Im Zuge der Auseinandersetzung der katholischen Kirche mit sexuellem Missbrauch in den eigenen Reihen legte das Bistum Chur Anfang April 2022 einen neuen Verhaltenskodex vor. Dieser solle für alle Mitarbeitenden, Seelsorgenden und Führungspersonen inklusive dem Bischof Joseph Maria Bonnemain verbindlich sein und sei das «Herzstück der Prävention von spirituellem und sexuellem Missbrauch». Der Kodex beinhalte konkrete Richtlinien und Standards, wie mit der eigenen Machtposition umzugehen sei.
Damit könne der erste Schritt in Richtung «Kritisierbarkeit von Machtpositionen» sowie zur Transparenz innerhalb der katholischen Kirche getan werden, schrieb das Churer Bistum auf seiner Webseite. Der Kodex wurde von allen sieben bistümlichen Landeskirchen der Kantone Graubünden, Zürich, Schwyz, Uri, Nidwalden, Obwalden und Glarus sowie vom Churer Bischof Bonnemain selbst unterzeichnet.
Der Kodex wurde in der Folge innerhalb der katholischen Kirche heftig kritisiert. So wollten etwa 43 Geistliche des als konservativ geltenden Churer Priesterkreises den Kodex nicht unterschreiben. Zwar erachteten sie 95 Prozent des Inhalts als selbstverständlich und richtig, jedoch gebe es Passagen, bei denen der Kodex «mehrfach die Lehre und Disziplin der Katholischen Kirche» verletze, berichteten die Medien. Konkret ging es dabei etwa um den Umgang mit Homosexualität: Die Priester befürchteten, dass sie mit den diesbezüglichen Regeln des Kodex entgegen ihren Überzeugungen nicht mehr predigen dürften, dass Homosexualität nicht in Ordnung sei. Zudem müsse einer Person gemäss Kodex nach einem Outing unterstützend zur Seite gestanden werden, was die Kritiker ihrer Ansicht nach in einen Gewissenskonflikt zwischen ihrem Bischof und ihrem Verständnis der katholischen Glaubenslehre bringen würde. Die betroffenen Priester forderten darum den Bischof dazu auf, seine Unterschrift zurückzuziehen und die Umsetzung auf Eis zu legen. Weiter solle eine spezielle Kommission bestehend aus Priestern, Diakonen und pastoralen Mitarbeitenden eingesetzt werden, welche den Kodex in Einklang mit der katholischen Lehre bringen solle.
Der Bischof lehnte diese Forderung jedoch ab. Er erachtete es als möglich, die kritisierten Passagen des Kodex so auszulegen, dass sie mit der Lehre einhergehen, berichteten die Medien. Auch zwei Gespräche zwischen den Kritikern und Bischof Bonnemain brachten keine Lösung in dieser Streitfrage, beide Parteien bestanden weiterhin auf ihren Forderungen. Dieser Widerstand könnte gemäss Medien durchaus Konsequenzen für die Priester haben, zumal eine Verweigerung der Unterschrift eine Kündigung nach sich ziehen könne. Dies sei gemäss Arbeitsrecht jedoch problematisch, erklärte Arbeitsrechtsspezialistin Isabelle Wildhaber gegenüber der NZZ: Da die Priester dem Grossteil des Kodex unter Vorbehalt zustimmten, würde eine Kündigung wohl das Verhältnismässigkeitsprinzip verletzen.

Verhaltenskodex Bischofstum Chur