Selbst wenn sie diese Sicht der Dinge nicht teilte, hatte eine Mehrheit der vorberatenden Kommission doch eine Ausweitung des Begriffs der Schutzbedürftigkeit vorgenommen. Insbesondere sollte der vorläufige Aufnahme auch in Situationen allgemeiner Gewalt oder systematischer und schwerer Verletzung der Menschenrechte gewährt werden. Eine Minderheit aus Vertretern von SVP, FDP, CVP und FP lehnte diese Erweiterung ab, da sie einen Rechtsanspruch auf Schutz suggeriere und gegenüber gewissen Ländern zu einem zeitlich nicht absehbaren Zustand führen könnte. Zudem vermische die Linke Schutz- und Asylwürdigkeit, was die Rückkehr der vorläufig Aufgenommenen nach Aufhebung des Status erschwere.
Bundespräsident Koller wehrte sich erfolglos gegen diese Ausweitung der Definition. Der Rat hiess mit 71 zu 60 Stimmen den Kommissionsvorschlag gut. Kommissionspräsidentin Fankhauser (sp, BL) erinnerte an die Judenverfolgung in Deutschland; dabei habe es sich nicht um einen Krieg- oder Bürgerkrieg, sondern um systematische Verfolgung gehandelt. Heutige Gewaltsituationen beträfen zunehmend schwere Verletzungen der Menschenrechte, weshalb es unverständlich sei, dass des Bundesrat diesen Begriff nicht von sich aus in das Gesetz aufgenommen habe, meinte auch David (cvp, SG). Mit 74 zu 56 Stimmen lehnte der Rat hingegen einen Antrag von Felten (sp, BS) ab, der die spezifischen Formen der Gewalt gegen Frauen zumindest hier einführen wollte.
Nach einem fast zweiwöchigen Unterbruch der Beratungen befasste sich der Nationalrat noch einmal mit dem Status der Gewaltflüchtlinge. Gegen den Antrag des Bundesrates beschloss er mit 82 zu 53 Stimmen, dass die Asylgesuche von Personen, die ihr Gesuch noch vor der Schutzgewährung gestellt haben, lediglich sistiert werden und nach Aufhebung des vorläufigen Schutzes behandelt werden müssen. Auf Asylgesuche, die nach der Schutzgewährung eingereicht werden, soll später hingegen nur dann eingetreten werden, wenn eine Anhörung Hinweise auf eine individuelle Verfolgung ergibt. Ein Antrag Dormann (cvp, LU), wonach Schutzbedürftige mit sistiertem Gesuch nach fünf Jahren das Recht auf ein Asylverfahren erhalten sollen, wurde abgelehnt. Hingegen wurde die Bestimmung aufgenommen, dass der Bundesrat nicht allein über die gruppenweise Aufnahme entscheiden kann; mit Stichentscheid der Ratspräsidentin setzte sich eine Kommissionsmehrheit durch, welche verlangte, dass der Bundesrat vor dem Entscheid über die Gewährung des vorübergehenden Schutzes auch die Hilfswerke konsultieren muss.
Totalrevision des Asylgesetzes
Dossier: Totalrevision Asygesetz 94-98