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Jahresrückblick 2023: Verbände

Zu den bedeutsamsten Ereignissen des Jahres 2023 gehörten für viele Verbände die eidgenössischen Wahlen. Wohl am meisten Präsenz hatten dabei Economiesuisse, Arbeitgeber-, Gewerbe- und Bauernverband, die erhebliche Mittel in ihre gemeinsame Wahlkampagne «Perspektive Schweiz» investierten, welche zu einem (land)wirtschaftsfreundlich zusammengesetzten Parlament beitragen sollte. Dabei wurde insbesondere von links-grüner Seite, aber auch in Medienkommentaren und von vereinzelten Bürgerlichen darauf verwiesen, dass der SBV und die grossen Wirtschaftsverbände namentlich in den Themen Freihandel und Subventionen grundlegend andere Interessen hätten, die mit der Zusammenarbeit nur notdürftig zugedeckt und früher oder später aufbrechen würden. In den Medien wurde denn auch unterschiedlich eingeschätzt, inwieweit der Rechtsruck im Nationalrat tatsächlich im Sinn der grossen Wirtschaftsverbände sei, da er vor allem durch Gewinne der SVP zustandekam, die in europa- und migrationspolitischer Hinsicht oft andere Positionen vertritt als etwa Economiesuisse. Einig war sich die Presse indessen, dass der Bauernverband gestärkt aus den Wahlen hervorging. Vor allem im Zusammenhang mit den Wahlen konnte dieser gegenüber den Vorjahren auch seine Medienpräsenz deutlich steigern (siehe Abbildung 2 der APS-Zeitungsanalyse).

Mit Vorwürfen sah sich im Wahlkampf der Gewerkschaftsbund (SGB) konfrontiert, weil er den Organisationsaufwand für eine grosse Kaufkraftdemonstration kurz vor den Wahlen nicht als Wahlkampfkosten gemäss der neuen Transparenzgesetzgebung zur Politikfinanzierung deklariert hatte. Der SGB legte sein Budget für die Demonstration daraufhin rasch offen, stellte sich aber auf den Standpunkt, es habe sich nicht um eine Wahlkampfveranstaltung gehandelt. Scharfe Kritik handelte sich sodann die Kampagnenorganisation Campax ein, als sie im Wahlkampf einen Aufkleber verbreitete, auf dem die SVP und die FDP mehr oder weniger explizit als «Nazis» bezeichnet wurden. Campax änderte das Sujet daraufhin ab, doch der Vorfall führte zu erneuten bürgerlichen Forderungen, die Regeln für politische Kampagnenaktivitäten von staatlich unterstützten NGOs zu verschärfen.

Mehrere Verbände mussten sich im Berichtsjahr mit bedeutenden internen Konflikten auseinandersetzen. Im Schweizer Tierschutz (STS) eskalierten Diskussionen um Spesenabrechnungen und Führungsstil zu einem heftigen Machtkampf zwischen der Präsidentin und einem Teil der übrigen Vorstandsmitglieder. Stärker politisch aufgeladen war ein Machtkampf zwischen konservativen und progressiven Kräften in der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG), in dessen Zug der Vorstand alle Neueintritte bis 2024 sistierte, um einen befürchteten «Putsch» an der Mitgliederversammlung zu verhindern. Auch beim Konsumentenforum entbrannte ein Konflikt mit stark politischer Note, indem ein Vereinsmitglied der Verbandsspitze vorwarf, auf Kosten der Konsumentinnen- und Konsumenten-Interessen eine Kaperung der Organisation, insbesondere durch Wirtschaftsverbände, zu orchestrieren. Beim Hauseigentümerverband (HEV) war dessen Nein-Kampagne zum Klimagesetz Auslöser für interne Auseinandersetzungen und zahlreiche, teilweise prominente Verbandsaustritte. Zu einer Zerreissprobe kam es sodann bei der Frauen-Dachorganisation Alliance F, als deren Spitze sich im März im Parlament zugunsten der BVG-Reform einsetzte. Als Reaktion sistierten die SP Frauen zunächst ihre Verbandsmitgliedschaft und prüften unter anderem den Aufbau einer neuen, linken Frauen-Dachorganisation. Schliesslich entschieden sie jedoch, unter bestimmten Bedingungen vorerst doch bei Alliance F zu bleiben.

Beim Gewerbeverband (SGV) fielen Auseinandersetzungen um die politische Ausrichtung des Verbands derweil mit einem Personalgeschäft zusammen, das dem Verband deutlich mehr mediale Aufmerksamkeit bescherte als in den Vorjahren (siehe Abbildung 2): Als Nachfolger des langjährigen Verbandsdirektors Hans-Ulrich Bigler wurde zunächst Henrique Schneider gewählt, aufgrund einer Plagiatsaffäre wurde Schneiders Wahl jedoch noch vor dessen Amtsantritt widerrufen. So wählte der SGV mit Urs Furrer letztlich einen Verbandsdirektor, von dem die Medien einen moderateren Kurs erwarteten als von Bigler und Schneider. Reibungsloser ging die Neubesetzung von Spitzenposten in einer Reihe anderer Verbände über die Bühne, so beim Arbeitgeberverband, bei der Syna, beim VPOD, beim Versicherungsverband, bei Curafutura, bei der Bankiervereinigung, bei Avenir Suisse und bei Auto Schweiz.

Grössere strukturelle Veränderungen gab es in der Schweizer Verbandslandschaft 2023 kaum. Mit «Cinéconomie» wurde eine neue Allianz von Interessenorganisationen der Filmwirtschaft gegründet. Die Bankiervereinigung konnte die Rückkehr von Raiffeisen in den Verband verzeichnen, wohingegen der Krankenkassenverband Curafutura den Austritt der KPT hinnehmen musste.

Mediale Aufmerksamkeit für eigene inhaltliche Forderungen erzielte der Arbeitgeberverband mit einem Papier zum Fachkräftemangel, in dem er unter anderem längere und flexiblere Arbeitszeiten forderte, was starke Kritik von den Gewerkschaften provozierte. Der Mieterinnen- und Mieterverband forderte in der Diskussion um die steigenden Mieten insbesondere staatliche Mietzinskontrollen gegen missbräuchliche Mieten und deutlich mehr gemeinnützigen Wohnungsbau. Auch verschiedene Gruppierungen der Klimabewegung versuchten, Aufmerksamkeit für ihre Anliegen zu generieren, wobei sie wie in den Vorjahren wiederum zu teilweise umstrittenen Aktionsformen griffen.

Jahresrückblick 2023: Verbände
Dossier: Jahresrückblick 2023

Mitte November 2023 legte der Bundesrat den Bericht zum Postulat von Min Li Marti (sp, ZH) zu den Möglichkeiten für selbstorganisierte Arbeitsformen in der Bundesverwaltung vor. Der Bericht lotete auf der Basis von Interviews mit erfahrenen Verwaltungsmitarbeitenden und Führungspersonen insbesondere aus, inwiefern die Soziokratie – Individuen sind prinzipiell gleichberechtigt an einer Organisation beteiligt und finden Lösungen im Konsent-Prinzip – und die Holokratie – die Machtverteilung wird dezentralisiert und eine Organisation mittels klaren Organisations- und Entscheidungsstrukturen auf grösstmögliche Effizienz ausgerichtet – umsetzbar wären. Der Bericht zeigte auf, dass es zwar in fast allen Departementen selbstorganisierte Arbeitsformen gebe, dass die nach wie vor vorherrschenden hierarchischen Strukturen aber für eine breitere Durchsetzung neuer Arbeitsformen hinderlich seien. Die Einführung von selbstorganisierten Arbeitssystemen mit hoher Flexibilität, flachen Hierarchien und breiter Mitentscheidung bedinge neue Rollenverständnisse, den Willen der Mitarbeitenden, Verantwortung zu übernehmen und die entsprechende Unterstützung seitens der Führung. Der Bericht schloss mit der Vermutung, dass die Forderungen nach neuen Arbeitsformen über die Zeit auch aufgrund eines «Generationenwechsel[s] in der öffentlichen Verwaltung» zunehmen und sich in einer «Arbeitswelt in Bewegung» immer mehr durchsetzen werden.

Selbstorganisierte Arbeitsformen in der Bundesverwaltung einführen (Po. 21.4162)

Im März 2023 erklärte Lorenzo Quadri (lega, TI), dass das italienische Parlament in Kürze über die Schaffung eines Abkommens mit der Schweiz diskutieren werde, gemäss dem Grenzgängerinnen und Grenzgänger aus Italien bis zu einem Pensum vom 40 Prozent im Homeoffice arbeiten dürfen. Quadri verlangte in seiner Motion, dass die Schweiz keine entsprechende Einigung abschliessen solle. Entsprechende Stellen sollten lokalen Mitarbeitenden zur Verfügung stehen; es brauche keine weiteren Verbesserungen der Arbeitsbedingungen für Grenzgängerinnen und Grenzgänger. Letztere würden im Dienstleistungssektor bereits häufig lokal ansässige Personen ersetzen, was negative Auswirkungen auf den lokalen Arbeitsmarkt habe. Die Tessiner Kantonsregierung, die Tessiner Deputation in den eidgenössischen Räten, die Arbeitsgemeinschaft Regio Insubrica (bestehend aus dem Kanton Tessin und den Regionen Lombardei und Piemont) sowie ein Verbund aus Tessiner Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften verlangten hingegen in einem Schreiben an das EFD, dass in diesem Bereich eine neue Verständigungsvereinbarung abgeschlossen werde. Der Bundesrat beantragte, die Motion abzulehnen, da der Abschluss solcher Verständigungsvereinbarungen möglich bleiben soll, vor allem wenn die zuständigen Behörden dies als notwendig erachten. In der Herbstsession 2023 zog der Motionär seinen Vorstoss zurück, um die Entwicklung der Situation abzuwarten.

Homeoffice-Regelungen für Grenzgängerinnen und Grenzgänger (Mo. 23.3111)

Die Bankengruppe Raiffeisen wurde im Sommer 2023 wieder Mitglied der Bankiervereinigung, welche sie fast drei Jahre davor verlassen hatte. Der Verwaltungsratspräsident von Raiffeisen, Thomas A. Müller, stellte sich auch gleich für das Vizepräsidium des Branchenverbands zur Verfügung.
Die NZZ erachtete den Schritt als vorteilhaft für beide Seiten: Für Raiffeisen werde das Lobbying gegenüber der Politik mit dem Verband im Rücken wieder einfacher. Die Bankiervereinigung ihrerseits gewinne mit dem Zugang der – nach dem Verschwinden der Credit Suisse – zweitgrössten Bankengruppe des Landes nicht nur an Gewicht, sondern auch einen Mitgliederbeitrag, der sich wohl «im tiefen einstelligen Millionenbereich» bewege und das vom wegfallenden Credit-Suisse-Beitrag aufgerissene Loch in der Verbandskasse verkleinere. Auch wirke der Raiffeisen-Beitritt der Übermacht der UBS im Verband entgegen. Wie die NZZ weiter zu berichten wusste, sei Raiffeisen die Rückkehr durch Reformen der internen Entscheidungsprozesse bei der Bankiervereinigung erleichtert worden, welche den inlandorientierten Banken – wozu die Raiffeisen zählt – eine stärkere Stimme gäben. Die divergierenden Interessenlagen zwischen ausland- und inlandorientierten Banken waren 2020 der Hauptgrund für den Austritt von Raiffeisen gewesen.
Die NZZ sah indessen bereits die nächsten Spannungen auf den Dachverband zukommen: Die aktuelle Diskussion um die Too-big-to-fail-Regulierung sei für die systemrelevanten Banken, primär aber für die UBS vital, wohingegen viele inlandorientierte Banken nicht daran interessiert sein dürften, «politisches Kapital für einen Kampf aufzuwenden, der sie nichts angeht».

Rückkehr von Raiffeisen in die Bankiervereinigung

Rückblick auf die 51. Legislatur: Bevölkerung und Arbeit

Autorinnen: Giada Gianola, Diane Porcellana und Anja Heidelberger

Stand: 17.08.2023

Die Arbeitswelt wurde in der 51. Legislatur von der Corona-Pandemie heftig durchgeschüttelt. So mussten zu Beginn der Pandemie, als der Bundesrat Homeoffice empfahl, in vielen Unternehmen erst neue Homeoffice-Strukturen geschaffen oder die bestehenden Strukturen ausgeweitet werden. Von Beginn des Lockdowns bis Mitte Juni 2020 arbeitete fast jede zweite Person im Homeoffice. Zwar hatte es bereits vor der Pandemie Bestrebungen gegeben, Homeoffice oder Telearbeit auf Bundesebene neu zu regeln, diese erhielten in der Folge aber zusätzlichen Auftrieb.
Erschwert wurde die Arbeit im Homeoffice während der Pandemie für viele Eltern dadurch, dass sie durch die Aussetzung des Präsenzunterrichts an den Schulen und der teilweisen Schliessung der Kindertagesstätten zusätzlich zu ihrer Erwerbsarbeit auch die Betreuung ihrer Kinder sicherstellen mussten.

Die Pandemie warf aber gleichzeitig auch ein Licht auf systemrelevante Berufe, welche üblicherweise wenig Aufmerksamkeit erhalten und vergleichsweise schlecht bezahlt sind. Denn während der Bundesrat die Schliessung sämtlicher Läden, Märkte, Restaurants, Bars, Unterhaltungs- und Freizeitbetriebe verordnete, blieben die Lebensmittelläden und Gesundheitseinrichtungen offen – zumal die Lebensmittel- und Gesundheitsversorgung der Bevölkerung sichergestellt werden musste. Da die Spitäler an ihre personellen Grenzen gelangten, hob der Bundesrat zudem die Bestimmungen zu Arbeits- und Ruhezeiten in den Spitälern temporär auf.

Doch nicht nur im Arbeitsbereich hatte die Pandemie grosse Auswirkungen, sondern vor allem auch in der Bevölkerungsentwicklung. Hier weist das BFS für die Über-65-Jährigen eine beträchtliche Übersterblichkeit aufgrund der Covid-19-Pandemie auf. So stieg die Übersterblichkeit in der ersten Welle zwischen Ende März 2020 und Mitte April 2020 sowie insbesondere in der zweiten Welle zwischen Ende Oktober 2020 und Ende Januar 2021 deutlich an. Eine weitere Welle sieht man überdies von Mitte November 2021 bis Ende 2021.

Mit der als Folge der Pandemie verstärkten Nutzung flexibler Arbeitsformen und der verstärkten Digitalisierung im Arbeitsbereich wurde auch die bereits in der 50. Legislatur aufgeworfene Frage nach einer Liberalisierung der Arbeitszeiten wieder aktuell. Einen entsprechenden Vorschlag der WAK-SR schrieb der Ständerat jedoch zugunsten einer Verordnungsänderung, mit der der Bundesrat eine Übereinkunft der Sozialpartner umsetzen wollte, ab.

Während die Corona-Pandemie grosse Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt hatte, wirkte sich die Energiekrise und die steigende Inflation vor allem auf die Reallöhne der Beschäftigten aus: Zwar hatten die Gewerkschaften bereits in den vorangegangenen Jahren Lohnerhöhungen für die Angestellten gefordert, diese wurden im Jahr 2022 jedoch besonders vehement vertreten, um eine Reduktion des Reallohns aufgrund der Teuerung zu verhindern.

Relevant war die Frage der Löhne auch bei der Revision des Entsendegesetzes, mit der sich Bundesrat und Parlament in der 51. Legislatur befassten. Die bundesrätliche Botschaft sah unter anderem vor, dass kantonale Mindestlöhne zukünftig auf entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer angewendet werden müssen. Diese Änderung des Entsendegesetzes scheiterte jedoch am Widerstand des Ständerats, der darin eine Ungleichbehandlung zwischen Arbeitnehmenden aus EFTA- und EU-Staaten sah. Obwohl das Anliegen erfolglos blieb, wurde es vom Parlament – gemessen an der Anzahl Wörter – in diesem Themenbereich am ausgiebigsten diskutiert. Im Jahr 2023 hiess das Parlament jedoch eine andere Änderung des Entsendegesetzes gut, mit der eine gesetzliche Grundlage für die Plattform zur elektronischen Kommunikation zwischen Vollzugsorganen der flankierenden Massnahmen geschaffen werden sollte.


Zu den Jahresrückblicken:
2020
2021
2022

Rückblick auf die 51. Legislatur: Bevölkerung und Arbeit
Dossier: Rückblick auf die 51. Legislatur

Der Schweizerische Versicherungsverband (SVV), dem rund 70 Privatversicherungs-Unternehmen mit insgesamt 50'000 Mitarbeitenden angehören, erhielt im Juni 2023 einen neuen Präsidenten. Die SVV-Delegierten wählten einstimmig Stefan Mäder an die Verbandsspitze. Mäder war zwei Monate davor bei der Mobiliar zum Verwaltungsratspräsidenten aufgestiegen. In seiner Antrittsrede beim SVV kündigte der neue Präsident an, er wolle das öffentliche Bewusstsein dafür schärfen, dass die Schweizer Versicherungswirtschaft seit der Jahrtausendwende ihre Wertschöpfung verdoppelt und damit stärker zugelegt habe als irgendeine andere Branche im Land und dass ihr Erfolg für die finanzielle Widerstandskraft der Versicherten und letztlich der gesamten Schweizer Wirtschaft zentral sei. Mäder folgte im SVV-Präsidium auf Rolf Dörig, der das Amt sechs Jahre lang innegehabt hatte.

Wechsel im Präsidium des Versicherungsverbands

Beim Schweizerischen Anwaltsverband (SAV) wurde im Juni 2023 einstimmig Matthias Miescher zum neuen Präsidenten gewählt. Miescher, der davor neun Jahre lang Vorsitzender des Solothurnischen Anwaltsverbands gewesen war, löste beim SAV die Genferin Birgit Sambeth ab. Sambeth war die zweite Frau im Präsidium des 125-jährigen Verbands gewesen. Die Amtszeit als SAV-Präsident beträgt zwei Jahre, den Aufwand schätzte Miescher gegenüber der Presse auf ein 50-Prozent-Pensum.
Einen inhaltlichen Schwerpunkt wollte Miescher beim Zugang aller Menschen zum Recht setzen: Obwohl dieser grundsätzlich garantiert sei, werde er aus «angeblich guten politischen Gründen» immer wieder attackiert, etwa mit Bestrebungen zur Aushöhlung der unentgeltlichen Rechtspflege oder mit Angriffen auf das Klientinnen- und Klientengeheimnis. Des weiteren nahm er sich vor, den von seiner Vorgängerin eingeschlagenen Kurs zur Steigerung der Diversität im Berufsstand der Anwältinnen und Anwälte fortzuführen, etwa bezüglich der Geschlechteranteile.
Der SAV ist die Berufsorganisation der freiberuflich tätigen Anwältinnen und Anwälte in der Schweiz und zählt rund 11'000 Mitglieder in 24 Kantonalverbänden. Sein Engagement gilt nach eigenen Angaben nicht nur dem Ansehen und den Interessen des Anwaltsstandes sowie der Weiterbildung seiner Mitglieder, sondern auch der «Vervollkommnung des Rechts und der Rechtspflege [...] im Interesse der Rechtsuchenden und des Rechtsstaats», wozu er auch in den Gesetzgebungsverfahren des Bundes seine Stimme erhebe.

Präsidium des Anwaltsverbands

Eine «Art Personalbremse» wolle er installieren, erklärte Thomas Burgherr (svp, AG) in der Nationalratsdebatte in der Sommersession 2023 die Forderung seiner parlamentarischen Initiative, mit der er die Entwicklung beim Bundespersonal besser kontrollieren wollte. Es brauche Rahmenbedingungen, mit denen das Lohnwachstum und die Zahl beim Bund angestellter Personen gestoppt würden. Laut einer Studie sei der Durchschnittslohn in der Bundesverwaltung 12 Prozent höher als in der Privatwirtschaft, zudem sei ein Viertel aller Arbeitnehmenden der Schweiz mittlerweile im gesamten öffentlichen Sektor (Bund, Kantone, Gemeinden, öffentliche und staatsnahe Betriebe) beschäftigt. Darunter seien zahlreiche Personen mit akademischem Abschluss, «bei denen ich manchmal auch mehr Praxisbezug wünsche», so Burgherr; es gehe nicht an, dass Hochschulabgängerinnen und Hochschulabgänger ohne Erfahrungen in der Privatwirtschaft beim Staat arbeiteten «und da kaum mehr wegkommen». Mit seinem «Paketansatz» könne man auch solchen Fehlanreizen Grenzen setzen, so Burgherr. Konkret forderte er in seiner parlamentarischen Initiative etwa eine Koppelung des Stellenwachstums und der Lohnentwicklung an die Privatwirtschaft sowie die Anstellung von mehr «Praktikern» und weniger «Akademikern».
Die Debatte im Nationalrat war nötig geworden, weil die FK-NR mit 16 zu 7 Stimmen empfohlen hatte, der parlamentarischen Initiative keine Folge zu geben. Für die Kommissionsminderheit, die aus SVP-Mitgliedern bestand, ergriff Manuel Strupler (svp, TG) das Wort. Der Bund beschäftige «immer mehr Arbeitskräfte für Tätigkeiten ohne erkennbaren Mehrwert», so Strupler. Dies seien nicht seine Worte, sondern sie stammten von der ehemaligen grünen Nationalrätin Yvonne Gilli (gp, SG), der aktuellen Präsidentin der FMH. Er hoffe deshalb auch von linker Seite auf Unterstützung für die parlamentarische Initiative. Die Argumente der Kommissionsmehrheit wurden von Sarah Wyss (sp, BS) und von Jean-Paul Gschwind (mitte, JU) ausgeführt. Gegen Folgegeben spreche einerseits ein «staatspolitisches Argument», so Wyss. Eine Umsetzung der parlamentarischen Initiative würde den Handlungsspielraum des Parlaments einschränken, weil es die Entwicklung in der Verwaltung nicht mehr selber steuern könnte. Mit einer Koppelung an die Privatwirtschaft würde andererseits eine «totale Übersteuerung» eingerichtet bzw. die notwendige Flexibilität bei den Anstellungen zu stark eingeschränkt: Der Bund müsse jene Personen einstellen können, welche die nötigen Kompetenzen mitbringen. Ob es sich dabei um «Praktiker anstatt Akademiker» handle, sei zweitrangig; zudem sei unklar, was unter «Praktiker» überhaupt zu verstehen sei.
Die Hoffnung des Minderheitensprechers Manuel Stupler, dass nicht bloss Mitglieder der SVP-Fraktion den Minderheitenantrag auf Folgegeben unterstützten, wurde zwar erfüllt, die total 49 Stimmen gegen den Mehrheitsantrag – 43 stammten aus der SVP-, 4 aus der FDP- und 2 aus der Mitte-Fraktion – reichten aber gegen die 118 Voten für den Mehrheitsantrag (bei 6 Enthaltungen) nicht aus. Die parlamentarische Initiative wurde damit abgelehnt.

Einschränken der Entwicklung beim Bundespersonal (Pa.Iv. 22.465)

Im Juni 2023 übernahm alt Ständerat Konrad Graber (mitte, LU) das Präsidium des Krankenkassenverbands Curafutura. Er löste Josef Dittli (fdp, UR) ab, der gut fünf Jahre lang an der Spitze des Verbands gestanden hatte.
Graber brachte reichlich Erfahrung in der Gesundheitspolitik mit in sein Amt: Er ist ehemaliger Präsident der ständerätlichen Gesundheitskommission, und von 2001 bis 2017 war er Verwaltungsrat der CSS-Versicherung gewesen; Graber hatte also aus der Nähe miterlebt, wie die CSS 2013 aus Santésuisse austrat und Curafutura mitgründete. Die Medien nahmen Grabers Amtsantritt zum Anlass für Spekulationen, ob das Schisma zwischen den beiden Krankenkassenverbänden in absehbarer Zeit überwunden werden und eine Wiedervereinigung in einem einzigen Verband gelingen könnte. Graber dämpfte jedoch in der Presse diesbezügliche Erwartungen: Er wolle mit Curafutura nun zuerst die Verbandsstrategie überarbeiten und erst danach allfällige strukturelle Konsequenzen daraus prüfen. Er verwies zudem darauf, dass schon im Vorjahr – nach der Übernahme des Santésuisse-Präsidiums durch Martin Landolt (mitte, GL) – Sondierungsgespräche für eine mögliche Fusion stattgefunden hätten, der Anlauf sei aber missglückt. Die Geschäftsmodelle einzelner Versicherer seien sehr unterschiedlich, woraus sich unterschiedliche Interessenlagen in manchen politischen Fragen ergäben. Das Entscheidende sei ohnehin, dass die Zusammenarbeit zwischen Santésuisse und Curafutura gut funktioniere, was derzeit der Fall sei.
Drei Monate nach seinem Amtsantritt nahm Graber in zwei Interviews mit 24heures und der NZZ Stellung zur Entwicklung der Gesundheitskosten und der Prämienbelastung. Dabei verwarf er die aktuellen Rezepte der grossen Parteien oder einzelner Parteiexponentinnen allesamt, weil sie entweder falsch, unrealistisch oder zu wenig konkret seien. Seine Kritik traf nicht nur die Idee der Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli (svp, ZH) für eine Abschaffung der obligatorischen Grundversicherung, die FDP-Forderung nach einer Wahlmöglichkeit zwischen Voll- oder Light-Grundversicherung sowie die langjährige SP-Idee einer öffentlichen Einheitskasse, sondern auch die Kostenbremse-Initiative seiner eigenen Partei; letztere sei zu abstrakt. Um tatsächlich konkrete Kostensenkungen zu erzielen, gelte es primär drei bereits aufgegleiste Reformen möglichst rasch unter Dach und Fach zu bringen: erstens die EFAS-Reform, zweitens die Revision der Tardoc-Tarife und drittens die Förderung von Generika gegenüber teureren Originalmedikamenten. Ein gewisses Potenzial zur Kostensenkung räumte Graber auch bei den Krankenversicherungen selbst ein: Zu seiner CSS-Zeit hätten die Verwaltungskosten der Versicherer noch 8 Prozent der gesamten Gesundheitskosten ausgemacht, mittlerweile sei man bei 5 Prozent; dank Digitalisierung und künstlicher Intelligenz liege eine weitere Senkung dieser Quote auf 3–4 Prozent drin.
In der NZZ übte Graber schliesslich harsche Kritik an den Kantonen: Diese dächten bei der Spitalplanung immer noch zu wenig in überkantonalen Regionen. Wenn es mit einer freiwilligen Zusammenarbeit zwischen den Kantonen weiterhin nicht klappe, müsse allenfalls der Bund mit einem «sanften Eingriff in den Föderalismus» intervenieren. Eher unsanft war derweil Grabers Vorschlag für den Fall, dass die Kantone ihren Finanzierungsanteil an den Gesundheitskosten wie schon seit 25 Jahren weiter zulasten der Prämienzahlenden reduzierten: Dann müsse man sich laut Graber «irgendwann» gar die Frage stellen, «ob es nicht besser wäre, wenn die Kantone die Hoheit über das Gesundheitswesen abgeben würden».

Wechsel im Präsidium von Curafutura

Mit 8 zu 1 Stimmen (2 Enthaltungen) empfahl die SPK-SR die Motion von Martin Candinas (mitte, GR), mit der er eine vermehrte Dezentralisierung der Arbeitsplätze des Bundes forderte, zur Annahme.
In der Debatte im Ständerat während der Sommersession 2023 vertrat Stefan Engler (mitte, GR) die Argumente der Kommission. Es sei bisher nicht viel gegangen, was die «ausgewogene territoriale Verteilung administrativer Strukturen» anbelange. Dank der Covid-19-Krise sei es aber zu einiger Flexibilisierung der Arbeit in der Bundesverwaltung gekommen, was zeige, dass auch flexible Arbeitsstandorte möglich sein müssten. Man sei deshalb in der Kommission gespannt auf die bundesrätliche Antwort auf ein entsprechendes Postulat von Hansjörg Knecht (svp, AG; Po. 20.4369). Es sei aber wichtig und mit Annahme der vorliegenden Motion anzustreben, dass auch periphere Regionen von dieser Flexibilisierung profitierten. Der angesprochene Hansjörg Knecht meldete sich ebenfalls zu Wort. Er könne die ablehnende Empfehlung des Bundesrates, der die Motion Candinas als bereits erfüllt betrachte, nicht nachvollziehen. Bis jetzt sei kaum Konkretes unternommen worden. Dabei würden nicht nur die Randregionen, sondern auch die Zentren von einer «besseren Verteilung der Arbeitsplätze» profitieren, da eine solche weniger «Dichtestress» etwa in Folge von Wohnungsmangel oder Verkehrsaufkommen bedeuten würde. Finanzministerin Karin Keller-Sutter wies darauf hin, dass sich seit der ablehnenden Antwort des Bundesrates im Jahr 2020 einiges getan habe. Neben dem Postulat von Hansjörg Knecht sei die Regierung auch daran, die Motion der FK-NR (Mo. 20.4338) umzusetzen, die eine nachhaltigere Gestaltung der vom Bund angebotenen Arbeitsplätze forderte. Auch die Motion Candinas werde in diese Arbeiten einfliessen. In der Folge nahm der Ständerat die zuvor schon vom Nationalrat überwiesene Motion stillschweigend an.

Vorbild beim Anbieten von dezentralen Arbeitsplätzen (Mo. 20.4727)
Dossier: Flexible Arbeitsformen in der Bundesverwaltung – Diskussionen seit der Covid-19-Krise

Im Rahmen der Frühlingsession 2023 beschäftigte sich der Nationalrat erneut mit der parlamentarischen Initiative von Thierry Burkart (fdp, AG), die eine Lockerung der Rahmenbedingungen für Telearbeit forderte. Wie die WAK-NR mit 13 zu 8 Stimmen beantragt hatte, wurde die Behandlungsfrist der Initiative stillschweigend um weitere zwei Jahre verlängert. Diese Verlängerung sollte es erlauben, die Anliegen der parlamentarischen Initiative Burkart zusammen mit der ähnlichen parlamentarischen Initiative Graber (cvp, LU; Pa.Iv. 16.414), für welche die WAK-SR zuständig ist, in einen Entwurf zu integrieren, hatte die Kommission den Antrag auf Verlängerung begründet.

Assouplissement des conditions relatives au télétravail (Iv.pa.16.484)
Dossier: Revision des Arbeitsgesetz (ArG)
Dossier: Arbeitszeitliberalisierung

Der 65-jährige Rolf Dörig teilte anfangs 2023 mit, dass er im Juni nicht mehr für eine Wiederwahl als Präsident des Schweizerischen Versicherungsverbands (SVV) kandidiere. Mit einer Amtszeit von sechs Jahren werde er dann einer der am längsten amtierenden Präsidenten in der Geschichte des SVV sein. Dörig war 2017 als Nachfolger von Urs Berger an die SVV-Spitze gewählt worden.
Gegenüber dem Sonntags-Blick erklärte Dörig, dass sein Rückzug aus dem SVV keinen Zusammenhang mit seinem gleichzeitig bekannt gewordenen Beitritt zur SVP habe. Seine persönliche Meinung und seine Tätigkeit für den Verband hätten einander nie eingeschränkt.

Wechsel im Präsidium des Versicherungsverbands

Jahresrückblick 2022: Bevölkerung und Arbeit

Das zentrale Thema im Politikbereich «Bevölkerung und Arbeit» stellten im Jahr 2022 die Löhne allgemein und das Lohndumping im Speziellen dar.

Allgemein standen die Löhne insbesondere Mitte des Jahres und ab Oktober im Zentrum der Diskussion – wie auch Abbildung 1 der APS-Zeitungsanalyse 2022 verdeutlicht –, als die Gewerkschaften als Reaktion auf die Teuerung immer stärker auf eine Lohnerhöhung pochten. Die Löhne für das Jahr 2023 sollten demnach bis zu 4 Prozent ansteigen, um so die Senkung der Kaufkraft und der Reallöhne aufgrund der steigenden Inflation auszugleichen. Mit Lohnerhöhungen beschäftigte sich im Mai auch der Nationalrat, der eine Motion der SP-Fraktion, die eine Auszahlung von CHF 5'000 als Prämie für alle in der Covid-19-Pandemie als systemrelevant eingestuften Arbeitskräfte verlangte, deutlich ablehnte. Noch einmal Aufschwung erhielt die Diskussion um die Löhne im November 2022, als das BFS in einem Bericht die durchschnittliche Lohndifferenz zwischen Frauen und Männern auf 18 Prozent bezifferte.

Das Thema «Lohndumping» stand insbesondere bei der Änderung des Entsendegesetzes (EntsG) zur Debatte. Dieses zielt darauf ab, die Anwendung der kantonalen Mindestlöhne schweizweit auf entsandte Arbeitnehmende auszudehnen. Zwar hatte der Nationalrat die Gesetzesänderung im März 2022 deutlich angenommen, der Ständerat sprach sich in der Sommersession jedoch gegen Eintreten aus. Damit brachte er die Gesetzesänderung nach zwei Jahren Arbeit zum Scheitern.
Ein Mittel gegen Lohndumping – mittels Anpassung der Bestimmungen zur missbräuchlichen Kündigung im OR – suchte auch der Kanton Tessin durch eine Standesinitiative, welcher der Ständerat in der Frühlingsession jedoch keine Folge gab. Thematisiert wurde das Lohndumping schliesslich auch in einer weiteren Tessiner Standesinitiative, welche die Einführung einer Informationspflicht über Lohndumping-Verfehlungen im Bereich des Normalarbeitsvertrages verlangte und welche das SECO 2022 zur Zufriedenheit der WAK-SR umsetzte.

Doch nicht nur bezüglich Lohndumping diskutierte das Parlament über ausländische Arbeitskräfte, auch die Abhängigkeit des Gesundheits- und Sozialwesen von ausländischem Personal wurde in der Sondersession 2022 thematisiert. Dabei lehnte das Parlament ein Postulat ab, das eine Strategie zur Verringerung dieser Abhängigkeit anstrebte. Mehr Anklang fand hingegen eine Motion, gemäss der die Stellenmeldepflicht wieder auf diejenigen Berufsarten beschränkt werden soll, die eine schweizweite Arbeitslosenquote über 8 Prozent aufweisen – sie wurde der Kommission zur Vorberatung zugewiesen.

Als Nachwirkungen der Covid-19-Pandemie wurde auch im Jahr 2022 über die Flexibilisierung der Arbeitsformen gesprochen. Der Ständerat lehnte eine Motion ab, mit der das Arbeitsrecht bezüglich Homeoffice flexibler hätte gestaltet werden sollen. Zuspruch fand hingegen ein Postulat für eine Untersuchung der Auswirkungen neuer Arbeitsformen auf die [Verkehrs-]Infrastrukturen.

Thematisiert wurde schliesslich auch das öffentliche Beschaffungswesen, wobei der Bundesrat im August einen Bericht zur Sicherstellung der Einhaltung der sozialen Mindestvorschriften im öffentlichen Beschaffungswesen veröffentlichte. Darin beurteilte er das bestehende Kontroll- und Sanktionssystem zur Einhaltung der entsprechenden Vorschriften als angemessen. Eine weitergehende Forderung, wonach die Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen so angepasst werden soll, dass auch Prinzipien aus anderen von der Schweiz nicht ratifizierten Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zu sozialen Mindestnormen eingehalten werden müssen, scheiterte hingegen am Ständerat.

Jahresrückblick 2022: Bevölkerung und Arbeit
Dossier: Jahresrückblick 2022

Weil in der Zwischenzeit eine umfassende Vorlage für Regelungen zur Handlungsfähigkeit des Parlaments in Krisenzeiten vorlag und dort auch die Idee der situationsgerechten Flexibilisierungsmöglichkeiten für den Parlamentsbetrieb bei aussergewöhnlichen Umständen Einzug gefunden hatte, zog Thomas Brunner (glp, SG) seine parlamentarische Initiative mit dieser Forderung zurück.

Situationsgerechte Flexibilisierungsmöglichkeiten für den Parlamentsbetrieb bei aussergewöhnlichen Umständen (Pa.Iv. 20.423)
Dossier: Parlament in Krisensituationen

Das Verhältnis zwischen den Krankenkassenverbänden Santésuisse und Curafutura, das im Frühling einen Tiefpunkt erreicht und bei Gesundheitspolitikerinnen und -politikern aus allen Lagern für Unmut gesorgt hatte, schien sich im Herbst 2022 stark gebessert zu haben. So berichtete die NZZ von deutlichen Zeichen der Versöhnung zwischen den beiden Verbänden und verkündete gar schon «das Ende [der] ungesunden Fehde».
Auf inhaltlicher Ebene konnten sich die beiden Verbände in einem alten Streitpunkt einigen, nämlich beim Tarifsystem für ambulante Medizin. Der Kompromiss liegt in einer Kombination der von Santésuisse und den Spitälern bevorzugten Pauschaltarife und dem Einzelleistungstarifsystem Tardoc, das von Curafutura und dem Ärztinnen- und Ärzteverband FMH präferiert worden war.
Über diese konkrete Frage hinaus wurden auch auf atmosphärischer Ebene neue Töne angeschlagen. Auf der einen Seite sagte Martin Landolt (mitte, GL) nach seiner Übernahme des Santésuisse-Präsidiums im Juni, er wolle als Brückenbauer wirken und er spüre «ein grosses Bedürfnis nach Deblockierung» des Verhältnisses zu Curafutura. Wenn es gelinge, in konkreten Projekten wie der Frage des Tarifsystems wieder erfolgreich zusammenzuarbeiten, könne neues Vertrauen wachsen. Eine Wiedervereinigung müsse nicht das Ziel sein, könne aber eine Begleiterscheinung einer vertrauensvollen Zusammenarbeit sein, «wenn das emotionale und personelle Momentum stimmt». Im November erklärte dann Curafutura-Präsident Josef Dittli (fdp, UR), mittelfristig sei eine Fusion der beiden Verbände anzustreben – eine Perspektive, welche Curafutura wenige Monate davor noch abgelehnt hatte. Kurzfristig schloss Dittli eine Fusion zwar aus, er habe aber schon erste Gespräche mit dem Santésuisse-Präsidenten Martin Landolt dazu geführt.

Verhältnis zwischen den Krankenkassenverbänden Santésuisse und Curafutura

Weil sowohl der Motionär, Martin Candinas (mitte, GR) als auch der zuständige Bundesrat Ueli Maurer auf ein Votum verzichteten, bat Nationalratspräsidentin Irène Kälin (gp, AG) die Ratsmitglieder ohne Diskussion um eine Entscheidung darüber, ob der Bund beim Anbieten von dezentralen Arbeitsplätzen – also über alle Kantone und auch ländliche Regionen verteilte Arbeitsplätze – ein Vorbild sein solle oder nicht. Sie erinnerte freilich daran, dass die Regierung die Ablehnung der Motion beantragt hatte. Mit 118 zu 68 Stimmen (bei 8 Enthaltungen) entschied sich die Mehrheit der grossen Kammer für Annahme der Motion, die damit an den Ständerat weitergereicht wurde. Für das Anliegen sprachen sich die geschlossen stimmenden Fraktionen von SP, Grünen und Mitte sowie Minderheiten der FDP und der SVP aus. Einzig die GLP votierte geschlossen gegen das Anliegen.

Vorbild beim Anbieten von dezentralen Arbeitsplätzen (Mo. 20.4727)
Dossier: Flexible Arbeitsformen in der Bundesverwaltung – Diskussionen seit der Covid-19-Krise

Josef Dittli (fdp, UR) gab im Herbst 2022 bekannt, dass er im Mai 2023 von seinem Amt als Präsident des Krankenkassenverbands Curafutura zurücktreten werde. Er hatte seit Januar 2018 als Präsident von Curafutura geamtet. 2023 wolle er bei den eidgenössischen Wahlen nochmals als Urner Ständerat antreten und sich dann stärker auf das Parlamentsmandat konzentrieren können. Curafutura starte nun die Suche nach einer Nachfolge für ihn, da eine Wiedervereinigung mit dem zweiten grossen Krankenkassenverband Santésuisse gemäss Dittli zwar mittelfristig wünschbar, aber bis im Frühling 2023 ausgeschlossen sei.

Wechsel im Präsidium von Curafutura

Der Direktor der Schweizerischen Gewerbeverbandes (SGV) und ehemalige Zürcher Nationalrat Hans-Ulrich Bigler trat im August 2022 von der FDP zur SVP über. In der Presse wurde der Schritt als wenig überraschend kommentiert. Bigler habe «schon länger näher an der SVP politisiert als am Freisinn», fand etwa die NZZ. Als Beispiele nannte sie Biglers scharfe Kritik an der Covid-19-Politik der Behörden, seinen – auch innerhalb des SGV umstrittenen – Einsatz für die No-Billag-Initiative oder seine Unterstützung für die von der SVP angeführte SRG-Halbierungsinitiative. Auch in der Klimapolitik habe er den SGV auf einen SVP-nahen Kurs geführt. Schliesslich habe sich der SGV unter Bigler auch im Stil der SVP angenähert, mit äusserst hart geführten Abstimmungskämpfen und Kooperationen mit der SVP-nahen Werbeagentur Goal.
Die FDP des Kantons Zürich nehme Biglers Abgang «entspannt» zur Kenntnis, erklärte ihr Präsident der NZZ. Inhaltliche Differenzen habe es vor allem bei Klima- und Umweltthemen gegeben, diese seien aber nicht dramatisch gewesen und hätten in der FDP Platz gehabt. Ein Teil der Freisinnigen habe sich an Biglers «provokativer Kommunikation» gestört, im persönlichen Umgang habe es jedoch keine Probleme gegeben.
Bigler selbst bezeichnete seinen Parteiwechsel an einer Medienkonferenz als «Resultat einer kontinuierlichen persönlichen Entwicklung». Es seien keine einzelnen Schlüsselereignisse ausschlaggebend gewesen. Bisweilen empfinde er die Politik der FDP aber als «inkohärent». Als Beispiel nannte Bigler, der auch Präsident des atomenergiefreundlichen «Nuklearforums Schweiz» ist, dass die Freisinnigen den Bau neuer Atomkraftwerke zunächst ablehnten und mittlerweile eher wieder befürworteten. Für die FDP war er 2015 in den Nationalrat gewählt worden, musste sich 2019 aber vom neu antretenden, auf der Liste hinter ihm platzierten Andri Silberschmidt überholen lassen und verpasste so die Wiederwahl. Ob er für die SVP nochmals für öffentliche Ämter kandidieren werde, stehe noch nicht fest, sagte Bigler laut NZZ; sollte er von der Partei angefragt werden, stehe er aber zur Verfügung.
Biglers Parteiwechsel erfolgte rund ein Jahr vor seinem per Mitte 2023 angekündigten Rücktritt als SGV-Direktor.

Prominente Ein- und Austritte bei der SVP

Im Sommer 2022 wurde bekannt, dass die drei grossen Unternehmerinnen- und Unternehmerverbände Economiesuisse, Gewerbeverband und Arbeitgeberverband zusammen mit dem Bauernverband eine strategische Allianz eingegangen waren. Gemäss einem internen Papier, aus dem die «NZZ am Sonntag» zitierte, wollten die vier Verbände künftig «gemeinsam für eine wirtschafts- und agrarfreundliche Politik kämpfen» und etwa in Abstimmungskämpfen vermehrt zusammenspannen, um ihre Durchschlagskraft zu erhöhen. Auch im Hinblick auf die eidgenössischen Wahlen 2023 sei eine Zusammenarbeit geplant. Ziel sei die grundsätzliche Stärkung des bürgerlichen Lagers in der nationalen Politik. SGV-Präsident Fabio Regazzi (mitte, TI) liess verlauten, es gehe um «ein Gegengewicht zum rot-grünen Lager».
Das Bekenntnis zur verstärkten und langfristigen Zusammenarbeit erfolgte vor dem Hintergrund, dass die Wirtschaftsverbände bei Volksabstimmungen zuletzt immer wieder Schwierigkeiten gehabt hatten, eine Mehrheit der Stimmberechtigten von ihrer Position zu überzeugen. Nach einigen Reibereien zwischen dem SAV sowie Economiesuisse einerseits und dem SGV andererseits hatten sich diese drei Verbände schon Ende 2021 im Schulterschluss geübt. Mit dem SBV wurde diese Allianz nun noch erweitert.
Zum ersten Anwendungsfall der neuen Allianz wurde der Abstimmungskampf für den Urnengang vom 25. September 2022, bei dem eine Vorlage mit landwirtschaftlichem Fokus (Massentierhaltungsinitiative) und drei mit Wirtschaftsfokus (Verrechnungssteuerreform und AHV 21) zur Abstimmung kamen. Die vier Verbände demonstrierten an einer gemeinsamen Medienkonferenz Einigkeit, und der SBV forderte alle seine Mitglieder auf, auf ihren Feldern und Höfen nebst Plakaten gegen die Massentierhaltungsinitiative auch solche für die AHV 21 und für die Teilabschaffung der Verrechnungssteuer aufzuhängen. Die «NZZ am Sonntag» wertete diese «flächendeckende Präsenz» in der ländlichen Schweiz als «unbezahlbaren Vorteil im Abstimmungskampf».
Der Boden für die Partnerschaft war gemäss Recherchen der «NZZ am Sonntag» indessen schon länger gelegt worden, als Architekt habe der Zürcher FDP-Ständerat Ruedi Noser gewirkt. Er habe «den grossen Kuhhandel» von 2020 eingefädelt, als der SBV die Wirtschaftsverbände beim Kampf gegen die Konzernverantwortungsinitiative unterstützte und diese im Gegenzug mithalfen, dass das Parlament die Agrarpolitik 22+ sistierte. Auch im Abstimmungskampf gegen die Trinkwasser- und die Pestizid-Initiative im Sommer 2021 konnte der SBV wieder auf die Unterstützung der Wirtschaftsverbände zählen. All dies habe dafür gesorgt, dass das Verhältnis zwischen SBV und Wirtschaftsverbänden wieder enger geworden sei, nachdem es aufgrund von Differenzen in der Freihandels- und Agrarzollpolitik lange ramponiert gewesen war, berichtete die «NZZ am Sonntag». Politgeograf Michael Hermann äusserte die Vermutung, dass der gestiegene Druck ökologischer Kreise auf die Landwirtschaft etwa beim Trinkwasserschutz für den Schulterschluss verantwortlich sei: «Sie haben mit ihren Angriffen auf die Bauern übermarcht und sie in die Hände der Wirtschaft getrieben.»
Ökologische und linke Stimmen äusserten sich denn auch wenig erfreut über die neue Allianz. Die Grünliberale Kathrin Bertschy (glp, BE) bedauerte, dass Economiesuisse nun mit dem «agrarprotektionistischen Lager» zusammenspanne, statt sich wie früher für einen «Abbau der überdimensionierten Giesskannensubventionen» in der Landwirtschaft einzusetzen. SP-Co-Präsident Cédric Wermuth (sp, AG) seinerseits fand, mit dem Pakt würden «die Interessen der Bauern an die Wirtschaft verkauft»; die neue Allianz sei vor allem ein Zeichen dafür, wie nervös man bei den Wirtschaftsverbänden sei.

Allianz von Bauernverband und Wirtschaftsverbänden

Im Juni 2022 schrieb der Nationalrat das Postulat der FDP.Liberalen-Fraktion für einen neuen Status für «Plattformarbeitnehmende» ab. Damit folgte der Rat einer Empfehlung des Bundesrates, der die Motion in seinem im März 2022 verabschiedeten Bericht über die Motionen und Postulate 2022 als erfüllt erachtet hatte.

Création d'un statut «travailleur de plate-forme» (Po.17.4087)
Dossier: Die Digitalisierung im Arbeitsmarkt

Die NZZ berichtete im Frühjahr 2022 von tiefgehenden Konflikten zwischen Santésuisse und Curafutura, die «langsam Züge eines Glaubensstreits» annähmen. Obwohl die beiden Krankenkassen-Dachverbände dieselbe Branche und somit eigentlich dieselben Interessen verträten, lägen sie derzeit bei mehreren zentralen gesundheitspolitischen Fragen über Kreuz. So verfolgten sie erstens bei der Reform des Tarifs für ambulante medizinische Leistungen unterschiedliche Modelle. Zweitens verträten sie unterschiedliche Positionen zur Kostenbremse-Initiative der Mitte-Partei. Drittens werde das bundesrätliche Vorhaben einer «Kostensteuerung», welche bei einem übermässigen Anstieg medizinischer Behandlungen finanzielle Korrekturen zulasten der Ärzteschaft und Spitäler vorsieht, von Santésuisse befürwortet, von Curafutura hingegen bekämpft. Und viertens wolle Curafutura bei Verhandlungen mit Spitälern und Ärzteschaft eher Zugeständnisse machen, während Santésuisse hier eine harte Linie verfolge. Nebst inhaltlichen Differenzen spielten gemäss NZZ aber nicht zuletzt auch persönliche Animositäten eine bedeutende Rolle beim Zerwürfnis: Aus der Zeit, als sich Curafutura 2013 von Santésuisse abspaltete, bestünden immer noch nicht verheilte Wunden.
Bei Gesundheitspolitikerinnen und -politikern aus allen politischen Lagern machte sich ob dieser Streitigkeiten zunehmend Ärger über die beiden Verbände breit. So liess sich etwa der Präsident der nationalrätlichen Gesundheitskommission (SGK-NR), Albert Rösti (svp, BE), mit der Aussage zitieren, es sei eine «Zumutung»: Die Politik könne sich «kein vernünftiges Bild» machen, wenn zwei Verbände, die eigentlich für dieselbe Interessengruppe sprechen, ständig entgegengesetzte Positionen einnähmen. SP-Gesundheitspolitikerin Barbara Gysi (SG) hatte den Eindruck, dass es den beiden Verbänden oft gar nicht mehr nur um inhaltliche Fragen gehe, sondern darum, recht zu behalten. Auch Ruth Humbel (mitte, AG) hatte wenig Verständnis für den Zwist und erachtete die Spaltung in zwei rivalisierende Verbände aus derselben Branche als «grundsätzlich unsinnig».
Ob eine Annäherung oder gar eine Wiedervereinigung zwischen den beiden Dachverbänden in absehbarer Zeit realistisch sei, wurde von den Auskunftspersonen der NZZ unterschiedlich eingeschätzt. Nicht zuletzt die beiden Verbände selbst nahmen auch zu dieser Frage unterschiedliche Positionen ein: Während der Sprecher von Santésuisse sich für eine Wiedervereinigung «grundsätzlich offen» zeigte, lehnte die Curafutura-Sprecherin dies ab.

Verhältnis zwischen den Krankenkassenverbänden Santésuisse und Curafutura

Hans-Ulrich Bigler (fdp, ZH) kündigte im Frühling 2022 seinen Rücktritt als Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbandes (SGV) per Mitte 2023 an, also wenige Monate nach Erreichen des Pensionsalters und genau fünfzehn Jahre nach seiner Wahl in dieses Amt 2008. Seine Verbandskarriere hatte gemäss NZZ 1985 begonnen, 1995 war er Direktor beim Dachverband der Druckindustrie Viscom geworden und 2006 Direktor von Swissmem. Wie Bigler im Tages-Anzeiger erklärte, wollte er seine Mandate als Präsident des atomenergiefreundlichen Nuklearforums Schweiz, als Vorstandsmitglied des europäischen Kernenergieverbands Foratom und als Präsident von Proparis, der beruflichen Vorsorgestiftung des Gewerbes, auch über seine Zeit beim SGV hinaus behalten.
Tages-Anzeiger und NZZ waren sich einig, dass Bigler den SGV stark geprägt habe. Unter ihm sei der SGV zu einer lauten, schlagkräftigen Kampagnenorganisation geworden, die viel Aufmerksamkeit generierte, auch dank einem zunehmend polarisierenden Stil «bis an die Schmerzgrenze» (Tages-Anzeiger). Eine wichtige Plattform sei für Bigler dabei das Verbandsorgan «Gewerbezeitung» gewesen, das er von einer Abonnementszeitung zu einem Gratisblatt mit einer Auflage von «weit über 100'000 Exemplaren» (NZZ) gemacht habe. Nach Einschätzung des Tages-Anzeigers führte die stärkere Profilierung des SGV unter Bigler indessen nur zu wenigen «politischen Grosserfolgen», gerade an der Abstimmungsurne habe es immer wieder auch «heftige Niederlagen» wie zuletzt beim Nein zur Abschaffung der Stempelsteuern 2022 abgesetzt. Biglers provokativer Stil belastete laut Tages-Anzeiger zudem die Zusammenarbeit zwischen dem zum «Kampfverband» gewordenen SGV und den anderen grossen Wirtschaftsverbänden, da Economiesuisse und der Arbeitgeberverband (SAV) moderater aufgetreten seien. Biglers Abgang werde es den drei grossen Wirtschaftsverbänden deshalb erleichtern, ihr erklärtes Ziel eines geeinteren Auftretens zu erreichen.

Neuer Direktor beim Schweizerischen Gewerbeverband

Im Mai 2020 reichte Nationalrätin Isabelle Pasquier-Eichenberger (gp, GE) ein Postulat ein, mit dem sie den Bundesrat beauftragen wollte, die «Auswirkungen neuer Arbeitsformen auf die [Verkehrs-]Infrastrukturen zu untersuchen» und «die positiven Auswirkungen dieser neuen Arbeitsformen auf die Gemeinschaft zu implementieren». So habe der Corona-bedingte Lockdown die Mobilität stark verändert, diese Veränderungen seien nun eine Möglichkeit, die Zunahme der Mobilität durch Telearbeit zu bremsen. Entsprechend sollten die zur Umsetzung dieser neuen Arbeitsformen nötigen Rahmenbedingungen geschaffen und die dafür nötige Infrastruktur optimiert werden. Schliesslich forderte sie auch eine Untersuchung der Folgen für die Gesellschaft.
Der Bundesrat beantragte, das Postulat abzulehnen und verwies stattdessen auf einen «Monitoringbericht über die relevanten Entwicklungen im Kontext der Digitalisierung des Arbeitsmarktes». Er befürworte zwar flexible Arbeitsformen, für welche Arbeiten diese angebracht sind, müssten jedoch die Arbeitgebenden entscheiden.
Im Rahmen der Sondersession im Mai 2022 beschäftigte sich der Nationalrat mit dem Vorstoss. Postulantin Pasquier-Eichenberger betonte in der Debatte, dass es nicht nur nötig sei, die Auswirkungen der digitalen Veränderungen auf den Arbeitsmarkt zu untersuchen, sondern auch diejenigen auf die Infrastruktur und die Mobilität. Entsprechende Untersuchungen würden jedoch bereits in den Verkehrsperspektiven 2050 vorgenommen, erwiderte Bundesrat Guy Parmelin. Mit 93 zu 93 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) und Stichentscheid von Ratspräsidentin Irène Kälin (gp, AG) nahm der Nationalrat die Motion an. Unterstützt wurde sie von der SP-, der Mitte- und der Grünen-Fraktion.

Die Auswirkungen neuer Arbeitsformen auf die Infrastrukturen (Po. 20.3265)
Dossier: Regelung von Homeoffice

Der Glarner Nationalrat Martin Landolt (mitte, GL) wird neuer Verwaltungsratspräsident von Santésuisse, wie der Krankenkassen-Dachverband im März 2022 bekanntgab. Die formelle Wahl durch die Generalversammlung des Verbands solle am 22. Juni 2022 erfolgen. Landolt tritt damit die Nachfolge des früheren Bündner SVP-Nationalrats Heinz Brand an, der den Santésuisse-Verwaltungsrat seit 2015 präsidiert hatte.
Die Santésuisse-Mitteilung folgte einige Monate nach einem NZZ-Bericht, wonach der Verband Mühe habe, eine politisch vernetzte Persönlichkeit für die Nachfolge von Brand zu finden; mehrere angefragte bürgerliche Parlamentsmitglieder hätten Santésuisse einen Korb gegeben. Die NZZ vermutete dafür zwei Gründe: Erstens sei der Posten angesichts der Spaltung der Krankenkassenbranche in die Verbände Santésuisse und Curafutura schwierig und verspreche wenig Lorbeeren. Zweitens werde die Übernahme von Verbandsspitzenposten durch Parlamentsmitglieder von der Öffentlichkeit heute kritischer beurteilt als früher und aufgrund einer hängigen parlamentarischen Initiative Rieder (mitte, VS; Pa.Iv. 19.414) könnte ein bezahltes Santésuisse-Mandat für Mitglieder der Gesundheitskommissionen sogar bald verboten werden.
Über mögliche Filz-Vorwürfe hatten sich auch Martin Landolt und Santésuisse Gedanken gemacht: Um künftig nicht als Santésuisse-Lobbyist im Bundeshaus zu gelten, werde sich Landolt zum Legislaturende im Herbst 2023 aus der nationalen Politik zurückziehen. Gemäss Landolt sei diese Entflechtung auch ein Wunsch des Verbands selbst. Dass er dennoch nicht sofort aus dem Nationalrat zurücktrete, sondern erst über ein Jahr nach seinem Amtsantritt als Santésuisse-Präsident, begründete Landolt damit, dass er dem Kanton Glarus «eine Ersatzwahl nur ein Jahr vor den ordentlichen Wahlen ersparen» wolle.

Santésuisse-Präsidium

Nachdem ihr die Motion zur Vorberatung zugewiesen worden war, beantragte die WAK-SR knapp mit 5 zu 4 Stimmen (bei 3 Enthaltungen), die von Ständerat Hans Wicki (fdp, NW) eingereichte Motion abzulehnen. Diese wollte den Bundesrat beauftragen, das Arbeitsrecht so anzupassen, dass Arbeitnehmende und Arbeitgebende flexibel Homeoffice praktizieren beziehungsweise anbieten können. Kommissionssprecher Stefan Engler (mitte, GR) unterstütze im Rahmen der Frühjahrssession 2022 das Argument des Bundesrates, wonach die gesetzlichen Grundlagen für die Regelung flexibler Heimarbeit genügten. Zudem beschäftige sich die WAK-NR gleichzeitig mit einer vom ehemaligen Nationalrat Thierry Burkart (fdp, AG; Pa.Iv. 16.484) eingereichten parlamentarischen Initiative, die ebenfalls eine Lockerung der Bedingungen für Heimarbeit verlangte. Die Mehrheit der ständerätlichen Kommission erachtete damit die Anpassung der rechtlichen Grundlagen als bereits auf dem Weg. Motionär Wicki betonte in der Debatte noch einmal, wie wichtig es sei, die rechtlichen Grundlagen an die neuen Formen der flexiblen Arbeit anzupassen, damit Individuen und Familien ihr Leben nach ihren Bedürfnissen gestalten können. Dennoch folgte der Ständerat dem Antrag seiner Kommissionsmehrheit und lehnte mit 21 zu 18 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) die Motion knapp ab. Das Geschäft war somit erledigt. Die gleichzeitig behandelte Motion Jositsch (sp, ZH; Mo. 21.3686) wurde von diesem zurückgezogen.

Homeoffice. Gelebte und akzeptierte Flexibilität legalisieren (Mo. 21.3686)
Dossier: Regelung von Homeoffice