Suche zurücksetzen

Inhalte

  • Sozialversicherungen

Akteure

  • Ruiz, Rebecca (sp/ps, VD) NR/CN
  • Rochat Fernandez, Nicolas (sp/ps, VD) NR/CN
  • Buttet, Yannick (cvp/pdc, VS) NR/CN

Prozesse

3 Resultate
Als PDF speichern Weitere Informationen zur Suche finden Sie hier

In der Frühjahrssession 2019 stand die Behandlung der Weiterentwicklung der IV auf dem Programm des Nationalrats. Zuvor hatte die SGK-NR die Vorlage mit 15 zu 0 Stimmen (bei 7 Enthaltungen) zur Annahme empfohlen, nachdem sie zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter der SODK, der Dachverbände der Sozialpartnerinnen und Sozialpartner, der Ärztinnen und Ärzte, der Behindertenorganisationen und der IV-Stellen sowie einen Experten angehört und acht Berichte in Auftrag gegeben hatte. Zu Beginn erinnerte Kommissionssprecher Lohr (cvp, TG) den Rat daran, ob den vielen diskutierten Zahlen nicht zu vergessen, dass es hier um Menschen und ihre Schicksale gehe. In der Folge fasste er die zentralen Aspekte der Vorlage zusammen: eine bessere Integration von jungen sowie von psychisch beeinträchtigten Menschen in den Arbeitsmarkt, medizinische Massnahmen für Kinder mit Geburtsgebrechen, ein stufenloses Rentensystem, Gutachten sowie die Übernahme von Themenkomplexen aus der Revision 6b. Hingegen verzichte man auf eine anfangs beabsichtigte Streichung der Renten für Personen unter 30 Jahren, da es diesbezüglich keine praktikablen Lösungen gebe: Entweder man zahle die entsprechenden Renten bei nichteingliederungsfähigen Personen dennoch aus oder die Sozialhilfe würde zukünftig für sie aufkommen müssen, wobei zusätzlich der Verlust der Restarbeitsfähigkeit drohe. Das Verhältnis des Einsparungspotenzials der vom Bundesrat (CHF 13 Mio.) und von der Kommission (CHF 67 Mio.) vorgelegten Versionen und der Gesamtausgaben der IV von CHF 9.2 Mrd. im Jahr 2017 zeige auf, dass es sich um eine Optimierungsvorlage handle, erklärte Lohr. Man wolle damit «die IV [noch stärker] als Eingliederungsversicherung» positionieren.
In diesem letzten Punkt herrschte im Rat mehrheitlich Einigkeit: Die Sprecherinnen und Sprecher der meisten Parteien lobten die Zielsetzung der Vorlage und auch die Sprecherinnen der SP und der Grünen hiessen die bundesrätliche Vorlage gut. Sie hoben jedoch hervor, dass sie die von der bürgerlichen Kommissionsmehrheit geplanten Abbaumassnahmen in dieser Optimierungsvorlage bekämpfen würden. Einzig SVP-Vertreterin Herzog (svp, TG) wies auf die zwischen 2010 und 2014 noch immer gestiegenen Kosten der IV und auf die Notwendigkeit einer Sanierung hin. Eintreten war in der Folge jedoch nicht umstritten.

Zuerst setzte sich der Nationalrat mit dem «Herzstück» der Vorlage auseinander, wie es unzählige Sprechende betonten: der beruflichen Eingliederung und dem Taggeld. Dazu hatte der Bundesrat neu einen Artikel zur Früherfassung geschaffen, mit dem die persönliche Situation der Versicherten abgeklärt und mögliche Massnahmen zur Frühintervention bei 14- bis 25-Jährigen von Invalidität bedrohten Personen sowie bei arbeitsunfähigen Personen geprüft werden können. Der Nationalrat stimmte dieser Regelung entgegen dem Antrag einer Minderheit Herzog zu. Zudem sollten die Massnahmen der Frühintervention zukünftig auch dazu beitragen, Personen unter 25 Jahren den Zugang zu einer beruflichen Ausbildung und den Eintritt in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Bisher dienten sie lediglich der Erhaltung der Arbeitsplätze oder der Eingliederung der Versicherten an neuen Arbeitsplätzen. Bezüglich der erstmaligen beruflichen Ausbildung präzisierte der Bundesrat das bisherige Gesetz und verwies ausdrücklich auf die berufliche Eingliederung «im ersten Arbeitsmarkt». Eine Minderheit Lohr versuchte zu erreichen, dass sich die Dauer dieser Eingliederungsmassnahmen zukünftig nach dem Berufsbildungsgesetz richten und entsprechend mindestens zwei Jahre dauern soll. Dadurch könnten die Vorgaben der UNO-Behindertenrechtskonvention sowie eines Urteils des Bundesgerichts, wonach eine IV-Anlehre grundsätzlich zwei Jahre zu dauern hat, eingehalten werden, argumentierte zum Beispiel Yvonne Feri (sp, AG). Ruth Humbel (cvp, AG) erklärte hingegen, dass es bei dieser Passage nur um die Vorbereitung auf Hilfsarbeiten oder um die Tätigkeiten in einer geschützten Werkstatt ginge und ein Verweis auf das Berufsbildungsgesetz daher nicht sinnvoll sei. Bei einem «Missverhältnis zwischen Eingliederungszweck und Kosten der Massnahme» müsse eine flexible Handhabung möglich sein, betonte sie. Knapp entschied sich der Nationalrat mit 92 zu 91 Stimmen gegen den Verweis auf das Berufsbildungsgesetz; die vollständige SVP-Fraktion, eine grosse Mehrheit der FDP.Liberalen-Fraktion sowie einzelne Mitglieder der CVP/EVP-Fraktion setzten sich damit knapp durch. Schliesslich wollte der Bundesrat die zeitliche Einschränkung der Möglichkeiten zur Inanspruchnahme von medizinischen Massnahmen mit dem Ziel der beruflichen Eingliederung vom 20. auf das 25. Altersjahr ausdehnen; jedoch nur, wenn die Versicherten bis zur Vollendung des 20. Altersjahrs berufliche Massnahmen der IV in Anspruch nehmen. Obwohl eine Minderheit Carobbio Guscetti (sp, TI) für eine entsprechende Möglichkeit auch für Personen, die erst später berufliche Massnahmen wahrnähmen, plädierte, entschied sich der Rat deutlich für die vom Bundesrat vorgeschlagene Lösung.
Keine grossen Änderungen nahm der Rat bezüglich der Höhe der Taggelder vor; er passte hier hauptsächlich Formulierungen an. Bezüglich Personen in beruflicher Grundausbildung legte er jedoch fest, dass das Taggeld dem Lohn gemäss Lehrvertrag respektive, falls kein Lehrvertrag vorhanden ist, «auf den Monat hochgerechnet einem nach Alter abgestuften mittleren Einkommen von Personen in vergleichbarer Ausbildungssituation» entsprechen soll. Hier wollte eine Minderheit Gysi (sp, SG) grosszügiger sein und die entsprechenden Werte als Anteile des Höchstbetrags der versicherten Taggelder festlegen, was die grosse Kammer jedoch ablehnte.

Im zweiten Block ging es um die Aktualisierung der Geburtsgebrechenliste, die Angleichung der Leistungen an die Krankenversicherung, Reisekosten sowie um Gutachten. Bezüglich medizinischer Massnahmen bei angeborenen Missbildungen oder bei genetischen Krankheiten legte der Nationalrat neu ausdrücklich die Voraussetzungen für eine Übernahme sowie die übernommenen Leistungen durch die IV fest, wollte aber eine vollständige Auflistung der übernommenen Geburtsgebrechen oder der Höchstbeträge für die Arzneimittel dem Bundesrat überlassen. Der Bundesrat wollte überdies die Dauer der Übernahme der medizinischen Massnahmen sowie den Ausschluss gewisser Leistungen selbst festlegen. Diesen Passus strich die Kommission entgegen einem Antrag einer Minderheit Herzog und berechtigte stattdessen den Bundesrat, Regelungen zu Arzneimitteln, die nicht durch das Schweizerische Heilmittelinstitut zugelassen sind, ausserhalb des Indikationsbereichs angewendet werden oder in der Schweiz nicht zugelassen sind, vorzunehmen. Damit nahm die Kommission ein aktuell virulent diskutiertes Problem auf. Verschiedene Anträge einer Minderheit Herzog auf Übernahme der Reisekosten der Versicherten, etwa zur Durchführungsstelle einer Umschulung oder zur Abgabestelle für Hilfsmittel, lehnte der Rat ab.
Nicht nur im IVG, sondern auch im ATSG sah der Bundesrat Änderungen – insbesondere bezüglich der Gutachten – vor. Diesbezüglich warnte Silvia Schenker (sp, BS) die Parlamentsmitglieder, dass diese Änderungen somit nicht nur die IV-Bezügerinnen und -Bezüger beträfen, sondern alle Sozialversicherten. Dabei schuf der Nationalrat eine Pflicht, den Versicherten die Namen von allenfalls beigezogenen Sachverständigen zu nennen, sowie die Möglichkeit für die Versicherten, diese abzulehnen, verzichtete aber darauf, wie von der Minderheit Schenker gefordert, ausdrücklich festzuhalten, dass diese Sachverständigen «versicherungsextern und unabhängig» zu sein haben. Zudem wollte die Kommission die Kann-Formulierung, gemäss welcher der Bundesrat Kriterien für die Zulassung von Sachverständigen für Gutachten erlassen und eine breit zusammengesetzte Kommission zur Überwachung der Gutachtenerstellung schaffen kann, durch eine Muss-Formulierung ersetzen, wogegen sich zwei Minderheiten Graf (gp, BL) und Weibel (glp, ZH) erfolglos wehrten.

Im dritten Block wurden das Rentensystem und die Kinderrenten behandelt. Im Grundsatz sollte der Anspruch auf eine IV-Rente unverändert bleiben: Anspruch haben demnach weiterhin Personen, deren Erwerbsfähigkeit durch zumutbare Eingliederungsmassnahmen nicht wiederhergestellt, erhalten oder verbessert werden konnte, die während eines Jahres mindestens 40 Prozent arbeitsunfähig waren und die nach Ablauf dieses Jahres zu mindestens 40 Prozent invalid sind. Neu sollte der Rentenanspruch jedoch nicht mehr in Viertelschritten, sondern in prozentualen Anteilen an einer ganzen Rente festgelegt werden. Unter 40-prozentigem Invaliditätsgrad wird demnach keine Rente ausgesprochen, zwischen einem Invaliditätsgrad von 40 und 49 Prozent steigt der prozentuale Anteil an einer Rente von 25 Prozent auf 47.5 Prozent an, zwischen einem Invaliditätsgrad von 50 und 69 Prozent entspricht der Invaliditätsgrad dem prozentualen Anteil an einer gesamten Rente und ab einem Invaliditätsgrad von 70 Prozent erhalten die Versicherten eine ganze Rente zugesprochen. Unterstützt wurde diese neue Rentenberechnung von zwei Minderheiten Ruiz (sp, VD), die sich jedoch für grosszügigere Übergangsbestimmungen einsetzten; abgelehnt wurde sie von einer Minderheit Lohr, die das bisherige System mit den Viertelrenten beibehalten wollte. Sowohl bezüglich ihres neuen Systems zur Rentenberechnung als auch bezüglich der Übergangsbestimmungen blieb die Kommission aber erfolgreich. Der Rentenanspruch von bisherigen Rentenbezügerinnen und -bezügern unter 60 Jahren ändert sich somit erst, wenn sich ihr Invaliditätsgrad ändert; derjenige von IV-Beziehenden ab 60 Jahren wird auch zukünftig dem alten Gesetz folgen. Neu wird die Invalidenrente angepasst, wenn sich der Invaliditätsgrad um mindestens fünf Prozentpunkte verändert; bisher war laut IVG eine «erhebliche» Änderung nötig.
Auch bezüglich der Kinderrenten nahm der Nationalrat verschiedene Änderungen an. So entschied er sich einerseits, den Begriff «Kinderrente» durch «Zulage für Eltern» zu ersetzen, da es sich dabei ja nicht wirklich um eine Rente für Kinder handle. Dagegen wehrte sich eine Minderheit Feri, weil die entsprechenden Änderungen neben dem IVG auch im AHVG, im ELG und im BVG sowie in den dazugehörigen Verordnungen vorgenommen werden müssten und Änderungen von unzähligen Weisungen und Richtlinien nach sich zögen. Der Begriff «Kinderrente» sei zudem passender, weil er verdeutliche, dass dieser Teil der Rente zur Unterstützung der Kinder gedacht sei, erklärte die Minderheitensprecherin. Diesen Inhalt würde der Begriff «Zulage für Eltern» nicht vermitteln. Doch nicht nur die Terminologie änderte die Mehrheit des Nationalrats, sie entschied sich auch, die Zulage für Eltern von 40 auf 30 Prozent respektive von 30 auf 22.5 Prozent einer ganzen Rente zu senken. Die Minderheit Graf zur Beibehaltung der bisherigen Höhe der entsprechenden Zulage wurde überstimmt.

Im vierten Block behandelte der Nationalrat schliesslich diverse noch fehlende Themen. Als erstes verpflichtete der Rat neu im ATSG entgegen der Forderung einer Minderheit Schenker Arbeitgebende, Leistungserbringende, Versicherungen sowie Amtsstellen zur Auskunft an die Organe der Sozialversicherungen – bisher waren die entsprechenden Personen lediglich zur Auskunft «ermächtigt» gewesen. Eine weitere Minderheit Schenker wollte eine Verpflichtung für Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden einführen, mindestens 1 Prozent von der Invalidität bedrohte oder IV-Taggeld beziehende Mitarbeitende zu beschäftigen. Mit 132 zu 55 Stimmen lehnten jedoch alle Parlamentarierinnen und Parlamentarier ausser denjenigen der SP- und der Grünen-Fraktion sowie den zwei EVP-Mitgliedern die entsprechende Regelung ab. Stattdessen schuf der Rat regionale ärztliche Dienste (RAD), die den IV-Stellen zur unabhängigen Beurteilung der medizinischen Voraussetzungen für Leistungsansprüche zur Verfügung stehen sollen. Der Nationalrat ergänzte diesen Passus auf Antrag der Mehrheit der SGK-NR durch eine Aufforderung an die RAD, die behandelnden Ärztinnen und Ärzte sowie die Vertrauensärztinnen und -ärzte der Versicherungen zu kontaktieren. Wiederum hatte eine Minderheit Schenker diese Ergänzung abgelehnt, war jedoch gescheitert. Ebenfalls erfolglos wehrte sich eine Minderheit Herzog gegen Zusammenarbeitsvereinbarungen des Bundesrates und der Dachverbände der Arbeitswelt zur Verbesserung der Wiedereingliederung von Menschen mit einer Behinderung. Zwar unterstütze man die entsprechende Zusammenarbeit, die entsprechende Regelung sei aber unnötig, erklärte Verena Herzog. Mit 93 zu 95 Stimmen scheiterten die (fast) geschlossen stimmenden SVP- und FDP-Fraktionen sowie ein Mitglied der CVP-Fraktion äusserst knapp. Schliesslich stimmte der Nationalrat einer Berechtigung zu, gemäss der Organe von Vorsorgeeinrichtungen andere Vorsorgeeinrichtungen informieren dürfen, wenn sie feststellen, dass bei Letzteren unrechtmässig Leistungen bezogen werden.

Nach vier Sitzungen an zwei Tagen nahm der Nationalrat die Vorlage in der Gesamtabstimmung mit 133 zu 0 Stimmen an, wobei sich die SP- und die Grünen-Fraktion sowie die Mitglieder der EVP der Stimme enthielten (55 Enthaltungen). Diskussionslos schrieb der Rat die Postulate der SGK-NR (Po. 12.3971), Ingold (Po. 14.3191), Hess (Po. 14.4266) und Bruderer Wyss (Po. 15.3206) sowie eine Motion der SGK-NR (Mo. 14.3661) ab.

Weiterentwicklung der IV (BRG 17.022)
Dossier: Weiterentwicklung der IV (2015-2020) und die dazu führenden Vorstösse

Im September 2018 nahm der Bundesrat zum Entwurf der SGK-NR im Rahmen der parlamentarischen Initiative Borer (svp, SO) für eine Stärkung der Selbstverantwortung im KVG Stellung. Er erklärte seine Unterstützung für den Minderheitsantrag Carobbio Guscetti (sp, TI) auf Nichteintreten, da das strategische Wechseln der Franchisen gemäss dem Bericht der SGK-NR nur in 0.17 Prozent der Fälle vorkomme und die Krankenversicherungen dadurch jährlich lediglich CHF 5 Mio. einsparen könnten. Diesem geringen Vorteil stünden jedoch zahlreiche Nachteile gegenüber, etwa eine Schwächung der Selbstverantwortung durch häufigere Wahl der Grundfranchise, Mehrkosten für EL und Sozialhilfe und somit auch für Kantone und Gemeinden sowie ein administrativer Mehraufwand für die Krankenversicherungen.
In der Wintersession 2018 behandelte der Nationalrat den Entwurf. Als Kommissionssprecher betonten Philippe Nantermod (fdp, VS) und Heinz Brand (svp, GR) noch einmal den Nutzen der Vorlage: Das opportunistische «Franchisenhüpfen» müsse gestoppt werden, auch wenn es sich dabei um ein untergeordnetes Problem handle. Barbara Gysi (sp, SG) kritisierte im Namen der Minderheit Carobbio Guscetti vor allem das Verhalten der Kommission, die trotz mehrheitlich negativer Vernehmlassungsantworten keinen der Kritikpunkte in die Vorlage aufgenommen hatte. Mit 111 zu 68 Stimmen bei einer Enthaltung sprach sich der Nationalrat für Eintreten auf die Vorlage aus. Während die SP- und die Grünen-Fraktion Eintreten geschlossen ablehnten, war die Situation aufseiten der Bürgerlichen weniger deutlich. Gespalten zeigte sich insbesondere die FDP-Fraktion, aber auch in der SVP- und der CVP-Fraktion lehnten einzelne Personen eine Behandlung der Vorlage ab. Knapper scheiterte der Antrag Grüter (svp, LU) auf Rückweisung an die Kommission: Mit 86 zu 81 Stimmen bei 13 Enthaltungen stimmte der Rat für die Behandlung der Vorlage, wobei hier die Fronten quer durch die meisten Fraktionen verliefen.
In der Detailberatung versuchte eine Minderheit Ruiz (sp, VD), eine Ausnahmeklausel für Personen, bei denen neu eine chronische oder schwere Krankheit diagnostiziert wurde, zu schaffen. Eine solche lehnte der Nationalrat jedoch mit 118 zu 56 Stimmen (bei 1 Enthaltung) ab. Ebenfalls abgelehnt wurde eine vom Bundesrat vorgeschlagene und von der Kommissionsmehrheit unterstützte Pflicht für die Krankenversicherungen, die Versicherten zwei Monate vor Ablauf der Frist auf ihre Wahlmöglichkeit hinzuweisen. Mit 112 zu 62 Stimmen (3 Enthaltungen) folgte die grosse Kammer einer Minderheit Humbel (cvp, AG), welche unter anderem die Kosten für die Versicherungen «ohne Mehrwert für die Versicherten» scheute. Mit 113 zu 60 Stimmen (bei 5 Enthaltungen) verabschiedete der Rat die Vorlage in der Gesamtabstimmung.

Pa. Iv. für eine dreijährige Vertragsdauer für alle besonderen Versicherungsformen (Franchisen, eingeschränkte Wahl usw.; Pa.Iv. 15.468)
Dossier: Krankenversicherung: Vorstösse zu Wahlfranchisen

Im Mai 2018 legte der Bundesrat dem Parlament die Botschaft zur Neuregelung der Zulassung von Leistungserbringenden vor, welche die zeitlich begrenzte Zulassungsbeschränkung der Leistungserbringenden ablösen soll. Die Vorlage will die Anforderungen an die Leistungserbringenden erhöhen, die Qualität und Wirtschaftlichkeit ihrer Leistungen steigern und den Kantonen ein Kontrollinstrument für das Leistungsangebot in die Hand geben. Aufgrund der Vernehmlassungsantworten hatte der Bundesrat in der Zwischenzeit einige Änderungen an der Vorlage vorgenommen: Neu sollen die Kantone für die Zulassungssteuerung und die Aufsicht über die Einhaltung der Auflagen zuständig sein, nicht mehr die Versicherer. Zudem wurde die zweijährige Wartefrist für die Leistungserbringenden vor Zulassung zur Leistungserbringung im Rahmen der OKP durch eine mindestens dreijährige Tätigkeit an einer schweizerischen Weiterbildungsstätte ersetzt.

Im Sommer 2018 beriet die SGK-NR die Botschaft des Bundesrats und trat ohne Gegenstimme auf die Vorlage ein. Sie ersetzte insbesondere einige Kann- durch Muss-Bestimmungen und erweiterte den Geltungsbereich der Regelungen auf den ambulanten Spitalbereich. Ärztinnen und Ärzte sollen sich zur Zulassung zur OKP einer zertifizierten Gemeinschaft gemäss EPDG anschliessen müssen. Zudem soll ein Register über die ambulant tätigen Leistungserbringenden die Transparenz erhöhen. Die Kommission verabschiedete ihren Vorschlag mit 16 zu 4 Stimmen bei 3 Enthaltungen.

In der Wintersession 2018 folgte die Erstbehandlung der Vorlage im Nationalrat. Ruth Humbel (cvp, AG) und Raymond Clottu (svp, NE) präsentierten sie dem Rat, der ohne Gegenantrag auf die Vorlage eintrat. Unbestritten waren die Änderungen der Kann-Formulierungen; erste Diskussionen gab es zur Frage, ob Leistungserbringende für die Zulassung zur OKP zwei Jahre an einer schweizerischen Weiterbildungsstätte und ein Jahr an einem Spital mit Grundversorgung – wie es die Kommission wollte – oder drei Jahre an einer schweizerischen Weiterbildungsstätte – wie es eine Minderheit Humbel vorschlug – gearbeitet haben müssen. Hier wurde diskutiert, ob es sinnvoller sei, dass frei praktizierende Ärztinnen und Ärzte – häufig Spezialistinnen und Spezialisten – auch als Grundversorgende gut ausgebildet seien, oder ob es relevanter sei, dass sie länger in ihrem Spezialgebiet arbeiteten. Mit 170 zu 12 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) entschied sich der Rat in dieser Frage für die Minderheit und somit für eine stärkere Spezialisierung der Leistungserbringenden.
Besonders umstritten war die Frage, ob die Kantone die Möglichkeit erhalten sollen, den Vertragszwang zwischen Versicherern und Leistungserbringenden aufzuheben, solange Unter- und Obergrenzen an Ärztinnen und Ärzten nicht erreicht werden. Diesen Vorschlag der Kommission lehnte eine Minderheit Ruiz (sp, VD) ab. Stattdessen wollte sie den Kantonen die Möglichkeit geben, andere Zulassungskriterien zu definieren. Der Rat folgte jedoch gegen den Widerstand der SP- und der Grünen-Fraktion sowie einzelner Mitglieder anderer Fraktionen mit 126 zu 57 Stimmen (bei einer Enthaltung) mehrheitlich der Kommissionsmehrheit. Ähnliche Lager zeigten sich auch bei der Frage, ob den Versicherern und den Versichererverbänden ein Beschwerderecht bezüglich Bandbreiten und Höchstzahlen zustehen soll oder nicht. Die Mehrheit des Nationalrats sprach sich mit 120 zu 59 Stimmen (bei 5 Enthaltungen) für ein solches Beschwerderecht aus.
Schliesslich lösten auch die Übergangsbestimmungen lange Diskussionen aus. So war sich der Rat nicht einig, ob das Inkrafttreten des Gesetzes an die Inkraftsetzung der Änderung des KVG bezüglich EFAS geknüpft werden soll oder nicht. Eine Minderheit Gysi (sp, SG) sprach sich gegen eine solche Koppelung aus, da EFAS sehr umstritten sei und die Änderung der Zulassungssteuerung aufgrund ihrer Wichtigkeit nicht aufgeschoben werden solle. Dass es zu einer solchen Verknüpfung gekommen sei, führte Gysi auf das Lobbying der Krankenversicherungen zurück. Obwohl auch der Gesundheitsminister den Nationalrat bat, auf eine Verknüpfung der beiden Themen zu verzichten, stimmte der Nationalrat mit 123 zu 53 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) im Sinne der Kommissionsmehrheit für eine Verknüpfung. Mit 128 zu 40 Stimmen bei 13 Enthaltungen nahm der Nationalrat die Vorlage in der Gesamtabstimmung an. Die Nein-Stimmen stammten allesamt aus dem links-grünen Lager, jedoch entschieden sich zehn Parlamentarierinnen und Parlamentarier der SP sowie zwei der Grünen und einer der SVP, sich der Stimme zu enthalten.

KVG. Zulassung von Leistungserbringern (BRG 18.047)
Dossier: Zulassungsbeschränkung für Ärztinnen und Ärzte (seit 1998)