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Jahresrückblick 2022: Institutionen und Volksrechte

Spätestens seit dem Rücktritt von Ueli Maurer als Bundesrat Ende September dominierte die Suche nach seiner Nachfolgerin oder seinem Nachfolger den Themenbereich «Institutionen und Volksrechte» (vgl. Abbildung 1 der APS-Zeitungsanalyse). Mit dem Rücktritt von Simonetta Sommaruga Ende November standen im Dezember 2022 gleich zwei Bundesratsersatzwahlen an. Maurer hatte seinen Rücktritt mit dem Wunsch begründet, noch einmal etwas Neues machen zu wollen, und Simonetta Sommaruga hatte sich entschieden, in Folge eines Schlaganfalles ihres Mannes ihr Leben neu auszurichten. Wie bei Bundesratsersatzwahlen üblich, überboten sich die Medien mit Spekulationen, Expertisen, Interpretationen und Prognosen. Bei der SVP galt die Kandidatur von Hans-Ueli Vogt (svp, ZH), der sich 2021 aus der Politik zurückgezogen hatte, als Überraschung. Dennoch zog ihn die SVP-Fraktion anderen Kandidatinnen und Kandidaten vor und nominierte ihn neben dem Favoriten Albert Rösti (svp, BE) als offiziellen Kandidaten. Bei der SP sorgte der sehr rasch nach der Rücktrittsrede von Simonetta Sommaruga verkündete Entscheid der Parteileitung, mit einem reinen Frauenticket antreten zu wollen, für Diskussionen. Die medialen Wogen gingen hoch, als Daniel Jositsch (ZH) dies als «Diskriminierung» bezeichnete und seine eigene Bundesratskandidatur verkündete. Die SP-Fraktion entschied sich in der Folge mit Elisabeth Baume-Schneider (sp, JU) und Eva Herzog (sp, BS) für zwei Kandidatinnen. Zum Nachfolger von Ueli Maurer wurde bereits im 1. Wahlgang Albert Rösti mit 131 von 243 gültigen Stimmen gewählt. Hans-Ueli Vogt hatte 98 Stimmen erhalten (Diverse: 14). Für die SP zog Elisabeth Baume-Schneider neu in die Regierung ein. Sie setzte sich im dritten Wahlgang mit 123 von 245 gültigen Stimmen gegen Eva Herzog mit 116 Stimmen durch. Daniel Jositsch hatte in allen drei Wahlgängen jeweils Stimmen erhalten – deren 6 noch im letzten Umgang. Die Wahl der ersten Bundesrätin aus dem Kanton Jura wurde von zahlreichen Beobachterinnen und Beobachtern nicht nur als Überraschung gewertet, sondern gar als Gefahr für das «Gleichgewicht» der Landesregierung kommentiert (Tages-Anzeiger). Die rurale Schweiz sei nun in der Exekutive übervertreten, wurde in zahlreichen Medien kritisiert.

Der Bundesrat stand aber nicht nur bei den Wahlen im Zentrum des Interesses. Diskutiert wurde auch über Vor- und Nachteile einer Erhöhung der Zahl der Regierungsmitglieder, wie sie eine parlamentarische Initiative Pa.Iv. 19.503 forderte – es war bereits der sechste entsprechende Vorstoss in den letzten 30 Jahren. Die Begründungen hinter den jeweiligen Anläufen variieren zwar über die Zeit – der neueste Vorstoss wollte «die Konkordanz stärken», also mehr Spielraum für parteipolitische aber auch für gendergerechte Vertretung schaffen – die Projekte nahmen bisher aber stets denselben Verlauf: Auch in diesem Jahr bevorzugte das Parlament den Status quo.
Verbessert werden sollte hingegen die Krisenorganisation des Bundesrates. Dazu überwiesen beide Kammern gleichlautende Motionen und Postulate der GPK beider Räte, die Rechtsgrundlagen für einen Fach-Krisenstab sowie eine Gesamtbilanz der Krisenorganisation des Bundes anhand der Lehren aus der Corona-Pandemie verlangten.

Auch das Parlament sollte als Lehre aus der Pandemie krisenresistenter gemacht werden. Aus verschiedenen, von Parlamentsmitgliedern eingereichten Ideen hatte die SPK-NR eine einzige Vorlage geschnürt, die 2022 von den Räten behandelt wurde. Dabei sollten aber weder der Bundesrat in seiner Macht beschränkt, noch neue Instrumente für das Parlament geschaffen werden – wie ursprünglich gefordert worden war. Vielmehr sah der Entwurf Möglichkeiten für virtuelle Sitzungsteilnahme im Falle physischer Verhinderung aufgrund höherer Gewalt und die Verpflichtung des Bundesrates zu schnelleren Stellungnahmen bei gleichlautenden dringlichen Kommissionsmotionen vor. Umstritten blieb die Frage, ob es statt der heutigen Verwaltungsdelegation neu eine ständige Verwaltungskommission braucht. Der Nationalrat setzte sich für eine solche ein, der Ständerat lehnte sie ab – eine Differenz, die ins Jahr 2023 mitgenommen wird.
Nicht nur die Verwaltungskommission, auch die Schaffung einer ausserordentlichen Aufsichtsdelegation war umstritten. Die vom Nationalrat jeweils mit grosser Mehrheit unterstützte Idee, dass es neben der PUK und den Aufsichtskommissionen ein mit starken Informationsrechten ausgerüstetes Gremium geben soll, das als problematisch beurteilte Vorkommnisse in der Verwaltung rasch untersuchen könnte, war beim Ständerat stets auf Unwille gestossen. Auch nach einer Einigungskonferenz konnten sich die Räte nicht auf eine Lösung verständigen, woraufhin der Ständerat das Anliegen versenkte, zumal er die bestehenden Instrumente und Akteure als genügend stark erachtete.

Seit vielen Jahren Zankapfel zwischen den Räten ist die Frage nach der Höhe der Löhne in der Bundesverwaltung. In diesem Jahr beendete der Ständerat eine beinahe sechsjährige Diskussion dazu, indem er auf eine entsprechende Vorlage der SPK-SR auch in der zweiten Runde nicht eintrat, obwohl der Nationalrat deutlich für eine Obergrenze von CHF 1 Mio. votiert hatte. Die SPK-NR sorgte in der Folge mit einer neuerlichen parlamentarischen Initiative für ein Verbot von «goldenen Fallschirmen» für Bundeskader dafür, dass diese Auseinandersetzung weitergehen wird.

In schöner Regelmässigkeit wird im Parlament auch die Einführung einer Verfassungsgerichtsbarkeit diskutiert. Zwei entsprechende Motionen wurden in diesem Jahr von der Mehrheit des Ständerats abgelehnt, da das aktuelle System, in welchem die Letztentscheidung dem direktdemokratischen Element und nicht der Judikative überlassen wird, so gut austariert sei, dass ein Verfassungsgericht nicht nötig sei. Freilich ist sich das Parlament der Bedeutung der obersten Bundesgerichte durchaus bewusst. Ein Problem stellt dort seit einiger Zeit vor allem die chronische Überlastung aufgrund der hohen Fallzahlen dar. Daher werde gemäss Justizministerin Karin Keller-Sutter mittelfristig eine Modernisierung des Bundesgerichtsgesetzes geprüft, kurzfristig sei eine Entlastung aber nur durch eine Erhöhung der Zahl der ordentlichen Richterinnen und Richter zu erreichen. Eine entsprechende parlamentarische Initiative der RK-NR hiessen beide Kammern gut, allerdings jeweils gegen die geschlossen stimmende SVP-Fraktion, die in der Erhöhung lediglich «Flickwerk» sah.

Die mittels direktdemokratischer Abstimmungen verhandelte Schweizer Politik zeigte sich 2022 einigermassen reformresistent. Nachdem im Februar gleich beide zur Abstimmung stehenden fakultativen Referenden (Gesetz über die Stempelabgaben und Medienpaket) erfolgreich waren, wurde in den Medien gar spekuliert, ob die Bundespolitik sich nun vermehrt auf Blockaden einstellen müsse. Allerdings passierten dann im Mai und im September 4 von 5 mittels Referenden angegriffenen Bundesbeschlüsse die Hürde der Volksabstimmung (Filmgesetz, Organspende, Frontex, AHV21). Einzig die Revision des Verrechnungssteuergesetzes wurde im September an der Urne ausgebremst. 2022 war zudem die insgesamt 25. Volksinitiative erfolgreich: Volk und Stände hiessen die Initiative «Kinder und Jugendliche ohne Tabakwerbung» gut. Die beiden anderen Volksbegehren (Massentierhaltungsinitiative, Initiative für ein Verbot von Tier- und Menschenversuchen) wurden hingegen abgelehnt.

Dass in der Schweizer Politik manchmal nur ganz kleine Schritte möglich sind, zeigen die erfolglosen Bemühungen, den Umfang an Stimm- und Wahlberechtigten zu erhöhen. Der Nationalrat lehnte zwei Vorstösse ab, mit denen das Stimmrecht auf Personen ohne Schweizer Pass hätte ausgeweitet werden sollen. Auch die Wahrscheinlichkeit, dass das Stimmrechtsalter in naher Zukunft auf 16 gesenkt werden wird, hat sich im Jahr 2022 eher verringert: Zwar wies eine knappe Mehrheit des Nationalrats den Abschreibungsantrag für eine parlamentarische Initiative, welche eine Senkung des Alters für das aktive Stimmrecht verlangt und welcher 2021 beide Kammern Folge gegeben hatten, ab und wies sie an die SPK-NR zurück, damit diese eine Vorlage ausarbeitet. In zwei Kantonen wurde die Senkung des Stimmrechtsalters im Jahr 2022 an der Urne aber deutlich verworfen: in Zürich im Mai mit 64.8 Prozent Nein-Stimmenanteil, in Bern im September mit 67.2 Prozent Nein-Stimmenanteil.

Allerdings fielen 2022 auch Entscheide, aufgrund derer sich das halbdirektdemokratische System der Schweiz weiterentwickeln wird. Zu denken ist dabei einerseits an Vorstösse, mit denen Menschen mit Behinderungen stärker in den politischen Prozess eingebunden werden sollen – 2022 nahmen etwa beide Kammern eine Motion an, mit der Einrichtungen geschaffen werden, die helfen, das Stimmgeheimnis für Menschen mit Sehbehinderung zu gewährleisten. Zudem gaben National- und Ständerat einer parlamentarischen Initiative für die Barrierefreiheit des Live-Streams der Parlamentsdebatten Folge, damit auch hörgeschädigte Menschen diesen folgen können. Andererseits verabschiedete der Bundesrat die Verordnung zu den künftigen Transparenzbestimmungen bei Wahlen und Abstimmungen. Ob und wie die erstmals für die eidgenössischen Wahlen 2023 bzw. für das Finanzjahr 2023 vorzulegenden Kampagnen- und Parteibudgets die politischen Debatten beeinflussen werden, wird sich weisen.

Jahresrückblick 2021: Institutionen und Volksrechte
Dossier: Jahresrückblick 2022

Im Dezember 2022 präsentierte der Bundesrat die Botschaft für die Revision des Umweltschutzgesetzes. Die Revision bezweckt Veränderungen in den Bereichen Lärm, Altlasten, Lenkungsabgaben, Finanzierung von Aus- und Weiterbildungskursen zum Umgang mit Pflanzenschutzmitteln, beim E-Government sowie beim Strafrecht.
Beim Lärmschutz will der Bundesrat die raumplanerischen Ziele (verdichtetes Bauen / Siedlungsentwicklung nach innen) besser mit dem Schutz der Bevölkerung vor Lärmemissionen in Einklang bringen. Mit den vorgesehenen Änderungen im USG sollen die Rechts- und Planungssicherheit erhöht werden, indem die lärmrechtlichen Kriterien für Baubewilligungen präzisiert werden. Die Änderungen stünden in Einklang mit dem «Nationalen Massnahmenplan zur Verringerung der Lärmbelastung» und setze die Motion 16.3529 Flach (glp, AG) um, so der Bundesrat.
Im Bereich der Altlasten beabsichtigt der Bundesrat, die Sanierung von öffentlichen und privaten Böden voranzutreiben. Die Untersuchung und Sanierung öffentlicher Kinderspielplätze und Grünflächen sollen verbindlich geregelt werden, wobei die Kosten der Sanierung zu 60 Prozent durch den VASA-Fonds übernommen würden. Die weiterhin freiwillige Untersuchung und Sanierung privater Kinderspielplätze und Hausgärten würde durch eine 40-prozentige Beteiligung des VASA-Fonds unterstützt. Weiter sollen durch ehemalige Deponien oder industrielle Aktivitäten belastete Standorte generell rascher analysiert und saniert werden. Bei den 300-Meter-Schiessanlagen schlug der Bundesrat vor, in Zukunft nicht mehr eine Pauschale pro Scheibe zu sprechen, sondern dass der Bund die Sanierungskosten generell zu 40 Prozent übernimmt. Mit diesen Änderungen werde die Motion 18.3018 Salzmann (svp, BE) erfüllt und das Anliegen einer abgelehnten Motion 20.4546 Fivaz (gp, NE) aufgenommen, so die Botschaft.
Bei den Lenkungsabgaben sollen diejenigen Artikel im USG, die den Schwefelgehalt von einigen Treibstoffen betreffen, gestrichen werden, da sie aufgrund strengerer Vorschriften in der LRV keine Anwendung mehr finden.
Eine weitere Neuerung im USG soll es dem Bund erlauben, private Institutionen finanziell zu unterstützen, die an sie übertragene Aufgaben im Bereich der Aus- und Weiterbildung zum Umgang mit Pflanzenschutzmitteln wahrnehmen. Diese Änderung werde insbesondere die Umsetzung von Massnahmen des Aktionsplans zur Risikoreduktion und nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln vereinfachen.
Die vorliegende Revision schaffe auch die gesetzliche Grundlage, um das E-Government-Programm des UVEK im Umweltschutzbereich zu verankern, so der Bundesrat.
Schliesslich bezweckt der Bundesrat einige der Strafbestimmungen im USG anzupassen und das Strafmass für schwere Delikte anzuheben. Zudem solle die Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Strafverfolgungs- und Umweltschutzbehörden gestärkt werden.

Umweltschutzgesetz. Änderung (BRG 22.085)

Weil die Ständeratswahlen im Kanton Jura mittels Proporzwahlsystem durchgeführt werden, brauchte es für die Nachfolge von Elisabeth Baume-Schneider (sp, JU), die in den Bundesrat gewählt worden war, keine Ersatzwahlen, wie dies in anderen Kantonen (mit Ausnahme des Kantons Neuenburg, der ebenfalls ein Proporzwahlsystem für seine Kantonsvertretung kennt) üblich ist. Stattdessen rückte die bei den eidgenössischen Wahlen 2019 Zweitplatzierte auf der SP-Liste in den Ständerat nach. Bei dieser Zweitplatzierten handelte es sich um Mathilde Crevoisier Crelier (sp, JU), die damit «aus dem politischen Nichts [...] direkt ins Stöckli» marschiere, wie der Tages-Anzeiger berichtete. Die Sozialdemokratin, für die die Wahl von Elisabeth Baume-Schneider in die Landesregierung eine grosse Überraschung gewesen sei, sass als Präsidentin der lokalen SP seit 2012 im Stadtparlament von Pruntrut und war 2022 in die Stadtregierung gewählt worden. Als Übersetzerin im Generalsekretariat des EDI ist sie mit der nationalen Politik vertraut. Diesen Beruf musste sie in der Folge allerdings aufgeben, weil Parlamentsmitglieder nicht gleichzeitig der Bundesverwaltung angehören dürfen. Nach kurzer Bedenkzeit legte sie auch ihre lokalpolitischen Ämter nieder, um sich ganz auf ihr Ständeratsmandat zu konzentrieren und es im Herbst als Bisherige zu verteidigen. Sie müsse praktisch ihr ganzes Leben umkrempeln, urteilte der Tages-Anzeiger.
In der Tat wurde Mathilde Crevoisier Crelier bereits in der letzten Woche der Wintersession 2022, also nur gut eine Woche nach der Wahl ihrer Listenkollegin in den Bundesrat, im Ständerat vereidigt. Die neue Ständerätin des Kantons Jura legte das Gelübde ab. Nach dem Rücktritt von Christian Levrat (sp, FR) und der entsprechenden Ersatzwahl von Isabelle Chassot (mitte, FR) zur neuen Ständerätin des Kantons Freiburg im Jahr 2021 stellte das Nachrücken der jurassischen Sozialdemokratin die zweite Mutation im Ständerat in der aktuellen Legislatur dar.

Mutationen 2022
Dossier: Mutationen im nationalen Parlament

Die 182 zu 1 Stimmen im Nationalrat liessen darauf schliessen, dass die Motion Dobler (fdp, SG), die bei eidgenössischen Abstimmungen auf dem Stimmzettel einen Hinweis auf bestehende indirekte Gegenvorschläge verlangt, auf den ersten Blick «nachvollziehbar und sympathisch» sei, führte Mathias Zopfi (gp, GL) als Sprecher der SPK-SR die ständerätliche Debatte zum Vorstoss in der Wintersession 2022 ein. Der Kommission habe allerdings ein zweiter Blick genügt, um die Ablehnung der Motion zu beantragen. Im Gegensatz zum Motionär sei die Kommission der Meinung, dass die Willensbildung durch zusätzliche Informationen auf dem Stimmzettel nicht gefördert, sondern im Gegenteil gefährdet werde. Ein indirekter Gegenvorschlag sei ein politisches Argument und gehöre deshalb sicher nicht auf den Stimmzettel, der möglichst schlicht bleiben und nicht mit Hinweisen überladen werden soll. Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger seien sehr wohl in der Lage, sich zum Beispiel im Abstimmungsbüchlein über bestehende Gegenvorschläge zu informieren. In der Tat war die Information über indirekte Gegenvorschläge in den Abstimmungserläuterungen mit deren Überarbeitung 2018 stark verbessert worden. Einen Minderheitsantrag auf Annahme gab es nicht, obwohl die SPK-SR die Ablehnungsempfehlung mit 9 zu 1 Stimmen und 1 Enthaltung beschloss. Weil er als Einziger in der Kommission für die Motion gestimmt habe, habe er auf einen Antrag verzichtet, so Thomas Minder (parteilos, SH). Er fände es aber eigentlich «logisch», wenn auf dem Stimmzettel vermerkt würde, über welche Alternativen Stimmbürgerinnen und Stimmbürger verfügten beziehungsweise welche Folgen die Ablehnung einer Initiative habe. Er denke nicht, dass alle Stimmberechtigten wüssten, was ein indirekter Gegenvorschlag sei. Auch Bundeskanzler Walter Thurnherr ergriff das Wort und führte für den Bundesrat, der die Motion ebenfalls zur Ablehnung empfohlen hatte, aus, dass das geltende Recht vorsehe, dass Abstimmungsfragen neutral formuliert sein und keinen Informationsauftrag erfüllen müssen. Es wäre unzulässig, ein Argument für oder gegen eine Vorlage in die Abstimmungsfrage einzufügen, und auch «demokratiepolitisch problematisch», wenn Hinweise auf Stimmzetteln die Meinungsbildung beeinflussen würden. Ohne Abstimmung lehnte die kleine Kammer die Motion in der Folge ab.

Hinweis auf bestehende indirekte Gegenvorschläge auf dem Abstimmungszettel (Mo. 22.3132)
Dossier: Stimmzettel als Informationsträger?

Zu Beginn der Wintersession 2022 machte sich der Nationalrat an die Beratung des Voranschlags 2023 mit integriertem Aufgaben- und Finanzplan 2024–2026. Anna Giacometti (fdp, GR) und Jean-Pierre Grin (svp, VD) präsentierten dem Rat das Budget und die Änderungsvorschläge der Kommissionsmehrheit. Beide betonten die «düsteren finanzpolitischen Aussichten» (Giacometti), welche in den Finanzplanjahren grosse Korrekturmassnahmen nötig machen würden. Besser sehe es noch für das Jahr 2023 und somit für den Voranschlag aus, hier schlug die Kommissionsmehrheit gar Mehrausgaben von CHF 11.2 Mio. vor, womit die Schuldenbremse immer noch eingehalten werden könne. Insgesamt beantragte die Kommission sieben Änderungen am bundesrätlichen Voranschlag, welche der Rat allesamt annahm. Kaum Erfolg hatten hingegen die Minderheitsanträge.

Das geplante Defizit in den Finanzplanjahren war auch Thema in den folgenden Fraktionsvoten. Als besonders dramatisch erachtete etwa Lars Guggisberg (svp, BE) die finanzielle Situation des Bundes: Man befinde sich «finanzpolitisch seit Jahren im freien Fall», zumal das Parlament immer mehr Geld ausgebe als vorhanden sei. Nun müsse man Prioritäten setzen, weshalb die SVP insbesondere im Finanzplan entsprechende Kürzungsanträge stelle. Ähnlich formulierte es Alex Farinelli (fdp, TI) für die FDP-Fraktion, der die Bundesfinanzen mit der Titanic verglich – zwar scheine alles ruhig, bei genauerer Betrachtung sei «das Bild, insbesondere das mittelfristige, [aber] wesentlich problematischer und beunruhigender». Auch er verlangte daher die Setzung von Prioritäten. Demgegenüber hob Jean-Paul Gschwind (mitte, JU) das positive strukturelle Saldo des Voranschlags hervor, betonte aber auch, dass man für die Finanzplanjahre Korrekturmassnahmen einbringen müsse – insbesondere auch, weil die Gewinnausschüttung durch die SNB ausbleiben könne.
Deutlich weniger besorgt zeigten sich die Sprechenden der anderen Fraktionen über die finanzpolitische Situation. Roland Fischer (glp, LU) erachtete in Anbetracht der tiefen Schuldenquote des Bundes nicht in erster Linie die Defizite als problematisch, sondern die Ausgestaltung der Schuldenbremse, die es nicht erlaube, Schulden zu machen, um Investitionen zu tätigen. Auch Sarah Wyss (sp, BS) zeigte sich durch die «Mehrbelastungen ab 2024 [...] nicht besonders beunruhig[t]». Man müsse zwar reagieren, dabei aber vor allem auf Nachhaltigkeit setzen und von «kurzfristige[r] Sparwut» absehen. Gerhard Andrey (gp, FR) sah die Schuld für die finanzpolitischen Probleme vor allem bei denjenigen Mitgliedern des Parlaments, welche das Armeebudget stark aufgestockt und einen Abbau der Corona-Schulden über zukünftige Überschüsse durchgesetzt hätten. Statt über Sparmassnahmen solle man aber nun über zusätzliche Einnahmen, etwa im Rahmen einer Erbschaftssteuer, sprechen.

In der Folge behandelte der Nationalrat den Voranschlag 2023 in sechs Blöcken, beginnend mit einem ersten Block zu den Beziehungen zum Ausland und zur Migration. Hierbei lagen dem Rat keine Mehrheitsanträge der Kommission vor, jedoch zahlreiche Minderheitsanträge von Mitgliedern der Polparteien. Einerseits verlangten Minderheiten Badertscher (gp, BE), Friedl (sp, SG), Wettstein (gp, SO) sowie zwei Einzelanträge Pasquier-Eichenberger (gp, GE) etwa eine Aufstockung der Beiträge für humanitäre Aktionen oder an die Entwicklungszusammenarbeit mit den Ländern des Ostens, teilweise auch in den Finanzplanjahren. Andererseits forderten Minderheiten Grin (svp, VD), Guggisberg (svp, BE), Fischer (svp, ZH) sowie ein Einzelantrag der SVP-Fraktion etwa eine Reduktion des Schweizer Beitrags an ausgewählte EU-Mitgliedstaaten, an die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit oder an die Integrationsmassnahmen für Ausländerinnen und Ausländer (teilweise auch oder nur in den Finanzplanjahren) sowie die ordentliche Verbuchung der Ausgaben für Kriegsvertriebene aus der Ukraine. Die Minderheitsanträge blieben jedoch allesamt erfolglos.

Im zweiten Block zu Kultur, Bildung, Forschung, Familie und Sport lagen dem Nationalrat vier Kommissionsanträge vor. Im Sportbereich wollte die Kommission einerseits einen Kredit für die Sportverbände zugunsten der nationalen Meldestelle von Swiss Sport Integrity um CHF 360'000 aufstocken, zumal seit deren Schaffung Anfang 2022 dreimal mehr Meldungen eingegangen seien, als erwartet worden waren. CHF 650'000 sollten zudem für die Ausrichtung der Staffel-Weltmeisterschaft 2024 in Lausanne gesprochen werden, wobei der Bund einen Drittel der Gesamtfinanzierung übernehmen würde. Keine Aufstockung, sondern eine ausdrückliche Verwendung der CHF 390'000, welche der Bundesrat im Bereich Kinderschutz/Kinderrechte veranschlagt hatte, für eine Übergangslösung zur Stärkung der Kinderrechte verlangte die Kommission bei den Krediten des BSV. Eine Übergangslösung war nötig geworden, weil die Ombudsstelle für Kinderrechte, für die der Betrag gedacht war, noch nicht über eine gesetzliche Grundlage verfügte. Schliesslich verlangte die Kommission, dass CHF 35 Mio., welche nach dem Ausschluss der Schweiz aus Horizon Europe bei den EU-Forschungsprogrammen nicht benötigt werden, stattdessen Innosuisse zugesprochen werden. Der Nationalrat hiess alle vier Kommissionsanträge stillschweigend gut.
Weitere CHF 50 Mio. aus dem Kredit der EU-Forschungsprogramme zum Kredit für die Institutionen der Forschungsförderung verschieben wollte eine Minderheit Munz (sp, SH). Zudem verlangten zwei weitere Minderheiten Munz Aufstockungen bei der internationalen Mobilität Bildung zugunsten des Programms Erasmus+. Die Kredite gegenüber dem bundesrätlichen Vorschlag reduzieren wollten hingegen eine Minderheit I Grin bei den Institutionen der Forschungsförderung sowie eine Minderheit Guggisberg in den Finanzplanjahren bei der internationalen Mobilität Bildung und bei den Stipendien an ausländische Studierende. Mit 123 zu 68 Stimmen kürzte der Nationalrat in Übereinstimmung mit der Minderheit Munz den Kredit der EU-Forschungsprogramme zugunsten der Institutionen der Forschungsförderung, lehnte aber ansonsten sämtliche Minderheitsanträge ab. Dazu gehörten auch zwei Minderheiten Nicolet (svp, VD), welche bei Pro Helvetia (auch in den Finanzplanjahren) und bei der familienergänzenden Kinderbetreuung kürzen wollten.

Im Block 3 zu Umwelt und Energie hiess der Nationalrat die veranschlagten CHF 42 Mio. für Programme von EnergieSchweiz für den Heizungsersatz, zur Dekarbonisierung von Industrie und Gewerbe, zur Einführung von neuen Technologien und zur Bekämpfung des Fachkräftemangels sowie CHF 4 Mrd. für den Rettungsschirm Elektrizitätswirtschaft, welchen der Bundesrat in einer Nachmeldung beantragt hatte, gut. Eine Minderheit Schilliger (fdp, LU) hatte erfolglos eine Kürzung bei den Programmen von EnergieSchweiz im Voranschlag und in den Finanzplanjahren gefordert. Erfolglos blieben auch alle anderen Minderheiten etwa zur Streichung von CHF 10 Mio. für eine Winter-Energiespar-Initiative, zur Reduktion des Kredits für die Reservekraftwerke, aber auch für eine Erhöhung des Kredits für die Reservekraftwerke um CHF 100 Mio., um eine Erhöhung der Energiekosten für die Bevölkerung zu verhindern.

Erfolglos blieben auch sämtliche Minderheitsanträge im vierten Block zu den Themen «soziale Wohlfahrt, Gesundheit und Sicherheit», wo etwa eine Minderheit Wettstein (gp, SO) eine Erhöhung des Bundesbeitrags an das Schweizerische Rote Kreuz oder verschiedene Minderheiten Kürzungen beim Rüstungsaufwand oder bei verschiedenen Positionen zur Verteidigung beantragten.

Im fünften Block zu Standortförderung, Steuern und Landwirtschaft gab es nur einzelne Forderungen zu den ersten beiden Bereichen, etwa verlangte eine Minderheit Gysi (sp, SG) zusätzliche Mittel und Stellen in der Steuerverwaltung für mehr Mehrwertssteuerkontrollen und eine Minderheit Guggisberg eine Streichung der Neuen Regionalpolitik, da diese Aufgabe der Kantone sei. Das Hauptinteresse des Nationalrats galt in diesem Block aber der Landwirtschaft, zu der zahlreiche Mehr- und Minderheitsanträge vorlagen: Die Kommissionsmehrheit verlangte eine Erhöhung des Kredits für die Qualitäts- und Absatzförderung zugunsten des Schweizer Weins um CHF 6.2 Mio. (in Umsetzung einer Motion 22.3022, die vom Nationalrat angenommen, aber vom Ständerat an die WAK-SR verwiesen worden war). Eine Minderheit Munz wollte stattdessen einen Teil der bereits veranschlagten Mittel zur Umsetzung der Motion einsetzen, der Nationalrat folgte jedoch seiner Kommissionsmehrheit und beschloss die Krediterhöhung. Weiter beantragte die Kommissionsmehrheit, in den Planungsgrössen zu den Direktzahlungen die Höhe der Versorgungssicherheitsbeiträge auf CHF 1.1 Mrd. festzuschreiben, so dass diese entgegen der Absicht des Bundesrates nicht gekürzt werden könnten. Der Nationalrat folgte auch dieser Kommissionsmehrheit, während eine Minderheit Munz besagte Planungsgrösse erfolglos streichen wollte. Schliesslich sollten die Mittel für Wildtiere, Jagd und Fischerei gemäss Kommissionsmehrheit um CHF 4 Mio. zugunsten von Sofortmassnahmen für den Herdenschutz aufgestockt werden, wobei der Nationalrat auch hier der Komissionsmehrheit und nicht einer Minderheit Schneider Schüttel (sp, FR) auf Beibehalten des bundesrätlichen Betrags folgte. Erfolgreich war zudem eine Minderheit Grin für eine Erhöhung des Kredits für die Pflanzen- und Tierzucht um CHF 3.9 Mio. zugunsten einheimischer Nutztierrassen, nicht aber ein weiterer Minderheitsantrag Grin für einen Verzicht auf die Aufstockung des Funktionsaufwands beim Bundesamt für Landwirtschaft um CHF 900'000 zur Umsetzung einer parlamentarischen Initiative zur Verminderung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln.

Im sechsten Block ging es abschliessend um den Eigenaufwand des Bundes und um die Schuldenbremse, wobei die Kommissionsmehrheit nur einen Antrag auf Änderung gegenüber der bundesrätlichen Version stellte: Bei den Planungsgrössen zum BABS sollte der Soll-Wert der Kundenzufriedenheit bei den Ausbildungsleistungen von 80 auf 85 Prozent und in den Finanzplanjahren auf 90 Prozent erhöht werden. Stillschweigend hiess der Nationalrat die Änderung gut. Zudem lagen zahlreiche Minderheitsanträge Nicolet auf Kürzungen im Personalbereich verschiedener Bundesämter (BAFU, BAG, BAK, BAV, BFS) sowie beim UVEK vor, die jedoch allesamt abgelehnt wurden – genauso wie weitere Kürzungsanträge im Personalbereich sowie bei den Sach- und Betriebsausgaben des SEM, zur Kürzung des Personalaufwands im Bereich der Social-Media-Strategie und der Digitalisierung sowie für Querschnittskürzungen beim BBL. Abgelehnt wurde aber auch ein Minderheitsantrag Schneider Schüttel zur Schaffung von zwei zusätzlichen Stellen beim BLV im Bereich Zulassung von Pflanzenschutzmitteln. Schliesslich scheiterte auch ein Antrag der SVP-Fraktion, die aus der Gewinnausschüttung der SNB veranschlagten Einnahmen von CHF 666.7 Mio. zu streichen, da die SNB diese nach ihren Verlusten voraussichtlich nicht würde tätigen können.

Nach langen Diskussionen, bei denen sämtliche Mehrheits- sowie einzelne Minderheitsanträge angenommen worden waren, hiess der Nationalrat den Voranschlag in der Gesamtabstimmung mit 137 zu 49 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) gut. Die ablehnenden Stimmen stammten von der geschlossen stimmenden SVP-Fraktion sowie von einem Mitglied der Grünen. Angenommen wurden in der Folge auch der Bundesbeschluss über die Planungsgrössen im Voranschlag für das Jahr 2023 (138 zu 50 Stimmen bei 2 Enthaltungen), der Bundesbeschluss über den Finanzplan für die Jahre 2024-2026 (179 zu 12 Stimmen) sowie der Bundesbeschluss über die Entnahmen aus dem Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrsfonds für das Jahr 2023 (191 zu 0 Stimmen).

Voranschlag 2023 mit integriertem Aufgaben- und Finanzplan 2024-2026 (BRG 22.041)
Dossier: Bundeshaushalt 2023: Voranschlag und Staatsrechnung

Im Sommer 2022 kündigte Marianne Streiff-Feller (evp, BE) ihren Rücktritt aus dem Nationalrat an. Seit 2011 sass die Bernerin, die zudem von 2014 bis 2021 als Präsidentin der EVP amtete, in der grossen Kammer. Sie wolle mehr Zeit für ihre Familie haben, gab Streiff-Feller als Grund für ihren Rücktritt gegenüber den Medien an. Sie wolle sich zudem in Palliative Care weiterbilden.
In der Wintersession 2022 wurde Marc Jost (evp, BE) vereidigt, der für Streiff-Feller nachrutschte. Der 48-jährige Theologe war lange Zeit Grossrat im Kanton Bern und 2015/2016 Präsident des Kantonalberner Parlaments. Jost ist das 14. Mitglied im Nationalrat, das in der laufenden Legislatur nachrutschte.

Mutationen 2022
Dossier: Mutationen im nationalen Parlament

Ende Oktober 2022 gab der Bundesrat bekannt, dass es am 12. März 2023 zu keinem Urnengang über eidgenössische Abstimmungsvorlagen komme, da keine Erlasse vorlägen. Einigermassen speziell an dieser Mitteilung war, dass schon rund vier Monate früher eine praktisch identische Mitteilung angekündigt hatte, dass der Termin im November 2022 nicht genutzt werde. Auch für den Termin von November 2022 gab es weder abstimmungsreife Initiativen oder obligatorische Referenden noch erfolgreich zustande gekommene fakultative Referenden, die einem Volksentscheid harrten.
Diese «Ruhepause für das helvetische System der halbdirekten Demokratie», wie sie von Swissinfo bezeichnet wurde, ist ein eher seltenes Ereignis. Der Bund setzt jeweils rund 20 Jahre im Voraus sogenannte Blanko-Abstimmungstermine für eidgenössische Urnengänge fest. Alle vier Jahre werden an einem dieser Blankotermine die eidgenössischen Wahlen abgehalten und in der Regel wird der auf die Wahlen folgende Termin ebenfalls nicht für eidgenössische Abstimmungen genutzt. Damit kommt es also jeweils bei den eidgenössischen Wahlen ebenfalls zweimal hintereinander nicht zu Abstimmungen. Zudem gab es in den letzten Jahrzehnten immer wieder einzelne Blankotermine, die nicht genutzt wurden – so etwa der 17. Mai 2020, als die Abstimmungen aufgrund der Covid-Pandemie verschoben werden mussten, im November 2017 oder der im Mai 2011. Im Jahr 2011 wurde gar insgesamt lediglich über eine einzige eidgenössische Vorlage abgestimmt. Dass – losgelöst von den Wahlpausen – gleich zwei Abstimmungstermine hintereinander nicht wahrgenommen wurden, kam das letzte Mal 1980 vor. Damals verstrichen zwischen zwei Urnengängen 273 Tage. Aktuell, also zwischen dem letzten Abstimmungstermin am 27. September und dem nächsten möglichen Termin am 18. Juni 2023, werden es 266 Tage sein. Gar 910 Tage verstrichen zwischen dem 3. Mai 1942 und dem 29. Oktober 1944 – der Allzeitrekord seit der Einführung des fakultativen Referendums 1874, wie Berechnungen von Swissvotes zeigen.

Keine Abstimmungen im November 2022 und im März 2023

Im August 2022, also über ein Jahr nach der Abstimmung in Moutier über einen Kantonswechsel des Städtchens von Bern zu Jura, reichten elf Stimmberechtigte eine Beschwerde gegen das Abstimmungsergebnis ein. Sie machten geltend, die jurassische Kantonsregierung habe die Stimmberechtigten vor der Abstimmung mit ihren Aussagen zur Zukunft des Spitals von Moutier in die Irre geführt. Das Spital gehört zu den grössten Arbeitgebern in Moutier und die Gegnerinnen und Gegner eines Kantonswechsels hatten schon seit Längerem argumentiert, ein Kantonswechsel würde die Zukunft des Spitals in Frage stellen. Die Zusicherung des jurassischen Regierungsrats, dass sich bei einem Kantonswechsel nichts an den im Spital Moutier angebotenen Leistungen ändern werde, hatte im Abstimmungskampf vor dem Urnengang vom 28. März 2021 deshalb viel Aufmerksamkeit erhalten. Ein Jahr nachdem sich die Stimmbevölkerung Moutiers 2021 schliesslich mit einer Mehrheit von 54.9 Prozent für einen Wechsel zum Kanton Jura ausgesprochen hatte, schickte das Gesundheitsamt des Kantons Jura indessen einen Entwurf für eine Spitalliste in die Vernehmlassung, mit welchem die Leistungen des Spitals Moutier – anders als im Abstimmungskampf versprochen – künftig reduziert würden.
Über die Beschwerde hatte die bernische Regierungsstatthalterin für den Berner Jura, Stéphanie Niederhauser, zu entscheiden, welche bereits 2018 eine frühere Abstimmung über einen Kantonswechsel Moutiers annulliert und diesen Entscheid unter anderem mit unzulässiger Abstimmungspropaganda durch die Gemeindebehörden begründet hatte. Die Geschichte wiederholte sich allerdings nicht: Im Oktober 2022 gab die Regierungsstatthalterin bekannt, dass sie die Beschwerde als unzulässig («irrecevable») erachte und nicht auf sie eintrete. Sie begründete dies damit, dass die künftige Spitalliste noch gar nicht definitiv sei. Ein Sprecher der Beschwerdeführenden gab daraufhin bekannt, man werde nun die definitive Spitalliste abwarten; falls diese weiterhin eine Reduktion des Leistungskatalogs beim Spital Moutier vorsehen und damit den jurassischen Zusicherungen aus dem Abstimmungskampf widersprechen sollte, werde man einen erneuten Rekurs prüfen. Die jurassische Regierungsrätin Nathalie Barthoulot (sp) wiederum liess verlauten, die medizinische Versorgung der Bevölkerung von Moutier werde auf jeden Fall garantiert; man werde sich bei der definitiven Festlegung der Spitalliste aber nicht von den Gegnerinnen und Gegnern des Kantonsübertritts unter Druck setzen lassen.

Votation communale du 18 juin 2017 à Moutier sur l'appartenance cantonale et répétition du 28 mars 2021
Dossier: Moutier und der Jurakonflikt

Der Bundesrat nahm Ende September 2022 Stellung zum Bericht der GPK-NR «Grundwasserschutz in der Schweiz» und stimmte dabei den von der GPK-NR abgegebenen Empfehlungen vollumfänglich zu. Der Bundesrat teilte folglich die Ansicht, dass die Vollzugsdefizite in den Kantonen rasch behoben werden müssen, damit ein besserer Schutz der Trinkwasserressourcen gewährleistet werden kann. Dafür müssten die Rechtsgrundlagen, auf Basis derer der Bund den kantonalen Vollzug unterstützt und kontrolliert, gestärkt werden. Der Bundesrat plane daher unter anderem, im Rahmen der laufenden Anpassung des Gewässerschutzgesetzes die Instrumente des Vollzugs sowie die Verankerung des Grundwasserschutzes in der Raumplanung zu stärken.

Bericht Grundwasserschutz in der Schweiz
Dossier: Grundwasserschutz in der Schweiz

La motion de l'élu UDC Pierre-André Page (FR), déposée le 16 septembre 2020 au Conseil national, exige la fin de l'importation de sucre produit à l'aide de produits phytosanitaires n'étant plus autorisés en Suisse ou, pour rester sur un pied d'égalité avec ses voisins européens, une autorisation temporaire d'enrobage aux néonicotinoïdes des semences. Selon le conseiller national, ces mesures sont nécessaires afin de combattre les insectes ravageurs, qui sont responsables d'une perte de rendement de la récolte des betteraves sucrières à hauteur de 30 à 50%.
Le 11 novembre 2020, le Conseil fédéral a recommandé le rejet de la motion, rappelant que l'interdiction d'importation est contraire au droit international, en particulier celui de l'Organisation Mondiale du Commerce (OMC). De plus, Guy Parmelin, ministre de l'agriculture, a rappelé qu'un ambitieux programme a été lancé avec plusieurs organismes pour développer des moyens de lutte efficaces sans devoir recourir aux néonicotinoïdes. Il a également précisé que la situation s'était améliorée depuis le dépôt du texte.
Le Conseil national a suivi la recommandation de l'exécutif et s'est opposé à la proposition "Égalité de traitement pour le sucre suisse" de l'élu Fribourgeois par 105 voix contraires (34 PS, 14 Vert'Libéraux, 2 UDC, 27 PLR, 3 PDC et 25 Verts), 72 voix favorables (4 PS, 45 UDC et 23 PDC) et 6 abstentions (1 PS, 3 UDC, 1 PLR, 1 PDC).

Égalité de traitement pour le sucre suisse (Mo. 20.4005)
Dossier: Entwicklung des Zuckerrübenmarktes

Im September 2020 reichte Christophe Clivaz (gp, VS) ein Postulat betreffend die Verunreinigung des Trinkwassers mit dem Pflanzenschutzwirkstoff Chlorothalonil ein. Clivaz reihte sich damit in eine Reihe von Vorstössen zum Thema Chlorothalonil ein (bspw. Mo. 20.3052 von Kurt Fluri (fdp, SO) und Mo. 20.3625 von Roberto Zanetti (sp, SO)). Clivaz führte in seinem Vorstoss aus, dass trotz des Verbots von Chlorothalonil noch problematische Abbauprodukte im Trinkwasser festgestellt worden seien. Die Behörden müssten nun zum Schutz der Bevölkerung die Konzentration der Abbauprodukte reduzieren, etwa indem sie Trinkwasser aus verschiedenen Quellen mischen. Wenn die Entnahme von unbelastetem Wasser nicht möglich sei, müsse ein komplexes und kostspieliges Verfahren zur Reinigung des Wassers angewandt werden. Avenir Suisse habe die Kosten, die durch den Einsatz von Pestiziden entstehen, jüngst auf ca. CHF 100 Mio. pro Jahr beziffert. Clivaz forderte den Bundesrat nun dazu auf, in einem Bericht die Fristen und die Kosten für die Sanierungsarbeiten der Trinkwasserfassungen zu veranschlagen und das Risiko zu berechnen, dass gewisse Teile der Bevölkerung bis zum Ende der Sanierungsarbeiten weiterhin belastetes Wasser konsumieren müssen. Zudem solle der Bundesrat unter Berücksichtigung des Verursacherprinzips Lösungen für die Finanzierung der Arbeiten, die die Gemeinden in Angriff nehmen müssten, vorschlagen.
Der Bundesrat beantragte die Ablehnung des Postulats, da der geforderte Bericht nicht nötig sei: Die Fragen seien entweder schon beantwortet, befänden sich in Bearbeitung oder könnten gar nicht beantwortet werden. So sei es etwa aufgrund der stark unterschiedlichen Situationen in den Gemeinden quasi unmöglich, die Dauer und die Kosten der Sanierungsarbeiten abzuschätzen. Der Bundesrat vertrat zudem die Ansicht, dass die Lösung der Pestizidproblematik beim Grund- und Trinkwasser darin bestehe, den vorsorglichen Schutz des Grundwassers zu stärken. Dies sei bereits im Rahmen der Motion Zanetti sowie im Rahmen der parlamentarischen Initiative 19.475 vorgesehen.
Der Vorstoss gelangte in der Herbstsession 2022 in die grosse Kammer. Diese nahm das Postulat äusserst knapp, mit 95 zu 94 Stimmen an. Nebst den geschlossen stimmenden SP-, Grünen- und GLP-Fraktionen stimmten auch einzelne Mitglieder der FDP.Liberalen- und der Mitte-Fraktion für Annahme des Postulats.

Verunreinigung des Trinkwassers mit Chlorothalonil. Wie reagieren und wie die nötigen Sanierungen finanzieren? (Po. 20.4087)
Dossier: Pestizidbelastung in Fliessgewässern

Ende April 2022 kam das Referendum gegen die AHV21 zustande. Damit wurde an der Urne nicht nur über die Mehrwertsteuererhöhung um 0.4 Prozentpunkte respektive 0.1 Prozentpunkte und somit über eine Zusatzfinanzierung für die AHV von CHF 12.4 Mrd. bis 2032 abgestimmt – diese musste als Verfassungsänderung sowieso der Stimmbürgerschaft vorgelegt werden –, sondern auch über die übrigen Massnahmen des Reformprojekts. Dieses sah vor, das Rentenalter der Frauen in vier Schritten (2024 bis 2027) demjenigen der Männer anzupassen, wodurch die AHV bis 2032 CHF 9 Mrd. weniger ausgeben respektive mehr einnehmen sollte als bisher. Im Gegenzug sollten die ersten neun betroffenen Frauenjahrgänge Zuschläge zu ihren Renten oder günstigere Bedingungen beim Rentenvorbezug erhalten, die insgesamt CHF 2.8 Mrd. kosten sollten. Allgemein sollte der Start des Rentenbezugs flexibilisiert und neu zwischen 63 und 70 Jahren möglich werden – mit entsprechenden Abzügen und (teilweise) Gutschriften bei früherem oder späterem Bezug –, wobei die Rente nicht mehr nur vollständig, sondern auch teilweise bezogen werden kann. Dies würde bis 2032 etwa CHF 1.3 Mrd. kosten. Insgesamt könnten die AHV-Ausgaben bis ins Jahr 2032 um insgesamt CHF 4.9 Mrd. gesenkt werden.

Die Gegnerinnen und Gegner der AHV21-Reform wehrten sich vor allem gegen die Finanzierung der Reform auf dem «Buckel der Frauen» (Tages-Anzeiger), also durch die Erhöhung des Frauenrentenalters. Dadurch würde den Frauen faktisch die Rente gekürzt – ein Jahr weniger Rente entspreche CHF 26'000, rechnete das Referendumskomitee vor. Diese Reduktion würde noch nicht einmal für diejenigen Jahrgänge, welche Kompensationsmassnahmen erhielten, vollständig ausgeglichen. Besonders störend daran sei, dass Frauen noch immer einen deutlich geringeren Lohn für ihre Arbeit und einen Drittel weniger Rente als die Männer erhielten, während sie gleichzeitig sehr viel mehr unbezahlte Arbeit leisteten. Darüber hinaus erachtete die Gegnerschaft die Erhöhung des Frauenrentenalters auch als ersten Schritt hin zum Rentenalter 67, das sie jedoch unter anderem mit Verweis auf die schlechten Arbeitsmarktchancen älterer Arbeitnehmender sowie auf die Erhöhung der Langzeitarbeitslosigkeit und der Sozialhilfequote ablehnte. Schliesslich erachteten die Gegnerinnen und Gegner auch die aktuelle Situation der AHV als weniger gravierend als die Befürwortenden der Revision: Die AHV sei solide, werde aber immer durch dramatische Prognosen schlechtgeredet – diese seien bisher jedoch nie eingetroffen. Die Nein-Parole zu beiden AHV-Vorlagen gaben die SP, die Grünen, die PdA sowie die SD aus, sie wurden von den Gewerkschaften unterstützt.

Die Befürwortenden der Reform betonten, dass die AHV struktureller Reformen bedürfe, zumal sie ansonsten bereits in wenigen Jahren mehr ausgeben als einnehmen werde. Die AHV21-Reform führe durch Massnahmen sowohl auf Einnahmeseite – durch die Mehrwertsteuererhöhung – als auch auf Ausgabenseite – durch die Erhöhung des Frauenrentenalters – zu einer Verbesserung der AHV-Finanzen. Bezüglich des Arguments der Gegnerschaft, dass vor allem die Frauen für die Reform aufkommen müssten, verwiesen die Befürwortenden auf die «substanziellen Kompensationen», welche die Frauen der Übergangsgeneration erhielten. Zudem sei eine Rentenaltererhöhung der Frauen auf 65 Jahre gerechtfertigt, da sie einerseits als Teil der Gleichstellung erachtet werden könne und da die grossen Rentenunterschiede andererseits nicht aus der AHV, sondern aus der beruflichen Vorsorge stammten. Im Gegenzug forderten jedoch auch verschiedene Mitglieder der Pro-Komitees Verbesserungen für die Frauen in der zweiten Säule, vor allem beim Koordinationsabzug, welcher gesenkt werden sollte. Die Ja-Parole zu beiden Vorlagen gaben die SVP, die FDP, die Mitte, die GLP, die EVP und die EDU sowie etwa Economiesuisse, der Arbeitgeberverband, der Gewerbeverband und der Bauernverband aus.

In der medialen Berichterstattung stand vor allem die Frage nach den Auswirkungen für die Frauen sowie der Fairness ihnen gegenüber im Mittelpunkt. Im Zentrum des Interesses stand dabei der Bund Schweizerischer Frauenorganisationen, Alliance f. So zeigten sich die im Verband organisierten Frauen öffentlich gespalten: Selbst der Vorstand des Verbands bestand aus Befürworterinnen und Gegnerinnen der AHV21. Alliance f sei in einer «delikate[n] Ausgangslage», betonten folglich etwa die AZ-Medien. Als Konsequenz gab der Verband Stimmfreigabe heraus und schuf zwei Frauenallianzkomitees, ein befürwortendes und ein ablehnendes. Damit wolle man sich trotz unterschiedlicher Positionen in die Diskussion einbringen und somit verhindern, dass die Männer die Debatte um das Frauenrentenalter dominierten, betonte etwa Co-Präsidentin von Alliance f und Präsidentin des befürwortenden Frauen-Komitees, Kathrin Bertschy (glp, BE).

Zusätzliche Aufmerksamkeit erhielt die AHV21-Abstimmung Ende Mai, als das BSV die neuen Finanzperspektiven der AHV herausgab. So war der Bundesrat in der Botschaft zur AHV21 im August 2019 von einem negativen Betriebsergebnis der AHV im Jahr 2030 von CHF 4.6. Mrd. ausgegangen. Im Juni 2021 hatte das BSV für 2030 ein Defizit von CHF 3.7 Mrd. prognostiziert, in den neusten Finanzperspektiven Ende Mai 2022 war hingegen nur noch von einem Defizit von CHF 1.8 Mrd. die Rede. Das BSV erklärte diese Veränderungen mit dem guten Betriebsergebnis des AHV-Ausgleichsfonds 2021 sowie mit einem stärkeren Beschäftigungs- und Reallohnwachstum als erwartet. Diese Entwicklung zeige auf, dass die AHV in einer «systematische[n] Angstmacherei zulasten der Bevölkerung» schlechtgeredet werde, liess der SGB verlauten. Die NZZ erachtete diese Zahlen trotz der Korrekturen noch immer als schlecht, «die AHV [werde] so oder so ins Minus» rutschen.

Im Juni 2022 entschied die SGK-SR, dass ihr Entwurf zur Pensionskassenreform BVG21 noch nicht reif für die Behandlung in der Herbstsession 2022 sei. Die Gegnerinnen und Gegner der AHV21-Reform sahen darin einen Versuch, kritische Debatten zur BVG21-Reform vor der Abstimmung über die AHV21 zu verhindern. Doch auch Befürwortende der AHV21-Reform störten sich an diesem Vorgehen der Kommission, zumal man bei einer Behandlung der BVG21-Reform den Frauen hätte zeigen wollen, dass man als Ausgleich zur Rentenaltererhöhung wie mehrfach versprochen ihre Pensionskassenrenten erhöhen werde.

Zu medialen Diskussionen führten in der Folge auch die Vorumfragen. Bereits Anfang Mai berichtete die SonntagsZeitung mit Verweis auf eine Umfrage des Marktforschungsinstituts Demoscope, welche gemäss SonntagsBlick von den Befürwortenden in Auftrag gegeben worden war, dass sich 62 Prozent der SP-Sympathisierenden und 59 Prozent der Sympathisierenden der Grünen für die AHV21 aussprechen wollten. Insgesamt machte die Studie eine Zustimmung zur AHV21 von 55 Prozent aus. Darob publizierte jedoch der SGB die Resultate einer eigenen, zuvor beim Forschungsinstitut Sotomo in Auftrag gegebenen Studie, gemäss welcher die Sympathisierenden der SP die AHV21 zu 63 Prozent ablehnten, während der durchschnittliche Ja-Stimmenanteil über alle Parteien hinweg bei 48 Prozent zu liegen kam. Die Diskussion darüber, wie verlässlich Studien sind, welche von den Befürwortenden respektive der Gegnerschaft einer Vorlage in Auftrag gegeben werden, währte in den Medien jedoch nicht lange. Ab August konzentrierte sich die mediale Debatte auf die Vorumfragen von SRG/gfs.bern und Tamedia/Leewas, welche auf eine mehr oder weniger deutliche Annahme der zwei Vorlagen hindeuteten (Mehrwertsteuererhöhung: zwischen 54 und 65 Prozent, AHVG: zwischen 52 und 64 Prozent). Vor allem zeichnete sich in den Vorumfragen aber bereits ein deutlicher Geschlechtergraben ab, so sprachen sich beispielsweise Anfang August 2022 in der ersten Tamedia-Umfrage 71 Prozent der Männer für die Änderung des AHVG und somit für die Erhöhung des Frauenrentenalters aus, während diese nur 36 Prozent der Frauen befürworteten.

Hatten die Vorumfragen letztlich doch eine relativ deutliche Annahme beider AHV21-Vorlagen in Aussicht gestellt, wurde es am Abstimmungssonntag für die Gesetzesänderung sehr eng: Mit 50.55 Prozent Ja-Stimmen und gut 31'000 Stimmen Unterschied sprach sich die Stimmbürgerschaft für Annahme der Reform aus. Deutlicher fiel das Verdikt für die Zusatzfinanzierung über eine Mehrwertsteuererhöhung aus (55.07%).


Abstimmung vom 25. September 2022

Änderung des Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG; AHV21)
Beteiligung: 52.2%
Ja: 1'442'591 Stimmen (50.5%)
Nein: 1'411'396 Stimmen (49.5%)

Bundesbeschluss über die Zusatzfinanzierung der AHV durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer
Beteiligung: 52.2%
Ja: 1'570'813 Stimmen (55.1%)
Nein: 1'281'447 Stimmen (44.9%)

Parolen:
-Ja: SVP, FDP, Mitte, GLP, EVP, EDU; Economiesuisse, SAV, SBV, SGV
-Nein: SP, GPS, PdA, SD; SGB, Travail.Suisse, VPOD
* in Klammern Anzahl abweichender Kantonalsektionen


«Männer haben Frauen überstimmt», titelte in der Folge der «Blick», von einem «eklatante[n] Geschlechtergraben, wie es ihn noch nie gegeben hat», sprach die WOZ. In der Tat zeigten verschiedene Nachbefragungen einen grossen Zustimmungsunterschied zwischen Frauen und Männern. In der Vox-Analyse lag die Zustimmung zur Gesetzesänderung bei den Frauen im Schnitt bei 38 Prozent, bei den Männern bei 64 Prozent – wobei die direktbetroffenen Frauen unter 65 Jahren der Vorlage nur mit 25 Prozent (18-39 Jährige) respektive mit 29 Prozent (40-64 Jährige) zustimmten, die Frauen im Rentenalter hingegen mit 63 Prozent. In der Folge kam es in Bern und anderen Städten zu Demonstrationen, in denen Teile der Gegnerinnen der Vorlage ihre Wut über das Ergebnis ausdrückten. In einer Rede zeigte sich Tamara Funiciello (sp, BE) gemäss Medien empört darüber, dass «alte, reiche Männer» entschieden hätten, dass «Kita-Mitarbeiterinnen, Nannys, Reinigungskräfte und Pflegefachfrauen» länger arbeiten müssten. Dies führte im Gegenzug zu Unmut bei Vertreterinnen und Vertretern der bürgerlichen Parteien, welche kritisierten, dass «die Linke» den Stimmentscheid nicht akzeptieren wolle. Zudem sprach Regine Sauter (fdp, ZH) Funiciello die Berechtigung ab, im Namen aller Frauen zu sprechen, zumal Frauen keine homogene Masse bildeten. Funiciello hingegen betonte gemäss Tages-Anzeiger, dass es «für Verbesserungen [...] den Druck von der Strasse und den Dialog im Bundeshaus» brauche.

Doch nicht nur zwischen den Geschlechtern, auch zwischen den Sprachregionen zeigten sich bereits am Abstimmungssonntag grosse Unterschiede. Sämtliche mehrheitlich romanischsprachigen Kantone lehnten die Reform ab, allen voran die Kantone Jura (29% Ja-Stimmen), Neuenburg (35%) und Genf (37%), während sich nur drei deutschsprachige Kantone mehrheitlich gegen die Reform des AHV-Gesetzes aussprachen (Basel-Stadt: 47% Zustimmung; Solothurn: 49.8%, Schaffhausen: 50.0%). Die höchste Zustimmung fand sich in den Kantonen Zug (65%), Nidwalden (65%) und Appenzell-Innerrhoden (64%). «Die Deutschschweiz sichert die AHV», bilanzierte folglich etwa die NZZ, während SGB-Präsident und Nationalrat Maillard (sp, VD) die Unterschiede zwischen den Sprachregionen kritisierte, neben dem Geschlechtergraben und dem Sprachgraben aber auch einen Einkommensgraben ausmachte. Diese Ergebnisse bestätigte später auch die Vox-Analyse, welche für Personen mit Haushaltseinkommen unter monatlich CHF 3'000 eine deutlich tiefere Zustimmung zur Gesetzesänderung ermittelte als für Personen mit höheren Haushaltseinkommen (unter CHF 3'000: 32%; CHF 3'000-5'000: 49%, CHF 5'000-9'000: 52%, CHF 9'000-11'000: 59%, CHF über 11'000: 60%). Dieselben Unterschiede waren jeweils auch bei der Mehrwertsteuererhöhung erkennbar, wenn auch in geringerem Ausmass.

Als Motive für ihren Stimmentscheid machte die Vox-Analyse bei den Befürwortenden die Notwendigkeit zur Stabilisierung der AHV aus – sowohl bei der Gesetzesänderung (41%) als auch bei der Mehrwertsteuererhöhung (64%) wurde dieser Punkt häufig genannt. Zusätzlich erachteten aber die Befürwortenden die Gesetzesänderung – also wohl vor allem die Rentenaltererhöhung – auch als Schritt hin zur Gleichberechtigung (45%). Die Gegnerinnen und Gegner erachteten sowohl die Gesetzesänderung als ungerecht (84%), insbesondere im Hinblick auf die Lohnungleichheit zwischen Frauen und Männern, als auch auf die Mehrwertsteuererhöhung (46%), die vor allem einkommensschwache Personen treffe und allgemein ein «schlechtes Finanzierungsmittel» (Vox-Analyse) darstelle.

Bereits am Tag nach der Volksabstimmung zur AHV21 schwenkte das mediale Interesse weg von der Reform der AHV hin zur BVG21-Reform. Denn nicht nur die Gegnerinnen und Gegner der AHV21-Reform, sondern auch weite Teile der Befürwortenden wiesen auf die Verpflichtung oder gar das «Versprechen» (AZ) hin, die mit dieser Annahme der Reform einhergingen: Im Gegenzug müsse das Bundesparlament die Benachteiligung der Frauen bei der Altersvorsorge im Rahmen der anstehenden BVG21-Reform korrigieren.

Reform «Stabilisierung der AHV (AHV 21)» (BRG 19.050)
Dossier: Debatten um das Frauenrentenalter
Dossier: Erhöhung des Rentenalters

Immer wieder tut sich bei Volksabstimmungen in der Schweiz ein Röstigraben auf, indem die Romandie und die Deutschschweiz deutlich unterschiedlich abstimmen. Auch 2022 gab es wieder zwei ausgeprägte Beispiele für dieses Phänomen: Sowohl beim Ja zur AHV-21-Reform als auch beim Nein zum Medienpaket wurde die Romandie von einer Mehrheit der Deutschschweiz überstimmt. Der AHV-Entscheid war aus Sicht der frankophonen Gegnerschaft auch deshalb besonders bitter, weil schon eine leicht höhere Stimmbeteiligung in den französischsprachigen Kantonen wohl gereicht hätte, um das knappe Ja gesamtschweizerisch in ein knappes Nein zu verwandeln. Die NZZ schrieb nach der AHV-Abstimmung deshalb von einer «gespaltenen Schweiz», und die Ständerätin Elisabeth Baume-Schneider (JU, sp) – als Romande, Linke und Frau Teil von gleich drei überstimmten Gruppen – befand, solche Abstimmungsgräben seien für den Zusammenhalt der Willensnation Schweiz «nicht die beste aller Nachrichten».
Zwei im Berichtsjahr erschienene Studien, die den Röstigraben bei Volksabstimmungen auf lange Sicht untersuchten (Mueller und Heidelberger 2022; Jaquet und Sciarini 2022), gaben indessen eher Anlass zu Gelassenheit: Zwar werden die Kantone der sprachlichen Minderheiten in der Tat öfter überstimmt, allerdings gehören auch sie noch in über drei Vierteln aller Abstimmungen zu den Gewinnerkantonen. Die ausgeprägt konservativen Deutschschweizer Kantone Schwyz und Appenzell Innerrhoden standen zudem ähnlich häufig auf der Verliererseite wie die ausgeprägt progressiven Kantone der Romandie. Stimmten alle Kantone der Romandie geeint ab (wie es beim AHV-21-Gesetz der Fall war, nicht aber beim Medienpaket und der AHV-Zusatzfinanzierung), so blieben sie gesamtschweizerisch nur selten in der Minderheit, nämlich in weniger als vier Prozent der Urnengänge. Zu einem «perfekten» Röstigraben, bei dem sämtliche mehrheitlich französischsprachigen Kantone auf der einen und sämtliche Deutschschweizer Kantone auf der anderen Seite standen, kam es bisher sogar nicht einmal in jeder hundertsten Volksabstimmung. Die Sprachgemeinschaften stehen sich an der Urne also nur sehr selten als homogene Blöcke gegenüber. Nicht zuletzt bestätigt die Untersuchung von Mueller und Heidelberger (2022) schliesslich frühere Forschungsergebnisse, wonach der abstimmungspolitische Röstigraben mittlerweile weniger ausgeprägt ist als noch vor einigen Jahrzehnten.

Röstigraben bei Volksabstimmungen 2022

Die Mehrheit der SPK-SR sprach sich ein zweites Mal dagegen aus, der parlamentarischen Initiative ihrer Schwesterkommission Folge zu geben, mit der eine Präzisierung von Unterlistenverbindungen angestrebt werden sollte. In der ständerätlichen Debatte stand zwar kein Minderheitenantrag, aber ein Einzelantrag von Jakob Stark (svp, TG) zur Diskussion, weshalb Kommissionssprecher Mathias Zopfi (gp, GL) die Idee der Initiative ausführte. Auslöser der Diskussion seien wohl Unterlistenverbindungen bei den Nationalratswahlen 2019 gewesen. So habe etwa die GLP im Kanton Basel-Stadt auch deshalb einen Sitz gewonnen, weil sie sich zusammen mit der jungen GLP, aber auch der BDP und der EVP zur Unterlistenverbindung «Mitte» zusammengeschlossen habe. Zusätzlich habe aber auch eine Listenverbindung all dieser vier jeweils als «Mitte» betitelten Parteien (Mitte-GLP, Mitte-BDP, Mitte-EVP, Mitte-JGLP) mit der FDP, der CVP und der LDP bestanden. Auch in der staatsrechtlichen Literatur sei umstritten, ob besagte Unterlistenverbindung rechtlich zulässig gewesen sei, weil es sich hier eigentlich um «Unterlistenverbindungen zwischen verschiedenen Gruppierungen» handle. Hier wolle die SPK-NR Klarheit schaffen und explizit Unterlistenverbindungen nur noch zwischen «Flügeln von Parteien», aber nicht mehr zwischen «ähnlichen Gruppierungen» zulassen, wie es heute geregelt sei. Allerdings – und das sei der Grund für die Empfehlung der SPK-SR, der parlamentarischen Initiative keine Folge zu geben – würde diese Regelung erstens Parteien bevorzugen und Gruppierungen schaden, die ebenfalls bei Wahlen antreten, und zweitens würde sie nichts zur Klärung beitragen: Weder eine «Gruppierung» noch eine «Partei» könnten eindeutig definiert werden, so Zopfi. Jakob Stark erachtete dies als wichtige staatspolitische Frage. Unterlistenverbindungen seien mit viel Intransparenz verbunden und die Wählenden wüssten deshalb häufig nicht, wem sie eigentlich ihre Stimme gäben. Mit der neuen Lösung könnte etwas mehr Transparenz geschaffen werden, weil nur noch Unterlistenverbindungen innerhalb der gleichen Partei ermöglicht würden. Dies könnte im Gegensatz zur geltenden Regelung einfach kontrolliert werden. Dem widersprach Mathias Zopfi allerdings in einem weiteren Votum. Die aktuelle Regelung erachtete er als ausreichend: Auch mit dem Begriff «Gruppierung» hätten die Kantone die Handhabe, Entscheidungen wie in Basel-Stadt zu unterbinden. Es dürfe nicht jedes Mal zu Gesetzesänderungen kommen, bloss weil in den Kantonen bestehende Gesetze nicht richtig angewendet würden. Mit 32 zu 7 Stimmen (2 Enthaltungen) sprach sich die Ratsmehrheit gegen Folgegeben aus und erledigte den Vorstoss.

Präzisierung der Unterlistenverbindungen (Pa.Iv. 21.402)
Listenverbindungen und Zuteilungsverfahen – Reformvorschläge für eidgenössische Wahlen

Le Conseil national a adopté une version modifiée de la motion, la CER-CN ayant proposé que les non-professionnels aient la possibilité de suivre une formation pour pouvoir utiliser certains produits phytosanitaires particulièrement dangereux, plutôt que de leur en interdire purement et simplement l'accès. Comme expliqué par le rapporteur de commission, Olivier Feller (plr, VD), trois positions se sont dégagées lors des discussions : un rejet de la motion – pas de nécessité de légiférer en la matière –, une acceptation avec la présente modification – considérée comme une voie médiane par le député vaudois – et finalement une reprise de la motion d'origine telle que transmise par le Conseil des États. Sophie Michaud Gigon (VD), députée verte et également présidente de la FRC, a défendu cette dernière position, arguant qu'une obligation de formation serait administrativement lourde à mettre en place et à actualiser, alors qu'une interdiction d'accès à ces substances serait, d'une part, simple à implémenter et permettrait, d'autre part, de contribuer à l'effort collectif en matière de réduction des risques liés aux pesticides. Soumise au vote, cette manière de penser n'a pas réussi à récolter une majorité des voix (90 voix contre 104 et une abstention). Reprenant l'argument de l'excès de bureaucratie, l'UDC zougois Thomas Aeschi a appelé ses collègues à privilégier le statu quo en refusant la motion modifiée. Au final, la chambre basse a suivi, par 107 voix contre 84 et 4 abstentions, le raisonnement de la majorité de la commission, pour qui cette solution est libérale et permet de traiter équitablement les différents utilisateurs de ces produits.

Ne plus permettre aux non professionels d'utiliser certains pesticides trop toxiques (Mo. 20.4579)
Dossier: Reduzierung und Verbot des Pestizideinsatzes

Im Juni 2022 publizierte die GPK-NR den Bericht «Grundwasserschutz in der Schweiz». Darin wies die Kommission darauf hin, dass die Qualität des Grundwassers und damit auch des Trinkwassers in den letzten Jahren stärker in den Fokus von Bevölkerung und Politik gelangt sei. So stimmte die Schweizer Bevölkerung etwa über die Trinkwasserinitiative und die Pestizidinitiative ab und der Bundesrat thematisierte dieses Thema auch in der Botschaft zur Weiterentwicklung der Agrarpolitik ab 2022 (AP22+). Vor diesem Hintergrund beauftragten die beiden Geschäftsprüfungskommissionen im Januar 2020 die PVK mit einer Evaluation des Grundwasserschutzes in der Schweiz. Darauf basierend erarbeitete die GPK-NR den vorliegenden Bericht. Das BAFU habe im Rahmen der Arbeiten zu diesem Bericht darauf hingewiesen, dass vor allem in drei Bereichen Vollzugsdefizite beim planerischen Grundwasserschutz bestünden, obwohl die rechtlichen Vorgaben grösstenteils seit dem Inkrafttreten der GschV im Jahr 1998 gälten. Zum einen hätten noch nicht alle Kantone die Zuströmbereiche für die Trinkwasserfassungen definiert, worauf auch in der angenommenen Motion Zanetti (sp, SO; Mo. 20.3625) hingewiesen wurde. Zum anderen seien nicht um alle wichtigen Fassungen entsprechende Schutzzonen ausgeschieden worden. Und drittens komme es auch an Orten, wo die Grundwasserschutzzonen korrekt definiert seien, zu Nutzungskonflikten. Dies bedeute, dass die vorgegebenen Nutzungseinschränkungen, etwa für die Landwirtschaft, nicht konsequent durchgesetzt würden. Die GPK-NR kritisierte diese Defizite stark und erachtete es als dringend notwendig, dass der Bund als Aufsichtsbehörde endlich griffige Massnahmen durchsetze, um den Grundwasserschutz zu stärken. Zu diesem Zweck empfahl die GPK-NR mehrere rechtliche Anpassungen. Erstens forderte sie verbindliche Fristen für die Umsetzung aller rechtlich vorgesehenen Massnahmen des planerischen Grundwasserschutzes durch die Kantone (Motion 22.3873). Zweitens solle der Bund mehr Interventions- und Sanktionsmöglichkeiten bei Nichteinhaltung gesetzlicher Vorgaben durch die Kantone erhalten (Motion 22.3874). Ein weiterer Punkt betraf die konkrete Aufsicht des BAFU über den Vollzug der Kantone, wobei das BAFU proaktiver agieren müsse. Beim Grundwasserschutz in der Landwirtschaft empfahl die GPK-NR Verbesserungen beim so genannten «Gewässerschutzprogramm» (Postulat 22.3875). Schliesslich müsse auch sichergestellt werden, dass die Akteurinnen und Akteure der Raumplanung die Vorgaben des Gewässerschutzgesetzes stärker berücksichtigten.

Bericht Grundwasserschutz in der Schweiz
Dossier: Grundwasserschutz in der Schweiz

La députée verte Christine Badertscher (vert.e.s, BE) veut s'attaquer aux résidus de pesticides dans les denrées alimentaires importées en contraignant les autorités à appliquer une tolérance zéro s'agissant des pesticides interdits en Suisse. Elle dénonce la situation actuelle qui voit le Conseil fédéral augmenter, dans certains cas, les seuils de tolérance alors que la législation en la matière est claire sur ce point: la présence de ces produits ne doit pas dépasser la plus petite quantité décelable dans et sur les denrées alimentaires (à savoir 0.01 mg/kg). Christine Badertscher y voit tant une question de santé publique, que d'équité vis-à-vis de l'agriculture suisse qui n'a pas le droit d'utiliser ces produits phytosanitaires.
Alain Berset a essayé de défendre la pratique des autorités, arguant qu'elle ne mettait nullement en danger la santé des consommatrices et consommateurs. Cela n'a pas suffi à convaincre une majorité des membres du Conseil national, qui a soutenu la motion. L'entier des député.e.s des groupes du Centre, socialiste, Verts ainsi que vert'libéral, tout comme 12 élu.e.s de l'UDC et Jacques Bourgeois (plr, FR) du PLR ont plébiscité cette mesure.

Tolérance zéro pour les produits alimentaires importés s'agissant de pesticides interdits en Suisse (Mo. 20.3835)

Le Conseil des Etats a suivi l'avis de sa commission et a tacitement rejeté l'initiative du canton de Fribourg, estimant que les efforts entrepris par le Conseil fédéral pour soutenir la production de betterave sucrière sont suffisants.

Eviter la fin de la production des betteraves sucrières suisses (Iv.ct. 21.318)
Dossier: Entwicklung des Zuckerrübenmarktes

Le sénateur Stark (udc, TG) a retiré sa motion, alors que la CER-CE avait, au préalable, pris position – par 11 voix contre 1 – contre sa proposition d'alléger temporairement l'interdiction d'utilisation de néonicotinoïdes pour les semences de betterave. La CER-CE a justifié sa position en relevant les efforts entrepris par le Conseil fédéral pour soutenir la production de betterave sucrière.

Autoriser l'utilisation du Gaucho pour la culture de betterave (Mo. 20.4168)
Dossier: Entwicklung des Zuckerrübenmarktes

Mit der Vereidigung von Daniel Ruch (fdp, VD) und Alexandre Berthoud (fdp, VD) zu Beginn der Sommersession 2022 sank der Frauenanteil im Nationalrat von 43 Prozent wieder auf 42.5 Prozent. In der Tat hatten die bisher elf Mutationen im Nationalrat – bei Ruch und Berthoud handelte es sich also um den zwölften und dreizehnten Sitzwechsel in der grossen Kammer in der laufenden Legislatur – einen Zuwachs von zwei Frauen bedeutet. Weil nun aber Alexandre Berthoud seine Parteikollegin Isabelle Moret (fdp, VD) ersetzte, verschob sich das Verhältnis wieder zu Ungunsten der Frauen.
Moret war im April 2022 in den Regierungsrat des Kantons Waadt gewählt worden und hatte deshalb ihren Rücktritt aus dem Nationalrat gegeben. Sie war 2006 in den Nationalrat nachgerutscht und konnte ihren Sitz an vier eidgenössischen Wahlen stets verteidigen, 2015 gar mit dem besten Ergebnis in der Romandie. 2017 kandidierte sie für den Bundesrat, unterlag bei den Wahlen aber Ignazio Cassis. Im schwierigen Corona-Jahr 2020 amtete Moret als Nationalratspräsidentin. Der 44-jährige Bankangestellte und Kantonalparteivizepräsident Berthoud hatte ebenfalls für den Regierungsrat im Kanton Waadt kandidiert, war dort aber sehr knapp unterlegen und nahm stattdessen den Platz von Isabelle Moret im Nationalrat ein. Dies obwohl eigentlich Rémy Jaquier auf der Liste der Nachrückenden an der Reihe gewesen wäre. Jaquier verzichtete allerdings, weil er mit 70 Jahren nicht noch eine politische Karriere beginnen wollte, womit Berthoud zum Handkuss kam.
Daniel Ruch – 59-jähriger Forstwirt und Gemeindepräsident von Corcelles-le-Jorat – rutschte für Frédéric Borloz (fdp, VD) nach. Auch Borloz war im April 2022 in die Waadtländer Kantonsregierung gewählt worden. Er sass seit 2015 im Nationalrat, wo er sieben Jahre in der KVF-NR geamtet hatte.

Mutationen 2022
Dossier: Mutationen im nationalen Parlament

Le Conseil fédéral a annoncé que la lutte contre la punaise diabolique allait être intensifiée dans le cadre de la restructuration des moyens alloués à Agroscope. Ainsi, CHF 0.5 million sur quatre ans vont être attribués à cet effet. Les deux chambres ont donc classé la motion.

Combattre la punaise diabolique (Mo. 19.4457)

Dans le cadre légal actuel, les non-professionnels peuvent utiliser certains produits phytosanitaires particulièrement dangereux pour les humains, l'environnement ou encore les abeilles. Il existe quelques 380 de ces pesticides accessibles à toutes et tous sur le marché. Bien que les autorités souhaitent renforcer les critères d'homologation dans le cadre du Plan d'action produits phytosanitaires et que des restrictions ont été édictées dans ce domaine en 2020, Maya Graf (verts, BL) estime qu'une interdiction complète pour les amateurs d'accès aux produits particulièrement dangereux se justifie, au vue des quantités répandues. 10 pour cent de l'ensemble des produits phytosanitaires utilisés en Suisse le seraient par des non-professionnel.le.s. Selon l'élue bâloise, la manipulation de tels produits ne devrait être possible que pour les personnes ayant fait une formation professionnelle, le niveau d'information nécessaire à une utilisation correcte étant sinon lacunaire. Elle a donc lancé une motion à cet effet. Le texte prévoit également l'établissement d'une liste positive, répertoriant les produits pouvant être utilisés par les non-professionnel.le.s, et de faire en sorte que ces produits soient vendus dans des petits contenants prêts à l'emploi.
En chambre, le Conseil des Etats a, dans un premier temps, décidé de renvoyer ce texte en commission, suivant ainsi une motion d'ordre de Werner Salzmann (udc, BE) qui estimait que certains points méritaient d'être clarifiés.
C'est à une courte majorité (5 voix contre 4 et 3 abstentions) que la CER-CE a décidé d'apporter son soutien aux propositions de Maya Graf, arguant de la nécessité de poursuivre les efforts en matière de réduction des risques liés aux produits phytosanitaires. Une minorité s'y est opposée, voyant dans les efforts déjà entrepris et les mesures prévues par les autorités une action suffisante dans ce domaine. Lors du deuxième passage en chambre Adèle Thorens Goumaz (verts, VD) a défendu le texte de sa collègue de parti en soulignant que cela permettrait d'accompagner et d'encourager le Conseil fédéral dans les mesures qu'il prévoit de mettre en œuvre. Hannes Germann (udc, SH) a, lui, estimé que les problèmes posés par les produits phytosanitaires étaient d'ores et déjà bien considérés par les autorités, défendant ainsi la minorité. Cette position est également partagée par le collège gouvernemental, comme rappelé par Alain Berset. Au vote, la motion a été soutenue par une majorité de 20 parlementaires contre 15 (2 abstentions), alors que 8 membres de la chambre haute, majoritairement de droite, n'y ont pas pris part. Bien que le texte ait été accepté par une coalition hétéroclite de politicien.ne.s, ces absences ont certainement pesé dans la balance.

Ne plus permettre aux non professionels d'utiliser certains pesticides trop toxiques (Mo. 20.4579)
Dossier: Reduzierung und Verbot des Pestizideinsatzes

Im Mai 2022 fand die eidgenössische Abstimmung über die Änderung des Transplantationsgesetzes statt, mit der die erweiterte Widerspruchslösung eingeführt werden sollte.

Die Gegnerinnen und Gegner der erweiterten Widerspruchslösung waren breit zusammengewürfelt und liessen sich nicht klar auf dem politischen Spektrum verorten. Angeführt wurde das Komitee «Nein zur Organspende ohne explizite Zustimmung» von einem pensionierten Arzt und einer Hebamme. Der Arzt, Alex Frei, war ebenfalls Vorsitzender der Ärzte und Pflegefachpersonen gegen Organspende am Lebensende (ÄPOL) – einer Vereinigung, die sich grundsätzlich gegen Organspende an für tot erklärte Personen stellte. Die Hebamme, Susanne Clauss, ihres Zeichens Co-Präsidentin der SP Biel, wehrte sich lediglich gegen die Organentnahme an verstorbenen Personen, sofern von diesen keine explizite Einwilligung vorliegt. Unterstützung erhielten die beiden Personen von Philosophie-, Rechts- und Theologieprofessorinnen und -professoren sowie von bekannten Köpfen verschiedenster Parteien. So etwa von der Thurgauer SVP-Nationalrätin Verena Herzog, der Berner EVP-Nationalrätin Marianne Streiff-Feller, dem Urner FDP-Ständerat Josef Dittli sowie von den ehemaligen Parlamentarierinnen Verena Diener (glp, ZH) und Gret Haller (sp, BE). Nein-Parolen beschlossen schliesslich die EVP, die SVP und die EDU. Als Hauptargument gegen die Widerspruchslösung führten die Gegnerinnen und Gegner ins Feld, dass es immer Leute geben werde, die nicht wissen, dass ihnen auch ohne ihre explizite Zustimmung Organe entnommen werden können. Dies verletze deren Recht auf Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit und sei unethisch. Zudem würden dadurch bei Nichtvorliegen des Willens der verstorbenen Person die Angehörigen unter Druck gesetzt, da deren Ablehnung als unsolidarisches Verhalten aufgefasst werden könnte.

Gerade anderer Ansicht waren die Befürworterinnen und Befürworter der erweiterten Widerspruchslösung. Sie erachteten die neue Regelung gar als Entlastung für die Angehörigen, gab etwa Reto Stocker, ein ehemaliger Leiter der chirurgischen Intensivstation des Universitätsspitals Zürich dem Tages-Anzeiger zu Protokoll. Zudem soll mit einer grossen und regelmässigen Informationskampagne sichergestellt werden, dass die Bevölkerung über die neue Regelung informiert wird und niemand wider Willen zum Organspender oder zur Organspenderin wird, versicherte Bundesrat Alain Berset an einer Medienkonferenz zur Abstimmungsvorlage. Zur Umsetzung der Vorlage werde der Bund ein neues sicheres und datenschutzkonformes Register schaffen, wo jede Person ihren Willen zur Organspende festhalten und laufend aktualisieren kann, so der Bundesrat. Mit der beschlossenen Regelung folge man vielen europäischen Ländern, die eine Widerspruchslösung mit oder ohne Einbezug von Angehörigen kennen und die im Schnitt eine höhere Organspenderate aufwiesen als Länder mit einer Zustimmungslösung, so der Bundesrat weiter. Von den Parteien gaben die SP, die Grünen, die Mitte, die GLP und die FDP die Ja-Parole aus.

Jedoch waren sich die Parteien intern nicht immer einig, was sich auch in abweichenden Kantonalsektionen zeigte. Während bei den Grünen und der SP fünf Kantonalsektionen die Nein-Parole oder Stimmfreigabe erteilten und sich die Mitte-Sektion des Kantons Schaffhausen gegen die Gesetzesänderung stellte, beschlossen die Junge EVP und die SVP Freiburg Stimmfreigabe und die SVP Jura gar die Ja-Parole. Dies stimmte auch mit der Einschätzung der Co-Leiterin des Contra-Komitees, Susanne Clauss, überein, welche Organspende denn auch als «en aucun cas [...] une question fondamentaliste ni de politique gauche-droite, mais [...] une question purement personnelle et éthique» erachtete. Insgesamt waren die Parteien im Abstimmungskampf denn auch weder auf der gegnerischen noch auf der befürwortenden Seite effektiv sichtbar.

Im Vorfeld der Abstimmung rezitierten die Medien häufig Zahlen zur Organspende in der Schweiz. Ende 2021 hätten 1'434 Personen auf ein Organ gewartet; jährlich würden ungefähr 450 Personen eines erhalten. Lediglich 16 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer besässen eine Karte, auf der ihr Wille für oder gegen die Organspende ausgewiesen sei, dabei gingen gewisse Umfragen von einer Spendebereitschaft in der Bevölkerung von 80 Prozent aus. Diese Umfragen seien jedoch durch Swisstransplant in Auftrag gegeben worden, wurde die Gegnerschaft in den Medien zitiert. Eine im Auftrag des BFS durchgeführte Umfrage, die nicht nur nach der Entnahme von Organen, sondern auch nach derjenigen von Gewebe fragte, komme hingegen auf konservativere Ergebnisse, wonach sich lediglich etwa die Hälfte der Bevölkerung für oder eher für eine Spende aussprechen würde. Ebenfalls zweifelten die Gegnerinnen und Gegner daran, dass sich die Widerspruchslösung direkt und positiv auf die Organspenderate auswirken werde, wobei sie sich auf Aussagen der Nationalen Ethikkommission aus dem Jahr 2019 stützten. Dass die Organspenderate bei Ländern mit Widerspruchslösung nur in der Tendenz höher sei und es bei beiden Modellen Ausreisser gebe, bestätigten indes auch Bundesrat Alain Berset und die ehemalige Nationalrätin Yvonne Gilli (gp, SG) als Präsidentin des Dachverbands der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH), der den Wechsel zur Widerspruchslösung ebenfalls unterstützte. Auch weitere Faktoren wie etwa die Ressourcen in den Spitälern oder die Ausbildung des Fachpersonals beeinflussten die Organspendebereitschaft, war schliesslich auch im Abstimmungsbüchlein nachzulesen. Vereinzelt klärten Medienberichte auch über den Hirntot auf und erläuterten den Ablauf bei der Organentnahme. Häufiger liessen sie indes Organempfängerinnen und -empfänger, Personen auf der Warteliste für ein Organ oder Angehörige von Spendenden zu Wort kommen. Auch prominente Gegnerinnen und Gegner der Gesetzesrevision konnten überdies ihre Position darlegen. In seinem Abstimmungsmonitoring kam das fög denn auch zum Schluss, dass die Medienberichterstattung in der Tonalität erstaunlich ambivalent ausfiel, denn für gewöhnlich generierten dem fakultativen Referendum unterstellte Vorlagen ein positiveres Echo in den Medien. Ganz grundsätzlich war die Medienresonanz zur Abstimmungsvorlage gemäss fög gering – ebenso wie zu den beiden anderen zur Abstimmung stehenden Vorlagen (Frontex und Filmgesetz). Inserate für oder gegen die Änderung des Transplantationsgesetzes suchte man in den Printmedien mit wenigen Ausnahmen vergebens. Generell schienen die Meinungen zur Organspende auch bereits von Anfang an gemacht, denn die verschiedenen Wellen der Tamedia-Vorabstimmungsbefragungen registrierten kaum merkliche Verschiebungen beim Ja-Anteil, der zwischen 61 und 62 Prozent lag.

Somit war die Annahme des Transplantationsgesetzes an der Urne denn auch nicht überraschend. Bei einer tiefen Wahlbeteiligung von 40.3 Prozent sprach sich die Stimmbevölkerung am 15. Mai 2022 mit 60.2 Prozent Ja-Stimmen für die erweiterte Widerspruchslösung aus. Lediglich die Stimmenden der beiden Appenzell, von Schaffhausen und Schwyz lehnten die Änderung knapp ab. Weitaus die höchsten Ja-Anteile fanden sich in den Westschweizer Kantonen (durchschnittlich 76.4%) gefolgt vom Tessin (65.5%) – der Sprachgraben zeigte sich bei dieser Vorlage überaus deutlich (Durchschnitt Deutschschweizer Kantone: 53.3%). Der am deutlichsten befürwortende Deutschschweizer Kanton, Basel-Stadt (60.9% Ja), sagte noch immer mit mehr als 10 Prozentpunkten weniger deutlich Ja als der am wenigsten stark zustimmende Kanton der Romandie (Wallis: 72.4% Ja). Somit sprachen sich auch die katholischen Kantone Freiburg, Jura und Wallis klar für die Gesetzesänderung aus, obwohl sich die katholische Kirche für ein Nein eingesetzt hatte. Nicht der Katholizismus, sondern das unterschiedliche Verhältnis der Sprachregionen zum Staat hätten also die Meinungen beeinflusst, folgerte der Tages-Anzeiger kurz nach der Abstimmung. Auf der anderen Seite des Zustimmungsspektrums führte der Vorsteher des Ausserrhodener Gesundheitsdepartementes das Nein in seinem Kanton auf eine besonders ausgeprägte Naturverbundenheit seiner Einwohnerinnen und Einwohner zurück, die sich auch in einer Präferenz für Naturheilkunde gegenüber gewissen schulmedizinischen Angeboten äussere. Tatsächlich bestätigte die VOX-Nachbefragung, dass die Frage, wie stark jemand der Schulmedizin, dem Spitalpersonal, der Wissenschaft und dem BAG vertraut, mit der Zustimmung zur Revision zusammenhängt. Ebenso sprachen sich Personen mit hohem Vertrauen in Freikirchen besonders häufig gegen die Gesetzesänderung aus. Und obwohl der Abstimmungskampf in Abwesenheit der Parteien geführt worden war, erwies sich die politisch-ideologische Selbsteinstufung einer Person durchaus als relevant für deren Stimmentscheid. So legten links stehende Personen besonders häufig ein Ja ein, während sich der Ja-Anteil mit zunehmender Ausrichtung auf die rechte Seite des politischen Spektrums verringerte. Insgesamt folgten jedoch alle Parteisympathisierenden mehrheitlich der Parole ihrer Partei. Das Recht auf einen unversehrten Körper sei zentral und der Staat solle sich nicht in die Organspende einmischen, lauteten gemäss VOX-Umfrage die zentralen Argumente für ein Nein. Auf der anderen Seite zeigten sich die Befürwortenden überzeugt, dass es in der Schweiz momentan zu wenig Organspenden gebe und sich mit dieser staatlich geförderten Regelung Leben retten liessen. Zudem entlaste sie Angehörige, da diese nicht mehr stellvertretend für die verstorbene Person entscheiden müssten.


Abstimmung vom 15. Mai 2022

Änderung des Bundesgesetzes über die Transplantation von Organen, Geweben und Zellen (Transplantationsgesetz)
Beteiligung: 40.3%
Ja: 1'319'276 Stimmen (60.2%)
Nein: 872'119 Stimmen (39.8%)

Parolen:
-Ja: SP (2*), FDP, Grüne (3*), GLP, Mitte (1*); Konsumentenforum, FMH
-Nein: EDU, EVP, SVP (2*); Schweizerische Bischofskonferenz, NZZ
* in Klammern Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Sogleich nach dem Urnengang stellten die Medien die Frage, wie es nun weitergehe. So informierten etwa die Zeitungen am Tag nach der Abstimmung darüber, was man tun müsse, wenn man sich dazu entschliesse, (keine) Organe spenden zu wollen, wann die Umstellung auf die erweiterte Widerspruchslösung erfolge und was dazu noch erforderlich sei. Einiges, meinte etwa der Tages-Anzeiger zu letzterer Frage, denn für ein neues und sicheres Spenderegister sei «eine elektronische Identität [nötig], die es in der Schweiz noch nicht gibt. Zudem müssen sechs Millionen Erwachsene informiert werden.» Im Vorfeld der Abstimmung war nicht zuletzt auch das bestehende Register von Swisstransplant in Kritik geraten; wegen einer durch die SRF-Sendung «Kassensturz» Anfang Jahr bekannt gewordenen Sicherheitslücke hatte eine beliebige Drittperson eine andere als Organspender oder Organspenderin erfassen können. Da sich dieser Fehler nicht so rasch beheben liess, war eine Neuregistrierung für oder gegen die Organspende im bestehenden Register von Swisstransplant gerade während des Abstimmungskampfes, als sich vermutlich einige Menschen mit der Frage der eigenen Organspendebereitschaft befassten, nicht möglich. Mit einer E-ID gebe es keine solche Sicherheitslücke, kommentierten IT-Experten gegenüber dem Tages-Anzeiger. Der Bundesrat hingegen liess zum Zeitpunkt der Abstimmung noch offen, ob die von ihm zu präsentierende Lösung eine E-ID erfordere. Nur ein Jahr zuvor hatte die Bevölkerung eine Gesetzesvorlage zur Einführung einer elektronischen Identität an der Urne wuchtig verworfen. Obwohl der Bundesrat daraufhin ein neues E-ID-Gesetz vorzulegen plante, prüfe man zum Zeitpunkt auch andere sichere und datenschutzkonforme Eintragungsarten, so der Bundesrat. Sowohl ablehnende als auch befürwortende Politikerinnen und Politiker forderten vom Bundesrat nach dem Abstimmungsausgang eine umfassende Informationskampagne auf verschiedenen Kanälen. So müsse sichergestellt werden, dass auch Personen ohne ausreichende Sprach- und Lesekenntnisse ausführlich über die Widerspruchslösung informiert würden, forderte etwa SVP-Nationalrätin Verena Herzog als Mitglied des Nein-Komitees. Flavia Wasserfallen (sp, BE), Co-Präsidentin de Unterstützungskomitees, gab darüber hinaus zu bedenken, dass die digitalen Fähigkeiten innerhalb der Bevölkerung variierten und somit sowohl die Information der Behörden als auch ein Eintrag ins Spenderegister über den Postweg möglich sein müssten. Beim BAG sah man dies hingegen anders: Es werde lediglich ein Online-Register geben, allerdings soll es möglich sein, die Eintragung via Vertretungsvollmacht etwa vom Hausarzt oder der Hausärztin vornehmen zu lassen. Ebenfalls klar schien bereits, dass Swisstransplant einen Leistungsauftrag erhalten werde, um das Register des Bundes zu führen, worüber sich die Gegnerschaft der Gesetzesänderung nicht erfreut zeigte. Gemäss Aussagen des BAG kurz nach der Abstimmung werde die Umstellung frühestens Mitte 2024 erfolgen.

Im Oktober 2022 gab Swisstransplant bekannt, dass das eigene Spenderegister wegen der Sicherheitsbedenken per sofort eingestellt werde. Die Spitäler kritisierten diesen Entscheid. Für sie verkomplizierten sich dadurch die Abklärungen bis zum neuen Bundesregister. Unterdessen hatte der Bund den Zeitplan zu dessen Inbetriebnahme bereits etwas nach hinten verschoben: Das eigene Register werde «frühestens ab 2025 eingeführt», so das BAG.

Organspende-Initiative und indirekter Gegenvorschlag (BRG 20.090)
Dossier: Transplantation von Organen, Geweben und Zellen

Noch am Tag der Schlussabstimmungen über die Revision des Filmgesetzes (FiG), kündigten die Jungfreisinnigen, die Jungen Grünliberalen sowie die Junge SVP ein gemeinsames Referendum an. Am 20. Januar 2022 reichte das Bündnis insgesamt 69'797 Unterschriften ein, wovon die BK am 14. März 2022 51'872 als gültig bestätigte, womit das Referendum gegen die «Lex Netflix» Realität wurde.

Die Gegnerinnen und Gegner der Revision des Filmgesetzes (FiG), die Jungparteien, störten sich insbesondere an zwei Elementen des neuen Filmgesetzes: Der erste Kritikpunkt war, dass Streaming-Plattformen wie Disney+ oder Netflix neu 4 Prozent ihres in der Schweiz erzielten Bruttogewinns in den Schweizer Film investieren müssen. Diese Differenz war bereits in den eidgenössischen Räten heiss umstritten gewesen und konnte erst in der Differenzbereinigung ausgemerzt werden. Zwei Mitträger des Referendums, Nicolo Carle, Mitglied der Jungen Mitte, und Luis Deplazes aus der Jungen FDP kritisierten dies als Versuch, künstlich eine Industrie «hochzuzüchten». Sie verstünden nicht, «wieso man aus der Schweiz ums Verrecken eine grosse Filmnation machen wolle», liessen sie sich im Tages-Anzeiger zitieren. Nach Alec von Barnekow, dem Vizepräsidenten der Jungfreisinnigen, ist es nicht richtig, zur Finanzierung des Schweizer Films erfolgreiche Wirtschaftsakteure zu bestrafen, nur weil sie eine breite Kundschaft anziehen könnten.
Zweitens zeigte sich das Referendumskomitee nicht damit einverstanden, dass das Gesetz neu eine Mindestquote von 30 Prozent an europäischen Filmen vorsieht, welche die Plattformen in ihr Angebot aufnehmen müssten. Nach Matthias Müller, Präsident der Jungfreisinnigen und des Referendumskomitees, würde dies dazu führen, dass beliebte Filme und Serien aus den USA, Asien oder Afrika wegfallen würden, was der Filmvielfalt schaden würde, wie er gegenüber dem «Blick» bemerkte. Alec von Barnekow erachtete dies gar als Frontalangriff auf die liberalen Werte der Schweiz. Camille Lothe, Präsidentin der Jungen SVP Zürich, vertrat gegenüber dem Tages-Anzeiger die Meinung, dass der Staat mit dieser Gesetzesrevision versuchen würde, die Menschen in einem sehr privaten Bereich zu erziehen, was zu weit gehe. Wieder einmal würde der Staat damit in etwas Gutes «reinfingern». Generell, so lautete der Tenor der jungbürgerlichen Parteien, sei die Lex Netflix eine «politische Sünde». Dies werde sich direkt in den Abopreisen der Konsumentinnen und Konsumenten niederschlagen, welche dann für Filme zahlen würden, die sie gar nicht sehen möchten.

Die Befürwortenden argumentierten auf der einen Seite damit, dass die Revision neue Arbeitsplätze und Aufträge an die lokale Wirtschaft mit sich bringe. Durch die bessere Investition würden mehr Filmschaffende und Schauspielende in der Schweiz bleiben oder hierher kommen, die bis anhin ihr Glück auf Grund tieferer Kosten im Ausland gesucht hatten. Dies würde wiederum neue Arbeitsstellen schaffen – immerhin brauche eine Filmproduktion um die 200 Angestellte, wie Regisseurin Lisa Brühlmann gegenüber den Medien erklärte. Auch die Qualität des Schweizer Films würde gemäss Marianne Binder (mitte, AG) dadurch steigen, so hätte die Förderung in den Nachbarländern zu einem Aufblühen der Branchen geführt – sie nannte dazu etwa die spanische Serie «La Casa de Papel» (Haus des Geldes), welche dank Netflix zu einem weltweiten Erfolg geworden war. Mit der entsprechenden Förderung sei es durchaus auch möglich, dass der nächste Hit aus der Schweiz kommen könne, was letztendlich auch den Plattformen zugute kommen würde.
Auf der anderen Seite argumentierten etwa Elena Tatti und Daniel Wyss als Co-Präsidium der «Association romande de production audiovisuelle» (AROPA), dass seit der Pandemie die Gewinne der Branche, gerade von Netflix, in der Schweiz stark angestiegen seien, was die geplante Abgabe rechtfertige. Ausserdem sei eine Investitionspflicht von 4 Prozent durchaus legitim, international seien die entsprechenden Abgaben um einiges höher – in Frankreich etwa lägen sie bei 26 Prozent. Dass sich diese auf die Preise der Streaming-Anbietenden auswirken würden, wie das Referendumskomitee befürchtete, erachteten bereits Bundesrat und Parlament derweil als unwahrscheinlich, so sei dies in anderen Ländern mit sehr hohen Ansätzen auch nicht eingetroffen. Zudem hätten die Plattformen dies gleich selbst widerlegt: die meisten hätten gemäss Medien öffentlich bekannt gegeben, dass die Preisgestaltung unabhängig von solchen neuen Regeln entschieden werde.

Der Abstimmungskampf zur Revision des Filmgesetzes (FiG) blieb lange Zeit unterdurchschnittlich, sowohl bezüglich Medieninteresse, wie eine Studie des fög aufzeigte, als auch bezüglich Zeitungsinseraten, wie Année Politique Suisse verdeutlichte. Für Aufsehen sorgte hingegen Mitte April 2022 ein Zwischenfall in der SRF-Sendung «Arena», als Kulturminister Berset unerwartet mit einem Fehler im Abstimmungsbüchlein konfrontiert wurde. Demnach seien in einer Grafik, welche die Investitionspflicht in anderen europäischen Staaten aufzeigen sollte, auch Staaten ohne strikte Investitionspflicht aufgeführt gewesen. Nachdem das Referendumskomitee in vier Kantonen Abstimmungsbeschwerden eingereicht hatte, gab die Bundeskanzlei bekannt, dass ergänzende Erklärungen zur Grafik veröffentlicht werden würden. Da das Abstimmungsbüchlein zu diesem Zeitpunkt aber bereits an die Stimmbevölkerung verschickt worden war, konnten die Änderungen nur noch auf der Internetseite des Bundes vorgenommen werden. Da dem Komitee die Anpassungen zu wenig weit gingen, verzichtete es auf einen Rückzug der Beschwerden und reichte Ende April ergänzend Beschwerde beim Bundesgericht in Lausanne ein. Dieses erachtete jedoch eine umfassende Information der Stimmberechtigten durch die öffentlich zugänglichen Präzisierungen der BK als zulässig und lehnte die Beschwerde ab.

Am 15. Mai 2022 nahm das Schweizer Stimmvolk das neue Filmförderungsgesetz mit einem Ja-Stimmenanteil von 58.4 Prozent an – damit wurde das Schweizer Recht im Filmwesen an neue Entwicklungen in der EU angeglichen. Die Medien erachteten das Ergebnis als erstaunlich deutlich, zumal das Referendumskomitee im Verlauf des Abstimmungskampfes gemäss Vorumfragen einen beachtlichen Anstieg an Unterstützung erreicht und damit die Filmfreundinnen und -freunde unerwartet nervös gemacht hatte. So zeigte etwa die erste Vorumfrage des SRG/gfs vom 18. März 2022, dass 16 Prozent Nein (16 Prozent eher Nein) stimmen würden. Zum Zeitpunkt der letzten Tamedia/Leewas-Vorumfrage vom 4. Mai 2022 war dieser Anteil auf 40 Prozent (5 Prozent eher Nein) angestiegen.


Abstimmung vom 15. Mai 2022

Beteiligung: 40.03%
Ja: 1'255'038 Stimmen (58.4%)
Nein: 893'370 Stimmen (41.6%)

Parolen:
-Ja: Grüne, GLP (4)*, Mitte (3)*, SP, EVP, PdA, Junge Grüne, Juso, Junge Mitte (4)*; SGB, SSV, VPOD, cinésuisse, Suisseculture, Suisa, Europäische Bewegung Schweiz, Gewerbeverband AI, Ensemble à Gauche, ML-CSP FR, CSP OW, PCSI JU, Filmschaffende.
-Nein: FDP (3)*, SVP, EDU, SD, Piratenpartei, Junge FDP, Junge SVP, Junge GLP; NZZ, eco, SGV, Verband Schweizer Privatfernsehen, Schweizerisches Konsumentenforum (KF), Telesuisse, Economiesuisse, Swico, SuisseDigital.
*in Klammern Anzahl abweichender Kantonalsektionen

Wie zu erwarten zeigten sich die Gegnerinnen und Gegner des Filmgesetzes wenig erfreut über das Ergebnis. Die NZZ etwa, welche sich gemäss fög während des Abstimmungskampfes klar gegen die Vorlage positioniert hatte, sprach von einem «Film-Heimatschutz der Linken». Ob damit der Konsum von Schweizer Filmen tatsächlich steigen werde oder ob es nur einfach erzwungenermassen mehr Angebot geben werde, müsse sich noch weisen. Auch Schweizer Privatsender, welche sich bereits im Abstimmungskampf kritisch gegenüber dem neuen Gesetz geäussert hatten, zeigten sich enttäuscht. Der Präsident der Jungfreisinnigen, Matthias Müller, welcher das Referendumsteam angeführt hatte, erachtete das Ergebnis immerhin als «Achtungserfolg». Immerhin sei dank dem Referendum über die Thematik diskutiert worden. Die Medien rühmten den Abstimmungskampf der bürgerlichen Jungparteien derweil als «geschickt» und «laut» und beleuchteten die jüngsten Erfolge der Jungfreisinnigen, etwa ihren Einsatz gegen das Geldspielgesetz oder für die Renteninitiative.

Die Befürwortenden der Revision präsentierte sich gegenüber den Medien zufrieden und hoffnungsvoll. Der Direktor von Pro Helvetia, Philippe Bischof, twitterte etwa, dass dieses Abstimmungsergebnis «ein gutes Zeichen für den Umgang mit Streaming-Plattformen und gerechter Mittelverteilung zwischen Vertrieb und Kreation» sei. Die SP deutete das Ergebnis als «Zeichen gegen die Selbstbedienungsmentalität der grossen Konzerne» und als wichtiges Signal für die sprachliche und kulturelle Vielfalt der Schweiz. Die Mitte freute sich darüber, dass die erwünschten «gleich langen Spiesse» zwischen den Streaming-Anbietenden und den Schweizer Fernsehsendern nun zum Zuge kommen würden.

Die Medien nutzten das Abstimmungsergebnis auch für einen Ausblick. Nun erhoffe sich auch die Musikbranche eine Verbesserung ihrer Lage, etwa in Form einer möglichen «Lex Spotify». Demnach machten Musikplattformen in der Schweiz Millionenumsätze – ohne überhaupt ein Büro in der Schweiz zu besitzen. Dies sei in den letzten Jahren bereits in drei Vorstössen (Mo. 19.3807; Po. 20.3685; Po. 21.3635) erfolglos thematisiert worden – die Annahme des Filmgesetzes gebe nun aber Auftrieb.

Im Juni 2022 erschien schliesslich die VOX-Analyse zur Abstimmung und gab Hinweise auf das Stimmverhalten der Bürgerinnen und Bürger. Abgelehnt wurde die Revision des Filmgesetzes vor allem von Personen am rechten Pol des politischen Spektrums sowie von Personen, welche mit der SVP sympathisieren. Als Hauptargument nannten die Gegnerinnen und Gegner die unerwünschte «Einmischung des Staates in die Wirtschaft» und die bereits ausreichenden Subventionen der Kulturbranche. Die Befürwortenden der Revision erachteten die Revision als Stärkung der Schweizer Filmbranche. Die grösste Zustimmung erhielt das Argument, dass damit Arbeitsplätze und Aufträge an Schweizer Produzierende geschaffen würden und das mit einem vielfältigeren Angebot einhergehe. Das Streamingdienste in Zukunft einen Teil ihres Gewinns aus der Schweiz wieder in die Schweizer Filmbranche investieren müssen, wurde zudem als gerecht wahrgenommen. Insgesamt erachteten die Befragten die persönliche Bedeutung dieser Revision im Vergleich zu den anderen beiden Vorlagen des Abstimmungssonntags (Transplantationsgesetz, Frontex) aber als gering.

Revision des Filmgesetzes (Lex Netflix; BRG 20.030)

Etwas überraschend kündigte Regula Rytz (gp, BE), laut Sonntagszeitung die «erfolgreichste grüne Politikerin der Schweiz», Anfang April 2022 nach 11 Jahren ihren Rücktritt aus dem Nationalrat an. Sie werde die Sondersession im Mai noch beginnen und dann «nochmal etwas Neues» anfangen, wie sie zu Protokoll gab. Neben einem privaten Beratungsbüro wird sie das Präsidium von Helvetas übernehmen und ihr Mandat als Delegierte bei den europäischen Grünen behalten. Rytz sass von 1994 bis 2005 im Berner Kantonsparlament und wurde 2004 in die Berner Stadtregierung gewählt. 2011 schaffte sie die Wahl in den Nationalrat und übernahm 2012 das Präsidium der Grünen Partei, zuerst zusammen mit Adèle Thorens (gp, VD), zwischen 2016 und 2020 alleine. Rytz führte die Grünen 2019 zu einem grossen Wahlsieg, stiess dann allerdings mit ihrer Forderung eines Bundesratssitzes für die GP beim Parlament auf taube Ohren und wurde – trotz Rekordstimmenzahl für eine grüne Bundesratskandidatur – nicht erste grüne Magistratin.
Für Regula Rytz rückte Natalie Imboden (gp, BE) nach. Die 51-jährige ist Kantonalpräsidentin der Grünen Partei und Generalsekretärin des Schweizerischen Mieterinnen- und Mieterverbands. Sie kündigte an, das Kantonalpräsidium und ihr Mandat im Kantonsparlament aufzugeben. Mit Imboden, die während der Sondersession das Gelübde ablegte, wurde die bisher zwölfte Mutation in der 51. Legislatur 2022 verzeichnet – elf im Nationalrat und eine im Ständerat.

Mutationen 2022
Dossier: Mutationen im nationalen Parlament