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Einen Tag nach dem Ständerat machte sich auch der Nationalrat an die Beratung des Voranschlags der Eidgenossenschaft 2022 mit integriertem Aufgaben- und Finanzplan 2023-2025. Sarah Wyss (sp, BS) und Daniel Brélaz (gp, VD) präsentierten dem Rat das Budget aus Sicht der Mehrheit der FK-NR: Der Bundesrat habe ordentliche Ausgaben in der Höhe von 77.7 Mrd. und ausserordentliche Ausgaben von CHF 3.0 Mrd. vorgesehen. Bei ordentlichen Einnahmen von CHF 77.1 Mrd. und ausserordentlichen Einnahmen von CHF 1.5 Mrd. bleibe damit aufgrund der Schuldenbremse ein struktureller Überschuss und somit ein Handlungsspielraum von CHF 44 Mio. Die Kommissionsmehrheit plane «kleinere Adjustierungen» mit Mehrausgaben von CHF 273 Mio. Bei 12 Mehrheitsanträgen zur Schaffung von Differenzen zum Ständerat lagen der grossen Kammer in der Folge auch etwa 40 Minderheitsanträge vor, grösstenteils von der SVP- oder der SP- und der Grünen-Fraktion. Differenzen zum Erstrat schuf der Nationalrat dabei jedoch nur wenige, zeigte sich dabei aber mehrheitlich grosszügiger als der Erstrat.

In der Eintretensdebatte hoben die Fraktionssprecherinnen und -sprecher erneut die spezielle Situation aufgrund der noch immer nicht ganz überstandenen Corona-Pandemie hervor, beurteilten diese aber sehr unterschiedlich. So sprach etwa Lars Guggisberg (svp, BE) von einer «düsteren» Situation aufgrund des grossen Anstiegs der Nettoschulden, während FDP-Sprecher Alex Farinelli (fdp, TI) zwar das Defizit beklagte, aber auch den langfristigen Nutzen der entsprechenden Ausgaben hervorhob. Optimistischer zeigten sich die übrigen Kommissionssprechenden. Michel Matter (glp, GE) schätzte etwa die Situation der Schweiz als «solide» ein, Alois Gmür (mitte, SZ) zeigte sich erfreut über die insgesamt gute Situation der Schweizer Wirtschaft, verwies jedoch auch auf die noch immer stark leidenden Branchen. Ursula Schneider Schüttel (sp, FR) und Felix Wettstein (gp, SO) strichen schliesslich die im Vergleich zum Ausland «gute Schuldensituation» (Schneider Schüttel) heraus. Finanzminister Maurer bat den Rat im Hinblick auf den härter werdenden «internationale[n] Konkurrenz- und Verdrängungskampf» um Zurückhaltung bei zusätzlichen Ausgaben.

Mit den mahnenden Worten des Finanzministers in den Ohren startete der Nationalrat in die Detailberatung von Block 1 zu Beziehungen zum Ausland und zur Migration. Hier schuf er zwei Differenzen zum Ständerat: So wollte die Kommissionsmehrheit den Kredit zuhanden des SECO für Darlehen und Beteiligungen an Entwicklungsländer gegenüber dem bundesrätlichen Vorschlag um CHF 10 Mio. erhöhen und damit die Reduktion gegenüber dem Vorjahr rückgängig machen. Der Bundesrat habe bei der Sifem, der Entwicklungsfinanzierungsgesellschaft des Bundes, bereits 2020 CHF 10 Mio. zusätzlich zur Milderung der Corona-Probleme eingeschossen – diese sollen nun kompensiert werden, erklärte Minderheitensprecher Egger (svp, SG), der den Kürzungsantrag vertrat, die Differenz zum Vorjahr. Da dieser Nachtragskredit damals aber vollständig kompensiert worden sei, erachtete die Kommissionsmehrheit diese Kürzung nicht als angebracht und setzte sich im Rat mit 107 zu 74 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) durch. Ohne Minderheitsantrag erhöhte der Nationalrat zudem auf Antrag seiner Kommission den Sollwert für die Mindestanzahl Freihandelsabkommen für die Finanzplanjahre 2024 und 2025. Der Bundesrat hatte hier für die Finanzplanjahre jeweils 34 Freihandelsabkommen vorgesehen, die Kommission erhöhte diese Zahl auf 35 (2024) respektive 36 (2025).
Im Vorfeld der Budgetdebatte hatte der Vorschlag der APK-NR, dass die Schweiz eine dritte Kohäsionsmilliarde sprechen und sich damit quasi eine Beteiligung an verschiedenen Projekten, unter anderem an Horizon, erkaufen könne, für mediale Aufmerksamkeit gesorgt. Auf Antrag der APK-NR beantragte die Mehrheit der FK-NR nun dem Nationalrat, eine dritte Beteiligung der Schweiz an der Erweiterung der EU 2019-2024 in der Höhe von CHF 953.1 Mio. freizugeben, diese aber von einer bis Ende Juni 2022 unterzeichneten Assoziierungsvereinbarungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union zur Teilnahme an verschiedenen laufenden EU-Programmen abhängig zu machen. Eine Minderheit Guggisberg beantragte in Übereinstimmung mit dem Bundesrat die Streichung dieses zusätzlichen Kreditpostens. Finanzminister Maurer bat den Rat eindringlich darum, darauf zu verzichten, da man sich «mit einer solchen Aufstockung in Brüssel eher blamieren würde […]. Die Erwartungen in Brüssel sind völlig anderer Natur; sie bestehen nicht darin, dass wir hier einfach etwas bezahlen, und dann läuft alles.» Mit 93 zu 84 Stimmen (bei 6 Enthaltungen) folgte der Nationalrat der Minderheit. Die (fast) geschlossen stimmenden Fraktionen der SVP und der FDP.Liberalen sowie die Mehrheit der Mitte-Fraktion setzten sich in dieser Frage durch.
Ansonsten lagen in diesem Block verschiedene Minderheitenanträge von linker und rechter Ratsseite für Aufstockungen und Kürzungen vor, die jedoch allesamt erfolglos blieben, etwa eine Aufstockung des Budgets des EDA für humanitäre Aktionen zugunsten des Engagements in Afghanistan und den umliegenden Ländern (Minderheit Friedl: sp, SG), eine Erhöhung des Kredits für zivile Konfliktbearbeitung und Menschenrechte (Minderheit Badertscher: gp, BE) und einen erneuten Beitrag von CHF 300'000 an den Access to Tools Accelerator (Minderheit Friedl) sowie auf der anderen Seite eine Reduktion der Beiträge an multilaterale Organisationen, an die Entwicklungszusammenarbeit und an die Länder des Ostens (Minderheiten Grin: svp, VD).

Im zweiten Block zu den Themen «Kultur, Bildung, Forschung und Sport» schuf der Nationalrat keine Differenzen zum Erstrat. Er folgte dem Ständerat bei seiner Aufstockung des Kredits für Sportverbände und andere Organisationen um CHF 660'000, mit der – wie in den Planungsgrössen vermerkt wurde – eine unabhängige nationale Anlauf- und Meldestelle für Misshandlungen im Schweizer Sport geschaffen werden sollte. Eine Minderheit Sollberger (svp, BL) unterlag mit ihrem Antrag auf Streichung der Aufstockung mit 112 zu 69 Stimmen (bei 4 Enthaltungen). Auch die vom Ständerat vorgenommenen Aufstockungen beim Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie hiess der Nationalrat entgegen zweier Minderheitsanträge Egger deutlich gut (129 zu 55 Stimmen bei 1 Enthaltung respektive 129 zu 56 Stimmen). Abgelehnt wurden in der Folge auch verschiedene Streichungsanträge Nicolet (svp, VD), Schilliger (fdp, LU) und Sollberger bei den Covid-19-Leistungsvereinbarungen zur Kultur, bei der Covid-19-Soforthilfe für Kulturschaffende und Kulturvereine im Laienbereich sowie bei den Covid-19-Finanzhilfen.

Verschiedene Differenzen zum Erstrat entstanden hingegen im dritten Block zur sozialen Wohlfahrt und Gesundheit. So erhöhte der Nationalrat auf Antrag der Kommissionsmehrheit die Gelder für die Familienorganisationen bei den Krediten des BSV, die Finanzhilfen unter anderem zur Elternbildung oder zur familienergänzenden Kinderbetreuung beinhalten, im Voranschlags- und den Finanzplanjahren um CHF 1 Mio. Der Bundesrat und eine Minderheit Guggisberg hatten die Ablehnung der Aufstockung beantragt, zumal für eine solche Unterstützung auch institutionelle Voraussetzungen geschaffen werden müssten. Auch den Kredit für den Kinderschutz und die Kinderrechte erhöhte die grosse Kammer um CHF 390'000, um damit die privatrechtliche Stiftung «Ombudsstelle Kinderrechte Schweiz» zu finanzieren, deren Schaffung eine angenommene Motion Noser (fdp, ZH; Mo. 19.3633) verlangt hatte. Der Bundesrat hatte sich gegen diese Aufstockung gestellt, zumal die rechtliche Grundlage für diesen Kredit noch nicht bestehe. «Wir können ja nicht Gelder einsetzen, wenn wir dafür keine legale Grundlage haben», betonte Finanzminister Maurer. Kommissionssprecher Brélaz argumentierte hingegen, man können nicht «tout contrôler pendant deux-trois ans», bevor man damit beginnt, die Gelder einzusetzen.
Abgelehnt wurden in diesem Block Anträge auf Kreditkürzungen bei der Gleichstellung von Frau und Mann, die eine Minderheit Sollberger beantragt hatte. Eine Plafonierung gegenüber dem Vorjahr hätte gemäss Sollberger «keinen Einfluss auf weniger oder mehr Gleichstellung». Ebenfalls erfolglos blieb ein Antrag Glarner (svp, AG) auf Streichung des Beitrags an ein spezifisches Projekt des Vereins Netzcourage sowie ein Minderheitsantrag Nicolet zur Änderung der Planungsgrössen zur Bundesfinanzierung der Covid-19-Tests: Diese sollte nur solange gewährt werden, wie die Covid-19-Zertifikatspflicht gilt. Auch ein Minderheitsantrag Schilliger, der die Leistungen des Erwerbsersatzes mit Verweis auf die vierte Revision des Covid-19-Gesetzes nur bis Ende Juni 2022 gewähren und die Covid-19-Situation anschliessend neu beurteilt wissen wollte, fand keine Mehrheit.

Auch im vierten Block zu Landwirtschaft, Tourismus und Steuern wich der Nationalrat in einem Punkt von den Entscheiden des Ständerates ab: Bei der Nachmeldung für ein Tourismus-Recovery-Programm von CHF 17 Mio. wollte die Kommission die Gelder zu je 50 Prozent für Marketingkampagnen von Schweiz Tourismus und für Entlastungszahlungen an touristische Partnerorganisationen verwenden. Der Bundesrat und der Ständerat hatten keine entsprechenden Einschränkungen vorgenommen, weshalb gemäss den beiden Kommissionssprechenden wie üblich zwei Drittel in die gesamtschweizerischen Marketingkampagnen fliessen würden. Jedoch sei eine Werbekampagne in Südafrika momentan – auch aus ökologischer Sicht – nicht «unbedingt gerade unser Hauptziel», betonte Kommissionssprecherin Wyss. Stillschweigend stimmte der Nationalrat diesem Antrag seiner Kommission zu.
Hingegen folgte der Nationalrat dem Ständerat in diesem Block bei der Erhöhung der Zulagen für die Milchwirtschaft und den Beihilfen für den Pflanzenbau. Eine Minderheit Munz (sp, SH) hatte beantragt, auf erstere Erhöhung zu verzichten und dem Bundesrat zu folgen. Der Bundesrat wolle die Verkehrsmilchzulage erhöhen, aber die Verkäsungszulage senken, da Letztere aufgrund von Fehlanreizen zu einer zu grossen Menge Käse von geringer Qualität führe. Die von der Kommission beantragte Erhöhung zugunsten der Verkäsungszulage würde folglich die bisherige Marktverzerrung noch zementieren. Finanzminister Maurer wies überdies darauf hin, dass man entsprechende Erhöhungen – falls nötig – lieber erst mit den Nachtragskrediten vorlegen würde, wenn man die dazugehörigen Zahlen kenne. Mit 105 zu 61 Stimmen (bei 20 Enthaltungen) sprach sich der Nationalrat jedoch für die Erhöhung aus. Die ablehnenden Stimmen stammten grösstenteils von der SP-, einer Mehrheit der GLP- und einer Minderheit der FDP.Liberalen-Fraktion, die Enthaltungen grösstenteils von der Grünen-Fraktion.
Auch in diesem Block blieben zwei Minderheitsanträge erfolglos: Eine Minderheit I Fischer (glp, LU) und eine Minderheit II Gysi (sp, SG) unterlagen mit Anträgen auf Erhöhungen bei der direkten Bundessteuer respektive bei der Mehrwertsteuer, beim Globalbudget der ESTV sowie in den Finanzplanjahren. Die zusätzlichen Mittel sollten zur Schaffung von je fünf zusätzlichen Steuerkontrollstellen und somit zur Erhöhung des Steuerertrags eingesetzt werden und sich so mittelfristig quasi selbst finanzieren.

Im fünften Block zu Verkehr, Umwelt, Energie und Raumplanung entschied sich der Nationalrat bezüglich zweier Punkte zum Bundesamt für Energie anders als der Ständerat. Letzterer hatte den Kredit für das Globalbudget des BFE sowie für das Programm EnergieSchweiz gegenüber dem bundesrätlichen Entwurf erhöht. Die Mehrheit der FK-NR beantragte nun bei beiden Kreditposten eine zusätzliche Erhöhung um CHF 2.9 respektive CHF 8.3 Mio., wobei die zusätzlichen Gelder beim Globalbudget zur Finanzierung des durch die Erhöhung beim Programm EnergieSchweiz begründeten Aufwands eingesetzt werden sollten. Damit wollte die Kommission gemäss ihrem Sprecher Brélaz in den wenigen Bereichen, in denen die Finanzierung entsprechender Projekte über das Bundesbudget läuft, nach der Ablehnung des CO2-Gesetzes erste Massnahmen zum Klimaschutz treffen. Eine Minderheit Egger sprach sich gegen die Erhöhung aus, zumal im Energiebereich zuerst die Problematik der Stromversorgungslücke gelöst werden müsse. Finanzminister Maurer wehrte sich vor allem dagegen, nach der Ablehnung des CO2-Gesetzes einzelne Punkte «quasi durch die Hintertüre einfach wieder aufs Tapet» zu bringen. Mit 115 zu 67 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) hiess der Nationalrat die Erhöhung jedoch gut, abgelehnt wurde sie von einer Mehrheit der SVP-, der Hälfte der Mitte- und einer Minderheit der FDP.Liberalen-Fraktion.
Erhöht gegenüber dem bundesrätlichen Antrag wurde auch der Kredit für das Globalbudget des ARE. Hier hatte der Ständerat zuvor entschieden, CHF 100'000 mehr für das Projekt Swiss Triple Impact, ein Förderprogramm zur Erreichung von nachhaltigen Entwicklungszielen, einzusetzen, und der Nationalrat folgte ihm mit 115 zu 69 Stimmen (bei 1 Enthaltung). Der Finanzminister hatte die Erhöhung bei einem Sach- und Betriebsaufwand des ARE von CHF 9 Mio. als unnötig erachtet. Auch bei der Aufstockung der Einlage des BIF folgte der Nationalrat seinem Schwesterrat: Hier soll der Maximalbetrag und somit zusätzlich CHF 233 Mio. eingestellt werden, um sicherzustellen, dass auch zukünftig genügend Geld für den Bahnverkehr vorhanden ist, betonte Kommissionssprecherin Wyss. Dies erachteten der Bundesrat und eine Minderheit Schilliger als nicht notwendig, da der Fonds genügend stark geäufnet sei. Mit 125 zu 59 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) folgte der Nationalrat jedoch der kleinen Kammer.
Abgelehnt wurden hingegen ein Kürzungsvorschlag einer Minderheit Egger bei den Umweltschutzmassnahmen des BAZL – Egger hatte argumentiert, die Erhöhung beruhe lediglich auf der Vermutung des BAZL, dass es zukünftig mehr Umweltschutzgesuche geben könne – sowie ein Einzelantrag Rüegger (svp, OW) zur Aufstockung des Kredits des BAFU um CHF 6 Mio., mit der nach der Ablehnung des revidierten Jagdgesetzes die durch Wölfe verursachten Schäden abgegolten und der zusätzliche Aufwand entschädigt werden sollten.

Im sechsten Block zum Themenbereichen Eigenaufwand und Schuldenbremse schlug eine Kommissionsmehrheit in Übereinstimmung mit dem Ständerat vor, verschiedene Kredite beim Bundesamt für Verkehr ausserordentlich zu verbuchen, um so die zuvor vorgenommene Erhöhung der BIF-Einlage finanzieren zu können. Anders als der Ständerat beabsichtigte die Mehrheit der FK-NR zudem, eine Nachmeldung des Bundesrates im Bereich Covid-19-Arzneimittel und -Impfleistungen in der Höhe von CHF 57 Mio. ausserordentlich zu verbuchen – da man noch zusätzliche Ausgaben beschlossen habe, könne nur so die Schuldenbremse eingehalten werden, begründete Kommissionssprecher Brélaz den Vorschlag. Eine Minderheit Schwander (svp, SZ) wehrte sich gegen diese Umbuchungen, da sie gegen die Schuldenbremse und das Finanzhaushaltsgesetz verstossen würden. Diese Meinung teilte auch der Finanzminister, ihm ging das Parlament «mit [seiner] Interpretation [des FHG] hier zu weit», auch wenn die Interpretation der Gesetze keine exakte Wissenschaft sei. Der Nationalrat stimmte den Umbuchungen jedoch mit 133 zu 50 Stimmen respektive 133 zu 49 Stimmen zu.
Eine weitere Differenz schuf der Nationalrat stillschweigend bezüglich der Planungsgrössen beim VBS: Dort soll eine neue Planungsgrösse dafür sorgen, dass die Bruttomietkosten ab 2025 um 2 Prozent gesenkt und damit gemäss Kommissionssprecherin Wyss CHF 400 Mio. jährlich «freigespielt» werden sollen.
Erfolglos blieben die Minderheitsanträge Sollberger und Strupler (svp, TG), welche die Kredite für das Bundespersonal gegenüber dem bundesrätlichen Vorschlag um CHF 1.8 Mio. (2022, Minderheit Sollberger) respektive um CHF 10.9 Mio. (2023), CHF 117 Mio. (2024) und CHF 265 Mio. (2025, alle Minderheit Strupler) reduzieren wollten. Damit hätte auf zusätzliche Stellen für die Strategie Social Media/Digitalisierung verzichtet (Sollberger) respektive «das ungebremste Personalwachstum beim Bund» gebremst werden (Strupler) sollen. Zuvor hatte bereits der Ständerat die Ausgaben im Voranschlags- und den Finanzplanjahren um CHF 21 Mio. reduziert. Mit 131 zu 52 Stimmen respektive 133 zu 50 Stimmen lehnte der Nationalrat die beiden Anträge ab, folgte damit dem Bundesrat und schuf eine weitere Differenz zum Erstrat. Erfolglos blieb auch ein Kürzungsantrag Egger beim Ressourcenpool des Generalsekretariats UVEK.

Mit der Bereinigung des Entwurfs, bei welcher der Nationalrat seiner Kommission in fast allen Punkten gefolgt war, hatte der Nationalrat den Ausgabenüberschuss von CHF 2.08 Mrd. (Bundesrat) respektive CHF 2.32 Mrd. (Ständerat) auf CHF 2.36 Mrd. erhöht – durch die Umbuchung einzelner zusätzlicher Ausgaben auf das Amortisationskonto (ausserordentliche Ausgaben Bundesrat: CHF 3.03 Mrd., Ständerat: CHF 3.25 Mrd., Nationalrat: CHF 3.30 Mrd.) konnte die Schuldenbremse jedoch eingehalten werden. Mit 130 zu 44 Stimmen (bei 7 Enthaltungen) nahm der Nationalrat den Voranschlag 2022 an. Die ablehnenden Stimmen stammten von Mitgliedern der SVP-Fraktion und von Stefania Prezioso (egsols, GE), die Enthaltungen ausschliesslich von Mitgliedern der SVP-Fraktion. Letztere sprachen sich teilweise auch gegen die übrigen Bundesbeschlüsse aus, dennoch nahm der Nationalrat den Bundesbeschluss Ib über die Planungsgrössen im Voranschlag für das Jahr 2022, den Bundesbeschluss III über die Entnahmen aus dem Bahninfrastrukturfonds für das Jahr 2022 und den Bundesbeschluss IV über die Entnahmen aus dem Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrsfonds für das Jahr 2022 jeweils deutlich an.

Voranschlag 2022 mit integriertem Aufgaben- und Finanzplan 2023-2025 (BRG 21.041)
Dossier: Bundeshaushalt 2022: Voranschlag und Staatsrechnung

In der Wintersession 2021 schrieb der Ständerat die parlamentarische Initiative der GPK-SR bezüglich wirksamen Strafbestimmungen zur Verfolgung der organisierten Kriminalität auf Antrag seiner Rechtskommission stillschweigend ab. Der Bundesbeschluss über die Genehmigung und Umsetzung des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus mit dem dazugehörigen Zusatzprotokoll sowie über die Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität war in der Zwischenzeit vom Parlament angenommen worden und per 1. Juli 2021 in Kraft getreten.

Wirksamere Strafbestimmungen zur Verfolgung der organisierten Kriminalität (Pa.Iv. 14.401 und Mo. 15.3008)
Dossier: Übereinkommen des Europarates zur Verhütung des Terrorismus / Verstärkung des strafrechtlichen Instrumentariums gegen organisierte Kriminalität

Der Nationalrat stimmte in der Wintersession 2021 erwartungsgemäss der Schaffung einer nationalen Berufspilotenlizenz zu, nachdem die beiden Räte bereits zuvor eine fast gleichlautende Motion der KVF-NR gutgeheissen hatten. Verkehrsministerin Sommaruga beharrte denn auch nicht mehr auf einer Abstimmung zu dieser Motion, die der Bundesrat zur Ablehnung empfohlen hatte. Sie rief dem Nationalrat bloss noch einmal in Erinnerung, dass die Schweiz mit der Umsetzung der Motion gegen das Luftverkehrsabkommen mit der EU verstossen werde.

Schaffung einer nationalen Berufspilotenlizenz (Mo. 21.3095)
Dossier: Schaffung einer nationalen Berufspilotenlizenz

Am 24. November 2021 genehmigte der Bundesrat das MoU mit der EU bezüglich des zweiten Schweizer Beitrags an ausgewählte EU-Mitgliedstaaten, nachdem beide Parlamentskammern den seit 2019 blockierten Beitrag Ende September 2021 freigegeben hatten. Schon Mitte November hatten Bundespräsident Cassis und EU-Kommissar Sefčovič bei ihrem Treffen die auf technischer Ebene erzielte Einigung begrüsst. Für den Bundesrat stelle die Freigabe ein «weiteres positives Signal» an die EU dar, wie er in seiner Medienmitteilung verlauten liess. Das Memorandum beinhalte die wichtigsten Eckwerte des zweiten Schweizer Beitrags wie dessen Höhe, die Aufteilung auf die Partnerländer, die thematischen Prioritäten und die Prinzipien für die Zusammenarbeit und die Umsetzung. Die Unterzeichnung erfolge aber erst, wenn die EU ihre internen Genehmigungsverfahren abgeschlossen habe. Dennoch beschloss der Bundesrat bereits, die Verhandlungen mit den Partnerländern aufzunehmen.
Tags zuvor hatte die APK-NR beschlossen, in der Wintersession 2021 im Rahmen der Debatte zum Voranschlag 2022 einen Antrag auf eine Erhöhung der Kohäsionsmilliarde um CHF 953 Mio. einzureichen, mit dem sie den Beitrag beinahe verdoppeln wollte. Diese Aufstockung sollte mit Konditionen verbunden sein, beispielsweise sollte die EU der Schweiz in mehreren Kooperationsabkommen wie Horizon, Digital Europe, ITER (Internationaler Thermonuklearer Experimental-Reaktor), Euratom und Erasmus+ entgegenkommen. Die NZZ schätzte die Chancen des Antrags als sehr gering ein. Schliesslich setze sich bei Differenzen zwischen den Räten bei Budgetprozessen automatisch die Version mit dem tieferen Betrag durch und bei den Aussenpolitikerinnen und Aussenpolitikern der kleinen Kammer käme die Idee eher schlecht an. Damian Müller (fdp, LU) – Präsident der APK-SR – warnte in der NZZ denn auch vor derartig unüberlegten «Ideen nach dem Prinzip Hoffnung, ohne Strategie und ohne Konzept». In der Budgetdebatte setzte sich die Kommissionsminderheit dann, zur Erleichterung von Finanzminister Maurer, mit 93 zu 84 Stimmen (bei 6 Enthaltungen) durch und versenkte die Idee einer Erhöhung.

Bundesrat genehmigt MoU mit der EU bezüglich des zweiten Schweizer Beitrags an ausgewählte EU-Mitgliedstaaten
Dossier: Schweizer Beitrag an die erweiterte EU

Im Jahr 2021 drehte sich die mediale Debatte im Energiebereich stark um die Frage, wie die Stromproduktion der Schweiz in Zukunft aussehen soll. Es kam die Befürchtung auf, dass künftig eine Strommangellage entstehen könnte. Dies war insbesondere auf drei Entwicklungen zurückzuführen: Erstens werden durch die schrittweise Ausserbetriebnahme der Schweizer Atomkraftwerke rund 40 Prozent der heutigen Schweizer Stromproduktion wegfallen, wie die NZZ schrieb. Zweitens wird durch den Ausbau der erneuerbaren Energien eine unregelmässigere Stromproduktion stattfinden, die speziell in den Wintermonaten zu einem Nachfrageüberhang führen könnte. Diese Lücke könnten womöglich zukünftig auch umliegende Länder nicht schliessen, da sich diese in einer ähnlichen Situation befinden und ihre Energieproduktion mittel- bis langfristig ebenfalls CO2-neutral gestalten möchten, erklärte die Argauer Zeitung. Drittens führte der Entscheid des Bundesrates, die Verhandlungen über ein institutionelles Rahmenabkommen abzubrechen, dazu, dass vorerst auch kein sektorielles Stromabkommen mit der EU abgeschlossen werden kann. Die EU hatte den Abschluss des Stromabkommens an das Zustandekommen des Rahmenabkommens geknüpft. Die Stromversorgungssicherheit leidet damit insofern, als die Schweiz von wichtigen Gremien und Plattformen des EU-Strombinnenmarktes ausgeschlossen wird und Stromlieferungen in die Schweiz teilweise unsicherer werden. Nach dem Scheitern des Rahmenabkommens sei deshalb klar geworden, dass die Situation schwierig werde, resümierte der Tages-Anzeiger. Die Schweizer Energiestrategie 2050 basiere auf der Annahme, dass ein Stromabkommen mit der EU bestehe, erklärte Ex-Nationalrat und heutiger ElCom-Präsident Werner Luginbühl anlässlich der jährlichen Medienkonferenz der nationalen Regulierungsbehörde. Ohne Abkommen werde es daher zunehmend schwierig, die Nachfrage jederzeit decken zu können. Auch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz schätzte 2020 einen längeren Stromausfall als eine der derzeit grössten Gefahren für das Land ein.

Durch das Ausbleiben eines solchen bilateralen Abkommens droht der Schweiz – als erste Folge – der Ausschluss vom Regelenergiemarkt. So können kurzfristige Strom-Reservekapazitäten nicht mit den EU-Ländern gehandelt werden, was insbesondere die Stromversorgungssicherheit tangiert. Dies wiederum habe finanzielle Folgen, da die Stromkonzerne ihren Trumpf in den Alpen, die Pumpspeicherkraftwerke, nicht vollständig ausspielen können, um bei Spitzenzeiten mit abrufbarem Stromangebot mitmischen zu können, berichtete die NZZ. Gemäss dem Tages-Anzeiger warte Swissgrid seit Oktober 2020 auf ein Signal aus Brüssel, um die Handelsplattform formell nutzen zu können. Wie dieselbe Zeitung weiter schrieb, sei es aber vornehmlich der EU-Kommission ein Anliegen, die Schweiz von dieser Plattform auszuschliessen. Sie setze deshalb Druck auf Länder wie Deutschland und Frankreich auf, um die Schweiz nicht mehr an den Verhandlungstisch einzuladen. Als zweite Folge eines fehlenden bilateralen Abkommens kann Swissgrid auch nicht in wichtigen regulatorischen Gremien mit anderen Übertragungsnetzbetreibern Einsitz nehmen. Dies führe zu fehlender Koordination und ungeplanten Lastflüssen, respektive zur Situation, dass plötzlich unerwartet eine gewisse Strommenge durch die Schweiz fliesst und eine flexible und ineffiziente Ausgleichsmassnahme durch die Zuschaltung von Schweizer Wasserkraftkapazitäten nötig wird, erklärte die NZZ. BFE-Sprecherin Marianne Zünd resümierte, dass sich die Situation für alle Akteure in der Schweiz verschlechtern werde. «Trotz physischer Verbundenheit wird die Schweiz aber zunehmend zu einer Strominsel», schrieb die NZZ im April 2021.

Als Rezept gegen die drohende Strommangellage präsentierte der Bundesrat im Sommer unter der Federführung von Energieministerin Simonetta Sommaruga die Botschaft zur Revision des EnG und des StromVG. Die darin vorgesehenen Massnahmen waren in den entsprechenden Vernehmlassungen (Vernehmlassung des EnG; Vernehmlassung des StromVG) – zumindest im Falle des EnG – mehrheitlich auf positive Resonanz gestossen. Dieser Mantelerlass für eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien sah nebst dem Ausbau und der Förderung der erneuerbaren Energien im Inland die Schaffung einer zusätzlichen Speicherreserve für die Wintermonate vor. Der Bundesrat wollte damit als Lösung für den Wegfall der Bandenergie aus den Atomkraftwerken die Kapazitäten im Inland stark mit erneuerbaren Energien ausbauen und eigenständig für mehr Versorgungssicherheit im Winter sorgen. Gleichzeitig gab Energieministerin Simonetta Sommaruga bekannt, den inländischen Strommarkt liberalisieren zu wollen. Der Strommarkt soll damit dank den Marktkräften effizienter werden, die erneuerbaren Energien besser integrieren, innovative Geschäftsmodelle ermöglichen und gleichzeitig den Konsumentinnen und Konsumenten bei der Stromanbieterwahl Wahlfreiheit lassen, wie der Bundesrat in einer Medienmitteilung bekannt gab.

Frischen Schub verlieh der medialen Debatte im Herbst 2021 eine Videobotschaft des Wirtschaftsministers Guy Parmelin. Darin richtete sich der Waadtländer Bundesrat an Unternehmerinnen und Unternehmer in der Schweiz mit der Bitte, sich auf allfällige Strommangellagen vorzubereiten und Konzepte auszuarbeiten, um in Notsituationen rasch stromintensive Aktivitäten kurzfristig aussetzen zu können. Konkret richtete sich diese Botschaft an rund 30'000 Unternehmen in der Schweiz, die einen jährlichen Stromverbrauch von über 100'000 kWh aufweisen. Solche Firmen könnten durch eine allfällige Anordnung des Bundesrates dazu verpflichtet werden, einen gewissen Prozentsatz am Stromverbrauch während einer Strommangellage einzusparen, erklärte der Tages-Anzeiger. Die Warnung des Wirtschaftsministers basierte auf einer Studie zur Versorgungssicherheit, die der Bundesrat in Auftrag gegeben hatte. In dieser Analyse war insbesondere ein Faktor dafür verantwortlich, dass gerade ab 2025 mit einem Engpass zu rechnen sei: Eine Vorgabe der EU, wonach ab 2025 mindestens 70 Prozent der grenzüberschreitenden Kapazitäten zwischen den EU-Staaten gehandelt werden müssen. Diese Regelung habe zur Folge, dass Exporte in Nicht-EU-Länder wie die Schweiz verringert würden und die inländische Netzstabilität hierzulande stark sinke, schlussfolgerte die Studie. Um ungeplante Lastflüsse auszugleichen, würden Wasserkraftreserven aufgebraucht werden müssen, die eigentlich für den Winter wichtig wären, um die dann anfallende Nachfrage decken zu können. In der politischen Debatte musste Energieministerin Simonetta Sommaruga viel Kritik einstecken und die Situation erklären. Sie habe sich über das alarmistische Vorpreschen ihres Amtskollegen Parmelin geärgert, folgerte beispielsweise der Tages-Anzeiger.

Nicht sehr verwunderlich präsentierten verschiedenste Politikerinnen und Politiker einen bunten Strauss an möglichen Massnahmen, um eine solche Strommangellage zu verhindern. Während die einen darauf beharrten, nun endlich mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien vorwärts zu machen, forderten andere die Wiederbelebung der totgesagten Atomkraft, wie es beispielsweise der grosse Nachbar Frankreich unter Präsident Emanuel Macron tat. Schon im Sommer, nachdem das Schweizer Stimmvolk das CO2-Gesetz in einem Referendum knapp versenkt hatte und das Stromabkommen auf den Sankt-Nimmerleins-Tag («aux calendes grecques») verschoben worden war, wie «Le Temps» witzelte, berichtete dieselbe Zeitung von einer Wiederentdeckung der Atomenergie: Einerseits würde ein Weiterbetrieb der bestehenden Anlagen die Stromversorgungsknappheit entschärfen, andererseits eine relativ CO2-neutrale Energie liefern, so das Blatt. Weiter gingen Exponentinnen und Exponenten der SVP, die den Bau von neuen Atomkraftwerken auf das politische Parkett brachten. Die Atomkraft sei plötzlich wieder «en vogue», schrieb der Tages-Anzeiger dazu. Der Berner Nationalrat Albert Rösti wollte deshalb im Rahmen der Beratungen zum bereits erwähnten Mantelerlass für eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien eine dahingehende Änderung des KEG beantragen, die das Neubauverbot für AKWs kippen würde. Auch Alt-Bundesrat Christoph Blocher weibelte in den Medien für neue AKWs, doch alle grossen Stromkonzerne in der Schweiz winkten bei der Frage nach neuen Anlagen ab; zu teuer, betriebswirtschaftlich nicht rentabel und gesellschaftlich nicht erwünscht, war der Tenor. Einen etwas anderen Ansatz wählte die Mitte-Partei: Parteipräsident Gerhard Pfister (mitte, ZG) brachte die Idee von einer Strom-Neat auf, die sich Parteikollege Beat Rieder (mitte, VS) ausgedacht habe. So könnte die EU von einer starken Stromleitung durch die Schweiz profitieren. Im Gegenzug würde die Schweiz bei wichtigen Gremien mitmachen dürfen, sodass die Versorgungssicherheit und die Netzstabilität verbessert würden, erhoffte sich Pfister von der Idee. Wie verschiedenste Medien schrieben, sei es aber fraglich, wie zentral die Schweiz als Stromdrehscheibe in Europa überhaupt noch sein werde. Derzeit sei es vor allem Italien, das ein starkes Interesse an einer funktionierenden Durchleitung durch die Schweiz habe. Mit dem Forcieren einer Starkstrom-Erdverkabelung zwischen Italien und Österreich schwinde allerdings diese Schweizer Trumpfkarte. Wichtig sei die Schweiz jedoch vorwiegend in Sachen Stromspeicherung, da dank den Pumpspeicherkraftwerken überschüssiger Strom auf dem EU-Markt gespeichert werden könnte. Eine andere Forderung, die auch schon länger in den politischen Debatten kursierte, war die Forderung für den Bau von Gaskraftwerken, die bei einer Strommangellage kurzfristig mit abrufbaren Kapazitäten einspringen könnten. Wie die Westschweizer Zeitung «24 heures» schrieb, schlage die Vereinigung Powerloop, der Fachverband für Energiefragen der Energiestrategie 2050, den Bau von rund 2000 kleinen Gaskraftwerken vor. Diese könnten einfach realisiert werden, bräuchten wenig Platz und könnten bei Bedarf einfach abgebaut werden, wenn dies die Situation verlange. Gemäss Aargauer Zeitung betrachtete auch der Bund CO2-kompensierte Gaskraftwerke als eine mögliche Übergangslösung. Allgemein stellt die Situation den Schweizer Strommarkt vor «riesige[...] Herausforderungen», prophezeite etwa die Aargauer Zeitung. Handkehrum könne die Gefahr eines Stromengpasses aber auch als Chance gesehen werden, damit sich das Land in eine nachhaltigere Energiewirtschaft bewege, sinnierte beispielsweise «Le Temps».

Strommangellage ab 2025
Dossier: Stromabkommen mit der EU

Mitte November 2021 kündigte das EDA an, Bundesrat Cassis werde in den nächsten Tagen nach Slowenien, Saudi-Arabien und Libyen reisen. In Slowenien – welches zu dem Zeitpunkt den Vorsitz im Rat der EU innehatte – unterhielt sich Cassis mit dem slowenischen Aussenminister Logar vornehmlich über die Europapolitik der Schweiz. Wie bereits bei seinem Arbeitsbesuch in Brüssel hob Cassis hervor, dass die Schweiz einen strukturierten politischen Dialog mit der EU aufnehmen wolle. Aussenminister Cassis erwähnte auch die Freigabe der zweiten Kohäsionsmilliarde, zu deren Empfängern auch Slowenien gehört. Ausserdem sprach er das Engagement der Schweiz im Westbalkan zur Förderung von Stabilität, Sicherheit und Demokratie an und lud Slowenien zur Ukraine-Reformkonferenz 2022 ein. Sein slowenisches Pendant betonte die Wichtigkeit, die Partnerschaft mit der Schweiz im Rahmen des slowenischen Vorsitzes weiter auszubauen.
Der Dialog mit dem saudischen Aussenminister Prinz Faisal bin Farhan bin Abdullah bis Faisal Al Saud und dem saudischen Staatsminister für auswärtige Angelegenheiten, Adel Aljubeir, umfasste das Schweizer Schutzmachtmandat, die Stabilität und Sicherheit in der Region, die wirtschaftliche Zusammenarbeit, die nachhaltige Entwicklung und nicht zuletzt die Menschenrechte. Cassis betonte, dass sich die Schweiz im Rahmen der Umsetzung der MENA-Strategie 2021-2024 für mehr politische Stabilität und Sicherheit einsetze, unter anderem indem sie seit 2018 die Interessen Saudi-Arabiens im Iran und umgekehrt vertritt. Mit Bezug auf den Jemen-Krieg forderte der Aussenminister die saudische Delegation auf, den Waffenstillstand und die Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen zu unterstützen, sowie das humanitäre Völkerrecht einzuhalten. Im Bereich der ökonomischen Kooperation lobte Cassis die wirtschaftlichen und sozialen Reformen, die Saudi-Arabien in seiner «Vision 2030» umgesetzt hatte. Diese böten neben einem grossen Potenzial für die Schweizer Wirtschaft auch die Möglichkeit, einen konstruktiven Dialog über Menschenrechte, die Todesstrafe und die Meinungsfreiheit zu führen. Die Schweizer Delegation interessierte sich auch für die Stellung der Frau in der saudischen Gesellschaft und Wirtschaft. Daher traf sich der EDA-Vorsteher ebenfalls mit Vertreterinnen aus Politik, Wirtschaft und Sport, um sich ein Bild über die Situation der Frauen in Saudi-Arabien zu machen.
Den Abschluss der Reise bildete der Staatsbesuch in Libyen, wo sich Cassis mit Premierminister Abdelhamid Dabeiba, dem Vorsitzenden des Präsidialrats Mohamed Menfi und der Aussenministerin Najla Mangoush zu Gesprächen traf. Dabei betonte er, dass die Schweiz im Hinblick auf die Wahlen vom Dezember die vom «Libyschen Politischen Dialogforum» festgelegte Roadmap für den Wahlprozess unterstütze. Auch die Schwerpunkte der MENA-Strategie für Libyen – Migration, Entwicklung der Menschenrechte und die humanitäre Lage im Land — wurden angesprochen. Innerhalb des UNO-Friedensprozesses für Libyen bemühe sich die Schweiz um eine nachhaltige Stabilisierung und Aussöhnung des Landes, so Cassis. Schliesslich berieten die beiden Gesprächsparteien auch über die Wiedereröffnung der Schweizer Botschaft, die 2014 aufgrund der Kampfhandlungen in Libyen aufgegeben worden war.

Bundesrat Cassis Dienstreise nach Slowenien, Saudi-Arabien und Libyen
Dossier: Staatsbesuche im Ausland 2021

Ende Oktober 2021 berichtete der Tages-Anzeiger, dass Aussenminister Cassis Mitte November für einen Arbeitsbesuch nach Brüssel reisen werde, um sich ein erstes Mal mit dem neuen EU-Verantwortlichen für das Schweiz-Dossier – Maroš Sefčovič – zu treffen. Wie Cassis selbst auf Twitter bekannt gab, diente das Treffen dazu, sich gegenseitig kennen zu lernen und über die Zukunft der bilateralen Beziehungen zu sprechen. Wie der Tagesanzeiger berichtete, sei aus EU-Kreisen zu vernehmen, dass die Schweiz nach dem Abbruch der Verhandlungen über das Rahmenabkommen bei der EU an Priorität eingebüsst habe, daran habe auch die Freigabe der zweiten Kohäsionsmilliarde wenig geändert. Etwas anders präsentierte sich die Erwartungshaltung des Bundesrats. Im Vorfeld des Arbeitsbesuchs äusserte sich Cassis in einem Interview mit der NZZ zur EU-Politik der Schweiz und erwartete nach dem positiven Signal der Schweiz mit dem Kohäsionsbeitrag nun eine Reaktion der EU. Darüber hinaus gab er sich jedoch sehr bedacht und warnte, dass man «nicht noch einmal in die gleiche Falle» wie 2013 tappen dürfe, als die Schweiz «Verhandlungen nach dem Prinzip Hoffnung» aufgenommen habe und sich nicht sicher gewesen sei, was sie wolle und zu welchem Preis. Auf die Frage, ob die Schweiz im Gegenzug für den nächsten Kohäsionsbeitrag die Assoziierung bei der Forschungszusammenarbeit fordere, antwortete Cassis, dass man diese «Logik der gegenseitigen Bedingungen» beenden wolle. Cassis dämpfte in seinem NZZ-Interview die Erwartungen an das bevorstehende Treffen und erklärte, man brauche «Zeit, um ohne Druck innenpolitisch unsere Prioritäten zu klären».
Unterdessen drückten immer mehr Parteien und Vertretende aus der Zivilgesellschaft und Wirtschaft ihre Unzufriedenheit mit dem Vorgehen des Bundesrats aus. Dessen dreiteilige Strategie – Kohäsionsmilliarde freigeben, politischen Dialog stärken, einseitige Anpassung von Schweizer Recht – dürfte erst 2024 zu weiteren Verhandlungen führen, konstatierte die Aargauer Zeitung. Sie berichtete auch, dass ungenannte kritische Stimmen Cassis vorwerfen würden, sich vor den Wahlen 2023 nicht «die Finger an diesem toxischen Dossier» verbrennen zu wollen. Das dauere vielen Parteien, darunter den Grünen und den Grünliberalen, und Interessensgruppen, unter anderem der Operation Libero, zu lange. Ständerat Würth (mitte, SG) forderte vom Bundesrat vor allem angesichts der Probleme bei der Forschungskooperation und der Stromversorgung schnellere Lösungen.
Einige Tage vor dem Arbeitsbesuch von Ignazio Cassis reiste Bundespräsident Parmelin nach Brüssel, wo er sich mit Amtskollegen der EFTA- und EU-Staaten traf. Gegenüber den anwesenden Medienschaffenden erklärte er die Vollassoziierung am Forschungsprogramm Horizon Europe als Hauptziel der kommenden Gespräche zwischen der Schweiz und der EU. Das könnte sich als schwierig erweisen, hielt der Tages-Anzeiger fest, denn die EU verknüpfe Kooperationsfragen neuerdings auch mit den institutionellen Marktzugangsfragen, was zu einer schwierigen Verhandlungslage führe. Hinsichtlich regelmässiger Kohäsionszahlungen in der Zukunft meinte Parmelin, dass man alles diskutieren könne. Das Treffen zwischen Cassis und seinem EU-Ansprechpartner sei eine «erste Kontaktmöglichkeit», der Gesamtbundesrat werde zu einem späteren Zeitpunkt konkrete Vorschläge machen müssen, wie es nach dem InstA-Aus weitergehen soll.

Das Treffen zwischen Cassis und Sefčovič fand am 15. November statt und wie angekündigt wurde insbesondere über die Assoziierung an Horizon 2021-2027 und Erasmus+ gesprochen. Cassis bezeichnete diesbezüglich die Verknüpfung von Marktzugangs- und Kooperationsabkommen als kontraproduktiv und unverständlich. In Bezug auf die Freigabe des zweiten Kohäsionsbeitrags zeigte sich Sefčovič erfreut und die beiden Parteien einigten sich auf technischer Ebene auf ein Memorandum of Understanding über das weitere Vorgehen. Das sei ein positives Zeichen, stellte die NZZ fest, habe doch die EU im Vorfeld regelmässige Zahlungen als «Eintrittsticket» für den Binnenmarkt verlangt, während die Schweiz die Zahlungen als freiwilligen Beitrag für die osteuropäischen Staaten verstanden habe. Abschliessend bekräftigten beide Seiten die Bedeutung der bilateralen Beziehungen und hoben den Willen zu einer konstruktiven Zusammenarbeit hervor. Man einigte sich darauf, am Rande des WEF 2022 über eine bis dahin zu erarbeitende Standortbestimmung und eine gemeinsame Agenda zu diskutieren, um strittige Punkte wie die Streitbeilegung und die Rechtsübernahme angehen zu können.
Die Schweizer Medien reagierten mit gemischten Gefühlen auf die Ergebnisse des Treffens. Die lange Dauer der Besprechung – statt der geplanten Stunde erstreckte sich das Gespräch schliesslich über zwei Stunden – wurde unterschiedlich interpretiert: wahlweise als gutes Zeichen oder als Folge neuer Probleme. Der Tages-Anzeiger sah in der harten Wortwahl des EU-Kommissars im Nachgang des Treffens ein Zeichen für die nach wie vor angespannte Beziehung. Bezeichnend dafür sei auch die Feststellung von Ignazio Cassis, dass man die vergangenen Monate unterschiedlich wahrgenommen habe. Der Tages-Anzeiger mutmasste auch, dass das angekündigte Treffen am WEF als neue Frist der EU verstanden werden könne, insbesondere weil Sefčovič ankündigte, dass man dann sehen werde, ob aufseiten der Schweiz ein «ernsthafter politischer Wille» vorhanden sei. Sefčovič machte auf jeden Fall deutlich, dass der abrupte Abbruch der Verhandlungen zu einer Vertrauenskrise geführt habe und die EU vom Bundesrat ein «klares politisches Signal» erwarte, bevor man über Fragen wie die Teilnahme an Horizon Europe nachdenken könne. Gegenüber dem Tages-Anzeiger hielt Sefčovič am horizontalen Verhandlungsansatz der EU fest und lehnte es ab, institutionelle Fragen für jedes Abkommen einzeln zu lösen: Die Roadmap, die am WEF besprochen werden soll, müsse folglich die Schlüsselfragen zur dynamischen Rechtsübernahme, den Staatsbeihilfen, der Streitschlichtung und einem Mechanismus für regelmässige Kohäsionsbeiträge angehen. Die NZZ gab sich dementsprechend pessimistisch und stellte fest, dass man in den bilateralen Beziehungen etwa gleich weit sei wie vor Abbruch der Verhandlungen, beide Seiten würde immer noch aneinander vorbeireden. Diese Kritik machte sie auch an Cassis' abweichender Darstellung des Treffens fest. Dieser meinte beispielsweise, das Parlament habe mit der Freigabe der Kohäsionsmilliarde bereits das stärkstmögliche Signal gesendet und der Bundesrat würde bis Januar 2022 nichts darüber hinaus tun. In Bezug auf die offengebliebenen Fragen der Personenfreizügigkeit habe er seinem Gegenüber klar gemacht, dass man diesbezüglich nicht weiterkommen werde, denn schliesslich habe die Schweiz nicht zuletzt aufgrund dieser Differenzen die Verhandlungen über das Rahmenabkommen abgebrochen.

Aussenminister Cassis reiste für einen Arbeitsbesuch nach Brüssel
Dossier: Beziehungen Schweiz–EU, institutionelle Frage

Im Oktober 2021 kündigten Operation Libero und die Grünen an, gemeinsam eine Volksinitiative zur Europapolitik zu lancieren. Bereits nach dem Abbruch der Verhandlungen zum Rahmenabkommen durch den Bundesrat im Frühling 2021 hatte Operation Libero Initiativpläne bestätigt. Es wäre das erste Mal, dass die seit 2014 bestehende Organisation eine eigene Volksinitiative (mit)lanciert.
Operation Libero und die Grünen erklärten, mit der Initiative die Europadebatte «deblockieren» zu wollen. Der Bundesrat und die Bundesratsparteien sähen das EU-Dossier als toxisch an und getrauten sich nicht, dieses anzufassen. Als zivilgesellschaftliche Organisation und als Nichtregierungspartei wollten sie die Schweizer Politik nun zwingen, Position zu beziehen: «Dieses europapolitische Mikado, in dem als Verlierer gilt, wer zuerst etwas bewegt, muss endlich ein Ende haben», schrieb Operation Libero. Die Finalisierung des Initiativtexts und der Start der Unterschriftensammlung waren gemäss Sonntagszeitung für Frühsommer 2022 geplant.

Operation Libero kündigte mit den Grünen eine Volksinitiative zu Europa an

Ende Oktober 2021 gaben die Operation Libero und die Grünen bekannt, gemeinsam eine Volksinitiative zur Europapolitik lancieren zu wollen. Die Initiative solle dem Bundesrat vorgeben, wie die bilateralen Beziehungen der Schweiz mit der EU zu gestalten seien, liess die Operation Libero in ihrer Medienmitteilung verlauten. Grüne und Operation Libero hofften zu diesem Zeitpunkt, ihre Allianz noch erweitern zu können. Gegenüber der Sonntagszeitung äusserten Vertreterinnen und Vertreter der GLP, der SP und der Europäischen Bewegung zu Beginn ein gewisses Interesse, während die Präsidenten der Mitte und der FDP.Liberalen das Vorhaben bereits zu diesem Zeitpunkt klar ablehnten. FDP-Präsident Thierry Burkart (fdp, AG) bezeichnete dieses in der NZZ als «Operation Eigengoal», mit dem die Verhandlungsposition des Bundesrats geschwächt würde. Seine Partei setze sich zwar für den Erhalt der bilateralen Beziehungen ein, doch der Bundesrat müsse die Beziehungen zur EU ganzheitlich betrachten und die Verhandlungsmasse vergrössern, indem man beispielsweise weitere Abkommen verhandle.

Die Sonntagszeitung zitierte in ihrer Berichterstattung zur Initiativankündigung aus einem ihr vorliegenden Entwurf des Initiativtexts. Demnach sollte der Bundesrat dazu verpflichtet werden, für «eine gesicherte Beteiligung am Binnenmarkt und in weiteren Politikbereichen der EU» zu sorgen und zu diesem Zweck innert dreier Jahre nach Annahme der Initiative ein Projekt für ein Kooperationsabkommen mit der EU auszuhandeln, das die bestehenden bilateralen Verträge sichert und neue Abkommen ermöglicht. In welcher Form der Bundesrat diesen Auftrag erfüllt, wollten die Initiantinnen und Initianten der Regierung überlassen; denkbar seien etwa eine Art «Bilaterale III», ein neuer Anlauf für ein institutionelles Rahmenabkommen, ein neuartiges Kooperationsabkommen oder ein EU-Beitritt. Operation Libero begründete die Dringlichkeit des Anliegens mit den gravierenden Auswirkungen des gescheiterten Rahmenabkommens. Die eingeschränkte Beteiligung von Schweizer Universitäten an EU-Forschungsprojekten wie auch die drohende Energieknappheit seien Folgen der abgebrochenen Verhandlungen und würden den Wohlstand und die Lebensqualität der Schweizer Bevölkerung bedrohen, zitierte «LeTemps» die Bewegung. Man wolle der Zivilgesellschaft dazu verhelfen, an der politischen Debatte teilzunehmen und Einfluss auf das Rahmenabkommen ausüben zu können.

Im Frühjahr 2022 berichteten die Sonntagszeitung und die Aargauer Zeitung, dass die angekündigte Initiative stark ins Stocken geraten sei und die Präsentation des Initiativtexts verschoben werde. Mehrere anfangs noch interessierte Partner, darunter die GLP, die Europäische Bewegung und die SP, hätten sich unterdessen von der Initiative distanziert und zahlreiche Wirtschaftsverbände hätten dem Anliegen bereits bei dessen Ankündigung eine Abfuhr erteilt. Sanija Ameti, Co-Präsidentin der Operation Libero – gestand ein, dass man sich nach einem halben Jahr eine breite pro-europäische Allianz erhofft habe. Den möglichen Initiativ-Partnern warf sie vor, kein Interesse an einer langfristigen Europa-Strategie zu haben und sich vor den eidgenössischen Wahlen nicht mit konkreten Lösungsvorschlägen exponieren zu wollen. SP-Co-Präsident Cédric Wermuth (sp, AG) setzte sich gegen diesen Vorwurf zur Wehr. Das Initiativanliegen – einen neuen Anlauf für die Beziehungen zur EU zu lancieren – sei bereits erfüllt, denn seit Herbst 2021 habe sich diesbezüglich viel getan. Tatsächlich reiste Aussenminister Ignazio Cassis im November 2021 für einen Arbeitsbesuch nach Brüssel und im Januar 2022 präsentierte der Gesamtbundesrat die neue Stossrichtung für das Verhandlungspaket mit der EU. In der Frühjahrssession 2022 hatte der Nationalrat zudem einer parlamentarischen Initiative der APK-NR (Pa. Iv. 21.480) Folge gegeben, mithilfe derer ein Bundesgesetz für die Weiterführung und Erleichterung der Beziehungen mit der EU eingeführt werden soll. Und selbst ein Postulat, welches die Prüfung eines EWR-Beitritts verlangte (Po. 21.3678), wurde von Bundesrat und Nationalrat durchgewinkt. Diese positiven Signale hätten dafür gesorgt, dass das Parlament die weitere Arbeit des Bundesrats abwarten wolle. GLP-Präsident Jürg Grossen (glp, BE) merkte denn auch an, dass «das Instrument der Initiative und das Timing» nicht stimmten. Sanija Ameti wollte die Initiative indes noch nicht beerdigen, sondern deren Beratung weiterführen. Sofern der Ständerat die vom Nationalrat angenommene parlamentarische Initiative (Pa. Iv. 21.480) ebenfalls annehme, könne man jedoch darüber nachdenken, ob es die Volksinitiative noch brauche.

Volksinitiative zur Europapolitik der Operation Libero und der Grünen

Der Bundesrat reagierte im September 2021 auf den Beschluss der EU-Kommission, die Schweiz beim EU-Forschungsprogramm «Horizon Europe » als nicht-assoziierten Drittstaat zu behandeln, indem er beschloss, den SNF mit der Durchführung von Übergangsmassnahmen zu beauftragen. Diese sollen in Kraft bleiben, bis die weiterhin angestrebte Assoziierung der Schweiz in die Wege geleitet werden könne. Die Übergangslösungen für die Ausschreibungen von Horizon Europe – wie etwa den «Starting Grants» des Europäischen Forschungsrates – sollen sich an den europäischen Ausschreibungen orientieren, unterliegen aber anderen Fristen für die Projekteingaben. Das WBF werde darüber hinaus bei der Innosuisse, bei der Europäischen Weltraumorganisation ESA und weiteren Akteuren zusätzliche Übergangsmassnahmen einleiten. Alle diese Übergangsmassnahmen sollen den Räten mit einer Nachmeldung zum Voranschlag 2022 in der Wintersession 2021 unterbreitet werden.

Rund einen Monat später informierte der Bundesrat in einer weiteren Medienmitteilung, dass er die notwendigen Kreditverschiebungen für die bereits im Jahr 2020 gutgeheissene Direktfinanzierung der Schweizer Projektpartner in die Wege geleitet habe. Daher könne nun die Finanzierung von Schweizer Projektteilnehmenden am Horizon-Paket 2021–2027 im Umfang von ca. CHF 400 Mio. für das Jahr 2021 direkt durch das SBFI erfolgen. Darüber hinaus habe der Bundesrat das WBF und das EFD beauftragt, «allfällige Ergänzungs- und Ersatzmassnahmen zur Stärkung des Schweizer Forschungs- und Innovationsstandorts zu prüfen».

Übergangsmassnahmen für «Horizon Europe»
Dossier: Erasmus und Horizon

Mit der Annahme der Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» in der Volksabstimmung vom 7. März 2021 wurde die Bundesverfassung um den neuen Artikel 10a ergänzt, der die Verhüllung des eigenen Gesichts in der Öffentlichkeit verbietet. Zur Umsetzung des Gesichtsverhüllungsverbots gab der Bundesrat im Oktober 2021 eine Änderung des Strafgesetzbuches in die Vernehmlassung. Der vorgesehene Artikel 332a StGB stellt die Gesichtsverhüllung an allen öffentlich zugänglichen Orten unter Strafe. Widerhandlungen sollen mit Busse geahndet werden. Wie in der Verfassung festgeschrieben, bleibt die Verhüllung in Sakralstätten sowie aus Gründen der Gesundheit, der Sicherheit, der klimatischen Bedingungen und des einheimischen Brauchtums weiterhin erlaubt. Zusätzlich schlug der Bundesrat zwei weitere Ausnahmen vor: Sofern sie die öffentliche Ordnung und Sicherheit nicht beeinträchtigen, sollen Gesichtsverhüllungen im öffentlichen Raum auch zur Ausübung der Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit sowie für Auftritte zu Kunst-, Unterhaltungs- oder Werbezwecken erlaubt sein. «Demonstrieren in Kuhmaske erlaubt, Schal zu kurzen Hosen nicht», fasste der Tages-Anzeiger das Vorhaben des Bundesrats lapidar zusammen. Die Vernehmlassung läuft bis Anfang Februar 2022.

Bundesgesetz über das Gesichtsverhüllungsverbot (BRG 22.065)
Dossier: Nationales Burkaverbot

Im Herbst 2021 widersprach die RK-SR ihrer Schwesterkommission und gab der 2019 eingereichten parlamentarischen Initiative von Fabio Regazzi (heute mitte, TI) für eine wirksame Bekämpfung der Pädokriminalität im Internet keine Folge. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Nationalrat das Anliegen der Initiative bereits im Rahmen der StPO-Revision diskutiert und einem einschlägigen Einzelantrag Regazzi stattgegeben. Die Schaffung des Netzwerks digitale Ermittlungsunterstützung Internetkriminalität (NEDIK) durch Bund und Kantone habe zu einer besseren Vernetzung aller involvierten Stellen geführt, führte die RK-SR in ihrer Medienmitteilung aus. Durch diese optimierte Zusammenarbeit erfolge die Bekämpfung der Cyberkriminalität schon heute koordinierter und effizienter, weshalb sie eine Verschiebung der Kompetenzen als wenig sinnvoll erachte. Ausserdem liege die präventive polizeiliche Vorermittlung in der Kompetenz der Kantone und sei somit keine Frage der Strafprozessordnung auf Bundesebene. In diesem Sinne betrachtete die Kommission die von der grossen Kammer in die StPO aufgenommene Umsetzung des Anliegens als «systematisch falsch».

Pädokriminalität im Internet endlich wirksam bekämpfen (Pa.Iv. 19.486)

In der Herbstsession 2021 beschäftigte sich die grosse Kammer als Zweitrat mit der Weiterentwicklung von Frontex und der Revision des AIG. Seit 2016 wurde die Grenz- und Küstenwache der EU in personeller und technischer Hinsicht systematisch aufgerüstet, um die Herausforderungen im Grenz- und Rückkehrbereich besser bewältigen zu können. Da es sich dabei um eine Schengen-Weiterentwicklung handelt, muss sich auch die Schweiz daran beteiligen, wobei die Beitragszahlungen gemäss dem geltenden Kostenschlüssel von CHF 14 Mio. pro Jahr bis 2027 auf CHF 61 Mio. pro Jahr steigen werden und sich der personelle Aufwand von 24 auf maximal 39 Personen erhöht. Während die zur Diskussion stehende Änderung des Asylgesetzes in der Kommission und im Rat nicht wirklich umstritten war, entspann sich eine grössere Debatte um die Übernahme der Frontex-Verordnung.
Dabei lagen dem Nationalrat zahlreiche Minderheitsanträge aus dem links-grünen Lager vor. So bat Alois Gmür (mitte, SZ) den Nationalrat im Namen der Mehrheit der SiK-NR, einen Minderheitsantrag Seiler Graf (sp, ZH), der die Zahl der alle zwei Jahre aufgenommenen Resettlement-Flüchtlinge in Verbindung mit der Vorlage von 1'500-2'000 auf 4'000 erhöhen wollte, abzulehnen. Eine derartige Erhöhung müsse vorgängig mit den Kantonen abgestimmt werden, argumentierte Gmür. Die Kommissionsmehrheit wehrte sich gegen eine solche Verknüpfung von Sicherheits- und Asylpolitik. Auch einen zweiten Minderheitsantrag von Fabian Molina (sp, ZH) empfahl die Kommissionsmehrheit zur Ablehnung. Fabian Molina hatte vorgeschlagen, dem Strafgesetzbuch einen Artikel hinzuzufügen, durch den Personen mit Geld- oder Freiheitsstrafen sanktioniert würden, wenn sie Asylsuchende mit Gewalt oder Gewaltandrohung daran hinderten, in einem Schengen-Staat ein Asylgesuch zu stellen. Kommissionssprecher Cattaneo (fdp, TI) argumentierte, dass das Strafgesetz diesen Tatbestand bereits regle. Nationalrätin Marti (sp, BL) forderte in einem dritten Minderheitsantrag die Sistierung des Geschäfts, zumal das EU-Parlament Frontex zahlreiche Grundrechtsverletzungen und mangelnde Transparenz vorwerfe und man erst nach Umsetzung der notwendigen Anpassungen über einen finanziellen Beitrag entscheiden solle. Eine weitere Kommissionsminderheit Fivaz (gp, NE) ging noch weiter als Marti und reichte einen Antrag auf Nichteintreten auf den Bundesbeschluss zur Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstandes ein. Fivaz kritisierte, dass die EU mit der Ausweitung der Frontex-Mittel im Begriff sei, eine «regelrechte Armee» aufzubauen.
Nationalrätin Priska Seiler Graf äusserte sich im Namen der SP-Fraktion dezidiert zu dieser Vorlage und machte klar, dass die SP Vorlagen zum Ausbau der «Festung Europa» nicht mehr zustimmen werde, wenn keine humanitären Ausgleichsmassnahmen vorgesehen seien. Sie kündigte an, ihre Fraktion werde bei einer Ablehnung des Minderheitenantrags zur Aufstockung des Resettlement-Kontingents geschlossen gegen die Vorlage stimmen. Überraschend ambivalent zeigte sich die SVP-Fraktion, welche bis anhin sämtliche Schengen-Vorlagen konsequent abgelehnt hatte. Die Vorlage sei für seine Fraktion «nicht ganz einfach», gab Pirmin Schwander (svp, SZ) unumwunden zu. Einerseits gehe es um einen Volksentscheid von 2005, den es zu achten gelte, andererseits um die Neutralitätsfrage und die humanitäre Tradition der Schweiz. Man habe schon 2005 gewusst, dass mit Frontex und Schengen die eigenständige Asyl- und Ausländerpolitik der Schweiz verloren gingen. Er liess verlauten, dass man die Änderung des AIG ablehne, sich bei der Frontex-Vorlage aber nicht einig geworden sei.
Bundesrat Ueli Maurer entgegnete den Kritikern und Kritikerinnen der Vorlage, dass die EU mit der Einsetzung von 40 Grundrechtsbeobachterinnen und -beobachtern auf die mangelhafte Rechtssicherheit der Asylbewerbenden reagiert und damit die Anliegen der Ratslinken weitgehend erfüllt habe. Der Ausbau diene auch der Einhaltung der Grundrechte und der Transparenz und nur durch eine Teilnahme an Frontex könne die Schweiz zur Qualitätssicherung und -verbesserung beitragen, weshalb auch eine Sistierung nichts bringe. Den Minderheitsantrag Seiler Graf lehne der Bundesrat ab, da es beim vorliegenden Geschäft um Schengen und Sicherheit und nicht um Dublin und Asylpolitik gehe – man solle nicht verschiedene Vorlagen vermischen. Er argumentierte, eine Ablehnung des Minderheitsantrags sei damit auch kein Nein zur Asylpolitik, denn zum Resettlement gäbe es eine allgemeine Zustimmung.
Schliesslich lehnte der Nationalrat den Sistierungsantrag Marti mit 116 zu 64 Stimmen ab und beschloss mit 155 zu 35 Stimmen, auf das Geschäft einzutreten, womit auch Fabien Fivaz mit seinem Minderheitsantrag scheiterte. Die Anpassung des Asylgesetzes, mit der die Art und Weise der Kooperation mit Frontex in einer eigenen AIG-Bestimmung festgelegt werden soll, wurde mit 136 zu 56 Stimmen gegen den Widerstand der SVP angenommen. Bei der Abstimmung über den Minderheitsantrag Seiler Graf zur Erhöhung des Resettlement-Kontingents setzten sich die Fraktionen der SVP, FDP und Mitte mit 106 Nein-Stimmen gegenüber 86-Ja Stimmen durch. Auch der Minderheitsantrag Molina blieb chancenlos und wurde mit 124 zu 68 Stimmen versenkt. In der Gesamtabstimmung nahm der Nationalrat die Frontex-Vorlage mit 108 zu 75 Stimmen (bei 10 Enthaltungen) an. Die Gegenstimmen stammten hauptsächlich von der SP- und der Grünen-Fraktion, die Enthaltungen ausschliesslich von der SVP-Fraktion.
In der Schlussabstimmung nahm der Nationalrat die Änderung des Asylgesetzes mit 129 zu 55 Stimmen (bei 1 Enthaltung) und der Ständerat einstimmig an. Bei der Annahme der Frontex-Vorlage wurde es im Nationalrat mit 88 zu 80 Stimmen (bei 28 Enthaltungen) unerwartet knapp. Grund dafür waren die vielen Enthaltungen der SVP-Fraktion. Im Ständerat fiel das Resultat mit 30 Ja- zu 14 Nein-Stimmen deutlicher aus.

Übernahme und Umsetzung der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Europäische Grenz- und Küstenwache (Frontex; BRG 20.064)
Dossier: Beteiligung der Schweiz am Ausbau von Frontex

Im Co-Präsidium der Operation Libero trat Sanija Ameti die Nachfolge von Laura Zimmermann an. Dies beschloss der Vorstand im Oktober 2021, nachdem Zimmermann nach fünfjähriger Amtszeit zurückgetreten war. Zweiter Co-Präsident blieb der seit Juni 2020 amtierende Stefan Manser-Egli.
Die 28-jährige Juristin Ameti hatte bereits im Frühling 2021 wegen ihrer prominenten Rolle im Abstimmungskampf gegen das Gesetz über polizeiliche Massnahmen zur Terrorismusbekämpfung (PMT) und davor in der Kampagne gegen das E-ID-Gesetz einige öffentliche Bekanntheit erlangt. Aufgrund dieses Engagements war nach ihren Angaben auch die Operation Libero auf Ameti aufmerksam geworden und hatte sie in den Vorstand geholt. Ameti ist ausserdem auch Mitglied der Parteileitung der GLP des Kantons Zürich. Die NZZ glaubte deshalb, mit Ameti werde sich die offiziell parteiunabhängige Operation Libero weiter der GLP annähern, wie es bereits seit einiger Zeit festzustellen sei.
In einem Interview mit der NZZ zu ihrem Amtsantritt kündigte Ameti an, dass die Operation Libero ihre Position als ausserparlamentarische Bewegung, die nicht auf Wahlen schielen muss, nutzen werde, um «den Parteien die unbeliebtesten, aber strukturell wichtigsten Themen überhaupt auf[zu]zwingen: Europapolitik, Digitalisierung und Cybersicherheit sowie die Forderung [nach] einem liberalen Bürgerrecht». Dies sei nötig, weil namentlich die FDP ein «liberales Vakuum» in diesen Bereichen hinterlasse.

Im Co-Präsidium der Operation Libero folgte Sanija Ameti auf Laura Zimmermann

In einem Bericht soll der Bundesrat aufzeigen, was die EU-Verordnung zum Elektrizitätsbinnenmarkt vom 5. Juni 2019 für Auswirkungen auf die Schweizer Versorgungssicherheit, die Netzsicherheit und die Systemstabilität hat. Nachdem der Bundesrat die Ausarbeitung eines solchen Berichts begrüsst hatte, nahm der Nationalrat das entsprechende Postulat Nussbaumer (sp, BL) in der Herbstsession 2021 stillschweigend und diskussionslos an. Einerseits soll geklärt werden, was für Folgen es für die Schweiz hätte, wenn sie die Regelungen der Verordnung nicht übernehmen würde. Andererseits soll der Bundesrat auch aufzeigen, welche Massnahmen allenfalls bis Ende 2025 ergriffen werden müssten, um ebendiese negativen Auswirkungen zu vermeiden.

Die Schweizer Elektrizitätsmarkt-Regelzone und die Regulierungen in den EU-Ländern (Po. 21.3578)

In der Herbstsession 2021 befasste sich der Ständerat mit der Umsetzung der Standesinitiative des Kantons Tessin «Sicherere Strassen jetzt!». Im Vorfeld der Session hatte sich die vorberatende KVF-SR mehrheitlich für den vom Nationalrat gutgeheissenen Gesetzesentwurf ausgesprochen, welcher die Sicherheit auf den Transitachsen und den dahin führenden Zufahrtsstrassen verbessern will. Im Plenum galt es, über zwei Minderheitsanträge Knecht (svp, AG) abzustimmen. Der eine sah Nichteintreten vor, der andere wollte den Artikel betreffend die Sonderregelung für alpenquerende, nicht grenzüberschreitende Transporte von einer Kann-Formulierung in eine Muss-Formulierung ändern. Damit wäre der Bundesrat verpflichtet worden, für diese Transporte eine Übergangsfrist von fünf Jahren vorzusehen. Beide Minderheitsanträge wurden jedoch von der Mehrheit des Ständerates abgelehnt. Die kleine Kammer stimmte in der Gesamtabstimmung mit 29 Stimmen zu 9 Stimmen (1 Enthaltung) für die Annahme des Geschäfts. Die ablehnenden Stimmen stammten von Vertreterinnen und Vertretern der SVP- und der FDP.Liberalen-Fraktionen sowie von einem Mitglied der Mitte-Fraktion. In den Schlussabstimmungen sprachen sich beide Räte für die Annahme der Vorlage aus. Dabei war das Abstimmungsverhalten nahezu identisch mit demjenigen in den Gesamtabstimmungen; die ablehnenden Stimmen stammten dieses Mal jedoch ausschliesslich von den Fraktionen der FDP.Liberalen und der SVP.

Sicherere Strassen jetzt! (Kt. Iv. 17.304)

Nach dem Abbruch der Verhandlungen über das institutionelle Rahmenabkommen mit der EU verlangte Damien Cottier (fdp, NE) mit einem Postulat im Juni 2021 vom Bundesrat einen Bericht zu Evaluation, Prioritäten, Sofortmassnahmen und nächsten Schritte in der Europapolitik. Unter anderem verlangte Cottier die Neubeurteilung der Vor- und Nachteile verschiedener europapolitischer Instrumente unter der Berücksichtigung der Veränderungen seit der Publikation des Berichts in Erfüllung des Postulats Markwalder (fdp, BE; Po. 09.3560). Als Grundlage sollten die im Europabericht 2006 aufgestellten Kriterien zur Weiterführung des bilateralen Wegs dienen. Des Weiteren soll der Bundesrat einen Prioritäten-Katalog mit konkreten Massnahmen für die zukünftige Europapolitik festlegen, mit dem die Ziele des Legislaturprogramms 2019-2023 erreicht werden könnten. Überdies sollte der Bundesrat auch künftige Schritte zur Konsolidierung und Weiterentwicklung der bilateralen Beziehungen unter Einbezug der Erwartungen aus Wirtschaft, Bildung, Forschung und Zivilgesellschaft darlegen. Cottier befürchtete, dass der bilaterale Weg ohne Aktualisierung und Entwicklung zerfallen könnte – und das, obwohl sich eine Mehrheit der Bevölkerung stabile Beziehungen zur EU wünsche.
Der Bundesrat verkündete in seiner Stellungnahme, dass er in Erfüllung der Postulate Aeschi (svp, ZG; Po. 13.3151), Naef (sp, ZH; Po. 17.4147) und der Fraktion der Grünen (Po. 14.4080) einen Bericht über die Beziehungen mit der EU erarbeite. Dieser werde neben einer Beurteilung auch Massnahmen zur Sicherstellung des Zugangs zum EU-Binnenmarkt und einer guten Zusammenarbeit enthalten. Da dieser Bericht auch die im Postulat gestellten Fragen beantworten werde, beantragte der Bundesrat die Annahme desselben.
Der Nationalrat nahm das Postulat in der Herbstsession 2021 stillschweigend an.

Evaluation, Prioritäten, Sofortmassnahmen und nächste Schritte in der Europapolitik.
Dossier: Entwicklung der bilateralen Beziehungen mit der EU nach dem Scheitern des Rahmenabkommens

Das Abkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, das Eurodac-Protokoll, das Abkommen mit den USA über die Verhinderung und Bekämpfung schwerer Straftaten und der Verpflichtungskredit für die Umsetzung des Programms Prüm Plus gelangten in der Herbstsession 2021 mit der einstimmigen Unterstützung der SIK-NR in den Nationalrat. Kommissionssprecherin Graf-Litscher (sp, TG) sah in der vereinfachten polizeilichen Zusammenarbeit im Rahmen des Prümer Abkommens grosse Vorteile, weil dadurch bei Abfragen von DNA-Profilen und Fingerabdruckdaten ein automatisierter Abgleich mit anderen nationalen europäischen Datenbanken gleichzeitig möglich werde. Sie warnte zudem vor negativen Auswirkungen einer Nichtteilnahme der Schweiz und wies darauf hin, dass Kriminalität ein grenzübergreifendes Problem sei, welches eine internationale Zusammenarbeit notwendig mache. Ihr Kommissionskollege Pointet (glp, VD) erklärte, dass das Abkommen mit den USA die gleiche Thematik behandle und daher mit den gleichen Vorteilen einhergehe. Da alle Fraktionen die Verbesserung der internationalen Polizeizusammenarbeit begrüssten, stand den Vorlagen wie schon im Ständerat nichts im Weg. Alle drei Bundesbeschlüsse wurden von der grossen Kammer einstimmig angenommen.
In den Schlussabstimmungen wenige Tage später bestätigten die Räte die deutlichen Ergebnisse aus den Ratsdebatten. Das Abkommen mit den Vereinigten Staaten wurde vom Nationalrat mit 194 zu 1 Stimme (bei 1 Enthaltung) und vom Ständerat einstimmig angenommen. Das Abkommen zur Prümer Zusammenarbeit nahm der Nationalrat mit 191 zu 1 Stimme (bei 3 Enthaltungen) an, im Ständerat war das Ergebnis wiederum einstimmig. Zum Verpflichtungskredit war keine Schlussabstimmung nötig.

Genehmigung des Abkommens über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, des Euroda-Protokolls, des Abkommens über die Verhinderung und Bekämpfung schwerer Straftaten sowie zu deren Umsetzung und über einen Verpflichtungskredit für die Umsetzung des Programms Prüm Plus

Anfang Mai 2021, und damit nur wenige Wochen vor dem Abbruch der Verhandlungen über ein InstA mit der EU, reichte die Fraktion der Mitte ein Postulat ein, dass vom Bundesrat einen Bericht mit Massnahmen für die künftige wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der EU forderte. Der Bundesrat solle aufzeigen, wie die wirtschaftliche Entwicklung in der Schweiz und deren Wettbewerbsfähigkeit im europäischen Raum «vorerst» ohne institutionelles Rahmenabkommen gestützt werden könne. Die Mitte-Fraktion begründete das Postulat mit dem Status der Schweiz als Exportland, der offene Märkte hochrelevant mache. Das Rahmenabkommen habe die Institutionalisierung des Marktzugangs, die Sicherung der stabilen Beziehungen zur EU und die Rechtssicherheit für Unternehmen zum Ziel. Diese Ziele müsse man auch abseits der Verhandlungen über das InstA verfolgen. In seiner Stellungnahme bekannte sich der Bundesrat zur Weiterführung der bilateralen Zusammenarbeit und beantragte die Annahme des Postulats. Er verwies auf einen Bericht zu den Beziehungen mit der EU, der in Erfüllung der Postulate Aeschi (svp, ZG; Po. 13.3151), Naef (sp, ZH; Po.17.4147) und der Grünen Fraktion (Po. 14.4080) erarbeitet werde. Das EJPD und das EDA würden den Bundesrat bis Ende November 2021 zudem über die Möglichkeiten des autonomen Abbaus von Regelungsdifferenzen informieren. Zwar würde eine einseitige Rechtsangleichung keinen EU-Binnenmarktzugang garantieren, doch die Schweiz habe grundsätzlich ein Interesse an Regeln, die gleichwertig mit denen der wichtigsten Handelspartner seien. Zudem habe man zur Abfederung negativer Konsequenzen durch das Scheitern des InstA Auffangmassnahmen umgsetzt, erklärte der Bundesrat. Diese umfassten unter anderem den Schutz der Schweizer Börseninfrastruktur, die Gewährleistung der Versorgungssicherheit und die Aufrechterhaltung der Marktüberwachung bei Medizinprodukten. Der Nationalrat nahm das Postulat in der Herbstsession 2021 stillschweigend an.

Massnahmen für die künftige wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der EU

In der Herbstsession 2021 verlängerte der Nationalrat die Behandlungsfrist der parlamentarischen Initiative Rickli (svp, ZH) für eine Verwahrung von rückfälligen Tätern stillschweigend um weitere zwei Jahre. Die RK-NR beantragte die Fristverlängerung ohne Gegenstimme und begründete dies damit, dass das BJ die gesetzgeberischen Arbeiten zur Erfüllung einer inhaltlich ähnlichen Kommissionsmotion (Mo. 16.3002) bereits aufgenommen habe. Die Kommission erachtete es als sinnvoll, jenen Vorentwurf abzuwarten, bevor sie einen Erlassentwurf für die parlamentarische Initiative Rickli ausarbeite.

Verwahrung bei rückfälligen Tätern (Pa.Iv. 13.463)

In der Herbstsession 2021 beriet der Ständerat die Motion Germann (svp, SH) «Kein InstA-Hüftschuss ohne Klärung der offenen Punkte», welche inhaltlich identisch mit der im Dezember 2020 vom Nationalrat abgelehnten Motion 20.3985 der SVP-Fraktion war. Damian Müller (fdp, LU) empfahl im Namen der APK-SR die Ablehnung der Motion. Mit dem Beschluss der Nichtunterzeichnung des Rahmenabkommens sei die Motion inhaltslos geworden. Motionär Germann lobte den Bundesrat für diese Notbremse und den Verhandlungsabbruch. Den Grund für das Scheitern verortete er in der «dogmatischen Sturheit und Arroganz der Brüsseler Zentralbürokratie». Aufgrund der Unerfüllbarkeit zog Germann seine Motion zurück.

Kein InstA-Hüftschuss ohne Klärung der offenen Punkte (Mo. 20.3985)
Dossier: Institutionelles Rahmenabkommen

Im Juli 2021 hatte die APK-SR die Motion Salzmann (svp, BE; Mo. 20.3993) vorberaten, welche die Nichtunterzeichnung und Abschreibung des institutionellen Abkommens mit der EU forderte. Die gleichlautende Motion Aeschi (svp, ZG; Mo. 20.3986) war bereits im Dezember 2020 im Nationalrat gescheitert. Angesichts des Abbruchs der Verhandlungen über das institutionellen Rahmenabkommen erachtete die Kommission die Motion als obsolet. Diesen Standpunkt vertrat in der Herbstsession 2021 auch Kommissionssprecher Müller (fdp, LU) im Rat, woraufhin Salzmann seine Motion zurückzog.

Abschreibung des institutionellen Abkommens (Mo. 20.3986)
Dossier: Institutionelles Rahmenabkommen

Die APK-NR reichte im August 2021 eine Motion ein, welche verlangte, dass der Bundesrat bis zur Wintersession 2021 eine Finanzierungsbotschaft für die Schweizer Teilnahme am EU-Austauschprogramm Erasmus plus vorlegen soll. Die Kommission war der Ansicht, dass sich der Bundesrat bislang zu wenig für eine Schweizer Assoziierung an dieses Programm eingesetzt habe, obwohl er sich bereits für eine Teilnahme ausgesprochen hatte – beispielsweise im Rahmen der im Jahr 2017 überwiesenen Motion der WBK-SR mit dem Titel «Vollassoziierung an Erasmus plus ab 2021». Eine Kommissionsminderheit Köppel (svp, ZH) beantragte die Ablehnung der Motion.
Der Bundesrat schloss sich dem Antrag der Minderheit an. Er strebe zwar weiterhin die Teilnahme der Schweiz an dem Austauschprogramm an, jedoch seien davor noch einige Punkte zu klären. Zum einen betrachte die EU eine Assoziierung im Rahmen der Gesamtbeziehungen Schweiz-EU und sei bisher noch nicht bereit gewesen, mit der Schweiz exploratorische Gespräche über die wichtigsten Eckpunkte einer Assoziierung zu beginnen. Zum anderen sei die Deblockierung des Schweizer Beitrags an ausgewählte EU-Staaten eine Grundbedingung der EU für eine Assoziierung an Erasmus plus. Vor diesem Hintergrund sei es nicht realistisch, innert weniger Monate eine Finanzierungsbotschaft zu erarbeiten, zumal auch die Höhe der finanziellen Beteiligung noch nicht geklärt sei.
Der Nationalrat beschäftigte sich in der Herbstsession 2021 mit dem Vorstoss, wobei Nicolas Walder (gp, GE) und Christa Markwalder (fdp, BE) die Motion präsentierten. Walder wies darauf hin, dass sich auch das Parlament schon mehrmals für eine Assoziierung ausgesprochen habe und es deshalb wirklich an der Zeit sei, dass der Bundesrat eine Botschaft vorlege. Das bundesrätliche Argument, dass die finanziellen Bedingungen noch nicht geklärt seien, liess Walder nicht gelten. Die Höhe der Schweizer Beteiligung könne anhand der Berechnungen, welche für die EWR-Staaten bereits vorgenommen worden seien, eruiert werden. Christa Markwalder ergänzte, dass die europäischen Mobilitätsprogramme «für die Erweiterung des Erfahrungshorizonts der jungen Generationen zentral» seien. Die bilateral getroffenen Hochschulvereinbarungen vermöchten diese Austauschprogramme nicht zu ersetzen, schloss Markwalder. Franz Grüter (svp, LU), welcher die Minderheit Köppel vertrat, sah dies anders. Für ihn stand ausser Frage, dass die bestehenden Alternativprogramme der Schweizer Hochschulen von grosser Qualität seien. Zudem seien diese Alternativen auf weltweiten Austausch ausgerichtet; dies sei sehr wichtig, da sich viele renommierte Hochschulen ausserhalb Europas befänden. Erasmus plus hingegen sei teuer, unflexibel und bürokratisch. Hinzu komme der Fakt, dass die EU – wie vom Bundesrat erläutert – selber noch gar keinen Willen gezeigt habe, der Schweiz eine Assoziierung anzubieten. Diese Worte vermochten jedoch nicht über die SVP-Fraktion hinaus zu mobilisieren. Der Nationalrat nahm die Motion mit 131 zu 48 Stimmen deutlich an.

Finanzierungsbotschaft für die Schweizer Teilnahme an Erasmus plus (Mo. 21.3975)
Dossier: Erasmus und Horizon

Die Beratung des Ständerats über die Freigabe des zweiten Kohäsionsbeitrags in der Herbstsession 2021 dauerte rund zwei Stunden. Einen Nichteintretensantrag Minder (parteilos, SH) lehnte die kleine Kammer mit 34 zu 9 Stimmen klar ab. Ständerat Minder zweifelte daran, dass die EU nach der Auszahlung der Kohäsionsmilliarde in Höhe von CHF 1.3 Mrd. ihre «Repressionen gegen die Schweiz» beenden würde. Man habe von der EU bisher keine Signale erhalten, dass dadurch die Aufnahme ins Forschungsprogramm Horizon Europe oder die Wiederinstandsetzung der Börsenäquivalenz gewährleistet würde. Eine bedingungslose Freigabe wäre daher «falsch» und «grob fahrlässig». Sein Mitunterstützer Marco Chiesa (svp, TI) äusserte seinen Unmut darüber, dass sich die Schweiz der «kolonialistischen Politik Brüssels» unterwerfen wolle und ohne Garantien Geld auszahle. Auch einige Ratsmitglieder der Mitte wie Heidi Z'graggen (mitte, UR) und Daniel Fässler (mitte, AI) störten sich daran, dass der Kohäsionsbeitrag ausbezahlt werden solle, obwohl die 2019 vom Parlament geforderte Bedingung der «Nicht-Diskriminierung» seitens der EU nicht erfüllt worden war.
Eine überwiegende Mehrheit des Ständerats wollte mit dem Entscheid jedoch einen ersten Schritt auf die EU zugehen. Matthias Michel (fdp, ZG), Sprecher der APK-SR, hielt fest, dass die Zurückbehaltung der Kohäsionsmilliarde offensichtlich keinen Druck auf die EU aufgebaut habe. Die gegenseitige «Blockadepolitik» habe auf beiden Seiten die gewünschte Wirkung verfehlt, nach dem Scheitern des Rahmenabkommens müssten nun auch diese Blockaden beendet werden. Pirmin Bischof (mitte, SO) betonte, dass die Kohäsionszahlungen nichts mit dem InstA zu tun hätten und der EU für die Teilnahme der Schweiz am Binnenmarkt geschuldet sei. Bischof meinte, die Deblockierung der bilateralen Verträge müsse der nächste Schritt sein. Obwohl die EU keine Garantie dafür abgegeben habe, so herrsche doch die Gewissheit, dass die Nichtfreigabe des Beitrags sicher nicht zur Deblockierung führe. Auch Daniel Jositsch (sp, ZH) kam zum Schluss, dass die Schweiz ohne eine Freigabe nichts erreichen könne und bemühte die Analogie eines Mietverhältnisses, bei dem der Mieter einen neuen Mietvertrag abschliessen will, obwohl er seine Miete nicht bezahlt habe. Die Zahlung des Kohäsionsbeitrags bestärke die Verlässlichkeit der Schweiz und lege die Basis für die Fortführung des bilateralen Wegs, argumentierte Andrea Gmür-Schönenberger (mitte, LU).
Bundesrat Ignazio Cassis wiederholte, dass die Zahlung keineswegs eine Garantie für die Assoziierung an Horizon Europe bedeute, obwohl die EU diese politisch sachfremden Themen miteinander verknüpft habe. Der Bundesrat sei aber bestrebt, die «Negativspirale der Konditionalitäten» zu durchbrechen und mit dem Beitrag einen ersten Schritt zu machen. Daher lehnte Cassis auch die Verknüpfung der Freigabe mit der Finanzierungsbotschaft zu Erasmus plus ab. Eine Minderheit Sommaruga (sp, GE) hatte vorgeschlagen, den Rahmenkredit nicht umzusetzen, bis der Bundesrat dem Parlament die Finanzierungsbotschaft der Teilnahme an Erasmus plus vorgelegt habe. Diesen Minderheitenantrag zog Sommaruga kurz darauf zurück, da der Nationalrat gleichentags eine Motion der APK-NR (Mo. 21.3975) angenommen hatte, welche seinem Anliegen entsprach. Aussenminister Cassis erinnerte die kleine Kammer auch daran, dass das Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit den Staaten Osteuropas 2024 auslaufe und Verpflichtungen nur bis dann eingegangen werden könnten. Er plädierte daher für einen möglichst baldigen Entscheid, denn anhand der Erfahrungen mit dem ersten Kohäsionsbeitrag liesse sich festhalten, dass zwischen dem Parlamentsentscheid und der Projektumsetzung rund drei Jahre vergingen. Schliesslich stimmte der Ständerat der Freigabe mit 30 zu 9 Stimmen, gegen den Willen der SVP und einiger Mitglieder der Mitte, deutlich zu.

Der zweite Schweizer Beitrag an ausgewählte EU-Mitgliedstaaten (Zweite Kohäsionsmilliarde)
Dossier: Schweizer Beitrag an die erweiterte EU

Etwa anderthalb Stunden diskutierte der Nationalrat in der Herbstsession 2021 über die Freigabe des zweiten Kohäsionsbeitrags an die EU. Die APK-NR empfehle, den Vorschlag des Bundesrats anzunehmen und mit dem Entscheid einem «konstruktiven Ansatz in der Europapolitik Raum zu geben», teilte Kommissionssprecher Nussbaumer (sp, BL) zu Beginn der Debatte mit. Die Kommission wolle den Bundesbeschluss zur Freigabe der Kohäsionsmilliarde jedoch dahingehend ergänzen, dass Verpflichtungen auf Grundlage des Kohäsionskredits erst eingegangen würden, nachdem der Bundesrat die Finanzierungsbotschaft zur Schweizer Teilnahme an Erasmus plus vorgelegt hat. Um diesen Prozess zu beschleunigen, hatte die APK-NR Anfang September 2021 eine entsprechende Kommissionsmotion eingereicht.
Obwohl sich alle Fraktionen mit Ausnahme der SVP für die Annahme des Bundesbeschlusses aussprachen, benötigten die Mitglieder des Nationalrats in der Folge viel Sitzfleisch, bis sie eine Entscheidung treffen konnten. So wehrte sich die SVP-Fraktion vehement gegen das Anliegen der Kommissionsmehrheit, wobei ihre Mitglieder zahlreiche Fragen an die Rednerinnern und Redner stellten und dem Rat mehrere Minderheitsanträge vorlegten. Thomas Aeschi (svp, ZG) etwa wollte von Kommissionssprecher Nussbaumer wissen, weshalb die APK-NR trotz weiterer Diskriminierungen die Freigabe unterstütze. Er beklagte die fehlende Assoziierung an Horizon Europe und an Erasmus plus sowie die Probleme im gesamten Strombereich und beim Mutual Recognition Agreement (MRA). Nussbaumer erklärte die Entscheidung der Kommission damit, dass man mit dem Entscheid ein neues Kapitel in den bilateralen Beziehungen aufschlagen könne. Zwei Minderheitsanträge von Roger Köppel (svp, ZH) verlangten, nicht auf das Geschäft einzutreten respektive keine Verpflichtungen auf Grundlage des Rahmenkredits einzugehen, bis die Schweiz an Horizon Europe assoziiert sei oder die Börsenäquivalenz wiederhergestellt worden sei. Eine Minderheit Nidegger (svp, GE) wollte die Vorlage an den Bundesrat rücküberweisen und ihn beauftragen, die Kohäsionsmilliarde für die Sanierung der AHV zu verwenden. Franz Grüter (svp, LU) schlug mit seinem Einzelantrag vor, den Beschluss dem fakultativen Referendum zu unterstellen.
Überdies legten die Sprecherinnen und Sprecher aller Fraktionen deren Position ausführlich dar. So warf etwa Sibel Arslan (basta, NR) für die Grüne Fraktion sowohl der Schweiz wie auch der EU vor, Fehler gemacht zu haben, sah den finalen Fehltritt aber auf Schweizer Seite, und zwar im Abbruch der Verhandlungen über das Rahmenabkommen. Die Freigabe der Kohäsionsmilliarde erachtete sie als einen Schritt zur Normalisierung und als Erfüllung eines längst gemachten Versprechens. Da die Motion der APK-NR zur Finanzierungsbotschaft von Erasmus plus bereits angenommen worden war, forderte sie in einem Minderheitsantrag die Streichung der entsprechenden Bedingung. Ähnlich tönte es auch von SP-Sprecher Molina (sp, ZH), der das Ende der Verhandlungen ebenfalls als «verantwortungslos» kritisierte. Auch aus Sicht der GLP sei der Verhandlungsabbruch ein «grosser Fehler» gewesen, meinte Roland Fischer (glp, LU). Die Schweiz profitiere enorm vom europäischen Binnenmarkt und zahle im Verhältnis zu Norwegen sehr wenig für den Zugang. Die FDP setze sich für die Freigabe des Kohäsionsbeitrags ein, um die Negativspirale im Verhältnis zur EU zu durchbrechen, erklärte Christa Markwalder (fdp, BE). Auch sie sprach das überaus günstige Kosten-Nutzen-Verhältnis an, dass die Schweiz im Hinblick auf die Verflechtung mit dem Binnenmarkt aufweise. Eine Verringerung der wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten wirke sich über die europaweiten Bildungs-, Forschungs- und Kulturkooperationen auch positiv auf die Schweiz aus. Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter (mitte, BL) hob die Bedeutung der Kohäsionszahlung für das Vorankommen im Horizon-Dossier hervor. Die Nichtassoziierung der Schweiz sei zwar diskriminierend und die Verknüpfung mit der Kohäsionsmilliarde «unschön», doch rechtlich gesehen stehe die EU nicht in der Pflicht, Abkommen mit der Schweiz zu aktualisieren. Auch die Mitte-Fraktion unterstütze die Freigabe des Beitrags sowie den Minderheitsantrag Arslan, gab sie bekannt. Nationalrat Grüter vertrat schliesslich die Ansicht, dass die Schweiz der EU nichts schulde, da die EU massiv von der Schweiz als Handels- und Wirtschaftspartnerin profitiere. Er bemängelte zudem, dass der Bundesbeschluss der Schweizer Bevölkerung nicht zur Abstimmung vorgelegt worden war.
Der im Rat anwesende Aussenminister Cassis drängte die grosse Kammer zur Freigabe der Zahlung, weil man nur so eine positive Verhandlungsdynamik schaffen und Fortschritt in anderen Dossiers erzielen könne. Für die plötzliche Kehrtwende trotz andauernder Diskriminierung der EU im Rahmen der aberkannten Börsenäquivalenz habe der Bundesrat zwei Gründe, erklärte Cassis: Einerseits hätten die Schutzmassnahmen für die Schweizer Börseninfrastruktur die Situation entspannt, andererseits sei die Rechtsgrundlage für den zweiten Kohäsionsbeitrag auf Ende 2024 befristet. Den Einzelantrag von Franz Grüter empfahl er zur Ablehnung, da Finanzgeschäfte gemäss Parlamentsgesetz in Form von einfachen Bundesbeschlüssen erlassen würden – so etwa auch 2019, als das Parlament die Rahmenkredite der zweiten Kohäsionszahlung genehmigt hatte.
Die grosse Kammer lehnte in der Folge sämtliche Minderheitsanträge der SVP ab, strich aber gemäss der Forderung von Sibel Arslan die Verknüpfung mit der Finanzierungsbotschaft für Erasmus plus. Spätabends wurde der Entwurf in der Gesamtabstimmung mit 131 zu 55 Stimmen (bei 1 Enthaltung) gegen den Willen der SVP-Fraktion und einiger Fraktionsmitglieder der Mitte angenommen.

Der zweite Schweizer Beitrag an ausgewählte EU-Mitgliedstaaten (Zweite Kohäsionsmilliarde)
Dossier: Schweizer Beitrag an die erweiterte EU