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  • Brunner, Hansjörg (fdp, TG) NR/CN
  • Gugger, Niklaus-Samuel (evp/pev, ZH) NR/CN
  • Amstutz, Adrian (svp/udc, BE) NR/CN

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Die Digitalisierung bringt es mit sich, dass auch der Parlamentsbetrieb mit verschiedenen Ratings und Rankings vermessen werden kann, welche die Arbeit, den Einfluss oder die ideologische Positionierung der Parlamentsmitglieder zu bestimmen versuchen. Der Versuch, anschauliche Ranglisten zu erstellen und so auch durch Personalisierung die Komplexität von Politik zu reduzieren, dient vor allem den Medien, die sich auch 2019 den verschiedenen Analysen widmeten.

Den Beginn machte Anfang Juli eine neue Plattform namens «politik.ch» mit einer Auswertung der Präsenz während der ganzen bisherigen 50. Legislatur. «Präsenz» wurde dabei mit der Teilnahme an den total 4'076 Abstimmungen, die im Nationalrat bis zur vorletzten Session durchgeführt wurden, gemessen. Zum «Absenzenkönig von Bern» – so die Aargauer Zeitung, die über die Studie berichtete – wurde Roger Köppel (svp, ZH) gekürt. Er habe 22.4 Prozent aller Abstimmungen «geschwänzt», gefolgt von Martin Bäumle (glp, ZH; 21.9%) und Hans Grunder (bdp, BE; 21.7%). Frauen stimmten tendenziell disziplinierter ab, schloss die Zeitung, weil sich am anderen Ende der Skala Andrea Geissbühler (svp, BE), Barbara Keller-Inhelder (svp, SG) und Sandra Sollberger (svp, BL) fanden, die alle weniger als sechs der über 4'000 Abstimmungen verpasst hatten. Die Aargauer Zeitung liess die Protagonisten zu Wort kommen. Bei wichtigen Abstimmungen sei er vor Ort, nicht aber, wenn «das ausufernde Berufsparlament mit sich selbst beschäftigt» sei, verteidigte sich Roger Köppel. «Das Volk» habe sie ins Parlament gewählt und erwarte, dass sie an den Abstimmungen teilnehme, befand hingegen Andrea Geissbühler. Im Schnitt hatten die Nationalrätinnen und Nationalräte drei Prozent der Abstimmungen verpasst. Im Tages-Anzeiger wurde daran erinnert, dass «immer brav auf dem ehrwürdigen Nationalratssessel zu sitzen» nicht mit politischem Einfluss gleichzusetzen sei. Die wichtigsten Entscheidungen fielen nicht im Ratssaal, sondern «in den Kommissionen, in den Hinterzimmern des Bundeshauses und den Salons des Bellevue-Hotels».

Einen Versuch, diese Art von Einfluss zu messen, unternahm die Sonntagszeitung mit ihrem alle zwei Jahre publizierten «Parlamentarier-Rating». Hier erhält Punkte, wer viele Reden hält, in wichtigen Kommissionen sitzt und erfolgreich Vorstösse einreicht; wer innerhalb der eigenen Partei wichtige Funktionen innehat, einer starken Fraktion angehört, hohe Medienpräsenz hat und ausserhalb des Parlaments gut vernetzt ist. Wie schon zwei Jahre zuvor wies die Zeitung SP-Parteipräsident Christian Levrat (sp, FR) als «mächtigsten» Parlamentarier aus, gefolgt von Pirmin Bischof (cvp, SO) und Thomas Aeschi (svp, ZG). Levrat sei «immer dabei, wenn es in der Schweizer Politik etwas anzuschieben oder zu blockieren» gelte. Allerdings falle die SP-interne grosse Lücke hinter Levrat auf. In den Top Ten gebe es kein weiteres SP-Mitglied, was darauf hindeute, dass die parteiinterne Erneuerung wohl noch nicht geschafft sei. Ausgerechnet bei den Frauen schneide die SP schlecht ab. Unter den 15 höchst bewerteten Frauen – diese Liste wurde von Tiana Angelina Moser (glp, ZH; total Rang 6) und Lisa Mazzone (gp, GE; Rang 13) angeführt – fänden sich lediglich zwei Genossinen: Maria Carobbio Guscetti (sp, TI; Rang 23) und Barbara Gysi (sp, SG; Rang 34). Für das Rating berücksichtigt wurden nur jene Parlamentsmitglieder, die seit Beginn der Legislatur in den Räten gesessen hatten und bei den eidgenössischen Wahlen 2019 wieder antreten wollten. Entsprechend war der 173. Rang auch der letzte. Dort befand sich Bruno Walliser (svp, ZH). Indem die Sonntagszeitung die Rangierung hinsichtlich Medienpräsenz mit der Gesamtrangierung verglich, machte sie auch «die grössten Blender» aus. Die drei Zürcher Abgeordneten Claudio Zanetti (svp), Roger Köppel (svp) und Regine Sauter (fdp) seien zwar «Lieblinge der Medien», spielten im Parlament aber «eine bescheidene Rolle».

Auf der Basis der Abstimmungen im Nationalrat berechnete die Sonntagszeitung in einer weiteren Analyse, wie häufig alle Volksvertreterinnen und -vertreter bei Gesamtabstimmungen in der 50. Legislatur zur Mehrheit gehört hatten. Wenig überraschend fanden sich auf den vorderen Rängen – die Sonntagszeitung nannte sie «die Erfolgreichsten» – Mitglieder der CVP- und der BDP-Fraktion, die jeweils mit links oder rechts oder innerhalb einer grossen Koalition Mehrheiten schaffen. Angeführt wurde die Liste von Elisabeth Schneider-Schneiter (cvp, BL), die bei 98.5 Prozent aller Gesamtabstimmungen gleich wie die Mehrheit gestimmt hatte, was ihr in der Weltwoche den Titel «[d]ie mit dem Strom schwimmt» einbrachte. Auf Platz zwei und drei folgten Viola Amherd (cvp, VS; 98.3%) und Géraldine Marchand-Balet (cvp, VS; 98.2%). Bei den 68 «Erfolglosesten» handelte es sich durchgängig um SVP-Fraktionsmitglieder, angeführt von Erich Hess (svp, BE; 46.8%), Toni Brunner (svp, SG; 48.8)%) und Pirmin Schwander (svp, SZ; 49.8%).

Mitte Oktober warteten dann schliesslich die NZZ und Le Temps mit ihrem alljährlich erscheinenden «Parlamentarier-Rating» auf. Erneut wiesen die auf der Basis des Abstimmungsverhaltens vorgenommenen Positionierungen der Parlamentsmitglieder auf einer Skala von -10 (ganz links) bis +10 (ganz rechts) auf eine zunehmende Homogenisierung innerhalb der Parteien hin. Insbesondere an den Polen habe die Fraktionsdisziplin ein noch nie gekanntes Ausmass erreicht, so die NZZ. So hätten sich die Mitglieder der SP-Fraktion vor den Wahlen 2015 auf einer Skalen-Spannweite von 3.4 Punkten verteilt, im aktuellen Rating betrage dieser Wert lediglich noch 1.2 Punkte. Die Extrempositionen in der SP besetzten im aktuellen Rating Silvia Schenker (sp, BS; -10.0) und Adrian Wüthrich (sp, BE; -8.8). Eine im Vergleich zu 2015 wesentlich grössere Fraktionsdisziplin wiesen bei dieser Berechnung auch die Grünen auf. Lagen das am meisten linke und am meisten rechte grüne Fraktionsmitglied 2015 noch um 2.7 Skalenpunkte auseinander, trennten Maya Graf (gp, BL; -9.2) und die drei ganz am linken Rand politisierenden Michael Töngi (gp, LU; -10.0), Irène Kälin (gp, AG; -10.0) und Regula Rytz (gp, BE; -10.0) im Jahr 2019 lediglich noch 0.8 Skalenpunkte. Damit waren die Grünen im Durchschnitt erstmals seit 2011 wieder weiter links positioniert als die SP: «Les Verts n'ont jamais été aussi à gauche», war dies Le Temps gar die Überschrift der Analyse wert. Am anderen Ende der Skala, bei der SVP, verringerte sich der Wert der Spannweite von 3.7 auf 1.2 Punkte – ohne Berücksichtigung von Roberta Pantani (lega, TI), die zwar der SVP-Fraktion angehört, aber die Lega vertritt und mit einem Wert von 8.2 die am weitesten «linke» Position in der SVP-Fraktion im Nationalrat vertrat. Gleich drei SVP-Nationalräte politisierten ganz rechts aussen und wiesen einen Skalenwert von 10.0 aus: Toni Brunner, Luzi Stamm (svp, AG) und Adrian Amstutz (svp, BE). Jean-Pierre Grin (svp, VD) fand sich bei Position 8.8 und war damit das am weitesten links positionierte Mitglied der SVP im Nationalrat. Selbst bei der CVP war eine Disziplinierung festzustellen: Es zeigte sich im Vergleich zu 2015 ein Rückgang der Spannweite von 3.6 auf 2.6 Punkte, wobei die Fraktion im Vergleich zum Vorjahr zahlreiche Mitglieder leicht rechts von der Mitte aufwies und sich von -1.0 (Dominique de Buman; cvp, FR) bis 1.6 (Philipp-Matthias Bregy; cvp, VS) erstreckte. Die der CVP-Fraktion angehörenden EVP-Mitglieder waren wesentlich weiter links als ihre Fraktion: Niklaus Gugger (ZH) wurde auf der Skala bei -4.2 und Marianne Streiff-Feller (BE) bei -4.3 eingestuft. Die restlichen drei Fraktionen hingegen waren im Vergleich zu 2015 heterogener geworden. Bei der FDP war die Zunahme von 2.5 auf 2.6 Skalenpunkte freilich minim. Die Fraktionsgrenzen wurden bei den Freisinnigen von Walter Müller (fdp, SG; 4.5) und Christa Markwalder (fdp, BE; 1.9) eingenommen. Grössere Sprünge machten die BDP und die GLP. Während sich bei der BDP die Spannweite im Vergleich zu 2015 von 1.2 auf 2.0 fast verdoppelte – wie schon 2015 deckte Rosmarie Quadranti (bdp, ZH; -1.7) die linke Flanke ab, während sich Hans Grunder (bdp, BE; 0.3) am rechten Rand der BDP positionierte – wuchs die Heterogenität innerhalb der traditionell eigentlich sehr homogenen GLP von 0.5 auf 2.7 Skalenpunkte an. Hauptgrund dafür war Daniel Frei (glp, ZH), der von der SP in die GLP gewechselt hatte und mit seiner Position von -5.7 zwar weit weg vom rechten Rand der SP (-8.8), aber auch weit weg vom linken Rand der bisherigen GLP-Mitglieder war. Dieser wurde von Kathrin Bertschy (glp, BE; -3.5) eingenommen, die in der Tat lediglich 0.5 Skalenpunkte von Martin Bäumle (-3.0), also dem rechten GLP-Rand, positioniert war. Die politische Landschaft verarme, schloss die NZZ aus diesen Zahlen. Vor allem zwischen den Mitte- und den Polparteien klaffe eine Lücke. Dort hätten früher moderate SVP- und SP-Vertreter als Brückenbauer gewirkt. Schuld für die zunehmende Fraktionsdisziplin seien aber nicht nur die Parteizentralen, sondern auch die wachsende Zahl an zu behandelnden Geschäften, bei denen Parlamentsmitglieder keine fundierte eigene Meinung mehr bilden könnten und deshalb gemäss der Empfehlung der Parteileitung stimmten.
Die zahlreichen auf die neue Legislatur 2019 bis 2023 hin angekündigten Rücktritte im Ständerat veranlasste die Verfasser des Ratings zur Spekulation eines Rechtsrutschs der kleinen Kammer nach den Wahlen 2019. Die politische Mitte des Ständerats befinde sich bei Pirmin Bischof, also bei -2.8. Da elf zurücktretende Kantonsvertreterinnen und -vertreter links und lediglich sieben rechts von Bischof seien und alle zurücktretenden im Schnitt deutlich linker (-5.3) positioniert seien als die wieder antretenden (-2.3), stellten die Ständeratswahlen vor allem für Mitte-Links eine Herausforderung dar, so die NZZ. Eindrücklich liess sich dies anhand von Raphaël Comte (fdp, NE) nachzeichnen. Der Neuenburger Freisinnige positionierte sich mit -5.7 näher bei Daniel Jositsch (sp, ZH), der mit -6.8 den rechten Rand der SP in der kleinen Kammer besetzte, als bei seinem am weitesten rechts positionierten Fraktionskollegen Philipp Müller (fdp, AG; 4.5) und dem Schnitt der FDP (2.3). Da Comte nicht mehr antrete, sei wohl auch in der FDP mit einem Rechtsrutsch in der kleinen Kammer zu rechnen.

Nationalratsrating

Nachdem in der Presse und innerhalb des Schweizerischen Gewerbeverbandes (SGV) erst darüber gemutmasst worden war, ob Verbandspräsident Jean-François Rime (svp, FR) im Frühling 2020 nochmals für das höchste Amt im Verband kandidieren würde, obwohl er damit gegen dessen Amtszeitbeschränkung verstossen hätte, war nach der Nicht-Wiederwahl Rimes bei den Nationalratswahlen im Herbst 2019 schnell klar, dass er als Konsequenz auch vom SGV-Präsidium zurücktreten wird. Wie die NZZ danach resümierte, seien die eidgenössischen Wahlen für den Verband ein Debakel gewesen und auch der Tages-Anzeiger hielt fest, der SGV stehe vor einem Scherbehaufen – denn nicht nur Verbandspräsident Rime, auch Verbandsdirektor Hans-Ulrich Bigler (fdp, ZH) sowie Vorstandsmitglied Hansjörg Brunner (fdp, TG) wurden nicht nochmals in den Nationalrat gewählt. Die Wiederwahl in die grosse Kammer schaffte einzig die Vizepräsidentin des Verbands, Daniela Schneeberger (fdp, BL).
Mehrere Kandidierende brachten sich sodann in Position, um das frei werdende Amt zu beanspruchen: Wie die Presse im Dezember 2019 berichtete, wollten sowohl Diana Gutjahr (svp, TG) als auch Fabio Regazzi (cvp, TI) im April 2020 für das Verbandspräsidium kandidieren. Mit Gutjahr könnte erstmals eine Frau, mit Regazzi erstmals ein Tessiner diese Position beim SGV einnehmen.

Regazzi wird neuer SGV-Präsident

Die beiden bisherigen Ständeräte kandidierten bei den Ständeratswahlen 2019 im Kanton Zürich für eine weitere Amtszeit. Sowohl Ruedi Noser (fdp) als auch Daniel Jositsch (sp) waren erst 2015 in die kleine Kammer eingezogen. Seither wurden die Beiden in der Öffentlichkeit häufig als Duo wahrgenommen und sie wehrten sich im Wahlkampf auch nicht ernsthaft gegen dieses Narrativ. Sie gaben zahlreiche gemeinsame Interviews, betonten ihre gute Zusammenarbeit und stellten einen gemeinsamen Email-Versand aus den Sessionen auf die Beine. Daniel Jositsch, der laut den Medien eher am rechten Rand der SP politisiert, verärgerte seine eigene Partei, weil er nicht für die grüne Kandidatin Marionna Schlatter Wahlwerbung betrieb, sondern mit Noser einen Newsletter verschickte, auf dem ein mit den Namen von Jositsch und Noser ausgefüllter Wahlzettel abgebildet war. Noser sorgte derweil im bürgerlichen Lager für einige Unstimmigkeiten, da er innerhalb der FDP an vorderster Front für eine grünere und klimafreundlichere Umweltpolitik seiner Partei weibelte. Zwar galt die Wiederwahl der beiden Bisherigen als eher ungefährdet, trotzdem wurden sie gleich von acht Kandidierenden herausgefordert. Für die Grünen trat wie erwähnt die Kantonsrätin und kantonale Parteipräsidentin Marionna Schlatter an, während für die Grünliberalen die langjährige Nationalrätin und Fraktionspräsidentin Tiana Angelina Moser ins Rennen stieg. Beide hofften im von Frauen- und Klimastreiks geprägten Wahljahr auf eine Überraschung. Auch der Nationalrat und Weltwoche-Verleger Roger Köppel (svp) warf seinen Hut in den Ring. Köppel gab seine Kandidatur im Januar in einer medienwirksamen Pressekonferenz bekannt. Er überrumpelte damit allerdings seine Partei, welche er erst kurz zuvor über seine Absichten informiert hatte. Die SVP nominierte ihn schlussendlich doch noch offiziell, nachdem er sich parteiintern gegen Alfred Heer durchzusetzen vermochte. Der medial stark wahrgenommene Fokus von Köppels Kandidatur war die Europapolitik. Er kritisierte in seinem Wahlkampf, der ihn unter anderem in jede der Zürcher 162 Gemeinden führte, wiederholt die europafreundliche Haltung des Duos «Nositsch» (Zitat Köppel). Ausserdem kandidierten die CVP-Parteipräsidentin Nicole Barandun, der Nationalrat und Vize-Präsident der EVP Schweiz Nik Gugger, Klaus Marte (du), sowie die parteilosen Paulin Kqira und Jan Linhart.

Am Wahlsonntag liess Daniel Jositsch alle hinter sich und konnte dank einem Glanzresultat bereits nach dem ersten Wahlgang seine Wiederwahl feiern. Der SP-Vertreter vereinte 216'679 Stimmen auf sich und übertraf damit problemlos das absolute Mehr von 183'919 Stimmen. Jositsch genoss dabei weit über seine Partei hinaus Unterstützung und schnitt auch in vielen Landgemeinden am besten ab. Das zweitbeste Resultat erzielte Ruedi Noser, der 141'700 Stimmen holte, das absolute Mehr damit aber deutlich verpasste. Roger Köppel erhielt 107'528 Stimmen – eine Enttäuschung für den bestgewählten Nationalrat, der sich erhofft hatte, die beiden Bisherigen stärker in Bedrängnis bringen zu können. Über ein überraschend starkes Resultat freuen konnte sich die Grüne Marionna Schlatter. Mit 95'142 Stimmen rangierte sie unter anderem vor der ungleich profilierteren Tiana Angelina Moser (80'450 Stimmen). Nicole Barandun (20'405), Nik Gugger (17'750) und die restlichen Kandidaten blieben chancenlos.
Für den zweiten Wahlgang konnten sich also vier Kandidierende noch realistische Chancen ausrechnen. Die Grünliberalen zogen ihre Kandidatin Moser jedoch zugunsten von Schlatter zurück. Somit waren alle Augen auf Köppel und die SVP gerichtet. Viele Stimmen aus dem bürgerlichen Lager forderten mit Nachdruck, dass sich Köppel zurückziehen solle, um eine Wahl von Schlatter aufgrund der Aufteilung der bürgerlichen Stimmen zu verhindern. Der wiedergewählte SVP-Nationalrat lenkte schliesslich ein und verzichtete auf eine Teilnahme am zweiten Wahlgang. So verblieb Schlatter als einzige Herausforderin von Noser. Zwischen den beiden Wahlgängen sorgte ein Inserat von fünf der sieben Zürcher Regierungsräte für Furore, das Noser zur Wahl empfahl. Einer der mitunterzeichnenden Regierungsräte, Mario Fehr (SP), kassierte von seiner Partei einen Rüffel. Besonders harsch kritisierte ihn die Juso, welche zudem eine Stimmrechtsbeschwerde gegen die Regierung einreichte, mit der Begründung, die Unterstützung Nosers durch die Regierung «verstosse gegen geltendes Recht». Die für die Beschwerde zuständige Stelle war aber ausgerechnet der Regierungsrat. Dieser entschied sich, nicht auf die Einsprache einzugehen, da auf den ersten Blick zu erkennen gewesen sei, dass die Wahlempfehlung keine offizielle Verlautbarung des Regierungsrates gewesen sei. Beschwerden gingen auch gegen das Schweizer Fernsehen ein, da in der Sendung «Club» vom 22. Oktober, zwei Tage nach dem ersten Wahlgang, sowohl Marionna Schlatter als auch Roger Köppel (damals noch Kandidat) auftraten, während Ruedi Noser keine Einladung erhalten hatte. SRF wurde daraufhin von ihrem Ombudsmann gerügt. Ausserdem kam es beim Versand der Wahlcouverts zu einer Panne, so dass zahlreiche Wählerinnen und Wähler keine Unterlagen zugestellt bekamen.
All dies änderte nichts daran, dass der zweite Wahlgang wie geplant vier Wochen nach dem ersten Urnengang abgehalten wurde und Ruedi Noser einen ungefährdeten Sieg einfahren konnte. Er holte 185'276 Stimmen und distanzierte Marionna Schlatter (116'594 Stimmen) letztlich deutlich. Noser und Jositsch bildeten somit auch in den nächsten vier Jahren die Zürcher Standesstimme.

Ständeratswahlen 2019 – Zürich
Dossier: Resultate Ständeratswahlen 2019 (nach Kantonen)
Dossier: Eidgenössische Wahlen 2019 - Überblick

Im Kanton Zürich kandidierten bei den Nationalratswahlen 2019 insgesamt 966 Personen auf 32 Listen. Der Frauenanteil unter den Kandidierenden betrug 43 Prozent. Während die Anzahl Listen gegenüber 2015 leicht zurückging, bedeuteten die Zahl der Kandidierenden und der Frauenanteil neue Höchstwerte. Zu vergeben waren im bevölkerungsreichsten Kanton der Schweiz weiterhin 35 Sitze.

Bei den Wahlen vor vier Jahren hatte sich entgegen dem nationalen Trend die SP als Siegerin feiern lassen können. Sie hatte damals zwei zusätzliche Sitze gewonnen. Auch die SVP und die FDP hatten zulegen können. Die Verteilung der 35 Zürcher Nationalratssitze lautete seither: 12 SVP, 9 SP, 5 FDP, 3 GLP, 2 GPS, 2 CVP, 1 BDP, 1 EVP. Die Ergebnisse der Kantonsratswahlen im März 2019 deuteten darauf hin, dass es für die SVP schwierig werden könnte, bei den nationalen Wahlen im Oktober ihre zwölf Sitze zu halten. Nach der veritablen Wahlschlappe bei den kantonalen Wahlen war auf Druck von Parteidoyen Christoph Blocher fast die gesamte Parteileitung zurückgetreten. So stieg die SVP mit einem jungen Interimspräsidenten, Patrick Walder, in den Wahlkampf. Die Partei hatte zudem zwei Rücktritte zu verkraften – Jürg Stahl und Hans Egloff verzichteten auf einen erneute Legislatur. Dafür gab bei der Volkspartei der 2015 nicht wiedergewählte Christoph Mörgeli sein Comeback als Nationalratskandidat. Die SVP verband dieses Jahr ihre Listen einzig mit der EDU. Die Gewinner bei den Kantonsratswahlen waren die Grünliberalen und die Grünen gewesen. Die guten Resultate und das aktuell heisseste Thema – die Klimapolitik – machten beiden Parteien Hoffnung auf Sitzgewinne auch bei den nationalen Wahlen. Die beiden Zugpferde der Zürcher Grünen – der Fraktionspräsident Balthasar Glättli und der ehemalige Vizepräsident der Grünen Schweiz Bastien Girod – reihten sich auf der Hauptliste nur auf den Plätzen drei und vier ein. Angeführt wurde die Liste von zwei Frauen – der ehemaligen Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber sowie Parteipräsidentin Marionna Schlatter-Schmid. Auf der Liste vertreten war ursprünglich auch das bekannte Model Tamy Glauser. Allerdings zog Glauser ihre Kandidatur zurück, nachdem sie mit einer «sehr unbedarften Aussage» über die angeblich heilende Wirkung von Veganer-Blut auf einer Online-Plattform heftige Reaktionen ausgelöst hatte. Die andere Partei der Stunde, die Grünliberalen, hatten auf das Wahljahr hin ihre Parteispitze ausgewechselt. Das junge Duo Nicola Forster und Corina Gredig bildeten neu ein Co-Präsidium. Dank diesem frischen Wind und einer Listenverbindung mit der CVP, der BDP und der EVP erhoffte sich die GLP, die angestrebten Sitzgewinne zu realisieren. Eine gänzlich andere Stimmung herrschte derweil bei den Sozialdemokraten. Am meisten Schlagzeilen generierte die SP im Wahljahr durch das parteiinterne Seilziehen über die künftige politische Ausrichtung der Partei. Anhänger des sozialliberalen Flügels fühlten sich dabei zunehmend marginalisiert. Der Konflikt führte schliesslich dazu, dass zuerst die ehemalige Nationalrätin Chantal Galladé und danach der amtierende Nationalrat und ehemalige Parteipräsident Daniel Frei aus der Partei austraten und zur GLP wechselten. In Freis Fall geschah dies, nachdem die SP ihn bereits auf ihre Nationalratsliste gesetzt hatte. Frei verzichtete letztlich ganz auf eine Teilnahme an den Nationalratswahlen. Neben Verlusten von Parteiangehörigen und Wählerinnen und Wählern an die GLP befürchteten die Genossen zusätzlich, dass linke Wechselwähler bei der «Klimawahl» eher die Listenpartnerin, die Grünen, wählen würden und die SP so Sitze verlieren könnte. Auch im Lager der Christdemokraten kam es zu einem Wirbel um eine Personalie. Kathy Riklin (CVP) wurde nach zwanzig Jahren als Nationalrätin von ihrer Partei nicht mehr nominiert. Stattdessen kandidierte Riklin für die Christlichsoziale Vereinigung – mit geringen Chancen auf eine Wiederwahl. Bei der FDP kandidierte der aufstrebende Jungpolitiker und ehemalige Präsident der Jungfreisinnigen, Andri Silberschmidt. Da sämtliche fünf bisherigen Freisinnigen erneut zur Wahl antraten, erklärte die FDP offiziell den Gewinn eines Sitzes zum Ziel. Trotz dieses hochgesteckten Ziels ging die FDP keine Listenverbindung mit anderen Parteien ein. Die Zürcher EVP ist seit 100 Jahren fast ausnahmslos im Nationalrat vertreten, da sie auf eine treue Wählerschaft zählen kann. Ihr Sitz schien daher auch dieses Jahr nicht in Gefahr. Ganz anders sah die Ausgangslage bei der anderen Partei aus, welche 2015 einen Sitz geholt hatte: Bei der BDP ging es ums politische Überleben, nachdem die Partei im März bei den kantonalen Wahlen alle ihre fünf Sitze im Kantonsparlament verloren hatte.

Am Wahlsonntag dominierte die Farbe Grün. Sowohl die Grünen (+7.2 Prozentpunkte, neu 14.1%) als auch die Grünliberalen (+5.8 Prozentpunkte, neu 14.0%) konnten ihre Wähleranteile deutlich ausbauen und gewannen je drei zusätzliche Sitze. Für die Grünen zog neben den beiden Bisherigen und den Spitzenkandidatinnen Schlatter-Schmid und Perlicz-Huber auch noch Meret Schneider in die Grosse Kammer ein. Bei den Grünliberalen gab es nach dem Rücktritt von Thomas Weibel sogar Platz für vier neue Gesichter. Corina Gredig, Jörg Mäder, Judith Bellaïche und Barbara Schaffner vertreten neu den Kanton Zürich in Bundesbern. Co-Präsident Nicola Forster verpasste den Einzug ins Parlament nur knapp. Auf der Verliererseite befanden sich die SVP und die SP, welche je zwei Sitze abgeben mussten. Am meisten Wähleranteile verlor die SP (-4.1 Prozentpunkte, neu 17.3%). Trotzdem schaffte eine neue Sozialdemokratin den Sprung in den Nationalrat, denn Céline Widmer setzte sich gleich vor zwei bisherige Nationalräte – Martin Naef und Thomas Hardegger –, die beide die Wiederwahl verpassten. Die SVP verlor beinahe so viele Wählerprozente (-4.0 Prozentpunkte, neu 26.7%) wie die SP. Während Martin Haab, der erst im Juni für Jürg Stahl nachgerutscht war, sein Mandat verteidigen konnte, verpasste Claudio Zanetti nach nur einer Legislatur im Nationalrat seine Wiederwahl. Auch Christoph Mörgeli verpasste seinen Wiedereinzug in die Grosse Kammer. Ebenfalls zu den Verlierern des Tages gehörten die CVP und die BDP. Die CVP konnte ihren Wähleranteil zwar leicht ausbauen (+0.2 Prozentpunkte, neu 4.4%), verlor aber trotzdem einen ihrer beiden Sitze. Für die BDP verkam die Wahl zu einem veritablen Desaster. Sie verlor über die Hälfte ihres Wähleranteils (neu 1.6%) und mit der Nicht-Wiederwahl von Rosmarie Quadranti war die BDP Zürich ab sofort nicht mehr im Nationalrat vertreten. Die FDP verlor zwar 1.6 Prozentpunkte ihres Wähleranteils (neu 13.7%) und war damit neu nur noch die fünftstärkste Kraft im Kanton, doch immerhin konnte sie ihre fünf Sitze verteidigen. Andri Silberschmidt schaffte den Einzug ins Parlament und verdrängte damit den Direktor des SGV Hans-Ulrich Bigler – eine herbe Niederlage für den Gewerbeverband, da neben Bigler auch Verbandspräsident Jean-François Rime (svp, FR) abgewählt wurde. Die EVP (+0.2 Prozentpunkte, neu 3.3%) verteidigte den Sitz von Niklaus Gugger problemlos. Das beste Resultat aller Kandidierenden erzielte Roger Köppel (svp) mit 121'098 Stimmen. Die Zusammensetzung der Zürcher Nationalratsdelegation lautete damit neu: 10 SVP, 7 SP, 6 GLP, 5 GP, 5 FDP, 1 CVP, 1 EVP. Der Frauenanteil unter den Gewählten betrug neu 45.7 Prozent. Die Stimmbeteiligung fiel gegenüber 2015 um 2.8 Prozentpunkte (2019: 44.4%).

Nationalratswahlen 2019 – Zürich
Dossier: Eidgenössische Wahlen 2019 - Überblick

Ende November 2017 löste ein Artikel in der Zeitung Le Temps über Yannick Buttet (cvp, VS) eine Debatte aus, mit der die aktuellen Diskussionen um #metoo – ein Kürzel, das im Rahmen der Anklage gegen den US-amerikanischen Filmproduzenten Harvey Weinstein aufgekommen war und auf sexuelle Belästigung und sexuelle Übergriffe aufmerksam machen will – auch in Bundesbern virulent wurden und die letztlich zur Demission des Walliser Nationalrats führten.

Le Temps berichtete, dass gegen Buttet eine Klage wegen Stalking eingereicht worden sei. Er habe eine Frau, mit der er eine aussereheliche Beziehung gehabt habe, seit dem Ende dieser Beziehung über ein Jahr lang mit Sprachnachrichten und Telefonanrufen eingedeckt. Als er sie an ihrem Wohnort aufgesucht habe, habe die Frau die Polizei gerufen, die Buttet im Garten der ehemaligen Geliebten verhaftet habe.
Buttet bestritt die Vorwürfe nicht. Eine Ehekrise habe sein Verhalten beeinflusst und er entschuldige sich bei all jenen, «que j’ai pu blesser involontairement» (Le Temps). Anlass zu den Diskussionen gaben allerdings weniger das Privatleben von Buttet und der Stalking-Vorwurf – auch wenn zahlreiche Medien dem als wertkonservativ bezeichneten CVP-Vizepräsidenten, der sich für ein traditionelles Familienbild einsetze, Heuchelei vorwarfen («Ausgerechnet der Saubermann» titelte etwa der Tages-Anzeiger). Eine Debatte lösten vielmehr die von Le Temps in Bundesbern eingeholten Reaktionen verschiedener Politikerinnen und Journalistinnen auf die Affäre Buttet aus: Buttet habe «des pulsions sexuelles incontrôlées»; wenn er trinke, ändere sich seine Persönlichkeit: «Il se comporte mal et il a des gestes déplacés»; «il va trop loin et il ne connaît plus de limites», gaben die befragten Frauen zu Protokoll. Gar von «dérapages choquants» war die Rede. «Si tu couches, je vote pour ta motion» sei einer Parlamentarierin angeboten worden. Die Interviewten wollten allerdings anonym bleiben. Sie müssten um ihre Karriere fürchten, wenn sie sich öffentlich äussern würden. In der Folge nahm die Deutschschweizer Presse den Fall auf und weitete ihn aus. Anscheinend wisse nicht nur Buttet nicht, wo die Grenzen seien. Mehrere Parlamentarierinnen kamen zu Wort und berichteten über «unangebrachte Gesten, die sie wirklich darüber nachdenken lassen, wohin sie gehen oder ob sie es noch wagen, mit gewissen Personen den Lift zu nehmen» (Céline Amaudruz; svp, GE), über «sexistische Sprüche» (Yvonne Feri; sp, AG) oder gar Vergewaltigungsdrohungen in Kommissionssitzungen (Maria Roth-Bernasconi; sp, GE). Viele Parlamentarierinnen erhielten Bemerkungen zu ihrer Kleidung, ihrem Make-Up, ihren Beinen, ihren Brüsten; viele wüssten nicht, wie sie reagieren sollten, würden resignieren und versuchten, damit zu leben.
Maya Graf (gp, BL) forderte als Präsidentin des Frauendachverbandes Alliance F eine Meldestelle für Parlamentsmitglieder, bei der sexuelle Belästigung gemeldet werden könne. Sexismus gehöre leider immer noch zur Tagesordnung; das sei im Parlament nicht anders. Freilich gab es auch Stimmen, die ein Sexismus-Problem im Bundeshaus als «Blödsinn» bezeichneten (Verena Herzog; svp, TG) und keinen Handlungsbedarf sahen. Um gewählte Nationalrätin zu sein, müsse man stark und durchsetzungsfähig sein und könne sich wohl zur Wehr setzen, befand Andrea Gmür (cvp, LU). Natalie Rickli (svp, ZH) warnte davor, nun gleich alle Männer im Bundeshaus unter Generalverdacht zu stellen. Auch Kathrin Bertschy (glp, BE) betonte im Tages-Anzeiger, dass sich die grosse Mehrheit der männlichen Kollegen auch bei informelleren Anlässen, in denen Alkohol fliesse, «normal und anständig» verhalten würde. Wie überall gebe es aber auch hier «ein paar Typen, die enthemmter sind und die Grenzen nicht kennen.»

Wie ambivalent die Debatte um #metoo ist und wie schwierig es eben ist, sich zu wehren, zeigten die Auseinandersetzungen um die Anschuldigungen von Céline Amaudruz zu den unangebrachten Gesten und ihren Bedenken, mit gewissen Personen den Lift zu benutzen. Nachdem der Sonntags-Blick kolportiert hatte, dass ihre Andeutung wohl Buttet gegolten haben müsse – der Walliser soll sie beim Apéro nach der Wahl von Ignazio Cassis in stark angetrunkenem Zustand belästigt haben –, wurde die Genferin laut Medien in ihrer Fraktion von Adrian Amstutz (svp, BE) heftig kritisiert. Sie schade der Partei und allen Parlamentariern, wenn sie Äusserungen mache ohne konkret zu werden und Namen zu nennen. Laut Sonntags-Blick habe die Genferin darauf unter Tränen das Fraktionszimmer verlassen. In seinem Editorial in der Weltwoche doppelte Roger Köppel (svp, ZH) nach: Das Klima im Bundeshaus sei «sexismusfeindlich», Männer stünden unter Generalverdacht. Und weiter: «Eine Politikerin, die ich noch nie ohne kurzen Rock oder hautenge Bluse gesehen habe, beschwert sich, sie würde mit gewissen Herren niemals in den Lift steigen.» Das Problem sei, so die Tribune de Genève, dass Frauen von Opfern zu Täterinnen gemacht würden – auch im Bundeshaus. Die «manipulierende Wirkung der medialen Öffentlichkeit» – so die Wochen-Zeitung – sei vor allem für Frauen verheerend, denen, wenn sie eine Anschuldigung vorbrächten, eine mediale Hetzjagd und die Ausleuchtung ihres Privatlebens drohe: «Kann eine Situation juristisch nicht eindeutig geklärt werden, bleibt die Geschichte vor allem an der Frau kleben. Sie kriegt den Schlampenstempel aufgedrückt.»

Buttet wurde kurz nach Bekanntwerden der Anschuldigungen von seinem Amt als CVP-Vizepräsident suspendiert. Einen Rücktritt als Nationalrat schloss Buttet vorerst allerdings aus, auch wenn sich gar CVP-Bundesrätin Doris Leuthard in die Debatte einbrachte. Falls die Vorwürfe korrekt seien, habe Herr Buttet ein Problem, sagte die Magistratin bei einem TV-Interview: «Alle diese Herren, die sich nicht zu benehmen wissen, nerven mich [...]. In der Politik ist das inakzeptabel», wurde das Interview bei RTS im Blick zitiert. Rund fünf Tage nach Bekanntwerden des Stalking-Vorwurfs liess sich Buttet krank schreiben. Er wolle eine Kur beginnen, um sein Alkoholproblem in den Griff zu kriegen, liess er über seinen Anwalt verkünden. Damit vermied er eine geplante Anhörung durch die Parteileitung. CVP-Präsident Gerhard Pfister (cvp, ZG) nahm in der Folge vor der Presse Stellung. Buttets Verhalten sei in der Tat inakzeptabel, aber auch für ihn gelte die Unschuldsvermutung.
Freilich wurden nicht nur die Rücktrittsforderungen, sondern auch die Forderungen nach einem Parteiausschluss lauter. Insbesondere nachdem in Le Temps sechs weitere Frauen zu Wort gekommen waren, die detailliert sexuelle Belästigungen von Buttet beschrieben, und nachdem bekannt wurde, dass die Walliser Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen Nötigung eingeleitet hatte. Ohne mit seiner Partei das Gespräch gesucht zu haben, zog Buttet wohl auch deshalb die Reissleine und gab am Sonntag, 18. Dezember 2017 seine Demission als Nationalrat bekannt. Er erklärte via Communiqué, im Interesse der CVP und seiner Familie zurückzutreten. Er wolle sein Umfeld schützen und die notwendige Ruhe für den Heilungsprozess von seiner Alkoholabhängigkeit schaffen. Für Buttet, der Gemeindepräsident von Collombey-Muraz (VS) blieb, rutschte Benjamin Roduit (cvp, VS) in den Nationalrat nach.

Eine rasche Reaktion auf die Debatten zeigten die beiden Ratspräsidien. Karin Keller-Sutter (fdp, SG) und Dominique de Buman (cvp, FR) fassten eine «Lex Buttet» (Blick) ins Auge. Sexuelle Belästigung müsse verurteilt werden und gegen sie sei «mit aller Entschiedenheit» vorzugehen, so die Ständeratspräsidentin und der Nationalratspräsident in einem gemeinsamen Communiqué. Mitte Dezember legte die Verwaltungsdelegation in Absprache mit den Rats- und den Fraktionspräsidien dann ein Dokument vor, in dem den Parlamentsmitgliedern geraten wurde, sich bei sexueller Belästigung künftig an die Fraktionsspitzen oder eine externe Beratungsstelle zu wenden. Das Dokument hielt zudem den Unterschied zwischen einem Flirt und sexueller Belästigung fest, wie er auch im Ratgeber für Arbeitnehmende des Bundes vermerkt ist: Ein Flirt sei «aufbauend», «von beiden Seiten erwünscht» und löse «Freude aus», während sexuelle Belästigung «erniedrigend», «von einer Person nicht erwünscht» sei und «Ärger» auslöse. Mit diesem Dokument drifte die Debatte ins Lächerliche ab, bedauerte Natalie Rickli, als «fausse bonne idée» bezeichnete Doris Fiala (fdp, ZH) das Unterfangen laut Tages-Anzeiger. Leider mache man nur noch Witze, wenn man «wie Schulbuben» behandelt werde, obwohl es bei Stalking und sexuellen Belästigungen um wichtige Themen ginge. Géraldine Savary (sp, VD) befand es hingegen für nützlich, in Erinnerung zu rufen, «was normal sein sollte, es aber offenbar nicht für alle ist». Es sei gut darüber zu reden, weil das vor allem den Frauen helfe, sich bewusst zu werden, dass man Grenzen setzen dürfe und müsse, gab sie dem Tages-Anzeiger zu Protokoll.

Einige Medien reflektierten ihre eigene Rolle in der Affäre: Buttets Karriere ende, bevor erwiesen sei, ob und was er sich zuschulden habe kommen lassen – so etwa die Basler Zeitung. Die Unschuldsvermutung habe keinen Wert mehr und in den letzten drei Wochen habe eine «veritable Hetzjagd» mit zahlreichen anonymen Beschuldigungen stattgefunden. Nur eine Frau habe aber genug Rückgrat gehabt, Buttet anzuzeigen, seine ehemalige Geliebte. Die «tolérance zéro» sei zur Norm im Parlament geworden, urteilte die Tribune de Genève und stellte einen Vergleich mit dem Rücktritt von Jonas Fricker (gp, AG), dem Wirbel um ein aussereheliches Kind von Christophe Darbellay (VS, cvp) und der Affäre um Geri Müller (gp, AG) her. Jemand mache einen Fehler, es komme zu einem Mediengewitter und zu grossem politischen Druck, dem nur noch durch einen Rücktritt begegnet werden könne. Man müsse sich fragen, ob die immer schneller agierenden Medien Meinungen abbildeten oder selber formten. Sie hätten auf jeden Fall die Macht, zu definieren, was moralisch vertretbar sei. Die Vermischung von privatem und öffentlichem Leben nehme zu. Man müsse freilich unterscheiden zwischen moralischen und strafrechtlichen Verfehlungen – so die Tribune de Genève.

Mitte August 2018 wurde bekannt, dass Buttet wegen Nötigung und unrechtmässiger Aneignung zu einer Geldstrafe auf Bewährung verurteilt worden war. Er selber bezeichnete die damals publik gewordene Verhaftung laut der NZZ als Resultat einer politischen Verschwörung. Er überlege sich, im Herbst 2019 für den Ständerat zu kandidieren.

Affäre Buttet

Gleich fünf neue Ratsmitglieder wurden zu Beginn der Wintersession 2017 neu vereidigt. Diana Gutjahr (svp, TG), Jahrgang 1984, ersetzt Hansjörg Walter (svp, TG). Walter trat nach 18 Jahren als Nationalrat zurück. Der ehemalige Bauernverbands- und Nationalratspräsident wird als zweimaliger Bundesratskandidat in Erinnerung bleiben. 2008 war er, von Links-Grün sowie Teilen der FDP und der CVP als Sprengkandidat gesetzt, um lediglich eine Stimme Ueli Maurer unterlegen. 2011 wurde er, nachdem der eigentlich nominierte Bruno Zuppiger (svp, ZH) wegen Verdachts auf Veruntreuung nicht mehr antreten konnte, von seiner eigenen Partei nominiert, unterlag aber der amtierenden Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf. Seine Nachfolgerin ist Vizepräsidentin des Thurgauer Gewerbeverbandes. Die „Strahlefrau der Thurgauer SVP” (NZZ) gilt als Zögling des ehemaligen Nationalrats Peter Spuhler.
Mit Hansjörg Brunner (fdp, TG) rutschte gleich auch der Präsident des Thurgauer Gewerbeverbandes nach. Der 51-jährige Inhaber einer Druckerei nimmt den Platz von Hermann Hess (fdp, TG) ein, der nach lediglich zwei Jahren und ohne einen Vorstoss lanciert zu haben, wieder von der nationalen Politikbühne abtritt.
Dem Rücktritt von Jonas Fricker (gp, AG), der durch die 30-jährige Islamwissenschafterin Irène Kälin (gp, AG) ersetzt wird, ging ein – je nach medialer Lesart – „Eklat” (Aargauer Zeitung), ein „Schock” und „Skandal” (Blick) oder lediglich eine „verbale Entgleisung” (Tagesanzeiger) voraus. Fricker hatte in einem Votum zur Fair-Food-Initiative einen Schweinetransport mit der Deportation von Juden verglichen. Er habe bei einem Dokumentarfilm über den Transport von Schweinen unweigerlich an die Massendeportationen nach Auschwitz aus dem Film „Schindlers Liste” denken müssen. Fricker wörtlich: „Die Menschen, die dort deportiert wurden, die hatten eine kleine Chance zu überleben. Die Schweine, die fahren in den sicheren Tod.” Allerdings entschuldigte sich der Aargauer Grüne noch während der Debatte für seine Aussage und bat anschliessend auch den Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund um Verzeihung. Dieser akzeptierte die Entschuldigung zwar, die Spitze der grünen Partei distanzierte sich allerdings von Frickers Vergleich, der „inakzeptabel” sei – so Balthasar Glättli (gp, ZH) im Blick. Besonders hart ins Gericht mit Fricker ging ebendiese Boulevardzeitung, die – sekundiert von alt-Nationalrat Josef Lang – relativ rasch den Rücktritt Frickers forderte. Eine Forderung, der Fricker schliesslich zwei Tage nach seiner Aussage nachkam. Er trete zurück, weil es für ihn das stärkste Zeichen sei, das er setzen könne. Der Rücktritt wurde allerdings unterschiedlich interpretiert. Während der „Blick” ihn als Grösse feierte, hinterfragten der Tagesanzeiger und die NZZ, ob dieser Rücktritt wirklich nötig gewesen sei. Schliesslich sei Fricker von der Aargauer Bevölkerung gewählt worden. Irène Kälin, seine Nachfolgerin und „neckischerweise mit einem bekannten Ringier-Mann liiert” (NZZ, 4.10.), politisiere pointierter links als Fricker. Der Abgang sei deshalb fragwürdig.
Auch in der EVP kam es zu einem Personalwechsel. Niklaus-Samuel Gugger (evp, ZH) rutschte für Maja Ingold (evp, ZH) nach, die seit 2010 im Nationalrat sass und damals, als Nachfolgerin von Ruedi Aeschbacher, die erste Frau der EVP auf nationaler Ebene war. Ingold – die aus Altersgründen zurücktreten wollte –, wie auch Gugger, stammen aus Winterthur. Gugger ist der erste Nationalrat mit indischen Wurzeln. Seine Eltern waren Entwicklungshelfer und adoptierten ihn als Baby in Indien.
Rocco Cattaneo (fdp, TI) rutschte für den in den Bundesrat gewählten Ignazio Cassis nach. Der 59-jährige ehemalige Veloprofi und Unternehmer machte gleich auf sich aufmerksam, weil er mit dem Velo bereits am Freitag aus dem Tessin an die Session fuhr – von Bironico am Monte Ceneri über den Gotthard nach Bern; also rund 250 Kilometer mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 30 km/h, wie der Neo-Nationalrat betonte. Er verstehe seine Tour auch als Plädoyer für sichere Velowege – ein Vorgeschmack auf die Debatte um die Velo-Initiaitive, in deren Komitee Cattaneo sitzt.
Die fünf Neuen – bei Halbzeit der 50. Legislatur waren bisher 10 Mutationen zu verzeichnen – wurden vereidigt (Brunner, Cattaneo und Gugger) bzw. legten das Gelübde ab (Gutjahr und Kälin).

Mutationen 2017
Dossier: Mutationen im nationalen Parlament

Eine Studie zeigte 2015 auf, dass die Fraktionsgeschlossenheit in den letzten rund 30 Jahren in der Schweiz auch aufgrund einer Professionalisierung der Parteien zugenommen hatte. Am deutlichsten haben sich dabei die Polparteien SP und SVP, aber auch die FDP diszipliniert. Im Vergleich zu anderen westeuropäischen Parlamenten sei die Fraktionsdisziplin in der Schweiz aber nach wie vor gering.
In den Medien wurde die Studie breit aufgenommen. Das St. Galler Tagblatt wusste zu berichten, dass die Fraktionen Regeln einführten, um die Fraktionsdisziplin zu erhöhen. Bei der FDP würden etwa Geschäfte als strategisch erklärt, was für die Fraktionsmitglieder bedeute, dass entweder mit der Mehrheit gestimmt oder sich der Stimme enthalten werden müsse. Auch die CVP und die BDP würden solche Regeln kennen, wobei eine Zweidrittelmehrheit (bei der BDP eine einfache Mehrheit) bestimme, ob ein Geschäft strategisch sei. Bei den Polparteien gebe es keine solche Regeln, sie stimmten «naturgemäss» geschlossener, oder der soziale Druck oder allenfalls persönliche Gespräche mit potenziellen Abweichlern würden hier reichen.
Allerdings beschrieb der «Blick» einen Vorfall, bei dem ein SVP-Parlamentarier von Fraktionschef Adrian Amstutz (BE) im Parlament lautstark in die Schranken gewiesen worden sei, weil er als einziger anders als die Fraktion abgestimmt habe. Das Boulevardblatt zitierte einen Passus im Fraktionsreglement der Volkspartei, nach dem Mitglieder, die den Interessen der SVP zuwiderhandelten, ausgeschlossen würden. Bei den Grünen wiederum herrsche der Grundsatz, dass eine abweichende Position vorgängig transparent gemacht werde, kommentierte die Aargauer Zeitung.

Mitte Oktober 2017 wertete der «Blick» aus, wie häufig Nationalrätinnen und Nationalräte von der Fraktionsmeinung abweichen. Wenig überraschend waren dies jene Parlamentarierinnen und Parlamentarier, deren Partei zu klein war für eine eigene Fraktion. So wies die Analyse Marianne Streiff-Feller (evp, BE; bei 78.5% der Abstimmungen gleicher Meinung wie die Fraktion) und Maja Ingold (evp, ZH; 80%), die als EVP-Mitglieder der CVP-Fraktion angehören, sowie Roberta Pantani (lega, TI; 88.2%), die sich als Lega-Mitglied der SVP-Fraktion angeschlossen hatte, als häufigste Abweichlerinnen aus. Interessanterweise fanden sich unter den Top 10 auch fünf FDP-Mitglieder. Allerdings stimmten Walter Müller (fdp, SG: 89.4%), Hans-Ulrich Bigler (fdp, ZH; 89.5%), Philippe Nantermod (fdp, VS: 89.9%), Hans-Peter Portmann (fdp, ZH: 91.4%) und Bruno Pezzatti (fdp, ZG: 91.7%) noch immer bei 9 von 10 Abstimmungen wie die Mehrheit ihrer Fraktion. Abweichler seien wichtig, so der «Blick», weil mit ihnen Allianzen über die Parteigrenzen hinweg geschmiedet würden. Unter den zehn fraktionstreusten Parlamentsmitgliedern fanden sich je vier GLP-Mitglieder (Tiana Angelina Moser, ZH: 99.7%; Beat Flach, AG: 99.6%; Thomas Weibel, ZH: 99.5% und Kathrin Bertschy, BE: 99.5%) sowie fünf SP-Mitglieder (Martin Naef, ZH: 99.5%; Claudia Friedl, SG: 99.5%; Martina Munz, SH: 99.4%; Silvia Schenker, BS: 99.4% und Yvonne Feri, AG: 99.4%). Sie alle stimmten – wie auch Sibel Arslan (basta, BS: 99.4%) von der Fraktion der Grünen – in mehr als 99 von 100 Abstimmungen wie die Mehrheit ihrer Fraktionen.

Fraktionsdisziplin

Die Ständeratswahlen im Kanton Bern waren über Jahrzehnte hinweg durch eine «geeinte Standesstimme» der Bürgerlichen geprägt. Seit 2003, als das FDP-SVP Gespann bei den Wahlen erstmals von Simonetta Sommaruga durchbrochen worden war, war das bürgerliche Doppelticket allerdings passé. 2015 stellten sich die amtierenden Hans Stöckli von der SP und Werner Luginbühl von der BDP zur Wiederwahl. Allen voran die SVP war erpicht darauf, endlich wieder einen eigenen Ständerat zu stellen, nachdem 2011 der wenige Monate zuvor bei Ersatzwahlen gewählte Adrian Amstutz die Wiederwahl verpasst hatte. Dieses Mal sollte es für die Volkspartei Nationalrat Albert Rösti richten. Der Freisinn schickte die Generalsekretärin der FDP Frauen Schweiz, Claudine Esseiva, ins Rennen. Die grüne Grossrätin Christine Häsler präsentierte sich auf einem gemeinsamen Ticket mit SP-Mann Stöckli. Neben Luginbühl kandidierten als weitere Kandidierende der Mitte GLP-Nationalrat Jürg Grossen und EVP-Nationalrätin Marianne Streiff-Feller. Ergänzt wurde das Feld durch Jorge Ananiadis und Denis Simonet von der Piratenpartei sowie durch die parteilosen Bruno Moser und Josef Rothenfluh.
Gefährlich werden konnte den beiden Bisherigen eigentlich nur der Herausforderer der SVP: Nationalrat Albert Rösti. Fast schon traumatisch war für die SVP das Scheitern von Adrian Amstutz bei den Erneuerungswahlen 2011 gewesen, als dieser im ersten Wahlgang noch den Spitzenplatz erreicht hatte, am Ende aber klar auf den dritten Rang verwiesen worden war. Das Kalkül hinter der Nominierung von Rösti bestand darin, einen gemässigten Kandidaten zu präsentieren, welcher auch über die Parteigrenzen hinweg Stimmen holen würde. Die Medien spekulierten, dass Röstis Chancen wohl stark von der Konstellation am Ende des ersten Durchgangs abhängen werden. Angesichts der Vielzahl an Anwärterinnen und Anwärtern erschien das Erreichen des absoluten Mehrs im ersten Wahlgang als zu hohe Hürde. Würde diese Hürde aber keiner der Kandidierenden überspringen, werde sich die Aufgabe für einen SVP-Vertreter – wie schon 2011 – als schwierig darstellen. Bei der SVP versuchte man deshalb, taktisch vorzugehen. Die Partei empfahl in Inseraten einzig Röstis Namen auf die Wahlunterlagen zu schreiben. Die Idee dahinter war, das absolute Mehr zu senken, und damit Rösti die Wahl im ersten Durchgang zu ermöglichen. Umfragen im Vorfeld der Wahlen deuteten aber darauf hin, dass wohl eher Stöckli oder Luginbühl bereits am 18. Oktober zum Sieger gekürt werden würde. In diesem Fall wäre für die SVP die vorzeitige Wahl von Luginbühl das erwünschte Szenario gewesen, da man sich bei einem Duell zwischen Stöckli und Rösti im letztlich eher bürgerlichen Kanton Bern eher Chancen ausrechnete. Unabhängig von diesen Rechenspielen war man sich einig, dass Rösti trotz seiner konzilianteren Art einen schweren Stand haben würde. Wie die Wahlbefragungen im Vorfeld aufzeigten, schien die Wählerschaft ausserhalb der SVP nämlich kaum bereit, den Berner Oberländer zu unterstützen. Röstis Positionen wichen denn auch kaum von der SVP-Parteilinie ab. Stöckli und Luginbühl hingegen galten als gemässigte Pragmatiker, welche dadurch – im Gegensatz zu Rösti – auch in anderen Wählerteichen fischen konnten. Die übrigen Ständeratskandidaturen wurden generell als Wahlkampflokomotiven für die Nationalratswahlen interpretiert. Am meisten zu reden gab hier FDP-Kandidatin Claudine Esseiva. Eine Auswertung von Daten der Plattform smartvote ergab, dass Esseiva von allen Kandidierenden am weitesten weg von ihrer Partei politisierte. Sie galt als Vertreterin des linken, urbanen Flügels der FDP. Ihre Unterstützung für Budgetkürzungen bei der Armee und einer Frauenquote in Unternehmen sorgte im rechten Flügel des Freisinns für Unverständnis. In den Medien kolportierte interne Querelen wurden von der FDP jedoch dementiert. Christine Häsler galt als grüne Kandidatin, «die auch Bürgerlichen gefällt», wie die Berner Zeitung titelte. Sie wurde zwar wie ihr Kollege Stöckli als umgängliche Pragmatikerin bezeichnet, ein Blick auf ihr smartvote-Profil machte aber klar, dass sich auch ihre Positionen praktisch ausnahmslos mit jenen ihrer Partei deckten. In Sachen kreativer Wahlkampf machten die beiden Kandidaten Stöckli und Rösti von ihren passenden Namen Gebrauch. Der SVP-Kandidat tourte mit seiner Aktion «Rösti mit Rösti» durch den Kanton, während sein SP-Gegenspieler den Wahlspruch «Hans wieder ins Stöckli» prägte.

Am Wahltag übersprang keiner der Kandidierenden das absolute Mehr. An die Spitze setzte sich der Wahlsieger von 2011, Werner Luginbühl, mit 151'069 Stimmen. Das absolute Mehr von 152'860 Stimmen verpasste er somit nur hauchdünn. Dahinter folgte der zweite Amtsinhaber, Hans Stöckli, mit 144'805 Stimmen. Nur für den dritten Platz reichte es Albert Rösti, welcher 136'055 Stimmen erhielt. Als erste Verfolgerin des Spitzentrios durfte sich die Grüne Christine Häsler (73'109 Stimmen) feiern lassen. Es folgten Claudine Esseiva mit 32'615 Stimmen, Jürg Grossen mit 29'125 Stimmen und Marianne Streiff-Feller mit 23'138 Stimmen. Auf den hintersten Rängen landeten Jorge Ananiadis (8'288 Stimmen), Denis Simonet (5'333 Stimmen), Bruno Moser (4'144 Stimmen) und Josef Rothenfluh (3'786 Stimmen). Für die SVP und Albert Rösti war damit das wohl ungünstigste Szenario eingetreten. Einerseits, weil Luginbühl die Hürde des absoluten Mehrs denkbar knapp verpasst hatte, andererseits, weil Rösti bei weitem nicht an das gute Erstresultat von Adrian Amstutz vor vier Jahren anknüpfen konnte. Schlechte Stimmung herrschte auch bei der FDP. Zwar hatte man sich kaum reellen Wahlchancen für Esseiva ausgerechnet, aber ihr Resultat blieb klar unter den Erwartungen. Die spärlichen FDP-Stimmen hatten indirekt auch Auswirkungen auf die Chancen Röstis, da dessen ausserparteiliche Unterstützung in einem zweiten Durchgang am ehesten noch von der freisinnigen Wählerschaft erwartet worden wäre. Am Dienstag nach der Wahl gab die SVP dann allerdings bekannt, dass Rösti sich vom Rennen zurückziehen werde. Dass der zweite Wahlgang nicht zur stillen Wahl avancierte, war dem politischen Querkopf Bruno Moser geschuldet. Der chancenlose Bieler, welcher mit Forderungen nach einer Bodenwertsteuer und allerlei Verschwörungstheorien auf sich aufmerksam machte, wollte laut eigener Aussage dem Stimmvolk eine Auswahl bieten. Seine Kandidatur zog aber im ganzen Kanton eher Ärger auf sich, weil der eigentlich unnötige zweite Wahlgang Kosten von circa einer halben Million Schweizerfranken verursachte. Stöckli und Luginbühl reduzierten ihrerseits den Wahlkampf auf ein Minimum und unterstützten einen Vorschlag der BDP, der für zukünftige Kandidaturen eine Stimmenhürde für den zweiten Wahlgang vorsah.

BDP-Ständerat Werner Luginbühl erzielte dann am 15. November erneut das beste Resultat und setzte sich mit einem Endergebnis von 169'903 Stimmen an die Spitze. Hinter ihm schaffte der SP-Vertreter Hans Stöckli die Wiederwahl mit 159'974 Stimmen. Erwartet chancenlos blieb der parteilose Bruno Moser, welcher auf 22'966 Stimmen kam. Da der zweite Durchgang mehr oder weniger Makulatur war, lag auch die Stimmbeteiligung mit 29 Prozent sehr tief – im ersten Wahlgang waren noch 48.8 Prozent aller wahlberechtigten Bernerinnen und Berner an die Urne gegangen. BDP und SP stellten damit erneut die Ständeratsdelegation, während die SVP weiterhin aussen vor blieb.

Kanton Bern -Ständeratswahlen 2015
Dossier: Resultate Ständeratswahlen 2015 (nach Kantonen)

In der Folge der Affäre um den ehemaligen Nationalbankchef Philipp Hildebrand wurde Christoph Blocher im Vorjahr nach Hin und Her zwischen grosser und kleiner Kammer die Immunität entzogen. Blocher stand unter Verdacht, das Bankgeheimnis verletzt zu haben. Die Entziehung der Immunität des Zürcher Nationalrats rief die SVP auf den Plan, die kurz nach dem Entscheid zwei parlamentarische Initiativen einreichte. Die Initiative Baader (svp, BL) (12.455) verlangt, dass einem Beschuldigten in Form der Einsprache ein Rechtsmittel an die Hand gegeben wird, da ein letztlich immer politischer Entscheid zur Aufhebung der Immunität in diesem Fall und nach neuer Regelung nur von einer kleinen Minderheit gefällt wurde. Die Initiative Amstutz (svp, BE) (12.458) wollte die alte Regelung wieder einführen, nach der das ganze Ratsplenum über Immunitätsaufhebung entscheidet. Tatsächlich war mit der Revision des Parlamentsgesetzes 2011 im Nationalrat eine Kommission geschaffen worden, die mit diesen Geschäften alleine betraut wurde. Amstutz wollte zudem die relative Immunität wieder stärken. Weil mit der Revision auch eingeführt worden war, dass die relative Immunität nur dann gelte, wenn eine allfällig strafbare Handlung unmittelbar mit dem Ratsmandat verknüpft werden könne, werde die parlamentarische Tätigkeit erschwert. Die Initiative Baader wurde im Rat mit 127 zu 52 Stimmen aus der SVP deutlich abgelehnt. Adrian Amstutz zog seine Initiative in der Folge zurück. Im Berichtsjahr hatten sich die zuständigen Kommissionen zudem gegen die Aufhebung der Immunität von Toni Brunner ausgesprochen, der wegen des so genannten „Schlitzer-Inserates“ strafrechtlich hätte verfolgt werden sollen.

Immunität