorsorgevermögen anzapfen und allenfalls später EL beziehen müssten. Knapp sprach sich der Ständerat aber mit 23 zu 21 Stimmen (bei 1 Enthaltung) für den Antrag Noser aus.
In einem weiteren Konzeptantrag, dem zweiten Teil seines ersten Antrags, wie Ruedi Noser erklärte, wollte Noser das Leistungsniveau zwischen ÜL und Frühpensionierung angleichen und entsprechend den ausbezahlten Betrag von CHF 58'350 (Alleinstehende) respektive CHF 87'525 (Ehepaare) auf CHF 38'900 (Alleinstehende) respektive CHF 58'350 (Ehepaare) reduzieren, gleichzeitig aber auch die die Besteuerung der Leistungen aufheben. Obwohl sich zahlreiche Sprechende gegen diese Änderung aussprachen und auf die «Logik» (Rechsteiner) hinter den Überlegungen des Bundesrates hinwiesen, nahm der Ständerat auch diese Änderung mit 24 zu 19 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) an.
Ansonsten brachte der Ständerat nur noch kleinere Änderung an der bundesrätlichen Version an. Unter anderem schuf er eine jährliche Nachweispflicht für Bemühungen um die Integration in den Arbeitsmarkt, eine Evaluationsbestimmung, gemäss der der Bundesrat fünf Jahre nach Inkrafttreten dem Parlament Bericht über Umsetzung und Wirksamkeit des Gesetzes erstatten muss, sowie eine auf drei Jahre begrenzte Zusatzfinanzierung in der Höhe von jährlich CHF 69.5 Mio. zur Förderung der Wiedereingliederung inländischer Arbeitskräfte.
Mit 36 zu 7 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) respektive 38 zu 5 Stimmen (bei 1 Enthaltung) löste der Ständerat die Ausgabenbremse für die ÜL sowie die Zusatzfinanzierung für die Wiedereingliederung gegen den Willen der SVP-Fraktion und stimmte der Vorlage mit 33 zu 11 Stimmen zu. Die Überbrückungsleistungen in dieser Form trafen nicht nur bei den SVP-Mitgliedern, sondern auch bei mehreren CVP- und einem FDP-Mitglied auf Widerstand.

Überbrückungsleistung für ältere Arbeitslose (BRG 19.051)
Dossier: Ältere Arbeitnehmende

Im Dezember 2019 schickte der Bundesrat Änderungen an verschiedenen Verordnungen (FZV, BVV2, BVV3) zur beruflichen Vorsorge in die Vernehmlassung, die bis März 2020 dauern wird. Mit den Änderungen sollen Bestimmungen zur beruflichen Vorsorge an die aktuelle Entwicklung des technischen Zinssatzes, an die Mortalitätsrate und an die Invaliditätsquote angepasst werden. Zudem sollen die Forderungen verschiedener Vorstösse erfüllt werden: eine längere Übertragungsdauer der Säule 3a-Gelder (Postulat Weibel: glp, ZH; Po. 13.3813), eine Kürzung oder Verweigerung von Kapitalleistungen, wenn der oder die Begünstigte den Tod der versicherten Person vorsätzlich herbeigeführt hat (Interpellation Dittli: fdp, UR; Ip. 18.3405) oder die Schaffung von Möglichkeiten für die Pensionskassen, in ökologisch nachhaltige Projekte im In- und Ausland zu investieren (Motion Weibel: Mo. 15.3905).

Berufliche Vorsorge: Verordnungen werden aktualisiert

In der Herbstsession 2019 beschäftigte sich der Ständerat mit der Frage der Digitalisierung im Gesundheitswesen und behandelte dabei die Motion Grossen (glp, BE) für eine elektronische Übermittlung sämtlicher Rechnungen an die Krankenversicherungen sowie die Motion Buffat (svp, VD; Mo. 18.3513) für elektronische Anträge an die Krankenkasse mit strukturierten und standardisierten Daten. Zuvor hatte die SGK-SR beide Motionen zur Annahme empfohlen, da dadurch der Verwaltungsaufwand der Krankenversicherungen reduziert sowie die Rechnungskontrolle erleichtert werden könne. Sie schlug vor, dass der Bundesrat das Anliegen in das zweite Massnahmenpaket zur Kostendämpfung im KVG integrieren solle. Nach kurzen Inputs von Kommissionssprecher Josef Dittli (fdp, UR) und Bundesrat Berset nahm nach dem Nationalrat auch der Ständerat die Motion Grossen – genauso wie die Motion Buffat – stillschweigend an.

Digitalisierung auch im Gesundheitswesen. Sämtliche Rechnungen sollen elektronisch zu den Krankenversicherern (Mo. 18.3664)
Dossier: Digitalisierung im Gesundheitswesen

In der Herbstsession 2019 beschäftigte sich der Ständerat mit der Frage der Digitalisierung im Gesundheitswesen und behandelte dabei die Motion Buffat (svp, VD) für elektronische Anträge an die Krankenkasse mit strukturierten und standardisierten Daten sowie die Motion Grossen (glp, BE; Mo. 18.3664) für eine elektronische Übermittlung sämtlicher Rechnungen an die Krankenversicherungen. Zuvor hatte die SGK-SR beide Motionen zur Annahme empfohlen, da dadurch der Verwaltungsaufwand der Krankenversicherungen reduziert sowie die Rechnungskontrolle erleichtert werden könne. Die Kommission schlug dem Bundesrat vor, das Anliegen in das zweite Massnahmenpaket zur Kostendämpfung im KVG zu integrieren. Nach kurzen Inputs von Kommissionssprecher Josef Dittli (fdp, UR) und Bundesrat Berset nahm nach dem Nationalrat auch der Ständerat die Motion Buffat – genauso wie die Motion Grossen – stillschweigend an.

Dank der Digitalisierung die Effizienz steigern und die Kosten reduzieren (Mo. 18.3513)
Dossier: Digitalisierung im Gesundheitswesen

Im Juli 2019 übergaben die Sozialpartner dem Bundesrat schliesslich ihren Vorschlag zur Reform der beruflichen Vorsorge. Diesen unterstützten der Arbeitgeberverband, Travail.Suisse und der Gewerkschaftsbund, nicht aber der Gewerbeverband, der gleichentags einen eigenen Vorschlag präsentierte. Die Sozialpartner sahen vor, den Umwandlungssatz von 6.8 auf 6 Prozent zu senken und dadurch den umverteilten Betrag um die Hälfte zu reduzieren. Damit es nicht zu Renteneinbussen kommt, was das Risiko einer Ablehnung durch das Volk an der Urne stark vergrössern würde, sollen Altersgutschriften im Umlageverfahren entsprechend der AHV geschaffen werden, die über Beiträge von 0.5 Prozent des Jahreseinkommens finanziert werden. Für die kommenden Generationen soll dann der Bundesrat festlegen können, ob diese ebenfalls von einem Rentenzuschlag profitieren können sollen oder nicht. Die Anhebung der Altersgutschriften soll in zwei Schritten auf 9 Prozent und 14 Prozent erfolgen. Zudem sollte der Koordinationsabzug halbiert werden, wovon vor allem Teilzeitangestellte und damit überdurchschnittlich häufig Frauen profitieren würden. Diese Massnahmen würden Mehrkosten von CHF 2.7 Mrd. pro Jahr mit sich bringen.
Der Gewerbeverband kritisierte insbesondere die Finanzierung des Rentenzuschlags durch Altersgutschriften, da es damit wie bei der AHV zu einer Umverteilung innerhalb der beruflichen Vorsorge komme. Bisher hätten die Versicherten in den Pensionskassen jeweils ihre eigenen Renten finanziert, eine solche Regelung wäre folglich systemwidrig, erklärte zum Beispiel Hans-Ulrich Bigler, Direktor des Gewerbeverbands. Dies sei «ein erster Schritt in Richtung Einheitskasse oder Volksrente», betonte er. Stattdessen sollen die Altersgutschriften entsprechend dem Vorschlag der Asip schneller und stärker angehoben werden. Insgesamt würde dieser Vorschlag CHF 1.5 Mrd. kosten.

Während die meisten Parteien den Vorschlag des Arbeitgeberverbandes und der Gewerkschaften unterstützten – die FDP kritisierte zwar die Umverteilung ebenfalls, Josef Dittli (fdp, UR) erklärte jedoch, dass seine Partei die Vorlage deshalb kaum ablehnen würde –, sprach sich die SVP für den Vorschlag des Gewerbeverbands aus. Einig waren sich die Parteien darin, dass die Reformbemühungen diesmal nicht scheitern dürften. Nur wenige Tage später war jedoch auch letztere Einigkeit verschwunden: Immer häufiger meldeten sich Stimmen, die erklärten, dass ein Nichtstun womöglich besser sei als die von den Sozialpartnern vorgeschlagene Reform. So liege der Umwandlungssatz auch nach der Reform noch deutlich zu hoch – angemessen seien heute etwa 5 Prozent. Da die Pensionskassen mit überobligatorischen Leistungen ihren Umwandlungssatz bereits gesenkt hätten, würde eine Reduktion des Mindestumwandlungssatzes die bestehende Umverteilung nicht mehr stark reduzieren. Stattdessen schaffe die Reform aber eine neue Umverteilung, indem die Jungen durch ihre Altersgutschriften die Rentenzuschläge der Übergangsgeneration finanzierten, selbst aber nicht mit einem garantierten Rentenzuschlag rechnen könnten, da dieser zu einem späteren Zeitpunkt durch den Bundesrat festgelegt werden würde. Somit würde sich gemäss einigen Beobachtern die kurzfristige Umverteilung von Jung zu Alt durch die Reform sogar noch verstärken. Trotz dieser Kritik gab Gesundheitsminister Berset bekannt, dass er den Vorschlag der Sozialpartner möglichst unverändert in die Vernehmlassung schicken werde.

Reform der Beruflichen Vorsorge (BVG 21; BRG 20.089)
Dossier: Koordinationsabzug und Eintrittsschwelle BVG

In seinem Bericht zu den Motionen und Postulaten 2018 erachtete der Bundesrat im März 2019 das Anliegen der Motion Dittli (fdp, UR) zur Anhebung der AHV-Leistungen für Hörversorgungen auf das Niveau der IV-Vergütungen als erfüllt, nachdem er per 1. Juli 2018 die Verordnung über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Altersversicherung wie verlangt geändert hatte. Stillschweigend schrieben Stände- und Nationalrat die Motion in der Sommersession 2019 ab.

Anhebung der AHV-Leistungen für Hörversorgungen auf das Niveau der IV-Vergütungen. Gleichstellung Erwachsener mit Hörminderungen

Noch in der gleichen Woche wie die erste nationalrätliche Debatte fand das Differenzbereinigungsverfahren statt, wobei nicht mehr viele Fragen zur Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für die Überwachung von Versicherten offen waren. Der Ständerat zeigte sich grösstenteils mit den Vorschlägen des Nationalrats einverstanden: Er hiess die Notwendigkeit eines Antrags auf Überwachung mit technischen Hilfsmitteln zur Standortbestimmung sowie die Schweigepflicht für die Mitarbeitenden der externen Unternehmen gut. Er bestand jedoch darauf, Observationen nur durch Personen mit Direktionsfunktion erlauben zu lassen. Da eine Observation „einen beachtlichen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Person” darstelle, sei diese Entscheidung auf Stufe Direktion zu treffen, erklärte Pirmin Bischof (cvp, SO) für die SGK-SR. Er ergänzte, dass die Kommission aufgrund der vorgängigen nationalrätlichen Diskussion noch zwei Fragen bei der Verwaltung habe abklären lassen. Demnach würden erstens Drohnen gemäss Verwaltung ebenfalls zu den technischen Hilfsmitteln der Standortbestimmung zählen, wenn sie für die Standortbestimmung eingesetzt würden – nicht aber, wenn sie für die konkrete Observation verwendet würden. Zweitens stellte die Verwaltung klar, dass gemäss ihrer Auffassung die Rahmenfrist von sechs Monaten für die Überwachung durch das Einreichen eines Antrages zur Verwendung der Hilfsmittel zur Standortbestimmung nicht neu zu laufen beginne.
Noch an demselben Tag beschäftigte sich auch der Nationalrat erneut mit der Vorlage. Nachdem die Problematik des Drohneneinsatzes auf Nachfrage von Silvia Schenker (sp, BS) durch Isabelle Moret (fdp, VD) geklärt wurde – Drohnen seien bewilligungspflichtig für die Standortfeststellung einsetzbar, jedoch nicht um Ton- und Bildaufnahmen zu machen, betonte sie – nahm sich die grosse Kammer der letzten Differenz an: Auf Antrag der SGK-NR lenkte sie ein und akzeptierte die Bestimmung des Ständerats; somit dürfen nur Personen mit Direktionsfunktion zukünftig Observationen anordnen.
Tags darauf folgten die Schlussabstimmungen in beiden Räten. Der Nationalrat nahm die Vorlage mit 141 zu 51 Stimmen an, wobei sich an den Lagern nichts geändert hatte: Die SP- und die Grünen-Fraktion waren einstimmig gegen die Schaffung der entsprechenden gesetzlichen Regelungen, die übrigen Fraktionen sprachen sich einstimmig dafür aus. Im Ständerat fiel das Bild ähnlich aus, hier standen 29 zustimmende 10 ablehnenden Stimmen und 3 Enthaltungen gegenüber.

Damit war das Geschäft innert dreier Monate durch das Parlament „gepeitscht” worden, wie es Balthasar Glättli (gp, ZH) gleichentags formulierte; zuletzt wurde es in einer Woche dreimal vom National- und zweimal vom Ständerat beraten. „Wahnsinn. Raserei. Eskalation” titelte der Tages Anzeiger bereits am Tag der Schlussabstimmungen und sprach dabei nicht vom Resultat, sondern vom Behandlungstempo. „Warum diese Eile, dieses Politisieren nahe am Notrecht?” fragte er weiter und gab die Antwort gleich selber: Die Beteuerungen zahlreicher Politikerinnen und Politiker – namentlich erwähnt wurden Josef Dittli (fdp, UR), Alex Kuprecht (svp, SZ), Roland Eberle (svp, TG), Lorenz Hess (bdp, BE) und Ruth Humbel (cvp, AG) –, wonach ein vehementer Zeitdruck herrsche und die Missbrauchsbekämpfung für die Sozialversicherungen immens wichtig sei, stünden in Zusammenhang mit den Mandaten der Sprechenden bei Versicherern, „die direkt vom Gesetz profitier[t]en”. Diesen Vorwurf liess Lorenz Hess nicht gelten; er argumentierte, das Gesetz betreffe vor allem die Suva und die IV, für die Visana, deren Präsident er ist, seien Observationen nebensächlich. Gerade die Suva hatte aber gemäss Tages Anzeiger bei der Beratung dieser Vorlage eine wichtige Rolle gespielt, wie auch der Basler Strafrechtsprofessor Markus Schefer bestätigte. Ihre Vorschläge seien im Gesetzgebungsprozess „willig aufgenommen“ worden, erklärte er.
Mit Bezug auf diesen Artikel des Tages Anzeigers reichte Balthasar Glättli noch am selben Tag eine Interpellation (Ip. 18.3330) ein und wollte wissen, ob andere Gesetzesrevisionen ähnlich schnell vom Parlament verabschiedet worden waren, ob Beratungs- und Verwaltungsratsmandate bei von der Vorlage betroffenen Versicherern als relevante Interessenbindungen gelten und welche Konsequenzen allfällige in den Kommissionsdiskussionen oder im Plenum nicht offengelegte Interessenbindungen hätten. Für ihn sei „klar, dass die Versicherungsvertreter im Rat auf ihre Interessenbindungen hätten hinweisen sollen“. Anfang Mai beantwortete das Büro-NR die Interpellation: Seit der Wintersession 2011 seien 110 von 400 Bundesgesetzen und Bundesbeschlüssen innert zweier aufeinanderfolgender Sessionen fertig behandelt worden. Das Büro bestätigte, dass die erwähnten Mandate offenzulegen seien und die Betroffenen dies getan hätten – die entsprechenden Mandate seien in einem Register der Parlamentsdienste öffentlich zugänglich aufgeführt. Dadurch würden sie als bekannt vorausgesetzt und müssten im Rahmen von einzelnen Geschäften nicht genannt werden. Somit kam es bei der Beratung des Observationsartikels zu keinen Unregelmässigkeiten bezüglich der Offenlegung von Interessenbindungen. Bestehen bleibt jedoch der grosse potenzielle Einfluss der Versicherer, was nicht zuletzt auch Alex Kuprecht bestätigte: „Hätten alle Politiker in den Ausstand treten müssen, die bei einer Krankenkasse, einer Versicherung oder einer Pensionskasse ein Mandat haben, hätten wir das Gesetz gar nicht beraten können”, erklärte er gegenüber dem Tages Anzeiger.

Parlament schafft eine gesetzliche Grundlage für die Überwachung von Versicherten (Pa. Iv. 16.479)
Dossier: Überwachung von Versicherten (2016-2019)

Da die SGK-NR der parlamentarischen Initiative Kuprecht zur Stärkung der Autonomie der kantonalen und regionalen Stiftungsaufsichten über das BVG keine Zustimmung gegeben hatte, hörte sich die SGK-SR im September 2017 die OAK-BV und die Zentralschweizer BVG- und Stiftungsaufsicht an. Anschliessend entschied sie, die parlamentarische Initiative zu sistieren und im Rahmen der bundesrätlichen Botschaft zur Modernisierung der Aufsicht in der 1. Säule und zur Optimierung in der 2. Säule zu behandeln. Da sich aber bald abzeichnete, dass die Ausarbeitung dieser Botschaft mehr Zeit in Anspruch nehmen würde als geplant, bestätigte die SGK-SR in ihrer Sitzung von Ende April 2018 kurz vor Ablauf der Behandlungsfrist des Vorstosses ihren früheren Beschluss und gab der Initiative mit 6 zu 0 Stimmen bei 4 Enthaltungen erneut Folge.
Damit gelangte das Anliegen von Kuprecht in der Sommersession 2018 in den Ständerat. Dort fasste Josef Dittli (fdp, UR) die Position der Kommission noch einmal zusammen: Da die OAK BV in den letzten Jahren durch Weisungen, Gleichschaltungsabsichten und Anträge auf Verordnungsänderungen immer mehr Einfluss genommen habe, müsse den regionalen und kantonalen Aufsichtsbehörden die Berechtigung gegeben werden, selber über die Zusammensetzung ihrer Organe zu bestimmen. Dem stimmte die kleine Kammer zu und nahm die Initiative stillschweigend an.

Stärkung der Kantonsautonomie bei den regionalen Stiftungsaufsichten über das BVG