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Als Erstrat behandelte der Nationalrat in der Wintersession 2021 die Pensionskassenreform BVG 21. Thomas de Courten (svp, BL) und Benjamin Roduit (mitte, VS) stellten dem Rat die Vorlage und insbesondere die Änderungsanträge der SGK-NR an der bundesrätlichen Version vor. Der Bundesrat hatte in der Botschaft den von den Sozialpartnern – dem SAV, dem SGB und Travail.Suisse, nicht aber vom Gewerbeverband – ausgearbeiteten Entwurf übernommen. Die Kommissionsmehrheit erachtete aber insbesondere den darin enthaltenen Rentenzuschlag als «nicht zielführend» und als Eingriff in die Selbstständigkeit der Vorsorgeeinrichtungen, wie de Courten erläuterte. Statt einem Zuschlag «nach dem Giesskannenprinzip» sollen nur die Renten einer Übergangsgeneration und von Personen «im und nahe beim BVG-Obligatorium gezielt verbessert werden». Daneben lagen verschiedene Minderheitsanträge mit Alternativmodellen zum Rentenzuschlag vor. Doch nicht nur im umstrittensten Aspekt, dem Rentenzuschlag, auch in zahlreichen weiteren Punkten wollte die Kommissionsmehrheit vom Vorschlag der Sozialpartner bzw. dem Entwurf der Regierung abweichen.
Die Sprecherinnen und Sprecher der Fraktionen hoben in der Folge insbesondere die Relevanz der Revision hervor, zeigten sich aber bezüglich der Gründe für diese Relevanz und damit auch bezüglich der von der Kommissionsmehrheit vorgeschlagenen Massnahmen gespalten. Die Mitte, die FDP und die SVP unterstützten in ihren Voten die Kommissionsmehrheit. Für sie war eine Senkung des Umwandlungssatzes dringend, wie etwa Ruth Humbel (mitte, AG) für die Mitte betonte. Man anerkenne die Wichtigkeit von Ausgleichsmassnahmen, diese müssten jedoch auf eine Übergangsgeneration beschränkt sein, erklärte Albert Rösti (svp, BE). Regine Sauter (fdp, ZH) verlangte überdies, dass die Massnahmen «innerhalb des Systems der zweiten Säule» vorgenommen werden, und sprach sich damit gegen das von den Sozialpartnern vorgeschlagene Umlageverfahren in der zweiten Säule aus. Eine Mitteposition nahm die GLP ein: Melanie Mettler (glp, BE) betonte die Wichtigkeit einer Revision, welche anschliessend eine Volksabstimmung übersteht, weil eine erneute Abstimmungsniederlage nicht nur die «teuerste Variante ist, sondern auch diejenige, die am meisten Vertrauensverlust verursacht». Deshalb werde die GLP ein Kompromissmodell zu den Ausgleichsmassnahmen präsentieren. Katharina Prelicz-Huber (gp, ZH) zeigte sich für die Grünen vom Mehrheitsmodell enttäuscht und bezeichnete dieses gar als «Pfusch», zumal es das Hauptziel der Vorlage – ein Ende der sinkenden Realrenten – im Gegensatz zum Sozialpartnermodell nicht erfülle. Auch Pierre-Yves Maillard (sp, VD) verwies für die SP darauf, dass die Renten 2025 bei gleichem Kapital 20 Prozent niedriger sein werden als noch 2010. Man habe in den Diskussionen zwischen den Sozialpartnern zugunsten eines Kompromisses auf viele nötigen Massnahmen verzichtet – mit ihrem Vorschlag gehe die Kommissionsmehrheit aber viel zu weit: «Mesdames et Messieurs des partis bourgeois, vous allez trop loin!» Man werde eine solche Vorlage nicht akzeptieren, betonte auch Katharina Prelicz-Huber und stellte bereits vor der Detailberatung eine Referendumsdrohung in den Raum. Auch Gesundheitsminister Berset verteidigte in der Folge ausführlich den Kompromiss der Sozialpartner. «Wenn irgendjemand hier denkt, dass es möglich sein wird, in einer so komplexen Materie ohne die Sozialpartner eine Mehrheit zu finden, dann wünsche ich viel Glück.» Eintreten war in der Folge unbestritten.

Im ersten Block behandelte der Rat vor allem Fragen zu den versicherten Einkommen und zum Sparprozess. Die Kommissionsmehrheit hatte hier vorgeschlagen, die Eintrittsschwelle, ab der Einkommen bei der Pensionskasse versichert sind, fast zu halbieren (neu: CHF 12’548), der Bundesrat und eine Minderheit de Courten wollten diese bei ihrem bisherigen Wert belassen (CHF 21’510). Mit der Beibehaltung der bisherigen Eintrittsschwelle wolle man die Personen mit tieferen Einkommen nicht durch BVG-Abgaben belasten, begründete Albert Rösti den Minderheitsantrag. Die Kommissionsmehrheit erachtete eine Senkung jedoch gerade für Personen mit Teilzeitanstellungen und niedrigen Pensen als relevant und setzte sich mit dieser Ansicht mit 141 zu 49 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) gegen den Widerstand des Grossteils der SVP-Fraktion durch. Auch die Forderung, dass sich Arbeitnehmende mit verschiedenen Arbeitgebenden obligatorisch versichern müssen, wenn ihr Gesamteinkommen die Eintrittsschwelle übersteigt, nahm die Ratsmehrheit gegen den Willen einer Mehrheit der SVP-Fraktion an und schuf damit die ersten zwei Differenzen zum bundesrätlichen Vorschlag.
Zusammen mit der Eintrittsschwelle wollte die Kommissionsmehrheit in Übereinstimmung mit dem Bundesrat auch den koordinierten Lohn (und damit den Koordinationsabzug) senken. Statt wie bisher zwischen CHF 25'095 und CHF 86'040 sollten zukünftig Einkommen zwischen CHF 12'443 und CHF 85'320 versichert werden – der Koordinationsabzug würde somit annähernd halbiert. Zwei Minderheiten I Roduit und II de Courten wünschten sich einen anteilsmässigen Koordinationsabzug von 40 Prozent (Roduit) respektive 60 Prozent (de Courten), wobei der Koordinationsabzug in der Höhe begrenzt wäre, während eine Minderheit III Mettler vollständig auf den Koordinationsabzug verzichten wollte. Albert Rösti erachtete den Vorschlag de Courtens als Kompromiss zwischen dem bisherigen und dem von der Kommissionsmehrheit vorgeschlagenen System. Erwerbstätigkeit müsse versichert sein, «egal, in welchem Erwerbsmodell sie erfolgt», begründete hingegen Melanie Mettler ihren Antrag. Die Kommissionsmehrheit setzte sich in den Abstimmungen gegen die Minderheitsanträge durch, wobei die Minderheiten nur bei der SVP-Fraktion (Minderheit II) respektive bei der GLP- und bei Teilen der FDP.Liberalen-Fraktion (Minderheit III) Anklang fanden.
Auch die Frage, ab wann sich junge Menschen für das Alter versichern müssen, war umstritten. Bisher lag die entsprechende Altersgrenze bei 24 Jahren. Während über den Versicherungsbeginn für Tod und Invalidität ab 17 Jahren kaum Worte verloren wurden, lagen zahlreiche Anträge zum Beginn des Alterssparens vor: Die Kommissionsmehrheit wollte diese Grenze auf 19 Jahre senken, während Minderheiten I Roduit und II Gysi (sp, SG) diese bei 20 respektive 24 Jahren ansetzen wollten. Durch eine Vorverlegung des obligatorischen Sparprozesses und eine Erhöhung der Altersgutschriften für Junge, wie sie ebenfalls geplant waren, würden Junge gleich doppelt belastet, kritisierte Barbara Gysi erfolglos. Die Kommissionsmehrheit setzte sich mit 122 zu 71 Stimmen und 126 zu 67 Stimmen gegen die SP, Grüne und Teile der Mitte durch. Und wie von Barbara Gysi befürchtet, erhöhte der Rat in der Folge tatsächlich auch die Altersgutschriften für Junge. Bisher waren diese in vier Stufen gestaffelt, wobei ab 55 Jahren die höchsten Altersgutschriften bezahlt werden mussten. Bundesrat und Kommissionsmehrheit sahen nun nur noch zwei Altersstufen vor (BR: 25-44 und ab 45, Kommissionsmehrheit: 20-44 und ab 45), um die Gefahr einer Entlassung für die älteren Arbeitnehmenden zu verringern. Hierzu lagen vier Minderheitsanträge vor, wobei Minderheiten Gysi und Roduit tiefere Altersgutschriften für Junge, Minderheiten de Courten und Aeschi (svp, ZG) bereits einen früheren Anstieg der Erhöhung der Altersgutschriften forderten. Erneut setzte sich der Vorschlag der Kommissionsmehrheit jedoch durch.

Im zweiten Block debattierte der Rat über die zentralen Fragen der Revision, den Mindestumwandlungssatz und die Ausgleichsmassnahmen. Neben Diskussionen und Anträgen über die Häufigkeit und Breite begleitender Berichte zur Senkung des Mindestumwandlungssatzes stellte Stefania Prezioso (egsols, GE) auch einen Einzelantrag, den Umwandlungssatz statt auf 6 Prozent (von 6.8 Prozent) nur auf 6.4 Prozent zu senken. Galt dieser Aspekt bisher weitgehend als unbestritten, begründete sie ihren Antrag nun mit der verbesserten Situation der Pensionskassen, aber auch mit einer Verlangsamung des Anstiegs der Lebenserwartung. Unterstützt wurde sie von der SP- und der Grünen Fraktion, wie etwa Barbara Gysi betonte: Man habe den Sozialpartnerkompromiss mitgetragen, aber wenn die Ratsmehrheit von diesem abweiche, sei man nicht mehr zu einer so starken Senkung des Umwandlungssatzes bereit. Über die SP und die Grünen hinaus fand der Antrag jedoch keine Zustimmung und wurde vom Nationalrat abgelehnt.
Bezüglich der Ausgleichsmassnahmen lagen dem Nationalrat vier Entwürfe vor: Die Kommissionsmehrheit wollte die Ausgleichsmassnahmen einer Übergangsgeneration von 15 Jahrgängen zugänglich machen, wobei die Zuschüsse nach Alterskategorien abgestuft werden sollten (65-61 Jahre: CHF 2400 jährlich, 60-56 Jahre: CHF 1800, 55-51 Jahre: CHF 1200). Finanziert werden sollten die Ausgleichsmassnahmen durch eine einmalige Einlage der Vorsorgeeinrichtung zum Zeitpunkt des Altersrücktritts und durch Zuschüsse des Sicherheitsfonds, welche dieser während 15 Jahren bei den Vorsorgeeinrichtungen erhebt. Eine Minderheit I de Courten wollte die vom Bundesrat beantragten Ausgleichsmassnahmen gänzlich streichen und stattdessen den in eine Altersrente umzuwandelnden Anteil des Altersguthabens während zehn Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes im ersten Jahr um 13 Prozent und anschliessend jeweils um 1.3 Prozentpunkte weniger pro Jahr erhöhen. Eine Minderheit II Mettler wollte wie angekündigt «den Anliegen beider politischer Lager Rechnung» tragen. Mit ihrem Vorschlag sollte das Rentenniveau für zwei Drittel der Versicherten erhalten werden, aber nur für 20 Jahrgänge: So sollte der monatliche Zuschlag, der für den ersten Jahrgang CHF 200 beträgt, jeweils um CHF 10 pro Jahrgang reduziert werden. Während 20 Jahren wären dafür Beiträge über 0.3 Prozent des versicherten Lohns nötig. Eine Minderheit III Maillard beantragte schliesslich, dem Bundesrat zu folgen und für alle zukünftigen BVG-Rentnerinnen und -Rentner Ausgleichsmassnahmen zu schaffen. Denn durch den Ausschluss der wohlhabenden Arbeitnehmenden von den Ausgleichsmassnahmen trügen diese auch nicht mehr zu deren Finanzierung bei, kritisierte Pierre-Yves Maillard die übrigen Modelle. Die Höhe der Zuschläge sollte nur bereits für die nächsten 15 Jahre festgelegt werden, finanziert würden die Zuschläge durch einen Beitrag von 0.5 Prozent des massgebenden Lohns im Umlageverfahren.
Unterstützung fanden die Minderheitsanträge nur bei den Fraktionen der SVP (Minderheit I de Courten), bei der SP und den Grünen (Minderheit III Maillard) respektive bei der SP, den Grünen und der GLP (Minderheit II Mettler) – sie alle wurden folglich zugunsten des Mehrheitsantrags verworfen. In der zentralen Frage der Vorlage entschied sich der Nationalrat somit, vom Vorschlag des Bundesrates und der Sozialpartner abzuweichen.
Abgelehnt wurde in der Folge auch ein Minderheitsantrag Meyer (sp, ZH), der – in Übereinstimmung mit der Regelung zur AHV 21 – den Rentenzuschlag bei der Berechnung der Ergänzungsleistungen nicht berücksichtigen wollte, da sonst «die Menschen mit tiefen Löhnen am Ende des Monats nicht mehr Geld zur Verfügung haben würden» als bisher, wie Yvonne Feri (sp, AG) erläuterte. Auch dieser Antrag fand jedoch über die SP, die Grünen und die GLP hinaus keine Zustimmung.

Im dritten Block standen noch diverse Detailfragen an, hier dominierten vor allem links-grüne Minderheitsanträge. Erfolglos verlangte etwa eine Minderheit Prelicz-Huber Erziehungs- und Betreuungsgutschriften wie in der AHV, eine Minderheit Meyer setzte sich für die Beibehaltung der Möglichkeit zur Weiterversicherung des Lohns für Personen ab 58 Jahren bei einer Lohnreduktion um die Hälfte ein und eine Minderheit Gysi wollte eine Definition von missbräuchlichen Tarifen für Todesfall- und Invaliditätsleistungen festlegen lassen. Erfolgreich war lediglich eine Minderheit Prelicz-Huber mit 112 zu 80 Stimmen gegen einen Antrag der Kommissionsmehrheit, mit dem der bisherige Steuerabzug von Beiträgen an die Altersvorsorge von CHF 6’900 auf CHF 10'000 erhöht werden sollte. Zustimmung hatte der Mehrheitsantrag bei Mitgliedern der SVP und der FDP erhalten.
In der Gesamtabstimmung hiess der Nationalrat die BVG 21-Reform mit 126 zu 66 Stimmen (bei 1 Enthaltung) gut. Die ablehnenden Stimmen stammten von Mitgliedern der SP und der Grünen.

Reform der Beruflichen Vorsorge (BVG 21; BRG 20.089)
Dossier: Koordinationsabzug und Eintrittsschwelle BVG

Einigkeit bestand bei der Behandlung der AHV 21-Reform durch den Nationalrat eigentlich nur in der Feststellung, dass dies ein sehr zentrales Projekt sei – «l'un des objets majeurs de la législature», nannte es beispielsweise Kommissionssprecher Nantermod (fdp, VS). Ansonsten unterschieden sich die Positionen der links-grünen und der bürgerlichen Ratsseite ziemlich stark. Bewusst waren sich die Befürwortenden sowie die Gegnerinnen und Gegner des vorliegenden Entwurfs aber auch, dass die Revision dieses Mal auch vor dem Stimmvolk unbedingt bestehen müsse, zumal die letzte erfolgreiche AHV-Revision fast 30 Jahre zurück lag. Darüber, ob und wie das aktuelle Projekt vor den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern mehrheitsfähig wird, schieden sich jedoch die Geister. Umstritten waren nicht nur die Frage der Rentenaltererhöhung der Frauen – die der Ständerat zuvor deutlich angenommen hatte –, sondern auch die Höhe der Ausgleichsmassnahmen für die älteren Frauenjahrgänge sowie die Zusatzfinanzierung für die AHV. Kommissionssprecher Nantermod wehrte sich gegen die Formulierung, wonach die AHV 21-Reform eine Abbauvorlage sei. So würde die Erhöhung des Frauenrentenalters, welche die Ausgaben der AHV um CHF 1.2 Mrd. verringert, durch zusätzliche Leistungen in der Höhe von CHF 812 Mio. gemildert. Somit würden die Leistungskürzungen insgesamt nur etwa CHF 400 Mio. einbringen. Dabei zählte Nantermod jedoch nicht nur die Ausgleichszahlungen für die Übergangsgenerationen zu den zusätzlichen Leistungen, sondern auch die Flexibilisierung des Rentenalters und die Änderung des Selbstbehalts, die Frauen und Männern zugute kommt. Hingegen würde die Finanzierung um CHF 1.58 Mrd. erhöht (CHF 1.36 Mrd. aus der Mehrwertsteuer und CHF 222 Mio. aus den zusätzlichen Beiträgen). Somit bestehe die Reform zu 80 Prozent aus Mehreinnahmen und zu 20 Prozent aus Leistungskürzungen und sei folglich sozial ausgestaltet. Gleichzeitig sei man sich bewusst, dass der Entwurf die Problematik der AHV-Finanzierung nicht vollständig lösen könne, voraussichtlich käme der Deckungsgrad des AHV-Fonds damit im Jahr 2030 bei 88 Prozent zu liegen. Folglich habe man die Motion 21.3462 eingereicht, gemäss welcher der Bundesrat bis Ende 2026 eine neue AHV-Reform für die Jahre 2030 bis 2040 vorlegen soll.

Ihre Kritikpunkte an dieser Vorlage fassten die Frauen der links-grünen Ratsseite in verschiedene Rückweisungsanträge an den Bundesrat oder an die SGK-NR. Eine Minderheit Porchet (gp, VD) erachtete den Leistungsabbau als unnötig und schlug stattdessen vor, die Finanzierungsprobleme der AHV durch Zuweisung der SNB-Gewinne an die AHV zu lösen. Statt an Bund und Kantone, die bereits stark von den Negativzinsen profitierten, solle das Geld der SNB aus den zusätzlichen Ausschüttungen der AHV und somit den Verliererinnen und Verlierern der Negativzinsen zugutekommen. Eine alternative Finanzierungsmöglichkeit für die AHV sah auch eine Minderheit Prelicz-Huber (gp, ZH) vor, die das AHV-Defizit über eine Erhöhung des Bundesbeitrags decken wollte. Das AHV-Gesetz erlaube es, den Bundesbeitrag auf 50 Prozent der jährlichen Ausgaben zu erhöhen, folglich solle dieser stärker als nur auf die vom Bundesrat vorgesehenen 20.2 Prozent angehoben werden. Ebenfalls als alternative Finanzierungsquelle stellte Manuela Weichelt-Picard (al, ZG) ihren Minderheitsantrag dar, mit dem sie die Erfüllung des Gleichstellungsartikels, des Gleichstellungsgesetzes und des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) sowie eine Koppelung der AHV 21-Vorlage an «gleiche[n] Lohn bei gleichwertiger Arbeit» forderte. So führten die noch immer bestehenden Lohnunterschiede von 18.3 Prozent – 7.7 Prozent davon unerklärt – zwischen den Geschlechtern zu tieferen Lohnbeiträgen für die Frauen. Mit fairen Löhnen für die Frauen würden die AHV-Beiträge gemäss Travailsuisse um CHF 825 Mio. pro Jahr steigen. Statt an die Lohngleichheit wollte eine Minderheit um Mattea Meyer (sp, ZH) den Entwurf an die aktuelle Revision des BVG (BVG 21) koppeln. So liege das Hauptproblem in den Rentenunterschieden zwischen Frauen und Männern nicht bei der AHV, sondern bei den Pensionskassen. Die mittlere Pensionskassenrente für Frauen betrage beispielsweise CHF 1160 und diejenige der Männer CHF 2144; fast ein Drittel der Neurentnerinnen habe überdies gar keine Pensionskassenrente. Folglich müsse das BVG 21 zuerst revidiert werden, bevor die AHV 21 angegangen werden könne. Eine zweite Minderheit Prelicz-Huber verlangte schliesslich, dass die AHV so auszugestalten sei, dass sie den Verfassungsauftrag, wonach AHV-Renten den Existenzbedarf angemessen decken müssen, erfüllt. Dies sei heute nicht der Fall, dafür sei die AHV-Rente zu tief – insbesondere für diejenigen 13 Prozent der Männer und über ein Drittel der Frauen, die keine zweite oder dritte Säule hätten. Über 330'000 Menschen lebten deshalb unter dem Existenzminimum und müssten Ergänzungsleistungen beziehen, betonte Prelicz-Huber.

Vor der Detailberatung und nach dem unbestrittenen Eintretensentscheid musste sich der Nationalrat mit den Rückweisungsanträgen auseinandersetzen. «Die Mehrheit der Kommission will die Vorlage zügig vorantreiben», hatte Kommissionssprecher de Courten (svp, BL) zuvor betont und daran hielt sich der Nationalrat: Er lehnte sämtliche Rückweisungsanträge ab, diese fanden über die SP- und die Grüne-Fraktion hinaus einzig bei Lorenzo Quadri (lega, TI) Unterstützung.

Die Detailberatung nahm die grosse Kammer in vier Blöcken vor, wobei sie in den zentralen Punkten Differenzen zum Ständerat schuf.
Gleich zu Beginn beschäftigte sich der Nationalrat mit der Hauptthematik der Revision: Im ersten Block debattierte der Nationalrat über die Erhöhung des Rentenalters der Frauen auf 65 Jahre – das in der Zwischenzeit in «Referenzalter» umbenannt worden war. Dazu gab es noch einmal eine ausführliche und teilweise ziemlich gereizte Debatte mit zahlreichen Nachfragen, bei der verschiedene Frauen erneut die noch immer bestehende Benachteiligung der Frauen in zahlreichen Bereichen, insbesondere beim Lohn und bei der unbezahlten Arbeit, hervorhoben. Bürgerliche Sprechende verwiesen hingegen unter anderem ebenfalls auf den Gleichstellungsartikel in der Verfassung, den es nun durch eine Angleichung des Rentenalters zu erfüllen gelte. Mit 124 zu 69 Stimmen sprach sich nach dem Ständerat auch der Nationalrat für eine Erhöhung des Rentenalters der Frauen aus. Abgelehnt wurde diese von der SP- und der Grünen-Fraktion sowie von Lorenzo Quadri und zwei Mitgliedern der Mitte-Fraktion (Christine Bulliard (mitte, FR) und Jean-Paul Gschwind (mitte, JU)). Nicht nur bei den Männern waren die Fronten somit deutlich nach politischen Lagern gespalten: Einzig Christine Bulliard sprach sich als bürgerliche Frau gegen die Rentenaltererhöhung für Frauen aus. Insgesamt lehnten die Frauen im Nationalrat die Erhöhung jedoch mit 38 zu 29 Stimmen ab, zumal dem links-grünen Lager deutlich mehr Frauen angehören als dem bürgerlichen Lager.
Gleich im Anschluss behandelte der Nationalrat die zweite grosse Frage der Revision: die Kompensationsmassnahmen für Frauen, die in Kürze pensioniert würden und nun ein Jahr länger arbeiten müssten als geplant. Wie bereits im Ständerat standen diesbezüglich zahlreiche verschiedene Modelle zur Debatte. Die Kommissionsmehrheit hatte sich gegen das vom Ständerat geschaffene Trapezmodell ausgesprochen und nahm stattdessen das Modell, das Damian Müller (fdp, LU) im Ständerat vertreten hatte, in modifizierter Form auf: So sollte der Zuschlag für die Frauen nach deren bisherigem Einkommen abgestuft werden, wobei die SGK-NR im Gegensatz zu Müller drei Stufen vorsah: Je nach Höhe des bisherigen Einkommens sollten die Frauen zwischen CHF 50 und CHF 150 pro Monat zusätzlich erhalten. Davon sollten sechs Jahrgänge profitieren, maximal sollte dies CHF 551 Mio. kosten. Eine Minderheit II Prelicz-Huber befürwortete hingegen die Änderung der Rentenformel, wie sie der Bundesrat vorgeschlagen hatte (Modell Bundesrat), wollte diese aber grosszügiger ausgestalten (bei Kosten von CHF 1.08 Mrd.) und 14 Jahrgänge daran teilhaben lassen. Die restlichen drei Minderheiten befürworteten das Trapezmodell, das die Rentenzuschläge nach Jahrgängen zuerst zunehmend, später absteigend abstufen wollte. Damit sollte der Tatsache Rechnung getragen werden, dass das Rentenalter schrittweise erhöht wird und somit die ersten Jahrgänge keinen vollständigen Rentenzuschlag zugute haben. Eine Minderheit II de Courten wollte dabei dem Ständerat folgen (Kosten: CHF 409 Mrd.), die Minderheiten IV Meyer und V Prelicz-Huber forderten hingegen verglichen mit dem Ständerat deutlich höhere Grundzuschläge (SR: CHF 150, Meyer: CHF 430, Prelicz-Huber: 515), zudem sollten bei der Minderheit Prelicz-Huber deutlich mehr Jahrgänge unterstützt werden (SR und Meyer: 9 Jahrgänge, Prelicz-Huber: 14 Jahrgänge), bei Kosten von CHF 1.35 Mrd. respektive CHF 1.72 Mrd. Ein Einzelantrag Bäumle wollte schliesslich dem Modell der Kommission folgen, aber die Übergangsmassnahmen acht Jahrgängen zugutekommen lassen (SGK-NR: 6 Jahrgänge), was Kosten von CHF 900 Mio. mit sich bringen sollte.
Wie das Modell des Bundesrates vorgesehen hatte, waren bei den Ausgleichsmassnahmen jedoch nicht nur Rentenzuschläge angedacht, sondern alternativ auch ein privilegierter Rentenvorbezug: Die Frauen der Übergangsgeneration sollten gemäss der Mehrheit der SGK-NR – ebenfalls abgestuft nach Einkommen – ihre Rente mit einem Kürzungssatz von 0 bis 2 Prozent (tiefere Einkommen), 1 bis 4 Prozent (mittlere Einkommen) und 2 bis 6 Prozent (höhere Einkommen) vorbeziehen können. Die Minderheit II Prelicz-Huber wollte hier auf den höchsten Kürzungssatz verzichten. Das Trapezmodell und somit auch die Modelle des Ständerats sowie der übrigen Minderheiten sahen keine Möglichkeit für einen privilegierten Vorbezug vor.
Gesundheitsminister Berset sprach sich mit deutlichen Worten gegen den Antrag der Kommissionsmehrheit aus. So sei die Anzahl Jahrgänge, die von den Ausgleichsmassnahmen profitieren sollen, deutlich zu gering, insbesondere wenn die ersten Übergangsjahrgänge nur reduzierte Zuschläge erhalten sollten. Die Kompensationen seien demnach deutlich weniger grosszügig als bei der erfolgreichen 10. AHV-Reform, weshalb sich der Nationalrat für das grosszügigere Modell des Bundesrates entscheiden solle. Kommissionssprecher de Courten verwies hingegen darauf, dass die Kommissionsmehrheit zwar eine geringere Anzahl Jahrgänge berücksichtige als der Bundesrat und der Ständerat, diese aber grosszügiger behandeln wolle.
Deutlich setzte sich der Vorschlag der Kommissionsmehrheit in der Ausmehrung gegen sämtliche anderen Modelle durch. Knapp wurde es einzig gegen die Minderheit II de Courten, die dem Ständerat folgen wollte (79 zu 74 Stimmen bei 40 Enthaltungen). Dabei stimmte fast die gesamte Grünen-Fraktion mit der SVP-Fraktion für die Minderheit de Courten, während sich die SP-Fraktion ihrer Stimme enthielt.

Im zweiten Block behandelte der Nationalrat die Flexibilisierung des Rentenbezugs, dessen erste Frage des privilegierten Vorbezugs der Übergangsgeneration ja bereits bei der Wahl des Kompensationsmodells geklärt worden war. Umstritten war hier – wie bereits im Ständerat – die Frage, ob der Vorbezug ab 62 oder 63 Jahren möglich sein soll. Die Kommissionsmehrheit wollte der Version des Ständerates folgen (63 Jahre). Yvonne Feri (sp, AG) argumentierte hingegen, dass Frauen neben dem Rentenalter nicht auch noch beim Zeitpunkt des Vorbezugs eine Verschlechterung erfahren sollten, und beantragte folglich Zustimmung zur bundesrätlichen Version für einen Vorbezug ab 62 Jahren. Deutlich setzte sich die Kommissionsmehrheit aber auch hier durch.
Auch bei der Frage des Freibetrags für Personen, die nach Erreichen des AHV-Alters weiterhin erwerbstätig sind, war die Kommissionsmehrheit erfolgreich. Der Ständerat hatte sich hier statt eines Betrags in der Höhe des anderthalbfachen Mindestbetrags der AHV-Rente (aktuell CHF 16’800) für einen fixen Betrag von CHF 24'000 entschieden, der jedoch an die Teuerung angepasst werden soll. Damit sollten die Bürgerinnen und Bürger motiviert werden, über das Referenzalter hinaus erwerbstätig zu bleiben. Die Kommissionsmehrheit wollte stattdessen dem Bundesrat folgen, den Freibetrag jedoch für freiwillig erklären. Erfolglos blieben diesbezüglich eine Minderheit I de Courten, die dem Ständerat folgen, aber den Zusatz der Kommission zur Freiwilligkeit des Freibetrags aufnehmen wollte, sowie eine Minderheit II Gysi (sp, SG) für die bundesrätliche Position.

In einem dritten Block fasste der Nationalrat die übrigen Themenbereiche zusammen. So hatte zum Beispiel eine Minderheit Feri im Lichte des Urteils des EGMR gegen die Schweiz vorgeschlagen, die Witwerrente der Witwenrente anzupassen und somit grosszügiger auszugestalten als bisher. Denn während Witwer nach geltendem Recht nur solange Witwerrente erhalten, wie sie minderjährige Kinder zu betreuen haben, haben Witwen bis zu ihrer Pensionierung Anrecht auf Witwenrente. Es sei höchste Zeit, die biologisch und funktional ungerechtfertigten rechtlichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu beheben, argumentierte Feri. Die beiden Kommissionssprecher verwiesen jedoch auf die Kosten dieser Regelung von CHF 105 Mio. pro Jahr und wollten stattdessen einen entsprechenden Vorschlag des Bundesrates abwarten. Verschiedene Sprechende hofften darauf, die Problematik nicht durch eine grosszügigere Witwerrente, sondern durch eine Einschränkung der Witwenrente zu lösen. Der Nationalrat teilte diese Einschätzung und lehnte den Antrag der Minderheit Feri ab.

Im vierten Block debattierte der Nationalrat über die dritte grosse Frage, die Zusatzfinanzierung für die AHV. Dabei lagen auch bezüglich der Mehrwertsteuererhöhung unterschiedliche Konzepte vor. Die Kommissionsmehrheit schlug mit einer Erhöhung von 0.4 Prozentpunkten des Normalsatzes (sowie Erhöhungen um je 0.1 Prozentpunkte des Sondersatzes für Beherbergungsleistungen und des reduzierten Satzes) eine etwas grössere Erhöhung vor als der Ständerat (0.3 und je 0.1 Prozentpunkte), blieb jedoch deutlich unter dem Vorschlag des Bundesrates (0.7 respektive 0.2 und 0.3 Prozentpunkte). Eine Minderheit II de Courten bevorzugte die ständerätliche Version, während eine weitere Minderheit IV de Courten die Mehrwertsteuer nur zeitlich begrenzt bis Ende 2030 in demselben Ausmass erhöhen wollte wie die Kommissionsmehrheit. Eine Minderheit I Maillard (sp, VD) sprach sich zwar für die von der Kommissionsmehrheit vorgeschlagene Mehrwertsteuererhöhung aus, wollte jedoch auf die von der Kommission sowie von mehreren Minderheiten ebenfalls vorgesehene Verknüpfung der Mehrwertsteuererhöhung mit der Erhöhung des Rentenalters verzichten. Eine Minderheit III Gysi beantragte schliesslich, dem Bundesrat zu folgen. Gesundheitsminister Berset verwies darauf, dass die Situation für zukünftige Revisionen noch viel schwieriger werde, wenn man bereits jetzt mit einer 88-prozentigen Deckung des Fonds für das Jahr 2030 rechne – so hoch sollte der Deckungsgrad mit dem Modell der Kommissionsmehrheit sein. Folglich empfahl er dem Nationalrat die stärkere vom Bundesrat vorgesehene Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0.7 Prozentpunkte. Davon liess sich dieser jedoch nicht überzeugen, auch in dieser Frage setzte sich die Kommissionsmehrheit gegen sämtliche Minderheitsanträge durch.
Ein weiterer Diskussionspunkt betraf die Frage, ob der Bundesbeschluss zur Mehrwertsteuererhöhung an die AHV 21-Reform geknüpft werden soll oder nicht. Der Ständerat hatte eine solche Verknüpfung geschaffen, die Mehrheit der SGK-NR wollte ihr zustimmen, während sie eine Minderheit Maillard ablehnte. Bundesrat Berset verwies diesbezüglich auf die Altersvorsorge 2020, bei der die Verknüpfung der beiden Vorlagen für die Ablehnenden ein wichtiges Argument dargestellt habe. Dabei forderte er den Nationalrat auf, denselben Fehler nicht erneut zu begehen. Davon liess sich dieser jedoch nicht überzeugen und nahm den Mehrheitsantrag mit 124 zu 67 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) an.
In der Folge schlug Felix Wettstein (gp, SO) ein alternatives Finanzierungskonzept in Anlehnung etwa an die Mikrosteuer-Initiative vor, gemäss dem auf jeder Finanztransaktion an der Schweizer Börse eine Steuer von 1 Promille erhoben werden sollte. Damit könne neben den Einkommen eine weitere Finanzierungsquelle für die AHV erschlossen werden, begründete Wettstein seinen Antrag. Dieser wurde jedoch mit 120 zu 70 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) abgelehnt. Zustimmung fand der Vorschlag bei der SP- und der Grünen-Fraktion sowie bei einer Minderheit der Mitte-Fraktion.
Stattdessen schuf die Mehrheit der SVP-Fraktion unterstützt von der SP- und der Grünen Fraktion eine andere, zusätzliche Einnahmequelle für die AHV. So schlug die SVP-Fraktion in einem Einzelantrag vor, sämtliche Bruttoerträge der Schweizerischen Nationalbank aus den Negativzinsen auf den von ihr geführten Girokonten dem AHV-Ausgleichsfonds zukommen zu lassen. Zudem sollten die Bruttoerträge aus den Negativzinsen auf den von ihr geführten Girokonten, die zwischen 2015 und dem Inkrafttreten der AHV 21-Revision anfallen würden, in einer einmaligen Zahlung der AHV zugeschrieben werden. Eine Minderheit Maillard hatte zuvor einen ähnlichen Antrag gestellt, diesen aber zugusten des SVP-Antrags zurückgezogen. Pierre-Yves Maillard verwies auf die riesigen Gewinne, welche die SNB mit den Negativzinsen mache: In den ersten 60 Tagen dieses Jahres habe diese bereits die Gewinne angehäuft, welche gemäss dem Antrag der SVP der AHV zukommen würden. Alfred Heer (svp, ZH), der bereits 2018 eine entsprechende Motion (Mo. 18.4327) eingereicht hatte, verwies für die SVP-Fraktion darauf, dass die Negativzinsen zwar zur Schwächung des Frankens und als Subvention für die Exportindustrie gedacht seien, in erster Linie aber vor allem eine «Strafe für die Sparerinnen und Sparer in der Schweiz» darstellten. Folglich müssten deren Gewinne wieder an die Bevölkerung zurück verteilt werden. Kommissionssprecher Nantermod empfand es hingegen als unklug «de lier le destin de l'AVS à […] celui des intérêts négatifs». Die AHV-Finanzierung solle nicht von der SNB abhängig werden, da damit auch die Unabhängigkeit der SNB gefährdet sei. Schliesslich gehöre die SNB den Kantonen, weshalb der Bund nicht über die Verwendung ihrer Gewinne bestimmen könne. Mit 108 zu 80 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) nahm der Nationalrat den SVP-Antrag jedoch an und verschob diese Zusatzfinanzierung in der Folge in eine neue Vorlage 3.
Erfolglos blieb hingegen ein Minderheitsantrag Prelicz-Huber für eine Erhöhung des Bundesbeitrags an die AHV von bisher 19.55 Prozent auf 25 Prozent. Stattdessen nahm die grosse Kammer die Erhöhung auf 20.2 Prozent, wie sie der Bundesrat vorgeschlagen hatte, an.

In der Gesamtabstimmung stimmte die grosse Kammer dem Revisionsentwurf für das Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung mit 126 zu 67 Stimmen zu, abgelehnt wurde er von den geschlossen stimmenden SP- und Grünen-Fraktionen sowie von Lorenzo Quadri. Der Bundesbeschluss über die Zusatzfinanzierung der AHV durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer wurde nur von Stefania Prezioso (egsols, GE) abgelehnt, die SP-Fraktion enthielt sich jedoch ihrer Stimme. Dem vom Nationalrat auf Initiative der SVP-Fraktion neu geschaffenen Bundesbeschluss über die Zuweisung des Gewinns aus den Negativzinsen der SNB an den AHV-Ausgleichsfonds stimmte der Nationalrat mit 132 zu 60 Stimmen (bei 1 Enthaltung) zu. Zu den SP-, Grünen- und SVP-Fraktionen, die dieses Projekt bereits zuvor unterstützt hatten, gesellte sich auch eine Mehrheit der Mitte-Fraktion. Nachdem diese Abstimmung wegen unklarer Abstimmungsfrage wiederholt worden war, betrug die Unterstützung durch die Mitte-Fraktion jedoch nur noch drei Stimmen. Dennoch reichte es mit 114 zu 75 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) zur Annahme des neu geschaffenen Bundesbeschlusses.

Reform «Stabilisierung der AHV (AHV 21)» (BRG 19.050)
Dossier: Debatten um das Frauenrentenalter
Dossier: Erhöhung des Rentenalters

Im Dezember 2020 forderte Yvonne Feri (sp, AG) in einem Postulat einen bundesrätlichen Bericht zu den Möglichkeiten zur Aufhebung der Ungleichbehandlung von Witwen und Witwern bei der AHV und der Unfallversicherung, wobei gleichzeitig «die angemessene Existenzsicherung für Hinterbliebene unabhängig von ihren Familienmodellen» garantiert werden soll. Die bisherige Regelung – wonach Männer nur bis zur Volljährigkeit ihres jüngsten Kindes eine Hinterbliebenenrente erhalten, Frauen mit Kindern oder Frauen, die nach 45 Jahren verwitweten, jedoch bis zum Erhalt der AHV – beruhe auf dem Bild eines berufstätigen Mannes und einer für den Haushalt und die Kinder verantwortlichen Frau. Nachdem der EGMR diese Sichtweise im Oktober 2020 verneint und dem Kläger Recht gegeben hatte, müsse diese Regelung nun geschlechtsneutral ausgestaltet werden. Dabei müssten jedoch Problematiken wie Eltern von erwachsenen Kindern mit Behinderungen, mit sehr kleinen Renten der beruflichen Vorsorge oder erschwertem Wiedereinstieg ins Erwerbsleben berücksichtigt werden, forderte Feri. Der Bundesrat beantragte das Postulat zur Annahme, der Nationalrat behandelte es in der Frühjahrssession 2021, nachdem es von Verena Herzog (svp, TG) bekämpft worden war. In der Nationalratsdebatte führte Yvonne Feri den Handlungsbedarf in diesem Bereich auf die veränderte gesellschaftliche Situation zurück, während Verena Herzog ebendies bestritt: Vielmehr führten die «juristischen und politischen Aktivitäten in diesem Bereich», wie eben auch das Postulat Feri, zu Unsicherheit. Dieses Thema sei zudem bereits in Bearbeitung durch den Bundesrat, durch ein Forschungsprojekt sowie durch eine parlamentarische Initiative 21.416. Schliesslich wehrte sie sich dagegen, die Ehe gleichzeitig für alle zu öffnen und durch diese Änderung zu schwächen. Mit 116 zu 48 Stimmen (bei 1 Enthaltung) nahm der Nationalrat das Postulat gegen den Willen der SVP-Fraktion an.

Ungleichbehandlung von Witwen und Witwern

In der Wintersession 2019 machte der Nationalrat im Differenzbereinigungsverfahren zur Weiterentwicklung der IV einen grossen Schritt auf den Ständerat zu. So pflichtete er bezüglich aller offenen Differenzen seinem Schwesterrat bei – einzig bezüglich des Begriffs «Kinderrente» entschied er sich, auch weiterhin eine Ersetzung in allen Erlassen zu fordern. Dabei folgte er jedoch dem neuen Vorschlag der SGK-NR, die sich für den Begriff «Zusatzrente für Eltern» stark gemacht hatte, da auch der Begriff «Zulage für Eltern», die der Nationalrat zuvor angenommen hatte, zu ungenau sei, wie Benjamin Roduit (cvp, VS) dem Rat erklärte. Obwohl eine Minderheit Schenker (sp, BS) für die Beibehaltung des bisherigen Begriffs plädierte, nahm der Rat die Änderung mit 116 zu 77 Stimmen gegen den Willen von SP und Grünen sowie von vereinzelten Mitgliedern der GLP-, FDP- oder Mitte-Fraktion an.
Gegen den Willen der Kommissionsmehrheit, die an der Senkung der Kinderrenten festhalten wollte, folgte der Nationalrat diesbezüglich einer Minderheit Lohr (cvp, TG), der Argumentation von Yvonne Feri (sp, AG), wonach 70'000 Kinder betroffen wären und es zu einer Kostenverlagerung zu den EL kommen würde, sowie einer Petition Wermuth (sp, AG; Pe. 19.2026), die den Rat in Ergänzung zur bereits im Ständerat vorliegenden Petition Bonvin (Pe. 19.2013) bat, auf die Senkung zu verzichten. Mit 134 zu 51 Stimmen (bei 5 Enthaltungen) bereinigte der Nationalrat diese Differenz, fast die ganze SVP-Fraktion sowie 2 Mitglieder der FDP-Fraktion sprachen sich dagegen aus.
Des Weiteren lehnte die grosse Kammer einen Minderheitsantrag Herzog (svp, TG) mit 120 zu 66 Stimmen ab, der die Altersschwelle für den Verzicht auf Kürzungen beim Übergang zum stufenlosen Rentensystem bei 60 Jahren, wie es der Bundesrat vorgeschlagen und der Nationalrat bisher vorgesehen hatte, anstelle von 55 Jahren, wie es der Ständerat entschieden hatte, festsetzen wollte.
Schliesslich ging es um die Frage nach Tonaufzeichnungen bei medizinischen Gutachten, deren Einsatz Benjamin Roduit mit «dysfonctionnements scandaleux» rechtfertigte: Bekannt gewordene Fälle hätten gezeigt, dass Gutachten teilweise unsorgfältig und unsachgemäss erstellt worden seien. Tonaufzeichnungen seien nötig als Schutz der Experten vor unbegründeten Vorwürfen sowie der Versicherten vor falschen Angaben im Gutachten. Eine Minderheit Nantermod (fdp, VS) wollte hingegen den Akten ohne Aufforderung durch die Versicherten nur handschriftlich festgehaltene Notizen der Sachverständigen beilegen, weil die Aufzeichnung auf Tonträgern aufgrund des grossen Aufwands, den es gebe, wenn sich jemand «durch Stunden von Tonaufzeichnungen hören» und Ungereimtheiten suchen müsse, nicht zielführend sei, wie Regine Sauter (fdp, ZH) für die Minderheit erklärte. Mit 114 zu 78 Stimmen bestätigte der Nationalrat die Verpflichtung zu Tonträgern und bereinigte somit auch diese Differenz.

Weiterentwicklung der IV (BRG 17.022)
Dossier: Weiterentwicklung der IV (2015-2020) und die dazu führenden Vorstösse

Das Burnoutsyndrom als Berufskrankheit im Sinne des UVG anerkennen lassen, wollte Mathias Reynard (sp, VS) im März 2018 mit einer parlamentarischen Initiative. Die Umbrüche in der Arbeitswelt gingen insbesondere zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und führten zu steigenden psychischen Belastungen – so sei auch eine Zunahme und Verschlimmerung der Burnoutfälle zu beobachten, erklärte der Initiant. Da das KVG Burnout nur als Depression erfasse, würden zahlreiche Fälle nicht übernommen. Eine Anerkennung als Berufskrankheit würde die Vorbeugung und die Behandlung der Krankheit sowie die Wiedereingliederung der Patientinnen und Patienten erleichtern.
Die SGK-NR entschied sich mit 17 zu 7 Stimmen, kein Folgegeben zu empfehlen. So gebe es weder in der Forschung noch in der Praxis eine klare Definition von «Burnout», auch das Tarmed kenne keine entsprechende Position. Zudem würden Burnouts durch verschiedene Faktoren gleichzeitig verursacht, ihre Ursache könne kausal nicht eindeutig auf die Arbeitsbelastung zurückgeführt werden.
Mit 113 zu 54 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) sprach sich der Nationalrat in der Sommersession 2019 gegen den Minderheitsantrag Feri (sp, AG) und somit gegen Folgegeben aus.

Das Burnoutsyndrom als Berufskrankheit anerkennen

Im März 2019 behandelte der Nationalrat eine Motion seiner SGK zur Erhöhung der ordentlichen Franchise auf CHF 500. Die Kommission hatte argumentiert, dass eine höhere Kostenbeteiligung die Eigenverantwortung stärken, mehr Anreize für kostenbewussteres Verhalten schaffen und dadurch gemäss einer Auswertung des Bundesrates im Rahmen der Interpellation Landolt (bdp, GL; Ip. 15.3132) eine Prämiensenkung um mindestens CHF 430 Mio. oder 1.7 Prozent ermöglichen würde. Die Mehrbelastung für kranke Erwachsene sei hingegen «vertretbar», betonte die Kommission, da die entsprechenden Personen Prämienverbilligungen und teilweise EL sowie Hilflosenentschädigungen erhielten.
Der Bundesrat verwies auf die im internationalen Vergleich sehr hohe Kostenbeteiligung der Versicherten in der Schweiz und bezeichnete eine Anhebung der ordentlichen Franchise um 66 Prozent als «unzumutbar». Zudem widerspreche die Vorlage dem Bundesratsgeschäft zur Anpassung der Franchisen an die Kostenentwicklung (BRG 18.036) sowie der angenommenen Motion Weibel (glp, ZH; Mo. 15.4222) zur Beibehaltung der Wahlfranchisen.

In der Frühjahrssession 2019 befasste sich der Nationalrat am Tag vor der geplanten Besprechung der Motion mit einem Ordnungsantrag Clottu (svp, NE) auf Rückweisung an die Kommission. Nach Annahme des Geschäfts zur Anpassung der Franchisen an die Kostenentwicklung durch den Ständerat mache es keinen Sinn, jetzt eine Erhöhung der Franchisen auf CHF 500 zu diskutieren, argumentierte er. Fabian Molina (sp, ZH) stellte Clottu die Frage, ob dies ein Versuch sei, die Motion bis nach den Wahlen zu verschieben, um vorher keine unpopulären Entscheidungen treffen zu müssen, was dieser jedoch verneinte. Mit 131 zu 33 Stimmen (bei 22 Enthaltungen) lehnte der Nationalrat den Ordnungsantrag ab, lediglich bei einer Mehrheit der CVP- und einer Minderheit der SVP-Fraktion fand er Zustimmung.
Tags darauf folgte die Behandlung der Motion. Diese nutzte die SP, um den Kommissionssprechern Bruno Pezzatti (fdp, ZG) und Raymond Clottu einige unangenehme und Minderheitensprecherin Feri (sp, AG) die SP-Position bestätigende Fragen zu stellen. Unter anderem verwies Roger Nordmann (sp, VD) darauf, dass beide Kommissionssprecher – und somit 100 Prozent aller Kommissionssprecher in dieser Sache, wie Nordmann betonte – in einer Denkfabrik («groupe de réflexion») der Krankenkasse Groupe Mutuel seien, bei der sie für zwei bis drei Sitzungen jährlich CHF 10'000 pro Jahr erhielten. Pezzatti entgegnete, dass er als Beirat dieser Krankenkasse in seinen Entscheidungen frei sei. Nach insgesamt 40 Wortmeldungen schritt das Parlament zur Abstimmung und entschied sich deutlich gegen die Motion: Einzig die Grünliberalen sowie Minderheiten der SVP, der FDP und der BDP sprachen sich für die Änderung aus, mit 162 zu 21 wurde diese aber deutlich abgelehnt.

Motion für eine Erhöhung der ordentlichen Franchise auf CHF 500 (Mo. 18.4096)
Dossier: Krankenversicherung: Vorstösse zu Wahlfranchisen

In der Frühjahrssession 2019 stand die Behandlung der Weiterentwicklung der IV auf dem Programm des Nationalrats. Zuvor hatte die SGK-NR die Vorlage mit 15 zu 0 Stimmen (bei 7 Enthaltungen) zur Annahme empfohlen, nachdem sie zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter der SODK, der Dachverbände der Sozialpartnerinnen und Sozialpartner, der Ärztinnen und Ärzte, der Behindertenorganisationen und der IV-Stellen sowie einen Experten angehört und acht Berichte in Auftrag gegeben hatte. Zu Beginn erinnerte Kommissionssprecher Lohr (cvp, TG) den Rat daran, ob den vielen diskutierten Zahlen nicht zu vergessen, dass es hier um Menschen und ihre Schicksale gehe. In der Folge fasste er die zentralen Aspekte der Vorlage zusammen: eine bessere Integration von jungen sowie von psychisch beeinträchtigten Menschen in den Arbeitsmarkt, medizinische Massnahmen für Kinder mit Geburtsgebrechen, ein stufenloses Rentensystem, Gutachten sowie die Übernahme von Themenkomplexen aus der Revision 6b. Hingegen verzichte man auf eine anfangs beabsichtigte Streichung der Renten für Personen unter 30 Jahren, da es diesbezüglich keine praktikablen Lösungen gebe: Entweder man zahle die entsprechenden Renten bei nichteingliederungsfähigen Personen dennoch aus oder die Sozialhilfe würde zukünftig für sie aufkommen müssen, wobei zusätzlich der Verlust der Restarbeitsfähigkeit drohe. Das Verhältnis des Einsparungspotenzials der vom Bundesrat (CHF 13 Mio.) und von der Kommission (CHF 67 Mio.) vorgelegten Versionen und der Gesamtausgaben der IV von CHF 9.2 Mrd. im Jahr 2017 zeige auf, dass es sich um eine Optimierungsvorlage handle, erklärte Lohr. Man wolle damit «die IV [noch stärker] als Eingliederungsversicherung» positionieren.
In diesem letzten Punkt herrschte im Rat mehrheitlich Einigkeit: Die Sprecherinnen und Sprecher der meisten Parteien lobten die Zielsetzung der Vorlage und auch die Sprecherinnen der SP und der Grünen hiessen die bundesrätliche Vorlage gut. Sie hoben jedoch hervor, dass sie die von der bürgerlichen Kommissionsmehrheit geplanten Abbaumassnahmen in dieser Optimierungsvorlage bekämpfen würden. Einzig SVP-Vertreterin Herzog (svp, TG) wies auf die zwischen 2010 und 2014 noch immer gestiegenen Kosten der IV und auf die Notwendigkeit einer Sanierung hin. Eintreten war in der Folge jedoch nicht umstritten.

Zuerst setzte sich der Nationalrat mit dem «Herzstück» der Vorlage auseinander, wie es unzählige Sprechende betonten: der beruflichen Eingliederung und dem Taggeld. Dazu hatte der Bundesrat neu einen Artikel zur Früherfassung geschaffen, mit dem die persönliche Situation der Versicherten abgeklärt und mögliche Massnahmen zur Frühintervention bei 14- bis 25-Jährigen von Invalidität bedrohten Personen sowie bei arbeitsunfähigen Personen geprüft werden können. Der Nationalrat stimmte dieser Regelung entgegen dem Antrag einer Minderheit Herzog zu. Zudem sollten die Massnahmen der Frühintervention zukünftig auch dazu beitragen, Personen unter 25 Jahren den Zugang zu einer beruflichen Ausbildung und den Eintritt in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Bisher dienten sie lediglich der Erhaltung der Arbeitsplätze oder der Eingliederung der Versicherten an neuen Arbeitsplätzen. Bezüglich der erstmaligen beruflichen Ausbildung präzisierte der Bundesrat das bisherige Gesetz und verwies ausdrücklich auf die berufliche Eingliederung «im ersten Arbeitsmarkt». Eine Minderheit Lohr versuchte zu erreichen, dass sich die Dauer dieser Eingliederungsmassnahmen zukünftig nach dem Berufsbildungsgesetz richten und entsprechend mindestens zwei Jahre dauern soll. Dadurch könnten die Vorgaben der UNO-Behindertenrechtskonvention sowie eines Urteils des Bundesgerichts, wonach eine IV-Anlehre grundsätzlich zwei Jahre zu dauern hat, eingehalten werden, argumentierte zum Beispiel Yvonne Feri (sp, AG). Ruth Humbel (cvp, AG) erklärte hingegen, dass es bei dieser Passage nur um die Vorbereitung auf Hilfsarbeiten oder um die Tätigkeiten in einer geschützten Werkstatt ginge und ein Verweis auf das Berufsbildungsgesetz daher nicht sinnvoll sei. Bei einem «Missverhältnis zwischen Eingliederungszweck und Kosten der Massnahme» müsse eine flexible Handhabung möglich sein, betonte sie. Knapp entschied sich der Nationalrat mit 92 zu 91 Stimmen gegen den Verweis auf das Berufsbildungsgesetz; die vollständige SVP-Fraktion, eine grosse Mehrheit der FDP.Liberalen-Fraktion sowie einzelne Mitglieder der CVP/EVP-Fraktion setzten sich damit knapp durch. Schliesslich wollte der Bundesrat die zeitliche Einschränkung der Möglichkeiten zur Inanspruchnahme von medizinischen Massnahmen mit dem Ziel der beruflichen Eingliederung vom 20. auf das 25. Altersjahr ausdehnen; jedoch nur, wenn die Versicherten bis zur Vollendung des 20. Altersjahrs berufliche Massnahmen der IV in Anspruch nehmen. Obwohl eine Minderheit Carobbio Guscetti (sp, TI) für eine entsprechende Möglichkeit auch für Personen, die erst später berufliche Massnahmen wahrnähmen, plädierte, entschied sich der Rat deutlich für die vom Bundesrat vorgeschlagene Lösung.
Keine grossen Änderungen nahm der Rat bezüglich der Höhe der Taggelder vor; er passte hier hauptsächlich Formulierungen an. Bezüglich Personen in beruflicher Grundausbildung legte er jedoch fest, dass das Taggeld dem Lohn gemäss Lehrvertrag respektive, falls kein Lehrvertrag vorhanden ist, «auf den Monat hochgerechnet einem nach Alter abgestuften mittleren Einkommen von Personen in vergleichbarer Ausbildungssituation» entsprechen soll. Hier wollte eine Minderheit Gysi (sp, SG) grosszügiger sein und die entsprechenden Werte als Anteile des Höchstbetrags der versicherten Taggelder festlegen, was die grosse Kammer jedoch ablehnte.

Im zweiten Block ging es um die Aktualisierung der Geburtsgebrechenliste, die Angleichung der Leistungen an die Krankenversicherung, Reisekosten sowie um Gutachten. Bezüglich medizinischer Massnahmen bei angeborenen Missbildungen oder bei genetischen Krankheiten legte der Nationalrat neu ausdrücklich die Voraussetzungen für eine Übernahme sowie die übernommenen Leistungen durch die IV fest, wollte aber eine vollständige Auflistung der übernommenen Geburtsgebrechen oder der Höchstbeträge für die Arzneimittel dem Bundesrat überlassen. Der Bundesrat wollte überdies die Dauer der Übernahme der medizinischen Massnahmen sowie den Ausschluss gewisser Leistungen selbst festlegen. Diesen Passus strich die Kommission entgegen einem Antrag einer Minderheit Herzog und berechtigte stattdessen den Bundesrat, Regelungen zu Arzneimitteln, die nicht durch das Schweizerische Heilmittelinstitut zugelassen sind, ausserhalb des Indikationsbereichs angewendet werden oder in der Schweiz nicht zugelassen sind, vorzunehmen. Damit nahm die Kommission ein aktuell virulent diskutiertes Problem auf. Verschiedene Anträge einer Minderheit Herzog auf Übernahme der Reisekosten der Versicherten, etwa zur Durchführungsstelle einer Umschulung oder zur Abgabestelle für Hilfsmittel, lehnte der Rat ab.
Nicht nur im IVG, sondern auch im ATSG sah der Bundesrat Änderungen – insbesondere bezüglich der Gutachten – vor. Diesbezüglich warnte Silvia Schenker (sp, BS) die Parlamentsmitglieder, dass diese Änderungen somit nicht nur die IV-Bezügerinnen und -Bezüger beträfen, sondern alle Sozialversicherten. Dabei schuf der Nationalrat eine Pflicht, den Versicherten die Namen von allenfalls beigezogenen Sachverständigen zu nennen, sowie die Möglichkeit für die Versicherten, diese abzulehnen, verzichtete aber darauf, wie von der Minderheit Schenker gefordert, ausdrücklich festzuhalten, dass diese Sachverständigen «versicherungsextern und unabhängig» zu sein haben. Zudem wollte die Kommission die Kann-Formulierung, gemäss welcher der Bundesrat Kriterien für die Zulassung von Sachverständigen für Gutachten erlassen und eine breit zusammengesetzte Kommission zur Überwachung der Gutachtenerstellung schaffen kann, durch eine Muss-Formulierung ersetzen, wogegen sich zwei Minderheiten Graf (gp, BL) und Weibel (glp, ZH) erfolglos wehrten.

Im dritten Block wurden das Rentensystem und die Kinderrenten behandelt. Im Grundsatz sollte der Anspruch auf eine IV-Rente unverändert bleiben: Anspruch haben demnach weiterhin Personen, deren Erwerbsfähigkeit durch zumutbare Eingliederungsmassnahmen nicht wiederhergestellt, erhalten oder verbessert werden konnte, die während eines Jahres mindestens 40 Prozent arbeitsunfähig waren und die nach Ablauf dieses Jahres zu mindestens 40 Prozent invalid sind. Neu sollte der Rentenanspruch jedoch nicht mehr in Viertelschritten, sondern in prozentualen Anteilen an einer ganzen Rente festgelegt werden. Unter 40-prozentigem Invaliditätsgrad wird demnach keine Rente ausgesprochen, zwischen einem Invaliditätsgrad von 40 und 49 Prozent steigt der prozentuale Anteil an einer Rente von 25 Prozent auf 47.5 Prozent an, zwischen einem Invaliditätsgrad von 50 und 69 Prozent entspricht der Invaliditätsgrad dem prozentualen Anteil an einer gesamten Rente und ab einem Invaliditätsgrad von 70 Prozent erhalten die Versicherten eine ganze Rente zugesprochen. Unterstützt wurde diese neue Rentenberechnung von zwei Minderheiten Ruiz (sp, VD), die sich jedoch für grosszügigere Übergangsbestimmungen einsetzten; abgelehnt wurde sie von einer Minderheit Lohr, die das bisherige System mit den Viertelrenten beibehalten wollte. Sowohl bezüglich ihres neuen Systems zur Rentenberechnung als auch bezüglich der Übergangsbestimmungen blieb die Kommission aber erfolgreich. Der Rentenanspruch von bisherigen Rentenbezügerinnen und -bezügern unter 60 Jahren ändert sich somit erst, wenn sich ihr Invaliditätsgrad ändert; derjenige von IV-Beziehenden ab 60 Jahren wird auch zukünftig dem alten Gesetz folgen. Neu wird die Invalidenrente angepasst, wenn sich der Invaliditätsgrad um mindestens fünf Prozentpunkte verändert; bisher war laut IVG eine «erhebliche» Änderung nötig.
Auch bezüglich der Kinderrenten nahm der Nationalrat verschiedene Änderungen an. So entschied er sich einerseits, den Begriff «Kinderrente» durch «Zulage für Eltern» zu ersetzen, da es sich dabei ja nicht wirklich um eine Rente für Kinder handle. Dagegen wehrte sich eine Minderheit Feri, weil die entsprechenden Änderungen neben dem IVG auch im AHVG, im ELG und im BVG sowie in den dazugehörigen Verordnungen vorgenommen werden müssten und Änderungen von unzähligen Weisungen und Richtlinien nach sich zögen. Der Begriff «Kinderrente» sei zudem passender, weil er verdeutliche, dass dieser Teil der Rente zur Unterstützung der Kinder gedacht sei, erklärte die Minderheitensprecherin. Diesen Inhalt würde der Begriff «Zulage für Eltern» nicht vermitteln. Doch nicht nur die Terminologie änderte die Mehrheit des Nationalrats, sie entschied sich auch, die Zulage für Eltern von 40 auf 30 Prozent respektive von 30 auf 22.5 Prozent einer ganzen Rente zu senken. Die Minderheit Graf zur Beibehaltung der bisherigen Höhe der entsprechenden Zulage wurde überstimmt.

Im vierten Block behandelte der Nationalrat schliesslich diverse noch fehlende Themen. Als erstes verpflichtete der Rat neu im ATSG entgegen der Forderung einer Minderheit Schenker Arbeitgebende, Leistungserbringende, Versicherungen sowie Amtsstellen zur Auskunft an die Organe der Sozialversicherungen – bisher waren die entsprechenden Personen lediglich zur Auskunft «ermächtigt» gewesen. Eine weitere Minderheit Schenker wollte eine Verpflichtung für Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden einführen, mindestens 1 Prozent von der Invalidität bedrohte oder IV-Taggeld beziehende Mitarbeitende zu beschäftigen. Mit 132 zu 55 Stimmen lehnten jedoch alle Parlamentarierinnen und Parlamentarier ausser denjenigen der SP- und der Grünen-Fraktion sowie den zwei EVP-Mitgliedern die entsprechende Regelung ab. Stattdessen schuf der Rat regionale ärztliche Dienste (RAD), die den IV-Stellen zur unabhängigen Beurteilung der medizinischen Voraussetzungen für Leistungsansprüche zur Verfügung stehen sollen. Der Nationalrat ergänzte diesen Passus auf Antrag der Mehrheit der SGK-NR durch eine Aufforderung an die RAD, die behandelnden Ärztinnen und Ärzte sowie die Vertrauensärztinnen und -ärzte der Versicherungen zu kontaktieren. Wiederum hatte eine Minderheit Schenker diese Ergänzung abgelehnt, war jedoch gescheitert. Ebenfalls erfolglos wehrte sich eine Minderheit Herzog gegen Zusammenarbeitsvereinbarungen des Bundesrates und der Dachverbände der Arbeitswelt zur Verbesserung der Wiedereingliederung von Menschen mit einer Behinderung. Zwar unterstütze man die entsprechende Zusammenarbeit, die entsprechende Regelung sei aber unnötig, erklärte Verena Herzog. Mit 93 zu 95 Stimmen scheiterten die (fast) geschlossen stimmenden SVP- und FDP-Fraktionen sowie ein Mitglied der CVP-Fraktion äusserst knapp. Schliesslich stimmte der Nationalrat einer Berechtigung zu, gemäss der Organe von Vorsorgeeinrichtungen andere Vorsorgeeinrichtungen informieren dürfen, wenn sie feststellen, dass bei Letzteren unrechtmässig Leistungen bezogen werden.

Nach vier Sitzungen an zwei Tagen nahm der Nationalrat die Vorlage in der Gesamtabstimmung mit 133 zu 0 Stimmen an, wobei sich die SP- und die Grünen-Fraktion sowie die Mitglieder der EVP der Stimme enthielten (55 Enthaltungen). Diskussionslos schrieb der Rat die Postulate der SGK-NR (Po. 12.3971), Ingold (Po. 14.3191), Hess (Po. 14.4266) und Bruderer Wyss (Po. 15.3206) sowie eine Motion der SGK-NR (Mo. 14.3661) ab.

Weiterentwicklung der IV (BRG 17.022)
Dossier: Weiterentwicklung der IV (2015-2020) und die dazu führenden Vorstösse

Im Mai 2018 behandelte die SGK-NR die Motion «Tarifpartner sollen Tarife von Laboranalysen aushandeln» ihrer Schwesterkommission. Mit 15 zu 7 Stimmen beantragte sie dem Nationalrat, die Motion anzunehmen, da er in der Frühjahrssession 2018 bereits eine Motion Hess (fdp, OW; 16.3193) mit ähnlichem Ziel angenommen hatte. Innovative Laboranalysen könnten schneller vergütet werden, wenn Versicherer und Leistungserbringer die Tarife aushandelten; sicher schneller, als die vom EDI benötigten zehn bis zwölf Monate, erklärte die Kommission. Dies erlaube auch, die Kosten im Gesundheitswesen indirekt zu senken, erklärte Lorenz Hess als Kommissionssprecher dem Nationalrat in der Herbstsession. Zudem helfe dies gegen Doppelmedikation und Fehlbehandlungen. Eine Minderheit der SGK-NR zweifelte hingegen an der Wirksamkeit der Motion. Yvonne Feri (sp, AG) verwies auf die Probleme bei Tarmed und erklärte, durch die zahlreichen Anbieter und Verhandlungspartner drohten auch bei den Laboranalysen Blockaden bei den Tarifverhandlungen; die Wirksamkeit der Tarifautonomie sei ein «Mythos». Deutlich wurde auch Gesundheitsminister Berset. «Un voeu pieux», also einen frommen Wunsch, oder gar «une certaine forme de naïveté» nannte er die Annahme der beiden Kommissionen, dass die Tarifpartner die entsprechenden Tarife in nützlicher Frist aushandeln könnten. Bereits heute hätten diese die Möglichkeit, tiefere Tarife auszuhandeln, sie täten es aber nicht, betonte Berset. Eindringlich bat er den Rat nochmals, die Motion abzulehnen. Dieser liess sich davon aber nicht überzeugen und nahm den Vorstoss mit 124 zu 57 Stimmen an.

Tarifpartner sollen Tarife von Laboranalysen aushandeln

In der Frühjahrssession 2018 behandelte der Nationalrat die Reform der Ergänzungsleistungen, die er ob ihrer Länge in drei Blöcke unterteilte. Er schuf zahlreiche Differenzen zum Ständerat, insbesondere bezüglich der Voraussetzungen für den EL-Bezug. So beantragte die SGK-NR die Einführung einer Vermögensschwelle in der Höhe von CHF 100'000 für Alleinstehende, CHF 200'000 für Verheiratete und CHF 50'000 bei Kindern: Übersteigt das Vermögen diese Schwelle, sollen keine Ergänzungsleistungen beantragt werden können. Davon ausgeschlossen sollen jedoch von den Betroffenen oder ihren Partnern bewohnte Liegenschaften sein, sofern die Betroffenen ein hypothekarisch gesichertes Darlehen zulasten des Wohneigentums und zugunsten der EL-Stelle aufnehmen. Silvia Schenker (sp, BS) sprach sich in ihrem Minderheitsantrag gegen eine solche Änderung aus – nicht weil sie eine Vermögensschwelle prinzipiell ablehne, sondern weil dieser Antrag nicht in der Vernehmlassung war und daher noch zahlreiche Fragen dazu offen seien. Mit dieser Ansicht standen die SP- und die Grünen-Fraktion jedoch alleine da, mit 137 zu 52 Stimmen nahm der Nationalrat die Einführung einer Vermögensschwelle an. Eine weitere Differenz bei den Voraussetzungen schuf der Nationalrat, indem er gegen zwei Minderheitsanträge einem Antrag der SGK-NR folgte, wonach ein Verbrauch von mehr als 10 Prozent des Vermögens pro Jahr ab Entstehung des Anspruchs auf EL bei der IV, bei der AHV ab zehn Jahren vor der Pensionierung, als Vermögensverzicht gelten solle, sofern der Verbrauch „ohne wichtigen Grund“ erfolge (94 zu 86 Stimmen bei 9 Enthaltungen; 136 zu 53 Stimmen bei 1 Enthaltung). Für den Bezug von Ergänzungsleistungen beantragte die Mehrheit der SGK-NR überdies eine zehnjährige Karenzfrist, während der sich die Betroffenen ununterbrochen in der Schweiz aufgehalten haben müssen. Es setzte sich jedoch eine Minderheit I Aeschi durch, die den Bezug stattdessen von einer mindestens zehnjährigen Beitragsdauer in die AHV abhängig machen wollte (104 zu 83 Stimmen, 4 Enthaltungen).

Auch bezüglich der anerkannten Ausgaben schuf der Nationalrat einige Differenzen zum Schwesterrat. Gegen eine Minderheit Feri nahm er den Vorschlag der SGK-NR auf Reduktion der Finanzierung des allgemeinen Lebensbedarfs für Kinder unter zwölf Jahren sowie ab dem zweiten Kind um ein Sechstel an (137 zu 53 Stimmen). Bezüglich der Mietzinsen bestätigte der Nationalrat zwar die vom Ständerat beschlossene Schaffung verschiedener Regionen, strich jedoch auf Antrag einer Minderheit II Pezzatti die dritte Region und reduzierte die vom Ständerat beschlossenen Beträge zur Erstattung von Mietzinsen für Alleinstehende sowie für zusätzliche im Haushalt lebende Personen (139 zu 53 Stimmen). Deutlich löste der Rat für den Antrag auch die Ausgabenbremse (187 zu 3 Stimmen bei 3 Enthaltungen). Der Nationalrat stimmte auch dem Antrag der Minderheit Clottu zu (102 zu 90 Stimmen), wonach diese Mietzins-Beträge von den Kantonen um 10 Prozent gekürzt werden können und der Bundesrat die Einteilung überprüfen muss, wenn sich der Mietpreisindex um 10 Prozent verändert. Eine Minderheit Quadranti hatte diesbezüglich eine regelmässige Überprüfung nach zwei Jahren gefordert, war jedoch deutlich gescheitert (133 zu 58 Stimmen, 1 Enthaltung). Stark umstritten war im Ständerat die Frage gewesen, welche Kosten bei den Krankenkassenprämien angerechnet werden sollen. Dabei wurden vier verschiedene Optionen diskutiert: Die Mehrheit der SGK-NR wollte dem Bundesrat folgen und die kantonalen Durchschnittsprämien anrechnen, solange diese die effektiven Kosten nicht übersteigen; der Ständerat hatte entschieden, die Prämie des drittgünstigsten Krankenversicherers im Kanton zu vergüten; eine Minderheit I Carobbio befürwortete die Auszahlung von Durchschnittsprämien, selbst wenn diese die effektiven Kosten aufgrund von Prämienverbilligungen übertreffen; und eine Minderheit II Humbel setzte auf die massgebende Prämie des Kantons. Letztere Option setzte sich gegen den Antrag der Kommissionsmehrheit durch (138 zu 53 Stimmen), nachdem dieser zuvor gegenüber der Minderheit I bevorzugt worden war (138 zu 53 Stimmen). Nicht nur auf der Ausgaben-, auch auf der Einkommensseite nahm die grosse Kammer Korrekturen vor: Zwar war man sich mit dem Ständerat darüber einig, dass das Erwerbseinkommen von Ehegattinnen und -gatten, die selber keine Rente beziehen, stärker angerechnet werden soll als bisher. Der Nationalrat folgte jedoch entgegen dem Antrag der Minderheit Barrile, die wie der Ständerat nur 80 Prozent anrechnen wollte, der Kommissionsmehrheit: Neu soll das Einkommen der Ehepartner vollständig angerechnet werden (103 zu 87 Stimmen bei 1 Enthaltung).

Bezüglich der Finanzierung der EL respektive der Massnahmen zur Reduktion der Anzahl EL-Bezügerinnen und -Bezüger hatte sich im Ständerat die Frage nach der Möglichkeit auf Kapitalbezug in der zweiten Säule als besonders umstritten gezeigt. Anders als der Erstrat wollte die Mehrheit der SGK-NR den Versicherten die Möglichkeit offenlassen, ihre Pensionskassengelder zur Hälfte als Kapitalabfindung zu beziehen. Dagegen wehrte sich eine Minderheit I Humbel, die dem Ständerat folgen wollte, während eine Minderheit II Sauter das geltende Recht, das den Bezug eines Viertels des Altersguthabens als Kapitalleistung erlaubt, bevorzugte. Letztere Position setzte sich in der grossen Kammer deutlich durch (Mehrheit vs. Minderheit I: 139 zu 49 Stimmen bei 1 Enthaltung; Mehrheit vs. Minderheit II: 14 zu 170 Stimmen bei 4 Enthaltungen). Um jedoch der im Ständerat vielfach betonten erhöhten Gefahr, durch einen Kapitalbezug später auf Ergänzungsleistungen angewiesen zu sein, zu reduzieren, beantragte die Kommissionsmehrheit, die Leistungen bei einem teilweisen oder vollständigen Kapitalbezug um 10 Prozent pro Jahr zu kürzen. Der Nationalrat unterstützte diesen Antrag gegen zwei Minderheitsanträge (106 zu 83 Stimmen; 119 zu 66 Stimmen bei 1 Enthaltung). Auch bei der Auszahlung der Pensionskassengelder für Firmengründungen schuf die grosse Kammer eine Differenz zum Ständerat, indem sie einem Minderheitsantrag de Courten folgte, der keine Einschränkungen der Auszahlungen beabsichtigte. Deutlich sprach sich die grosse Kammer auch für einen Minderheitsantrag Humbel aus, wonach rechtmässig bezogene Leistungen aus dem Nachlass der Leistungsbezügerinnen und -bezüger – bei Ehepaaren aus dem Nachlass des Zweitverstorbenen – zurückzuerstatten seien, sofern und inwieweit dieser CHF 50'000 übersteige (181 zu 7 bei 1 Enthaltung).

In der Gesamtabstimmung nahm der Rat seine neue Version zur Reform der Ergänzungsleistungen mit 125 zu 53 Stimmen bei 13 Enthaltungen an. Unzufrieden zeigten sich die SP- und die Grünen-Fraktion, während sich ein Drittel der CVP-Fraktion sowie einzelne Mitglieder der GLP- und der BDP-Fraktion der Stimme enthielten.

Reform der Ergänzungsleistungen (BRG 16.065)
Dossier: Revisionen des ELG bezüglich Mietzinsmaxima
Dossier: Die EL-Reform (2016-2019) und die dazu führenden Vorstösse

Rund ein Jahr, nachdem sich der Ständerat ausführlich mit der Reform der Altersvorsorge 2020 beschäftigt hatte, lag der Ball beim Nationalrat. Die Aufmerksamkeit war gross, das SRF übertrug die Eintretensdebatte live. Nationalrat Aeschi (svp, ZG) stellte einen Antrag, die Vorlage in verschiedenen Teilen zu beraten und damit dem Volk die Möglichkeit zu geben, einzeln zu den Reformelementen Stellung zu nehmen. In einem ersten Paket sollen demnach die gemäss dem Antragsteller unbestrittenen Elemente wie die Erhöhung des Rentenalters der Frauen auf 65 Jahre oder die Flexibilisierung des Referenzalters behandelt werden. Die übrigen Fragen sollten an die Kommission zurückgewiesen werden, die diese in einem zweiten und dritten Massnahmenpaket weiterführen sollte. Nach dem „voraussehbaren Nein an der Urne” – so der Antragsteller – wüsste man sonst wieder nicht, welche Elemente das Volk befürworte, respektive ablehne. Der Freiburger Nationalrat Jean-François Steiert (sp, FR) hingegen argumentierte, dass durch diese „Salamitaktik” das Rentenalter der Frauen angehoben würde, ohne dass ihre durchschnittlich um CHF 250'000 tiefere Rente kompensiert werde. Dies könne lediglich durch die Behandlung der Vorlage als Gesamtpaket verhindert werden. Der Nationalrat lehnte den hauptsächlich von Parlamentarierinnen und Parlamentariern der SVP unterstützten Antrag Aeschi mit 54 zu 129 Stimmen (bei 10 Enthaltungen) ab.

Die Eintretensdebatte war geprägt von der Abstimmung zur AHVplus-Initiative, die nur Tage zuvor mit 41 zu 59 Prozent abgelehnt worden war. Insbesondere wurde darüber gestritten, ob dieses „Nein” als allgemeine Ablehnung einer Erhöhung der AHV-Rente – als welche sie zum Beispiel Bruno Pezzatti (fdp, ZG) oder Lorenz Hess (bdp, BE) darstellten – verstanden werden kann oder nicht. In der Detailberatung, bei der die Vorlage in sieben thematischen Blöcken behandelt wurde, schuf der Nationalrat zahlreiche Differenzen zum Ständerat. Im ersten Block wurden insbesondere das Referenzalter und die Flexibilisierung des Rentenalters sowie die Bestimmungen zur Berechnung der AHV-Rente behandelt. Besonders umstritten war hier die Frage der Erhöhung des Referenzalters für Frauen. Zwei Minderheiten Feri (sp, AG) beantragten dem Nationalrat, auf diese Erhöhung zu verzichten, was die Antragstellerin damit begründete, dass Männer beim flexiblen Rentenalter bevorzugt würden, weil Frauen ihr Leben lang unbezahlte Arbeit leisteten und für die bezahlte Arbeit schlechter entlohnt würden. Dies solle durch die Beibehaltung des Referenzalters von 64 Jahren für Frauen anerkannt werden. Der Nationalrat entschied sich jedoch mit 137 zu 57 Stimmen (0 Enthaltungen) für die Angleichung des Referenzalters der Frauen auf 65 Jahre, wobei sich – im Unterschied zum Ständerat – die SP- und Grünen-Fraktionen geschlossen gegen die Erhöhung aussprachen.

Im zweiten Block unterschieden sich die Mehrheiten im Nationalrat mehrmals von denjenigen im Ständerat: So beschloss der Nationalrat, Personen mit Anrecht auf Altersrenten keine Kinderrenten auszuzahlen sowie Witwen- und Witwerrenten nur noch auszubezahlen, wenn eine Person ein Kind mit Anspruch auf Waisenrente hat. Die Waisenrenten an Pflegekinder schränkte er insofern ein, als sie in Zukunft nur noch ausbezahlt werden, wenn die Pflegekinder ihren Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz haben.

Hitzig diskutiert wurde vor allem der dritte Block, in dem sich der Nationalrat der Zusatzfinanzierung der AHV, dem Interventionsmechanismus und dem Bundesbeitrag – gemäss Ruth Humbel (cvp, AG) die Kernpunkte der Vorlage – widmete. Den Bundesbeitrag legte der Nationalrat bei 20 Prozent der jährlichen Ausgaben der Versicherung fest, während sich der Ständerat noch für den bisherigen Betrag von 19.55 Prozent ausgesprochen hatte. Diese Erhöhung machte eine Abstimmung zur Schuldenbremse nötig, wobei das qualifizierte Mehr erreicht wurde. Anschliessend folgten die Abstimmungen zum Sargnagel der Vorlage, wie es wiederum Ruth Humbel formuliert hatte: dem Interventionsmechanismus. Zur Überwachung des finanziellen Gleichgewichts lagen verschiedene Massnahmen vor. So stand eine Zustimmung zum Beschluss des Ständerats – also zu einer einstufigen Verpflichtung zu nicht-automatischen Stabilisierungsmassnahmen, wenn der Stand des AHV-Ausgleichsfonds unter 80 Prozent einer Jahresausgabe sinken sollte – (Mehrheit der SGK-NR), eine Ergänzung dieses einstufigen Vorgehens durch einen automatischen Solidaritätsbeitrag der Rentner und Rentnerinnen sowie durch eine temporäre Beitragserhöhung (Minderheit I Humbel), eine Ergänzung durch eine automatische Erhöhung des Referenzalters pro Kalenderjahr um 6 Monate auf maximal 24 Monate (Minderheit III de Courten (svp, BL)) sowie eine gänzliche Streichung des Interventionsmechanismus (Minderheit II Weibel (glp, ZH)) zur Debatte. Der Einzelantrag Pezzatti (fdp, ZG) sah zudem vor, den Interventionsmechanismus in eine separate Vorlage auszulagern, um die Gesamtvorlage nicht zu gefährden. Die Minderheit II (Weibel), geschlossen unterstützt von der BDP und GLP, war gegenüber dem bundesrätlichen Vorschlag chancenlos (180 zu 14 Stimmen). Dieser unterlag jedoch genauso wie die Minderheiten I (Humbel, unterstützt von SP, GPS, CVP und BDP) und III (de Courten, unterstützt von der SVP) dem Mehrheitsantrag (grösstenteils unterstützt von FDP und SVP). Vor die Wahl gestellt, den Interventionsmechanismus im Rahmen der Altersvorsorge 2020 oder in einer separaten Vorlage umzusetzen, entschied sich der Nationalrat grossmehrheitlich für letztere Option und nahm den Einzelantrag Pezzatti mit 187 zu 9 (GLP- oder CVP-) Stimmen an. Als letzte Frage dieses Blocks wurde die maximal mögliche Höhe der Anhebung der Mehrwertsteuersätze behandelt. Hier schwankten die Vorschläge zwischen 0.3 Prozentpunkten (Minderheit II Frehner (svp, BS)), 0.6 Prozentpunkten (Mehrheit der SGK-NR) und 1 Prozentpunkt (Ständerat, Minderheit I Humbel). Der Nationalrat entschied sich für den Mittelweg und schuf mit der Erhöhung um 0.6 Prozentpunkte erneut eine Differenz zum Ständerat.

Der vierte Block umfasste Massnahmen in der zweiten Säule, konkret den Mindestumwandlungssatz und die Ausgleichsmassnahmen im BVG. Dabei pflichtete der Nationalrat dem Erstrat mit 141 zu 51 Stimmen (3 Enthaltungen) gegen den Willen der SP und der Grünen deutlich bei und senkte den Mindestumwandlungssatz von 6.8 auf 6 Prozent. Um eine Kompensation des tieferen Umwandlungssatzes innerhalb des BVG zu ermöglichen, entschied sich der Nationalrat relativ knapp zur Abschaffung des Koordinationsabzugs (100 zu 89 Stimmen bei 7 Enthaltungen) sowie für eine Reduktion der gestaffelten Altersgutschriften auf zwei Ansätze (25-44: 9%, 45-Referenzalter: 13.5% des versicherten Lohns). Letztere soll zusätzlich der Diskriminierung älterer Arbeitnehmenden auf dem Arbeitsmarkt entgegenwirken. Hingegen verzichtete er trotz Anpassung des Mindestumwandlungssatzes auf eine Garantie des Leistungsniveaus der Übergangsgeneration (Personen über 40 (Bundesrat) respektive 50 Jahren (Ständerat)) im Rahmen des Sicherheitsfonds.

Im fünften Block standen die Ausgleichsmassnahmen in der AHV sowie der Ehepaarplafonds zur Debatte. Bei der Höhe der Vollrenten sprach sich der Nationalrat für die Beibehaltung des geltenden Rechts aus und schuf damit eine gewichtige Differenz zum Ständerat, der die Altersrente als Kompensation für die Reduktion des Umwandlungssatzes um 70 Franken erhöhen wollte. Auch die Erhöhung des Ehepaarplafonds von 150 auf 155 Prozent (Ständerat, Minderheiten I (Humbel) und IV (Feri)) respektive auf 160 Prozent (Minderheit II Humbel), die sowohl von Befürwortern als auch von Gegnern im Nationalrat als Reaktion auf die Volksinitiative gegen die Heiratsstrafe empfunden wurde, lehnte die grosse Kammer ab. Um dem Lohnunterschied zwischen den Geschlechtern gerecht zu werden, hatte die Mehrheit der SGK-NR zudem vorgeschlagen, die Summe der Erwerbseinkommen der Frauen mit einem Zuschlag zu belegen, „der dem nach objektiven Kriterien nicht erklärbaren Anteil am allgemeinen Lohnunterschied entspricht”. Dies scheiterte jedoch am Widerstand von FDP.Die Liberalen und SVP sowie vereinzelten anderen Parlamentarierinnen und Parlamentariern.

Der sechste Block beinhaltete institutionelle Massnahmen, der siebte Block weitere zu klärende Details. Hier entschied sich der Nationalrat unter anderem dafür, Risikobeiträge nach individuellen Grundsätzen zu berechnen (139 zu 53 bei 1 Enthaltung), während der Ständerat einen Passus zu kollektiven Grundsätzen ergänzt hatte. Des Weiteren lehnte der Nationalrat eine Erhöhung der Beiträge der Selbständigerwerbenden mit 129 zu 65 Stimmen ab.

In den Gesamtabstimmungen zu den drei Vorlagen (Bundesgesetz über die Reform der Altersvorsorge 2020, Bundesbeschluss über die Zusatzfinanzierung der AHV durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer und Bundesbeschluss über die Wahrung des finanziellen Gleichgewichts der AHV) zeigten sich nur die FDP.Die Liberalen und die Grünliberalen mit allen drei Vorlagen einverstanden. Die Reform der Altersvorsorge 2020 lehnten die Fraktionen der SP und der Grünen in der Gesamtabstimmung ab, da der Nationalrat gemäss Silvia Schenker (sp, BS) in den letzten Tagen ein Massaker angerichtet habe. Auch bei der CVP- und BDP-Fraktion fand die Vorlage kaum noch Zustimmung, ein Grossteil von ihnen enthielt sich der Stimme. Die Zusatzfinanzierung der AHV durch eine Mehrwertsteuererhöhung hingegen wurde von einer Minderheit der SVP-Fraktion abgelehnt, die meisten übrigen SVP-Parlamentarierinnen und -Parlamentarier enthielten sich zusammen mit denjenigen der SP und der Grünen der Stimme. Am umstrittensten war der Bundesbeschluss zum finanziellen Gleichgewicht der AHV, bei dem es um den Interventionsmechanismus ging: Hier standen sich 99 Ja-Stimmen aus der SVP-, FDP- und GLP-Fraktion und 90 Nein-Stimmen aus der SP-, CVP-, GPS- und Teilen der BDP-Fraktion gegenüber. Somit entschied sich der Nationalrat auch hier insgesamt knapp für die zuvor beschlossenen Änderungen.

Reform «Altervorsorge 2020» (BRG 14.088)
Dossier: Debatten um das Frauenrentenalter
Dossier: Erhöhung des Rentenalters
Dossier: Koordinationsabzug und Eintrittsschwelle BVG