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Im Oktober 2022 wurde unter dem Namen «Pro Schweiz» eine neue nationalkonservative und EU-skeptische Gruppierung aus der Taufe gehoben. Sie ist das Produkt einer Dreierfusion aus der «Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz» (Auns), dem «Komitee Nein zum schleichenden EU-Beitritt (EU-No)» und der «Unternehmer-Vereinigung gegen den EU-Beitritt». Bereits im Frühling hatten die drei Organisationen je separat der Fusion – und damit ihrer Auflösung – zugestimmt.

Zum Gründungspräsidenten von Pro Schweiz wurde Stephan Rietiker (ZG, svp) gewählt, mit 15 Gegenstimmen bei 450 Anwesenden – die einzige Abstimmung an der Gründungsversammlung, die nicht einstimmig ausfiel, wie die NZZ festhielt. Für Rietiker ist das Pro-Schweiz-Präsidium das erste politische Amt: Bisher habe ihm für ein regelmässiges politisches Engagement wegen beruflicher Verpflichtungen die Zeit gefehlt, wie er der AZ erklärte. Nun plane er einen Tag pro Woche für Pro Schweiz einzusetzen, entlöhnt werde sein Präsidium nicht. Der 65-jährige US-schweizerische Doppelbürger ist Medtech-Unternehmer, Arzt, Oberst im Generalstab und ehemaliger kurzzeitiger Präsident des Fussballklubs Grasshoppers. Zu Rietikers parteipolitischem Werdegang wusste die NZZ zu berichten, dass dieser in seinen jungen Jahren die NZZ abbestellte, weil sie ihm «zu links» war, und der Autopartei beitrat. Später sei er FDP-Mitglied, dann parteilos und wieder FDP-Mitglied gewesen, bevor er vor zwanzig Jahren zur SVP wechselte. Ein gewisses politisches Engagement entwickelte Rietiker als Kritiker der behördlichen Covid-19-Politik, im Herbst 2021 kam er zu Medienauftritten im Abstimmungskampf gegen die zweite Revision des Covid-19-Gesetzes. Im Zusammenhang mit diesem Engagement wurde gemäss NZZ Christoph Blocher (ZH, svp), der als graue Eminenz von Pro Schweiz gilt, auf Rietiker aufmerksam und fragte ihn schliesslich für das Pro-Schweiz-Präsidium an.
Mehr politische Erfahrung brachte der Vizepräsident von Pro Schweiz mit: Nationalrat Walter Wobmann (SO, svp) ist insbesondere als Vater der Initiativen für ein Minarettverbot und für ein Verhüllungsverbot bekannt. Wie Wobmann sind auch die meisten weiteren Mitglieder des 13-köpfigen Gründungsvorstands daneben in der SVP aktiv, so unter anderem die Nationalratsmitglieder Piero Marchesi (TI), Pierre-André Page (FR) und Therese Schläpfer (ZH) sowie die alt Nationalräte Adrian Amstutz (BE), Christoph Mörgeli (ZH) und Ulrich Schlüer (ZH). Geschäftsführer wurde Werner Gartenmann, der dieselbe Funktion schon bei der Auns ausgeübt hatte. Angesichts des doch stark parteipolitisch geprägten Vorstands äusserten einige Medien in ihren Kommentaren Zweifel, ob das von Rietiker formulierte Ziel, Pro Schweiz wieder über die SVP hinaus im bürgerlichen Lager abzustützen – wie die Auns in deren Anfangszeiten –, realistisch sei. Auch die angestrebte Verjüngung der Mitgliederbasis fand im Gründungsvorstand – und gemäss Medienberichten auch in der Teilnehmerschaft der Gründungsversammlung – noch keinen Niederschlag. Nicht im Gründungsvorstand sassen Lukas Reimann (SG, svp) und Roger Köppel (ZH, svp), die bisherigen Präsidenten der Auns und des Komitees «EU-No».

Stark betont wurde in den Pressekommentaren die Rolle von Christoph Blocher, der bei Pro Schweiz zwar kein Amt übernahm, aber der Haupttreiber hinter der Fusion gewesen war und auch den Gründungsakt der neuen Organisation leitete. Blocher war 1986 selbst Gründungspräsident der Auns gewesen und hatte diese zu ihrem grösstem Erfolg geführt, nämlich zum Sieg in der EWR-Abstimmung 1992. Auch das 2013 gegründete Komitee «EU-No» hatte Blocher früher präsidiert. Die Fusion bezeichnete er als notwendig, um dem konservativen Lager zu mehr Schlagkraft zu verhelfen; Pro Schweiz solle eine direktdemokratische «Kampforganisation» «gegen die Gegner der Schweiz im Innern» werden. Die Auns hingegen habe zuletzt an Kraft eingebüsst und war nach Blochers Einschätzung nicht mehr referendumsfähig. Nichtsdestotrotz war die Auns mit 20'000 zahlenden Mitgliedern und Einnahmen von rund einer Million Franken pro Jahr die mit Abstand grösste Fusionspartnerin. Pro Schweiz zählte bei ihrer Gründung gemäss NZZ 25'000 Mitglieder.

Dafür, dass sich Pro Schweiz inhaltlich wesentlich anders positionieren würde als die Auns, sahen die Medienkommentare keine Anhaltspunkte; die Fusion wurde als primär organisatorische und personelle Neuaufstellung dargestellt. Allerdings habe sich Rietiker über seine Pläne noch nicht stark in die Karten blicken lassen, sondern in seiner Antrittsrede eher allgemein über die Freiheit, die EU, die Zuwanderung, die «Woke-Kultur», die Medien, die Corona-Massnahmen, das «Gutmenschentum», eine «dilettantische Energiepolitik» des Bundes, die «skandalösen» Sanktionen gegen Russland und eine anzustrebende Orientierung an wachsenden Märkten in Asien und Amerika statt der EU gesprochen. Ein konkretes Projekt beschloss Pro Schweiz indessen gleich noch an der Gründungsversammlung – die Lancierung der Neutralitätsinitiative, welche ihrerseits eine Idee Blochers ist.

Ablösung der Auns durch «Pro Schweiz»

Im Frühling 2022 beschlossen die Mitgliederversammlungen der «Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz» (Auns), des «Komitees Nein zum schleichenden EU-Beitritt (EU-No)» und der «Unternehmer-Vereinigung gegen den EU-Beitritt» je separat, sich als eigenständige Organisationen aufzulösen und zu fusionieren. Die fusionierte Organisation sollte voraussichtlich den Namen «PSS – Pro Souveräne Schweiz» erhalten, darüber sollte aber erst an der Gründungsversammlung der neuen Organisation im Oktober 2022 definitiv entschieden werden. Eine Arbeitsgruppe unter Christoph Blocher (svp, ZH) sollte bis dahin auch die Statuten des neuen Vereins vorbereiten.
Die Mitglieder der drei Organisationen folgten mit den Fusionsbeschlüssen ihren jeweiligen Vorständen, die sich im März 2022 in einer gemeinsamen Medienmitteilung zu einem Zusammenschluss bekannt hatten. Mit der Bündelung der Ressourcen könne man «die Schlagkraft der Verteidiger einer unabhängigen und neutralen Schweiz erhöhen». Erklärtes Ziel sei es, eine referendumsfähige Organisation zu erhalten und die nötigen finanziellen Mittel für Abstimmungskämpfe bereitzustellen. Genau diese Fähigkeit, erfolgreich ein Referendum zu ergreifen und einen Abstimmungssieg zu erzielen, sprach Christoph Blocher der heutigen Auns ab. Überhaupt war Christoph Blocher – Gründungspräsident der Auns und Ex-Präsident des Komitees EU-No – gemäss Medienberichten die treibende Kraft hinter dem Zusammenschluss.
Dabei ging der Schritt zumindest beim grössten Fusionspartner, der Auns, nicht ganz ohne Misstöne über die Bühne: Das Vorstandsmitglied Luzi Stamm (svp, AG) wollte an der Versammlung offenbar Kritik an der geplanten Fusion äussern, doch seine «nicht enden wollende Zwischenrede» wurde per Versammlungsbeschluss unterbrochen, wie dem Versammlungsbericht der Auns zu entnehmen war. Selbst der seit 2014 amtierende Präsident der Auns, Nationalrat Lukas Reimann (svp, SG), zeigte sich in seiner Rede an der Versammlung «unsicher» bezüglich der Fusion – sicher sei er aber, «dass Christoph Blocher das Richtige tut». Im Sonntagsblick zog Reimann freilich Blochers Analyse in Zweifel, dass die Auns nicht mehr referendumsfähig gewesen sei: Man habe über mehr als 20'000 zahlende, wenn auch «etwas ältere» Mitglieder sowie über eine Adressdatenbank mit 90'000 Personen verfügt und in den letzten Jahren viermal die Lancierung einer Volksinitiative beschlossen. Dass man schliesslich auf alle vier Initiativen verzichtet habe, habe auch daran gelegen, dass Christoph Blocher jeweils gefunden habe, man müsse sich auf den Kampf gegen das Rahmenabkommen konzentrieren. Mit bloss vier Gegenstimmen entschieden sich letztlich aber auch die Auns-Mitglieder klar für die Fusion. Gegenüber dem Sonntagsblick befand Reimann anschliessend, die Fusion «müsse kein Flop werden, [...] aber jetzt kaufen wir halt schon die Katze im Sack, wenn man nicht recht weiss, was da kommt».

Ablösung der Auns durch «Pro Schweiz»

Jahresrückblick 2021: Verbände

2021 wurde die Verbandslandschaft in der Schweiz wie schon im Vorjahr wesentlich durch das Coronavirus und die Massnahmen zu dessen Bekämpfung geprägt. So versuchten die Dachverbände der Arbeitgebenden und der Gewerkschaften wie auch zahlreiche Branchenverbände wiederholt mit Positionsbezügen auf die Pandemiepolitik der Behörden Einfluss zu nehmen. Während in der Unterstützung für Hilfsgelder und Kurzarbeit im Grossen und Ganzen Einigkeit zwischen Gewerkschaften und Verbänden der Arbeitgebenden aus verschiedenen Branchen herrschte, traten bei anderen Massnahmen deutliche Interessengegensätze zutage. Besonders stark profilierte sich in der Öffentlichkeit GastroSuisse mit seinem Präsidenten Casimir Platzer, der sich im Frühjahr immer wieder mit markigen Worten gegen die Schliessung der Innenräume von Gastbetrieben und im Herbst gegen die Zertifikatspflicht in Restaurants äusserte. Diese Forderungen brachten Platzer nicht nur mit manchen Gegenstimmen aus den eigenen Reihen in Konflikt, sondern auch mit Economiesuisse und dem Schweizer Arbeitgeberverband (SAV): Die beiden Dachverbände befürworteten die Zertifikatspflicht, forderten aber vom Bundesrat verbindliche Aussagen darüber, ab welchen Impfquoten er welche Lockerungsschritte ausrufen werde. Der Gewerbeverband (SGV) gab wie der SAV und Economiesuisse bei beiden Abstimmungen über das Covid-19-Gesetz die Ja-Parole heraus, markierte aber ansonsten grössere Distanz zu den Massnahmen des Bundes.
Auch die Gewerkschafts-Dachverbände SGB und Travail.Suisse unterstützten die beiden Covid-Vorlagen. Darüber hinaus wiesen die Gewerkschaften immer wieder auf die zentrale Bedeutung der Kurzarbeit, des Erwerbsersatzes und der Unterstützungsgelder für betroffene Unternehmen hin, um die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu begrenzen. Mit der Argumentation, dass ein vorsichtiger Weg letztlich schneller aus der Krise führe, mahnten SGB und Travail.Suisse bei Diskussionen über Massnahmenlockerungen meist zu behutsamen Schritten. Zu ihren Hauptforderungen zählten im Weiteren die Umsetzung und Kontrolle von Schutzkonzepten am Arbeitsplatz sowie die Sicherstellung der Fürsorgepflicht der Arbeitgebenden auch im Homeoffice.

Eine strikte oder sogar absolute Beachtung individueller Freiheitsrechte und ein verhältnismässiges Vorgehen des Staats gehörten zu den Hauptforderungen mehrerer politischer Gruppierungen, die im Zuge der Proteste gegen die Covid-19-Massnahmen entstanden und in der öffentlichen Debatte teilweise starke Beachtung fanden. Zu den prominentesten dieser neuen Organisationen zählten die «Freunde der Verfassung», die im Herbst 2021 bereits über 12'000 Mitglieder zählten und die gleich bei mehreren Referenden und Initiativen eine bemerkenswerte Fähigkeit zum Sammeln von Unterschriften an den Tag legten. Weitere Organisationen, die sich zu Sprachrohren der Covid-Protestbewegung entwickelten, waren die an die jüngere Generation gerichtete Gruppierung «Mass-voll!», das «Aktionsbündnis Urkantone für eine vernünftige Corona-Politik» sowie die «Freiheitstrychler». Auch wenn es zwischen diesen Organisationen bisweilen Differenzen über Inhalte und Stil gab, waren sie in ihrer Opposition gegen das Covid-19-Gesetz und gegen dessen zweite Revision geeint; sie unterlagen indessen in beiden Volksabstimmungen klar.

Aber auch unabhängig von der Pandemie machten Verbände und Organisationen im Jahr 2021 von sich reden, so beispielsweise die Operation Libero, die sich gleich zu Beginn des Jahres mit einem medienwirksamen Crowdfunding erfolgreich aus einem Engpass bei der Finanzierung ihrer Fixkosten befreite, im Oktober mit Sanija Ameti eine profilierte neue Co-Präsidentin präsentierte und kurz darauf zusammen mit den Grünen eine Volksinitiative für eine engere Zusammenarbeit der Schweiz mit der EU ankündigte.

Eher gegen den eigenen Willen geriet im Herbst die Gewerkschaft Unia in die Schlagzeilen, weil der beträchtliche Umfang ihres Vermögens bekannt wurde. Die Unia musste sich in der Folge gegen verschiedene Kritikpunkte verteidigen. Die Diskussion befeuerte aber auch übergeordnete Debatten, die bereits davor am Laufen gewesen waren, namentlich jene um eine angemessene Transparenz in der Politikfinanzierung und jene um eine korrekte Abgeltung der Sozialpartner für ihre quasistaatlichen Aufgaben bei der Kontrolle der Einhaltung allgemeinverbindlicher Gesamtarbeitsverträge.

Auf der Seite der Arbeitgeber-Dachverbände bekannten sich Economiesuisse, der SGV und der SAV 2021 zum Ziel, in Zukunft eine stärkere und harmonischere Zusammenarbeit zugunsten der gemeinsamen Interessen zu pflegen. Das Bekenntnis ist als Neuanlauf zu werten, nachdem in den Vorjahren – etwa vor der Abstimmung zur Konzernverantwortungsinitiative Ende 2020 – beträchtliche Spannungen zwischen SGV und Economiesuisse zutage getreten waren und sich die Wirtschaftsverbände bei verschiedenen Volksabstimmungen nur mit Mühe oder gar nicht hatten durchsetzen können. Dasselbe war im Jahr 2021 namentlich bei den Abstimmungen über das Freihandelsabkommen mit Indonesien und das E-ID-Gesetz der Fall.

Auch andere Verbände engagierten sich mit wechselndem Erfolg in Abstimmungskämpfen. So konnte etwa der Bauernverband nach einer von ihm angeführten Kampagne, die zu einer aussergewöhnlich starken Mobilisierung der ländlichen Bevölkerung beitrug, im Juni die Ablehnung der Trinkwasserinitiative und der Pestizidinitiative feiern. Intern gespalten war bei der Parolenfassung zur Trinkwasserinitiative der Interessenverband der biologischen Landwirtschaft BioSuisse, eine Mehrheit seiner Delegierten entschied sich schliesslich für eine Nein-Empfehlung; die Pestizidinitiative wurde von BioSuisse hingegen unterstützt. Bei der Ablehnung des CO2-Gesetzes gehörten Verbände des Autogewerbes und der Erdölindustrie, der Hauseigentümerverband und GastroSuisse zu den Siegern. Die Gewerkschaften wiederum konnten mit der Ablehnung des E-ID-Gesetzes und der Annahme der vom Berufsverband der Pflegefachleute (SBK) lancierten Pflegeinitiative Erfolge feiern; dies ist umso bemerkenswerter, als davor noch nie in der Schweizer Abstimmungsgeschichte eine gewerkschaftlich initiierte Volksinitiative an der Urne angenommen worden war. Auf ähnlich erfolgreiche Kampagnen in der Zukunft hoffen nebst der Operation Libero mit der oben erwähnten Europainitiative auch GastroSuisse mit seiner im März angekündigten Volksinitiative für «gerechte Entschädigungen» in künftigen Pandemiefällen sowie die GSoA mit ihrer Volksinitiative «Stopp F-35», welche die vom Bund geplante Beschaffung von Kampfflugzeugen des Typs F-35 unterbinden soll und für die 2021 bereits die Unterschriftensammlung begann.

Der Anteil der Verbände an der Presseberichterstattung bewegte sich 2021 auf ähnlichem Niveau wie in den beiden Vorjahren (vgl. Abbildung 2 der APS-Zeitungsanalyse 2021 im Anhang). Im Jahresverlauf nahmen Verbände zwischen September und November am meisten Raum ein (vgl. Abbildung 1). Dies hatte zum einen mit der Berichterstattung zum Unia-Vermögen und zum SBK als Initiant der Pflegeinitiative zu tun. Noch mehr trug die Kategorie «Andere Verbände» bei, von denen neben der Operation Libero und GastroSuisse vor allem Gruppierungen der Klimabewegung – unter anderem mit Protestaktionen von Extinction Rebellion und einer Klage der Klimaseniorinnen – in der Presse von sich reden machten.

Jahresrückblick 2021: Verbände
Dossier: Jahresrückblick 2021

Im Oktober 2021 kündigten Operation Libero und die Grünen an, gemeinsam eine Volksinitiative zur Europapolitik zu lancieren. Bereits nach dem Abbruch der Verhandlungen zum Rahmenabkommen durch den Bundesrat im Frühling 2021 hatte Operation Libero Initiativpläne bestätigt. Es wäre das erste Mal, dass die seit 2014 bestehende Organisation eine eigene Volksinitiative (mit)lanciert.
Operation Libero und die Grünen erklärten, mit der Initiative die Europadebatte «deblockieren» zu wollen. Der Bundesrat und die Bundesratsparteien sähen das EU-Dossier als toxisch an und getrauten sich nicht, dieses anzufassen. Als zivilgesellschaftliche Organisation und als Nichtregierungspartei wollten sie die Schweizer Politik nun zwingen, Position zu beziehen: «Dieses europapolitische Mikado, in dem als Verlierer gilt, wer zuerst etwas bewegt, muss endlich ein Ende haben», schrieb Operation Libero. Die Finalisierung des Initiativtexts und der Start der Unterschriftensammlung waren gemäss Sonntagszeitung für Frühsommer 2022 geplant.

Operation Libero kündigte mit den Grünen eine Volksinitiative zu Europa an

Im Co-Präsidium der Operation Libero trat Sanija Ameti die Nachfolge von Laura Zimmermann an. Dies beschloss der Vorstand im Oktober 2021, nachdem Zimmermann nach fünfjähriger Amtszeit zurückgetreten war. Zweiter Co-Präsident blieb der seit Juni 2020 amtierende Stefan Manser-Egli.
Die 28-jährige Juristin Ameti hatte bereits im Frühling 2021 wegen ihrer prominenten Rolle im Abstimmungskampf gegen das Gesetz über polizeiliche Massnahmen zur Terrorismusbekämpfung (PMT) und davor in der Kampagne gegen das E-ID-Gesetz einige öffentliche Bekanntheit erlangt. Aufgrund dieses Engagements war nach ihren Angaben auch die Operation Libero auf Ameti aufmerksam geworden und hatte sie in den Vorstand geholt. Ameti ist ausserdem auch Mitglied der Parteileitung der GLP des Kantons Zürich. Die NZZ glaubte deshalb, mit Ameti werde sich die offiziell parteiunabhängige Operation Libero weiter der GLP annähern, wie es bereits seit einiger Zeit festzustellen sei.
In einem Interview mit der NZZ zu ihrem Amtsantritt kündigte Ameti an, dass die Operation Libero ihre Position als ausserparlamentarische Bewegung, die nicht auf Wahlen schielen muss, nutzen werde, um «den Parteien die unbeliebtesten, aber strukturell wichtigsten Themen überhaupt auf[zu]zwingen: Europapolitik, Digitalisierung und Cybersicherheit sowie die Forderung [nach] einem liberalen Bürgerrecht». Dies sei nötig, weil namentlich die FDP ein «liberales Vakuum» in diesen Bereichen hinterlasse.

Im Co-Präsidium der Operation Libero folgte Sanija Ameti auf Laura Zimmermann

Die «Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz» (Auns) beschloss im August 2021, eine Fusion mit dem «Komitee Nein zum schleichenden EU-Beitritt (EU-No)» zu prüfen. Zwei Wochen davor hatte der Vorstand von «EU-No» einen analogen Beschluss gefasst und bekannt gegeben, «ergebnisoffene» Gespräche mit der Auns aufnehmen zu wollen. Der Beschluss erfolgte auf Vorschlag von Christoph Blocher (svp, ZH), seines Zeichens Gründungspräsident der Auns und ehemaliger Präsident des Komitees «EU-No». Blocher übernahm auch gleich die Leitung der mit den Fusionsabklärungen betrauten Arbeitsgruppe der beiden Organisationen. Kein Teil dieser Arbeitsgruppe war hingegen der seit 2014 amtierende Auns-Präsident Lukas Reimann (svp, SG), der gemäss einem NZZ-Bericht bereits 2020 von Blocher die «Empfehlung» erhalten habe, vom Auns-Präsidium zurückzutreten.
Blocher begründete die Fusionsbestrebungen laut NZZ damit, dass auf der einen Seite das Komitee «EU-No» seinen «Auftrag» erfüllt habe, indem der Bundesrat im Mai 2021 die Verhandlungen für ein institutionelles Rahmenabkommen mit der EU abgebrochen hatte – schliesslich war die Verhinderung eines solchen Abkommens der Hauptzweck des 2013 gegründeten Komitees gewesen. Auf der anderen Seite werde die Auns in ihrer gegenwärtigen Verfassung nicht in der Lage sein, eine Volksabstimmung zu gewinnen, wenn die «Classe Politique» dereinst einen neuen Anlauf für einen «landesverräterischen Vertrag» mit der EU unternehmen werde. Es brauche deshalb eine Bündelung und Wiederbelebung der EU-kritischen Kräfte.

Ablösung der Auns durch «Pro Schweiz»

Jahresrückblick 2020: Verbände

Verschiedene Branchenverbände befürchteten aufgrund der zur Eindämmung des Coronavirus verhängten Massnahmen drastische Folgen für die durch sie vertretenen Wirtschaftssektoren. Entsprechend forderten sie während des Lockdowns und danach bessere Kreditbedingungen oder Ausnahmeregelungen für ihre Branchen: Beispielsweise forderten die Verbände Hotelleriesuisse und Gastrosuisse vom Bundesrat einen Erlass der Covid-19-Kredite und eine rasche Wiedereröffnung der Restaurants und Bars; der Industrieverband Swissmem wollte, dass dringend benötigte Spezialistinnen und Spezialisten die verhängten Einreisesperren umgehen können. Unterstützt wurde die Forderung durch Economiesuisse. Beide Verbände erhofften sich zudem eine Abschaffung der Industriezölle, um Unternehmen finanziell zu entlasten.
Auch eine Forderung der Unia bezüglich des Lockdowns sorgte für Aufsehen. Weil gemäss der Gewerkschaft Arbeitnehmende in Industrie und Gewerbe während des Lockdowns nicht ausreichend geschützt waren – ein Banker könne etwa im Homeoffice arbeiten und dadurch die vom Bund empfohlenen Hygiene- und Abstandsregeln gut einhalten, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Industrie, im Detailhandel, im Gewerbe oder auf dem Bau müssten weiterhin ungeschützt ihren beruflichen Tätigkeiten nachgehen –, forderte Unia-Chefin Vania Alleva landesweit eine Schliessung von Baustellen und Betrieben, bis auch dort umsetzbare und greifende Schutzmassnahmen und -konzepte erarbeitet worden seien. Seitens der Tagespresse musste sich Alleva aufgrund der hohen Kosten, welche diese Massnahme für Industrie und Gewerbe mit sich gebracht hätte, teils scharfen Vorwürfen stellen.

Abseits von Corona ging das Verbandswesen seinen gewohnten Gang. So kam es beispielsweise zu Personalmutationen (nicht abschliessende Auflistung): Jacques Bourgeois trat Ende März nach fast zwei Jahrzehnten von seinem Amt als Direktor des Schweizerischen Bauernverbands (SBV) zurück und wurde von Martin Rufer abgelöst. Flavia Kleiner gab ihr Amt als Co-Präsidentin bei Operation Libero per 20. Juni ab, nachdem sie dieses seit der Gründung der Bewegung 2014 innegehabt hatte, zuletzt zusammen mit Laura Zimmermann. Ihre Nachfolge trat Stefan Manser-Egli an. Einen Wechsel gab es auch bei Economiesuisse, hier trat Christoph Mäder per 1. Oktober die Nachfolge des bis dahin amtierenden Economiesuisse-Präsidenten Heinz Karrer an. Karrer hatte zuvor zwölf Jahre im Vorstand des Wirtschaftsverbands geamtet, sieben davon als Präsident. Ebenfalls im Oktober wurde am Gewerbekongress in Freiburg der Tessiner Fabio Regazzi (cvp) als neuer Präsident des Schweizerischen Gewerbeverbandes (SGV) bestätigt, Diana Gutjahr (svp, TG) wurde in den Vorstand gewählt. Gemäss NZZ wäre die Wahl Gutjahrs anstelle Regazzis wünschenswert gewesen, denn sie, so analysierte die Zeitung, hätte unter anderem in Anbetracht der tiefen Frauenquote beim SGV frischen Wind in den Verband gebracht.

Ferner fanden 2020 mehrere Volksabstimmungen statt. Auch die Verbände nahmen zu den Anliegen Stellung und fassten Parolen.
Medienwirksam diskutiert wurde die von der AUNS zusammen mit der SVP lancierte Begrenzungsinitiative. Sowohl die grossen Wirtschaftsverbände – vertreten durch den SGV und Economiesuisse – als auch die Arbeitnehmerverbände – vertreten durch den Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB), Travail.Suisse sowie die Gewerkschaften Unia, Syna und VPOD – lehnten die Initiative ab. Ein besonders wichtiges Gegenargument war die Befürchtung einer Kündigung des Personenfreizügigkeitsabkommens mit der EU, die eine Annahme der Initiative womöglich zur Folge gehabt hätte.
Die grossen Schweizer Wirtschaftsdachverbände Economiesuisse, der Schweizerische Arbeitgeberverband (SAV), der SGV sowie der SBV fassten ferner gemeinsam die Nein-Parole zur ebenfalls viel diskutierten Konzernverantwortungsinitiative, über die im November abgestimmt wurde. Diese verlangte, dass Unternehmen rechtlich belangt werden können, sollten diese oder ihre Tochterfirmen im Ausland gegen geltende Menschenrechte und Umweltstandards verstossen. Die Wirtschaft, so hiess es seitens der Verbände, stehe ohne Wenn und Aber zu den Menschenrechten und Umweltstandards, doch, so die Argumentation, würde eine Annahme der Initiative Betroffenen im Ausland kaum helfen, zu Rechtsunsicherheit führen und dabei die Schweizer Wirtschaft unter Generalverdacht stellen. Der Gegenvorschlag, welcher bei Ablehnung der Initiative in Kraft treten würde und anstelle von rechtlichen Konsequenzen mehr Transparenz forderte, genoss von den Verbänden Unterstützung. Eine noch grössere Anzahl an Verbänden und insbesondere NGOs stand hingegen für die Initiative ein: Amnesty International, Greenpeace, Swissaid oder die Gesellschaft für bedrohte Völker gehörten zu den Trägerorganisationen der Konzernverantwortungsinitiative. Die Operation Libero, die Unia, der WWF, Terre des Femmes, der SGB und zahlreiche weitere Umweltschutz-, Menschenrechts- und Arbeitsrechtsorganisationen sicherten dem Anliegen ihre Unterstützung zu.

Auch historische Jubiläen konnten im Coronajahr begangen werden: Die Dachorganisation für lokale und regionale Behindertenorganisationen Pro Infirmis feierte ihr 100-jähriges Bestehen; Economiesuisse konnte diese Zahl gar noch überbieten: Seit 150 Jahren gibt es den Dachverband der Schweizer Wirtschaft, wenngleich nicht immer in gleicher Form wie heute.

Zu Jahresbeginn erreichte der Anteil der Zeitungsberichte zum Thema «Verbände» gemessen an allen anderen 2020 durch Année Politique Suisse erfassten Berichte seinen höchsten Wert und sank dann, mit einem erneuten leichten Anstieg im Sommer, bis Ende Jahr deutlich ab. Am stärksten in den Medienberichterstattungen vertreten waren die Industrieverbände sowie die Gewerkschaften und Arbeitnehmerverbände. Ebenfalls öfters Thema der medialen Berichterstattung waren die Gewerbeverbände, wenig vertreten waren hingegen die Landwirtschaft und die übrigen Arbeitgeberverbände.

Jahresrückblick 2020: Verbände
Dossier: Jahresrückblick 2020

Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse fasste im Juni 2020 die Parolen zu den Abstimmungsvorlagen vom 27. September. Wie der Verband in einer Medienmitteilung festhielt, sagte er Nein zur Begrenzungsinitiative und Ja zur Beschaffung neuer Kampfflugzeuge. Zum Referendum über die steuerliche Berücksichtigung der Kinderdrittbetreuungskosten beschloss er Stimmfreigabe. Keine Parolen fasste er zum Vaterschaftsurlaub und zum Jagdgesetz. Bereits Ende 2019 hatte sich der Verband gegen die Begrenzungsinitiative positioniert, die Abstimmungen im Frühling 2020 wurden dann aber aufgrund der Corona-Pandemie auf September verschoben.
Die Begrenzungsinitiative stelle für den Wirtschaftsstandort Schweiz ein Experiment dar und gefährde den Wohlstand, hielt Economiesuisse in ihrer Medienmitteilung fest. Die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge sei nötig, da die aktuelle Flotte in die Jahre gekommen sei und der Luftraum auch zukünftig ausreichend geschützt werden müsse. Zudem betonte der Verband die Rolle der Luftwaffe als Bestandteil des Sicherheitsverbunds, von welchem auch Unternehmen und deren Mitarbeitende profitieren würden.
Die Stimmfreigabe zum Referendum betreffend die Kinderdrittbetreuungskosten begründete Economiesuisse mit der vorwiegend gesellschaftspolitischen und mangelnden volkswirtschaftlichen Relevanz des Kinderabzugs. Sie betonte jedoch auch, dass das Kosten-Nutzen-Verhältnis der Vorlage aus Sicht der Wirtschaft zu wenig ausgewogen sei.

Economiesuisse fasste im Juni die Parolen zu den Abstimmungsvorlagen vom 27. September 2020

Der SGB und der Arbeitnehmerdachverband Travail.Suisse und damit einhergehend auch die grossen Gewerkschaften Unia, Syna und VPOD fassten im Februar 2020 die Nein-Parole zur Begrenzungsinitiative, wie der SGB per Medienmitteilung kommunizierte.
Die Initiative wolle den Lohnschutz aufweichen, die Arbeitsbedingungen verschlechtern und die Schweiz isolieren, so die Hauptargumente der ablehnenden Arbeitnehmerverbände. VPOD-Präsidentin Katharina Prelicz-Huber (gp, ZH) betonte zudem, für migrantische Arbeitskräfte drohe sich bei einer Annahme der Initiative die arbeitsrechtliche Situation besonders zu verschlechtern, da deren Rechte mit der Initiative geschwächt und sie so leichter ausgebeutet werden könnten.
Die Gewerkschaften kündigten mit der Parolenfassung ebenfalls eine grossangelegte Gegenkampagne an, die sodann in den Medien thematisiert wurde. Wie die Initiativgegnerinnen und -gegner bekannt gaben, planten sie, eine Abstimmungszeitung in jeden Schweizer Haushalt verschicken zu wollen. Damit würden die Gewerkschaften auf ein «bevorzugtes Kampagneninstrument der SVP» setzen, konstatierte der Tages-Anzeiger und titelte: «Gewerkschaften greifen SVP mit deren eigenen Mitteln an».
Aufgrund der Corona-Pandemie wurde die ursprünglich für Mai vorgesehene Abstimmung auf September verschoben, weshalb auch die Kampagne unterbrochen wurde. Im Juni gab der SGB schliesslich bekannt, die Kampagne gegen die Begrenzungsinitiative fortzuführen.

Gewerkschaften sagen Nein zu Begrenzungsinitiative

Wie der SGV gegenüber den Medien kommunizierte, hatte er bereits im Oktober 2019 die Nein-Parole zur Begrenzungsinitiative gefasst; im Juni 2020 bekräftigte er seine Entscheidung, nachdem die Abstimmung aufgrund der Corona-Pandemie von Mai auf September hatte verschoben werden müssen.
Schon im Herbst 2019 hatte der SGV mit einem laut eigenen Angaben drohenden Fachkräftemangel argumentiert, der sich bei einer Annahme der Initiative verschärfen würde. Im Sommer 2020 fügte der Verband an, das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU, dessen Kündigung bei einer Annahme der Initiative zur Debatte stünde, sei für die Schweizer Wirtschaft von zentraler Bedeutung. Dank diesem Abkommen könnten KMU «flexibel und unbürokratisch» auf den Fachkräftepool der EU zurückgreifen. Der SGV führte als Dachverband der Schweizer KMU mit seinem Gegenkomitee deshalb eine – wie er es nannte – «KMU-Kampagne gegen die Begrenzungsinitiative», weil der Zugriff auf EU-Arbeitskräfte ein wichtiges Anliegen der Unternehmen sei.

Wie die NZZ im Februar 2020 berichtete, befanden sich einige Vertreterinnen und Vertreter der SVP, welche die Initiative zusammen mit der AUNS lanciert hatte, aufgrund der Nein-Parole in der Zwickmühle. Sylvia Flückiger-Bäni (svp, AG), Vorstandsmitglied des SGV, räumte gegenüber der Zeitung ein, dass sie sich im Clinch befinde und eigentlich die Initiative ihrer Partei unterstützen möchte. Ferner liess Jean-François Rime (svp, FR) verlauten, sich nicht im Abstimmungskampf engagieren zu wollen. Rime bekleidete damals noch das Amt des SGV-Präsidenten. Ursprünglich war vorgesehen, dass Rime bis zum Zeitpunkt der Abstimmung im Mai 2020 sein Amt an seine Nachfolgerin oder seinen Nachfolger übergeben haben würde, da seine Amtszeit regulär im Frühling zu Ende gewesen wäre. Wegen der Corona-Pandemie wurde jedoch neben dem Abstimmungstermin auch die Neuwahl des SGV-Präsidiums auf den Herbst verschoben.

Gewerbeverband fasste Ja-Parole zur Begrenzungsinitiative

Im Februar 2020 lancierte die AUNS an einer Medienkonferenz in Bern ihre Kampagne zur Abstimmung über die Begrenzungsinitiative. Die Begrenzungsinitiative, über die schliesslich aufgrund der Corona-Pandemie erst im Herbst und nicht wie geplant im Mai abgestimmt wurde, sah unter anderem vor, bei einer Annahme das Freizügigkeitsabkommen mit der EU binnen eines Jahres neu zu verhandeln, sodass die Schweiz die Zuwanderung effektiver steuern respektive begrenzen könnte. Wie die AUNS gegenüber der Presse darlegte, sah sie die freie Zuwanderung, bedingt durch das Abkommen mit der EU, als Ursache für steigende Mietpreise sowie für überfüllte Strassen und Züge. Aufgrund der hohen Migrationszahlen, so die AUNS weiter, wachse die Bevölkerung und damit auch deren Platzbedarf zu stark, weshalb die Landschaft vermehrt «zubetoniert» werde, wodurch wiederum die Biodiversität beeinträchtigt werde und die Umweltbelastung steige.
Aus diesen Gründen warb die AUNS mit dem Slogan «Es wird eng» für eine Annahme der Initiative. Obwohl sie die Initiative zusammen mit der SVP lanciert hatte, kämpften der Verein und die Partei mit separaten Kampagnen für eine Annahme.

AUNS-Kampagne zur Abstimmung über die Begrenzungsinitiative

Neben Economiesuisse sprachen sich auch mehrere weitere Wirtschaftsverbände zu Jahresbeginn 2019 für das institutionelle Rahmenabkommen mit der EU aus, wenngleich man noch einigen Klärungsbedarf und einiges Verbesserungspotenzial sah. In der «Weltwoche» verkündete Monika Rühl, Vorsitzende der Geschäftsleitung von Economiesuisse, man befürworte das Abkommen, weil es den Zugang zum EU-Binnenmarkt sichere und die Rechtssicherheit zwischen der Schweiz und der EU verbessere. Bedingungslosen Zuspruch erhielt das Abkommen vom Wirtschaftsdachverband indes nicht: So seien etwa die hohen Schweizer Löhne zu schützen und durch die vorgesehene vereinfachte Niederlassungsmöglichkeit dürfe nicht der Anschein gemacht werden, EU-Bürger hätten Anrecht auf Schweizer Sozialhilfe. Ferner müsse garantiert werden, dass die Schweiz ihr Steuersystem «aufrechterhalten» könne. Diese Punkte, so liess Economiesuisse-Präsident Heinz Karrer gegenüber den Medien verlauten, gelte es noch präzise abzuklären. Ähnlich äusserten sich auch Swissmem-Präsident Hans Hess, SBVg-Präsident Herbert Scheidt oder SAV-Präsident Valentin Vogt: Es gebe zwar Diskussionsbedarf, doch grundsätzlich sei das Abkommen wichtig und richtig, da es die Prosperität der Schweiz sichere.
Vorerst verhalten gab sich der Schweizerische Gewerbeverband: SGV-Direktor Hans-Ulrich Bigler (fdp, ZH) meinte etwa, der Bundesrat dürfe den Vertrag nicht unterzeichnen und müsse eine bessere Version aushandeln. Im April gab der Verband dann bekannt, man wolle sich zum Vertragstext erst wieder äussern, wenn eine definitive Fassung vorliege. Zudem sei nun die Abstimmung zur Begrenzungsinitiative abzuwarten: Würde diese angenommen, hätte sich das mit dem Abkommen sowieso erübrigt.

Rahmenabkommen Meinungen der Wirtschaftsverbände

Die AUNS räumte ihren Sitz in Bern und zog nach Lauterbrunnen, wie die Presse im März 2019 berichtete. Damit wolle die Organisation Mietkosten sparen, wie Präsident Lukas Reimann (svp, SG) bekannt gab. Die Medien deuteten den Umzug der AUNS, die bereits seit einiger Zeit mit finanziellen Schwierigkeiten und Mitgliederschwund zu kämpfen hatte, unterdessen als «stille[n] Abschied einer notorisch laute[n] Organisation» (Sonntags-Blick) oder gar als «geordneten Rückzug» und drohenden «Abstieg in die Bedeutungslosigkeit» (Aargauer Zeitung).
Auf die Frage, ob es den Verband überhaupt noch brauche, gab sich Reimann gegenüber der Medien jedoch entschieden zuversichtlich: Der neue Sitz abseits von Bern passe sogar besser zum Verband, erklärte er, «wir gehen nun ins Réduit». Und dass die AUNS noch immer eine treibende Kraft hinter der SVP sei, so Reimann weiter, sehe man daran, dass ohne AUNS die Initiative gegen die Personenfreizügigkeit wohl kaum zustande gekommen wäre. Wenn es also darauf ankomme, «werde man von der AUNS hören» – auch wenn diese ihren Sitz von der Hauptstadt ins Berner Oberland verlagert hatte.

Die Auns schwächelt

Der Schweizerische Gewerbeverband fasste Ende Januar 2019 die Ja-Parole zur Abstimmung über die geänderte EU-Waffenrichtlinie im Mai. Dies, obwohl SGV-Präsident Jean-François Rime (svp, FR) dem Referendumskomitee angehörte. Nachdem der Verband anfänglich gegen eine Übernahme der geänderten Richtlinie gewesen war, hatte er in der Zwischenzeit eine Kehrtwende gemacht, wie die Aargauer Zeitung festhielt: Erst war man der Meinung, dass die Vorlage das «Verhältnismässigkeitsprinzip in krasser Weise» verletze – etwa ging dem Verein bei Waffenbesitz die regelmässige Überprüfung der Vereinsmitgliedschaft zu weit –, doch dann habe sich das Parlament des Gewerbeverbandes mit einer deutlichen Mehrheit über ihren Präsidenten hinweggesetzt und sich für die Übernahme der Richtlinie ausgesprochen. Druck gemacht hätten insbesondere die Tourismus- und Gastrobranchen: Diese befürchteten bei einer Nichtannahme den Ausschluss aus dem Schengen/Dublin-Verbund, was für den Tourismus gravierende Folgen gehabt hätte, weil dann etwa Reisende aus dem asiatischen Raum bei einer Europareise für die Schweiz ein separates Visum benötigt hätten.

Parole Gewerbeverband

Wie der Sonntagsblick im September 2018 berichtete, wolle die Operation Libero bei den Nationalratswahlen 2019 eine aktive Rolle spielen. Die Bürgerbewegung plane, «frische Gesichter» ins Parlament zu bringen und «Nachwuchskräfte und Politikerinnen» zu fördern. Bedingung für eine Unterstützung sei, dass potenzielle Kandidaten und Kandidatinnen die «aussenpolitische Öffnung der Schweiz» befürworteten, sich für die Rechtsstaatlichkeit einsetzten, eine liberale Migrationspolitik verfolgten und sich für zukunftsorientierte Themen wie die Digitalisierung engagierten. Denn das Parlament, so die Ansicht von Laura Zimmermann, Co-Präsidentin der Operation Libero, im Sonntagsblick, habe in den letzten vier Jahren «in der Europapolitik und anderen zukunftsweisenden Themen» versagt.
Im Dezember 2018 titelte auch die NZZ, die Operation Libero wolle «die Wahlen aufmischen». Die «konservative Koalition, die die Politik zum Stillstand gebracht» habe, solle in eine Minderheit versetzt werden. Noch sei aber nicht klar, wie dies gelingen solle, gab Projektleiter Philipp Brandenstein zu. Man sei aber auf der Suche nach einem kreativen Ansatz, welcher über eine reine Wahlempfehlung hinausgehe. Selbst zu einer politischen Partei werden wolle Operation Libero indes nicht – es gehe aber darum, das «bisherige zivilgesellschaftliche Engagement in ein politisches» zu überführen, damit man den Reformstau in Bern aufzulösen vermöge. Kurzgefasst strebe die Operation Libero im Nationalrat statt der heutigen Mitte-rechts- eine Mitte-links-Mehrheit an – nur würde das die Bewegung offiziell nie zugeben, resümierte die NZZ.

Operation Libero mischt die Wahlen auf

Im Dezember wurde vom Bundesrat ein erster Entwurf zum Rahmenvertrag mit der EU veröffentlicht, worauf die Meinungen der Wirtschaftsverbände insbesondere betreffend des Lohnschutzes auseinandergingen, wie etwa der «Blick» berichtete. Während SAV-Präsident Valentin Vogt und Hans Hess, Präsident von Swissmem, das Abkommen verteidigten, da sie etwa den Lohnschutz auch im Zusammenhang mit den flankierenden Massnahmen nicht als gefährdet betrachteten, enervierten sich die Gewerkschaften darüber, dass der Lohnschutz Teil der Verhandlungen geworden sei. Der neue SGB-Präsident Pierre-Yves Maillard (sp, VD) etwa verlangte in einem Interview mit der Aargauer Zeitung vom Bundesrat, sich an sein Versprechen zu halten, wonach der Lohnschutz bei den Verhandlungen eine rote Linie sei, die nicht überschritten werden dürfe. Eine ähnliche Meinung vertrat auch Hans-Ulrich Bigler (fdp, ZH) vom SGV, denn der Lohnschutz, so Bigler gemäss «Blick», sei unverhandelbar. Würde der Lohnschutz Teil des Abkommens, müsste die Schweiz Richtlinien und Änderungen der EU automatisch übernehmen.
Später berichtete die Sonntagszeitung darüber, dass sich der Disput unter den Verbänden weiter zuspitzte, als Vogt ohne Absprache mit dem Gewerbeverband signalisierte, «den Rahmenvertrag mit grossen Geschenken an die Gewerkschaften retten» zu wollen. Ein Skandal sei dies für Bigler, so die Sonntagszeitung, denn für diesen stehe fest, dass der Vertrag in dieser Form nicht unterschrieben werden dürfe. Später zog Vogt seine Offensive zurück, denn die Gewerkschaften sowie der Gewerbeverband blieben ihrer Position treu.
Economiesuisse-Präsident Heinz Karrer schliesslich hatte bereits im Herbst in der NZZ seine Überzeugung bekannt gegeben, dass im Hinblick auf die Verhandlungen über das Rahmenabkommen mit der EU eine dynamische Übernahme von EU-Gesetzgebungen seitens der Schweiz möglich sei. Da ein Schiedsgericht jeweils die Verhältnismässigkeit überprüfen würde, sodass die EU keine unverhältnismässigen Retorsionsmassnahmen beschliessen könnte, sehe er im Rahmenabkommen gar einen «grosse[n] Vorteil für die Schweiz». Die Gesprächsverweigerung der Gewerkschaften halte er daher für «unschweizerisch», wie das St. Galler Tagblatt zitierte.

Rahmenabkommen Meinungen der Wirtschaftsverbände

Die Basler Zeitung und der Tages-Anzeiger berichteten im September 2018 über Mitgliederschwund, Inaktivität und finanzielle Schwierigkeiten bei der AUNS. Von ehemals 50'000 zähle der Verband heute noch 30'000 Mitglieder; auch sei der Verein mit der Zeit gealtert: Sehr engagierte Mitglieder aus den Zeiten der EWR-Abstimmung, als noch Christoph Blocher den Verband geleitet hatte, habe man unterdessen infolge von Todesfällen verloren, wie der Jahresbericht 2017 der AUNS zitiert wurde. Da mit diesem Mitgliederschwund auch «grosszügige Gönner» verloren gegangen seien, wirke sich das auch auf das Budget aus: Bereits seit Längerem verfolge der Verband ein Sparprogramm, sodass Stellen gestrichen und günstigere Räumlichkeiten hätten gesucht werden müssen. Wie die Basler Zeitung festhielt, monierten AUNS-Mitglieder unter vorgehaltener Hand gar, der derzeitige Präsident Lukas Reimann setze die Prioritäten falsch, indem er etwa an Veranstaltungen teure Gäste wie den britischen Ukip-Chef Nigel Farage oder die ehemalige deutsche AfD-Chefin Frauke Petry einlade. Reimann konterte, ihm sei eine AUNS, die viel Geld ausgebe und etwas bewege, wichtiger als eine AUNS «mit vollem Konto und leerer Agenda». Auch könnten gerade über Social Media viele neue Mitglieder angeworben werden, nur würden diese leider nicht jeden Monat CHF 1'000 zahlen wie «einige Kämpfer der ersten Stunde». Die Inaktivitäts-Vorwürfe erklärte Reimann gegenüber der Presse damit, dass man bereits seit mehreren Jahren auf zahlreiche Aktionen verzichtet habe, um Kräfte zu sparen, welche zur Bekämpfung des institutionellen Rahmenabkommens mit der EU hätten gebraucht werden sollen – nur sei es bis jetzt eben nicht zu einem Rahmenabkommen gekommen.
Dass im November über die Selbstbestimmungsinitiative abgestimmt werde und im Folgejahr über die Übernahme der EU-Waffenrichtlinie, komme der AUNS gelegen – damit könne man beweisen, dass man nicht inaktiv geworden sei, so Reimann.

Die Auns schwächelt

Am 1. November 2017 verabschiedete der Bundesrat die Gesamtschau zur mittelfristigen Weiterentwicklung der Agrarpolitik, deren Ziel es war, dass die Schweiz innerhalb der nächsten vier Jahre neue Handelsabkommen abschliessen sollte, was mit einem partiellen Abbau der Zölle für ausländische Agrarprodukte einhergehen würde. Der Schweizer Bauernverband (SBV) wehrte sich vehement gegen den angestrebten Zollabbau des Bundesrats. Ein Dorn im Auge war dem SBV insbesondere ein Satz auf Seite 59 der Gesamtschau: «Vor diesem Hintergrund wird der Bundesrat in der mittelfristigen Weiterentwicklung der Agrarpolitik einen Grenzschutzabbau im Agrarbereich anstreben, der die Preisdifferenz zwischen dem In- und Ausland um 30 bis 50 Prozent reduziert.» In einer gleichentags veröffentlichten Stellungnahme mit dem Titel «Bundesrat missachtet Volkswillen und will Landwirtschaft opfern» machte der SBV geltend, dass es für die Schweizer Bauern ohne Grenzschutz keine «auch nur annähernd kostendeckende Produzentenpreise» mehr geben würde, was auch die Direktzahlungen des Bundes nicht kompensieren könnten. Auch stehe der im September 2017 von der Stimmbevölkerung klar angenommene Verfassungsartikel über die Ernährungssicherheit im Widerspruch zu den agrarpolitischen Absichten des Bundesrates. Mehr Freihandel würde eine nachhaltige und tierfreundliche einheimische Produktion nicht stärken, im Gegenteil, dadurch würde sich der Strukturwandel verschärfen und der Rückgang von landwirtschaftlichen Betrieben weiter vorangetrieben, monierte der SBV. Der Bauernverband riet dem Bundesrat, die Gesamtschau zu «schreddern» – neue Ideen, nicht alte Ideologien seien gefragt. In einem Interview mit der Berner Zeitung verteidigte der zuständige Bundesrat Schneider-Ammann den Kurs des Bundesrates. Die EU stehe kurz vor einem Freihandelsabkommen mit den vier Staaten des Mercosur-Wirtschaftsraums (Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay), was es in Zukunft etwa der deutschen Industrie aufgrund von Zollreduktionen erlauben werde, viel billiger in diese Staaten zu exportieren. Wolle die Schweizer Wirtschaft im Exportmarkt gegenüber der europäischen Industrie konkurrenzfähig bleiben und keine Arbeitsplätze an die Nachbarstaaten verlieren, dann müsse man beim Mercosur-Abkommen nachziehen. Er versuchte die Bauern damit zu besänftigen, dass «kein Mensch von komplett zollfrei [redet]» und im äussersten Fall die Hälfte des heutigen Schutzes aufgegeben werden müsste. Niemand wolle die Landwirtschaft abschaffen, das sei eine masslose Übertreibung, so Schneider-Ammann. Zu beruhigen vermochte das den Bauernverband jedoch nicht; an der Jahresmedienkonferenz im Januar 2018 im solothurnischen Derendingen bekräftigte der SBV seine Haltung. «Fairer Handel statt Freihandel» war das Credo des Bauernverbandes, denn eine nachhaltige, umweltschonende und tierfreundliche Landwirtschaft sei nicht möglich zu Weltmarktpreisen.

Kurz darauf spitzte sich die Lage zwischen Bauernverbandspräsident Markus Ritter und Wirtschaftsminister Schneider-Ammann zu. Der SBV wollte bei Schneider-Ammann persönlich vorsprechen und bat in einem Brief um ein Gespräch, um die «Zusammenarbeit und die Kommunikation zu besprechen», so Ritter im St. Galler Tagblatt. Die Verbandsspitze hatte sich bei der Erarbeitung der Gesamtschau des Bundesrates übergangen gefühlt, da sie vorgängig nicht angehört worden sei. Schneider-Ammann schlug das Angebot jedoch aus: «Ein separates Treffen mit Vertretern des Bauernverbandes ist nicht geplant», liess sich das WBF in einigen Medien zitieren. Stattdessen wolle man im Februar 2018 alle Beteiligten an einen runden Tisch zum Mercosur-Agrar-Gipfel einladen, um ein Freihandelsabkommen mit dem südamerikanischen Wirtschaftsraum zu diskutieren. Diese Einladung schlug am 24. Januar 2018 wiederum der Bauernverband aus. Die Gesamtschau des Bundesrates stelle keine Grundlage für eine zukunftsfähige Landwirtschaft dar, hiess es in einer Medienmitteilung des SBV. Einige vom Bundesrat gemachte Annahmen seien «komplett unrealistisch», so etwa die Kostenentwicklung bei den meisten Vorleistungen oder was die Löhne für die landwirtschaftlichen Angestellten angehe. Hinzu komme, dass ein Plan fehle, wie die «massiven Verluste der Bauernfamilien» aufgefangen würden.

Nachdem der Mercosur-Agrar-Gipfel in Bern tatsächlich ohne Bauernverband abgehalten worden war – andere agrarwirtschaftliche Verbände wie die Schweizer Milchproduzenten, IP-Suisse, Bio-Suisse, die Agrarallianz oder Proviande hatten daran teilgenommen – äusserten die Medien Skepsis gegenüber der Strategie des SBV. «Trotzende Bauern befremden» übertitelte die «Nordwestschweiz» ihren Kommentar, in welchem der Bauernverband aufgefordert wurde, die Marktöffnung aktiv mitzugestalten, anstatt sich «trotzig im Reduit zu verschanzen». Die NZZ sprach von einem «Eigentor des Bauernverbands», weil die Bauern mit der Gesprächsverweigerung die Sympathien der breiten Bevölkerung und der Wirtschaft aufs Spiel setzen würden.

Im April 2018 reiste eine 50-köpfige Delegation unter der Leitung Schneider-Ammanns nach Südamerika in die Mercosur-Staaten, um Informationen aus erster Hand zu erhalten; auch dieser Reise blieb der SBV fern. Es war der negative Höhepunkt in der Beziehung zwischen dem Bauernverband und dem WBF; danach trat etwas Entspannung ein. Glaubt man den Mutmassungen in den Medien, so dürften insbesondere erste Zahlen in den Verhandlungen zwischen den Mercosur-Staaten und der EU dazu beigetragen haben. Nach aktuellstem Angebot wollte die EU jährlich einen Import von rund 100'000 Tonnen Rindfleisch zulassen; auf die Bevölkerung der Schweiz umgerechnet wären das rund 2'000 Tonnen Rindfleisch, dessen Import die Schweiz zu tieferen Zolltarifen zulassen müsste, würde das Schweizer Abkommen inhaltlich jenem der EU gleichen. Bei einem jährlichen Schweizer Konsum von 100'000 Tonnen Rindfleisch, wovon bereits heute 45'000 Tonnen importiert würden, scheine das verkraftbar, kommentierte die «Nordwestschweiz».

Ende April nahmen Schneider-Ammann und Ritter den Gesprächsfaden wieder auf und vereinbarten ein Treffen, bei dem es jedoch zu keiner sachlichen Einigung kam – Schneider-Ammann hielt nach wie vor an jenem Satz auf Seite 59 fest, aufgrund dessen der Bauernverband auf die Barrikaden gegangen war. Immerhin gestand Ritter anfangs Mai in der NZZ ein, dass er nicht grundsätzlich gegen Freihandel sei, dass es aber rote Linien gebe, beispielsweise solle auch in Zukunft zugunsten der Ernährungssicherheit der heutige Anteil der importierten Lebensmittel von rund 40 Prozent beibehalten werden und nicht weiter steigen. Zeit für eine «Versachlichung der Diskussion» bleibe, so Ritter, weil acht betroffene EU-Länder zum EU-Mercosur-Abkommen Vorbehalte geäussert hätten und damit jene Verhandlungen noch andauern dürften. Einig seien sich Schneider-Ammann und Ritter jedoch gewesen, dass es in der Kommunikation zwischen dem Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) und dem Bauernverband Verbesserungspotenzial gebe; seither tausche man sich wieder aus.

Am 4. Juni 2018 wurde die Gesamtschau des Bundesrates im Nationalrat behandelt und mit 108 zu 74 Stimmen (7 Enthaltungen) zur Überarbeitung an den Bundesrat zurückgewiesen, womit sich die Aggrarlobby im Parlament vorerst gegen den Bundesrat durchsetzen konnte.

Bauern gegen Freihandel
Dossier: Freihandelsabkommen mit den MERCOSUR-Staaten

Die Frage, wie die Volksinitiative „Gegen Masseneinwanderung“ der SVP umgesetzt werden sollte, liess die drei grossen Wirtschaftsverbände auch im Jahr 2016 gespalten. Bevor das Geschäft in den Nationalrat kam, liess der Gewerbeverband (SGV) verlauten, dass er Kontingente und Höchstzahlen ablehne und sich stattdessen für einen „niederschwelligen“ Inländervorrang einsetze. Das Bekenntnis des Gewerbeverbands zu einer sanften Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative war für die Medien eine Überraschung, da der Verband zuletzt durch seine Nähe zur SVP aufgefallen war. Verbandsdirektor Hans-Ulrich Bigler sagte diesbezüglich in einem Interview mit dem Tagesanzeiger, dass es intern „keine grosse Opposition“ gegen diese Position gegeben habe und sich auch SVP-Vertreter dafür ausgesprochen hätten. Economiesuisse und der Arbeitgeberverband (SAV) hingegen sprachen sich vor der Nationalratsdebatte für eine strengere Umsetzung der Volksinitiatve aus. Zwar befürworteten auch sie in einer ersten Phase eine milde Umsetzung. Sollte sich diese aber als wirkungslos herausstellen, sollte der Bundesrat in einer zweiten Phase die Möglichkeit haben, strengere Massnahmen zu ergreifen, notfalls auch ohne Einwilligung der EU. Economiesuisse schwenkte jedoch um, nachdem sich der Nationalrat Mitte September für einen „Inländervorrang light“ ausgesprochen hatte, der mit den Bilateralen Verträgen kompatibel war. Man sei „erfreut“ über den Entscheid des Nationalrats, hiess es in einer Medienmitteilung des Verbands. Der Arbeitgeberverband hingegen pochte weiterhin darauf, dass die Schweiz auch ohne Zustimmung der EU Abhilfemassnahmen einführen können solle – jedoch erfolglos, wie die endgültige Ausarbeitung des Gesetzes im Dezember zeigte.
Kritik musste in der Folge vor allem Economiesuisse einstecken, deren Verbandsspitze um Präsident Heinz Karrer und Direktorin Monika Rühl Führungsschwäche vorgeworfen wurde. Anstatt bei einem Europa-Geschäft – einem Kerndossier von Economiesuisse – eine Führungsrolle einzunehmen, habe man sich hinter dem Arbeitgeberverband versteckt, resümierte etwa die NZZ.

Umsetzungsvorschläge der Wirtschaftsverbände zur Masseneinwanderungsinitiative (2016)
Dossier: Masseneinwanderungsinitiative

Im Frühling 2015 wurde von einer Koalition aus Wirtschaft und Politik der Verein Vorteil Schweiz gegründet mit dem Ziel, die bilateralen Verträge mit der EU zu erhalten. Vorteil Schweiz wolle eine Koordinationsfunktion wahrnehmen und damit eine Verzettelung jener Gruppierungen verhindern, die sich nach dem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative für die Rettung der bilateralen Verträge einsetzten, sagte Mitinitiant und BDP-Nationalrat Hans Grunder gegenüber dem Tagesanzeiger. Neben anderen Nationalräten aus den Parteien FDP, CVP, SP, GLP und Grüne wird der Verein auch von zahlungskräftigen Vertretern aus der Wirtschaft unterstützt, wie etwa von Unternehmer Jobst Wagner, der Unternehmerin Nicole Loeb oder dem Milliardär Hansjörg Wyss.

Gründung des Vereins Vorteil Schweiz

Die Neue Europäische Bewegung Schweiz (Nebs) wählte Nationalrätin Christa Markwalder (fdp, BE) anstelle des ebenfalls freisinnigen Waadtländer Nationalrats Yves Christen zur Präsidentin. Ziel der aus der Fusion verschiedener integrationsfreundlicher Gruppen hervorgegangenen Nebs bleibt ein möglichst rascher Beitritt der Schweiz zur EU. Im Herbst lancierte die Nebs eine Kampagne, welche mit Hilfe der im Vergleich zur EU hohen Schweizer Konsumentenpreise den Vorteil eines EU-Beitritts schmackhaft machen wollte.

Neue Europäische Bewegung Schweiz

Noch bevor der Bundesrat in seinem Bericht zur Europapolitik der Schweiz den Beitritt zur EU von einem strategischen Ziel zu einer Option, also einer Möglichkeit unter anderen, zurückstufte, meldete sich der Dachverband der schweizerischen Wirtschaft, Economiesuisse, zu Wort. Er wandte sich kategorisch gegen einen EU-Beitritt und erklärte die Fortführung des eingeschlagenen bilateralen Wegs „zur einzigen realistischen Option“. Für Economiesuisse wäre ein Beitritt angesichts der Notwendigkeit einer Volksabstimmung politisch nicht zu realisieren. Zudem wäre er aber auch wegen des Souveränitätsverlustes, der hohen Kosten von jährlich rund 5 Mia Fr. und den zunehmend protektionistischen Tendenzen in der EU gar nicht wünschbar. Damit die Schweiz den Weg der sektoriellen vertraglichen Vereinbarungen mit der EU weiter verfolgen könne, seien jedoch weitgehende wirtschaftspolitische Liberalisierungsschritte erforderlich, insbesondere in den Bereichen Post, Telekommunikation und Landwirtschaft.

Economiesuisse kategorisch gegen einen EU-Beitritt

Die für einen Beitritt der Schweiz zur EU kämpfenden Organisationen „Neue Europäische Bewegung“ (NEBS; rund 7000 Mitglieder) und „Bewegung Renaissance Suisse Europe“ (300 Mitglieder), welche am 4. März in der Volksabstimmung über die Initiative „Ja zu Europa“ eine schwere Niederlage erlitten hatten (23% Ja-Stimmen), beschlossen in der Folge eine Fusion.

Neue Europäische Bewegung Bewegung Renaissance Suisse Europe

Nachdem der SGB bereits während der parlamentarischen Beratungen im Herbst 1999 gedroht hatte, die bilateralen Verträge mit der EU zu bekämpfen, wenn die arbeitsmarktlichen Begleitmassnahmen unbefriedigend ausfallen würden, erneuerte er seine Drohung im Berichtsjahr, als die Verhandlungen im Baugewerbe über einen neuen Gesamtarbeitsvertrag ins Stocken gerieten. Nachdem die Situation dank der Vermittlung durch Wirtschaftsminister Couchepin deblockiert war, und die Vertragsverhandlungen erfolgreich abgeschlossen werden konnten, gab der SGB die Ja-Parole zu den Abkommen mit der EU aus.

bilateralen Verträge mit der EU

Die Delegiertenversammlung des Schweizerischen Bauernverbandes (SBV) sprach sich im November bei nur wenigen Gegenstimmen für die bilateralen Verträge mit der EU aus; das dagegen lancierte Referendum solle nicht unterstützt werden. Die Verträge würden zwar die Konkurrenz auf dem inländischen Agrarmarkt noch verstärken, böten der schweizerischen Landwirtschaft aber auch einen besseren Marktzugang in der EU, von welchem beispielsweise die Käseproduktion durchaus profitieren könnte. Allerdings verlangte der SBV von der Landesregierung, dass die einheimische Agrarwirtschaft mit gleich langen Spiessen kämpfen kann wie ihre ausländische Konkurrenz. Insbesondere sollen die Konsumenten obligatorisch über die Herkunft und die Produktionsmethoden von Agrarprodukten informiert werden müssen. Dies würde es den Verbrauchern erlauben, eine faire Wahl zwischen den inländischen und den nicht zuletzt wegen den in den EU-Staaten zum Teil wesentlich tieferen Standards (z.B. bezüglich Tierhaltung) billigeren ausländischen Erzeugnissen zu treffen. Eine entsprechende Eingabe hatte der SBV bereits zu Jahresbeginn zusammen mit dem Schweizer Tierschutz und Konsumentenorganisationen an den Bundesrat gerichtet.

Eine eher seltene Allianz entstand im Vorfeld der WTO-Konferenz in Seattle (USA) vom Dezember. Der SBV verlangte gemeinsam mit den Gewerkschaftsdachverbänden SGB und CNG, Umweltschutzorganisationen und Hilfswerken vom Bundesrat, sich im Rahmen der WTO nicht für eine weitere Liberalisierung der weltweiten Wirtschaftsbeziehungen einzusetzen.

Sichtweise des SBV zu den bilateralen Verträgen und der WTO 1999