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Die 2013 von der grünliberalen Fraktion eingereichte parlamentarische Initiative «Ehe für alle» beschäftigte in den Folgejahren verschiedenste Gruppierungen weit über das Parlament hinaus. Mit besonderer Spannung wurde auch die Positionierung der Schweizer Kirchen erwartet. Entgegen der weitläufigen Erfahrung sorgte für einmal aber nicht die römisch-katholische Kirche, sondern die evangelisch-reformierte für grosses Aufsehen, wie viele Medien berichteten.
Im Rahmen der im März 2019 eröffneten Vernehmlassung gingen Stellungnahmen verschiedener religiös-kirchlicher Organisationen ein, die sich unterschiedlich zu besagtem Sachverhalt äusserten. So zeigten sich beispielsweise die christkatholische Kirche, der Schweizerische Katholische Frauenbund oder die Evangelischen Frauen Schweiz deutlich positiv gegenüber der Kernvorlage. Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund verkündete, er könne die Gesetzesänderung zwar nicht kommentieren, akzeptiere diese aber als einen Ausdruck der Tatsache, dass persönliche Freiheit und individuelle Autonomie in einem weltlichen Wertesystem einen anderen Stellenwert einnähmen als in einem religiös-ethisch orientierten. Die evangelisch-methodistische Kirche hatte zwar keine Stellungnahme eingereicht, in den Medien wurde aber spekuliert, dass der Schweizer Ableger vor einer Zerreissprobe stehe, da die internationale Vereinigte Methodistenkirche die Ehe für alle deutlich ablehne. Die Schweizer Bischofskonferenz empfahl offiziell zwar kein Nein – kümmere sich die sakramentale Eheschliessung in den Augen der katholischen Kirche doch in erster Linie um die Verbindung von Mann und Frau vor Gott, und nicht um die zivile Ehe –, äusserte aber in ihrer Eingabe bei der RK-NR grosse Bedenken gegenüber dem Vorhaben. Lediglich der Schweizerische Evangelische Kirchenbund (SEK) konnte sich in dieser Frage nicht einig werden und musste eine Fristverlängerung über den 21. Juni 2019 hinaus beantragen, was ihm von der RK-NR auch gewährt wurde. Die offizielle Antwort fiel dennoch sehr ernüchternd aus: Viele seiner Mitgliedkirchen träten zwar für eine weitgehende oder gar vollständige Gleichbehandlung von hetero- und homosexuellen Paaren auf rechtlicher und kirchlicher Ebene ein, da sich aber einige dieser Mitglieder noch im Klärungsprozess befänden, werde der Urteilsbildungsprozess in der Abgeordnetenversammlung noch einige Zeit in Anspruch nehmen.
Gerade diese Spaltung der reformierten Kirche wurde in vielen Medien als die eigentliche Überraschung gehandelt und vielseitig diskutiert. Man war sich im Grundsatz einig, dass die reformierte Kirche allgemein als progressiver einzustufen sei als die katholische Kirche und sich daher bei gesellschaftlichem Wandel auch wesentlich schneller einbringe als der Vatikan, zumal das reformierte Verständnis der Trauung seit dem 19. Jahrhundert eine Bestätigung dessen sei, was der Staat vollziehe. Wie sich herausstellte, handelte es sich bei den innerkirchlichen Gräben weitestgehend um regionale Gräben, zum einen zwischen Stadt und Land und zum anderen zwischen der Deutschschweiz und der lateinischen Schweiz. Während man in den Städten und in der Deutschschweiz die Ehe eher als eine Gemeinschaft zweier Menschen betrachte, werde diese in den anderen Regionen eher als eine Verbindung von Mann und Frau und als eine von Gott eingesetzte Institution verstanden. Diese Ansicht kam besonders deutlich in einer von 200 Pfarrern unterzeichneten Erklärung zum Vorschein, in der gemäss dem Tages-Anzeiger vermerkt war, dass die Öffnung der Ehe für homosexuelle Menschen nichts anderes als ein «Segen ohne Segenszusage Gottes» sei und einem «Missbrauch» von Gottes Namen gleichkomme.
Das über Monate andauernde Hickhack fand schliesslich am 4. November 2019 ein Ende: Die Delegierten des SEK stellten sich an der Abgeordnetenversammlung mit 49 zu 11 Stimmen hinter die Vorlage. Sie empfahlen ihren Mitgliedkirchen die Ehe für alle, wie auch den damit einhergehenden allfälligen neuen zivilrechtlichen Ehebegriff für die kirchliche Trauung vorauszusetzen. Zugleich empfahlen die Delegierten, dass bei der kirchlichen Trauung auch in Zukunft die Gewissensfreiheit der Pfarrerinnen und Pfarrer gewahrt bleiben solle – wohl auch, um den Haussegen weitestgehend vor der Schieflage zu bewahren. Den Lohn dieser Arbeit sprachen die Medien im Wesentlichen dem SEK-Präsidenten Gottfried Locher zu. Er habe die Öffnung der Ehe stets mit guten Argumenten begründet und auch deutlich gemacht, dass die Ehe nicht zu den Grundfragen des Glaubens – im Sinne des Sakraments – gehöre und der gesellschaftliche Konsens ebenso wichtig sei, wie die biblischen Grundlagen, auch wenn einige Bibeltreue das anders sähen.

Ehe für alle - Kirchenposition

Kaum war das Jahr 2019 eingeläutet, griffen die Medien auch schon den ersten politischen Dauerbrenner auf: das Verhältnis von Kirche und Staat. Die über Jahre und Jahrzehnte auch in der Schweiz viel diskutierte Frage nach der Politisierung der Kanzel wurde Anfang Jahr mit der Ankündigung über die Neugründung eines Think-Tanks «Kirche/Politik» neuerlich aufgekocht. Dessen Initiatoren, der CVP-Präsident Gerhard Pfister (ZG) und die Freiburger FDP-Stadtparlamentarierin und Theologin Béatrice Acklin Zimmermann, stiessen sich gemäss dem Tages-Anzeiger an der Selbstgerechtigkeit, mit der sich Kirchenleute bisweilen zu politischen Themen äusserten und an der fehlenden Zurückhaltung hinsichtlich sachspezifischer Stellungnahmen und Abstimmungsparolen. Aktive Positionierungen wie beispielsweise von Bischof Felix Gmür zur Energiestrategie, von Grossmünsterpfarrer Christoph Sigrist zur Durchsetzungsinitiative oder vom Zürcher Generalvikar Josef Annen zu den Sozialdetektiven, aber auch Aussagen wie jene der Zürcher Synodalratspräsidentin Franziska Driessen über die Unwählbarkeit der SVP oder die Absprache des Katholischseins von SVP-Nationalrätin Natalie Rickli (ZH) im Rahmen der No-Billag-Initiative waren mitunter Stein des Anstosses. Dieses Verhalten gleiche einem «tiefe[n] Rückfall ins Mittelalter» und sei «politreligiöser Populismus», wie sich die Initiatoren gegenüber dem Tages-Anzeiger äusserten. Es gehe ihnen nicht darum, die Kirchen «politisch zu sterilisieren», diese könnten und sollten sich weiterhin einbringen. Es stelle sich hier also weniger die Frage, ob sich die Kirchen einbringen sollten, sondern vielmehr, wie sie es täten. Gerhard Pfister betonte, es gehe nicht an, dass Kirchen mit biblischen Normen Politik machten, zumal die Kirchenleute oft nur schlechte Kenntnisse über die Dossiers hätten und nur zu gerne ausser Acht liessen, dass es bei der Tagespolitik um Kompromisse gehe. Die Kirchen könnten sich durchaus in die Diskussion einbringen, seien in diesem Kontext aber lediglich eine unter vielen Stimmen – und «keine bessere». Zudem beklagte Pfister, dass die Kirchen nebst dem Kompetenzproblem auch ein Glaubwürdigkeitsproblem hätten: Durch ihr derartiges Einmischen in die Tagespolitik scheuten sie sich davor ihr Alleinstellungsmerkmal – die katholische Soziallehre – zu vertreten und wollten stattdessen wie alle anderen sein. So würden sie aber lediglich noch zu «Sozialarbeitern» und damit auch verzichtbar. Acklin Zimmermann plädierte dafür, dass sich die Kirchen wieder vermehrt auf die Ethik zurückbesinnten und weniger über Moral diskutierten. Statt mittels politischer Stellungnahmen sollten sie den Meinungsbildungsprozess vermehrt über ihr ethisches Wissen und entsprechende Beiträge unterstützen. Zudem wünsche sie sich, dass die Kirchen sich breiter und auch vermehrt mit eigenen Themen einbrächten, schliesslich hätten sie sich lange genug lediglich auf bioethische Anliegen fixiert, was ihnen den Vorwurf der Fokussierung auf Themen wie Abtreibungen und Homosexualität eingebracht habe.
Mit ebensolchen Fragen wolle sich der Think-Tank nun einmal jährlich an einer öffentlichen Tagung beschäftigen und in diesem Rahmen zugleich Wertbegriffe wie Freiheit und Verantwortung oder Fragen der Menschenwürde diskutieren. Unterstützt wurden die beiden Initiatoren von Bundesparlamentarierinnen und -parlamentariern wie Eric Nussbaumer (sp, BL), Claudio Zanetti (svp, ZH) und Maja Ingold (evp, ZH) sowie von Theologen verschiedener Konfessionen wie Alt-Abt Berchtold Müller, Theologieprofessor Ralph Kunz und dem Glarner Kirchenratspräsidenten Ulrich Knöpfel. Letztgenannter, der zugleich auch Ratsmitglied des SEK ist, zeigte sich auf Anfrage der Online-Plattform Ref.ch bezüglich dieses Umstandes aber eher überrascht: Knöpfel bestätigte gegenüber der Redaktion, dass er im November als Privatperson an einem Treffen mit Pfister und Acklin Zimmermann teilgenommen habe und in diesem Rahmen über Kirche und Politik diskutiert worden sei, dass aber gleich ein Think-Tank gegründet wurde, sei ihm neu. Man habe in diesem Gespräch u.a. lediglich erwogen, 2019 eine Veranstaltung zu diesem Thema durchzuführen. Dennoch teile er grundsätzlich das Anliegen der Initiatoren, dass die Kirche sich nur in Ausnahmefällen zur Tagespolitik äussern solle.
Gänzlich anderer Ansicht war hingegen der Zürcher Neumünsterpfarrer Res Peter, der sich ob der Forderung der Initiatoren nur wenig überrascht zeigte. Peter, der sich selbst regelmässig in die politische Debatte einbringt – beispielsweise im Rahmen der Selbstbestimmungsinitiative oder der Unternehmenssteuerreform III – meinte gegenüber Ref.ch lediglich: «Es tut Politikern weh, wenn man konkret wird.» Es sei durchaus gut, dass Ethiker differenziert abwägten und diskutierten, im Unterschied zu ihnen sei es aber nun einmal seine Aufgabe als Pfarrer, Schlussfolgerungen zu ziehen und seine Überlegungen mit seiner Gemeinde zu teilen.
Die Diskussion um das neue Projekt wurde indes nicht nur zwischen den entzweiten Kirchenvertretungen ausgetragen; auch auf Mitinitiator Gerhard Pfister prasselte einige Kritik ein. Besonders die WOZ unterstellte ihm Bigotterie, da seine Kritik an den Kirchenleuten lediglich situationsbedingt ausfalle. Während Pfister in seiner Propagierung der Schweiz als ein christliches Land vor lauter Fixierung auf den islamischen den christlichen Fundamentalismus vergesse, sei sein «Glaubensfass» durch ein «Eintreten für ein Mindestmass an Grundrechten» – wie es beispielsweise in der Asyldebatte vorgenommen worden war – zum Überlaufen gebracht worden. Die weitläufigen und zumeist auch diffamierenden Kirchenpositionen im Rahmen der Diskussionen um die «Ehe für alle» hätten hingegen nie zur Diskussion gestanden. Auch stiess Pfisters Aussage, dass wir uns im Falle des Versäumnisses, Religion und Politik zu trennen, einem «Gottesstaat à la Iran» näherten, auf grosse Kritik. Gemäss der WOZ sei die Schweiz sehr weit von diesem Szenario entfernt. Es bestehe viel mehr die Gefahr, dass die Schweiz zu einem Unrechtsstaat werde, wenn wir uns weiterhin um Abstimmungsvorlagen bemühten, die offensichtlich die Menschenrechte tangierten. Vor diesem Hintergrund sei es auch von Kirchenleuten nichts anderes als ein reiner ziviler Akt, ihre Stimme gegen das Unrecht zu erheben.

Neugründung eines Thinktank «Kirche/Politik»

50 Jahre 1968 – dieses Jubiläum war 2018 sowohl dem Bernischen Historischen Museum als auch dem Landesmuseum Zürich eine Ausstellung zu den damaligen Ereignissen in der Schweiz und dem damit einhergehenden Zeitgeist wert. 2018 liessen die Medien das damalige Zeitgeschehen alternierend Revue passieren, insbesondere die Globus-Krawalle in Zürich, die gewalttätigsten Schweizer Aufstände im Jahr 1968, wurden der Öffentlichkeit in Erinnerung gerufen. Medial fokussiert wurde aber auf die Frage der Relevanz von 1968 für die Gegenwart. Brigitte Studer, Professorin für Schweizer Geschichte an der Universität Bern, zeigte sich im Tages-Anzeiger überzeugt, dass das Jahr 1968 der Schweiz langfristige gesellschaftliche Veränderungen gebracht habe. So würden seither etwa in Familien, in der Arbeitswelt, in der Schule und in der Armee flachere Hierarchien herrschen. Auch sei das neue Eherecht von 1988, das den Mann nicht länger als Oberhaupt der Familie taxiert, ein Resultat von 1968 gewesen. Der emeritierte Soziologe Ueli Mäder, der im Jubiläumsjahr das Buch «68 - was bleibt?» herausgab, erklärte ebenfalls in einem Interview mit dem Tages-Anzeiger, dass das Revolutionäre, das dem Jahr 1968 anhafte, ein Mythos sei: Vielen sei es mehr um sich selbst als um tatsächliche Veränderung gegangen. Trotzdem hätte im Jahr 1968 etwa die Bewegung für das Frauenstimmrecht «mächtig Schub erhalten», was erheblich dazu beigetragen habe, dass das Frauenstimmrecht 1971 politische Realität wurde. Weitere Errungenschaften des Jahres 1968 seien ein offeneres Verhalten zwischen den Geschlechtern und den Generationen, die Nulltoleranz beim Schlagen von Kindern als Erziehungsmassnahme oder auch, dass Homosexualität heute nicht mehr als Krankheit und Sünde gelte. Eine andere Haltung zu den 68er-Aktivistinnen und Aktivisten und deren Errungenschaften hatte das rechtskonservative Weltwoche-Magazin: Die angeblichen Befreierinnen und Befreier seien vielmehr Versager gewesen. Zitiert wurde etwa die ehemalige SP-Politikerin Christiane Brunner, wie sie nach ihrer politischen Karriere sagte, dass die Frauen in den Organisationen der 68er nichts zu sagen gehabt hätten und nur für das Kaffee holen und das Bett gut gewesen seien. Ebenfalls, so die Weltwoche, sei das Gros der 68er-Bewegung Hedonisten gewesen, die allein an «Sex, Love and Rock 'n' Roll» interessiert waren, oder es seien Gewaltbereite gewesen ohne jegliches politisches Programm. Die wenigen mit einem politischen Programm hätten hingegen lediglich an politischen Modellen Marx' und Lenins festgehalten, «deren Haltbarkeit seit Jahrzehnten abgelaufen war». Trotz alldem attestierte auch die Weltwoche der 68er-Bewegung einen Einfluss auf die Gegenwart. Die bürgerliche Wählerschaft wäre heute ohne die 68er-Bewegung wohl grösser, mutmasste die Weltwoche. Nicht etwa, weil die Bewegung tatsächliche Veränderungen bewirkt hätte, sondern weil ihr Einfluss bis in die Gegenwart masslos überschätzt werde, auch von vielen politischen Gegnern der 68er.

50 Jahre 1968
Dossier: 1968 in der Schweiz

Wie schmal der Grad zwischen öffentlichem Interesse und dem Schutz der Persönlichkeit ist, zeigt sich jeweils dann, wenn Medien über das Privatleben von Politikerinnen und Politikern berichten. Im Fall der Verurteilung eines Sohnes von Bundesrat Ueli Maurer wurde in den Medien allerdings nicht nur öffentliches Interesse reklamiert, sondern auch darauf hingewiesen, dass gerade bei Vertretern der SVP, die gegen die «Kuscheljustiz» und für «Strafverschärfungen» weible, besonders genau hingeschaut werden müsse. Das öffentliche Interesse wurde auch damit begründet, dass in diesem Fall die judikative Unabhängigkeit bewiesen werden müsse.
Was war geschehen? Ende 2017 machte der «Zürcher Oberländer» publik, dass einer der Söhne von Ueli Maurer vor Gericht erscheinen müsse, weil er zwei Jahre zuvor unter Alkoholeinfluss einen Autounfall verursacht habe. Die Sonntagszeitung nahm den Fall auf und vermutete, dass es noch weitere Delikte geben müsse, die dem Sohn angekreidet würden – die Anklageschrift werde allerdings nicht zugänglich gemacht, erklärte die Zeitung. Mehr noch, die Verteidigung habe beantragt, den Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchzuführen, um die Persönlichkeit des Mandanten zu schützen. Der Entscheid vom Bezirksgericht Hinwil, die Medien, nicht aber die Öffentlichkeit zum abgekürzten Prozess zuzulassen, wurde vom Anwalt von Maurers Sohn zwar weitergezogen, vom Obergericht und schliesslich vom Bundesgericht Ende Mai 2018 aber bestätigt. Gerade wenn der Sohn eines Bundesrats vor Gericht stehe, bestehe ein gewichtiges öffentliches Interesse. Als Beschuldigter habe der Angeklagte die mit einer öffentlichen Verhandlung verbundenen psychischen Belastungen hinzunehmen. Dem Persönlichkeitsschutz solle aber Rechnung getragen werden, indem die Veröffentlichung von Vorname, Alter, Wohnort und Fotos verboten würden – so das Urteil des letztinstanzlichen Gerichts.
Mitte Oktober 2018 fand schliesslich der Prozess statt und die Medien erhielten erst dann die Anklageschrift. Neben dem Autounfall wurde der Sohn von Ueli Maurer wegen Raub und versuchter Erpressung – Maurers Sohn hatte zusammen mit einem Kollegen einen Mann ausgeraubt –, Sachbeschädigung, versuchter Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte, mehrfacher Beschimpfung und Hinderung einer Amtshandlung – bei seiner Verhaftung soll sich der junge Mann widersetzt haben – zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 16 Monaten verurteilt. Während der Befragung gab der junge Mann bekannt, stark unter dem Druck gelitten zu haben, der mit der schweizweiten Prominenz seines Vaters einhergehe. Er sei oft fertig gemacht und beleidigt worden. Weil die Anklage medial ausgeschlachtet worden sei, habe er zudem seine Arbeitsstelle verloren und die damit zusammenhängende Weiterbildung abbrechen müssen.
Die Medien kommentierten den Fall unterschiedlich. Während in der Weltwoche (7.12.17) von «Schmuddelpresse und Sippenhaft» die Rede war, beleuchtete die BaZ (23.5.18) das Schicksal der Kinder von Bundesräten. Sie müssten sich erklären, obwohl sie es nicht wollten, oder wollten sich erklären, weil sie glaubten, es tun zu müssen. In seiner Kolumne in der Weltwoche (25.10.18) lobte Peter Bodenmann (VS, sp) die Justiz, die hart geblieben sei, fragte aber rhetorisch, wie die Volkspartei wohl reagiert hätte, wenn «Maurer Junior» Kosovo-Albaner gewesen und der beraubte Mann der ehemalige SVP-Nationalrat Hans Fehr gewesen wäre.

Sohn von Ueli Maurer

Einen Tag vor ihrem 88. Geburtstag, am 6. September 2016 verstarb Lilian Uchtenhagen – eine der ersten Nationalrätinnen und eine wichtige Modernisiererin der SP. Zusammen mit dem damaligen Präsidenten Helmut Hubacher arbeitete sie mit am Umbau der SP von einer klassischen Arbeiterpartei in eine Mittelstandspartei. Im Gedächtnis bleiben wird der Name Uchtenhagen aber insbesondere wegen den Bundesratswahlen vom 7. Dezember 1983. Die Zürcher Nationalrätin war von ihrer Partei als erste Bundesrätin nominiert worden. Die Bürgerlichen machten diesem Plan allerdings einen Strich durch die Rechnung und wählten in einem eigentlichen Coup mit Otto Stich einen genehmen Gegenkandidaten.

Lilian Uchtenhagen

Als «Müller-Effekt» bezeichnete die Basler Zeitung den Umstand, dass die FDP bei kantonalen Wahlen im Jahr 2015 zulegte. Ihr Präsident, Philipp Müller schaffe es mit seiner nicht abgehobenen Art näher bei den Leuten zu sein und sie davon zu überzeugen, dass der Freisinn nicht einfach eine abgehobene Wirtschaftspartei sei. Dies bedeutete freilich viel ermüdende Arbeit an der Basis, was in zahlreichen Medien als ursächlich für den Unfall betrachtet wurde, in den der FDP-Präsident Mitte September 2015 verwickelt war und der in der Folge einige Druckerschwärze verursachte. Müller geriet auf die Gegenfahrbahn und kollidierte mit einer Motorradfahrerin, die schwer verletzt wurde. Müller, der unverletzt blieb, hatte keinen Alkohol im Blut und auch die Handydaten wiesen darauf hin, dass er sein Mobiltelefon während der Fahrt nicht benutzt hatte. Zudem lagen laut Medien keine Anhaltspunkte auf übersetzte Geschwindigkeit vor. Müller beteuerte, sich nicht an den Unfallhergang erinnern zu können.
Mediales Aufsehen erregte der Unfall, zu dem eine Strafuntersuchung eröffnet wurde, auch deshalb, weil er wenige Wochen vor den eidgenössischen Wahlen passierte, bei denen Müller im Kanton Aargau für den Ständerat kandidierte. Zahlreiche Medien urteilten, der Unfall würde die Wahlchancen Müllers kompromittieren. Politberater empfahlen gar, dass er sich von Wahlveranstaltungen möglichst fern halten solle. Andere empfahlen Müller, er solle die Wahrheit sagen. In 99 Prozent der Fälle wisse ein Unfallverursacher nämlich, weshalb er auf die Gegenfahrbahn geraten sei, wie ein Rechtsanwalt sich im Sonntagsblick äusserte. Rasch meldeten sich freilich Stimmen, dass der Unfall nicht instrumentalisiert werden dürfe. Müller selber entschied sich «aus Respekt gegenüber der jungen Frau und ihren Angehörigen» seinen Wahlkampf bis auf weiteres auszusetzen. Er wünsche sich nichts mehr, als dass die Frau baldmöglichst genese. Zwar zeigten seine politischen Kontrahenten Verständnis, die Medien aber liessen den Fall nicht ruhen. Ihre Recherchen ergaben, dass Müller sein Fahrzeug erst 200 Meter nach dem Unfallort angehalten, keine erste Hilfe geleistet und gleichentags noch ein Interview gegeben habe, bei dem er den Unfall nicht erwähnt habe. Müller verteidigte sich damit, dass er nicht gleich verstanden hätte, was passiert sei, unter Schock gestanden, aber gesehen habe, dass sofort Helferinnen an der Unfallstelle gewesen seien. Der Blick sprach von einem «Kommunikations-Crash» und fragte sich, was Müller wohl «zu verbergen» habe. Auch die Weltwoche warf Müller vor, sich in Widersprüche zu verheddern. Es sei einfach, sich mit der Begründung «Schock» nach dem Unfall aus der Verantwortung zu stehlen. Rückendeckung erhielt Müller von seiner Partei, die keinen Anlass sah, einen Interims-Präsidenten einzusetzen.
Politischen Schaden schien Philipp Müller aus der ganzen Affäre keinen davongezogen zu haben, wurde er doch im zweiten Wahlgang für den Kanton Aargau in den Ständerat gewählt. Rund ein Jahr nach dem Unfall stand fest, dass Müller wohl wie von ihm vermutet einen Sekundenschlaf erlitten hatte. Die autointerne Kamera zeigte freilich auch, dass sich das System bereits vorher mehrmals gemeldet und eine Übermüdung signalisiert hatte. Müller hätte also nicht fahren dürfen. Er wurde entsprechend wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt.

Unfall von Philipp Müller

Die Jungparteien waren 2015 verschiedentlich Gegenstand medialer Berichterstattung. Mitte April rechnete die «Schweiz am Wochenende» vor, wie hoch die Subventionen für die fünf grössten Jungparteien sind, die diese auf der Basis des Kinder- und Jugendförderungsgesetzes vom Staat erhalten. Da die Jungparteien das politische Engagement Jugendlicher fördern, erfüllen sie die Bedingungen für staatliche finanzielle Unterstützung. So wurden im Jahr 2014 laut der Zeitung von der Juso beantragte CHF 88'496 bewilligt. Die Junge SVP erhielt CHF 64'354, die Jungfreisinnigen CHF 52'200, die Junge CVP CHF 51'916 und die Jungen Grünen CHF 23'671. Die Unterschiede erklären sich laut «Blick» durch die Mitgliederzahl, aber etwa auch durch die Erfüllung von Gleichstellungskriterien. Ein Punkt, den die Präsidenten der JSVP und der Jungfreisinnigen, Anian Liebrand (LU, svp) und Maurus Zeier (LU, fdp), in der Zeitung als vom Staat geförderte «linke Politik» kritisierten. Sie seien eigentlich gegen staatliche Parteienfinanzierung, würden die Subventionen aber deshalb beziehen, weil sonst die Juso die ganze Summe erhalten würde. In der Folge nahm Gregor Rutz (svp, ZH) den Ball auf und reichte eine parlamentarische Initiative ein, mit der er sämtliche Subventionen durch den Staat an politische Organisationen verbieten wollte. Dies rief wiederum den Präsidenten der Juso, Fabian Molina (ZH, sp), sowie den Co-Präsidenten der Jungen Grünen, Andreas Lustenberger (ZG, gp), auf den Plan: Die rechten Jungparteien könnten dank ihres Firmensponsorings leicht auf staatliche Hilfe verzichten; dies sei auf der linken Seite aber nicht möglich. Das Geld des Bundes sei «eine symbolische Abgeltung» für die Arbeit der Jungparteien, die Jugendliche in die Gesellschaft integrierten.

Jungparteien 2015

Nach langer Krankheit verstarb die ehemalige Präsidentin der FDP Christiane Langenberger (fdp, VD) Mitte August 2015 im Alter von 74 Jahren. Die Waadtländerin, die von 1995 bis 1999 im Nationalrat und anschliessend bis 2007 im Ständerat sass, war nicht nur die erste FDP-Ständerätin, sondern auch die erste Frau an der Spitze des Freisinns. Sie übernahm das Präsidium 2003 nach dem Rücktritt von Gerold Bührer (fdp, SH) als Vizepräsidentin zuerst ad interim und wurde in der Folge von einer innerlich zerstrittenen Partei in ihrem Amt bestätigt. Als Frau und als «Welsche» habe sie innerhalb der Partei einen schweren Stand gehabt, resümierte der Tages-Anzeiger in seinem Nachruf. Die schlechten Resultate bei den nationalen Wahlen 2003 hätten ihre Position derart geschwächt, dass sie 2004 zurücktreten musste. Langenberger war 1998 Bundesratskandidatin und musste sich erst im fünften Wahlgang dem späteren Bundesrat Pascal Couchepin beugen. Die «Vorkämpferin für die Frau», wie sie die Aargauer Zeitung betitelte, habe ihre Bundesratskandidatur als «Frauenkandidatur» verstanden und sei mit ihrem «moderaten Feminismus», mit dem sie Vereinbarkeit von Beruf und Familie forderte, ein Vorbild gewesen.

Christiane Langenberger verstorben

Auch 2015 stand Bischof Vitus Huonder aufgrund seiner kirchlich-religiös geprägten Überzeugungen im Fokus der Medien. So verschaffte ihm die Rezitation aus dem Levitikus (3. Buch Mose), welche er im Rahmen des Forums "Freude am Glauben" am 31. Juli 2015 im deutschen Fulda wiedergegeben hatte, ungewollte – und in diesem Masse wahrscheinlich auch nicht erwartete – negative Aufmerksamkeit. Wie diverse Medien berichteten, darunter beispielsweise auch die NZZ (04.08.15), war der Stein des Anstosses folgendes Zitat: "Schläft einer mit einem Mann, wie man mit einer Frau schläft, dann haben sie eine Greueltat begangen. Beide werden mit dem Tod bestraft. Ihr Blut soll auf sie kommen." Der eigentliche Eklat in dieser Angelegenheit ergab sich aber aus der anschliessenden Erläuterung Huonders, dass diese Zitation genüge, um "der Frage der Homosexualität aus der Sicht des Glaubens die rechte Wende zu geben". Nebst solch verbalen Entgleisungen brachte der Bischof seine erzkonservativen Ansichten auch insbesondere durch Aussagen zur Geltung, welche seine ablehnende Haltung gegenüber alternativen Lebensformen – also nicht dem traditionell katholischen Bild der Ehe und Familie entsprechenden Lebensformen – aufzeigten. Unter anderem hob er die sexuelle Beziehung zweier Menschen aus dem privaten Raum heraus, da diese zur Glaubensbekundung gehöre und nicht etwa für die persönliche Unterhaltung da sei.
Huonders Äusserungen lösten weit über die Bevölkerung hinaus grosses Entsetzen aus. So reichte, nebst Privatpersonen aus dem Raum St. Gallen, der Dachverband der schwulen Männer in der Schweiz (Pink Cross) eine Strafanzeige wegen homophober Äusserungen ein, welche den Bischof für die öffentliche Aufforderung zu Verbrechen und Gewalttätigkeit belangen sollte. Bastian Baumann, Geschäftsführer von Pink Cross, sah in Huonders Aussage sogar einen Aufruf zur Wiedereinführung der Todesstrafe gegen Homosexuelle. Auch das kurz nach den Ereignissen ausgesprochene Bedauern des Bischofs änderte nichts an der Situation. Huonder verkündete in seiner Stellungnahme, dass seine getätigten Aussagen nicht so gemeint gewesen seien und dass er keineswegs Menschen mit homosexueller Orientierung hätte herabsetzen wollen; er sei in der Frage der Homosexualität ganz beim Katechismus der katholischen Kirche. Die Schweizer Bischofskonferenz (SBK) hielt sich indes mit Stellungnahmen zur Person Huonder zurück und begründete ihr Schweigen damit, dass sie grundsätzlich keine Äusserungen zu einzelnen Bischöfen vornehme. Sie betonte jedoch auch, dass sie in Bezug auf Homosexuelle dem Katechismus verbunden sei. Markus Büchel, Präsident der Schweizer Bischofskonferenz, hob in einem offenen Brief an die Gläubigen heraus, dass das Wohl einer Person insbesondere mit deren verantwortungsvollem Umgang mit der Sexualität einhergehe und dass diese als ein Gottesgeschenk anzunehmen sei. In diesem Sinne müsse sich die Kirche bewusst ihren Defiziten im historisch bedingten Umgang mit Homosexualität stellen.
Wesentlich kritischer fielen die Aussagen anderer Würdenträger aus dem geistlichen Umfeld aus. So warf der Sprecher der Pfarrei-Initiative, Kapuziner Willi Anderau, dem Bischof Versäumnisse in der adäquaten Interpretation der zitierten Ausschnitte vor. Die fundamentalistische Art der Bibelzitation wäre einem Laien noch nachzusehen gewesen, für einen studierten Theologen wie Bischof Huonder grenze diese Form der Anwendung aber schon an einen Skandal. Abt Urban Federer betonte, dass jede Person vor Gott die gleiche Würde habe. In diesem Sinne habe die aktuelle Debatte nichts mit dem von ihm persönlich empfundenen und wahrgenommenen Christentum zu tun. Das Problem hierbei liege in erster Linie an der Missdeutung der Vorzeichen; als Vertreter der Kirche stehe für ihn das Für-etwas-Sein im Vordergrund und nicht etwa das Dagegen-Sein, genau so, wie Gott auch für den Menschen alles gebe. Selbst Guiseppe Gracia, der Mediensprecher des Bischofs, meldete sich zu Wort und bekundete, dass sein Vorgesetzter mit solch gefährlichen Äusserungen eine Grenze überschritten habe. Generalvikar Josef Annen und Synodalratspräsident Benno Schnüriger sahen sich sogar genötigt, im Namen der Zürcher Katholiken ein Communiqué herauszugeben, in welchem sie sich bei den Homosexuellen, aber auch bei allen anderen von diesem Skandal betroffenen Personen entschuldigten. Sie distanzierten sich vom Bischof und betonten, dass es die Frage nach dem Glauben im Gespräch mit der Vernunft zu suchen gelte und hierzu gehöre in der heutigen Zeit eben auch die Wahrnehmung der Vielfalt in Bezug auf das Familienleben.
Die Welle der Empörung manifestierte sich – wie bereits zu Beginn des Jahres 2015 im Rahmen der Entlassungsbestrebungen gegen den Urner Pfarrer Wendelin Bucheli – in Rücktrittsaufforderungen aus der breiten Bevölkerung. Da die SBK aber keine Aufsichtsfunktion innehabe, könne die Abberufung von Bischof Huonder lediglich durch den Papst persönlich vorgenommen werden. Bischof Huonder müsste jedoch aufgrund des geltenden Kirchenrechts mit 75 Jahren, folglich bereits 2017, seinen Rücktritt beim Papst einreichen, weshalb man davon ausgehe, dass der Vatikan die Situation aussitzen werde. Dies könnte sich insofern bewähren, da Bischof Huonder trotz aller Geschehnisse noch immer Rückendeckung erhält, beispielsweise von Weihbischof Marian Eleganti oder der katholischen Volksbewegung "Pro Ecclesia". Zudem hatte die Staatsanwaltschaft in Bezug auf die Pink-Cross-Anzeige vermelden lassen, dass die Ermittlungen eingestellt würden; die getätigten Aussagen hätten keine den Tatbestand erfüllende Eindringlichkeit.

Bischof Vitus Huonder

Anfang März 2015 standen die Präsidenten der drei bürgerlichen Parteien CVP (Christophe Darbellay; cvp, VS), FDP (Phillip Müller; fdp, AG) und SVP (Toni Brunner; svp, SG) vor die Medien, um einen bürgerlichen Schulterschluss in der Wirtschaftspolitik anzukünden. Mit Hilfe eines Programms, das möglichst viele gemeinsame Punkte wie etwa ein Verbot neuer Steuern in den nächsten fünf Jahren oder die Bekämpfung administrativer Kosten für Unternehmen enthalte, wolle man einen einheitlichen bürgerlichen wirtschaftspolitischen Kurs einschlagen, um den von der Frankenstärke verursachten Problemen Herr zu werden.
Weniger konkrete Übereinstimmung fand sich im Ende März vorgelegten Programm dann freilich in der AHV-, der Energie- und der Europapolitik. Das St. Galler Tagblatt sprach denn auch von einer «bürgerliche[n] Schnittmenge mit Lücke». Die Linke reagierte skeptisch auf das gemeinsame Wirtschaftsprogramm. Christian Levrat (sp, FR), Parteipräsident der SP, sprach davon, dass FDP und CVP vor der SVP kapitulierten und zu Juniorpartnerinnen würden, sich damit aber für die anstehenden eidgenössischen Wahlen wohl «das eigene Grab schaufeln» würden. In Le Temps wurde die Vermutung geäussert, dass vor allem die CVP mit diesem Bündnis die rechte Flanke sichern wolle; dies sei nach dem BDP-Nein zu einer Fusion mit der CVP nötig, so die «Schweiz am Sonntag».
Das als gemeinsamer roter Faden gedachte bürgerliche Projekt bekam schon im Mai 2015 erste Risse. Die CVP versagte einem im Rahmen des Konsolidierungs- und Aufgabenüberprüfungspakets (KAP) von der SVP gestellten Antrag für eine Deckelung der Staatsausgaben ihre Unterstützung und hiess auch Mehrausgaben im Kulturbereich gut. Freilich hatten sich auch FDP und SVP im Rahmen des KAP für ein höheres Armeebudget und eine Entschärfung des Sparprogramms in der Agrarpolitik ausgesprochen. Der Blick sprach deshalb von einem «Wortbruch in Serie» und von einem gebrochenen «Sparschwur» und startete für die Sommersession 2015 einen «Schwur-Check», um aufzuzeigen, wo die bürgerlichen Parteien von ihren Sparversprechen abwichen. In der Folge meldeten sich im Boulevardblatt kritische Stimmen von CVP- und FDP-Nationalratsmitgliedern, wonach der Schulterschluss zu einem Verlust der Glaubwürdigkeit der eigenen Partei führen könnte.
Mitte Juni bezeichnete dann SVP-Parteipräsident Toni Brunner den Schulterschluss in einem Interview in der «Schweiz am Sonntag» als «Makulatur». Grund dafür war vor allem auch die Weigerung der FDP, mit der SVP flächendeckende Listenverbindungen für die eidgenössischen Wahlen einzugehen. Die SVP habe alles versucht, die beiden anderen Parteien «auf den Pfad der Tugend zurückzubringen», die CVP bewege sich aber nach links und der FDP sei egal, ob bei den Wahlen die SP oder die SVP zulege. In der Folge kam es zu gegenseitigen Schuldzuweisungen via Medien. Laut Christophe Darbellay verabschiede sich die SVP aus dem bürgerlichen Lager, weil sie keine Hand für Lösungen biete. Zurückhaltender zeigte sich Philipp Müller. Man dürfe nicht nur auf die Differenzen zeigen, sondern müsse auch darauf schauen, was die bürgerliche Zusammenarbeit bereits gebracht habe. Die FDP halte deshalb am Schulterschluss fest, weil es ihr um den Erhalt von Arbeitsplätzen gehe. Die in der Herbstsession von der bürgerlichen Mehrheit gegen den Willen der eigenen Bundesratsmitglieder gutgeheissenen Deregulierungsvorstösse wurden denn etwa von der Aargauer Zeitung als «Lebenszeichen» für die angekündigte bürgerliche Zusammenarbeit interpretiert.

Bürgerlicher Schulterschluss in der Wirtschaftspolitik

Als der Urner Pfarrer Wendelin Bucheli im Oktober 2014 in seiner Pfarreikirche in Bürglen einem lesbischen Paar seinen Segen aussprach, tat er das in der Auslegung seiner Pflichten als Seelsorger und in Ermessung seiner Verantwortung Gott gegenüber – jedoch nicht ahnend, dass seine Handlung bis in die obersten Kirchenkreise Wellen schlagen würde und massgeblichen Einfluss auf seine Kariere haben könnte.
Kurz nach Bekanntwerden der Segnung erhielt Bucheli eine Mitteilung aus dem Bistum Chur, in welcher er von Bischof Huonder aufgefordert wurde, seinen Posten in der Urner Gemeinde bis zum Sommer 2015 zu räumen. Der Bischof liess verkünden, dass er mit der Segnung einer homosexuellen Verbindung eine "Verunklärung" der kirchlichen Lehre von Ehe und Familie begangen habe und somit grosses Ärgernis und Aufruhr bei Gläubigen weit über die Landesgrenzen hinweg geschaffen habe. Im Sinne der katholischen Kirche hielt die Schweizerische Bischofskonferenz (SBK) fest, dass zwar homosexuelle Menschen gesegnet werden dürfen, nicht aber deren gemeinsame Verbindung. Da Bucheli sich diesem Verdikt aber widersetzt habe, sei seine weitere Tätigkeit in der Gemeinde Bürglen nicht mehr verantwortbar. In Absprache mit Bischof Charles Morerod (Bistum Lausanne-Genf-Freiburg) solle der Pfarrer nun demissionieren und in seine Weihestätte rückversetzt werden.
Peter Vorwerk (Sprecher der Pfarrei Bürglen), Markus Frösch (Gemeindepräsident) sowie weite Teile der Bevölkerung und des Kirchenrates konnten diese Kündigung aber nicht nachvollziehen. Die katholische Kirche sei als jene der Nächstenliebe zu betrachten, in welcher ein Pfarrer jeden Menschen auf seinem Lebensweg segnen könne. Zudem sei Pfarrer Bucheli in seiner Gemeinde sehr engagiert und trete allen Menschen offen gegenüber und akzeptiere sie so, wie sie seien. Um der Empörung und dem Unverständnis in der Bevölkerung Ausdruck zu verleihen, wurde eine Online-Petition lanciert ("Pfarrer Wendelin Bucheli muss in Bürglen bleiben"), welche innert kürzester Zeit über 40'000 Unterschriften verzeichnete – weit über die regionale Grenze hinweg. Bucheli selbst wollte seine Demissionierung – auch im Wissen um den Rückhalt in der Bevölkerung – nicht einfach hinnehmen und weigerte sich, sein Amt abzutreten mit der Begründung, dass er hier in Bürglen mit seiner Arbeit noch nicht fertig sei.
Das Bistum Chur, welches offensichtlich nicht mit soviel Widerstand gerechnet hatte, beauftrage im März 2015 seinen Generalvikar Martin Grichting in der Sache, gemeinsam mit Pfarrer Bucheli eine Lösung zu finden, welche im Einklang mit der Kirche stehe und sowohl der Pfarrei Bürglen als auch dem Pfarrer Bucheli dienlich sei.
Nach langen Gesprächen kamen schliesslich beide Parteien zu einer Übereinkunft. Bischof Huonder zog seine Bitte um Buchelis Demission zurück, nachdem ihm dieser zugesichert hatte, zukünftig weder öffentliche noch heimliche Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare vorzunehmen und somit der Erklärung der Schweizer Bischofskonferenz vom 3. Oktober 2002 nachzukommen.

Wendelin Bucheli

Als Reaktion auf das Ja zur Masseneinwanderungsinitiative forderte Parteipräsident Christian Levrat in einem ganzseitigen offenen Brief im "Blick" eine Umsetzung des Begehrens, die möglichst nahe am Volkswillen sei. Die Initiative sei auf dem Land angenommen, in der Stadt aber verworfen worden. Deshalb seien die Massnahmen für die Umsetzung vor allem auf die ländlichen Regionen zu konzentrieren. Levrat forderte neben einer Verschärfung des Raumplanungsgesetzes und der wortgetreuen Umsetzung der Zweitwohnungsinitiative auch eine Beschränkung der Zahl ausländischer Arbeitskräfte für die Landwirtschaft, mehr Kontrollen gegen Schwarzarbeit in ländlichen Gebieten oder die Erhöhung von Hypozinsen in peripheren Regionen. Wenn Kontingentsysteme eingeführt würden, so müssten diese nach Branchen und Kantonen festgelegt werden, wobei die Städte die grössten Kontingente an ausländischen Facharbeitern erhalten müssten. Mit diesen Forderungen wollte Levrat provozieren und die SVP-Versprechungen "entlarven". Er weckte dabei zahlreiche empörte Gegenreaktionen der Initianten. Ende Juni veröffentlichten die Sozialdemokraten dann ihre ernster gemeinten Vorschläge für eine Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative. Sie wandten sich gegen die Idee von Kontingenten und wollten der Abhängigkeit von ausländischen Fachkräften durch innenpolitische Reformen Herr werden. Frauen und ältere Arbeitnehmende müssten im Markt behalten werden. Zudem soll ein von Arbeitgebern gespeister Fonds geschaffen werden, mit dem die Kosten für die Integration gedeckt werden sollen. Firmen, die ausländische Fachkräfte engagieren, müssten in diesen Fonds einzahlen. Zudem sollen Steuerprivilegien für Ausländer – etwa die Pauschalbesteuerung – abgeschafft werden. Parteiintern stiessen die Forderungen allerdings auch auf Skepsis. Es sei nicht an der SP, für eine fremdenfeindliche SVP-Initiative völkerrechtlich verträgliche Umsetzungskonzepte zu finden – gab etwa Cedric Wermuth (sp, AG) zu Protokoll. Das Papier wurde an der Delegiertenversammlung Ende Oktober in Liestal ausführlich und emotional diskutiert. Letztlich wurde es gutgeheissen, aber auf Antrag der St. Galler und der Waadtländer Kantonalsektion wurde die Idee des Integrationsfonds gestrichen.

Umsetzungsvorschlag der SP zur Masseneinwanderungsinitiative
Dossier: Masseneinwanderungsinitiative

Bereits zu Jahresbeginn wurde Bischof Huonders Stellungnahme zur Pastoralumfrage publik. Darin äusserte sich der Churer Bischof ablehnend gegenüber dem Empfangen der Sakramente durch Homosexuelle und geschiedene Wiederverheiratete. Solche Personen könnten zwar bei der Kommunion vor den Priester treten, müssten dies aber als Zeichen ihrer "irregulären Situation" mit verschränkten Armen tun, und könnten anstelle der Hostie lediglich den Segen empfangen. Zwei Wochen später hatten bereits über 2700 Schweizer Katholiken in einem Appell ihre Unzufriedenheit mit Huonders erneut provozierender Stellungnahme ausgedrückt. Die Forderungen der Bistumsleitung seien beschämend und völlig inakzeptabel. Dass die kirchliche Basis geschiedenen Wiederverheirateten und Homosexuellen offener gegenüber steht, letzteren zumindest in der Tendenz, brachten denn auch die Ende Januar kommunizierten Ergebnisse der Pastoralumfrage zu Tage. Im März forderten kirchliche Basisorganisationen, darunter die Vertreter der Pfarrei-Initiative sowie die Jungwacht Blauring, unter Hauptinitiative des Schweizerischen Katholischen Frauenbundes (SKF) in einer Demonstration in St. Gallen die Abberufung von Bischof Huonder und dessen Generalvikar Martin Grichting. Unter dem Motto "Es reicht!" übergaben um die 2000 reformwillige Katholiken am 9. März Markus Büchel, dem Präsidenten der Schweizer Bischofskonferenz (SBK), ein entsprechendes Schreiben mit der Forderung nach einem dem Bischof übergeordneten Administrator, der für eine barmherzige und weltzugewandte Kirche einstehe und Diskriminierungen jeglicher Art weder verursache noch dulde. Als Auslöser für diese drastische Forderung nannten die Demonstranten nicht nur Huonders Stellungnahme zur Pastoralumfrage, sondern auch seine Aussagen zu Genderfragen am internationalen Tag der Menschenrechte 2013 oder etwa seine Befürwortung zur Volksinitiative "Abtreibungsfinanzierung ist Privatsache", entgegen dem vorangegangenem SBK-Beschluss auf Stimmfreigabe. Das Bistum vertrat die Ansicht, das eigentliche Problem der Initianten sei nicht die Person Vitus Huonder, sondern die Unvereinbarkeit gewisser Wertvorstellungen mit Teilen der kirchlichen Lehre. Huonder stand jedoch nicht ohne Unterstützung da: Der Bund junger Katholiken wollte den Bischof in einer am gleichen Tag stattfindenden Kundgebung unterstützen, was der Organisation jedoch von Bischof Huonder des kirchlichen Friedens Willen untersagt wurde. Durchgeführt wurde dann jedoch im Rahmen der Gebetsinitiative "Nein zum Krieg unter uns" ein Gottesdienst für Huonder mit 300 Gläubigen. Ein erstes klärendes Gespräch zwischen den reformwilligen Katholiken und der Churer Bistumsleitung fand im November statt, förderte jedoch noch keine sichtbare Annäherung der Parteien zutage.

Bischof Vitus Huonder

Den Tag der internationalen Menschenrechte vom 10. Dezember wurde auch von Kirchenvertretern zur Verbreitung ihrer Positionen genutzt. Während Bischof Huonder bereits im Vorjahr in einem Hirtenbrief geltend gemacht hatte, geschiedene Wiederverheiratete seien von den Sakramenten auszuschliessen, denunzierte er im aktuellen Jahr als „Wort zum Tag der Menschenrechte“ den Genderismus und gleichgeschlechtliche Paarbeziehungen. Unter anderem kritisierte Huonder die laufenden Bemühungen zur Ermöglichung von Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare; eine solche „zerstöre die Grundlage einer gesunden psychischen Entwicklung“ der adoptierten Kinder. Dass gerade am Tag der Menschenrechte ein Geistlicher solch diskriminierende Äusserungen verlauten liess, verurteilte die Interessengruppe für eine vernünftige Sexualkunde aufs Schärfste. Die SBK, der Evangelische Kirchenbund und die Christkatholische Kirche lancierten ihrerseits zum Tag der Menschenrechte eine Petition, die den Bundesrat zur verstärkten Unterstützung bedrohter Christen und zur Erhöhung der finanziellen Mittel für die Förderung des interreligiösen Friedens aufforderte.

Bischof Vitus Huonder

Gewohnt dezidiert richtete sich die SVP in ihrer Europapolitik gegen alle Annäherungsversuche an die EU. Der Bundesrat sei mit seinen Vorschlägen zu institutionellen Fragen bereits im Jahr 2012 viel zu weit gegangen. Die Schweiz sei jedoch auf keine neuen Abkommen mit der EU angewiesen. Harsch fiel die Reaktion der Volkspartei denn auch aus, als die EU-Kommission Anfang 2013 vorschlug, über eine Weiterführung der Kohäsionszahlungen zu diskutieren. Als der Bundesrat Ende August ein Mandat zu Verhandlungen mit der EU über institutionelle Reformen vorstellte, sprach Parteipräsident Brunner an der Delegiertenversammlung in Genf von „Landesverrat“ und „nötigem Widerstand“. Das Mandat sei nicht nur eine Selbstaufgabe, mit der fremde Richter akzeptiert würden, sondern es käme einem schleichenden EU-Beitritt gleich. Der Widerstand müsse wie schon vor 20 Jahren gegen den EWR stark sein und die Kräfte gebündelt werden. Ruhiger wurde es im Berichtjahr um die im Vorjahr von Christoph Blocher angekündigte Anti-EU-Gruppe. Mitte Januar wurde in der Presse vermeldet, dass das Vorhaben gescheitert sei, weil von den anderen Parteien zu wenig Sukkurs komme. Man wolle sich deshalb eher auf eine reine SVP-Denkfabrik konzentrieren. Ende November wurde dann allerdings bekannt, dass die SVP, vor allem auf Antrieb von Christoph Blocher, mit dem Aufbau von Strukturen für eine Kampfgruppe gegen eine allfällige Abstimmung zu neuen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU schon weit fortgeschritten war. Ein entsprechender Verein „Nein zum schleichenden EU-Beitritt“ war am 23. Oktober von Christoph Blocher, Ulrich Schlüer und Thomas Aeschi gegründet worden. Blocher nahm Einsitz im Präsidium. Bereits seien 40 zivilgesellschaftliche Organisationen beigetreten, darunter auch die Auns, die im Kampf gegen den EWR-Beitritt in den 1990er Jahren gegründet worden war.

Europapolitik

"L’Expérience Blocher", ein Dokumentarfilm des Westschweizer Filmemachers Jean-Stéphane Bron („Mais im Bundeshuus“) über den SVP-Übervater, löste schon vor der Uraufführung am Filmfestival in Locarno Mitte August Unmut aus. Es gehe nicht an, dass der Staat einen Film über einen derart umstrittenen Politiker finanziere, äusserten sich Exponenten der SP. Tatsächlich hatte die eidgenössische Filmförderung die Hälfte des Filmbudgets übernommen. Der Film zeigt die wenig spektakuläre Aufzeichnung verschiedener Wahlkampfauftritte vor den nationalen Wahlen 2011. Bron begleitete Blocher in stundenlangen Autofahrten zwischen diesen Auftritten und – so die NZZ-Filmkritik – verleihe dem Politiker Blocher, wohltuend entkrampfend, ein menschliches, sympathisches Gesicht. Der Mitte Oktober in den Kinos anlaufende Film vermochte die Zuschauer allerdings nicht zu überzeugen. Die Besucherzahlen blieben unter den Erwartungen.

L’Expérience Blocher

Mit ihrer Forderung nach staatlicher Förderung für Kinderkrippen, einer regulierenden Frauenquote oder ihrem Ja zum Familienartikel und zum revidierten Raumplanungsgesetz hatten die FDP-Frauen in der Partei für einigen Unmut gesorgt. Die Frauen selber prangerten in den Medien einen parteiinternen Rechtsrutsch an. Nach einer Aussprache zwischen der Mutterpartei und der Frauensektion wurde ein Verhaltenskodex vereinbart, mit dem die Koordination zwischen Mutterpartei, Jungfreisinnigen und FDP-Frauen verbessert werden soll. In einer Zukunftstagung im September debattierten die Frauen über Zukunft, Positionierung, Strukturen und politisches Programm der bereits 64-jährigen Frauensektion.

FDP-Frauen

Auch Natalie Rickli trug dazu bei, dass in den Medien mehr von Exponenten der Partei als von deren Inhalt berichtet wurde. Die junge Zürcherin, die bei den nationalen Herbstwahlen die meisten Stimmen aller Kandidierenden erhalten hatte, musste mit ihrer Gesundheit bezahlen, dass sie parteiintern zahlreiche Aufgaben übernommen hatte und auch in den neuen Medien – Facebook und Twitter – omnipräsent war. Aufgrund eines Burn-outs legte sie ab Mitte September eine mehrwöchige Pause ein und zog sich aus der Öffentlichkeit zurück. In der Folge wurde in den Medien über die zunehmende Belastung im politischen Milizsystem debattiert.

Burn-Out bei Natalie Rickli

Bei der Lancierung der Ausschaffungsinitiative 2011 hatte ein provokatives Inserat der SVP-Kampagne die Gemüter erregt. Einige Zeitungen weigerten sich sogar, die Annonce mit der Unterschrift „Kosovaren schlitzen Schweizer auf!“ abzudrucken. Zwei Kosovaren aus dem Kanton Zürich erstatteten in der Folge Strafanzeige wegen Verstosses gegen die Antirassismus-Strafnorm. Die Staatsanwaltschaften der Kantone Zürich und Bern hatten sich in der Folge über ein Jahr lang über die Zuständigkeit und den Gerichtsstand gestritten. Das Bundesstrafgericht wies den Fall Bern zu, wo die Strafuntersuchung allerdings eingestellt wurde. Dagegen führte die Anklage allerdings erfolgreich Beschwerde. Das Obergericht des Kantons Bern wies die Staatsanwaltschaft darauf hin, dass der Fall zwingend einem unabhängigen Strafgericht überlassen werden müsse. Angezeigt wurde schliesslich Toni Brunner, der als Parteipräsident und Wahlkampfleiter die Verantwortung übernahm. Allerdings wurde die Immunität Brunners von den zuständigen Parlamentskommissionen geschützt.

Debatte und Gerichtsverfahren wegen SVP-"Schlitzerplakat"

Im Falle der unbedarften Aussage der Aargauer Grossrätin und CVP-Kommunikationsleiterin Marianne Binder bei einer Diskussionssendung in einem regionalen Fernsehen zeigte sich der Parteivorstand der SVP kulant. Binder hatte die Politik der Volkspartei mit derjenigen von Pol Pot, dem kambodschanischen Diktator, verglichen. Obwohl empörte SVP-Mitglieder rechtliche Schritte gefordert hatten, forderte die Parteileitung Binder lediglich dazu auf, für ihre „antidemokratische Äusserung“ in Form einer Spende Abbitte zu leisten. Man wolle den politischen Gegner mit Diskussionen schlagen und nicht vor dem Staatsanwalt, so die SVP. Binder kam der Bitte nach und spendete für die Kinderspitäler von Beat Richner in Kambodscha.

Disput zwischen der SVP und Marianne Binder (CVP)

Die SP-Frauen beschlossen aufgrund einer Online-Befragung, in Zukunft auch Männer in die Frauenorganisation aufzunehmen. Männer, die sich für Gleichstellungsthemen engagierten, würden nicht nur willkommene Inputs liefern, sondern sollen in Zukunft auch mitentscheiden können. Zudem diskutierten die Frauen öffentlich über mögliche Volksinitiativen, mit denen die Geschlechtergleichheit verbessert werden soll – etwa mit Hilfe einer nationalen Behörde, welche die Lohngleichheit überwacht, mit Hilfe von zusätzlichen Krippenplätzen oder mit verbindlichen Frauenquoten.

SP-Frauen

Am 11. März fand in Mühleberg die dritte Manifestation „Menschenstrom gegen Atom“ statt. Tausend Menschen forderten friedlich die sofortige Abschaltung der AKW Mühlenberg und Beznau. Ebenfalls im März demonstrierten in der Bundeshauptstadt 4000 Physiotherapeuten für höhere Leistungstarife, welche seit vierzehn Jahren nicht mehr angepasst worden sind. Für bessere Arbeitsbedingungen demonstrierten auch die St. Galler Volksschullehrer. Am 12. Dezember forderten 15'000 Lehrerinnen und Lehrer weniger Arbeitsaufwand für Lehrkräfte. In Bern fand unter dem Namen „Tanz dich frei“ in der Nacht auf den 4. Juni die grösste Jugenddemonstration seit 25 Jahren statt. Rund 10'000 Jugendliche nahmen am via Facebook organisierten, unbewilligten, aber tolerierten Anlass teil, um gegen die Trägheit des Berner Nachtlebens zu demonstrieren. Am 23. Juni fand in Bern ein Protestzug von rund 5000 Personen gegen die Verschärfung des Asylrechts statt. Der Anlass war eine Antwort auf die vom Nationalrat gutgeheissene Revision des Asylrechts, nach welcher Asylsuchende nur noch Not- statt Sozialhilfe beziehen können. Im August haben in Bern gegen 1000 Personen für die Rechte von Nicht-Heterosexuellen demonstriert.

Grossdemonstrationen in der Schweiz im Jahr 2012
Dossier: Grossdemonstrationen in der Schweiz

Eine markante Verschärfung der Gesetze forderte die FDP in der Sicherheitspolitik. Bisher Domäne der SVP, wollte die FDP auch in diesem Politikfeld Präsenz markieren. Mit Schnellverfahren gegen Kleinkriminelle, einer Aufstockung der Polizeicorps, härteren Urteilen gegen Drogenkriminelle und einer Erhöhung der Gefängnisstrafen wollen die Freisinnigen die steigende Kriminalität in den Griff bekommen. In einer Medienpräsentation zeichneten die beiden in ihren Kantonen für die Sicherheit zuständigen Regierungsräte Jacqueline de Quattro (VD) und Pierre Maudet (GE) sowie Nationalrat und Stadtpräsident von Solothurn Kurt Fluri ein düsteres Bild von der Sicherheitslage in der Schweiz. Problem seien insbesondere die laschen nationalen Gesetze. Nur mit Repression und einer härteren Gangart durch die Justiz könne die Sicherheit im Land verbessert werden.

Sicherheitspolitik

Auch im Berichtsjahr hatte die SVP Probleme mit rechtsextremistischen Äusserungen von Personen im Dunstkreis der Volkspartei. So waren etwa Ende Februar auf der Homepage der Kommunalsektion Widen (AG) in Text verpackte, aber durch Hervorhebung erkennbare rassistische Slogans aufgeschaltet worden. Ein SVP-Grossratskandidat in Solothurn sowie ein Mitglied einer Zürcher Lokalsektion machten Anfang Juni mit xenophoben Aussagen auf sich aufmerksam. Die WoZ fand Ende Juni einen Zusammenhang zwischen dem Thurgauer Grossrat Hermann Lei und der Internetseite www.adolf-hitler.ch. Mitte September musste der Präsident der SVP-Ortssektion Schwyz aufgrund eines rassistischen Facebook-Eintrages sein Amt niederlegen und aus der Partei austreten. Ende Berichtjahr entgleiste ein Vorstandsmitglied der SVP Steffisburg (BE) mit einem wüsten Facebook-Kommentar gegen die Befürworter des Plastiksack-Verbots (vgl. dazu oben, Teil I, 6d; Abfälle). Auch gegen den Zürcher Kantonalpräsident Alfred Heer, der sich in einer Fernsehsendung abschätzig über nordafrikanische Asylbewerber geäussert hatte, wurde eine Strafanzeige eingereicht. Kritiker warfen der Partei mangelnde Sensibilität, naive Geschichtsblindheit und eine zu wenig harte Linie gegen rechtsextreme Parteimitglieder vor. Generalsekretär Martin Baltisser rief mit einem offenen Brief via Homepage die Ortssektionen zu mehr Verantwortung auf. Rassistische und fremdenfeindliche Aussagen würden in der SVP nicht toleriert. Fehlbare Personen würden aus der SVP ausgeschlossen. In der Presse wurde argumentiert, dass die SVP die Geister, die sie mit der Integration der Parteien am rechten Rand gerufen habe, nun nicht mehr loswerde. Das rechtsextreme Gedankengut sei nicht einfach verschwunden. Die Radikalisierung am rechten Rand sei aber auch auf die Politik der SVP zurückzuführen.

rechtsextremistischen Äusserungen

Eine Frauenquote per Gesetz forderten die FDP-Frauen anlässlich eines Treffens Anfang September. Zwar sei man nach wie vor gegen Etatismus, der Staat müsse aber eingreifen, wenn die Chancengleichheit faktisch nicht existiere, erklärte die Präsidentin der FDP-Frauen Carmen Walker-Späh (ZH). In zwei Schritten soll der Frauenanteil in den Kaderstellen angehoben werden: Vorangehen sollen erstens die öffentlichen Verwaltungen und die bundesnahen Betriebe. Zweitens sollen börsenkotierte Unternehmen, falls freiwillige Massnahmen nicht fruchten, verpflichtet werden können, eine zeitlich befristete Quote einzuführen.

FDP-Frauen fordern Frauenquote