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Jahresrückblick 2022: Parteien

Die Parteien als wichtige politische Akteure werden in der Öffentlichkeit besonders stark im Zusammenhang mit Wahlen und Abstimmungen wahrgenommen. Mit den Bundesratsersatzwahlen vom Dezember 2022 schnellte insbesondere die Medienpräsenz der SVP und der SP, in geringerem Mass auch jene der Grünen in die Höhe (siehe Abbildung 1 der APS-Zeitungsanalyse 2022 im Anhang).
Die SVP hatte dabei den zurücktretenden Ueli Maurer zu ersetzen. Zu reden gab dabei, dass die in den letzten Jahrzehnten tonangebende Zürcher Kantonalsektion erst nach längerer Suche überhaupt eine Kandidatur präsentieren konnte (alt Nationalrat Hans-Ueli Vogt), während die Berner Sektion mit Nationalrat Albert Rösti und Ständerat Werner Salzmann gleich zwei Kandidaten ins Rennen schicken konnte. Relativ früh zeichnete sich ab, dass es anders als bei früheren Bundesratswahlen bei der SVP zu keiner Zerreissprobe und allfälligen Parteiausschlüssen kommen würde, da die anderen Fraktionen keine Ambitionen erkennen liessen, eine Person ausserhalb des offiziellen SVP-Tickets zu wählen, für das die SVP-Fraktion letztlich Vogt und Rösti auswählte. Schliesslich erhielt die SVP mit Albert Rösti einen Bundesrat, der als linientreu und gleichzeitig umgänglich im Ton gilt.
Die SP wiederum hatte nach dem überraschenden Rücktritt von Simonetta Sommaruga nur wenig Zeit für die Nominierung ihrer Kandidaturen. Für gewisse Turbulenzen sorgte hier der von der Parteispitze rasch und offensiv kommunizierte Antrag an die Fraktion, sich auf Frauenkandidaturen zu beschränken. Ständerat Daniel Jositsch (sp, ZH) rebellierte zunächst dagegen und gab seine eigene Kandidatur bekannt, zog diese aber wieder zurück, nachdem die SP-Fraktion dem Antrag der Parteispitze deutlich zugestimmt hatte. Mit einer «Roadshow» der Kandidatinnen in verschiedenen Landesteilen versuchte die SP trotz der knappen Zeit noch vom Schaufenstereffekt der Bundesratswahlen zu profitieren. Aufs Ticket setzte die Fraktion schliesslich die beiden Ständerätinnen und ehemaligen Regierungsrätinnen Eva Herzog (BS), die Mitglied der SP-Reformplattform ist und eher dem rechten Parteiflügel zugerechnet wird, und Elisabeth Baume-Schneider (JU), die als umgänglicher und weiter links stehend gilt. Im Parlament gingen in den ersten Wahlgängen überraschend viele Stimmen an den nicht auf dem Ticket stehenden Jositsch, bevor schliesslich Baume-Schneider den Vorzug vor Herzog erhielt. Wenig erbaut zeigte sich die SP von der anschliessenden Departementsverteilung, bei der Baume-Schneider das EJPD zugeteilt und Alain Berset ein angeblich gewünschter Wechsel aus dem EDI verwehrt wurde.
Dass weder die SVP noch die SP um ihre zweiten Bundesratssitze bangen mussten, hatte auch damit zu tun, dass sich die Grünen, die bei den letzten Gesamterneuerungswahlen noch mit einer Sprengkandidatur angetreten waren, selbst früh aus dem Rennen nahmen. Manche Beobachterinnen und Beobachter warfen den Grünen deswegen Harmlosigkeit und mangelnden Machtinstinkt vor. Die Grünen argumentierten dagegen, dass ein Angriff auf den SP-Sitz dem rot-grünen Lager keine Stärkung bringen würde und ein Angriff auf den SVP-Sitz aussichtslos gewesen wäre, weil das «Machtkartell» der bisherigen Bundesratsparteien keine Sitzverschiebungen wolle.

Alle 2022 durchgeführten kantonalen Wahlen wurden von den Medien auch als Tests für den Formstand der Parteien im Hinblick auf die eidgenössischen Wahlen im Herbst 2023 interpretiert. Die grossen Zwischenbilanzen, die im März nach den kantonalen Wahlen in Bern, der Waadt, Obwalden und Nidwalden gezogen wurden, bestätigten sich im Wesentlichen auch in den folgenden Glarner und Zuger Wahlen (allerdings nicht in Graubünden, das wegen einem Wechsel des Wahlsystems jedoch einen Sonderfall darstellt): Die «grüne Welle» rollte weiter, zumal die Grünen und noch stärker die GLP fast durchwegs Zugewinne verbuchen konnten. Demgegenüber büssten alle vier Bundesratsparteien Stimmenanteile ein, am deutlichsten die SP. Spekulationen über Gewinne und Verluste bei den nationalen Wahlen und mögliche Auswirkungen für die Sitzverteilung im Bundesrat sind freilich zu relativieren, weil sich Themen- und Parteienkonjunktur bis im Oktober 2023 noch deutlich verändern können und sich kantonale Wahlergebnisse aus mehreren Gründen nicht einfach auf die nationale Ebene übertragen lassen.

Misst man den Rückhalt der Parteien an ihrem Erfolg in den Volksabstimmungen, so ergibt sich ein etwas anderes Bild: Am häufigsten – nämlich bei 8 von 11 Abstimmungsvorlagen – stand dieses Jahr die EVP mit ihren Parolen auf der Siegerseite, gefolgt von EDU, FDP, GLP und Mitte (je 7). Seltener jubeln konnten die Parteien an den linken und rechten Polen des Spektrums (Grüne, PdA, SP und SVP: je 6). Freilich ist nicht jede Abstimmungsvorlage für jede Partei gleich wichtig. So war etwa für die SP das knappe Ja zur AHV-21-Reform mit der Frauenrentenaltererhöhung besonders schmerzhaft, die beiden Nein zu den Teilabschaffungen von Stempel- und Verrechnungssteuer hingegen besonders erfreulich. Für FDP und SVP war es gerade umgekehrt, daneben war für sie auch die Ablehnung des Medienpakets ein bedeutender Erfolg.

Mit Blick auf ihre Mitgliederzahlen sahen sich derweil fast alle grösseren Parteien im Aufwind: GLP, Grüne, Mitte, SP und SVP meldeten im Vergleich zu 2020 Mitgliederzuwächse im vierstelligen Bereich, die FDP hatte keine Informationen zu ihrer aktuellen Mitgliederentwicklung. Ein Grund für die vermehrte Hinwendung zu den Parteien könnte sein, dass die stark alltagsrelevante Covid-19-Pandemie, die intensivierte Diskussion um den Klimawandel und aussergewöhnlich intensive Abstimmungskämpfe etwa zur Konzernverantwortungsinitiative im November 2020 und zu den beiden Covid-19-Gesetzesvorlagen im Juni und im November 2021 viele Bürgerinnen und Bürger stärker politisiert haben.

Das Jahr brachte in der Schweizer Parteienlandschaft auch einige strukturelle Veränderungen. So ist mit der Gründung einer Kantonalsektion in Uri die GLP nun erstmals in sämtlichen Kantonen präsent. Bei der BDP fand zum Jahresbeginn der umgekehrte Weg seinen Abschluss: Am 1. Januar 2022 hörten die letzten beiden BDP-Kantonalsektionen auf zu existieren, nachdem die Partei auf nationaler Ebene schon ein Jahr davor in der Mitte aufgegangen war. Ganz aufgelöst wurde sodann die Partei national orientierter Schweizer (Pnos), die als parteipolitischer Arm der rechtsextremen Szene in der Schweiz gegolten hatte. Sie war im Parteiensystem nie über eine marginale Rolle hinausgekommen. Ihre Auflösung bedeutet allerdings nicht das Aussterben rechtsextremer Ideologien im Land, sondern lediglich das – vorläufige – Ende der parteipolitischen Aktionsform des Milieus.

Nachdem der Bundesrat im zu Ende gehenden Jahr das Gesetz und eine konkretisierende Verordnung zur Transparenz der Politikfinanzierung in Kraft gesetzt hat, werden sich die Parteien im neuen Jahr erstmals an die entsprechenden Regeln halten müssen. Die Parteien, die in der Bundesversammlung vertreten sind, haben unter anderem ihre Gesamteinnahmen sowie Zuwendungen von über CHF 15'000 offenzulegen.

Jahresrückblick 2022: Parteien
Dossier: Jahresrückblick 2022

Weil die Ständeratswahlen im Kanton Jura mittels Proporzwahlsystem durchgeführt werden, brauchte es für die Nachfolge von Elisabeth Baume-Schneider (sp, JU), die in den Bundesrat gewählt worden war, keine Ersatzwahlen, wie dies in anderen Kantonen (mit Ausnahme des Kantons Neuenburg, der ebenfalls ein Proporzwahlsystem für seine Kantonsvertretung kennt) üblich ist. Stattdessen rückte die bei den eidgenössischen Wahlen 2019 Zweitplatzierte auf der SP-Liste in den Ständerat nach. Bei dieser Zweitplatzierten handelte es sich um Mathilde Crevoisier Crelier (sp, JU), die damit «aus dem politischen Nichts [...] direkt ins Stöckli» marschiere, wie der Tages-Anzeiger berichtete. Die Sozialdemokratin, für die die Wahl von Elisabeth Baume-Schneider in die Landesregierung eine grosse Überraschung gewesen sei, sass als Präsidentin der lokalen SP seit 2012 im Stadtparlament von Pruntrut und war 2022 in die Stadtregierung gewählt worden. Als Übersetzerin im Generalsekretariat des EDI ist sie mit der nationalen Politik vertraut. Diesen Beruf musste sie in der Folge allerdings aufgeben, weil Parlamentsmitglieder nicht gleichzeitig der Bundesverwaltung angehören dürfen. Nach kurzer Bedenkzeit legte sie auch ihre lokalpolitischen Ämter nieder, um sich ganz auf ihr Ständeratsmandat zu konzentrieren und es im Herbst als Bisherige zu verteidigen. Sie müsse praktisch ihr ganzes Leben umkrempeln, urteilte der Tages-Anzeiger.
In der Tat wurde Mathilde Crevoisier Crelier bereits in der letzten Woche der Wintersession 2022, also nur gut eine Woche nach der Wahl ihrer Listenkollegin in den Bundesrat, im Ständerat vereidigt. Die neue Ständerätin des Kantons Jura legte das Gelübde ab. Nach dem Rücktritt von Christian Levrat (sp, FR) und der entsprechenden Ersatzwahl von Isabelle Chassot (mitte, FR) zur neuen Ständerätin des Kantons Freiburg im Jahr 2021 stellte das Nachrücken der jurassischen Sozialdemokratin die zweite Mutation im Ständerat in der aktuellen Legislatur dar.

Mutationen 2022
Dossier: Mutationen im nationalen Parlament

Im Sommer 2022 kündigte Marianne Streiff-Feller (evp, BE) ihren Rücktritt aus dem Nationalrat an. Seit 2011 sass die Bernerin, die zudem von 2014 bis 2021 als Präsidentin der EVP amtete, in der grossen Kammer. Sie wolle mehr Zeit für ihre Familie haben, gab Streiff-Feller als Grund für ihren Rücktritt gegenüber den Medien an. Sie wolle sich zudem in Palliative Care weiterbilden.
In der Wintersession 2022 wurde Marc Jost (evp, BE) vereidigt, der für Streiff-Feller nachrutschte. Der 48-jährige Theologe war lange Zeit Grossrat im Kanton Bern und 2015/2016 Präsident des Kantonalberner Parlaments. Jost ist das 14. Mitglied im Nationalrat, das in der laufenden Legislatur nachrutschte.

Mutationen 2022
Dossier: Mutationen im nationalen Parlament

Die Mehrheit der SPK-SR sprach sich ein zweites Mal dagegen aus, der parlamentarischen Initiative ihrer Schwesterkommission Folge zu geben, mit der eine Präzisierung von Unterlistenverbindungen angestrebt werden sollte. In der ständerätlichen Debatte stand zwar kein Minderheitenantrag, aber ein Einzelantrag von Jakob Stark (svp, TG) zur Diskussion, weshalb Kommissionssprecher Mathias Zopfi (gp, GL) die Idee der Initiative ausführte. Auslöser der Diskussion seien wohl Unterlistenverbindungen bei den Nationalratswahlen 2019 gewesen. So habe etwa die GLP im Kanton Basel-Stadt auch deshalb einen Sitz gewonnen, weil sie sich zusammen mit der jungen GLP, aber auch der BDP und der EVP zur Unterlistenverbindung «Mitte» zusammengeschlossen habe. Zusätzlich habe aber auch eine Listenverbindung all dieser vier jeweils als «Mitte» betitelten Parteien (Mitte-GLP, Mitte-BDP, Mitte-EVP, Mitte-JGLP) mit der FDP, der CVP und der LDP bestanden. Auch in der staatsrechtlichen Literatur sei umstritten, ob besagte Unterlistenverbindung rechtlich zulässig gewesen sei, weil es sich hier eigentlich um «Unterlistenverbindungen zwischen verschiedenen Gruppierungen» handle. Hier wolle die SPK-NR Klarheit schaffen und explizit Unterlistenverbindungen nur noch zwischen «Flügeln von Parteien», aber nicht mehr zwischen «ähnlichen Gruppierungen» zulassen, wie es heute geregelt sei. Allerdings – und das sei der Grund für die Empfehlung der SPK-SR, der parlamentarischen Initiative keine Folge zu geben – würde diese Regelung erstens Parteien bevorzugen und Gruppierungen schaden, die ebenfalls bei Wahlen antreten, und zweitens würde sie nichts zur Klärung beitragen: Weder eine «Gruppierung» noch eine «Partei» könnten eindeutig definiert werden, so Zopfi. Jakob Stark erachtete dies als wichtige staatspolitische Frage. Unterlistenverbindungen seien mit viel Intransparenz verbunden und die Wählenden wüssten deshalb häufig nicht, wem sie eigentlich ihre Stimme gäben. Mit der neuen Lösung könnte etwas mehr Transparenz geschaffen werden, weil nur noch Unterlistenverbindungen innerhalb der gleichen Partei ermöglicht würden. Dies könnte im Gegensatz zur geltenden Regelung einfach kontrolliert werden. Dem widersprach Mathias Zopfi allerdings in einem weiteren Votum. Die aktuelle Regelung erachtete er als ausreichend: Auch mit dem Begriff «Gruppierung» hätten die Kantone die Handhabe, Entscheidungen wie in Basel-Stadt zu unterbinden. Es dürfe nicht jedes Mal zu Gesetzesänderungen kommen, bloss weil in den Kantonen bestehende Gesetze nicht richtig angewendet würden. Mit 32 zu 7 Stimmen (2 Enthaltungen) sprach sich die Ratsmehrheit gegen Folgegeben aus und erledigte den Vorstoss.

Präzisierung der Unterlistenverbindungen (Pa.Iv. 21.402)
Listenverbindungen und Zuteilungsverfahen – Reformvorschläge für eidgenössische Wahlen

Mit der Vereidigung von Daniel Ruch (fdp, VD) und Alexandre Berthoud (fdp, VD) zu Beginn der Sommersession 2022 sank der Frauenanteil im Nationalrat von 43 Prozent wieder auf 42.5 Prozent. In der Tat hatten die bisher elf Mutationen im Nationalrat – bei Ruch und Berthoud handelte es sich also um den zwölften und dreizehnten Sitzwechsel in der grossen Kammer in der laufenden Legislatur – einen Zuwachs von zwei Frauen bedeutet. Weil nun aber Alexandre Berthoud seine Parteikollegin Isabelle Moret (fdp, VD) ersetzte, verschob sich das Verhältnis wieder zu Ungunsten der Frauen.
Moret war im April 2022 in den Regierungsrat des Kantons Waadt gewählt worden und hatte deshalb ihren Rücktritt aus dem Nationalrat gegeben. Sie war 2006 in den Nationalrat nachgerutscht und konnte ihren Sitz an vier eidgenössischen Wahlen stets verteidigen, 2015 gar mit dem besten Ergebnis in der Romandie. 2017 kandidierte sie für den Bundesrat, unterlag bei den Wahlen aber Ignazio Cassis. Im schwierigen Corona-Jahr 2020 amtete Moret als Nationalratspräsidentin. Der 44-jährige Bankangestellte und Kantonalparteivizepräsident Berthoud hatte ebenfalls für den Regierungsrat im Kanton Waadt kandidiert, war dort aber sehr knapp unterlegen und nahm stattdessen den Platz von Isabelle Moret im Nationalrat ein. Dies obwohl eigentlich Rémy Jaquier auf der Liste der Nachrückenden an der Reihe gewesen wäre. Jaquier verzichtete allerdings, weil er mit 70 Jahren nicht noch eine politische Karriere beginnen wollte, womit Berthoud zum Handkuss kam.
Daniel Ruch – 59-jähriger Forstwirt und Gemeindepräsident von Corcelles-le-Jorat – rutschte für Frédéric Borloz (fdp, VD) nach. Auch Borloz war im April 2022 in die Waadtländer Kantonsregierung gewählt worden. Er sass seit 2015 im Nationalrat, wo er sieben Jahre in der KVF-NR geamtet hatte.

Mutationen 2022
Dossier: Mutationen im nationalen Parlament

Etwas überraschend kündigte Regula Rytz (gp, BE), laut Sonntagszeitung die «erfolgreichste grüne Politikerin der Schweiz», Anfang April 2022 nach 11 Jahren ihren Rücktritt aus dem Nationalrat an. Sie werde die Sondersession im Mai noch beginnen und dann «nochmal etwas Neues» anfangen, wie sie zu Protokoll gab. Neben einem privaten Beratungsbüro wird sie das Präsidium von Helvetas übernehmen und ihr Mandat als Delegierte bei den europäischen Grünen behalten. Rytz sass von 1994 bis 2005 im Berner Kantonsparlament und wurde 2004 in die Berner Stadtregierung gewählt. 2011 schaffte sie die Wahl in den Nationalrat und übernahm 2012 das Präsidium der Grünen Partei, zuerst zusammen mit Adèle Thorens (gp, VD), zwischen 2016 und 2020 alleine. Rytz führte die Grünen 2019 zu einem grossen Wahlsieg, stiess dann allerdings mit ihrer Forderung eines Bundesratssitzes für die GP beim Parlament auf taube Ohren und wurde – trotz Rekordstimmenzahl für eine grüne Bundesratskandidatur – nicht erste grüne Magistratin.
Für Regula Rytz rückte Natalie Imboden (gp, BE) nach. Die 51-jährige ist Kantonalpräsidentin der Grünen Partei und Generalsekretärin des Schweizerischen Mieterinnen- und Mieterverbands. Sie kündigte an, das Kantonalpräsidium und ihr Mandat im Kantonsparlament aufzugeben. Mit Imboden, die während der Sondersession das Gelübde ablegte, wurde die bisher zwölfte Mutation in der 51. Legislatur 2022 verzeichnet – elf im Nationalrat und eine im Ständerat.

Mutationen 2022
Dossier: Mutationen im nationalen Parlament

Zwei weitere Mutationen in der 51. Legislatur standen in der Wintersession 2022 an. Raphael Mahaim (gp, VD) rückte für Daniel Brélaz (gp, VD) nach und Benjamin Fischer (svp, ZH) nahm den Platz von Hans-Ueli Vogt (svp, ZH) ein.
Daniel Brélaz war in die Geschichte eingegangen, weil er der erste Grüne weltweit war, der 1979 in ein nationales Parlament gewählt worden war. Freilich gab es damals die Grünen als Partei noch nicht; er gewann den Sitz damals für die Groupement pour la protection de l'environement. Brélaz sass mit Unterbrüchen insgesamt 20 Jahre im nationalen Parlament – von 1979 bis 1989, von 2007 bis 2011 und von 2015 bis zu seinem Rücktritt, den er bereits vor den Wahlen 2019 angekündigt hatte. 1989 war er in die Stadtregierung von Lausanne gewählt worden, wo er es 2001 gar zum Stadtpräsidenten brachte. Allerdings konnte das «Urgestein», wie er in den Medien bezeichnet wurde, dann nicht wie angekündigt Ende der Frühjahrssession 2022 seinen Sessel räumen: Bereits zu Beginn der Session nahm Raphael Mahaim seinen Platz ein, weil der Gesundheitszustand von Brélaz nach einem Sturz die Teilnahme an der Session nicht erlaubte. Der 39-jährige Mahaim ist Anwalt und sass im Waadtländer Kantonsparlament, aus dem er in der Folge zurücktrat. Brélaz hatte nach seiner Wahl 2019 bewusst in der RK-NR Einsitz genommen, um seinem Nachfolger auch hier den Weg zu bereiten. Mahaim legte das Gelübde ab.
Hans-Ueli Vogt (svp, ZH) hatte seinen Rücktritt Mitte November 2021 bekannt gegeben. Er fühle sich «wie ein Tennisspieler auf dem Fussballplatz». Das Parlament sei nicht der Ort, an dem er seine Fähigkeiten optimal einsetzen könne. Auch könne er nicht so gut Aufmerksamkeit generieren, was in der Politik aber nötig sei, begründete der Jurist seinen Rückzug. Vogt hatte 2015 erfolglos versucht, für die SVP einen Zürcher Ständeratssitz zu erobern, schaffte damals aber lediglich den Sprung in die grosse Kammer. Vogt hatte sich vor allem als Vater der Selbstbestimmungsinitiative einen Namen gemacht und konnte 2019 seinen Nationalratssitz verteidigen. Benjamin Fischer war bei diesen Wahlen auf dem ersten Ersatzplatz gelandet und konnte Vogt nun beerben. Der 30-jährige Kantonsrat und Präsident der Zürcher Kantonalsektion legte sein Kantonsmandat nieder, um mehr Zeit für die nationale Politik zu haben, wie er den Medien verriet. Fischer legte den Eid ab.

Mutationen 2022
Dossier: Mutationen im nationalen Parlament

Sowohl der Nationalrat als auch der Ständerat stimmen elektronisch ab. Trotzdem bekleiden im Nationalrat je vier, im Ständerat je ein für vier Jahre gewähltes Mitglieder das Amt der Stimmenzählenden beziehungsweise Ersatzstimmenzählenden. Im Ständerat gehören sowohl Stimmenzählende als auch Ersatzstimmenzählende dem Büro an, während im Nationalrat jedoch lediglich die vier Stimmenzählenden Mitglieder des Büros sind und nur bei Absenz von ihrem Ersatz vertreten werden. Als Mitglieder des Büros entscheiden die entsprechenden Parlamentarierinnen und Parlamentarier also mit, wie das Sessionsprogramm aussieht, wer in welcher Kommission sitzt oder welche Kommission präsidiert und welche Beratungsgegenstände welcher Kommission zugewiesen werden. Aber auch ihre namensgebende Funktion üben sie nach wie vor aus – trotz elektronischer Zählung – und zwar dann, wenn Wahlen stattfinden, eine geheime Beratung abgehalten wird oder die Abstimmungsanlage ausfällt. Laut Geschäftsreglement beider Räte kommt es bei einem Rücktritt von einem der beiden Ämter zu einer Ersatzwahl.

Eine solche Ersatzwahl eines Stimmenzählers und einer Ersatzstimmenzählerin war im Nationalrat in der Frühjahrssession 2022 nötig geworden, weil Daniel Brélaz (gp, VD), der nach den eidgenössischen Wahlen 2019 für vier Jahre zum Stimmenzähler gewählt worden war, per Ende 2021 aus dem Nationalrat zurücktrat. Die grüne Fraktion schlug vor, ihren bisherigen Ersatzstimmenzähler Gerhard Andrey (gp, FR) zum Stimmenzähler zu machen und Christine Badertscher (gp, BE) zur neuen Ersatzstimmenzählerin zu wählen. Die grosse Kammer folgte dieser Empfehlung deutlich. Von 182 ausgeteilten Wahlzetteln kamen 179 zurück und einer blieb leer. Auf allen verbleibenden 178 Wahlzetteln – von den Stimmenzählenden ausgezählt – stand der Name von Gerhard Andrey und auf 177 der Name von Christine Badertscher.

Wahl eines Stimmenzählers und einer Ersatzstimmenzählerin (PAG 22.201)
Dossier: Nationalrat und Ständerat. Wahl des Präsidiums und des Büros

Wer die Schweizer Politik finanziert, ist eine Frage, die ebendiese Schweizer Politik schon seit Langem umtreibt. Just zu der Zeit, als auf Bundesebene erstmals eine Transparenzgesetzgebung in Kraft trat und in mehreren Kantonen ähnliche Bestrebungen liefen, um mehr Licht ins Dunkel von Parteien- und Kampagnenfinanzen zu bringen, knöpfte sich anfangs 2022 auch ein neues Buch das Thema vor. Verfasst hatten es Peter Buomberger, ehemaliger Chefökonom der UBS, und Daniel Piazza (LU, mitte), früherer Finanzchef der CVP Schweiz und mittlerweile Mitte-Kantonsrat in Luzern. Für die Jahre 2019 – ein eidgenössisches Wahljahr – und 2020 – das Jahr mit dem äusserst intensiv geführten Abstimmungskampf zur Konzernverantwortungsinitiative – untersuchten sie, wie viel Geld Parteien, Verbände, NGOs und Komitees für Abstimmungs- und Wahlkampagnen sowie sonstige politische Arbeit eingesetzt und aus welchen Quellen sie sich finanziert hatten. Dabei stützten sich die Autoren mangels öffentlicher Angaben auf Interviews mit Insidern und Expertinnen und leiteten daraus Schätzungen ab. Die Aargauer Zeitung und der Tages-Anzeiger hoben unter anderem die folgenden Erkenntnisse aus dem Buch hervor:

Erstens seien die Parteien in finanzieller Hinsicht bei weitem nicht die potentesten Akteure der Schweizer Politik: Rechne man die Budgets der untersuchten Wirtschaftsverbände und links-grünen NGOs zusammen, sei die Summe doppelt so gross wie für alle Parteien zusammen. Mit anderen Worten: Von den insgesamt gegen 65 Millionen, die 2019 für die politische Arbeit eingesetzt worden seien, sei nur ein Drittel auf die Parteien entfallen. Wie Buomberger in der NZZ erklärte, weise der Trend sogar in Richtung eines noch geringeren Anteils der Parteien an den politischen Spendengeldern, sowohl auf bürgerlicher als auch auf linker Seite. Der Grund dafür sei gemäss seinen Erkenntnissen, dass ein zunehmender Teil der Spenderinnen und Spender sich sicherer seien, wofür eine NGO oder ein monothematischer Politakteur stehe, während Parteien offenbar als weniger greifbar gelten. Viele seiner Auskunftspersonen dächten deshalb, dass man «mehr konkreten Nutzen für sein Geld [bekommt], wenn man es beispielsweise eher dem WWF statt einer linken Partei gibt und eher Avenir Suisse statt einer bürgerlichen Partei», so Buomberger.

Zweitens seien links-grüne NGOs mittlerweile finanzstärker als Wirtschaftsverbände: Das Buch kam zum Schluss, dass links-grüne Nichtregierungsorganisationen einschliesslich der Gewerkschaften bei den Abstimmungskämpfen in den Jahren 2019 und 2020 insgesamt etwa einen Drittel mehr Geld eingesetzt hätten als die bürgerlichen Wirtschaftsverbände. Gemäss dem Tages-Anzeiger zeigten sich die beiden Buchautoren «sicher», dass sich das Blatt somit gewendet habe, seit 2011 eine Studie des Politgeografen Michael Hermann festgehalten hatte, dass die Linke sich in fast allen Kampagnen mit einer finanziellen Übermacht der Bürgerlichen konfrontiert sehe. Die Medien wiesen indessen darauf hin, dass der Untersuchungszeitraum der neuen Studie mit zwei Jahren relativ limitiert war und einige Kampagnen umfasste, die von NGO-Seite aussergewöhnlich intensiv geführt worden waren, so etwa die Konzernverantwortungsinitiative 2020; als weiteres Beispiel für eine ungewöhnlich starke NGO-Kampagne wäre das Jagdgesetz 2020 zu nennen (Flückiger/Bühlmann 2020).

Drittens bildeten gemäss Piazzas und Buombergers Erkenntnissen nicht etwa Firmen oder der Staat, sondern Einzelpersonen das Rückgrat der Schweizer Politikfinanzierung: Insgesamt seien im Wahljahr 2019 rund CHF 100 Mio. für Wahl- und Abstimmungskampagnen zusammengekommen, im Jahr 2020 rund CHF 63 Mio. Davon stammten jeweils rund zwei Drittel von Privaten (69 bzw. 40 Mio.), was die Beiträge der Unternehmen (24 bzw. 19 Mio.) sowie die staatliche Finanzierung in Form von Fraktionsbeiträgen (7 bzw. 4 Mio.) deutlich übertroffen habe. Zu den Privatpersonen zählten die Buchautoren dabei auch die Mandatsbeiträge, die Amtsträgerinnen und -träger an ihre Parteien abliefern.

Viertens allerdings unterschieden sich die Gewichte der Finanzierungsquellen je nach Partei deutlich: Bei den bürgerlichen Parteien machten Beiträge von Firmen gut einen Drittel des Budgets aus, Beiträge von Privaten etwas weniger als einen Drittel. Bei den links-grünen Parteien stammten hingegen über 70 Prozent der Einnahmen von Einzelpersonen und weniger als 10 Prozent von Unternehmen. Die staatlichen Fraktionsbeiträge machten bei allen Parteien rund einen Viertel aus.

Fünftens würden Wahlkampagnen zu einem deutlich grösseren Teil von den Kandidierenden als von den Parteien bestritten, jedenfalls im eidgenössischen Wahljahr 2019: Von insgesamt rund CHF 60 Mio. Wahlkampfausgaben seien 80 Prozent auf die einzelnen Kandidierenden entfallen und nur etwa 20 Prozent auf die Parteien. Die Kandidierenden wiederum hätten ihre Mittel grösstenteils von Privatpersonen erhalten.

Buch «Wer finanziert die Schweizer Politik?»
Dossier: Finanzierung der Politik

Jahresrückblick 2021: Institutionen und Volksrechte

Der Bundesrat stand auch 2021 vor allem aufgrund seiner Entscheide im Rahmen der Covid-19-Pandemie im Fokus – wobei er je nach Verlauf der Fallzahlen dafür kritisiert wurde, mit zu viel Macht ausgestattet zu sein und zu viele Massnahmen zu ergreifen, oder aber dafür, in Anbetracht der Lage zu wenig zu tun. Die über 60 Prozent Ja-Stimmen bei beiden Covid-Referenden (im Juni und im November) können freilich auch als ziemlich breite Unterstützung der bundesrätlichen Massnahmen-Politik interpretiert werden. Covid-19 bzw. vielmehr das Argument, dass gerade die Pandemie zeige, wie stark die Arbeitsbelastung der sieben Mitglieder der Landesregierung zunehme, stand Pate für die Forderung nach einer Erhöhung der Zahl der Bundesratsmitglieder auf neun – eine Forderung, die seit 1848 schon zwölf Mal gescheitert war. Zwar stiess die Idee in der Wintersession im Nationalrat auf offene Ohren, das Anliegen wird aber im nächsten Jahr im Ständerat wohl auf mehr Widerstand stossen – die SPK-SR hatte sich bereits im Juni dagegen ausgesprochen. Als Institution war die Regierung ansonsten im Vergleich zu früheren Jahren seltener Gegenstand der medialen Berichterstattung. Das dürfte auch damit zu tun haben, dass im Berichtsjahr für einmal vergleichsweise selten über mögliche Rücktritte von Magistratinnen und Magistraten spekuliert wurde. Seit nunmehr drei Jahren ist die Zusammensetzung der Exekutive unverändert.

Auch für die Mitarbeitenden der Bundesverwaltung wird Covid-19 Folgen haben. Aufgrund der Erfahrungen, die beim Lockdown gemacht worden waren, forderten mehrere Vorstösse, dass der Bund mittels dezentralisierter und digitalisierter Arbeitsplätze im Sinne von Homeoffice nachhaltiges Arbeiten ermöglichen soll. Beide Räte hiessen eine entsprechende Motion gut und rannten damit beim Bundesrat offene Türen ein. Nicht einig waren sich die Räte hingegen bei der Frage, ob für die obersten Kader der sieben grossen Bundesunternehmen ein Lohndeckel gesetzlich festgeschrieben werden soll. Der Ständerat lehnte die Forderung, die auf eine parlamentarische Initiative aus dem Jahr 2016 zurückgeht, ab, der Nationalrat wollte auch in der Wintersession weiter an ihr festhalten.

Auch im Parlament war Covid-19 nach wie vor Thema Nummer 1. Nicht nur war das Virus Gegenstand zahlreicher inhaltlicher Debatten, sondern es zwang auch im Bundeshaus zu unterschiedlichen Verhaltensmassnahmen: Zwar konnten im Gegensatz zu 2020 alle Sessionen im Bundeshaus stattfinden, allerdings mussten auch im Parlament je nach Pandemiesituation die Masken- oder Zertifikatspflicht eingehalten werden. Zudem sollten Plexiglasscheiben an den Plätzen in den Ratssälen zusätzlichen Schutz vor dem Virus gewähren. Auch unter Pandemie-bedingt erschwerten Arbeitsbedingungen wurden Beschlüsse gefasst, die den Parlamentsbetrieb wohl nachhaltig verändern werden: So einigten sich beide Kammern auf ein neues Differenzbereinigungsverfahren bei Motionen. Nicht zuletzt sollen im Ständerat künftig sämtliche Abstimmungsresultate veröffentlicht werden. Nach 20-jähriger Opposition und nicht weniger als acht gescheiterten Vorstössen wird also auch die «Dunkelkammer Ständerat», wie Thomas Minder (parteilos, SH) sie nach der 2014 eingeführten elektronischen Abstimmung bei Gesamt- und Schlussabstimmungen bezeichnet hatte, vollständig ausgeleuchtet. Ob dies nun zu einem «Transparenzexzess» und einer Änderung der Diskussionskultur in der «Chambre de réflexion» führen wird, wie dies die ablehnende Minderheit befürchtete, wird sich weisen.

Das Verhältnis zwischen Legislative und Judikative war im vergangenen Jahr aus zwei gewichtigen Gründen Gegenstand von Diskussionen. Auf der einen Seite führten die im November an der Urne mit 31.9 Prozent Ja-Stimmenanteil recht deutlich abgelehnte Justizinitiative sowie der im Parlament verworfene Gegenvorschlag zur Frage, ob die Wahl von Bundesrichterinnen und Bundesrichtern durch das Parlament die Unabhängigkeit der dritten Gewalt beeinträchtige. Auf der anderen Seite zeigten die Schwierigkeiten mit der Besetzung der Bundesanwaltschaft – gleich dreimal musste die Stelle ausgeschrieben werden, bis in der Herbstsession ein neuer Bundesanwalt gewählt werden konnte – und die vorgängigen Diskussionen um die Erhöhung der Alterslimite in der höchsten Strafbehörde, wie schwierig es für das Parlament ist, bei der Besetzung von Gerichtsstellen ideologische Gesichtspunkte der Sachpolitik unterzuordnen – so die Kommentare in einigen Medien.

Auch das Funktionieren der direkten Demokratie war 2021 Gegenstand politischer Diskussionen. Das Parlament hiess einen Gegenvorschlag zur Transparenzinitiative gut, der teilweise weiter geht, als von den Initiantinnen und Initianten verlangt. Das Initiativkomitee zog in der Folge sein Begehren zurück. Mit der Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte müssen Parteien ab dem Herbst 2022 ihre Budgets und insbesondere Spenden über CHF 15'000 offenlegen und auch Komitees von Wahl- und Abstimmungskampagnen, die mehr als CHF 50'000 aufwenden, haben ihre Finanzeinkünfte auszuweisen.
Vom Tisch ist hingegen die Möglichkeit, Staatsverträge dem obligatorischen Referendum zu unterstellen. Der Ständerat hatte sich zwar für diesen Ausbau der direkten Demokratie eingesetzt, der Nationalrat wollte aber definitiv nichts davon wissen. Noch hängig ist hingegen ein Entscheid, mit dem allenfalls ein Ausbau partizipativer Elemente im politischen System der Schweiz umgesetzt würde. Noch 2020 hatte sich der Nationalrat dafür ausgesprochen, einer parlamentarischen Initiative, mit der die Einführung des Stimmrechtsalters 16 gefordert wird, Folge zu geben. Auch die SPK-SR konnte sich für den Vorstoss erwärmen. Allerdings machte die SPK-NR im November mit Verweis auf einige kantonale Abstimmungen, bei der die Senkung des Stimm- und Wahlrechtsalters auf grosse Skepsis gestossen war, einen medial stark beachteten Rückzieher – dieses Anliegen wird wohl zukünftig noch zu reden geben. Viel zu reden und zu schreiben gab im Berichtsjahr zudem ein Jubiläum, das auch als Zeugnis dafür gelesen werden kann, dass die direkte Demokratie strukturelle Minderheiten ausserhalb des Entscheidsystems tendenziell benachteiligt: 1971 – also vor 50 Jahren – war das Frauenstimm- und -wahlrecht eingeführt worden – allerdings erst im zweiten Versuch und sehr lange nach den meisten anderen demokratischen Staaten.

Im Gegensatz zum Vorjahr, als eine Volksabstimmung hatte verschoben und verschiedene Fristen hatten verlängert werden müssen, hatte die Pandemie 2021 keine unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren der direkten Demokratie. Ganz ohne Covid-19 ging es aber auch 2021 nicht: Die Schweizer Stimmbevölkerung war dabei die einzige weltweit, die – wie eingangs erwähnt – zweimal an die Urne gerufen wurde, um über denjenigen Teil der Massnahmen zu befinden, der von Bundesrat und Parlament in ein separates Gesetz gegossen worden war. Zwar wurde die Kampagne insbesondere zur zweiten Revision des Covid-19-Gesetzes teilweise sehr emotional geführt, im Anschluss an den Urnengang legten sich die Emotionen aber zumindest gegen aussen wieder etwas. Die nicht nur beim zweiten Covid-Referendum, sondern auch bei der Kampagne zum CO2-Gesetz, der Trinkwasser- und der Pestizidinitiative aussergewöhnlich hart geführten Auseinandersetzungen dürften mit ein Grund sein, weshalb die direkte Demokratie mehr Medienaufmerksamkeit generierte als in den beiden Jahren zuvor.

Jahresrückblick 2021: Institutionen und Volksrechte
Dossier: Jahresrückblick 2021

Mit einer parlamentarischen Initiative forderte die GLP-Fraktion die Einführung der doppeltproportionalen Divisormethode mit Standardrundung – den sogenannten «doppelten Pukelsheim» – für die Zuteilung der Nationalratssitze bei den eidgenössischen Wahlen. Das heutige Verfahren («Hagenbach-Bischoff») sei aus verschiedenen Gründen vor allem in Kantonen mit wenigen Sitzen unfair: Nicht jede Stimme habe gleiches Gewicht und es gebe eine Verzerrung des Willens der Wählerinnen und Wähler, weil grosse Parteien bevorteilt würden. Die Listenverbindungen, mit denen dieser Bevorteilung begegnet werden solle, seien zudem intransparent. Diese Probleme würden mit dem doppelten Pukelsheim behoben, was sich auch in etlichen Kantonen gezeigt habe, die dieses Verfahren auf kantonaler Ebene bereits eingeführt hätten. Mit dem doppelten Pukelsheim basiert die Mandatszuteilung auf dem im gesamten Wahlgebiet erzielten Stimmenanteil. In einem zweiten Schritt werden dann die von einer Partei erhaltenen Sitze auf die Wahlkreise verteilt. Die Wahlreformen in den Kantonen seien auch deshalb durchgeführt worden, weil das Bundesgericht 2002 das dem nationalen Verfahren sehr ähnliche System der Stadt Zürich als verfassungswidrig eingestuft habe. Es sei Zeit für faire Nationalratswahlen, betitelte die GLP deshalb ihren Vorstoss.
Eine knappe 13 zu 12-Stimmenmehrheit der SPK-NR sah dies freilich anders. Der doppelte Pukelsheim habe seine Berechtigung in den Kantonen, werde den Eigenheiten der Schweiz aber nicht gerecht, begründete die Kommission ihren abschlägigen Entscheid. Kantone seien nicht einfach Wahlkreise, sondern historisch gewachsene Einheiten, die man nicht einfach gesamtschweizerisch zusammenfassen könne. Kantonal verankerte Parteien wie etwa die Lega dei Ticinesi oder der MCG in Genf würden es überdies wohl mit dem Doppeltproporzverfahren kaum schaffen, einen Sitz zu erobern. Zudem habe auch der doppelte Pukelsheim seine Besonderheiten. So könnte es durchaus sein, dass in einem Kanton mit lediglich einem Nationalratssitz nicht die stärkste, sondern aufgrund des nationalen Verteilverfahrens die zweitstärkste Partei den Sitz erobere, was schwierig zu vermitteln wäre und sicherlich nicht dem Willen der Wählerinnen und Wähler in diesem Kanton entspräche. Die starke links-grüne Minderheit versuchte im Rat erfolglos, eine Änderung des Verfahrens beliebt zu machen. Balthasar Glättli (gp, ZH) gab zu Protokoll, dass das Problem der Vertretung der Kantone mit nur einem Sitz durch das sogenannte «Winner-take-one»-Prinzip einfach gelöst werden könnte. Mit diesem würden nicht adäquate Sitzzuteilungen in Einerwahlkreisen verunmöglicht, ohne die Logik der Gesamtverteilung zu verfälschen. Es sei wichtig, dass auch für die eidgenössischen Wahlen das Prinzip «one person, one vote» gelte, was mit Hagenbach-Bischoff eben nicht möglich sei. Das Stimmenverhältnis in der SPK-NR spiegelte sich in der Folge im Nationalrat wider: Die SP-, die GLP- und die GP-Fraktion stimmten geschlossen für Folgegeben. Die total 84 Stimmen reichten aber gegen die 105 ablehnenden Stimmen nicht aus.

Zeit für faire Nationalratswahlen (Pa. Iv. 20.453)
Listenverbindungen und Zuteilungsverfahen – Reformvorschläge für eidgenössische Wahlen

Für die erste Mutation der 51 Legislaturperiode im Ständerat war der Rücktritt von Christian Levrat (sp, FR) bzw. die Wahl von Isabelle Chassot (mitte, FR) zur neuen Ständerätin des Kantons Freiburg verantwortlich. Levrat war in der Herbstsession nach fast 20-jähriger Amtszeit in der kleinen (ab 2012) und der grossen Kammer (seit 2003) verabschiedet worden. Der ehemalige Parteipräsident der SP (2008-2020) sei ein «Animal politique» lobte ihn der Ständeratspräsident Alex Kuprecht (svp, SZ). Levrat trat zurück, um sein Amt als Verwaltungsratspräsident bei der Post anzutreten. Isabelle Chassot war bei den Ersatzwahlen im Kanton Freiburg von nahezu zwei Dritteln der Stimmen zur neuen Standesvertreterin gewählt worden. Sie hatte von 2001 bis 2013 in der Freiburger Regierung gesessen bevor sie acht Jahre lang als Direktorin dem Bundesamt für Kultur vorgestanden hatte. Chassot legte am ersten Tag der Wintersession 2021 den Eid ab.

Mutationen 2021
Dossier: Mutationen im nationalen Parlament

Zu Beginn der Wintersession 2021 wurden zwei neue Nationalrätinnen in die grosse Kammer aufgenommen. Céline Weber Koppenburg (glp, VD) ersetzte Isabelle Chevalley (glp, VD) und Patricia von Falkenstein (ldp, BS) rückte für Christoph Eymann (ldp, BS) nach.
Der Rücktritt der Waadtländer Grünliberalen Chevalley kam für viele überraschend. Sie war vor allem während der Kampagne zur Konzernverantwortungsinitiative von den Medien aber auch von Teilen ihrer Partei für ihr Engagement gegen das Volksbegehren kritisiert worden, gegen das sie Position bezog, weil sie befürchtete, dass Schweizer Firmen vor allem aus Afrika abziehen könnten und so skrupelloseren multinationalen Firmen Platz machen würden. Sie habe nach 10 Jahren die Geduld verloren, die es in der Politik brauche, gab sie Le Temps zu Protokoll. Sie wolle sich dort engagieren, wo sie etwas bewegen könne, vor allem in Afrika. Ihre Nachfolgerin, Céline Weber Koppenburg ist in der Energieberatung tätig. Sie legte den Eid ab.
Mit 70 Jahren sei es Zeit, abzutreten, begründete Eymann seinen Rücktritt. Der Basler sass von 1991 bis 2011 und von 2015 bis 2021 insgesamt 16 Jahre im Nationalrat. Dazwischen amtete er als Regierungsrat im Kanton Basel-Stadt. Patricia von Falkenstein hatte sich bei den Ständeratswahlen 2019 einen Namen gemacht, als sie in Basel-Stadt Eva Herzog unterlag. Von Falkenstein legte das Gelübde ab.
Mit den beiden Mutationen waren zu Legislaturhalbzeit insgesamt 8 Nationalrats- und 1 Ständeratssitz neu besetzt worden. Weil Patricia von Falkenstein und Sarah Wyss (sp, BS) (Ende 2020 nachgerückt für Beat Jans (sp, BS)) je einen Mann ersetzten, wuchs der Frauenanteil im Nationalrat um 2 Personen und von 42 Prozent auf 43 Prozent. Im Ständerat nahm er von 12 auf 13 (neu: 28.2 Prozent) zu.

Mutationen 2021
Dossier: Mutationen im nationalen Parlament

Unterlistenverbindungen sind Zusammenschlüsse von Listen innerhalb einer Listenverbindung. Damit können Parteien innerhalb einer verbundenen Liste allenfalls mehr Stimmen erhalten, um dann die der Liste zugerechneten Mandate dank mehr Stimmen aufgrund der Unterlisten zu erobern. Bei den eidgenössischen Wahlen 2019 waren nicht weniger als 108 Unterlistenverbindungen eingegangen. Gemäss Bundesgesetz über die politischen Rechte dürfen Unterlistenverbindungen aber nur innerhalb der gleichen Gruppierung geschmiedet werden – etwa in Form von getrennten Geschlechterlisten, Regionen- oder Generationenlisten. Umstritten ist jedoch, wie der Begriff «Gruppierung» zu interpretieren ist. Rechtsgutachten kommen zum Schluss, dass zwischen verschiedenen Parteien zwar Listen-, aber keine Unterlistenverbindungen eingegangen werden dürfen. Die SPK-NR wollte deshalb mittels parlamentarischer Initiative eine Präzisierung von Unterlistenverbindungen im Bundesgesetz über die politischen Rechte vornehmen.
Allerdings verweigerte ihre Schwesterkommission im August 2021 mit 6 zu 4 Stimmen (bei 1 Enthaltung) Folgegeben, so dass der Vorstoss der grossen Kammer vorgelegt werden musste. Laut der SPK-NR brauche es diese Präzisierung, weil es seit der Einführung der Unterlistenverbindungen in den 1990er Jahren «entgegen dem Willen des Gesetzgebers immer wieder zu parteiübergreifenden Unterlistenverbindungen gekommen» sei. Als Beispiel fügte Kommissionssprecherin Céline Widmer (sp, ZH) in der Ratsdebatte die Unterlistenverbindung mit dem Namen «Mitte» an, die sich im Kanton Basel-Stadt aus GLP, junger GLP, BDP und EVP zusammengesetzt habe. Grund dafür sei die unpräzise Formulierung im Gesetz, die eine Unterlistenverbindung von verschiedenen Flügeln einer «Gruppierung» erlaube. Das Wort «Gruppierung» müsse durch «Partei» ersetzt werden, forderte die Kommissionsmehrheit. Eine Kommissionsminderheit sprach sich allerdings gegen Folgegeben aus. Ihr Sprecher, Gerhard Pfister (mitte, ZG) brachte in der Debatte zwei Argumente vor. Erstens sei es nicht wahrscheinlich, dass der Ständerat zustimmen werde, man könne das Verfahren also abkürzen. Zweitens sei auch der Begriff «Partei» nicht klarer als der Begriff «Gruppierung», der ja durchaus beabsichtigten Spielraum lasse. Er befürchte zudem, dass mit einer Einschränkung von Unterlistenverbindungen auch die Diskussion eines Verbots von Listenverbindungen generell Auftrieb erhalten werde. Mit 111 zu 74 Stimmen folgten die Nationalrätinnen und Nationalräte aber der Kommissionsmehrheit. Weil (Unter-)Listenverbindungen eher kleineren Parteien nützen, gab es eine recht spezielle Abstimmungskoalition aus SP-, SVP- und FDP-Liberale-Fraktion, die der Präzisierung zustimmten, während die Fraktionen von Mitte, GLP und GP den Vorstoss ablehnten.

Präzisierung der Unterlistenverbindungen (Pa.Iv. 21.402)
Listenverbindungen und Zuteilungsverfahen – Reformvorschläge für eidgenössische Wahlen

Politischer Anstand könne nicht per Gesetz vorgeschrieben werden, begründete die SPK-NR ihre Empfehlung, der parlamentarischen Initiative von Benjamin Roduit (mitte, VS) keine Folge zu geben. Roduit stiess sich am Umstand, dass bei Nationalratswahlen gewählte Kandidierende ihre Wahl ablehnten, um ihren Platz Ersatzpersonen zu überlassen. Dies sei «eine bewusste Verweigerung des Volkswillens», weshalb der Walliser Volksvertreter in seinem Vorstoss forderte, dass sich Gewählte für eine Mindestamtszeit verpflichten müssten. Diese Art von Stimmenfang sei zwar in der Tat stossend, befand die SPK-NR, es gebe aber nur sehr wenige entsprechende Fälle. Statt den Gesetzgeber zu bemühen, sollten eher die Parteien an ihre Verantwortung erinnert werden. Obwohl eine 6-köpfige Kommissionsminderheit das Anliegen unterstützt hätte, zog Roduit seine parlamentarische Initiative zurück.

Verweigerung der Demokratie verhindern (Pa.Iv. 19.510)

Weil die Referendumsfrist zum Gegenvorschlag zur Transparenzinitiative abgelaufen sei und damit ab den eidgenössischen Wahlen 2023 erstmals Transparenz hinsichtlich Finanzierung von Wahl- und Abstimmungskampagnen geschaffen werden müsse, brauche es ihr Postulat nicht mehr, gab Mattea Meyer (sp, ZH) in der Herbstsession 2021 als Begründung für den Rückzug ihres Anliegens zu Protokoll. In ihrem Postulat hätte sie eine Studie zur Wahlkampf- und Abstimmungsfinanzierung bei den eidgenössischen Wahlen 2011, 2015 und 2019 sowie bei drei umstrittenen Abstimmungsvorlagen gefordert. Der Bundesrat hatte das Postulat zur Ablehnung empfohlen, weil die Studie auf einer freiwilligen Selbstdeklaration der Kampagnenführenden beruht hätte und die Ergebnisse deshalb wohl kaum überprüfbar gewesen wären.

Studie zur Wahlkampf- und Abstimmungsfinanzierung (Po. 19.4186)

Wie schon bei den eidgenössischen Wahlen 2019 und 2015 kommt es auch bei den Nationalratswahlen 2023 zu einer Verschiebung der Anzahl Nationalratssitze pro Kanton. Wie schon 2015 wird es der Kanton Zürich sein, der aufgrund der kantonalen Bevölkerungszahl einen Sitz mehr erhalten wird (neu 36 Sitze). Dies wird auf Kosten des Kantons Basel-Stadt geschehen, der neu nur noch über vier Sitze verfügt. Die 200 Nationalratssitze werden seit 2015 alle vier Jahre für jede neue Legislatur aufgrund der ständigen kantonalen Wohnbevölkerung neu berechnet und auf die Kantone verteilt.

Verschiebung der Anzahl Nationalratssitze pro Kanton
Dossier: Anzahl Nationalratssitze pro Kanton

Ende August verabschiedete der Bundesrat die Verordnung über die Transparenz bei der Politikfinanzierung. Das geänderte Bundesgesetz über die politischen Rechte wurde per 23. Oktober 2022 in Kraft gesetzt. Die neue Regelungen basieren auf einem indirekten Gegenvorschlag zur Transparenzinitiative, welche in der Folge zurückgezogen worden war. Die Revision der Verordnung sah nun zwei grundlegende Änderungen vor:
Erstmals für das Kalenderjahr 2023 müssen einerseits alle Parteien sowie alle Parteilosen, die im eidgenössischen Parlament vertreten sind, sämtliche Einnahmen melden. Zudem sind die Namen von Spenderinnen und Spendern von Beträgen über CHF 15'000 sowie alle Beiträge von Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern (z.B. Parteimitglieder im Bundesrat oder in eidgenössischen Gerichten) einzeln in dieser Jahresrechnung aufzuführen. Parteilose Parlamentsmitglieder müssen ebenfalls alle Spenden ausweisen. Als Spenden gelten dabei monetäre wie auch nichtmonetäre Zuwendungen. Anonyme Zuwendungen oder Spenden aus dem Ausland dürfen nicht angenommen werden. Die Angaben sind jeweils spätestens bis Mitte des Folgejahres der EFK vorzulegen.
Andererseits wird auch mehr Transparenz bei Abstimmungs- und Wahlkampagnen geschaffen. Politische Akteure, die solche Kampagnen führen, müssen deren Finanzierung offenlegen, wenn diese mehr als CHF 50'000 beträgt. Auch in diesem Fall sind Zuwendungen von mehr als CHF 15'000 einzeln auszuweisen – auch wenn diese über die Zeit verteilt von der gleichen Urheberin oder dem gleichen Urheber stammen. 45 Tage vor einer Wahl oder einer Abstimmung müssen zudem die Kampagnenbudgets gemeldet werden. Die Schlussrechnungen müssen spätestens 60 Tage nach einem Urnengang ebenfalls bei der EFK eingereicht werden. Führen mehrere Akteure eine Kampagne gemeinsam, werden die Finanzen zusammengezählt. Erreichen diese CHF 50'000 oder mehr, gelten für die Akteure die gleichen Regeln.
Sonderregeln gelten für Ständeratswahlen. Kandidierende für die kleine Kammer müssen kein Budget vorlegen, wohl aber eine Schlussrechnung, in der Zuwendungen über CHF 15'000 ebenfalls einzeln offenzulegen sind.
Der Bundesrat machte die EFK zur verantwortlichen Prüfstelle. Sie muss die eingereichten Parteibudgets spätestens am 31. August eines Jahres im Folgejahr und die Kampagnenbudgets jeweils 15 Tage nach deren Eintreffen, also spätestens 30 Tage vor einem Urnengang, veröffentlichen. Die EFK hat dabei die Einhaltung der Fristen zu kontrollieren. Sie kann Stichproben zur Korrektheit der Angaben durchführen, wobei sie aber lediglich materielle Kontrollen vornimmt, also lediglich prüft, ob die Angaben inhaltlich korrekt und die Quellen, Zuwendungen und Beträge vermutlich vollständig sind. Bei Mängeln muss die sie eine Frist zur Nachmeldung setzen und bei Verdacht auf Verstösse Anzeige bei den Strafverfolgungsbehörden erstatten. Sanktionen – vorgesehen sind Bussen bis zu CHF 40'000 – können lediglich von einem Gericht ausgesprochen werden.
Diese endgültige Fassung der Verordnung entsprach praktisch gänzlich dem Entwurf, der in der Vernehmlassung von der Mehrheit der Teilnehmenden grundsätzlich positiv aufgenommen worden war. Einzelne Verbesserungsvorschläge wurden in Form von Präzisierungen vor allem in einer begleitenden Erörterung aufgenommen – so etwa die genauen Anforderungen an Parteien und Kampagnenführende oder eine präzise Definition von «gemeinsamen Kampagnen». Vor allem die Wirtschaftsverbände (Economiesuisse, SAV, SGV, SBV) hatten sich in der Vernehmlassung freilich sehr kritisch gezeigt und von «Scheintransparenz» gesprochen, weil es nach wie vor zu viele Schlupflöcher gebe.
Der Bundesrat entschied zudem, dass die Regeln erstmals bei den eidgenössischen Wahlen 2023 gelten sollen.

Transparenz in der Politikfinanzierung (Pa. Iv. 19.400)
Dossier: Finanzierung der Politik
Dossier: Transparenzinitiative und Gegenvorschlag - Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte

Kurz nach der Schlussabstimmung der Räte kündigte das Initiativkomitee an, seine Volksinitiative «Für mehr Transparenz in der Politikfinanzierung (Transparenz-Initiative)» bedingt zurückzuziehen. Ein bedingter Rückzug bedeutet, dass das Begehren dann definitiv vom Tisch ist, wenn der indirekte Gegenvorschlag offiziell in Kraft tritt. Eine Bedingung hierfür, nämlich das Verstreichen der Referendumsfrist, wurde am 7. Oktober 2021 erreicht. Der Bundesrat hatte in der Zwischenzeit angekündigt, dass die Revision des Bundesgesetzes über die politischen Rechte voraussichtlich im Herbst 2022 in Kraft treten werde.

Eidgenössische Volksinitiative «Für mehr Transparenz in der Politikfinanzierung (Transparenz-Initiative)»
Dossier: Finanzierung der Politik
Dossier: Transparenzinitiative und Gegenvorschlag - Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte

In der Sommersession 2021 räumten die Räte die noch bestehenden Differenzen beim indirekten Gegenvorschlag für mehr Transparenz bei der Politikfinanzierung aus, der die Anliegen der Transparenzinitiative aufnehmen will. Als erstes war der Ständerat an der Reihe. Daniel Fässler (mitte, AI), der für die SPK-SR Bericht erstattete, informierte die Mitglieder der kleinen Kammer vorab, dass der Trägerverein der Transparenzinitiative in einem an die Kommission gerichteten Schreiben von Ende Mai 2021 den bedingten Rückzug der Initiative in Aussicht stellte, wenn der Ständerat in zwei der vier beim Gegenvorschlag verbleibenden Differenzen auf die Linie des Nationalrats umschwenke – bei der Höhe der Offenlegungspflicht von Zuwendungen an Parteien und Initiativkomitees sowie bei der Regelung der Kontrollen. Beide Differenzen wurden in der Folge ohne Diskussion gutgeheissen: Damit müssen neu Geld- oder Sachspenden, die an Parteien oder Komitees gerichtet werden und über einem Schwellenwert von CHF 15'000 liegen, offengelegt werden. Die Initiative hätte hier einen Wert von CHF 10'000 und der Ständerat ursprünglich CHF 25'000 gefordert. Bereits geeinigt hatten sich die Räte auf die Obergrenze der offenzulegenden Wahl- und Abstimmungsbudgets von CHF 50'000. Zudem muss eine Behörde, die vom Bundesrat noch zu bestimmen sein wird, die Einhaltung der Offenlegungspflichten und die Vollständigkeit der eingereichten Dokumente kontrollieren und die Angaben veröffentlichen. Auch der Ständerat war dafür, dass diese Behörde darüber hinaus Stichprobenkontrollen durchführen muss, mit denen die Richtigkeit der Angaben verifiziert werden soll. Der Vorschlag der SPK-SR, eine sprachliche Anpassung hinsichtlich der Offenlegungspflicht der so genannten Mandatssteuern, also der Abgaben, die von Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern an ihre Parteien erbracht werden, vorzunehmen, wurde ebenfalls stillschweigend gutgeheissen. Zu diskutieren gab allerdings die letzte Differenz, nämlich die Frage, ob die Offenlegungspflicht auch für Wahlkampfkampagnen von Ständerätinnen und Ständeräten gelten soll. Die Mehrheit der kleinen Kammer hatte sich bei der ersten Beratung auf den Standpunkt gestellt, dass Wahlen von Kantonsvertreterinnen und -vertretern kantonalem Recht unterstünden und hierfür deshalb keine nationale Regel gelten dürfe. Kommissionssprecher Daniel Fässler wies darauf hin, dass das Initiativkomitee diesen Punkt nicht als Bedingung für den Rückzug der Initiative betrachte. Der Nationalrat habe in seiner Debatte in der Frühjahrssession 2021 allerdings gefordert, dass alle Mitglieder des gesamten Parlaments gleichgestellt werden müssten. Die SPK-SR schlage eine Offenlegungspflicht nur für jene Ständeratsmitglieder vor, die auch tatsächlich gewählt würden, erklärt Fässler den Kompromissvorschlag seiner Kommission. Nur diese gehörten ja aufgrund der erfolgten Wahl einer Bundesbehörde an und würden dann auch nationalem Recht unterstellt. Eine Minderheit beantragte allerdings Festhalten am ursprünglichen Entscheid. Begründet wurde diese Position von Thomas Hefti (fdp, GL) damit, dass in einigen Kantonen bereits Transparenzregeln eingeführt worden seien und man dies also getrost den Kantonen überlassen dürfe, die zudem spezifischer auf die unterschiedlichen Wahlkampfanforderungen für den Ständerat Rücksicht nehmen könnten. Obwohl vor allem die Ratslinke in Person von Lisa Mazzone (gp, GE) oder Hans Stöckli (sp, BE) für die Mehrheit argumentierte und gleichberechtigte Transparenz auch für die kleine Kammer forderte, folgte eine Mehrheit von 25 zu 19 Stimmen dem Minderheitsantrag und beharrte somit auf dieser letzten Differenz.

Der Nationalrat befasste sich zwei Tage später somit nur noch mit der Frage, ob Ständeratsmitglieder gleich behandelt werden sollen wie Nationalratsmitglieder. Die SPK-NR, für die Corina Gredig (glp, ZH) das Wort ergriff, sprach sich für die Bejahung dieser Frage aus. Der Wählerschaft diesen Unterschied zu erklären sei schwierig. Dennoch wolle die Kommission dem Ständerat entgegenkommen und übernehme deshalb den im Ständerat gescheiterten Vorschlag der Mehrheit der Schwesterkommission, eine Offenlegungspflicht nur von effektiv gewählten Kantonsvertreterinnen und -vertretern zu verlangen. Eine von Andri Silberschmidt (fdp, ZH) angeführt Minderheit beantragte, dem ständerätlichen Entscheid zu folgen und auf eine Offenlegung der Wahlbudgets für Ständerätinnen und Ständeräte ganz zu verzichten, um das gesamte Projekt nicht mit einem Element zu gefährden, dass letztlich «nicht matchentscheidend» sei. Die Mehrheit war hingegen anderer Meinung. Marianne Binder-Keller (mitte, AG) zeigte sich erstaunt über die «grandiose Pirouette» des Ständerats, der ja eigentlich den Gegenvorschlag angestossen habe, um mehr Transparenz zu schaffen, sich selber jetzt aber davon ausnehmen wolle. Nachdem Bundesrätin Karin Keller-Sutter versicherte, dass der Vorschlag der Offenlegungspflicht nach erfolgter Wahl verfassungskonform sei, weil ein Ständeratsmitglied mit der Wahl dem Bundesrecht unterstellt werde, erhielt der Kommissionsvorschlag 114 Stimmen. Die 30 Stimmen, die den Ständerat gänzlich von der Offenlegungspflicht der Wahlkampfbudgets befreien wollten, stammten aus der FDP (21) und der SVP-Fraktion (9).

Damit musste eine Einigungskonferenz eingesetzt werden, die es in Anbetracht der Ausgangslage aber relativ einfach hatte und mit 21 zu 3 Stimmen beschloss, die Version des Nationalrats bzw. die im Ständerat abgelehnte Version der Mehrheit der SPK-SR als Kompromissvorschlag zu unterbreiten. Im Ständerat gab es zwar noch einige Stimmen, die sich mit diesem Kompromiss nicht anfreunden konnten – so nannte Jakob Stark (svp, TG) die Regelung einen «nicht zulässigen Kunstgriff», weil während der Wahl kantonales Recht, nach der Wahl aber eidgenössische Recht gelte – nachdem die Justizministerin aber davor warnte, dass die Initiative, die wohl bei einer Volksabstimmung «grosse Chancen» hätte, wesentlich weitgehendere Offenlegungspflichten für alle eidgenössischen Wahlen fordere, schwenkte die kleine Kammer mit 31 zu 7 Stimmen bei 2 Enthaltungen auf den Kompromissvorschlag ein. Auch der Nationalrat stimmte dem Kompromissvorschlag mit 132 zu 50 Stimmen erwartungsgemäss zu – nur die fast geschlossene SVP-Fraktion mit Ausnahme von Lukas Reimann (svp, SG) stimmte dagegen.

Am Schluss der Sommersession 2021 hiess der Nationalrat die Vorlage mit 139 zu 52 Stimmen (4 Enthaltungen) und der Ständerat mit 35 zu 7 Stimmen (2 Enthaltungen) gut. In der Folge zog das Initiativkomitee sein Begehren bedingt zurück. Nach Ablauf der Referendumsfrist kündete der Bundesrat an, das die neuen Regelung im Bundesgesetz über die politischen Rechte im Herbst 2022 in Kraft treten sollen.

Transparenz in der Politikfinanzierung (Pa. Iv. 19.400)
Dossier: Finanzierung der Politik
Dossier: Transparenzinitiative und Gegenvorschlag - Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte

Obwohl der Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Für mehr Transparenz in der Politikfinanzierung (Transparenz-Initiative)» auf gutem Wege war und das Initiativkomitee bereits den Rückzug seines Initiativbegehrens angekündigt hatte, falls sich die Räte auf die noch ausstehenden Differenzen einigen könnten, liess es sich der Nationalrat nicht nehmen, in der Sommersession 2021 über besagtes Volksbegehren zu debattieren. In nicht weniger als 59 Wortmeldungen wurde gestritten, ob es mehr Transparenz in der Politikfinanzierung brauche, um das Vertrauen in die Politik zu erhöhen, oder ob die Offenlegungspflichten mit den Besonderheiten des politischen Systems der Schweiz unvereinbar seien, weil das Milizsystem auf Grund der fehlenden staatlichen Parteienfinanzierung auf Spenden angewiesen sei. Hinterfragt wurden zudem die Machbarkeit von Kontrollen und die Definition von Zuwendungen.
Für mehr Transparenz argumentierte die Ratslinke: Nadine Masshardt (sp, BE), Mitglied des Initiativkomitees, argumentierte, dass die Idee durchaus mit dem Milizsystem vereinbar sei, weil lediglich Grossspenden offengelegt werden müssten: «Meine Grossmutter, die meine Wahlkampagne mit 100 Franken unterstützt, oder auch der Bäcker im Dorf, der 500 Franken an eine Abstimmungskampagne bezahlt, werden nicht entblösst.» Samira Marti (sp, BL) ergänzte, dass Bürgerinnen und Bürger wissen müssten, wer bei Wahlen und Abstimmungen mit grossen Geldsummen Einfluss auf die Politik nehmen wolle. In die gleiche Kerbe schlug Irene Kälin (gp, AG), die zudem daran erinnerte, dass die Schweiz aufgrund der mangelnden Transparenz in der Politikfinanzierung immer wieder gerügt worden sei. Es seien «mutmasslich ausländische Grosskonzerne wie Shell und BP, die über die Erdölvereinigung Avenergy Suisse den Abstimmungskampf gegen das CO2-Gesetz massgeblich mitfinanzieren» würden, erörterte Céline Widmer (sp, ZH) ein aktuelles Beispiel. Weil die Kampagnenfinanzierung aber bisher geheim sei, könne man darüber nur spekulieren. Gerade in Abstimmungskampagnen müsse aber Transparenz darüber herrschen, woher Grossspenden stammten.
Die Ratsrechte echauffierte sich hingegen etwa in der Person von Gregor Rutz (svp, ZH), mehr Transparenz bringe nicht mehr Vertrauen, sondern im Gegenteil mehr Misstrauen, weil hinter jeder Grossspende Korruption vermutet werde. Es gehe den Initianten letztlich um die Einführung eines Berufsparlaments und einer staatlichen Parteienfinanzierung. Es gebe keine Probleme, die mit mehr Transparenz gelöst werden müssten, fand auch Thomas Burgherr (svp, AG). Hier würden «Probleme anderer Länder auf unser eigenes übertragen». Eigenverantwortung und Vertrauen in der Bevölkerung gehe verloren, wenn Politik nicht mehr anonym unterstützt werden könne und eine «Amerikanisierung» der Politik verstärkt werde. Schliesslich stärke die durch eine solche Regelung notwendige Kontrolle der Transparenzregeln nur die Bürokratie. Kurt Fluri (fdp, SO) fragte rhetorisch, ob die Kenntnis der Spenden überhaupt aufschlussreich sei: Es sei doch kaum zu erwarten, dass Grossspender entgegen ihren eigenen Interessen Geld in Kampagnen steckten. Es gebe zudem vielfältige Umgehungsmöglichkeiten, wie Sachleistungen, Zerstückelung von Beträgen oder das Zwischenschalten von Vereinen oder Stiftungen, «die Parteispenden auf wunderbare Art und Weise neutralisieren können». Forderung nach mehr Transparenz entspreche deshalb keinem echten Problem, sondern einem «opportunistischen Zeitgeist». Auch Andri Silberschmidt (fdp, ZH) gab zu Protokoll, dass er nicht davon ausgehe, dass die Diskussionen um Transparenz in der Politikfinanzierung bald ein Ende nehmen würden. Es sei unlängst bekannt geworden, dass die SVP und die SP «Finanzierungsgefässe in Form von Stiftungen» geschaffen hätten, mit denen die Transparenzvorschriften wahrscheinlich umgangen werden könnten, wodurch dann wieder neue Regeln nötig würden.
Die Ratsmitte, etwa in Person von Gerhard Pfister (mitte, ZG), bedauerte, dass weder mit der Initiative noch mit dem Gegenvorschlag vollständige Transparenz geschaffen werde: Die «indirekte Parteienunterstützung», die etwa durch die Anstellung von Parlamentsmitgliedern bei Interessenorganisationen oder NGOs erfolge, beeinflusse die Politik wesentlich stärker als Parteispenden. Weitere Vorstösse würden deshalb wohl folgen, die letztlich die Parteien weiter unter Druck setzen würden. Wollten die Parteien ihrer vor allem aufgrund der direkten Demokratie wichtigen, aber aufwändigen Arbeit weiter nachkommen, so müsse wohl irgendwann «staatliche finanzielle Unterstützung» gefordert werden. Jörg Mäder (glp, ZH) bat darum, die Sache nicht zu stark zu dramatisieren: «Wenn Sie also in Zukunft dank der neuen Regelung oder anderweitig erfahren, dass der Velohändler Ihres Vertrauens einer anderen Partei gespendet hat oder ein Wahlplakat eines anderen Kandidaten ins Schaufenster gehängt hat, machen Sie doch bitte kein Drama daraus». Die Politik funktioniere in der Schweiz vor allem auch deshalb gut, weil sie auf Zusammenarbeit und Vertrauen beruhe. Information könne dies noch weiter fördern.
Auch weil der Gegenvorschlag auf gutem Wege sei, bat die Sprecherin der SPK-NR, Marianne Binder-Keller (mitte, AG), den Rat, die Initiative zur Ablehnung zu empfehlen, was dieser schliesslich mit 110 zu 73 Stimmen auch tat. Entsprechend der Debatte stimmten die geschlossenen Fraktionen der SP und der Grünen – unterstützt von 5 Angehörigen der Mitte-Fraktion – für eine Empfehlung auf Annahme der Initiative.

In den Schlussabstimmungen am Ende der Sommersession 2021 empfahl der Nationalrat die Initiative mit 121 zu 73 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) und der Ständerat mit 29 zu 14 (bei 1 Enthaltung) zur Ablehnung. Auch in der kleinen Kammer, die das Begehren bereits in der Wintersession 2019 debattiert hatte, hatten sich die links-grünen Parteien für eine Unterstützung der Volksinitiative ausgesprochen.

Eidgenössische Volksinitiative «Für mehr Transparenz in der Politikfinanzierung (Transparenz-Initiative)»
Dossier: Finanzierung der Politik
Dossier: Transparenzinitiative und Gegenvorschlag - Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte

Die Walliser Staatsratswahlen sorgten für eine weitere Mutation im Nationalrat. Nicht nur Franz Ruppen (svp, VS), der in der Sondersession im Mai von Michael Graber (svp, VS) ersetzt worden war, sondern auch Mathias Reynard (sp, VS) hatte den Sprung in die Walliser Exekutive geschafft. Für die Walliser SP rückte Emmanuel Amoos zu Beginn der Sommersession 2021 durch Ablegen des Gelübdes in die Volkskammer nach. Damit waren vier der sechs bisherigen Änderungen in der 51. Legislatur im Nationalrat Wahlen in kantonale Regierungen geschuldet.

Mutationen 2021
Dossier: Mutationen im nationalen Parlament

In der Sondersession 2021 kam es zur fünften Mutation in der 51. Legislaturperiode – die Vereidigung von Florence Brenzikofer (gp, BL) mitgezählt, die bereits in der ersten Sessionswoche der neuen Legislatur für die im zweiten Wahlgang in den Ständerat gewählte Maya Graf (gp, BL) nachgerückt war. Michael Graber (svp, VS) ersetzte den 2015 erstmals in den Nationalrat gewählten Franz Ruppen (svp, VS), der in den Walliser Staatsrat, die Kantonsexekutive, gewählt worden war. Der 39-jährige Graber – Rechtsanwalt und Fraktionspräsident der SVP im Walliser Grossrat – legte Anfang Mai den Eid ab und wurde mit Applaus im Nationalrat willkommen geheissen. Sein Mandat im kantonalen Parlament legte er nieder.

Mutationen 2021
Dossier: Mutationen im nationalen Parlament

Nachdem der Ständerat in der Wintersession 2020 auf dem indirekten Gegenvorschlag seiner SPK-SR zur Transparenzinitiative beharrt hatte, musste sich die Volkskammer noch einmal über das Geschäft beugen, mit dem mehr Transparenz bei der Politikfinanzierung hergestellt werden soll. Die SPK-NR wollte der Idee eine zweite Chance geben, beantragte mit 14 zu 10 Stimmen Eintreten und schlug drei Ergänzungen zum Entwurf des Ständerats vor: Parteien sollen auch die Beträge offenlegen müssen, die sie von ihren Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern erhalten, auch Ständeratsmitglieder sollten ihr Wahlkampfbudget offenlegen müssen und die Dokumente, auf denen die verschiedenen Beträge ausgewiesen werden müssen, sollten stichprobenartig kontrolliert werden. Zudem schlug die SPK-NR bei den Schwellenwerten vor, die Vorschläge des Ständerats zu übernehmen: Kampagnenbudgets sollten ab einer Höhe von CHF 50'000 und Spenden ab CHF 25'000 offengelegt werden müssen.
Zur Diskussion standen in der Frühjahrssession 2021 auch einige Minderheitsanträge. Zuerst forderte eine von SVP-Mitgliedern angeführte Kommissionsminderheit, nicht auf die Vorlage einzutreten. Mit dem Gegenvorschlag wie auch mit der Initiative selber würde höchstens «Scheintransparenz» geschaffen und «der Bevölkerung Sand in die Augen» gestreut, argumentierte Martina Bircher (svp, AG) für diese Minderheit. Mit dem «administrativen Monster», das etwa durch Stückelung von Spenden einfach umgangen werden könne, werde über kurz oder lang eine staatliche Parteienfinanzierung eingeführt und das «bewährte Milizsystem zu Grabe» getragen. Die links-grünen Votantinnen (Nadine Masshardt, sp, BE; Ada Marra, sp, VD und Irène Kälin, gp, AG) hoben hingegen im Namen ihrer Fraktionen hervor, dass Transparenz nicht nur immer stärker von der Bevölkerung gefordert werde, sondern auch ein zentrales Element der Demokratie sei, um verlorenes Vertrauen wiederherzustellen. Auch die FDP votierte – gemäss ihrem Sprecher Andri Silberschmidt (fdp, ZH) – für Eintreten, auch wenn volle Transparenz nicht möglich sei und das Vertrauen der Bevölkerung auch heute nach wie vor hoch sei. Auch die GLP sprach sich für einen Gegenvorschlag aus: Niemand könne heute ernsthaft gegen mehr Transparenz eintreten, argumentierte Michel Matter (glp, GE). Gegen Eintreten stimmten dann neben der fast geschlossenen SVP-Fraktion – nur Lukas Reimann (svp, SG) wich von der Fraktionslinie ab und Mike Egger (svp SG) enthielt sich der Stimme – lediglich noch 17 Angehörige der Mitte-Fraktion und vier Freisinnige (5 enthielten sich der Stimme). Die gesamthaft 70 Gegenstimmen waren aber gegen die 115 Stimmen, die für Eintreten votierten, chancenlos.
Eine von Marianne Streiff-Feller (evp, BE) angeführte Minderheit forderte für Spenden einen Mindestbetrag von CHF 10'000 und eine von Andri Silberschmidt angeführte Minderheit wollte diesen Betrag als Kompromissvorschlag bei CHF 15'000 ansetzen. Die Initiative selber sah hier CHF 10'000 vor und der Ständerat hatte sich für CHF 25'000 ausgesprochen. Nachdem die Minderheit Streiff-Feller zugunsten des Kompromissvorschlags zurückgezogen worden war, wurde dieser mit 118 zu 76 Stimmen angenommen, wobei die Gegenstimmen aus der SVP- und der Mitte-Fraktion stammten.
Eine SVP-Minderheit, angeführt von Michael Buffat (svp, VD), beantragte, den Vorschlag der SPK-NR für die Offenlegungspflicht der Beiträge von Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern abzulehnen. Der Vaudois machte geltend, dass das Gesetz mit Aufnahme dieser Offenlegungspflicht noch weiter verkompliziert werde, weil Mandatsbeiträge ja an unterschiedliche Parteistufen (national, kantonal, kommunal) ausbezahlt würden. Auch hier unterlag eine SVP-Mitte-Koalition aus 77 Stimmen einer 117-Stimmen-Mehrheit, die sich für Beibehalten des neuen Vorschlags entschied.
Die gleiche SVP-Minderheit Buffat wollte auch vom Vorschlag der Kommission, Transparenz auch bei Kampagnen zu Ständeratswahlen herzustellen, nichts wissen. Michael Buffat argumentierte, dass es sich bei Ständeratswahlen um eine kantonale Angelegenheit handle und dass der Schwellenwert von CHF 50'000 ungerecht sei, weil dieser zwar bei grossen, aber wohl nicht bei kleinen Kantonen erreicht würde. Auch diese Minderheit scheiterte allerdings und der Nationalrat hiess die neue Regelung mit 139 zu 55 Stimmen gut. Erneut fand sich die SVP-Fraktion in der Minderheit, diesmal allerdings ohne Unterstützung der Mitte-Fraktion.
Eine weitere Minderheit, angeführt von Marianne Binder-Keller (mitte, AG), griff schliesslich auch den dritten Vorschlag der SPK-NR an, der stichprobenweise Kontrollen vorsah. Aufwand und Ertrag stünden hier in keinem Verhältnis, argumentierte die Aargauerin, die in ihrem Votum auch bekannt gab, dass die Mitte-Fraktion sowohl die Initiative als auch den Gegenvorschlag ablehne. Was nämlich bei beiden vergessen ginge, sei die Transparenz bei den «indirekten» Spenden. Eigentlich müssten alle Organisationen, also auch die Gewerkschaften, Wirtschaftsverbände und NGOs ihre Budgets offenlegen, damit wirklich Transparenz in der Politik herrschen könne. Mit 112 zu 82 Stimmen wurde erneut der Vorschlag der SPK-NR unterstützt.
Auch von der linken Ratsseite wurden Minderheitsanträge gestellt. Eine von Irène Kälin (gp, AG) angeführte Minderheit wollte auf einen im Ständerat abgelehnten Vorschlag der SPK-SR zurückkommen und eine Busse von CHF 20'000 für Zuwiderhandlung gegen die Transparenzregeln einführen. Der von den Grünen und der SP-Fraktion unterstützte Vorschlag kam auf 68 Stimmen (unterstützt von den drei EVP-Mitgliedern), wurde aber von den 125 Voten aus den anderen Fraktionen überstimmt.
Zu reden gab schliesslich auch ein kurzfristig schriftlich eingereichter Antrag von Thomas Aeschi (svp, ZG), der die von Marianne Binder geäusserte Kritik aufnahm und Transparenz für «alle politischen Organisationen» forderte. Verbände hätten viel grössere Beträge zur Verfügung als Parteien, weshalb sie ebenfalls in die Pflicht genommen werden müssten, war die schriftliche Begründung des Antrags. Hier schaltete sich Bundesrätin Karin Keller-Sutter in die Diskussion ein und argumentierte, dass es wohl zu «rechtlich kaum lösbaren Abgrenzungsschwierigkeiten» kommen würde, wenn dieser Antrag gutgeheissen würde. Die Argumentation der Justizministerin schien zu verfangen, wurde der Antrag Aeschi doch mit 121 Stimmen abgelehnt. Die 69 Stimmen, die ihn gutgeheissen hätten, stammten aus der geschlossen stimmenden SVP-Fraktion und einer Mehrheit der Mitte-Fraktion.
In der Gesamtabstimmung standen 113 befürwortende 78 ablehnenden Stimmen gegenüber (3 Enthaltungen). Der Wind hatte damit gedreht, wie die Presse kommentierte: Im Gegensatz zur Gesamtabstimmung in der Herbstsession 2020 stimmten diesmal nicht nur die FDP, sondern auch die SP, die GP und die GLP für den Entwurf. Skepsis weckte er nach wie vor bei der SVP-Fraktion, die ihn mit 51 zu 2 Stimmen ablehnte, und bei der Mitte-Fraktion, bei der sich allerdings von 29 Stimmenden immerhin sieben für die Vorlage aussprachen. Der Ständerat wird sich in der Folge mit den drei neu geschaffenen Differenzen auseinandersetzen müssen.

Transparenz in der Politikfinanzierung (Pa. Iv. 19.400)
Dossier: Finanzierung der Politik
Dossier: Transparenzinitiative und Gegenvorschlag - Änderung des Bundesgesetzes über die politischen Rechte

Jamais la population suisse n'a été aussi généreuse qu'en 2020. C'est ce qui ressort d'un sondage réalisé par CH Media auprès de plusieurs organisations. Selon les estimations, le volume de dons pourrait bien dépasser les deux milliards pour l'ensemble de l'année 2020. Ce résultat constitue une bonne surprise, car les organisations caritatives s'attendaient plutôt à vivre une année compliquée en raison de la pandémie. En effet, la crise a fortement touché les entreprises et celles-ci n'ont pas été en mesure de donner autant qu'habituellement. Cette diminution semble cependant avoir été largement compensée par la générosité des privé.e.s. Une étude de l'organisation de bienfaisance britannique Charity Aid Foundation place ainsi la Suisse au treizième rang des pays les plus généreux en ce qui concerne les œuvres caritatives.
Selon la haute école spécialisée zurichoise (ZHAW), cette générosité s'explique par plusieurs facteurs: premièrement, les récessions n'ont jamais eu de grande influence sur le volume des dons. Cela est notamment dû au fait que le groupe de contributeurs et contributrices le plus important est celui des personnes de plus de 60 ans, qui ne sont en général pas touchées par la peur de perdre leur travail. De plus, la crise actuelle a suscité une grande attention médiatique, atteignant des personnes habituellement peu ou pas donatrices. Une autre explication réside dans le fait que la population suisse ait été directement touchée par la crise. Psychologiquement, plus un événement est proche de nous et plus nous nous sentons nous-même concernés par celui-ci, plus grand sera son impact émotionnel, ce qui augmente notre propension à faire des dons. Cela se ressent notamment par la concentration des dons pour des œuvres agissant à l'intérieur des frontières nationales. La chaîne du bonheur a ainsi récolté CHF 42 millions pour l'aide nationale en 2020, contre CHF 8 millions pour l'aide internationale. Les dons se sont, par ailleurs, dirigés principalement vers les organisations actives dans les domaines de la santé et du social, au détriment des organisations de défense de l'environnement par exemple.

Les suisses sont plus généreux que jamais