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Jahresrückblick 2023: Bildung und Forschung

Im Jahr 2023 war der Bereich Bildung und Forschung von keinem grösseren Ereignis geprägt, es waren vielmehr verschiedene kleinere Debatten, die im Laufe des Jahres inner- und ausserhalb des Parlaments geführt wurden. Dies zeigte sich auch in der Medienberichterstattung (vgl. Abbildung 1 der APS-Zeitungsanalyse), wo sich kein grösserer inhaltlicher Schwerpunkt feststellen lässt. Generell brachten die Medien dem Themenbereich «Bildung und Forschung» im Vergleich zu den Vorjahren relativ wenig Interesse entgegen (vgl. Abbildung 2). Zweifellos wurden aber 2023 auch in diesem Themenbereich wichtige Punkte debattiert.

Bei den Grundschulen, insbesondere auf Primarstufe, war der Lehrkräftemangel ein wichtiges Thema. Wie bereits im Vorjahr waren auch im Frühling 2023 im Hinblick auf das neue Schuljahr noch viele Stellen unbesetzt. Um diesem Problem auf den Grund zu gehen, überwies das Parlament zwei Postulate, die einen Bericht zu den Gründen für den Berufswechsel von Lehrpersonen und eine systematische Evaluation der vergangenen und laufenden Schulreformen forderten. Eine weitere Motion, die verlangte, dass Absolventinnen und Absolventen der Berufsmatura ohne Aufnahmeprüfung zum Studium als Primarlehrerin oder Primarlehrer an der PH zugelassen werden, scheiterte im Ständerat. Durch Annahme eines weiteren Postulats ist der Bundesrat jedoch angehalten, die Zulassungsbedingungen zur PH zu überprüfen.

In der Berufsbildung verlangte eine viel beachtete Motion die Anpassung der Titel von Abschlüssen: Durch die Einführung der sogenannten Titeläquivalenz durch die Schaffung eines Professional Bachelor und Professional Master soll eine Aufwertung der höheren Berufsbildung (HBB) im In- und Ausland erfolgen. Der Vorstoss scheiterte jedoch im zweitberatenden Ständerat; befürchtet wurde eine Verwechslung mit den akademischen Titeln der universitären Hochschulen. Jedoch wird der Bundesrat 2024 in Erfüllung zweier Motionen (Mo. 18.3392 und Mo. 18.3240) einen Entwurf in die Vernehmlassung schicken, in dem die Titel «Professional Bachelor» und «Professional Master» lediglich als Zusätze zu den bestehenden und geschützten Berufsbezeichnungen eingeführt werden sollen, wie der Bundesrat im November 2023 in einem Bericht erklärte. Die neuen international verständlichen Titel sollen also nur gemeinsam mit den eidgenössisch anerkannten HBB-Titeln getragen werden dürfen.

Bei den Beziehungen der Schweiz zur EU kam es im Berichtsjahr zu keiner substanziellen Einigung (vgl. Jahresrückblick zur Aussenpolitik), daher bewegte sich auch bei der von der Schweiz gewünschten Assoziierung an das Forschungsprogramm Horizon nicht viel. Allerdings beschloss der Bundesrat für das Jahr 2023 Übergangsmassnahmen in der Höhe von CHF 625 Mio. für die Ausschreibungen des Horizon-Pakets. Zudem legte die WBK-SR einen Vernehmlassungsentwurf für das Horizon-Fonds-Gesetz vor, das zwei Basler Standesinitiativen umsetzen soll. Dieser zeitlich befristete Fonds soll die finanziellen Mittel für die Schweizer Forschungsstätten in der aktuellen Horizon-Programmperiode 2021–2027 besser sichern und die Nachteile infolge der Nichtassoziierung der Schweiz möglichst kompensieren.

Jahresrückblick 2023: Bildung und Forschung
Dossier: Jahresrückblick 2023

Nachdem der Nationalrat während der Herbstsession 2023 die Motion Roduit (mitte, VS) mit dem Titel «Endometriose. Schluss mit den medizinischen Irrungen und Wirrungen» angenommen hatte, befasste sich der Ständerat in der darauffolgenden Wintersession mit dem Geschäft. WBK-SR-Sprecherin Isabelle Chassot (mitte, FR) betonte die Relevanz, welche der Endometrioseforschung zukomme. Dennoch empfehle die Kommission, den Vorstoss abzulehnen. Die Freiburgerin begründete diese Haltung damit, dass zur Festlegung von Forschungsthemen transparente und koordinierte Regeln existierten, an denen die ständerätliche WBK festhalten wolle. Projekte zur Endometriose könnten etwa durch das NFP 83 «Gendermedizin und -gesundheit» unterstützt werden. Anders sah dies Céline Vara (gp, NE), welche die Annahme der Motion beantragte. Sie begründete ihren Antrag unter anderem damit, dass die spezifisch weibliche Krankheit Endometriose nicht in das Thema «Gender» passe und die Forschungsförderung für Endometriose verglichen mit anderen Krankheiten gering ausfalle. Weiter verwies sie auf die Petition «Endometriose – Geben Sie Betroffenen eine Stimme!» (Pet. 22.2012), welche mit über 18'000 Unterschriften eine breite Unterstützung erfahren hatte. Nichtsdestotrotz lehnte der Ständerat die Motion mit 23 zu 11 Stimmen (bei 9 Enthaltungen) ab.

Endometriose: Schluss mit den medizinischen Irrungen und Wirrungen (Mo. 22.3224)
Dossier: Behandlung der Petitionen der Frauensession 2021 in parlamentarischen Vorstössen

Im November 2023 informierte das SBFI in einem Bericht über den Stand und das weitere Vorgehen beim Projekt «Positionierung Höhere Fachschulen». Seit dem letzten nationalen Spitzentreffen der Berufsbildung im November 2022 hatte das SBFI die Massnahmen zur Stärkung der HBB und ihrer Abschlüsse weiter konkretisiert und betroffene Kreise dazu konsultiert. Bezüglich der Titeläquivalenz schlug das SBFI nun vor, die ergänzenden Titel «Professional Bachelor» und «Professional Master» als Titelzusätze zu den bestehenden geschützten Titeln hinzuzufügen. Dies bedeutet, dass alle Diplome der höheren Fachschulen sowie alle Berufsprüfungen den Zusatz «Professional Bachelor» erhalten sollen, während den Absolventinnen und Absolventen der höheren Fachprüfungen auch der Titel «Professional Master» zustehen würde. Die Einführung dieser ergänzenden Titel sei von den Akteurinnen und Akteuren der Berufsbildung begrüsst worden, FH Schweiz und Swissuniversities als Vertretung der universitären Hochschulen hätten sich demgegenüber allerdings kritisch gezeigt. Die neuen Titelzusätze sollten gemäss SBFI mittels einer Revision im BBG verankert werden, wofür bis spätestens im Herbst 2024 eine Vernehmlassung eröffnet werden solle. Dieses Vorgehen hatte Bildungsminister Parmelin bereits in der Frühlingsession 2023 im Ständerat im Rahmen der Debatte der Motion Aebischer (sp, BE; Mo. 20.3050) angekündigt, die eine Titeläquivalenz für die höhere Berufsbildung forderte.

Akademisierung der Höheren Berufsbildung
Dossier: Höhere Fachschulen

Die WBK-NR reichte im Juni 2023 ein Postulat ein, das sich mit den Dissertationsmöglichkeiten von Abgängerinnen und Abgängern von Fachhochschulen beschäftigte. Der Bundesrat wurde darin gebeten, zu Fragen der diesbezüglichen Kooperation zwischen universitären Hochschulen und FH Stellung zu nehmen. Dabei wollte die Kommission auch wissen, für welche Fachbereiche der FH die Möglichkeiten zur Dissertation an einer Schweizer Universität nicht bestehen. Die Kommissionsmehrheit argumentierte, dass nur wenige Absolventinnen und Absolventen einer FH ein Doktoratsprogramm besuchen; dies berge die Gefahr, dass die FH letztlich nicht in der Lage seien, den eigenen Lehrkörper auszubilden. Dies sei jedoch angesichts des FH-Ausbildungscredos «Aus der Praxis für die Praxis» wünschenswert.
Eine Kommissionsminderheit um Peter Keller (svp, NW) beantragte die Ablehnung des Postulats. Auch der Bundesrat empfahl das Postulat zur Ablehnung, obwohl auch er den wissenschaftlichen Nachwuchs der FH und der PH fördern wolle. Er wies indes darauf hin, dass im Rahmen der projektgebundenen Beiträge 2021−2024 der BFI-Periode 2021−2024 bereits Programme zu ebendieser Doktoratsausbildung laufen würden. Eine Zwischenevaluation dieser Programme sei für 2023 geplant; die Schlussevaluation für 2025.
Der Nationalrat diskutierte das Anliegen in der Herbstsession 2023. Im Rat unterstrich Minderheitensprecher Keller, dass das Doktorat den universitären Hochschulen vorbehalten bleiben solle, und verwies auch auf die vom Bundesrat ausgeführten Kooperationsmöglichkeiten. Bildungsminister Guy Parmelin präzisierte diese bereits bestehenden Kooperationen; so gebe es etwa für eine Dissertation in Sozialarbeit eine Kooperation zwischen der PH der Westschweiz (HES-SO) und der Universität Neuchâtel. Der Rat sprach sich aber in der anschliessenden Abstimmung mit 127 zu 55 Stimmen (1 Enthaltung) für Annahme des Postulats aus. Die geschlossen stimmende SVP-Fraktion sowie zwei Mitglieder der FDP.Liberalen-Fraktion lehnten den Vorstoss ab.

Evaluation der Kooperationsprojekte im Bereich der Doktoratsausbildung (Po. 23.3960)

Im Frühjahr 2022 reichte Benjamin Roduit (mitte, VS) eine Motion ein, die auf die verstärkte Forschungsförderung zu Endometriose abzielte. So solle der SNF mit einem entsprechenden Forschungsauftrag betraut werden, wobei auch auf die finanziellen Auswirkungen der Krankheit auf die Krankenkassen und die Gesellschaft eingegangen werden soll. Der Bundesrat beantragte die Ablehnung der Motion.
Der Nationalrat befasste sich in der Herbstsession 2023 mit dem Vorstoss. Vor seinen Ratskolleginnen und -kollegen betonte der Motionär die Bedeutung seines Anliegens. Bedingt durch ihr Ausmass – eine von zehn Frauen sei von der Krankheit betroffen – und den mit ihr verbundenen Einschränkungen im täglichen Leben handle es sich bei der Endometriose um ein öffentliches Gesundheitsproblem. Oftmals werde die Krankheit aber erst nach vielen Jahren diagnostiziert – einerseits aufgrund ungenügenden Wissens in der Bevölkerung und bei der Ärzteschaft, andererseits wegen dem begrenzten Zugang zu Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten. Das Parlament habe sich bereits einige Male dem Thema Endometriose angenommen. Dennoch biete beispielsweise das Postulat der WBK-SR mit dem Titel «Für eine Strategie zur Früherkennung von Endometriose» nicht die benötigten Forschungsmittel für eine entsprechende Studie. Bundesrat Guy Parmelin beteuerte, dass sich Bund und Kantone dafür engagierten, dass Frauen mit Endometriose die notwendige Gesundheitsversorgung erhielten. Da die Regierung auf das «bottom-up»-Prinzip setze, bei welchem Forschende von Schweizer Hochschuleinrichtungen jederzeit einen Antrag für Mittel stellen können, um ihre wissenschaftlichen Projekte zu Endometriose durchzuführen, und es bereits mehrere solche Projekte gebe, beantrage die Landesregierung dennoch die Ablehnung der Motion. Mit 106 zu 76 Stimmen (bei 9 Enthaltungen) nahm der Nationalrat den Vorstoss jedoch an. Dabei stimmten die Fraktionen der SP, GLP und der Grünen geschlossen für den Antrag. Von der Mitte-Fraktion enthielten sich 7 Mitglieder ihrer Stimme, der Rest sprach sich ebenfalls für die Motion aus. Gegen den Vorstoss stimmten hingegen die Fraktionen der SVP und der FDP, wobei sich pro Fraktion je eine Person gegen die Fraktionsmeinung stellte und das Geschäft befürwortete. Die restlichen beiden Enthaltungen stammten aus den Reihen der FDP.
Dass das Thema nicht nur innerhalb des Parlaments zu reden gab, sondern auch in der Bevölkerung sehr präsent ist, zeigt etwa die Petition «Endometriose – Geben Sie Betroffenen eine Stimme!» (Pet. 22.2012), welche von 18'672 Personen unterschrieben wurde, sowie die Petition «Chancengleichheit für eine ganzheitliche sexuelle Gesundheit von Frauen» (Pet. 21.2035). Letztere war im Rahmen der Frauensession 2021 eingereicht worden.

Endometriose: Schluss mit den medizinischen Irrungen und Wirrungen (Mo. 22.3224)
Dossier: Behandlung der Petitionen der Frauensession 2021 in parlamentarischen Vorstössen

Eine von der Universität Zürich in Auftrag gegebene und im Mai 2023 in der Sonntagszeitung vorgestellte, zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht wissenschaftlich überprüfte Studie zu den Gründen für die so genannte «leaky pipeline» warf medial hohe Wellen. «Leaky pipeline» bezeichnet das Phänomen, dass Frauen in einigen Studienrichtungen bei den Studierenden zwar die Mehrheit bilden, ihr Anteil bei den höheren akademischen Stellen bis hin zu den Professuren jedoch abnimmt. Der Autor des entsprechenden Zeitungsartikels, der die Überschrift «Die meisten Studentinnen wollen lieber einen erfolgreichen Mann als selber Karriere machen» trug, zog aus der Studie die Bilanz, dass die leaky pipeline nicht etwa auf eine tatsächliche Diskriminierung der Frauen zurückzuführen sei, sondern vor allem auf die Tatsache, dass viele Studentinnen gar keine Karriere machen möchten. Ausserdem planten sie, falls sie Kinder bekommen sollten, eher Teilzeit zu arbeiten, währenddem es sodann am Partner liegen solle, für das Haupteinkommen zu sorgen. Gemäss den Autorinnen des Artikels – der Ökonomin Margit Osterloh und der Soziologin Katja Rost – lasse die Studie also den Schluss zu, dass die leaky pipeline auf unterschiedliche Präferenzen der beiden Geschlechter zurückzuführen sei.
Auf diese Studie und den diesbezüglichen Zeitungsartikel folgten diverse, ganz unterschiedliche Reaktionen. Michael Hermann vom Meinungs- und Politikforschungsinstitut Sotomo kritisierte insbesondere den Titel des Zeitungsartikels. Dieser sei schlichtweg falsch; die Resultate der Studie sagten dies nicht aus. Hermann bemängelte auch das methodische Design der Studie. So sei es den Studierenden bei der Umfrage nur möglich gewesen, sich zwischen den beiden Polen «100 Prozent arbeiten und Karriere machen» und «sich um die Familie kümmern und 60 Prozent oder weniger arbeiten» zu entscheiden. Eine Rubrik «Karriere machen und sich um die Familie kümmern» habe gänzlich gefehlt. Auch Markus Theunert von männer.ch stellte die Analyse in der Sonntagszeitung in Frage. Er fand vor allem das im Artikel der Sonntagszeitung nicht erwähnte Resultat interessant, dass nur eine Minderheit der befragten Studierenden (beider Geschlechter) eine Führungsposition mit Personalverantwortung anstrebten. Ebenso zeigten die Befragungen, dass sich nur eine Minderheit der Studentinnen einen Partner wünschte, der nach der Familiengründung Vollzeit arbeitet. In einem Meinungsbeitrag des Tages-Anzeigers wurde zu bedenken gegeben, dass es nicht zulässig sei, aus den Unterschieden im geschlechtspezifischen Antwortverhalten zu folgern, «dass die meisten Frauen aufgrund spezifisch weiblicher Neigungen auf eine Karriere verzichten». Schliesslich übte auch Dagmar Iber, Assistenzprofessorin am Departement Biosysteme der ETH Zürich, Kritik an der Studie. Sie hielt fest, dass es in der Studie grundsätzlich darum ging herauszufinden, weshalb die leaky pipeline existiert. Zu dieser Frage biete die Studie jedoch keine Erkenntnisse. Dazu hätte die Studie auf die talentiertesten Personen und ihre Partnerinnen und Partner eingehen sollen, weil nur diese um die Professuren konkurrierten. Die Antworten der übrigen Studierenden spielten für den Frauenanteil bei den Lehrstühlen kaum eine Rolle, folgerte Iber.
Auf der anderen Seite des Meinungsspektrums figurierten die Autorinnen selber, die ihre Studie verteidigten und die die hitzige Debatte zu ihrer Studie kritisierten, so zum Beispiel an einem Podiumsgespräch an der Universität Zürich. In der Weltwoche wurde Katja Rost dahingehend zitiert, dass der mediale Aufschrei damit zusammenhänge, dass die Diskriminierung der Frauen nicht in Frage gestellt werden dürfe: «Dies – das Mantra der Diskriminierung, das unbedingt aufrechterhalten werden müsse – sei das grosse Thema, um das es hier gehe». Gemäss Katja Rost habe sich die Gleichstellungspolitik in eine dogmatische Richtung entwickelt; es gehe darin nicht mehr um tatsächliche Gleichstellung, sondern um «Gleichmachung». Des Weiteren gingen auch Beiträge von Katharina Fontana in der NZZ auf die Kritik an der Studie ein. Fontana führte die von den Studentinnen in der Befragung angegebene empfundene Diskriminierung an der Universität auf die «Dauerpropaganda von Behörden und Lobbys» zurück. Dadurch würde den Mädchen schon in jungen Jahren suggeriert, diskriminiert zu werden. Zudem sei der Ärger gewisser Personen, darunter Politikerinnen wie Kathrin Bertschy (glp, BE) oder Tamara Funiciello (sp, BE), damit zu erklären, dass der Sinn vieler universitärer Gleichstellungsmassnahmen durch die Studie in Frage gestellt werde. Nicht zuletzt gehe es auch um finanzielle Mittel für Gleichstellungsmassnahmen, die nur fliessen würden, «wenn das Dogma der allgegenwärtigen Diskriminierung der Frauen aufrechterhalten wird», so Fontana.
Die Studie kann auf der Website der Co-Autorin Katja Rost heruntergeladen werden, ist Stand November 2023 aber noch nicht wissenschaftlich publiziert worden.

Studie zu Frauen und Berufswelt

Nachdem der Nationalrat eine Motion der SGK-NR zur Förderung der Gendermedizin angenommen hatte, beantragte die Mehrheit der WBK-SR ihrem Rat die Ablehnung des Anliegens. Sie war der Meinung, dass dieses Anliegen mit einer anderen Kommissionsmotion der SGK-NR zur Förderung von Forschung und Therapie für spezifische Frauenkrankheiten (Mo. 22.3869) besser zu erfüllen sei. Insbesondere lehnte es die Kommissionsmehrheit ab, dass der Bund Vorgaben zu den Nationalen Forschungsprogrammen (NFP) des SNF macht, da diese «bottom-up» entstehen sollten. Schliesslich sei ein NFP zu Gendermedizin bereits in Planung. Die Kommissionsminderheit hingegen erinnerte daran, dass das Parlament bereits früher bei der Verwirklichung eines NFP mitgewirkt habe, und war der Ansicht, dass die Motion dazu beitragen könne, die Erforschung frauenspezifischer Krankheiten voranzubringen. Sie beantragte folglich, die Motion anzunehmen. Im Ständerat, der sich in der Sommersession 2023 mit dem Vorstoss auseinandersetzte, kam es dennoch zu keiner Abstimmung: Die Kommissionsminderheit zog ihren Antrag zurück, da der Bundesrat wenige Tage vor der parlamentarischen Beratung die Lancierung der neuen Nationalen Forschungsprogramme bekannt gegeben hatte, darunter eines zur Gendermedizin. Damit ist die Motion erledigt.

Gender-Medizin. Schluss mit Frauen als Ausnahme in der Medizin (Mo. 22.2868)
Dossier: Behandlung der Petitionen der Frauensession 2021 in parlamentarischen Vorstössen

Der Bundesrat lancierte im Juni 2023 vier neue Nationale Forschungsprogramme. Diese vier Programme in den Bereichen Biodiversität, Gendermedizin, Baukultur und Pflanzenzüchtung wurden aus 78 Vorschlägen, die beim SBFI eingereicht worden waren, ausgewählt. Die Gesamtsumme für die vier NFP beträgt rund CHF 47 Mio. Diese Summe ist bereits durch die BFI-Botschaft 2021–2024 abgedeckt. Der SNF ist für die Durchführung der NFP verantwortlich, er wird die neuen Forschungsprogramme bis im Dezember 2023 ausschreiben. Interessierte Forschende können sodann zu Handen des SNF eine Projektskizze einreichen.

4 neue NFPs lanciert

Der Bundesrat soll dazu angehalten werden, die Ursachen für die Stagnation der Studierendenanzahl in den Bereichen Architektur, Bauwesen und Geomatik an den ETH in einem Bericht darzulegen. Die Industrie beklage einen Fachkräftemangel in diesen Disziplinen, weshalb der Bundesrat Lösungen aufzeigen solle, um die Studierendenanzahl zu erhöhen und Abhilfe auf dem Arbeitsmarkt zu schaffen, erklärte Postulant Jean-Pierre Grin (svp, VD) in der Sondersession im Mai 2023 sein Anliegen. Bundesrat Guy Parmelin zeigte im Rat auf, dass die beiden ETH bereits heute viel Effort leisteten, um die MINT-Fächer anzupreisen. Das Bundesamt für Statistik gehe zudem davon aus, dass an den beiden ETH, der Università della Svizzera italiana sowie an den Fachhochschulen bis 2029 ein Anstieg der Studierendenzahlen in den entsprechenden Fächern von vier bis fünf Prozent zu erwarten sei. Aus diesem Grund erachte es der Bundesrat nicht als nötig, die Situation in einem Postulatsbericht darzulegen. Die Fraktionen der GLP und der FDP waren zusammen mit der beinahe geschlossen stimmenden SVP-Fraktion und wenigen Mitgliedern der Mitte-Fraktion hingegen der Ansicht, ein Bericht zur Klärung der Situation sei angebracht. Mit 99 zu 90 Stimmen bei 3 Enthaltungen nahm der Nationalrat das Postulat in der Folge an.

Eidgenössische Technische Hochschulen: Stagnation der Anzahl Studierenden in den Bereichen Architektur, Bauwesen und Geomatik! (Po. 21.3839)

Alex Farinelli (TI, plr) a proposé dans une motion de reconnaître la formation militaire, notamment d'officier et de sous-officier, par un diplôme supérieur afin de promouvoir l'armée. Il a argumenté qu'une personne effectuant un service civil recevait des attestations qui pouvaient être validées comme stage par des écoles supérieures. Le tessinois a ainsi proposé de valoriser la formation militaire en acquittant les soldats d'attestations pouvant justifier le reçu de crédits (ECTS) dans toutes les universités et hautes écoles spécialisées suisses.
Le Conseil fédéral s'est opposé à cette proposition. En effet, dans le cadre du développement de l'armée 2018 (DEVA), diverses mesures ont déjà été prises afin de valoriser les formations militaires. Il est notamment possible, dans certains cursus, de valider un stage ou d'obtenir des ECTS après avoir achevé une formation militaire. De plus, le Conseil fédéral souligne que de nouveaux accords, permettant de consolider la reconnaissance des formations, seront discutés prochainement en Suisse romande et au Tessin.
Le Conseil national a refusé la motion par 101 voix contre 86 et 1 abstention. L'UDC, le groupe PLR et quelques voix du Centre et du PVL constituaient la minorité.

Augmenter l'attrait de l'armée par une reconnaissance générale de la formation (Mo. 22.3938)

In der Frühlingssession 2023 setzte sich der Ständerat mit einer Kommissionsmotion der SGK-NR zur Förderung von Forschung und Therapie für spezifische Frauenkrankheiten auseinander. Die kleine Kammer folgte der Entscheidung des Nationalrats und der eigenen SGK-SR, welche sich gar einstimmig für die Motion ausgesprochen hatte, und nahm den Vorstoss mit 26 zu 7 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) an.

Förderung von Forschung und Therapie für spezifische Frauenkrankheiten (Mo. 22.3869)
Dossier: Behandlung der Petitionen der Frauensession 2021 in parlamentarischen Vorstössen

Im März 2023 nahmen Bildungsminister Guy Parmelin sowie EDK-Präsidentin Silvia Steiner (ZH, mitte) den Bildungsbericht 2023 entgegen. Dieser war von der SKBF im Auftrag des SBFI und der EDK erarbeitet worden. Der Bericht enthielt auf ca. 400 Seiten Fakten, Statistiken und Forschungsergebnisse über eine Vielzahl an Aspekten des Schweizer Bildungssystems, wie etwa die Integration von Kindern mit Beeinträchtigungen oder die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie. Er orientierte sich an den Kriterien Effizienz, Effektivität und Chancengerechtigkeit und bildete alle Stufen des Bildungssystems ab. In der Medienmitteilung zum Bericht wurden die Statistiken zu den Abschlussquoten auf der Stufe Sek II (Maturität oder Berufslehre) hervorgehoben. Diese Abschlussquote unterscheide sich nach wie vor stark zwischen Personen mit und ohne Migrationshintergrund. Ein weiteres Kapitel beschäftigte sich mit der Tertiärquote in der Schweiz, also dem Anteil der Bevölkerung mit Abschlüssen an einer Hochschule oder eines Bildungsganges der höheren Berufsbildung. Diese Quote liege in der Schweiz bei rund 50 Prozent und damit über dem OECD-Durchschnitt.

Die Medien griffen in der Folge die Themen «Lehrkräftemangel» sowie «Integration von Kindern mit besonderen Bedürfnissen» auf. Wie dem Bildungsbericht 2023 zu entnehmen sei, gebe es schweizweit immer noch einen Lehrkräftemangel zu verzeichnen; dieser werde sich aber in den kommenden Jahren abschwächen, wie bereits Studien des Bundesamts für Statistik prognostiziert hätten, so das Echo in den Printmedien. Der Tages-Anzeiger machte drei Gründe für die Entschärfung der Problematik aus: Erstens habe die Anzahl der PH-Studierenden in den letzten Jahren stark zugenommen; zweitens blieben die Lehrkräfte meistens lange Zeit in ihrem Beruf und drittens seien die Löhne über alle Bildungsstufen hinweg attraktiv. Zur Integration von Kindern mit besonderen Bedürfnissen zeigte der Bildungsbericht 2023, dass lediglich 3 Prozent der Schülerinnen und Schüler Förderbedarf aufwiesen. Stefan Wolter, Professor für Bildungsökonomie und Autor des Bildungsberichts, kritisierte in den Medien, dass Aussagen, wonach bald jedes zweite Kind spezielle Massnahmen benötige, schlicht falsch seien. Wolter betonte die Vorteile der integrativen Schule, gab aber auch zu bedenken, dass der Erfolg der Integration stark von der Verteilung der Kinder mit besonderen Bedürfnissen auf die Klassen abhänge.

Ende Oktober 2023 gab der Bundesrat bekannt, dass die EDK in Zusammenarbeit mit dem WBF die gemeinsamen bildungspolitischen Ziele für den Bildungsraum Schweiz auf Basis des Bildungsberichts 2023 geprüft und fortgeschrieben habe. Seit 2011 werden diese Ziele festgehalten; sie umfassen etwa die Durchlässigkeit des Bildungssystems, die Harmonisierung der obligatorischen Schule hinsichtlich Eintrittsalter und Dauer der Bildungsstufen sowie das Ziel, dass 95 Prozent aller 25-Jährigen einen Abschluss auf der Sekundarstufe II vorweisen können.

Bildungsbericht 2023
Dossier: Bildungsbericht Schweiz

Katja Christ (glp, BS) war der Ansicht, dass das Fortpflanzungsmedizingesetz einer zeitgemässen Anpassung bedürfe – nicht zuletzt aufgrund fehlender Kohärenz zu anderen revidierten Bestimmungen, namentlich der «Ehe für alle».
Der Bundesrat anerkannte im Grunde die Notwendigkeit, das Fortpflanzungsmedizingesetz gründlich zu überprüfen; er habe auch bereits eine Evaluation des Gesetzes in Auftrag gegeben. Die Motion Christ beantragte er dennoch zur Ablehnung, da die Ergebnisse der Evaluation zuerst abgewartet werden sollten.
In der Frühjahrssession 2023 lehnte der Nationalrat die Motion mit 104 zu 75 Stimmen (7 Enthaltungen) ab. Die drei grossen bürgerlichen Fraktionen votierten beinahe geschlossen für Ablehnung.

Fortpflanzungsmedizingesetz aufdatieren und in die Zukunft führen (Mo. 21.3238)

Im Januar 2023 veröffentlichte der Bundesrat den Bericht in Erfüllung eines Postulats Schmid (fdp, GR) zur Stärkung des Pharma- und Biotechnologie-Standorts Schweiz. Der Bericht umfasst die fünf Themenbereiche Digitalisierung, Forschungszusammenarbeit zwischen Unternehmen und Universitäten, die aussenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die Arbeitsmarktsituation sowie die Standortattraktivität der Schweiz für Pharma- und Biotechunternehmen. Der Bundesrat kam darin zum Schluss, dass aufgrund der bereits bestehenden horizontalen, aber auch vertikalen, sektorspezifischen Massnahmen zur Verbesserung der Schweizer Standortattraktivität in den genannten fünf Bereichen kein weiterer Handlungsbedarf bestehe. Wichtig seien demnach die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen – wie etwa der Zugang zum EU-Binnenmarkt oder die internationale Forschungszusammenarbeit. Auch für die Schaffung des im Postulat geforderten Beirats sah der Bundesrat keinen Handlungsbedarf, da sich die Branche über die bestehenden Kommunikationskanäle bereits ausreichend mit den Behörden austauschen könne.

Renforcer le positionnement de la Suisse en tant que pôle de biotechnologie et de production pharmaceutique (Po.20.3752)

Jahresrückblick 2022: Gesundheit, Sozialhilfe, Sport

Zu Beginn des Jahres 2022 wurde befürchtet, dass die Covid-19-Pandemie auch in diesem Jahr das politische Geschehen der Schweiz dominieren würde: Mitte Januar erreichte die Anzahl laborbestätigter täglicher Neuansteckungen mit 48'000 Fällen bisher kaum denkbare Höhen – im Winter zuvor lagen die maximalen täglichen Neuansteckungen noch bei 10'500 Fällen. Die seit Anfang 2022 dominante Omikron-Variante war somit deutlich ansteckender als frühere Varianten – im Gegenzug erwies sie sich aber auch als weniger gefährlich: Trotz der viermal höheren Fallzahl blieben die Neuhospitalisierungen von Personen mit Covid-19-Infektionen deutlich unter den Vorjahreswerten. In der Folge nahm die Dominanz der Pandemie in der Schweizer Politik und in den Medien fast schlagartig ab, wie auch Abbildung 1 verdeutlicht. Wurde im Januar 2022 noch immer in 15 Prozent aller Zeitungsartikel über Covid-19 gesprochen, waren es im März noch 4 Prozent. Zwar wurde im Laufe des Jahres das Covid-19-Gesetz zum fünften Mal geändert und erneut verlängert, über die Frage der Impfstoff- und der Arzneimittelbeschaffung gestritten und versucht, in verschiedenen Bereichen Lehren aus den letzten zwei Jahren zu ziehen. Jedoch vermochten weder diese Diskussionen, die zwischenzeitlich gestiegenen Fallzahlen sowie ein weltweiter Ausbruch vermehrter Affenpocken-Infektionen das mediale Interesse an der Pandemie erneut nachhaltig zu steigern.

Stattdessen erhielten im Gesundheitsbereich wieder andere Themen vermehrte Aufmerksamkeit, vor allem im Rahmen von Volksabstimmungen und der Umsetzung von Abstimmungsentscheiden.
Einen direkten Erfolg durch ein direktdemokratisches Instrument erzielte das Komitee hinter der Volksinitiative «Kinder ohne Tabak». Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger hiessen diese Initiative am 13. Februar mit 56.7 Prozent gut. Das Volksbegehren ziel darauf ab, dass Kinder und Jugendliche nicht länger mit Tabakwerbung in Berührung kommen. Während das Initiativkomitee die Vorlage unter anderem damit begründete, dass durch das Werbeverbot dem Rauchen bei Jugendlichen Einhalt geboten werden könne, führten die Gegnerinnen und Gegner die Wirtschaftsfreiheit an. Zudem befürchtete die Gegnerschaft, dass in Zukunft weitere Produkte wie Fleisch oder Zucker mit einem vergleichbaren Werbeverbot belegt werden könnten. Der Bundesrat gab Ende August einen gemäss Medien sehr strikten Entwurf zur Umsetzung der Initiative in die Vernehmlassung. Während die Stimmbevölkerung Werbung für Tabakprodukte verbieten wollte, bewilligte das BAG ein Gesuch der Stadt Basel zur Durchführung von Cannabisstudien; die Städte Bern, Lausanne, Zürich und Genf lancierten ebenfalls entsprechende Studien. Zudem können Ärztinnen und Ärzte seit dem 1. August medizinischen Cannabis ohne Bewilligung durch das BAG verschreiben.

Teilweise erfolgreich waren im Jahr 2022 aber auch die Initiantinnen und Initianten der Organspende-Initiative. 2021 hatte das Parlament eine Änderung des Transplantationsgesetzes als indirekten Gegenvorschlag gutgeheissen, woraufhin das Initiativkomitee die Initiative bedingt zurückgezogen hatte. Im Januar kam das Referendum gegen die Gesetzesänderung zustande. Mit dem Gesetz beabsichtigten Bundesrat und Parlament die Einführung einer erweiterten Widerspruchslösung, wobei die Angehörigen der verstorbenen Person beim Spendeentscheid miteinbezogen werden müssen. Auch wenn es sich dabei um eine Abschwächung der Initiativforderung handelte, ging die Änderung dem Referendumskomitee zu weit; es äusserte ethische und rechtliche Bedenken. Die Stimmbevölkerung nahm die Gesetzesänderung am 15. Mai allerdings deutlich mit 60.2 Prozent an. Damit gewichtete sie die von den Befürwortenden hervorgehobene Dringlichkeit, die Spenderquote zu erhöhen und etwas gegen die langen Wartezeiten auf ein Spenderorgan zu unternehmen, stärker als die Argumente des Referendumskomitees. In den Wochen vor dem Abstimmungssonntag wurde die Vorlage vermehrt von den Zeitungen aufgegriffen, wie Abbildung 1 der APS-Zeitungsanalyse verdeutlicht.

Nach dem deutlichen Ja an der Urne im November 2021 unterbreitete der Bundesrat dem Parlament im Mai 2022 seine Botschaft zur Umsetzung eines ersten Teils der Pflegeinitiative. Dieser entspricht dem indirekten Gegenvorschlag, den die Legislative ursprünglich als Alternative zur Volksinitiative ausgearbeitet hatte. Ohne grosse Änderungen stimmten die beiden Kammern der Gesetzesrevision zu.

Noch immer stark von der Covid-19-Pandemie geprägt waren die Diskussionen zu den Spitälern. Da die Überlastung der Spitäler und insbesondere der Intensivstationen während der Pandemie eine der Hauptsorgen dargestellt hatte, diskutierten die Medien 2022 ausführlich darüber, wie es möglich sei, die Intensivstationen auszubauen. Vier Standesinitiativen forderten zudem vom Bund eine Entschädigung für die Ertragsausfälle der Krankenhäuser während der ersten Pandemiewelle, der Nationalrat gab ihnen indes keine Folge.

Von einer neuen Krise betroffen war die Medikamentenversorgung. Die Versorgungssicherheit wurde als kritisch erachtet, was die Medien auf den Brexit, die Opioidkrise in den USA sowie auf den Ukrainekrieg zurückführten. Der Bundesrat gab in der Folge das Pflichtlager für Opioide frei. Das Parlament hiess überdies verschiedene Motionen für eine Zulassung von Medizinprodukten nach aussereuropäischen Regulierungssystemen gut, um so die Medikamentenversorgung auch mittelfristig sicherzustellen (Mo. 20.3211, Mo. 20.3370). Kein Gehör fand hingegen eine Standesinitiative aus dem Kanton Aargau zur Sicherung der Landesversorgung mit essenziellen Wirkstoffen, Medikamenten und medizinischen Produkten, durch ausreichende Lagerhaltung, Produktion in Europa und durch die Vereinfachung der Registrierung in der Schweiz.

Im Bereich des Sports war das Jahr 2022 durch mehrere Grossanlässe geprägt, die nicht nur in sportlicher, sondern auch in politischer Hinsicht für Gesprächsstoff sorgten. Die Olympischen Winterspiele in Peking Anfang Jahr und die Fussball-Weltmeisterschaft der Männer in Katar zum Jahresende standen aufgrund von Menschenrechtsverletzungen an den Austragungsstätten in den Schlagzeilen. Skandale gab es aber nicht nur in der internationalen Sportwelt, sondern auch hierzulande, wo Vorwürfe bezüglich Missständen im Synchronschwimmen erhoben wurden und die 1. Liga-Frauen-Fussballmannschaft des FC Affoltern nach einem Belästigungsskandal praktisch geschlossen den Rücktritt erklärte. Erfreut zeigten sich die Medien hingegen über eine Meldung im Vorfeld der Fussball-Europameisterschaft der Frauen, dass die Erfolgsprämien durch die Credit Suisse und die Gelder für Bilder- und Namensrechte durch den SFV für die Spielerinnen und Spieler der Nationalmannschaft der Frauen und Männer künftig gleich hoch ausfallen sollen. Sinnbildlich für den wachsenden Stellenwert des Frauenfussballs stand ferner eine Erklärung des Nationalrats in der Wintersession 2022, wonach er die Kandidatur zur Austragung der Fussball-Europameisterschaft der Frauen 2025 in der Schweiz unterstütze. Trotz dieser verschiedenen Diskussionen im Sportbereich hielt sich die Berichterstattung dazu verglichen mit derjenigen zu gesundheitspolitischen Themen in Grenzen (vgl. Abbildung 1). Dies trifft auch auf die Medienaufmerksamkeit für die Sozialhilfe zu, die sich über das gesamte Jahr hinweg unverändert auf sehr tiefem Niveau bewegte.

Jahresrückblick 2022: Gesundheit, Sozialhilfe, Sport
Dossier: Jahresrückblick 2022

Im Oktober 2022 veröffentlichte der Bundesrat einen Ergebnisbericht zur Vernehmlassung eines Vorentwurfs zur Änderung des AIG. Die Gesetzesänderung beabsichtigt die Einführung erleichterter Zulassungsbedingungen in den Arbeitsmarkt für Personen ohne Schweizer Pass aber mit Schweizer Hochschulabschluss. 23 von 25 stellungnehmenden Kantonen stimmten dem Entwurf zu, während sich lediglich der Kanton Zug dagegen positionierte und der Kanton Bern der Vorlage nur unter der Bedingung Unterstützung zusagte, dass die Zulassung und der Aufenthalt tatsächlich an die Erwerbstätigkeit geknüpft werde. Der Kanton Zug bemängelte, dass die beabsichtigte Gesetzesänderung eine zu breite Bevölkerungsgruppe umfasse. Die FDP, die GLP und die Mitte unterstützten den Gesetzesentwurf vollends, die SP lediglich im Grundsatz und die SVP sprach sich vehement dagegen aus, da dadurch die Nettozuwanderung erhöht werden würde. Die SP war der Ansicht, dass die Hürden im vorliegenden Entwurf zu hoch gefasst seien und nicht nur Arbeitnehmende mit Hochschulabschluss berücksichtigt werden sollten. Weiter äusserten auch Dachverbände der Wirtschaft, namentlich der SAV, der SGV, der SGB und economiesuisse, Unterstützung für den Vernehmlassungsentwurf. Für Travail.Suisse fehlte hingegen in der Vorlage eine Einschätzung, welchen Einfluss die Gesetzesänderung in Zukunft auf den Schweizer Arbeitsmarkt haben könnte. Daneben bekundeten 32 interessierte Kreise Interesse an der Vorlage und begrüssten diese – darunter Organisationen aus dem Hochschul- und Wirtschaftsbereich und dem Gastgewerbe.
Obschon ein Grossteil der Vernehmlassungsteilnehmenden die Vorlage also im Grunde unterstützte, wurde Kritik am Entwurf geäussert. Während eine Reihe von Teilnehmenden begrüsste, dass die Motion Dobler (fdp, SG; Mo. 17.3067) im Rahmen einer Änderung des AIG durchgesetzt werde, wünschte sich die FDP angesichts der zeitlichen Dringlichkeit lieber eine Umsetzung auf Verordnungsstufe. Unter anderem äusserte der SGB Bedenken, dass die Schweiz mit entsprechenden Bestimmungen ihren Status als «Brain-Drain-Profiteurin» weiter verstärken könnte und wünschte sich eine verstärkte Zusammenarbeit mit von Brain-Drain betroffenen Staaten sowie entsprechende bilaterale Austauschprogramme. Die SVP dagegen forderte, dass diese Personengruppe weiterhin in das Gesamtkontingent an erteilten Aufenthaltsbewilligungen fallen solle, ausländische Studierende mindestens die Hälfte der Kosten für das Studium selber tragen müssen und die erleichterte Zulassung zum Schweizer Arbeitsmarkt ausschliesslich Absolvierenden aus dem MINT-Bereich offen stehen solle. Tourismus- und Gastgewerbeorganisationen sowie Hotelfachschulen schliesslich schlugen vor, den Geltungsbereich der Änderung auf «Ausländerinnen und Ausländern mit Schweizer Abschluss der Tertiärstufe» auszuweiten, statt sich lediglich auf Hochschulabsolventinnen und -absolventen zu konzentrieren.

Erleichterte Zulassung zum Arbeitsmarkt für Ausländerinnen und Ausländer mit Schweizer Hochschulabschluss (BRG 22.067)
Dossier: Zulassung für Ausländerinnen und Ausländer mit Schweizer Hochschulabschluss

Nadine Masshardt (sp, BE) forderte den Bundesrat im Herbst 2020 auf zu prüfen, «ob Berufs- und Fachmaturanden einen direkten Zugang zu einem universitären Lehrgang in ihrem erlernten Fachbereich ohne Passerelle gewährt werden kann». Masshardt argumentierte, dass die Passerelle einen grossen Aufwand und somit ein Hindernis auf dem Weg zum Hochschulstudium darstelle. Dies widerspreche der Prämisse der Durchlässigkeit des Schweizer Bildungssystems und des lebenslangen Lernens. Der Bundesrat beantragte die Ablehnung des Postulats. Er vertrat die Ansicht, dass ein direkter Zugang zum universitären Hochschulstudium für Absolvierende der Berufs- oder Fachmaturität dem Ziel widerspreche, die Profile der tertiären Bildungseinrichtungen zu schärfen. Der Nationalrat befasste sich in der Herbstsession 2022 mit dem Postulat und nahm dieses mit 149 zu 31 Stimmen bei 3 Enthaltungen deutlich an. Die ablehnenden Stimmen stammten von Minderheiten der SVP- und der Mitte-Fraktionen.

Zugang zu Hochschulen (Universitäten/ETH) mit Berufsmatur im entsprechenden Fachbereich (Po. 20.4202)

Ende Juni 2022 lancierte die SGK-NR eine Motion zur Förderung der Gendermedizin und griff damit zwei Petitionen aus der Frauensession 2021 auf. Die Gendermedizin untersucht und behandelt Krankheiten vor einem geschlechtsspezifischen Hintergrund. Die Annahme, dass Krankheiten geschlechtsneutral verliefen und aufträten, könne Fehldiagnosen und -behandlungen mit sich ziehen. Um dies zu verhindern, müssten bestehende Ungleichheiten in der Medizin bekämpft werden. Vor diesem Hintergrund forderte die Kommissionsmehrheit, dass ein nationales Forschungsprogramm zur Gendermedizin lanciert wird, dass Forschungsprojekte gefördert werden, welche sich mit Frauenkrankheiten beschäftigen, und dass das Geschlecht bei der Vergabe von Geldern des SNF berücksichtigt wird.
Zwei Kommissionsminderheiten waren jedoch nicht mit allen Forderungen einverstanden. Eine Minderheit Glarner (svp, AG) rief dazu auf, die ersten beiden Forderungen der Motion abzulehnen, während eine Minderheit Sauter (fdp, ZH) die Berücksichtigung des Geschlechts bei der Geldervergabe ablehnte. Nationalrat Glarner argumentierte, dass das Problem der geschlechtlichen Ungleichbehandlung in der Medizin wohl erst seit «der unsäglichen Gender-Debatte mit all ihren Absurditäten von Links-Grün» bestehe. Dahingegen anerkannte Nationalrätin Sauter die Wichtigkeit der Motion, aber sprach sich entschieden gegen die in der Motion vorgesehenen «engen Vorgaben» für zur Vergabe von Forschungsgeldern aus. Der Bundesrat wies in seiner Stellungnahme darauf hin, dass die Problematik bereits in den Antworten auf vergangene Vorstösse (etwa Mo. 19.3577) diskutiert worden sei und geschlechterspezifischer Unterschiede in der Medizin aufgrund des Postulats Fehlmann (sp, GE; Po. 19.3910) bereits untersucht würden. Des Weiteren sei eine Ablehnung der Motion nötig, damit Forschende aller Schweizer Hochschulen weiterhin gleiche Chancen beim Bewerbungsprozess für Gelder des SNF und von Innosuisse hätten.
Nach einer hitzigen Debatte nahm der Nationalrat die Forderungen zur Lancierung eines nationalen Forschungsprogramms und zur Förderung der Erforschung spezifischer Frauenkrankheiten mit 127 zu 54 Stimmen bei 2 Enthaltungen an und sprach sich somit gegen den Minderheitsantrag Glarner aus. Dem Antrag der Minderheit Sauter kam der Nationalrat indes nach und sprach sich mit 100 zu 83 Stimmen gegen die Berücksichtigung des Geschlechts bei der Vergabe von SNF-Geldern aus.

Gender-Medizin. Schluss mit Frauen als Ausnahme in der Medizin (Mo. 22.2868)
Dossier: Behandlung der Petitionen der Frauensession 2021 in parlamentarischen Vorstössen

In Erfüllung einer Petition (Pet. 21.2035) der Frauensession 2021 lancierte die SGK-NR in der Sommersession 2022 eine Kommissionsmotion zur Förderung von Forschung und Therapie für spezifische Frauenkrankheiten. Eine Vielzahl von Krankheiten betreffe nur oder mehrheitlich Frauen, entsprechende Behandlungsmöglichkeiten seien jedoch grundsätzlich nur wenig erforscht. Um dies zu ändern, solle der SNF ein Forschungsprogramm lancieren mit dem Ziel, verbindliche Richtlinien für die Diagnose, Indikation und Therapie von spezifischen Frauenkrankheiten zu erstellen und die weitere Erforschung ebendieser zu fördern. In seiner Stellungnahme anerkannte der Bundesrat, dass Frauenkrankheiten dringend weiter und gründlicher erforscht werden müssten. Jedoch hätten Forschende in diesem Gebiet bereits die Möglichkeit, selbst Forschungsanträge an den SNF zu stellen, und der Bundesrat wolle dieses Bottom-up-Prinzip nicht durch einen entsprechenden Auftrag untergraben. Schliesslich sei in Erfüllung des Postulats Fehlmann Rielle (sp, GE; Po. 19.3910) bereits ein Bericht zu diesem Thema in Ausarbeitung, welcher aufzeigen solle, ob bei der Behandlung von Frauenkrankheiten noch Handlungsbedarf bestehe. Auch eine Kommissionsminderheit Glarner (svp, AG) stellte sich mit Verweis auf das Bottom-up-Prinzip gegen den Vorstoss. Der Nationalrat nahm die Motion in der Herbstsession 2022 mit 133 zu 52 Stimmen an, wobei die SVP-Fraktion den Vorstoss geschlossen ablehnte.

Förderung von Forschung und Therapie für spezifische Frauenkrankheiten (Mo. 22.3869)
Dossier: Behandlung der Petitionen der Frauensession 2021 in parlamentarischen Vorstössen

Die Motion der SGK-NR, mit der sie Gebühren und Auflagen für Forschung und klinische Versuche mit nichtkommerziellen Medizinprodukten anpassen wollte, kam in der Herbstsession 2022 in den Ständerat. Gemäss Kommissionssprecher Erich Ettlin (mitte, OW) unterstütze die Kommission den Vorstoss, allerdings sei es ihr ein Anliegen, dass die Sicherheit der Probandinnen und Probanden gewahrt werde. Unterstützung soll insbesondere für Projekte angeboten werden, die noch nicht von anderen Förderinstrumenten profitierten. In der Folge wurde der Vorstoss stillschweigend angenommen.

Nicht-kommerzielle klinische Forschung fördern (Mo. 21.4346)

Im Sommer 2022 gab der Bundesrat die Erneuerung des Masterplans zur Stärkung der biomedizinischen Forschung und Technologie bis zum Jahr 2026 bekannt. Das Ziel bestand darin, der biomedizinischen Forschung und Technologie optimale Rahmenbedingungen zu schaffen respektive zu erhalten und den Zugang der Schweizer Bevölkerung zu biomedizinischen Produkten sicherzustellen. Der Plan umfasste sechzehn Massnahmen rund um die drei Schwerpunkte Forschungsstandort Schweiz, Markteinführung innovativer Arzneimittel sowie die Digitalisierung der Bereiche Forschung und Gesundheit. Der Masterplan war Teil der Legislaturziele 2019–2023 und soll zur Umsetzung der Strategie Gesundheit2030 beitragen.

Masterplan zur Stärkung der Biomedizinischen Forschung und Technologie

In der Sommersession 2022 stimmte der Ständerat der Abschreibung eines Postulates Germann (svp, SH) zur Digitalisierung naturwissenschaftlicher Sammlungen zu. Die Räte hatten 2020 mit der Zustimmung zum Bundesbeschluss über die Kredite für Institutionen der Forschungsförderung in den Jahren 2021–2024 (BBl, 2020 8573) einen Beitrag von maximal CHF 12.4 Mio. als Anstossfinanzierung für die Digitalisierung naturwissenschaftlicher Sammlungen gesprochen.

Digitalisierung naturwissenschaftlicher Sammlungen (Po. 19.3593)

Der Nationalrat überwies in der Sommersession 2022 ein Postulat Bellaiche (glp, ZH) zur Nutzung anonymisierter persönlicher Daten im öffentlichen Interesse. Der Bundesrat soll Massnahmen zur Förderung der freiwilligen Bereitstellung von anonymisierten persönlichen Daten (Datenspende) auf ihre Machbarkeit hin prüfen. Laut Postulantin Bellaiche habe die Covid-19-Pandemie gezeigt, wie wichtig persönliche Daten für den Schutz der öffentlichen Gesundheit, für die Planung von Massnahmen und für die Forschung im Gesundheitswesen sein können. Wichtig sei dabei aber die Wahrung der Privatsphäre der Datenspenderinnen und -spender.
Der Bundesrat hatte die Ablehnung des Postulats beantragt, da die Bereitstellung persönlicher, gesundheitsrelevanter Daten aus seiner Sicht bereits in der Strategie «Gesundheit 2030» und in einem Postulat Humbel (mitte, AG; Po. 15.4225) ausreichend berücksichtigt werde.
Dieser Empfehlung folgten die SVP-Fraktion geschlossen und die FDP-Fraktion grossmehrheitlich, was aber nicht zu einer Ratsmehrheit reichte: Die grosse Kammer nahm das Postulat mit 108 zu 81 Stimmen bei 2 Enthaltungen an. Der Bundesrat wird folglich einen Bericht dazu ausarbeiten müssen.

Nutzung anonymisierter persönlicher Daten im öffentlichen Interesse (Po. 20.3700)

Mit der Absicht, die nicht-kommerzielle klinische Forschung zu fördern, verlangte die SGK-NR mittels Motion eine Anpassung des Ausführungsrechts zum Heilmittelgesetz. Konkret forderte sie eine Anpassung der «aufwändigen Auflagen und […] Tarife», welche für nicht-kommerzielle Versuche gelten. Diese führten dazu, dass Forschungsprojekte nicht lanciert werden könnten. Denn in der Gebührenverordnung werde nicht zwischen kommerzieller und nicht-kommerzieller Forschung unterschieden, was zur Folge habe, dass die Projekte von jungen Forscherinnen und Forschern an der Universität nicht finanzierbar seien. Diskussionslos und stillschweigend hiess der Nationalrat die Motion in der Frühjahrssession 2022 gut. Damit folgte er dem Bundesrat, der das Geschäft zur Annahme empfohlen hatte.

Nicht-kommerzielle klinische Forschung fördern (Mo. 21.4346)

Der Ständerat befasste sich in der Frühjahrssession 2022 mit der Forderung von Nationalrat Eymann (lpd, BS), ein NFP zur Alzheimerkrankheit zu lancieren. Die Mehrheit der vorberatenden WBK-SR hatte die Motion zur Ablehnung beantragt, eine Minderheit Sommaruga (sp, GE) hingegen befürwortete das Anliegen. Wie Kommissionssprecherin Isabelle Chassot (mitte, FR) ausführte, sei die Mehrheit der WBK-SR selbstverständlich nicht der Auffassung, dass man diese Krankheit und ihre Folgen nicht untersuchen solle, aber es gebe gute Gründe, die gegen die Lancierung eines NFP sprächen. So stünden die Instrumente, die für eine umfassende Förderung der Alzheimer-Forschung nötig seien, bereits zur Verfügung und würden von den Schweizer Forschenden auch genutzt. Zudem hätten die Forschenden auch jederzeit die Möglichkeit, sich beim SNF um eine ordentliche Finanzierung für die Durchführung von Forschungsprojekten zu Alzheimer zu bemühen, wovon ebenfalls Gebrauch gemacht werde. Darüber hinaus seien die Schweizer Forschenden auch auf der internationalen Ebene in entsprechende Forschungsprojekte eingebunden. Und schliesslich, und das sei für die Kommission der wichtigste Grund, gebe es ein bewährtes Verfahren für die Festlegung von NFPs; die Eingabefrist für die nächste Runde laufe im Übrigen in einigen Tagen aus. Die Kommission betonte, dass es den entsprechenden Organisationen und Forschenden selbstverständlich frei stehe, einen Vorschlag für ein NFP zu Alzheimer einzureichen.
Carlo Sommaruga entgegnete, dass einiges für die Annahme der Motion spreche. So nehme etwa die Anzahl an Personen, welche an Alzheimer erkrankten, immer weiter zu, wodurch auch die medizinischen und gesellschaftlichen Kosten anstiegen. Zudem seien die Mittel, die derzeit für die Alzheimer-Forschung in der Schweiz zur Verfügung stünden, unzureichend und es gebe auch nur wenige Mittel des SNF, die der Alzheimerforschung gewidmet seien.
Die Mehrheit des Ständerates sprach sich am Ende der Debatte mit 25 zu 14 Stimmen bei 2 Enthaltungen gegen die Motion aus. Für die Motion stimmten allen voran die Mitglieder der SP- und der Grünen-Fraktionen.

Nationales Forschungsprogramms zu Alzheimer