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Mitte Juli registrierte die Interkantonale Kontrollstelle für Heilmittel (IKS) nach einer über sechs Jahre dauernden Kontroverse als zwölfter Staat in Europa die Abtreibungspille RU 486 unter dem Namen Mifegyne. Das Mittel unterliegt wie der chirurgische Schwangerschaftsabbruch den Bestimmungen des schweizerischen Strafgesetzes. Es ist verschärft rezeptpflichtig und darf nur in bewilligten Kliniken oder Behandlungszentren verabreicht werden.

Zulassung RU-486 beantragen

Die Tagespolitik im Berichtsjahr wurde – vor allem bis in den Sommer hinein – von den dramatischen Ereignissen im Kosovo beherrscht. Nachdem die Schweiz vorerst über verschiedene Kanäle Nothilfe in den Auffanglagern in Albanien und Mazedonien geleistet hatte, wurde Anfang April klar, dass darüber hinaus eine Flüchtlingswelle auf die Schweiz zurollen würde. Gleichentags wie Bundespräsidentin Dreifuss als erste westeuropäische „Ministerpräsidentin“ Mazedonien besuchte – und bei ihrer Heimreise ganz spontan 20 Flüchtlinge, deren Angehörige in der Schweiz leben, mitnahm, was ihr die Kritik der bürgerlichen Parteien, vor allem der SVP eintrug – beschloss die Landesregierung die kollektive Aufnahme von Kosovo-Flüchtlingen. Die vom Bundesrat getroffene Sonderregelung eröffnete den Kosovaren in Albanien, Mazedonien oder in einem anderen Drittland (v.a. Montenegro) die Möglichkeit, relativ unbürokratisch ein Visum für die Einreise in die Schweiz zu beantragen; allerdings nur, wenn sie nahe Verwandte mit einer fremdenpolizeilichen Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz hatten (also nicht bloss asylrechtlich Aufgenommene) oder die Verweigerung des Visums eine grosse Härte für die Betroffenen bedeutet hätte. Damit sollten vor allem engste Familienangehörige (Ehegatten, Kinder und Eltern), Kranke, Verletzte und altersbedingt Pflegebedürftige einreisen dürfen. Am 11. Juli, nachdem Serbien dem international erzwungenen Rückzug aus Kosovo zugestimmt hatte, entschied der Bundesrat, die kollektive vorläufige Aufnahme Mitte August abzuschliessen.

dramatischen Ereignissen im Kosovo Nothilfe in den Auffanglagern in Albanien und Mazedonien kollektive Aufnahme von Kosovo-Flüchtlingen Mitte August abzuschliessen

Anfangs Juli fand unter dem Vorsitz von Bundespräsidentin Dreifuss die nationale Asylkonferenz statt, ein alljährlich stattfindendes Treffen zwischen den involvierten Departementschefs sowie den Vertretern der Kantonsregierungen. Die Politik des Bundesrates wurde von den Gesprächspartnern generell als richtig erachtet, insbesondere die Hilfe vor Ort. Grundsätzlich wurde auch das Rückkehrkonzept der Landesregierung begrüsst, wobei den einen die verordnete Ausreise etwas zu schnell, den anderen eher zu langsam erfolgte. Keinen Erfolg konnte die bundesrätliche Delegation jedoch mit ihrem Vorschlag einer Ausdehnung des geltenden dreimonatigen Arbeitsverbots für Neuankömmlinge auf ein Jahr verbuchen, welches die SVP bereits seit längerem und die FDP sowie die CVP neuerdings verlangten. Im Verhältnis 5:3 lehnten die anwesenden Kantonsvertreter diese Idee ab, weil sie als Folge eines solchen Verbots eine Zunahme der Schwarzarbeit oder der Kriminalität befürchteten; zudem treibe dies nur die Fürsorgegelder in die Höhe, was die Bevölkerung angesichts untätiger Asylbewerber kaum verstehen würde. Eine Minderheit der Kantone äusserte sich hingegen positiv zu den bundesrätlichen Vorschlägen, weil alles vermieden werden müsse, was die Integration fördere.

nationale Asylkonferenz Ausdehnung des geltenden dreimonatigen Arbeitsverbots

Am 1. Januar 2000 werden zusammen mit dem revidierten Scheidungsrecht auch neue Vorschriften über die Ehe- und Partnerschaftsvermittlung in Kraft treten. Der Bundesrat nutzte die Gelegenheit, um strengere Vorschriften für die Vermittlung von Frauen aus Osteuropa und der Dritten Welt einzuführen. Er unterstellt die berufsmässige Ehe- und Partnerschaftsvermittlung zwischen Personen in der Schweiz und im Ausland einer Bewilligungspflicht. Damit will er den in den letzten Jahren immer öfters beobachteten unlauteren Machenschaften in diesem Bereich dezidierter entgegen treten.

strengere Vorschriften für die Vermittlung von Frauen aus Osteuropa und der Dritten Welt

Seit Jahren wird vor allem in der Deutschschweiz immer wieder gefordert, getrennte Schulklassen für deutsch- und fremdsprachige Kinder einzuführen, da viele Schweizer Eltern befürchten, ihre Kinder würden bei einer hohen Ausländerpräsenz im Unterricht zu wenig gefördert. Mit einer Interpellation Bühlmann (gp, LU) darauf angesprochen, lehnte der Bundesrat alle Massnahmen, die auf eine Diskriminierung einer Kategorie von Schülern hinauslaufen, ganz entschieden ab. Eine schulische Benachteiligung aufgrund der Herkunft, der Rasse oder der Sprache würde dem verfassungsmässigen Grundsatz der Rechtsgleichheit und dem Diskriminierungsverbot sowie dem internationalen Übereinkommen über die Rechte der Kinder und der Rassismusstrafnorm widersprechen. Nach Ansicht des Bundesrates schliesst dies vorübergehende Massnahmen nicht aus (befristeter Einführungs- und Stützunterricht bzw. vorläufiger Besuch einer Vorbereitungs- und Übergangsklasse). Dabei dürfe aber niemals vergessen werden, dass die Schule nicht nur einen Ausbildungsauftrag habe, sondern auch einen Beitrag zur Integration von Kindern unterschiedlicher sozialer, kultureller und geographischer Herkunft leisten müsse.

getrennte Schulklassen für deutsch- und fremdsprachige Kinder lehnte der Bundesrat Diskriminierung ab

Konkrete Forderungen stellte auch der Berner FP-Nationalrat Scherrer. Nach seinen Vorstellungen sollte eine Ehefür nichtig erklärt werden, wenn ein Ehepartner nicht eine Lebensgemeinschaft begründen, sondern die Vorschriften über den ausländerrechtlichen Aufenthalt umgehen will. Der Bundesrat verwies auf bereits bestehende Regelungen im Ausländer- und Bürgerrecht, gestand aber ein, dass es dennoch zu Missbräuchen kommen könne, weshalb er bereit war, die Motion als Postulat entgegen zu nehmen. Der Vorstoss wurde aber von den SP-Nationalrätinnen Maury Pasquier (GE), von Felten (BS) und Thanei (ZH) bekämpft und damit vorderhand der Diskussion entzogen. Gegen ein Postulat Heim (cvp, SO), welches die Einsetzung einer Arbeitsgruppe verlangte, die Vorschläge ausarbeiten sollte, wie der Rechtsmissbrauch bei der Eheschliessung zwecks Erlangen und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung wirkungsvoll bekämpft werden kann, wurde von Thanei (sp, ZH) und Vermot (sp, BE) opponiert und dessen Behandlung so ebenfalls auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.

Ehe für nichtig erklärt Rechtsmissbrauch bei der Eheschliessung zwecks Erlangen und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung

Mit einem überwiesenen Postulat Zwygart (evp, BE) bat der Nationalrat die Landesregierung, von einer interessenneutralen Stelle eine Statistik über die in der Schweiz durchgeführten Abtreibungen erstellen zu lassen.

Mit einem überwiesenen Postulat Zwygart (evp, BE) bat der Nationalrat die Landesregierung, von einer interessenneutralen Stelle eine Statistik über die in der Schweiz durchgeführten Abtreibungen erstellen zu lassen [85]

In der Sommersession behandelte der Nationalrat eine parlamentarische Initiative Teuscher (gp, BE), welche die Vorstellung der SP und der Grünen im Bereich der Kinderzulagen (600 Fr. pro Monat für das erste Kind, 300 Fr. für jedes weitere) konkretisierte. Die vorberatende Kommission hatte die Initiative noch knapp gutgeheissen. Im Plenum wehte jedoch ein anderer Wind. Selbst die CVP lehnte den Vorschlag als Gieskannenlösung ab. Damit hatte die Initiative keine Chancen mehr. Mit 111 zu 64 Stimmen wurde sie klar abgelehnt.

Kinderzulagen

In Anwesenheit von Bundespräsidentin Ruth Dreifuss wurde Mitte Juni der Aktionsplan der Schweiz zur Gleichstellung von Frau und Mann vorgestellt. Der Katalog von rund 3000 wünschenswerten Massnahmen ist eine Folgearbeit der 1995 in Peking durchgeführten UNO-Weltfrauenkonferenz. Die Umsetzung der unverbindlichen Empfehlungen hängt in erster Linie vom guten Willen und von den finanziellen Möglichkeiten der Adressaten (Behörden und Institutionen) ab. Die Ausarbeitung des Aktionsplanes erfolgte in enger Zusammenarbeit von 15 Bundesämtern und rund 50 nichtgouvernementalen Organisationen (NGOs).

Bundesgesetz über die Familienzulagen
Dossier: Vereinheitlichung der Kinderzulagen

Die liberale Fraktion im Nationalrat beantragte mit einer Motion, der Bundesrat solle die schweizerische Flüchtlingspolitik und die Flüchtlingsaussenpolitik mit anderen europäischen Staaten über die bereits bestehenden Vereinbarungen hinaus koordinieren, insbesondere im Bereich der Ursachenbekämpfung von Flucht- und Migrationsbewegungen. Der Bundesrat führte aus, die EU habe signalisiert, nach der Genehmigung der bilateralen Abkommen mit der Schweiz dieser allenfalls eine Parallelübereinkunft zur Dubliner Konvention (Erstasylabkommen) anbieten zu wollen. Zudem bemühe sich die Schweiz, in anderen relevanten multilateralen Gremien (Europarat, OSZE, UNHCR usw.) eine möglichst koordinierte Politik für diesen Bereich zu erreichen. Auf seinen Antrag wurde die Motion lediglich als Postulat überwiesen.

Ursachenbekämpfung

Nationalrat Hasler (svp, AG) wollte den Bundesrat mit einer Motion verpflichten, die Informationsnetze vor Ort zu verbessern, um Migrationsströme in die Schweiz zu vermeiden und die Eingliederung der Leute in ihrer Heimat zu verbessern. Die Landesregierung, die auf die Tätigkeit der Schweizer Botschaften im Ausland und auf die Mitarbeit in internationalen Organisationen verwies, beantragte Umwandlung in ein Postulat; der Vorstoss wurde aber von Maury Pasquier (sp, GE) bekämpft und damit vorderhand der Diskussion entzogen.

Revision Ausländergesetz 2005

Eine Motion Fritschi (fdp, ZH) verlangte vom Bundesrat eine Vorlage, damit jenen Fluggesellschaften, die Passagiere ohne gültige Einreisepapiere in die Schweiz transportieren, die Kosten für den Rücktransport und allfällige weitere Aufwendungen auferlegt werden können. Der Bundesrat erklärte, das geltende Recht trage den Anliegen des Motionärs bereits vollumfänglich Rechnung. Er war aber bereit, den Vorstoss in Postulatsform entgegen zu nehmen, um allenfalls abzuklären, ob sich zusätzliche gesetzliche Massnahmen aufdrängen, doch wurde der Vorstoss von Roth (sp, GE) opponiert und seine Behandlung deshalb auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.

Fluggesellschaften

Seit 1992 entscheidet die Asylrekurskommission (ARK) über Beschwerden abgewiesener Asylsuchender. Nachdem sie in den ersten Jahren der Kritik aus dem linken Lager ausgesetzt war, geriet sie – nach einigen Jahren der relativen Ruhe – nun plötzlich ins Kreuzfeuer der bürgerlichen Kreise. Bereits im Oktober des Vorjahres hatte FDP-Präsident Steinegger moniert, gewisse Entscheidungen der ARK seien „schlicht und einfach unverständlich“, weshalb er den Bundesrat auffordere, mit Weisungen auf das Gremium Einfluss zu nehmen. Unterstützt von 82 Mitunterzeichnern doppelte Nationalrat Fehr (svp, ZH) mit einer Interpellation nach, in der er die „unverantwortlichen Entscheide“ der ARK anprangerte. Seiner Ansicht nach leistet die „lasche und realitätsfremde“ Praxis der ARK dem Asylmissbrauch Vorschub, da damit signalisiert werde, dass man in der Schweiz mit einer Kaskade von Einsprachen ein Asylverfahren beliebig in die Länge ziehen könne. Der Bundesrat wies in seiner Antwort darauf hin, dass die ARK nur die Aufgaben wahrnimmt, welche ihr im Bundesbeschluss von 1990 über das Asylverfahren zugeteilt wurden. Er sah deshalb keine Veranlassung für Massnahmen, soweit ihm solche aufgrund der Gewaltenteilung und seiner ausschliesslich administrativen Aufsichtskompetenz überhaupt zur Verfügung stünden, insbesondere auch, weil in den letzten Jahren die ARK rund 90% der Wegweisungsentscheide des BFF stützte.

Asylrekurskommission Kreuzfeuer der bürgerlichen Kreise

Mit 121 zu 27 Stimmen überwies der Nationalrat eine im Vorjahr vom Ständerat einstimmig angenommene Motion Simmen (cvp, SO), welche den Bundesrat beauftragt, die Expertenkommission für die Totalrevision des Anag anzuweisen, die rechtlichen Möglichkeiten des Bundes zur Förderung der Sprachschulung für in der Schweiz dauerhaft zugelassene Ausländer zu schaffen.

Förderung der Sprachschulung

Gleich wie im Vorjahr der Ständerat gab auch der Nationalrat grünes Licht für die Ratifikation des ILO-Übereinkommens Nr. 138 über das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung sowie der ergänzenden Empfehlung Nr. 146. Gleichzeitig verabschiedete er die dadurch notwendig werdenden punktuellen Änderungen des Arbeitsgesetzes.

Übereinkommen Nr. 182 zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit Art. 82 des Militärgesetzes anpassen

Im Frühsommer gab das EJPD einen Bericht über mehr Rechte für gleichgeschlechtliche Paare in die Vernehmlassung, welcher fünf Modelle zur Diskussion stellt. Die Vorschläge gehen von punktuellen Gesetzesanpassungen (beispielsweise im Ausländer- und Erbrecht) über verschiedene Formen der registrierten Partnerschaft bis hin zur Öffnung des Instituts der Ehe.

Partnerschaftsgesetz (BRG 02.090)

1996 hatte Nationalrätin Goll (sp, ZH) eine Motion eingereicht, mit welcher der Bundesrat beauftragt werden sollte, im Bundesbudget das Instrument einer Frauenverträglichkeitsprüfung einzuführen. Die Motion war zuerst von Fehr (svp, ZH) bekämpft und dann aufgrund der Behandlungsfristen abgeschrieben worden. Ende 1999 reichte sie den Vorstoss im gleichen Wortlaut erneut ein. Der Bundesrat verwies auf die geringen Steuerungsmöglichkeiten eines Bundesbudgets. Angesichts der gleichstellungspolitischen Bedeutung des Themas war er aber bereit, das Anliegen zur Prüfung entgegen zu nehmen, worauf die Motion als Postulat verabschiedet wurde.

im Bundesbudget Frauenverträglichkeitsprüfung Investitionsprogramme

Eine besondere Volksgruppe im Balkan, nämlich die Roma, sprach Nationalrätin Bühlmann(gp, LU) in einem Postulat an. Sie bat den Bundesrat, diesen besonders diskriminierten Personenkreis erst bei einer völligen Normalisierung der Lage in Serbien, Mazedonien, Albanien und Bosnien dorthin zurück zu schicken. Die Landesregierung anerkannte die besondere Gefährdungssituation der Roma, weshalb deren Asylgesuche alle individuell geprüft würden. Auf seinen Antrag wurde der Vorstoss mit 75 zu 35 Stimmen abgelehnt.

Roma

Mitte Juni wurde die Volksinitiative „Gleiche Rechte für Behinderte“ mit 120 455 gültigen Unterschriften eingereicht. Zusätzlich zum neuen Verfassungsartikel, der Körper-, Geistig- und Psychisch-Behinderte erstmals erwähnt und vor Diskriminierung schützt, fordert das Begehren den freien Zugang zu allen Bauten, Anlagen und Dienstleistungen, die den Nichtbehinderten uneingeschränkt zur Verfügung stehen. Mit ihrer Initiative wollen die Invaliden das Prinzip der „vollständigen Teilhabe“ verankern, zum Beispiel in den Bereichen Schule, Verkehr, Kommunikation und Arbeit.

Volksinitiative „Gleiche Rechte für Behinderte“ (BRG 00.094)
Dossier: Beseitigung von Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen

Bereits einen Tag nach der Abstimmung zu den beiden Asylvorlagen gab es im Nationalrat anhand von vier Interpellationen aus den Fraktionen der CVP, der FDP, der GP und der SVP eine grosse Debatte zur Asylpolitik, insbesondere zur Krise im Kosovo und deren Folgen für die Schweiz. Die Grünen wollten vom Bundesrat wissen, ob die Kosovo-Flüchtlinge nicht nach Genfer Konvention Anrecht auf eine kollektive Asylgewährung hätten. Ihre Sprecherin Bühlmann (LU) warf dem Bundesrat vor, er habe die Signale aus der Bevölkerung (bedeutende Spenden an die Flüchtlingshilfswerke, Bereitschaft der im Land ansässigen Kosovaren zur Beherbergung ihrer Landsleute) nicht begriffen. Die CVP erkundigte sich nach Massnahmen der späteren Rückkehr der Kriegsvertriebenen und meinte, die Schweiz helfe mit ihrer grosszügigen Aufnahmepolitik vielleicht weniger den Flüchtlingen als vielmehr den Nachbarstaaten, die sich so elegant aus der Verantwortung stehlen könnten. Diesen Aspekt sprach auch die FDP an. Neben organisatorischen Fragen (Unterbringung, Vermeidung von Auseinandersetzungen zwischen ethnisch verfeindeten Gruppen) bat sie den Bundesrat, darüber Auskunft zu geben, ob er allenfalls eine Beteiligung an einer bewaffneten Kosovo-Friedenstruppe ins Auge fasse. Die SVP fragte, ob der Bundesrat bereit sei, den Grenzschutz zu verstärken. Ein wichtiges Anliegen war für diese Partei auch, dass auf jegliche Integration der vorläufig Aufgenommenen verzichtet wird; insbesondere sollten die Kinder unter ihnen nicht eingeschult werden und die Erwachsenen keinen Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten. Die SP, die selber keine Interpellation eingereicht hatte, bezeichnete die Vorstösse der bürgerlichen Parteien als ein die Fremdenfeindlichkeit schürendes Wahlgerangel auf dem Buckel der Schwächsten.


In seiner Antwort hielt der Bundesrat fest, dass die Schweiz im europäischen Vergleich prozentual die höchste Zahl von Kosovo-Flüchtlingen aufgenommen habe. In Beantwortung der diesbezüglichen Fragen erklärte er, viele Kosovaren hätten nicht deshalb die Schweiz als Fluchtdestination gewählt, weil sie sich hohe Fürsorgeleistungen versprachen, sondern weil durch die Arbeitsmarktpolitik der letzten Jahre bereits sehr viele ihrer Landsleute hier leben. Ängste, die Aufnahmekapazität der Schweiz sei bald erschöpft, relativierte er hingegen. Dank dem Einsatz des Militärs könnten pro Monat rund 8000 Neuankömmlinge betreut werden, was deutlich über die momentanen Einreisen hinausgehe. Der SVP wurde geantwortet, eine Verstärkung des Grenzschutzes stehe durchaus zur Diskussion, ebenso Beschränkungen des Zugangs zum Arbeitsmarkt. Die Aus- und Weiterbildung der Flüchtlinge stehe nicht im Zeichen der Integration, sondern habe bessere Startchancen bei einer Rückkehr in die Heimat zum Ziel. Den sicherheitspolitischen Befürchtungen der FDP setzte der Bundesrat seinen Willen entgegen, weder ethnisch bedingte Abrechnungen unter Flüchtlingen noch durch sie verübte Terrorakte zu dulden; eine allfällige Teilnahme an einer Friedenstruppe machte er von einem Mandat der UNO abhängig. Den Grünen gegenüber verwies er auf die im April beschlossene kollektive Aufnahme der Kosovaren.

Bundesrat Ängste, die Aufnahmekapazität der Schweiz sei bald erschöpft, relativierte er

Der Urnengang vom 13. Juni war ein klarer Erfolg für die Landesregierung und die Parlamentsmehrheit. Beide Vorlagen wurden mit über 70% der Stimmen angenommen, die dringlichen Massnahmen sogar noch etwas deutlicher als das eigentliche Bundesgesetz. Alle Kantone hiessen beide Vorlagen gut, die Deutschschweiz allerdings weit stärker als die Romandie. Am höchsten war die Zustimmung in den Kantonen Thurgau, St. Gallen und Zug, am schwächsten im Kanton Jura, der aber auch noch klar über 50% Ja-Stimmen einlegte. Entsprechend erfreut zeigte sich Bundesrätin Metzler am Abend des Abstimmungssonntags. Sie wertete das Ergebnis als Bekenntnis der Bevölkerung zu einem „Mittelweg“ in der Asylpolitik – „grosszügige Schutzgewährung für Menschen in Not bei gleichzeitiger Bekämpfung der gängisten Missbräuche“ – und als Zeichen der Offenheit und des Konsenses. Ähnlich sahen dies CVP und FDP, welche das doppelte Ja als Signal dafür werteten, die humanitäre Tradition der Schweiz aufrecht zu erhalten und möglichst viel Hilfe vor Ort zu leisten, im Inland aber klare Grenzen zu setzen. Die enttäuschte SP nahm sich vor, inskünftig in erster Linie eine pragmatische Asyldebatte zu führen.

Referenda
Dossier: Totalrevision Asygesetz 94-98

Dringlicher Bundesbeschluss über Massnahmen im Asylbereich
Abstimmung vom 13. Juni 1999

Beteiligung: 45,6%
Ja: 1 447 984 (70,8%)
Nein: 595 908 (29,2%)
Parolen:
– Ja: CVP, FDP, SVP, LdU (1*), LP, FPS, SD; Vorort, Arbeitgeber, SGV, VSA, SBV.
– Nein: SP, GP, EVP, PdA, EDU; SGB, CNG, Schweiz. Bischofskonferenz, Evang. Kirchenbund; Flüchtlingshilfswerke, Jugendverbände.

* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen


Asylgesetzrevision
Abstimmung vom 13. Juni 1999

Beteiligung: 45,6%
Ja: 1 443 137 (70,6%)
Nein: 601 389 (29,4%)
Parolen:
– Ja: CVP, FDP, SVP, EVP (*2), FPS, LdU, LP; Vorort, Arbeitgeber, SGV, CNG, VSA, SBV.
– Nein: SP, GP, PdA, EDU; SGB, Schweiz. Bischofskonferenz, Evang. Kirchenbund; Flüchtlingshilfswerke, Jugendverbände.

* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen


Die Vox-Analyse dieser Abstimmung zeigte, dass die beiden Vorlagen von allen sozialen Gruppen gutgeheissen wurden. Allerdings kam auch hier einmal mehr ein deutlicher Unterschied nach Sprachregionen zum Tragen. Die Annahmerate lag in der Romandie um rund 20% tiefer als in der Deutschschweiz. Der Tessin positionierte sich in der Mitte. Die Unterschiede zwischen Stadt und (stärker zustimmendem) Land bestanden, waren letztlich aber irrelevant. Beim Einfluss der politischen Faktoren konnten hingegen bedeutende Abweichungen vom Durchschnitt festgestellt werden. So bejahten nur 40 bis 45% der Personen, die der SP nahe stehen, eine Verschärfung der Asylpolitik. Bei den Sympathisanten der Grünen fiel dieser Anteil sogar auf einen Drittel. Die Parteien in der Mitte und am rechten Flügel verzeichneten eine noch grössere Gefolgschaft bei ihren Anhängern: 71% (CVP) bis 94% (SVP) folgten hier den Parteiparolen; die FDP lag mit mehr als 86% näher bei der SVP als bei der CVP.

Referenda
Dossier: Totalrevision Asygesetz 94-98


Die konkrete Ausgestaltung des Gesetzes in den Verordnungen führte aber wieder zu einem Umdenken. Besonders ins Gewicht fielen für die Hilfswerke die in der Praxis vorgesehenen Verschärfungen des Asylrechts, welche über die Missbrauchsmassnahmen hinausgehen. Bisher war es so, dass sich die bei der Befragung eines Asylbewerbers anwesenden Vertreter eines Hilfswerks vorher mit dem Dossier des Betroffenen vertraut machen konnten. Neu ist eine vorgängige Akteneinsicht nicht mehr vorgesehen. Die Hilfswerke erachteten damit ihre im Gesetz verankerte Aufgabe, als Beobachter eine faire Befragung zu garantieren, grundsätzlich in Frage gestellt. Zudem lehnten sie auch die vorgesehene „Drittstaatenregelung“ ab, welche ihnen wie eine Vorwegnahme der neuesten SVP-Forderungen erschien. Nach altem Recht wurde ein Aufenthalt in einem „sicheren“ Drittstaat – und dazu zählen alle Nachbarländer der Schweiz – bis zu einer Dauer von 20 Tagen zugelassen, ohne dass ein Asylsuchender deswegen vom Verfahren in der Schweiz ausgeschlossen wurde. Nach neuem Verordnungsrecht muss nun diese Durchreise „ohne Verzug“ stattfinden, was je nach Distanz zu tolerierten Aufenthaltszeiten von weniger als 24 Stunden führen kann; eine Beschwerdemöglichkeit gegen die Wegweisung in den EU-Staat, von dem aus die Einreise erfolgte, wurde ebenfalls nicht mehr erwähnt. Die Vertreter der Hilfswerke kritisierten, selbst die EU habe nicht gewagt, so weit zu gehen; gegen Entscheide aufgrund der Dubliner Konvention (Erstasylabkommen) gebe es nach wie vor eine Rekursmöglichkeit. Die Schweiz dagegen wolle eine derartige Verschärfung ohne jede Diskussion im Parlament auf dem Verordnungsweg einführen.

Aus diesen Gründen beschlossen die Hilfswerke, das neue Asylgesetz ebenfalls aktiv zu bekämpfen. Auch die SP und der Schweizerische Gewerkschaftsbund, welche die Referenden nur sehr zurückhaltend unterstützt hatten, gaben nun klar die Nein-Parole zu beiden Vorlagen aus. Ihnen schlossen sich die beiden grossen Landeskirchen an. Sie vertraten die Ansicht, Gesetz und Verordnungsentwürfe zeugten von einem Geist der Abschreckung, der angesichts der Flüchtlingsnot in Europa der humanitären Schweiz unwürdig sei und tatsächlich Verfolgten den Zugang zum Asylverfahren massiv erschwere. Das Ja-Komitee, dem rund 80 bürgerliche Mitglieder der eidgenössischen Räte angehörten, unterstrich demgegenüber die Verbesserungen bei der Schutzgewährung für Gewaltflüchtlinge sowie die verstärkte Rückkehrhilfe. Angesichts der Tatsache, dass mit der Mutterschaftsversicherung ein weitaus umstritteneres Thema im Vordergrund stand, verlief die Abstimmungskampagne eher ruhig.

Referenda
Dossier: Totalrevision Asygesetz 94-98

Im Vorjahr hatte das Parlament sowohl das totalrevidierte Asylgesetz verabschiedet als auch Teile davon durch einen dringlichen Bundesbeschluss bereits auf den 1. Juli 1998 in Kraft gesetzt. Gegen beide Vorlagen war noch vor Ende Jahr vor allem von Flüchtlingshilfswerken erfolgreich das Referendum ergriffen worden. Die Opposition richtete sich in erster Linie gegen den dringlichen Bundesbeschluss mit seinen verschärften Massnahmen gegenüber den „Papierlosen“ und den „Illegalen“. Gegen das Gesetz als solches war – da es die „Missbrauchsbestimmungen“ ebenfalls enthält – zwar ebenfalls das Referendum ergriffen worden, doch war dabei dessen Errungenschaft, die Einführung eines Status für Gewaltflüchtlinge zu deren vorläufiger Aufnahme gewürdigt und deshalb von den Flüchtlingsorganisationen Stimmfreigabe beschlossen worden.

Referenda
Dossier: Totalrevision Asygesetz 94-98

1998 hatte der Nationalrat eine parlamentarische Initiative Goll (sp, ZH) angenommen, welche eine zivilstandsunabhängige Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung für Migrantinnen verlangte, die sich von ihrem gewalttätigen Ehemann trennen, sei dieser nun Schweizer oder Ausländer mit längerdauerndem Aufenthaltsrecht. Die staatspolitische Kommission des Rates arbeitete daraufhin eine Änderung des Anag aus, welche etwas weniger weit geht als der ursprüngliche Vorschlag. Demnach muss die Fremdenpolizei nur in Härtefällen (gemeinsame, in der Schweiz lebende Kinder, Misshandlungen in der Ehe) die Aufenthaltserlaubnis verlängern. Der Bundesrat wehrte sich – mit Hinweis auf die anstehende Totalrevision des Anag – gegen diese Praxisänderung und meinte, es sei weder nötig noch sinnvoll, die Stellung der Migrantinnen sofort zu verbessern. Schützenhilfe erhielt er von den rechtsbürgerlichen Parteien, die vor Missbräuchen durch Scheinehen warnten. Aber auch die CVP, die sich in der Kommission noch für die Gesetzesrevision ausgesprochen hatte, wurde vom schroffen Nein des dafür zuständigen, CVP-besetzten EJPD offenbar umgestimmt, weshalb sie nun mehrheitlich den Nichteintretensantrag des Bundesrates unterstützte. SP-Sprecherin Fankhauser (BL) meinte dagegen, das Problem dulde keinen Aufschub mehr, insbesondere da der Inhalt der Anag-Revision vorderhand noch „in den Sternen des demokratischen Himmels“ stehe. Diese Einsicht setzte sich im Rat denn auch durch. Mit 90 zu 57 Stimmen wurde der Kommissionsvorschlag angenommen.

Besserstellung von Migrantinnen