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Nicht zuletzt die im Berichtsjahr in Belgien aufgedeckten Verbrechen an Kindern lenkten die Aufmerksamkeit auch in der Schweiz verstärkt auf dieses Thema. In Lausanne verurteilte das erstinstanzliche Strafgericht zum ersten Mal einen Schweizer für Unzucht mit Kindern, welche er als Tourist im Ausland (Sri Lanka und Haiti) begangen hatte. In den beiden Ländern war der Verurteilte nicht angeklagt worden.

Verbrechen an Kindern

Der Bundesrat beabsichtigt die 1993 in die Vernehmlassung gegebene Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs im Sommer 1997 dem Parlament vorzulegen. Der Nationalrat stimmte nun aber zwei Motionen zu, welche verlangen, gewisse Elemente vorzuziehen. Die erste Motion (Mo. 96.3370) stammte von seiner Rechtskommission und forderte eine vollständige Garantie der Trennung von Jugendlichen und Erwachsenen beim Freiheitsentzug, damit auf den entsprechenden Vorbehalt beim Übereinkommen über die Rechte des Kindes verzichtet werden kann. Der Ständerat sah, wie auch der Bundesrat, keinen Anlass für ein Vorziehen und wandelte diesen Vorstoss in ein Postulat um. Die zweite Motion war von Chiffelle (sp, VD) eingereicht worden und verlangt, dass bei der Umwandlung von Geldbussen in Haftstrafen nicht mehr der für heutige Verhältnisse tiefe Tagessatz von CHF 30 gelten soll, sondern das mittlere Nettotageseinkommen des Delinquenten. Bundesrat Koller bekämpfte diesen Antrag vergeblich, indem er geltend machte, dass davon vor allem gutverdienende Verurteilte profitieren würden.

Motion Chiffelle, Umwandlung von Geldbussen in Haftstrafen (Mo. 96.3247)
Dossier: Revision des StGB, MStG und dem Bundesgesetz über das Jugendstrafrecht (2006)

Der im Vorjahr in die Vernehmlassung gegebene Vorentwurf für ein Gesetz über den Einsatz von verdeckten Ermittlern bei der Polizei gab bei den Kantonen und den bürgerlichen Parteien zu wenig Kritik Anlass. Die SP und der Schweizerische Anwaltsverband lehnten das neue Gesetz hingegen ab; erstere, weil die Verfassung dem Bund keine entsprechenden Kompetenzen einräume, letzterer, weil die Arbeit von verdeckten Ermittlern gegen rechtsstaatliche Prinzipien verstossen würde. Trotz dieser grundsätzlichen Kritik beauftragte der Bundesrat das EJPD mit der Ausarbeitung einer entsprechenden Vorlage. Als zusätzliche Massnahme vor allem im Kampf gegen das organisierte Verbrechen forderte Bundesanwältin Del Ponte wiederholt die Einführung einer Kronzeugenregelung nach italienischem oder deutschem Vorbild, welche aussagewilligen Delinquenten Strafmilderung oder -verschonung zusichert.

Bundesgesetz: Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs und verdeckte Ermittlung (BRG 98.037)
Dossier: Revision des Bundesgesetz über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehr (2003)

Der Bundesrat gab die Frage, ob der Drogenkonsum straffrei werden solle, in eine breite Vernehmlassung. Die FDP sprach sich grundsätzlich für eine Strafbefreiung des Konsums aus, wollte diesen aber auf den privaten Bereich beschränken. Die SP forderte eine möglichst rasche Entkriminalisierung nicht nur beim Konsum, sondern auch beim Erwerb und Besitz kleiner Drogenmengen für den Eigenverbrauch. Beide Parteien stimmten der Kommission Schild bezüglich der ärztlichen Verschreibung von Betäubungsmitteln zu. Ihr Nein zur Strafbefreiung bekräftigte die SVP. In der Frage der Drogenabgabe wollte sich die SVP nicht definitiv festlegen, sondern vorerst den Abschluss der Versuche abwarten. Die CVP, die 1994 noch zusammen mit FDP und SP das Programm "für eine kohärente Drogenpolitik" unterstützt hatte, welches die Entkriminalisierung des Konsums vorsah, sprach sich nun ebenfalls für den Beibehalt der Strafverfolgung aus, wobei ihrer Meinung nach die Richter aber vom Grundsatz der Opportunität sollen Gebrauch machen können. Der Weiterführung der Heroinabgabe stimmte sie zu. Die Kantone zeigten sich gespalten. Graubünden und Baselland befürworteten die Entkriminalisierung grundsätzlich, der Tessin zeigte sich nicht abgeneigt. Als falschen Weg stuften hingegen Thurgau, St. Gallen und Wallis die Strafbefreiung ein, wobei St. Gallen aber, wie Schaffhausen und Zürich eine Strafbefreiung für den Konsum von Cannabis unterstützte. Von den Organisationen verlangte der Verband Sucht- und Drogenfachleute (VSD) nicht nur eine Strafbefreiung für Konsum, sondern ein Staatsmonopol für die Abgabe verschiedener Suchtmittel. Für eine Strafbefreiung sprachen sich auch die Eidg. Kommission für Jugendfragen (EKJ), die Dachorganisation der Jugendverbände (SAJV), der Dachverband schweizerischer Lehrerinnen und Lehrer (LCH) sowie die Stiftung Pro Juventute aus. Der Bundesrat fühlte sich durch die Ergebnisse der Vernehmlassung in seiner Vier-Säulen-Politik bestätigt, kündigte aber an, dass er mit weiteren Beschlüssen zuwarten wolle, bis das Ergebnis der Volksabstimmung über die verbotsorientierte Initiative "Jugend ohne Drogen" vorliegt.

Straffreiheit Drogenkonsum Vernehmlassung

Der Nationalrat befasste sich als Zweitrat mit der Volksinitiative «S.o.S. – Schweiz ohne Schnüffelpolizei» und dem als indirekten Gegenvorschlag konzipierten Bundesgesetz über die Wahrung der inneren Sicherheit. Mit 116 zu 61 Stimmen empfahl der Rat die von der SP und der GP unterstützte Volksinitiative zur Ablehnung.

Mit derselben Stimmenzahl lehnte er auch den Antrag der Kommissionsminderheit auf Nichteintreten auf das neue Bundesgesetz ab. Die SP und die Grünen begründeten ihre Opposition gegen die Schaffung von gesetzlichen Grundlagen für eine präventiv wirkende Polizei damit, dass ein solches Gesetz überflüssig sei und nur dazu dienen würde, der Polizei unkontrollierbaren Handlungsspielraum zur Überwachung der Bürger zu verschaffen. Wo es um die Bekämpfung echter Gefahren gehe, sei das bestehende Instrumentarium ausreichend: insbesondere sei die Bekämpfung des politischen Nachrichtendienstes (Spionage) bereits rechtlich abgesichert, und bei Sprengstoffdelikten und schweren Gewaltverbrechen seien seit 1981 auch vorbereitende Handlungen strafbar. Diese Einschätzung wurde von den Sprechern der bürgerlichen Parteien und Bundesrat Koller zurückgewiesen. Letzterer argumentierte damit, dass die von der Linken befürchtete Überwachung der Ausübung politischer Rechte im neuen Gesetz explizit ausgeschlossen sei. Andererseits sei die Überwachung der Aktivitäten bestimmter politischer Gruppierungen (z.B. der kurdischen PKK oder der islamischen Heilsfront) auch dann erforderlich, wenn deren Mitglieder die Schweiz nur als logistische Basis benutzen würden, ohne hier aber kriminelle Akte zu begehen. Das Gesetz sei deshalb auch im Hinblick auf die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch mit anderen europäischen Staaten notwendig.

In der Detailberatung strich der Nationalrat die Bekämpfung des organisierten Verbrechens aus dem Geltungsbereich des Gesetzes; nicht weil dieser keine Bedeutung zuerkannt wurde, sondern weil dies eine Aufgabe der strafrechtlichen Ermittlungsbehörden sei und auf Bundesebene mit den polizeilichen Zentralstellen bereits ein Koordinationsorgan bestehe. Bundesrat Koller argumentierte vergeblich damit, dass in vielen europäischen Staaten (allerdings nicht in Deutschland) die präventive Polizei auch in diesem Aufgabenbereich tätig sei. Eine gewichtige Differenz schuf der Rat bei den zulässigen Mitteln der präventiven Informationsbeschaffung. Gegen die Stimmen der FP, der Liberalen und eines Teils der FDP-Fraktion strich er die vom Ständerat aufgenommene Bestimmung, dass dazu auch ohne richterliche Anordnung der Telefon- und Postverkehr überwacht und elektronische Abhörgeräte eingesetzt werden können. Den Antrag der vorberatenden Kommission, dass im Staatsschutz grundsätzlich die im Datenschutzgesetz garantierten Einsichtsrechte gelten sollen, fand keine Mehrheit. Beschlossen wurde eine gleiche Regelung wie im Gesetz über die polizeilichen Zentralstellen, bei welcher der Datenschutzbeauftragte nur überprüft, ob eventuell vorliegende Daten rechtmässig bearbeitet werden, aber keine materiellen Auskünfte erteilt. In der Gesamtabstimmung wurde das neue Gesetz gegen die Stimmen der SP und der GP angenommen.

Neues Staatsschutzgesetz und Volksinitiative «S.o.S. – Schweiz ohne Schnüffelpolizei» (BRG 94.028)
Dossier: Der Fichenskandal und seine Folgen

Um der veränderten Medienwelt Rechnung zu tragen, leitete der Bundesrat dem Parlament eine Revision des Medienstraf- und Verfahrensrechts im Strafgesetzbuch und im Militärstrafgesetz zu. Die geltenden strafrechtlichen Vorschriften über die Medien wurden seit 1942 nicht mehr grundlegend revidiert und sollen auf Radio, Fernsehen und die weiteren elektronischen Medien ausgeweitet werden. Neu sollen Medienschaffende ein beschränktes Zeugnisverweigerungsrecht erhalten. Der vorgeschlagene Artikel 27bis StGB sieht vor, dass gegen Medienschaffende keine Strafen oder prozessuale Zwangsmassnahmen verhängt werden dürfen, wenn diese beispielsweise über die Identität eines Autors oder über Quellen und Inhalt ihrer Informationen keine Auskunft geben wollen. Dies gilt allerdings nur dann, wenn das Interesse am Quellenschutz das Interesse der Strafverfolgung überwiegt. Dies abzuschätzen soll Sache des Richters sein, wobei der Revisionsentwurf Leitplanken festlegt. Vorrang hätte der Quellenschutz, wenn eine Übertretung auch mit anderen Mitteln als der Zeugenaussage eines Journalisten aufgedeckt werden kann. Dasselbe gilt, wenn das geforderte Zeugnis anderem dienen soll als der unmittelbaren Aufklärung eines Delikts. Dagegen überwiegt das Strafverfolgungsinteresse, wenn das Zeugnis zur Rettung eines Menschenlebens erforderlich ist, oder wenn ohne die Aussage eines Medienschaffenden ein Tötungsdelikt oder ein anderes schweres Verbrechen nicht aufgeklärt oder der mutmassliche Täter nicht gefasst werden kann. Gleichzeitig will der Bundesrat weitere Bestimmungen im Medienstrafrecht anpassen. So soll der verantwortliche Redaktor nur noch für eigenes Verschulden haften; eine Übernahme der Schuld des nicht belangbaren Autors findet dagegen nicht mehr statt. Weiter soll die umstrittene Strafvorschrift über die Veröffentlichung amtlich geheimer Handlungen (Art. 293 StGB) ersatzlos aufgehoben werden. Wichtige staatliche und militärische Geheimnisse bleiben jedoch weiterhin vor einer Weiterverbreitung in den Medien geschützt. In seiner Begründung bezeichnete es der Bundesrat als unbillig, dass der Journalist, der vertrauliche Informationen veröffentlicht, bestraft wird, während der Beamte oder Behördenvertreter, der ihm die Publikation ermöglicht hat, regelmässig straflos ausgeht, da seine Identität nicht ermittelt werden kann. Anstelle der bisherigen Gleichstellung von Landesverrat und der unerlaubten Veröffentlichung bestimmter Geheimnisse durch ein Medium schlägt der Revisionsentwurf eine differenzierte Beurteilung der Geheimnisverletzungen vor.

Revision des Medienstraf- und Verfahrensrechts

Das Berufsgeheimnis von Ärzten, Anwälten und anderen Personen soll – wenn es nicht zur Organisation und Begehung von Straftaten missbraucht wird – bei der Überwachung des Post- und Telefonverkehrs durch die Strafverfolgungsbehörden besser geschützt werden. Der Nationalrat überwies eine im Vorjahr vom Ständerat verabschiedete Motion ebenfalls.

Berufsgeheimnis von Anwälten, Ärzten, Geistlichen (Mo. 95.3202)

Die besondere Verwerflichkeit der sogenannten Kinderpornographie verlangt nach einstimmiger Meinung des Nationalrats nach zusätzlichen strafrechtlichen Bestimmungen. Er überwies eine parlamentarische Initiative von Felten (sp, BS), welche zusätzlich zur Herstellung und zum Vertrieb auch den Besitz von Kinderpornographie unter Strafe stellen will.

Parlamentarische Vorstösse zur Strafbarkeit des Besitzes von Kinderpornografie
Dossier: Revision des StGB betreffend Kinderpornografie und sexuellem Missbrauch von Kindern

Der Ständerat überwies eine von der grossen Kammer im Vorjahr gutgeheissene Motion Stamm (fdp, AG) für die Schaffung eines eidgenössischen Anwaltsregisters als Postulat. Dieses Verzeichnis soll die Grundlage für die volle kantonale Freizügigkeit bei der Ausübung des Anwaltsberufs bilden.

Motion Stamm (94.3305) zur Schaffung eines eidgenössischen Anwaltsregisters
Dossier: Bundesgesetz über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (2002)

In diesem Vorhaben erhielt die Landesregierung deutlichen Sukkurs von der 1994 eingesetzten, breit abgestützten Expertenkommission für eine Revision des Betäubungsmittelgesetzes, welche vom ehemaligen obersten Drogenfahnder des Bundes und heutigen Basler FDP-Polizeidirektor Jörg Schild geleitet wurde. Das Gremium sprach sich dafür aus, dass der Konsum, der Kauf und der Besitz von geringen Mengen illegaler Drogen zum Eigengebrauch nicht mehr strafbar sein soll. Die Experten empfahlen auch, die ärztliche Verschreibung von Betäubungsmitteln an schwer Süchtige bei positivem Ausgang der laufenden Versuche im Gesetz zu verankern. Ihrer Ansicht nach soll der Fürsorgerische Freiheitsentzug (FFE) zur Zwangsbehandlung von Süchtigen nicht ausgeweitet werden. Das Therapieangebot müsse aber vielfältiger ausgestaltet werden, wobei dem Bund eine wichtige Koordinationsaufgabe zukomme. Grundsätzlich hielt die Expertenkommission fest, dass das Ziel einer drogenfreien Gesellschaft wohl nie erreicht werden könne, schon gar nicht mit gesetzlichen Massnahmen. Das wichtigste sei, eine bessere Gesprächskultur zu finden, Populismus und Polemik seien in diesem Bereich fehl am Platz.

Revision des Betäubungsmittelgesetzes (BRG 01.024)
Dossier: Revision Betäubungsmittelgesetz (BetmG) 2001-2004

Nachdem er bereits im Vorjahr ein Postulat Morniroli (lega, TI) (Po. 94.3076) für eine Teilprivatisierung des Strafvollzugs überwiesen hatte, hiess der Nationalrat im Berichtsjahr auch noch eine entsprechende Motion Keller (sd, BL) in Postulatsform gut.

Übertragung des Strafvollzugs an Private

Seit 1985 erlaubt der Bundesrat den Kantonen, auf freiwilliger Basis neue Sanktionsformen wie Halbgefangenschaft oder gemeinnützige Arbeit zu erproben. Die im Berichtsjahr auslaufende Verordnung wurde durch eine neue, bis Ende 2001 gültige, ersetzt. Dabei liberalisierte der Bundesrat die Bedingungen: die Halbgefangenschaft soll für Strafen bis zwölf Monate (bisher sechs), die gemeinnützige Arbeit für Freiheitsstrafen bis zu drei Monaten (bisher einem) erlaubt sein.

neue Sanktionsformen wie Halbgefangenschaft oder gemeinnützige Arbeit

Der Nationalrat überwies mit 79:9 Stimmen eine Motion Stucky (fdp, ZG) (Mo. 93.3477), welche verlangt, dass das Berufsgeheimnis von Anwälten, Ärzten, Geistlichen etc. auch bei der Telefonüberwachung im Rahmen von strafrechtlichen Untersuchungen absolut zu gewährleisten sei. Der Bundesrat konnte sich mit seiner Argumentation nicht durchsetzen, dass die bestehende Regelung, welche die Abhörung von Telefongesprächen zwischen Berufsgeheimnisträgern und Verdächtigten erlaubt, eine prozessuale Verwertung aber untersagt, ausreichend sei. Der Ständerat ging hingegen auf diese Einwände ein und überwies den Vorstoss lediglich als Postulat. Er stimmte zudem einer weniger weit gehenden Motion seiner Rechtskommission zu, welche das Berufsgeheimnis nur dann besser schützen will, wenn nicht unter seinem Deckmantel Straftaten organisiert oder durchgeführt werden.

Berufsgeheimnis von Anwälten, Ärzten, Geistlichen (Mo. 95.3202)

Der Bundesrat beauftragte im September das EJPD mit der Ausarbeitung einer Botschaft für eine Teilrevision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs, namentlich der Bestimmungen über die Sanktionen. Trotz der zum Teil heftigen Kritik in der Vernehmlassung hielt der Bundesrat an zentralen Punkten des Vorentwurfs fest. So sollen anstelle kurzer Freiheitsstrafen vermehrt alternative Strafformen wie Bussen oder gemeinnützige Arbeiten treten, und der bedingte Strafvollzug soll auch für Freiheitsstrafen von mehr als 18 Monaten ermöglicht werden. Neu soll zudem das Jugendstrafrecht in einem separaten Teil festgehalten werden.

Neues Strafrecht in der Vernehmlassung
Dossier: Revision des StGB, MStG und dem Bundesgesetz über das Jugendstrafrecht (2006)

Die Schweiz beteiligte sich aktiv an der Jugendkampagne des Europarates gegen Rassismus. Herzstück der knapp einjährigen Veranstaltungsreihe mit dem Titel "alle anders - alle gleich" waren die von jungen Leuten realisierten Projekte, die vom Kinowerbespot über ein Spielhappening bis zur Theaterproduktion reichten. Für die Finanzierung stellte der Bund einen Fonds von 1,2 Mio Fr. zur Verfügung. Das vom Bundesrat mandatierte nationale Organisationskomitee unter dem Co-Präsidium von Nationalrat François Loeb (fdp, BE) registrierte rund 1000 Gesuche und unterstützte 56 Projekte mit Beiträgen, wobei es Ziel der Kampagne war, die Botschaft der Toleranz mittels Sport, Musik und Literatur möglichst spielerisch zu verbreiten, damit sich auch bisher kaum politisierte Jugendliche angesprochen fühlen konnten.

Jugendkampagne des Europarates gegen Rassismus

Die Verfolgung der auf internationalem Niveau tätigen Kriminellen (namentlich im Bereich des organisierten Verbrechens und der Wirtschaftskriminalität) wird durch die kantonale Organisation der Polizei- und Justizbehörden erschwert. Der Ständerat hiess deshalb – trotz föderalistischer Bedenken Danioths (cvp, UR) – eine Motion Rhinow (fdp, BL) für eine Vereinheitlichung der Strafprozessordnung in der Schweiz gut. Der Bundesrat hatte sich ursprünglich für die Umwandlung in ein Postulat ausgesprochen, nachdem aber eine Expertengruppe ebenfalls Handlungsbedarf konstatiert hatte, war er mit der Motionsform einverstanden. Er nahm den Vorschlag zudem in den Vernehmlassungsentwurf für die Totalrevision der Bundesverfassung auf. Auch der Nationalrat stellte sich hinter den Vorstoss und überwies zudem noch eine gleichlautende Motion Schweingruber (fdp, JU) (Mo. 94.3181). Dieselbe Zielrichtung verfolgen auch die im Berichtsjahr eingereichten Standesinitiativen der Kantone Basel-Stadt, Basel-Land, St. Gallen und Solothurn.

Vereinheitlichung der Strafprozessordnung in der Schweiz
Dossier: Vereinheitlichung des Strafprozessrechts (2010)
Dossier: Totalrevision der Bundesverfassung 1/2: Vorgeschichte (1966 bis 1996)

Tötungsdelikte von sich im Hafturlaub befindenden Strafgefangenen bildeten den Hintergrund einer Motion Keller (sd, BL), welche verlangte, dass lebenslängliche Strafen effektiv abgesessen werden müssen. Der Bundesrat lehnte die Motion ab, weil es unmöglich sei, schon bei der Urteilsverkündung die Chancen einer späteren Resozialisierung abzuschätzen; zudem könnten bereits heute gemeingefährliche Täter auf Lebenszeit verwahrt werden. Der Regierungsantrag, den Vorstoss immerhin als Postulat zu überweisen, wurde von Rechsteiner (sp, SG) als inkonsequent bekämpft, vom Rat aber übernommen.

lebenslängliche Strafen effektiv abgesessen

Der Nationalrat überwies ein Postulat Morniroli (lega, TI) (Po. 94.3076), das die Übertragung des Strafvollzugs an Private anregt; praktische Erfahrungen mit diesem System haben bisher v.a. die USA und Australien gemacht. Er stimmte im weiteren auch der vom Ständerat in der Frühjahrssession verabschiedeten Motion Schmid (cvp, AI) für eine Verbesserung der Aussagekraft der Kriminalstatistik, namentlich im Hinblick auf den Anteil ausländischer Straftäter, zu.

Übertragung des Strafvollzugs an Private

Der Bundesrat setzte die neue Rechtsnorm auf den 1. Januar 1995 in Kraft und gab den Beitritt der Schweiz zur Antirassismus-Konvention der UNO bekannt. Wie er bereits im Abstimmungskampf angekündigt hatte, meldete er dazu zwei Vorbehalte an. Der wichtigere der beiden betrifft die gesetzliche Regelung der Zulassung von Ausländern zum schweizerischen Arbeitsmarkt. Damit will er sich die Möglichkeit freihalten, die Einwanderung aus europäischen und anderen kulturell eng verwandten Staaten bevorzugt zuzulassen.

Beitritt zur UNO-Antirassismuskonvention und Revision des StGB (BRG 92.029)
Dossier: Das Antirassismusgesetz von 1995 und dessen Folgen

In der Kampagne zur Volksabstimmung tauchten kaum neue Argumente auf. Für die Befürworter handelte es sich um notwendige Massnahmen zur besseren Durchsetzung des Vollzugs der pro Jahr rund 20'000 Ausweisungsbeschlüsse und gegen den Missbrauch des Asylrechts durch Kleinkriminelle. Für die Gegner stellten die Zwangsmassnahmen eine Diskriminierung von Ausländern und ein untaugliches Mittel zur Bekämpfung des Drogenhandels dar; in der Westschweiz wurde in diesem Zusammenhang betont, dass es nicht angehe, wegen der zu liberalen Zürcher Drogenpolitik nationales Ausnahmerecht einzuführen. Die Auseinandersetzung wurde, zumindest am Anfang, von den Gegnern zum Teil sehr emotional und gehässig geführt. So warfen sie der Parlamentsmehrheit und dem Bundesrat vor, mit den Massnahmen den Rassismus zu fördern und, nach dem Vorbild der faschistischen Diktatoren Hitler und Mussolini, die Disziplinierung und Ausschaltung unbequemer Menschen anzustreben. SP-Nationalrat Rechsteiner (SG) sprach im Pressedienst seiner Partei von einem «braunen Blick-Gesetz». Zu der von der SP und den Hilfswerken befürchteten Stimmungsmache gegen Ausländer kam es hingegen nicht; sowohl die SD als auch die FP traten praktisch nicht in Erscheinung. Alle Parteien ausser der SP, der GP und der PdA empfahlen die Ja-Parole; nur in Genf, wo auch namhafte Juristen heftige Kritik an den neuen Massnahmen übten, kam es – bei der LP – zu einer abweichenden Parole einer Kantonalsektion. Gegen die Massnahmen sprach sich auch die katholische Bischofskonferenz aus, welche befürchtete, dass damit das Misstrauen gegen Ausländer geschürt würde; die Leitung der evangelischen Kirche verzichtete dagegen auf eine Stellungnahme.

In der Volksabstimmung vom 4. Dezember stimmten knapp 73 Prozent für die Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht. Am deutlichsten fiel das Ja in der Nordostschweiz (inkl. Zürich) aus. In den ländlichen Gebieten der Innerschweiz und in der Westschweiz war die Skepsis grösser; am knappsten war die Zustimmung in Genf (52.3 Prozent), wo sich mit Ausnahme der FDP alle Parteien für ein Nein eingesetzt hatten.

Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht
Abstimmung vom 4. Dezember 1994

Beteiligung: 43.8%
Ja: 1'435'040 (72.9%)
Nein: 533'297 (27.1%)

Parolen:
– Ja: FDP, CVP, SVP, LP (1*), FP, LdU, EVP, SD, Lega, EDU; Vorort, SGV, Angestelltenverbände.
– Nein: SP, GP, PdA; SGB, CNG, Caritas, HEKS und andere Hilfswerke.
*In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Die Vox-Analyse über das Stimmverhalten ergab, dass die Sympathisanten der drei bürgerlichen Bundesratsparteien sehr deutlich zugestimmt hatten, während sich bei der Anhängerschaft der SP die Ja- und Nein-Stimmen die Waage hielten. Sämtliche soziale Gruppen sprachen sich für die Zwangsmassnahmen aus; bei Frauen, jüngeren Stimmberechtigten und Bewohnern von städtischen Agglomerationen fiel diese Unterstützung aber unterdurchschnittlich aus.

Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht (BRG 93.128)

Bei den eidgenössischen Abstimmungen lehnte die LP, im Gegensatz zur FDP, zwei der drei Verkehrsabgabe-Vorlagen ab (bei der Vignette beschloss sie Stimmfreigabe) und sie stimmte wie die SVP gegen den Kulturförderungsartikel. Dem Antirassismus-Gesetz stimmte die LP Schweiz, nicht aber die waadtländische Kantonalpartei zu.

Parolen der LP 1994
Dossier: Parolen der LP, 1990-1994

Bei den eidgenössischen Abstimmungen kämpften die SD vergeblich gegen eine Annahme des Anti-Rassismus-Gesetzes. Einen Abstimmungssieg erreichten sie jedoch mit der Ablehnung schweizerischer Blauhelmtruppen, gegen die sie das Referendum mitgetragen hatten. Entgegen den anderen Parteien des rechten Spektrums sprachen sich die SD für die Alpeninitiative aus.

Parolen der SD 1994
Dossier: Parolen der SD, 1990-1994

Bei den eidgenössischen Abstimmungen kämpfte die EDU unter anderem gegen den Kulturförderungsartikel, die UNO-Blauhelmtruppen und das Krankenversicherungsgesetz. Zum Verbot der Rassendiskriminierung beschloss sie Stimmfreigabe; ihre grösste Kantonalsektion (Bern) empfahl ein Ja.

Parolen der EDU 1994

Bei den eidgenössischen Abstimmungen stimmte die FPS achtmal gegen Bundesrat und Parlament und bejahte insgesamt nur gerade drei der eidgenössischen Vorlagen. Vehement wehrte sie sich namentlich auch gegen das Anti-Rassismus-Gesetz.

Parolen der FPS 1994
Dossier: Parolen der AP/FPS, 1990-1994

Die 1991 vom Bundesrat beantragte Strafrechtsrevision in bezug auf strafbare Handlungen gegen das Vermögen und auf Urkundenfälschung konnte abgeschlossen werden. In der Differenzbereinigung schloss sich der Nationalrat weitgehend den Entscheiden der kleinen Kammer an.

Strafbare Handlungen gegen das Vermögen und Urkundenfälschungen (BRG 91.032)