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Christian Lohr (cvp, TG) störte sich daran, dass Personen, die Hilflosenentschädigung (HE) erhalten, im Gegensatz zu Personen, die IV beziehen, nicht automatisch einen IV-Ausweis erhalten. Explizit solle zukünftig für Kinder mit HE, Erwachsene mit HE, aber ohne IV-Rente sowie für AHV-Rentnerinnen und Rentner mit HE automatisch ein IV-Ausweis ausgestellt werden. Dies soll Kindern mit nicht sichtbaren Behinderungen deren Nachweis ermöglichen und Betroffenen erlauben, von Vergünstigungen durch private Institutionen zu profitieren. Auf Antrag sei dies zwar bereits möglich, davon wüssten die Betroffen jedoch häufig nichts, erklärte der Motionär. Stillschweigend nahm der Nationalrat die Motion in der Herbstsession 2020 an, nachdem Gesundheitsminister Berset bereits in der Frühjahrssession desselben Jahres als Antwort auf eine Frage Roth (sp, SO; Frage 20.5059) entsprechende Abklärungen durch die Verwaltung in Aussicht gestellt hatte.

Automatische Ausstellung eines Ausweises für den Bezug einer Hilflosenentschädigung

Im Dezember 2019 reichte Christian Lohr (cvp, TG) eine Motion ein, wonach der Bundesrat die Preise von Laboranalysen zulasten der OKP senken solle. Kurz zuvor habe das Konsumentenmagazin der Romandie, Bon à savoir, aufgezeigt, dass Laboranalysen in der Schweiz bis zu 18 Mal teurer seien als in Frankreich, Österreich und Deutschland. Durch eine Preisreduktion liessen sich somit «mehrere hundert Millionen Franken pro Jahr» einsparen, betonte der Motionär. Der Bundesrat erklärte, dass er 2017 eine Revision der Analyseliste (AL) begonnen habe, wobei das EDI die neuen Tarife entsprechend den Gestehungskosten der Analysen bei effizienter Erbringung in der notwendigen Qualität neu berechnen werde – wie es das KVG vorsehe. Es würden zwar keine pauschalen Tarifsenkungen vorgenommen, wie es die Motion fordere, dennoch erwarte er insgesamt eine Senkung der Preise, erklärte der Bundesrat. Ergänzend wies er darauf hin, dass eine solche Anpassung durch den Bundesrat nicht mehr möglich sein werde, wenn die überwiesene Motion der SGK-SR (Mo. 17.3969) für eine Aushandlung der Tarife von Laboranalysen durch die Tarifpartner umgesetzt sei.
Nachdem Therese Schläpfer (svp, ZH) die Motion im Juni 2020 bekämpft hatte, behandelte sie der Nationalrat in der Herbstsession 2020. Schläpfer argumentierte, dass der internationale Vergleich hinke, da verschiedene relevante Unterschiede zwischen den Staaten unberücksichtigt blieben; etwa die deutlich grössere Auftragsmenge und die entsprechend niedrigeren Grenzkosten in den deutschen Labors. Folglich bat sie um Ablehnung der Motion, um die Qualität der Schweizer Tests nicht zu gefährden. Mit 141 zu 46 Stimmen (bei 1 Enthaltung) sprach sich die grosse Kammer für Annahme der Motion aus.

Laborkosten zulasten der OKP

In der Wintersession 2019 machte der Nationalrat im Differenzbereinigungsverfahren zur Weiterentwicklung der IV einen grossen Schritt auf den Ständerat zu. So pflichtete er bezüglich aller offenen Differenzen seinem Schwesterrat bei – einzig bezüglich des Begriffs «Kinderrente» entschied er sich, auch weiterhin eine Ersetzung in allen Erlassen zu fordern. Dabei folgte er jedoch dem neuen Vorschlag der SGK-NR, die sich für den Begriff «Zusatzrente für Eltern» stark gemacht hatte, da auch der Begriff «Zulage für Eltern», die der Nationalrat zuvor angenommen hatte, zu ungenau sei, wie Benjamin Roduit (cvp, VS) dem Rat erklärte. Obwohl eine Minderheit Schenker (sp, BS) für die Beibehaltung des bisherigen Begriffs plädierte, nahm der Rat die Änderung mit 116 zu 77 Stimmen gegen den Willen von SP und Grünen sowie von vereinzelten Mitgliedern der GLP-, FDP- oder Mitte-Fraktion an.
Gegen den Willen der Kommissionsmehrheit, die an der Senkung der Kinderrenten festhalten wollte, folgte der Nationalrat diesbezüglich einer Minderheit Lohr (cvp, TG), der Argumentation von Yvonne Feri (sp, AG), wonach 70'000 Kinder betroffen wären und es zu einer Kostenverlagerung zu den EL kommen würde, sowie einer Petition Wermuth (sp, AG; Pe. 19.2026), die den Rat in Ergänzung zur bereits im Ständerat vorliegenden Petition Bonvin (Pe. 19.2013) bat, auf die Senkung zu verzichten. Mit 134 zu 51 Stimmen (bei 5 Enthaltungen) bereinigte der Nationalrat diese Differenz, fast die ganze SVP-Fraktion sowie 2 Mitglieder der FDP-Fraktion sprachen sich dagegen aus.
Des Weiteren lehnte die grosse Kammer einen Minderheitsantrag Herzog (svp, TG) mit 120 zu 66 Stimmen ab, der die Altersschwelle für den Verzicht auf Kürzungen beim Übergang zum stufenlosen Rentensystem bei 60 Jahren, wie es der Bundesrat vorgeschlagen und der Nationalrat bisher vorgesehen hatte, anstelle von 55 Jahren, wie es der Ständerat entschieden hatte, festsetzen wollte.
Schliesslich ging es um die Frage nach Tonaufzeichnungen bei medizinischen Gutachten, deren Einsatz Benjamin Roduit mit «dysfonctionnements scandaleux» rechtfertigte: Bekannt gewordene Fälle hätten gezeigt, dass Gutachten teilweise unsorgfältig und unsachgemäss erstellt worden seien. Tonaufzeichnungen seien nötig als Schutz der Experten vor unbegründeten Vorwürfen sowie der Versicherten vor falschen Angaben im Gutachten. Eine Minderheit Nantermod (fdp, VS) wollte hingegen den Akten ohne Aufforderung durch die Versicherten nur handschriftlich festgehaltene Notizen der Sachverständigen beilegen, weil die Aufzeichnung auf Tonträgern aufgrund des grossen Aufwands, den es gebe, wenn sich jemand «durch Stunden von Tonaufzeichnungen hören» und Ungereimtheiten suchen müsse, nicht zielführend sei, wie Regine Sauter (fdp, ZH) für die Minderheit erklärte. Mit 114 zu 78 Stimmen bestätigte der Nationalrat die Verpflichtung zu Tonträgern und bereinigte somit auch diese Differenz.

Weiterentwicklung der IV (BRG 17.022)
Dossier: Weiterentwicklung der IV (2015-2020) und die dazu führenden Vorstösse

Anfang September 2019 berichtete der Sonntagsblick darüber, dass verschiedene Ärzte für medizinische Gutachten für die IV über mehrere Jahre Millionenbeträge erhalten hätten. Angeführt wurden Beispiele von einer Ärztin und einem Arzt, denen die IV-Stellen in sechs Jahren CHF 1.86 Mio. respektive CHF 1.82 Mio. für Gutachten ausbezahlt hätten. Ein Gutachter habe in sieben Jahren gar CHF 3.1 Mio. erhalten, war in einem späteren Zeitungsbericht zu lesen.
Problematisch seien diese hohen Zahlungen, weil die Gutachterinnen und Gutachter deshalb nicht mehr unabhängig seien: Die Gefahr bestehe, dass sie im Sinne der IV-Stellen entschieden und deshalb seltener Rentenleistungen als gerechtfertigt einschätzten als andere Ärztinnen und Ärzte. Wer möglichst selten Arbeitsunfähigkeiten feststelle, würde von den IV-Stellen auch zukünftig vermehrt für Gutachten eingeladen, war die Vermutung der Medien. Diese Befürchtung untermauerte der Blick durch Zahlen von kantonalen IV-Stellen, die aufgrund des Öffentlichkeitsprinzips hatten zugänglich gemacht werden müssen: Im Kanton Basel-Landschaft zeige sich zum Beispiel, dass im ersten Halbjahr 2018 zwei Ärzte für ein Viertel der psychiatrischen Gutachten verantwortlich gewesen seien. Diese zwei Ärzte hätten in 26 Prozent der Fälle eine Arbeitsunfähigkeit ab 40 Prozent festgestellt, alle anderen Gutachter seien zusammen auf einen Anteil von 57 Prozent gekommen. In der Folge musste auch das BSV die Liste der zwischen 2012 und 2018 eingesetzten Gutachterinnen und Gutachter veröffentlichen, wobei sich ebenfalls eine einseitige Verteilung zeigte: 10 Prozent der Gutachtenden erhielten in dieser Zeit 73 Prozent des Auftragsvolumens.
Aufgrund der grossen Bedeutung, die den Gutachterinnen und Gutachtern im Rahmen der IV-Verfahren zukomme, sei deren fehlende Unabhängigkeit besonders stossend, argumentierten der Blick und in der Folge auch weitere Medien. So werde hauptsächlich aufgrund der Gutachten entschieden, ob jemand IV erhalte. «Die Gutachter erfüllen beinahe richterliche Funktionen», erklärte etwa Rainer Deecke, Präsident der Selbsthilfeorganisation für Schmerzkranke, touché.ch. Das BSV bezweifelte hingegen die fehlende Unabhängigkeit der Gutachterinnen und Gutachter und betonte, dass «mit einem prozentualen Anteil bestimmter Arbeitsunfähigkeitsgrade [...] sachlich fundiert keine qualitative Beurteilung einer Gutachtertätigkeit vorgenommen werden [könne]». Stattdessen verwies BSV-Sprecher Harald Sohns darauf, dass die Gutachten bis vors Bundesgericht Beweiskraft haben müssten und somit nicht willkürlich erstellt werden könnten.
Dass diese Beweiskraft jedoch nicht immer gegeben ist, zeigte die weitere Berichterstattung zu diesem Thema in den Medien. Diese berichteten in den nächsten Wochen von zahlreichen Personen, denen die IV-Rente unter anderem aufgrund von Rechtsgutachten aberkannt oder nicht zugesprochen wurde, die ihre Forderungen jedoch später vor Bundesgericht zumindest teilweise durchsetzen konnten. Gleichzeitig wurden weitere Probleme bezüglich der IV-Gutachten publik: Betroffene berichteten davon, dass ihre Aussagen in Gutachten verdreht worden seien oder dass sich die Gutachterinnen und Gutachter für ein Gespräch teilweise weniger als 30 Minuten Zeit genommen hätten. Ein Arzt erläuterte, dass er immer wieder praktisch identische Gutachten – sogennante «Copy/Paste-Gutachten» – zu Gesicht bekomme. Teilweise seien auch Ärztinnen und Ärzte aus Deutschland, welche die Situation in der Schweiz nicht kennen würden, hier kaum Rechenschaft ablegen müssten und nur Hochdeutsch verstünden, für Gutachten in die Schweiz geholt worden. Zudem gebe es Ungereimtheiten bei den Mehrdisziplinen-Gutachten, bei denen mindestens drei verschiedene medizinische Fachrichtungen einbezogen werden und die im Unterschied zu Ein- oder Zweidisziplinen-Gutachten zufällig vergeben würden. So arbeiteten beispielsweise verschiedene Ärzte des marktführenden Unternehmens bei verschiedenen Gutachterfirmen, womit die Zufallsvergabe teilweise umgangen worden sei.
Mitte Dezember 2019 berichteten die Medien schliesslich auch darüber, dass das BSV allen kantonalen IV-Stellen ein jährliches «Sparziel» definiere, gemäss dem sie die Zahl von Neurenten, die Gesamtrentenzahl sowie die Kosten pro Versicherten «halten» oder «senken» sollten. Entsprechend «prüfe [die IV] nicht mehr überall offen, auf welche Leistungen ein Versicherter Anspruch habe, sondern wie das Quotenziel erreicht werden [könne]», kritisierte Alex Fischer von der Behindertenselbsthilfe Procap. Das BSV verwies jedoch darauf, dass dies keine Sparvorgaben, sondern Leistungsziele seien und somit einen Teil des Aufsichts- und Steuerungsprozesses der IV darstellten. Alle Versicherten erhielten die ihnen gesetzlich zustehenden Leistungen, betonte das BSV. Die NZZ erklärte, dass diese Praxis auf die fünfte IV-Revision 2008 zurückzuführen sei. Seither müsse das BSV prüfen, ob die Integration in den Arbeitsmarkt funktioniere, wozu es ebendiese Kennzahlen verwende. Diese stellten somit nur einen «Wasserpegelmesser» dar und seien für die IV-Stellen nicht verbindlich, ihre Nichteinhaltung habe auch keine Folgen. Dennoch würden sie den Mitarbeitenden in einigen Kantonen kommuniziert, ergänzten die Medien.

Im Rahmen dieser Berichterstattung formulierten Behindertenverbände und Sozialversicherungsanwälte zahlreiche Forderungen, wie die Politik dieser Problematik begegnen solle. So brauche es schweizweite transparente Daten zu den IV-Gutachten mit Einbezug der Anteile an erklärten Arbeitsunfähigkeiten, eine Aufzeichnung der Gespräche und eine übergeordnete Qualitätskontrolle bei den Gutachten. Zudem sollten die IV-Stellen zukünftig nicht mehr entscheiden dürfen, wer die Gutachten erstelle; diese sollten nach Zufallsprinzip zugeteilt werden, wie es bei komplexen Gutachten mit drei oder mehr Ärzten aufgrund eines Bundesgerichtsurteils 2011 heute schon der Fall sei. Von diesen Massnahmen zeigten sich die Versicherungsmediziner nicht überzeugt. Bereits heute gebe es Instrumente, um gute und schlechte Gutachten zu unterscheiden. Tonbandaufnahmen würden hingegen zu neuen, langwierigen Rechtsauseinandersetzungen führen, bestmögliche Rahmenbedingungen für das Gespräch verhindern und zu einer verhörähnlichen Situation führen.
In der folgenden Wintersession 2019 überschlugen sich die Parlamentarierinnen und Parlamentarier förmlich mit Vorstössen zu diesem Thema. So reichten sie Anfragen oder Interpellationen zur üblichen Qualität der Gutachten ein (Frage Müller-Altermatt, cvp, SO; 19.5700) und stellten konkrete Fragen zu zwei im Zentrum der Berichterstattung stehenden Gutachtern (Ip. Roduit, cvp, VS; 19.4498 und Ip. Bertschy, glp, BE; 19.4481) und einem Unternehmen (Ip. Prelicz-Huber, gp, ZH; 19.4623) oder zu Ärzten, die an mehreren Gutachterstellen arbeiteten (Ip. Studer, evp, AG; 19.4592). Überdies wollten sie wissen, ob es gängige Praxis sei, dass IV-Stellen nur bei Attesten einer Arbeitsunfähigkeit, nicht aber bei Arbeitsfähigkeit Nachfragen stellten (Frage Roduit; 19.5647), ob die Quotenziele des BSV mit dem Rechtsanspruch auf IV in Konflikt stünden (Ip. Graf, gp, BL; 19.4636), ob zukünftig alle IV-Gutachten zufällig vergeben werden könnten (Ip. Lohr, cvp, TG; 19.4469) und was der Bundesrat allgemein tue, um die Situation zu verbessern (Ip. Wasserfallen, sp, BE; 19.4513). Überdies stellten sie Fragen zur von Bundesrat Berset angekündigten externen Untersuchung (Ip. Studer; 19.4593). So hatte der Gesundheitsminister im Rahmen der Fragestunde erklärt, eine detaillierte Analyse der Situation und der notwendigen Massnahmen in Auftrag gegeben zu haben.
Darüber hinaus dürfte die Medienberichterstattung auch in die Beratung der Weiterentwicklung der IV in der Wintersession 2019 eingeflossen sein. Da stritt man sich zu diesem Zeitpunkt noch darum, ob den Gutachten künftig Tonaufzeichnungen, wie vom Ständerat gewünscht, anstelle eines schriftlichen Protokolls durch die Gutachter, wie es der Nationalrat vorgeschlagen hatte, beigelegt werden sollten. Benjamin Roduit, der ebenfalls zwei Interpellationen zum Thema verfasst hatte, verwies im Rat auf verschiedene Fälle, in denen Gutachten unsorgfältig oder unsachgemäss erstellt worden seien. Mit 114 zu 78 Stimmen bestätigte der Nationalrat die Verpflichtung zu Tonaufzeichnungen, welcher der Ständerat bereis zuvor zugestimmt hatte. Zudem stimmte der Nationalrat einstimmig der Schaffung einer Liste aus Gutachterstellen und Sachverständigen, in denen die Anzahl begutachteter Fälle sowie die Ergebnisse des Gutachtens bezüglich des Grads der attestierten Arbeitsunfähigkeit enthalten war, zu. In seiner ersten Beratung hatte er sich auf eine Gutachterliste ohne Grad der Arbeitsunfähigkeit beschränkt. Eine weitere in der Diskussion erwähnte Forderung hatte das Parlament im Rahmen der Weiterentwicklung der IV bereits umgesetzt: So schuf es eine Kommission aus Gutachterstellen, Ärzteschaft, Wissenschaft und Patientenschaft, welche die Zulassung als Gutachterstellen, das Verfahren zur Gutachtenerstellung und die Ergebnisse der medizinischen Gutachten überwachen sollte.

IV-Skandal

Christian Lohr (cvp, TG) reichte im Sommer 2017 eine parlamentarische Initiative ein, mit der er ein Beschwerderecht der Krankenversicherungen gegen Entscheide des BAG zur Spezialitätenliste schaffen wollte. Da das Bundesgericht den Krankenversicherern ein Beschwerderecht aufgrund mangelnder schutzwürdiger Interessen abgesprochen habe, müsse dieses nun durch das Parlament geschaffen werden, erklärte der Motionär. So seien zahlreiche Entscheide wie die Aufnahme neuer Arzneimittel und die Festsetzung des Listenpreises von grosser Bedeutung für die Krankenversicherungen. Dennoch könnten heute Entscheide des BAG, welche die Zulassungsinhabenden nicht direkt beschränken, nicht angefochten werden, obwohl auch diese geltendes Recht verletzen könnten.
Sowohl die SGK-NR (im Mai 2018) als auch die SGK-SR (im Mai 2019) zeigten sich mit der Forderung einverstanden. Mit 10 zu 5 Stimmen (bei 8 Enthaltungen) respektive 9 zu 3 Stimmen sprachen sich die Kommissionen für ein Folgegeben aus. Die SGK-NR wird in der Folge eine Vorlage ausarbeiten.

Beschwerderecht der Krankenversicherer gegen Entscheide des BAG betreffend Spezialitätenliste

In der Frühjahrssession 2019 stand die Behandlung der Weiterentwicklung der IV auf dem Programm des Nationalrats. Zuvor hatte die SGK-NR die Vorlage mit 15 zu 0 Stimmen (bei 7 Enthaltungen) zur Annahme empfohlen, nachdem sie zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter der SODK, der Dachverbände der Sozialpartnerinnen und Sozialpartner, der Ärztinnen und Ärzte, der Behindertenorganisationen und der IV-Stellen sowie einen Experten angehört und acht Berichte in Auftrag gegeben hatte. Zu Beginn erinnerte Kommissionssprecher Lohr (cvp, TG) den Rat daran, ob den vielen diskutierten Zahlen nicht zu vergessen, dass es hier um Menschen und ihre Schicksale gehe. In der Folge fasste er die zentralen Aspekte der Vorlage zusammen: eine bessere Integration von jungen sowie von psychisch beeinträchtigten Menschen in den Arbeitsmarkt, medizinische Massnahmen für Kinder mit Geburtsgebrechen, ein stufenloses Rentensystem, Gutachten sowie die Übernahme von Themenkomplexen aus der Revision 6b. Hingegen verzichte man auf eine anfangs beabsichtigte Streichung der Renten für Personen unter 30 Jahren, da es diesbezüglich keine praktikablen Lösungen gebe: Entweder man zahle die entsprechenden Renten bei nichteingliederungsfähigen Personen dennoch aus oder die Sozialhilfe würde zukünftig für sie aufkommen müssen, wobei zusätzlich der Verlust der Restarbeitsfähigkeit drohe. Das Verhältnis des Einsparungspotenzials der vom Bundesrat (CHF 13 Mio.) und von der Kommission (CHF 67 Mio.) vorgelegten Versionen und der Gesamtausgaben der IV von CHF 9.2 Mrd. im Jahr 2017 zeige auf, dass es sich um eine Optimierungsvorlage handle, erklärte Lohr. Man wolle damit «die IV [noch stärker] als Eingliederungsversicherung» positionieren.
In diesem letzten Punkt herrschte im Rat mehrheitlich Einigkeit: Die Sprecherinnen und Sprecher der meisten Parteien lobten die Zielsetzung der Vorlage und auch die Sprecherinnen der SP und der Grünen hiessen die bundesrätliche Vorlage gut. Sie hoben jedoch hervor, dass sie die von der bürgerlichen Kommissionsmehrheit geplanten Abbaumassnahmen in dieser Optimierungsvorlage bekämpfen würden. Einzig SVP-Vertreterin Herzog (svp, TG) wies auf die zwischen 2010 und 2014 noch immer gestiegenen Kosten der IV und auf die Notwendigkeit einer Sanierung hin. Eintreten war in der Folge jedoch nicht umstritten.

Zuerst setzte sich der Nationalrat mit dem «Herzstück» der Vorlage auseinander, wie es unzählige Sprechende betonten: der beruflichen Eingliederung und dem Taggeld. Dazu hatte der Bundesrat neu einen Artikel zur Früherfassung geschaffen, mit dem die persönliche Situation der Versicherten abgeklärt und mögliche Massnahmen zur Frühintervention bei 14- bis 25-Jährigen von Invalidität bedrohten Personen sowie bei arbeitsunfähigen Personen geprüft werden können. Der Nationalrat stimmte dieser Regelung entgegen dem Antrag einer Minderheit Herzog zu. Zudem sollten die Massnahmen der Frühintervention zukünftig auch dazu beitragen, Personen unter 25 Jahren den Zugang zu einer beruflichen Ausbildung und den Eintritt in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Bisher dienten sie lediglich der Erhaltung der Arbeitsplätze oder der Eingliederung der Versicherten an neuen Arbeitsplätzen. Bezüglich der erstmaligen beruflichen Ausbildung präzisierte der Bundesrat das bisherige Gesetz und verwies ausdrücklich auf die berufliche Eingliederung «im ersten Arbeitsmarkt». Eine Minderheit Lohr versuchte zu erreichen, dass sich die Dauer dieser Eingliederungsmassnahmen zukünftig nach dem Berufsbildungsgesetz richten und entsprechend mindestens zwei Jahre dauern soll. Dadurch könnten die Vorgaben der UNO-Behindertenrechtskonvention sowie eines Urteils des Bundesgerichts, wonach eine IV-Anlehre grundsätzlich zwei Jahre zu dauern hat, eingehalten werden, argumentierte zum Beispiel Yvonne Feri (sp, AG). Ruth Humbel (cvp, AG) erklärte hingegen, dass es bei dieser Passage nur um die Vorbereitung auf Hilfsarbeiten oder um die Tätigkeiten in einer geschützten Werkstatt ginge und ein Verweis auf das Berufsbildungsgesetz daher nicht sinnvoll sei. Bei einem «Missverhältnis zwischen Eingliederungszweck und Kosten der Massnahme» müsse eine flexible Handhabung möglich sein, betonte sie. Knapp entschied sich der Nationalrat mit 92 zu 91 Stimmen gegen den Verweis auf das Berufsbildungsgesetz; die vollständige SVP-Fraktion, eine grosse Mehrheit der FDP.Liberalen-Fraktion sowie einzelne Mitglieder der CVP/EVP-Fraktion setzten sich damit knapp durch. Schliesslich wollte der Bundesrat die zeitliche Einschränkung der Möglichkeiten zur Inanspruchnahme von medizinischen Massnahmen mit dem Ziel der beruflichen Eingliederung vom 20. auf das 25. Altersjahr ausdehnen; jedoch nur, wenn die Versicherten bis zur Vollendung des 20. Altersjahrs berufliche Massnahmen der IV in Anspruch nehmen. Obwohl eine Minderheit Carobbio Guscetti (sp, TI) für eine entsprechende Möglichkeit auch für Personen, die erst später berufliche Massnahmen wahrnähmen, plädierte, entschied sich der Rat deutlich für die vom Bundesrat vorgeschlagene Lösung.
Keine grossen Änderungen nahm der Rat bezüglich der Höhe der Taggelder vor; er passte hier hauptsächlich Formulierungen an. Bezüglich Personen in beruflicher Grundausbildung legte er jedoch fest, dass das Taggeld dem Lohn gemäss Lehrvertrag respektive, falls kein Lehrvertrag vorhanden ist, «auf den Monat hochgerechnet einem nach Alter abgestuften mittleren Einkommen von Personen in vergleichbarer Ausbildungssituation» entsprechen soll. Hier wollte eine Minderheit Gysi (sp, SG) grosszügiger sein und die entsprechenden Werte als Anteile des Höchstbetrags der versicherten Taggelder festlegen, was die grosse Kammer jedoch ablehnte.

Im zweiten Block ging es um die Aktualisierung der Geburtsgebrechenliste, die Angleichung der Leistungen an die Krankenversicherung, Reisekosten sowie um Gutachten. Bezüglich medizinischer Massnahmen bei angeborenen Missbildungen oder bei genetischen Krankheiten legte der Nationalrat neu ausdrücklich die Voraussetzungen für eine Übernahme sowie die übernommenen Leistungen durch die IV fest, wollte aber eine vollständige Auflistung der übernommenen Geburtsgebrechen oder der Höchstbeträge für die Arzneimittel dem Bundesrat überlassen. Der Bundesrat wollte überdies die Dauer der Übernahme der medizinischen Massnahmen sowie den Ausschluss gewisser Leistungen selbst festlegen. Diesen Passus strich die Kommission entgegen einem Antrag einer Minderheit Herzog und berechtigte stattdessen den Bundesrat, Regelungen zu Arzneimitteln, die nicht durch das Schweizerische Heilmittelinstitut zugelassen sind, ausserhalb des Indikationsbereichs angewendet werden oder in der Schweiz nicht zugelassen sind, vorzunehmen. Damit nahm die Kommission ein aktuell virulent diskutiertes Problem auf. Verschiedene Anträge einer Minderheit Herzog auf Übernahme der Reisekosten der Versicherten, etwa zur Durchführungsstelle einer Umschulung oder zur Abgabestelle für Hilfsmittel, lehnte der Rat ab.
Nicht nur im IVG, sondern auch im ATSG sah der Bundesrat Änderungen – insbesondere bezüglich der Gutachten – vor. Diesbezüglich warnte Silvia Schenker (sp, BS) die Parlamentsmitglieder, dass diese Änderungen somit nicht nur die IV-Bezügerinnen und -Bezüger beträfen, sondern alle Sozialversicherten. Dabei schuf der Nationalrat eine Pflicht, den Versicherten die Namen von allenfalls beigezogenen Sachverständigen zu nennen, sowie die Möglichkeit für die Versicherten, diese abzulehnen, verzichtete aber darauf, wie von der Minderheit Schenker gefordert, ausdrücklich festzuhalten, dass diese Sachverständigen «versicherungsextern und unabhängig» zu sein haben. Zudem wollte die Kommission die Kann-Formulierung, gemäss welcher der Bundesrat Kriterien für die Zulassung von Sachverständigen für Gutachten erlassen und eine breit zusammengesetzte Kommission zur Überwachung der Gutachtenerstellung schaffen kann, durch eine Muss-Formulierung ersetzen, wogegen sich zwei Minderheiten Graf (gp, BL) und Weibel (glp, ZH) erfolglos wehrten.

Im dritten Block wurden das Rentensystem und die Kinderrenten behandelt. Im Grundsatz sollte der Anspruch auf eine IV-Rente unverändert bleiben: Anspruch haben demnach weiterhin Personen, deren Erwerbsfähigkeit durch zumutbare Eingliederungsmassnahmen nicht wiederhergestellt, erhalten oder verbessert werden konnte, die während eines Jahres mindestens 40 Prozent arbeitsunfähig waren und die nach Ablauf dieses Jahres zu mindestens 40 Prozent invalid sind. Neu sollte der Rentenanspruch jedoch nicht mehr in Viertelschritten, sondern in prozentualen Anteilen an einer ganzen Rente festgelegt werden. Unter 40-prozentigem Invaliditätsgrad wird demnach keine Rente ausgesprochen, zwischen einem Invaliditätsgrad von 40 und 49 Prozent steigt der prozentuale Anteil an einer Rente von 25 Prozent auf 47.5 Prozent an, zwischen einem Invaliditätsgrad von 50 und 69 Prozent entspricht der Invaliditätsgrad dem prozentualen Anteil an einer gesamten Rente und ab einem Invaliditätsgrad von 70 Prozent erhalten die Versicherten eine ganze Rente zugesprochen. Unterstützt wurde diese neue Rentenberechnung von zwei Minderheiten Ruiz (sp, VD), die sich jedoch für grosszügigere Übergangsbestimmungen einsetzten; abgelehnt wurde sie von einer Minderheit Lohr, die das bisherige System mit den Viertelrenten beibehalten wollte. Sowohl bezüglich ihres neuen Systems zur Rentenberechnung als auch bezüglich der Übergangsbestimmungen blieb die Kommission aber erfolgreich. Der Rentenanspruch von bisherigen Rentenbezügerinnen und -bezügern unter 60 Jahren ändert sich somit erst, wenn sich ihr Invaliditätsgrad ändert; derjenige von IV-Beziehenden ab 60 Jahren wird auch zukünftig dem alten Gesetz folgen. Neu wird die Invalidenrente angepasst, wenn sich der Invaliditätsgrad um mindestens fünf Prozentpunkte verändert; bisher war laut IVG eine «erhebliche» Änderung nötig.
Auch bezüglich der Kinderrenten nahm der Nationalrat verschiedene Änderungen an. So entschied er sich einerseits, den Begriff «Kinderrente» durch «Zulage für Eltern» zu ersetzen, da es sich dabei ja nicht wirklich um eine Rente für Kinder handle. Dagegen wehrte sich eine Minderheit Feri, weil die entsprechenden Änderungen neben dem IVG auch im AHVG, im ELG und im BVG sowie in den dazugehörigen Verordnungen vorgenommen werden müssten und Änderungen von unzähligen Weisungen und Richtlinien nach sich zögen. Der Begriff «Kinderrente» sei zudem passender, weil er verdeutliche, dass dieser Teil der Rente zur Unterstützung der Kinder gedacht sei, erklärte die Minderheitensprecherin. Diesen Inhalt würde der Begriff «Zulage für Eltern» nicht vermitteln. Doch nicht nur die Terminologie änderte die Mehrheit des Nationalrats, sie entschied sich auch, die Zulage für Eltern von 40 auf 30 Prozent respektive von 30 auf 22.5 Prozent einer ganzen Rente zu senken. Die Minderheit Graf zur Beibehaltung der bisherigen Höhe der entsprechenden Zulage wurde überstimmt.

Im vierten Block behandelte der Nationalrat schliesslich diverse noch fehlende Themen. Als erstes verpflichtete der Rat neu im ATSG entgegen der Forderung einer Minderheit Schenker Arbeitgebende, Leistungserbringende, Versicherungen sowie Amtsstellen zur Auskunft an die Organe der Sozialversicherungen – bisher waren die entsprechenden Personen lediglich zur Auskunft «ermächtigt» gewesen. Eine weitere Minderheit Schenker wollte eine Verpflichtung für Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden einführen, mindestens 1 Prozent von der Invalidität bedrohte oder IV-Taggeld beziehende Mitarbeitende zu beschäftigen. Mit 132 zu 55 Stimmen lehnten jedoch alle Parlamentarierinnen und Parlamentarier ausser denjenigen der SP- und der Grünen-Fraktion sowie den zwei EVP-Mitgliedern die entsprechende Regelung ab. Stattdessen schuf der Rat regionale ärztliche Dienste (RAD), die den IV-Stellen zur unabhängigen Beurteilung der medizinischen Voraussetzungen für Leistungsansprüche zur Verfügung stehen sollen. Der Nationalrat ergänzte diesen Passus auf Antrag der Mehrheit der SGK-NR durch eine Aufforderung an die RAD, die behandelnden Ärztinnen und Ärzte sowie die Vertrauensärztinnen und -ärzte der Versicherungen zu kontaktieren. Wiederum hatte eine Minderheit Schenker diese Ergänzung abgelehnt, war jedoch gescheitert. Ebenfalls erfolglos wehrte sich eine Minderheit Herzog gegen Zusammenarbeitsvereinbarungen des Bundesrates und der Dachverbände der Arbeitswelt zur Verbesserung der Wiedereingliederung von Menschen mit einer Behinderung. Zwar unterstütze man die entsprechende Zusammenarbeit, die entsprechende Regelung sei aber unnötig, erklärte Verena Herzog. Mit 93 zu 95 Stimmen scheiterten die (fast) geschlossen stimmenden SVP- und FDP-Fraktionen sowie ein Mitglied der CVP-Fraktion äusserst knapp. Schliesslich stimmte der Nationalrat einer Berechtigung zu, gemäss der Organe von Vorsorgeeinrichtungen andere Vorsorgeeinrichtungen informieren dürfen, wenn sie feststellen, dass bei Letzteren unrechtmässig Leistungen bezogen werden.

Nach vier Sitzungen an zwei Tagen nahm der Nationalrat die Vorlage in der Gesamtabstimmung mit 133 zu 0 Stimmen an, wobei sich die SP- und die Grünen-Fraktion sowie die Mitglieder der EVP der Stimme enthielten (55 Enthaltungen). Diskussionslos schrieb der Rat die Postulate der SGK-NR (Po. 12.3971), Ingold (Po. 14.3191), Hess (Po. 14.4266) und Bruderer Wyss (Po. 15.3206) sowie eine Motion der SGK-NR (Mo. 14.3661) ab.

Weiterentwicklung der IV (BRG 17.022)
Dossier: Weiterentwicklung der IV (2015-2020) und die dazu führenden Vorstösse

In der Herbstsession 2018 behandelte der Nationalrat die Revision der Ergänzungsleistungen und bereinigte dabei einige Differenzen, entschied sich aber bei den zentralen Punkten für Festhalten. Eingelenkt hat die grosse Kammer unter anderem bei den Mietzinsmaxima, nachdem Christian Lohr (cvp, TG) als Minderheitssprecher diesbezüglich deutlich geworden war: Da die Mietzinsmaxima seit einer «verdammt lange[n] Zeit» nicht mehr angepasst worden seien, die Mieten seit der letzten Anpassung jedoch um 24 Prozent gestiegen seien, solle der Nationalrat der Lösung des Ständerats zustimmen. Diese beinhalte eine «gutausgedachte Differenzierungsmöglichkeit», dank der alle so viel erhielten, wie sie benötigten, und nicht mehr. Mit 99 zu 91 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) setzte sich die Minderheit durch, die Ausgabenbremse wurde anschliessend mit 142 zu 52 Stimmen gelöst.
Auch die Differenz zur Mindestbeitragsdauer von zehn Jahren für die AHV, die der Nationalrat anfänglich als Voraussetzung für einen EL-Bezug der Vorlage hinzugefügt hatte, bereinigte die grosse Kammer. Die SGK-NR hatte zuvor Annahme des ständerätlichen Vorschlags und damit einen Verzicht auf diese Regelung empfohlen. Ruth Humbel (cvp, AG) erklärte für die Kommission, dass die Regelung nur Auslandschweizer sowie Personen aus Drittstaaten – insgesamt 4'000 Betroffene –, nicht aber Personen aus der EU treffen würde. Erstere wären in der Folge auf Sozialhilfe angewiesen. Diese Kostenverlagerung zur Sozialhilfe wolle die Kommissionsmehrheit jedoch nicht, erklärte Humbel. Verena Herzog (svp, TG) begründete ihren Minderheitsantrag auf Festhalten an der nationalrätlichen Entscheidung damit, dass es nicht sein könne, dass sich Leute aus Drittstaaten kurz vor ihrer Pensionierung ins Schweizer Sozialsystem «schmuggelten» und damit beinahe kostenlos eine lebenslängliche Rente erhielten. Dieses Argument verfing nicht, der Nationalrat lehnte eine Mindestbeitragsdauer mit 113 zu 79 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) ab.
Auch bezüglich der Anrechnung des Erwerbseinkommens von Ehepartnern ohne Anspruch auf Ergänzungsleistungen folgte die grosse Kammer der Minderheit Lohr. Wenn neu 100 Prozent des Einkommens der Ehepartner von den EL abgezogen würden, darauf aber dennoch Steuern bezahlt werden müssten, würde sich Arbeit nicht mehr lohnen, argumentierte der Minderheitssprecher. Mit 104 zu 91 Stimmen stimmte der Nationalrat mit der Kommissionsminderheit und strich die entsprechende Passage aus dem Gesetz.
Keine Übereinkunft zwischen den Räten wurde bei den Fragen nach der Höhe der Kinderrenten, nach einer Kürzung der Ergänzungsleistungen bei einem vollständigen oder teilweisen Kapitalbezug der Pensionskasse, nach einer Vermögensschwelle sowie nach der Grenze der anrechenbaren Einkommen erzielt; hier entschied sich der Nationalrat für Festhalten. Mit diesen Fragen wird sich somit der Ständerat erneut befassen müssen.

Reform der Ergänzungsleistungen (BRG 16.065)
Dossier: Revisionen des ELG bezüglich Mietzinsmaxima
Dossier: Die EL-Reform (2016-2019) und die dazu führenden Vorstösse

Erich Ettlin (cvp, OW; Mo. 16.3988) und Christian Lohr (cvp, TG; Mo. 16.3948) reichten in beiden Räten gleichlautende Motionen für eine Einführung einer Vergütungspflicht bei im Ausland freiwillig bezogenen OKP-Leistungen ein. Bedingungen für eine entsprechende Vergütung sollten eine ärztliche Verschreibung, tiefere Auslandpreise und ein freiwilliger Entscheid für einen Einkauf im Ausland durch die Patientinnen und Patienten sein. Da Spital- und Arztbehandlungen wegen der Marktabschottung in der Schweiz deutlich teurer seien als im Ausland – Generika und Blutzuckermessstreifen sind gemäss einer Santésuisse-Studie doppelt so teuer wie im Ausland –, sollten Personen, die freiwillig ihre Medikamente im Ausland bezögen und damit einen Beitrag zur Kostensenkung leisteten, nicht durch eine Verweigerung der Vergütung bestraft werden.
Im Rahmen der Motion Heim (sp, SO; Mo. 16.3169) prüfe er bereits, ob eine entsprechende Regelung für MiGeL-Produkte unter gewissen Voraussetzungen sinnvoll sein könne, erklärte der Bundesrat. Diese Überprüfung könne er auf Arzneimittel ausweiten. Eine weitere Öffnung des Territorialitätsprinzips für Arzt- und Spitalbesuche lehnte er hingegen ab. Die steigenden Kosten für ambulante Behandlungen entstünden nicht in erster Linie durch die hohen Tarife, sondern durch die Mengenausweitung. Diese würde aber durch eine Regelung, wie sie die Motionäre vorsahen, allenfalls noch verstärkt. Zudem könnten die Leistungsanbietenden im Ausland nicht auf die für die Vergütung durch die OKP notwendigen Qualitätsvoraussetzungen überprüft werden.
Nachdem der Ständerat die Motion Ettlin im März 2017 der SGK-SR zur Vorberatung zugewiesen hatte, empfahl diese im November desselben Jahres deren Ablehnung. Nach Vorliegen des Berichts der Expertenkommission wolle man der Prioritätensetzung des Bundesrates im Rahmen des ersten Massnahmenpakets zur Kostendämpfung nicht vorgreifen und einzelne Massnahmen bevorzugen. Dieser Argumentation folgte der Ständerat in der Wintersession 2017 mit 25 zu 16 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) und lehnte die Motion Ettlin ab.
Die Motion Lohr wurde Ende 2018 abgeschrieben, nachdem sie während zwei Jahren nicht behandelt worden war.

Einführung einer Vergütungspflicht bei im Ausland freiwillig bezogenen OKP-Leistungen (Mo. 16.3948 und Mo. 16.3988)
Dossier: Änderungsvorschläge zur Mittel- und Gegenständeliste (MiGeL)

Im Juni 2017 veröffentlichte der Bundesrat den Bericht «IV-Anlehre und praktische Ausbildung nach INSOS» in Erfüllung der Postulate Lohr (cvp, TG; Po. 13.3615) und Bulliard-Marbach (cvp, FR; Po. 13.3626). Die beiden Postulate waren eingereicht worden, nachdem das BSV im IV-Rundschreiben Nr. 299 die Voraussetzungen für die Zusprache der Übernahme der behinderungsbedingten Mehrkosten im zweiten Ausbildungsjahr erhöht hatte. In der Zwischenzeit hatte das Bundesgericht entschieden, dass Artikel 16 IVG dem entsprechenden IV-Rundschreiben keine genügende rechtliche Grundlage biete, worauf das BSV das Rundschreiben aufgehoben hatte. Im Bericht verwies der Bundesrat insbesondere auf das Geschäft zur Weiterentwicklung der Invalidenversicherung, in dem er Massnahmen vorschlage, mit denen «die betroffenen Jugendlichen im Übergang von der Schule zur erstmaligen beruflichen Ausbildung und von der Berufsbildung in den Arbeitsmarkt» besser unterstützt werden könnten. Gleichzeitig könnten dort auch Art, Dauer und Inhalt der entsprechenden – zweijährigen – beruflichen Ausbildungen präzisiert werden. Dabei sollte die Zielsetzung eines rentenbeeinflussenden Erwerbseinkommens und der Integration in den ersten Arbeitsmarkt weiterhin eine wichtige Rolle spielen, aber keine Voraussetzung für eine Zusprache der Ausbildung mehr darstellen.

Voraussetzungen für die IV-Anlehre und die praktische Ausbildung nach Insos
Dossier: Praktische Ausbildung nach INSOS

Jugendliche mit einer starken gesundheitlichen Beeinträchtigung, die nicht in der Lage sind, eine Ausbildung nach Berufsbildungsgesetz (BBG) zu absolvieren, erhalten die Möglichkeit einer niederschwelligen ein- oder zweijährigen IV-Anlehre oder einer praktischen Ausbildung nach INSOS. Bedingung ist jedoch, dass eine solche Ausbildung geeignet ist, um der Person eine ihren Fähigkeiten entsprechende Erwerbstätigkeit zu ermöglichen. Das BSV hatte jedoch festgestellt, dass ein beträchtlicher Anteil Absolventinnen und Absolventen auch nach Abschluss der zweijährigen Ausbildung eine ganze IV-Rente benötigte. Es legte in der Folge in einem IV-Rundschreiben im Mai 2011 fest, dass den betroffenen Jugendlichen generell nur noch einjährige Ausbildungen zugesprochen werden sollen. Nur unter der Voraussetzung von guten Aussichten für eine rentenbeeinflussende Eingliederung respektive für eine Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt soll ein zweites Ausbildungsjahr möglich sein.
Diese neue Praxis kritisierten Behindertenorganisationen stark; die Organisationen Insieme Schweiz, Cerebral Schweiz und Procap Schweiz reichten eine Petition mit 107'675 Unterschriften für eine «Berufsbildung für alle – auch für Jugendliche mit Behinderung» ein. Unterstützung erfuhren sie 2015 von einem Rechtsgutachten, das in Artikel 16 IVG keine genügende rechtliche Grundlage für das entsprechende IV-Rundschreiben ausmachte.
Im Dezember 2016 bestätigte das Bundesgericht diese Einschätzung. Daraufhin gab das BSV bekannt, das Rundschreiben mit sofortiger Wirkung aufzuheben und IV-Anlehren und praktische Ausbildungen nach INSOS wieder generell für die Dauer von zwei Jahren zuzusprechen.
In der Zwischenzeit hatten Christian Lohr (cvp, TG; Po. 13.3615) und Christine Bulliard-Marbach (cvp, FR; Po. 13.3626) je ein Postulat eingereicht, die diese Problematik beinhalteten.

IV-Ausbildungen werden wieder zweijährig
Dossier: Praktische Ausbildung nach INSOS

Der Nationalrat überwies mit einer grossen Mehrheit ein Postulat Lohr (cvp, TG) zum Thema der Berufsbildung für junge IV-Beziehende. Im Jahr 2011 hatte das BSV mit einem Rundschreiben die Praxis bei den IV-Anlehren nach Insos verändert. Seither dauern die entsprechenden Ausbildungen grundsätzlich nur noch ein Jahr statt zwei Jahren. Die Gutsprache für ein zweites Jahr wird nur unter der Voraussetzung erteilt, dass für die Zukunft gute Aussichten auf eine Erwerbstätigkeit bestehen. Der Postulant führte Zweifel über die Rechtmässigkeit dieses Vorgehens an; der Vorstoss beauftragt den Bundesrat, eine unabhängige rechtliche Begutachtung zum Sachverhalt vorzulegen.

Voraussetzungen für die IV-Anlehre und die praktische Ausbildung nach Insos
Dossier: Praktische Ausbildung nach INSOS

Nachdem der Nationalrat im Vorjahr diverse Änderungen beschlossen hatte, ging der Entwurf 1 zur 6. IV-Revision im Berichtsjahr ins Differenzbereinigungsverfahren. In der Frühjahrssession befasste sich der Ständerat mit dem Geschäft und hielt dabei an den geforderten Einsparungen fest. Seiner Kommissionsmehrheit und dem Bundesrat folgend und entgegen einer Minderheit Kuprecht (svp, SZ), beschloss der Rat, dem nationalrätlichen Entscheid aus dem Vorjahr, mit den Kinderrenten und der Übernahme von Reisekosten einen umstrittenen Teil des Entwurfes 1 als Entwurf 3 auszukoppeln und an die Kommission zurückzuweisen, zuzustimmen. Die Befürworter der Aufteilung argumentierten, die Chancen der Vorlage bei einem – nicht unwahrscheinlichen – Referendum seien auf diese Weise deutlich höher und die Verzögerung der neu im Entwurf 3 eingeplanten Einsparungen seien angesichts der durch die Revisionen 5 und 6a bereits erreichten Ausgabenrückgänge zu verkraften. Die Gegner beklagten dagegen eine Verwässerung der Revision wegen ungenügender Sparbemühungen. Diese seien beim Volks-Ja zu einer befristeten Erhöhung der Mehrwertsteuer zugunsten der IV Bedingung gewesen. Es sei zu befürchten, dass der Entwurf 3 schliesslich unbehandelt von der politischen Bildfläche verschwinde. Der Nationalrat hatte im Vorjahr die Einführung eines stufenlosen Rentensystems auch für laufende Renten von Personen bis 55 Jahren beschlossen und dabei den minimalen Invaliditätsgrad für eine Vollrente von 80 auf 70% gesenkt. Die Mehrheit der ständerätlichen Kommission empfahl gegen eine Minderheit Maury Pasquier (sp, GE), am ursprünglichen Beschluss des Ständerates festzuhalten. Somit würde das neue System erst für Neurenten eingeführt und der minimale Invaliditätsgrad wäre bei 80% anzusetzen. Im Gegensatz zum Vorschlag des Nationalrates könnten damit tatsächlich Kosten eingespart werden, so die Begründung. Wichtig sei auch der vom Systemwechsel ausgehende Erwerbsanreiz, da zusätzlich verdientes Geld fast vollumfänglich behalten werden könne. Zudem sei das Reintegrationsziel gefährdet, sollte eine volle Rente bereits bei 70% Invalidität gewährt werden. Die Gegner sprachen sich zwar ebenfalls für ein lineares Rentensystem aus, lehnten aber ab, Einsparungen zulasten der Behinderten mit einem Invaliditätsgrad zwischen 70 und 79% vorzunehmen. Die blosse Kostenneutralität der Massnahme sei angesichts der schwarzen Zahlen der IV und der positiven Aussichten durchaus akzeptabel. Die durch die Erhöhung auf 80% angestrebten Einsparungen seien blosse Kostenverlagerungen, denn die Eingliederung gelinge in der Regel nicht und die entstehenden Härtefälle würden in Zukunft auf Ergänzungsleistungen oder Sozialhilfe angewiesen sein. Mit 25 zu 19 Stimmen entschied die kleine Kammer sich schliesslich für den Antrag der Mehrheit, womit eine Differenz zum Nationalrat erhalten blieb. Ein Minderheitsantrag Kuprecht (svp, SZ), der eine Verrechnung der IV-Kinderrenten mit den Familienzulagen verlangte, um zu verhindern, dass IV-beziehende Eltern ein höheres Einkommen erzielen als erwerbstätige, fand keine Mehrheit. Grössere Abweichungen zum Nationalrat bestanden zudem beim Interventionsmechanismus, wo der Nationalrat die Festschreibung von automatischen Massnahmen im Falle einer finanziellen Schieflage gänzlich abgelehnt hatte. Die Kommissionsmehrheit im Ständerat beantragte, am ursprünglichen Beschluss mit einer automatischen Beitragserhöhung und Sistierung der Anpassung der Renten an die Lohn- und Preisentwicklung festzuhalten. Die Schuldenbremse könne eine vernünftige Balance zwischen Einnahmen und Ausgaben herstellen, die nachhaltige Sanierung der IV sei notwendig und dem Volk versprochen worden. Eine Minderheit I Rechsteiner (sp, SG) beantragte, nur den Beitragssatz automatisch zu erhöhen, die selbe Minderheit II sprach sich alternativ für den Beschluss des Nationalrates und damit den Verzicht auf jegliche automatischen Massnahmen aus. Die Bestimmungen, wonach der Gesetzgeber beim Erreichen einer kritischen Grenze Massnahmen zu beschliessen habe, welche durch eine automatische Beitragserhöhung ergänzt würden, sei demokratisch und habe sich in der Arbeitslosenversicherung bewährt, so die Minderheit. Ein automatischer Eingriff in die Renten sei dagegen präzedenzlos und würde zu einer Entkoppelung der IV- von den AHV-Renten führen, womit faktisch das Niveau des Anspruchs zur Existenzsicherung gesenkt werde. Eine solche Absenkung sei verfassungswidrig. Dieser Argumentation folgte jedoch nur knapp ein Drittel der Ratsmitglieder, womit der Mehrheitsantrag deutlich angenommen wurde. In der Sommersession kam das Geschäft zum zweiten Mal in den Nationalrat, wo die Differenzen zum Ständerat nicht vollständig bereinigt werden konnten. So blieb die grosse Kammer gegen den Antrag ihrer Kommissionsmehrheit und mit einer Minderheit Lohr (cvp, TG) bei ihrem Beschluss, bereits ab einem Invaliditätsgrad von 70% eine Vollrente zuzusprechen. Das Resultat fiel dabei mit 108 zu 78 Stimmen recht deutlich aus; Unterstützung fand die Verschärfung nur bei der SVP, der FDP und bei einzelnen Mitgliedern der CVP/EVP-Fraktion. Mit einem sehr ähnlichen Stimmenverhältnis von 107 zu 74 Stimmen sprach der Rat sich dagegen für ein Streichen der Bestimmung zur Anpassung der Renten für Kinder im Ausland lebender IV-Beziehender an die dortige Kaufkraft und diesbezüglich also zugunsten einer Bereinigung mit dem Ständerat aus. Eine Minderheit Bortoluzzi (svp, ZH) hatte verlangt, am früheren Beschluss festzuhalten. Mit 108 zu 74 Stimmen blieb die grosse Kammer hingegen entsprechend dem Antrag ihrer Kommission bei ihrer Haltung gegen eine Schuldenbremse mit automatischen Massnahmen. Wie bereits in früheren Verhandlungen stellten sich dabei SP und Grüne gegen automatische Rentenkürzungen, während die SVP sich gegen höhere Lohnbeiträge wehrte. Diese unheilige Allianz überstimmte die Mitteparteien. Alle Fraktionen stimmten geschlossen ab und es gab keine Enthaltungen. Damit verblieben als Differenzen zwischen den beiden Kammern die Festlegung des minimalen Invaliditätsgrads zur Auszahlung einer Vollrente, die Ausgestaltung des Interventionsmechanismus sowie eine Begriffsänderung im IV-Gesetz. Bereits eine Woche später kam die Vorlage erneut zur Verhandlung in den Ständerat. Dieser hielt gegen Minderheitsanträge von linker Seite an der Schwelle von 80% Invalidität für eine volle Rente und an der Ausgestaltung der Schuldenbremse mit automatischen Beitragserhöhungen und Einfrieren der Renten fest. Zwei Tage später beschloss der Nationalrat, ebenfalls bei seiner Position zu bleiben. Damit kam der Entwurf in die Einigungskonferenz, welche noch in der gleichen Session zusammentrat. Die Konferenz schloss sich mit jeweils sehr knappen Mehrheiten bei der Frage des minimalen Invaliditätsgrads dem Nationalrat, bei jener der Schuldenbremse dem Ständerat an, womit eine Einigung nicht zustande kam. Die Kommissionen mussten daher ihren Räten beantragen, das Geschäft abzuschreiben. Dagegen wehrte sich im Ständerat ein Antrag
Gutzwiller (fdp, ZH), der eine nochmalige Einberufung der Einigungskonferenz verlangte. Dieser Antrag wurde angenommen, am selben Tag lehnte jedoch der Nationalrat einen gleichlautenden Antrag Weibel (glp, ZH) klar ab, wobei sich wiederum eine unheilige Allianz aus Grünen, SP und SVP durchsetzte. Damit wurde Entwurf 1 der IV-Revision 6b definitiv abgeschrieben. Entwurf 3 war im Vorjahr an die Kommission zurückgewiesen und im Berichtsjahr nicht mehr behandelt worden.

Zweites Massnahmenpaket der 6. IV-Revision (IV-Revision 6b)

Die ständerätliche Beratung von Entwurf 1 hatte im Vorjahr zu diversen Abweichungen von der Bundesratsbotschaft geführt. In der Wintersession des Berichtsjahres behandelte der Nationalrat das Thema und nahm weitere Änderungen vor. Die Debatte wurde auch hier intensiv und teilweise emotional geführt. Sie war geprägt vom Gegensatz zwischen zwei Allianzen: Die Ratslinke und der soziale Flügel der CVP auf der einen Seite setzten sich gegen zu starke Belastungen für die Versicherungsnehmer ein und machten geltend, der IV gehe es finanziell bereits deutlich besser, womit sich weitere Reformen im Moment erübrigten. Auf der anderen Seite positionierten sich der bürgerliche Teil der CVP und die übrigen Parteien, welche zugunsten einer konsequenten Sanierung auch bereit waren, stärkere Leistungskürzungen vorzunehmen. In der Eintretensdebatte wurden zwei linke Minderheitsanträge auf Nichteintreten und auf Rückweisung an den Bundesrat klar abgelehnt. Ein Antrag der Minderheit Ingold (evp, ZH), welcher vom Bundesrat unterstützt wurde, wurde dagegen knapp angenommen. Er verlangte eine Aufsplittung der Vorlage und die Rückweisung bestimmter Artikel als Entwurf 3 an die Kommission. Letztere sollte die betreffenden Bestimmungen erst beraten, wenn aussagekräftige Ergebnisse der Evaluation der Revisionen 5 und 6a vorliegen. Es handelt sich dabei insbesondere um die besonders umstrittenen Änderungen bei den Kinderrenten und der Übernahme von Reisekosten. Die Mehrheit des Rates teilte die Ansicht der Kommissionsminderheit, wonach eine verspätete Einführung dieser Bestimmungen angesichts der leicht verbesserten finanziellen Lage der IV und der neusten wirtschaftlichen und demographischen Prognosen für die Sanierung der IV verkraftbar sei. Der restliche Teil von Entwurf 1, der strukturelle Verbesserungen anstrebt (Änderung des Rentensystems von einer abgestuften hin zu einer stufenlosen Berechnung, verstärkte Eingliederung, Betrugsbekämpfung, Entschuldung, Einführung eines Interventionsmechanismus) sollte dagegen sofort beraten werden. Mit der Aufsplittung wollte die Minderheit das Risiko eines Scheiterns des als wichtig betrachteten neuen, stufenlosen Rentensystems durch eine allfällige Ablehnung der gesamten Vorlage vermeiden. Die Presse sprach von einem taktischen Entscheid im Hinblick auf das angedrohte Referendum der Behindertenorganisationen. In der Detailberatung wurde ein Minderheitenantrag Ingold (cvp, ZH), welcher die Dauer von Integrationsmassnahmen auf ein Maximum von zwei Jahren beschränken wollte, mit 101 zu 82 Stimmen abgelehnt. Die Frage nach der Höhe der Grundentschädigung spaltete den Rat: Die Kommissionsmehrheit beantragte, vom Entwurf des Bundesrates abzuweichen und die Höhe der Grundentschädigung während der Durchführung von Eingliederungsmassnahmen auf 70% anstelle von 80% des zuletzt erzielten Erwerbseinkommens ohne gesundheitliche Beeinträchtigung zu senken. Der Ständerat war als Erstrat noch dem Bundesrat gefolgt. Eine Minderheit Lohr (cvp, TG) wollte bei 80% bleiben, da das zuletzt erzielte Erwerbseinkommen aufgrund eines sich meist schleichend verschlechternden Gesundheitszustandes in der Regel schon sehr tief sei. Die Ratslinke und die CVP folgten dem Minderheitsantrag, während die restlichen bürgerlichen Parteien mit der Kommissionsmehrheit stimmten. Erst mit Stichentscheid der Ratspräsidentin Maya Graf (gps, BL) wurde schliesslich der Minderheitsantrag angenommen. Besonders umstritten und auch von den Medien stark beachtet war die Frage, ab welchem Invaliditätsgrad in Zukunft eine Vollrente ausgesprochen werden sollte. Nach gültigem Recht beträgt dieser 70%, die Bundesratsvorlage wollte die Schwelle jedoch auf 80% anheben. Während die Kommissionsmehrheit damit einverstanden war, wehrte sich eine Minderheit Lohr (cvp, TG) mit dem Argument, die Kürzung würde Schwerbehinderte treffen, für welche es faktisch unmöglich sei, den Ausfall mit einer Teilerwerbstätigkeit auszugleichen. Der Rat folgte dieser Minderheit mit 95 zu 87 Stimmen und nahm damit zwar das neue, stufenlose Rentensystem an, beliess aber den minimalen Invaliditätsgrad für eine Vollrente bei 70%. Im Gegensatz zum Ständerat und in Einklang mit seiner Kommissionsmehrheit beschloss der Nationalrat, auch laufende Renten dem neuen System zu unterstellen. Ausgenommen werden sollen einzig die Renten der über 55-jährigen Bezüger. Eine weitere Differenz zum Ständerat ergab sich in der Frage der Bemessung der Kinderrenten für im Ausland lebende Kinder. Dieser Punkt war im Gegensatz zu den allgemeinen Kinderrenten im Entwurf 1 verblieben. Die grosse Kammer folgte ihrer Kommissionsmehrheit und beschloss, die Renten der im Ausland herrschenden tieferen Kaufkraft anzupassen. Zuletzt behandelte die grosse Kammer die neue Schuldenbremse für die IV, den so genannten Interventionsmechanismus. Dieser soll bei einem Absinken der flüssigen Mittel der IV unter 40% einer Jahresausgabe wirksam werden, damit die IV finanziell stabil gehalten werden kann. Im Gegensatz zum Ständerat lehnte es der Nationalrat gänzlich ab, im Gesetz konkrete Massnahmen zu statuieren, welche bei drohenden Finanzierungsproblemen automatisch greifen sollten. Er strich auch einen Artikel, wonach die Schuldenbremse erst dann wieder ausser Kraft gesetzt worden wäre, wenn die flüssigen Mittel erneut 50% einer Jahresausgabe erreicht hätten. Ein Antrag Weibel (glp, ZH) schliesslich, der erneut die Idee verbindlicher Quoten für Unternehmen zur Eingliederung von Invaliden aufgriff, wurde mit 70 zu 108 Stimmen abgelehnt. In der Gesamtabstimmung sprachen sich 93 Nationalratsmitglieder für eine Annahme der Vorlage aus, 80 dagegen. Die Gegenstimmen kamen primär aus der SVP- und der FDP-Liberalen Fraktion, welche die Vorlage aufgrund der beschlossenen Änderungen als nicht mehr wirksam ansahen und sich geschlossen gegen sie stellten. SP, Grüne und Grünliberale stellten sich geschlossen, die CVP-EVP-Fraktion grossmehrheitlich hinter die Vorlage. Die BDP-Fraktion war gespalten. Die Differenzbereinigung durch den Ständerat wird im Folgejahr erwartet.

Zweites Massnahmenpaket der 6. IV-Revision (IV-Revision 6b)