Die Räte begannen die Beratung des Entwurfs zu einem Bundesgesetz betreffend die Aufsicht über die soziale Krankenversicherung, den der Bundesrat im Vorjahr vorgelegt hatte. Das neue Gesetz soll Lücken schliessen, welche bestehen, weil das Krankenversicherungsgesetz (KVG) bei seiner Schaffung 1994 primär auf die Finanzierung der sozialen Krankenversicherung ausgerichtet worden war. Die Aufsicht dagegen ist nach Sicht des Bundesrates bisher ungenügend geregelt. Da eine Integration ins KVG nicht zweckdienlich wäre, soll ein eigenständiges Gesetz geschaffen werden, das in rund 60 Artikeln Verbesserungen im Bereich der finanziellen Sicherheit und Transparenz bietet, die Unternehmensführung der Kassen strenger regelt, die Kompetenzen der Aufsichtsbehörde erweitert und griffige Strafmassnahmen enthält. Konkret beinhaltet der Entwurf Vorschriften zur Unternehmensführung der Kassen mit Unvereinbarkeitsregelungen und Offenlegungspflichten hinsichtlich leitender Organe, welche denen für börsenkotierte Unternehmen ähnlich sind. Für die Aufsicht über Versicherungskonzerne, die sowohl in der Grund- als auch in der Zusatzversicherung tätig sind, soll ein Informationsaustausch zwischen dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) und anderen Aufsichtsbehörden, insbesondere der Finanzmarktaufsicht (Finma), ermöglicht werden. Neu sollen die Mindestreserven der Kassen anhand der tatsächlichen Risiken für jede Kasse einzeln berechnet werden. Das Verfahren zur Genehmigung der Prämientarife wird im bundesrätlichen Entwurf präzisiert. Die Prämien müssen in jedem Fall kostendeckend sein; stellen sie sich im Nachhinein als zu tief heraus, muss die Lücke aus den Reserven gedeckt und die Reserven im folgenden Jahr durch eine Prämienerhöhung wieder aufgefüllt werden. Die Aufsichtsbehörde soll umgekehrt auch die Rückerstattung zu hoher Prämien anordnen können. Das neue Gesetz soll die bisher bereits üblichen Anordnungen der Behörden zur Sanierung von Kassen auf eine rechtliche Grundlage stellen und im extremen Fall einen Bewilligungsentzug erlauben, bevor der Konkurs über einen Versicherer eröffnet wird. Schliesslich sollen die möglichen Ordnungsbussen bei Zuwiderhandlung für Versicherer und leitende Personen von CHF 5'000 auf neu maximal CHF 500'000 erhöht und auch Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren möglich werden. Erstrat war der Ständerat, der sich des Geschäfts in der Frühjahrssession annahm. Er beschloss dabei auch, die Vorlage mit jener über die Korrektur der zwischen 1996 und 2011 zu viel bezahlten Prämien zu verknüpfen, damit einerseits die Situation der Vergangenheit korrigiert und andererseits Massnahmen für die zukünftige Verhinderung einer Wiederholung dieser Situation getroffen werden können. Trotz diverser Divergenzen, insbesondere des Einwands der Überregulierung seitens der SVP, schien ein gewisser Konsens über die Notwendigkeit eines Ausbaus der Aufsicht zu herrschen. Es wurden keine Nichteintretens- oder Rückweisungsanträge gestellt. Die SGK-S hatte in einem langen Beratungs- und Konsultationsprozess eine Variante zum Entwurf des Bundesrates erarbeitet, welcher der Rat mehrheitlich folgte. So beschloss die kleine Kammer, die Aufsicht über Versicherungsgruppen weniger umfassend zu regeln als dies der Bundesrat vorgesehen hatte: Nach dem Entwurf der SGK sollte das BAG nicht alle Zahlungen zwischen den einzelnen Versicherungszweigen innerhalb der Gruppe überprüfen können. Die Absicht des Bundesrates, zukünftig die Vermittlung von Kunden und die Werbung regeln zu können, ging der Kommissionsmehrheit zu weit, eine Minderheit Bruderer (sp, AG) beantragte jedoch, an der Bestimmung festzuhalten. Der Rat folgte der Minderheit äusserst knapp mit Stichentscheid des Präsidenten Lombardi (cvp, TI). Mit einer deutlichen Mehrheit stimmte die Kammer dagegen für einen Antrag ihrer Kommission, wonach die Grösse des Insolvenzfonds für die Kassen weiterhin durch deren gemeinsame Einrichtung bestimmt werden soll. Der Bundesrat hatte eine Ausrichtung nach den tatsächlich abzudeckenden Risiken vorgesehen, was eine massive Aufstockung des Fonds verlangt hätte. In der Gesamtabstimmung hiess der Rat das neue Aufsichtsgesetz mit 31 zu 4 Stimmen bei 7 Enthaltungen gut. Die Beratung im Nationalrat fand in der Wintersession statt. Hier waren die Divergenzen deutlich ausgeprägter als im Ständerat. So beantragte die von den Mitteparteien unterstützte Kommissionsmehrheit, das Geschäft nach Eintreten mit dem Antrag an den Bundesrat zurückzuweisen, eine Ergänzung und Verbesserung der Aufsicht mit einer Teilrevision des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) vorzunehmen und auf die Schaffung eines neuen Gesetzes zu verzichten. Dabei solle er die betroffenen Kreise einbeziehen. Eine Minderheit Bortoluzzi (svp, ZH) beantragte Nichteintreten, eine Minderheit Fehr Jacqueline (sp, ZH) die Ablehnung des Rückweisungsantrages. Die Mehrheit argumentierte, der Entwurf überschneide sich inhaltlich mit jenem zur Rückerstattung der zu viel bezahlten Prämien, was bei der Anwendung zu Interpretationsschwierigkeiten führen werde. Er schaffe eine Überreglementierung in einem ohnehin sehr stark beschränkten Wettbewerb und führe zu zusätzlicher Bürokratie. Zudem würde die vorgängige Genehmigung und nachträgliche Korrektur der Prämien durch den Staat de facto zu staatlichen Prämien führen, was das System einer Einheitskasse annähere. Die Minderheit Bortoluzzi vertrat die Ansicht, das bisherige System der Krankenversicherung habe gute Dienste erwiesen und die derzeitigen Instrumente für die Aufsicht seien ausreichend, würden sie denn konsequent genutzt werden. Der vorliegende Entwurf diene primär der Besänftigung der Befürworter einer Einheitskasse. Schliesslich trat der Rat mit 132 gegen 46 Stimmen bei 8 Enthaltungen auf das Geschäft ein und wies es anschliessend mit 98 zu 83 Stimmen bei 6 Enthaltungen an den Bundesrat zurück. Für die Rückweisungen stimmten SVP und BDP sowie die Mehrheit der FDP und der CVP. Die Antwort des Ständerates auf die Rückweisungsabsicht stand im Berichtsjahr noch aus.
Aufsicht über die soziale Krankenversicherung (BRG 12.027)
Dossier: Korrektur der zu viel bezahlten Krankenkassenprämien (zwischen 1996 und 2011)
Dossier: Krankenkassenreserven