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Wie schmal der Grad zwischen öffentlichem Interesse und dem Schutz der Persönlichkeit ist, zeigt sich jeweils dann, wenn Medien über das Privatleben von Politikerinnen und Politikern berichten. Im Fall der Verurteilung eines Sohnes von Bundesrat Ueli Maurer wurde in den Medien allerdings nicht nur öffentliches Interesse reklamiert, sondern auch darauf hingewiesen, dass gerade bei Vertretern der SVP, die gegen die «Kuscheljustiz» und für «Strafverschärfungen» weible, besonders genau hingeschaut werden müsse. Das öffentliche Interesse wurde auch damit begründet, dass in diesem Fall die judikative Unabhängigkeit bewiesen werden müsse.
Was war geschehen? Ende 2017 machte der «Zürcher Oberländer» publik, dass einer der Söhne von Ueli Maurer vor Gericht erscheinen müsse, weil er zwei Jahre zuvor unter Alkoholeinfluss einen Autounfall verursacht habe. Die Sonntagszeitung nahm den Fall auf und vermutete, dass es noch weitere Delikte geben müsse, die dem Sohn angekreidet würden – die Anklageschrift werde allerdings nicht zugänglich gemacht, erklärte die Zeitung. Mehr noch, die Verteidigung habe beantragt, den Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchzuführen, um die Persönlichkeit des Mandanten zu schützen. Der Entscheid vom Bezirksgericht Hinwil, die Medien, nicht aber die Öffentlichkeit zum abgekürzten Prozess zuzulassen, wurde vom Anwalt von Maurers Sohn zwar weitergezogen, vom Obergericht und schliesslich vom Bundesgericht Ende Mai 2018 aber bestätigt. Gerade wenn der Sohn eines Bundesrats vor Gericht stehe, bestehe ein gewichtiges öffentliches Interesse. Als Beschuldigter habe der Angeklagte die mit einer öffentlichen Verhandlung verbundenen psychischen Belastungen hinzunehmen. Dem Persönlichkeitsschutz solle aber Rechnung getragen werden, indem die Veröffentlichung von Vorname, Alter, Wohnort und Fotos verboten würden – so das Urteil des letztinstanzlichen Gerichts.
Mitte Oktober 2018 fand schliesslich der Prozess statt und die Medien erhielten erst dann die Anklageschrift. Neben dem Autounfall wurde der Sohn von Ueli Maurer wegen Raub und versuchter Erpressung – Maurers Sohn hatte zusammen mit einem Kollegen einen Mann ausgeraubt –, Sachbeschädigung, versuchter Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte, mehrfacher Beschimpfung und Hinderung einer Amtshandlung – bei seiner Verhaftung soll sich der junge Mann widersetzt haben – zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 16 Monaten verurteilt. Während der Befragung gab der junge Mann bekannt, stark unter dem Druck gelitten zu haben, der mit der schweizweiten Prominenz seines Vaters einhergehe. Er sei oft fertig gemacht und beleidigt worden. Weil die Anklage medial ausgeschlachtet worden sei, habe er zudem seine Arbeitsstelle verloren und die damit zusammenhängende Weiterbildung abbrechen müssen.
Die Medien kommentierten den Fall unterschiedlich. Während in der Weltwoche (7.12.17) von «Schmuddelpresse und Sippenhaft» die Rede war, beleuchtete die BaZ (23.5.18) das Schicksal der Kinder von Bundesräten. Sie müssten sich erklären, obwohl sie es nicht wollten, oder wollten sich erklären, weil sie glaubten, es tun zu müssen. In seiner Kolumne in der Weltwoche (25.10.18) lobte Peter Bodenmann (VS, sp) die Justiz, die hart geblieben sei, fragte aber rhetorisch, wie die Volkspartei wohl reagiert hätte, wenn «Maurer Junior» Kosovo-Albaner gewesen und der beraubte Mann der ehemalige SVP-Nationalrat Hans Fehr gewesen wäre.

Sohn von Ueli Maurer

Ende Februar 2018 genehmigte die WEKO die Fusion der SDA mit Keystone ohne Vorbehalte. Die Fusion, die rückwirkend auf den 1. Januar 2018 vollzogen wird, sollte gemäss der Wettbewerbskommission nicht dazu führen, dass das Unternehmen an Marktanteilen dazugewinnt. Aus Sicht der Kundinnen und Kunden führe die Fusion vielmehr zu einer Erweiterung des Angebots, da sich die Angebote von SDA und Keystone komplementieren würden. Im Unterschied zum im Vormonat von der SDA angekündigten Stellenabbau fand die Fusionsmeldung in den Medien wenig Verbreitung.
Beim ersten Auftritt der neuen Keystone-SDA-Führung betonte das Unternehmen die Wichtigkeit neuer Technologien für die eigene Zukunft. So solle etwa ab 2019 künstliche Intelligenz eingesetzt werden, um die Sportberichterstattung zu vereinfachen.

SDA Keystone

Im Januar 2018 eröffnete die SDA, dass sie aufgrund von erwarteten Umsatzeinbussen in der Höhe von knapp 10 Prozent und einem Verlust auf operativer Ebene von CHF 1.9 Mio. in den nächsten zwei Jahren 35 von 150 Vollzeitstellen in der Redaktion abzubauen plane. Man hoffe, den Stellenabbau mit Frühpensionierungen, natürlichen Fluktuationen und freiwilligen Pensenreduktionen abzuschwächen, gab Geschäftsleiter Markus Schwab gegenüber der NZZ bekannt. Ein Sozialplan von CHF 1.5 bis 2 Mio. sei vorgesehen. Ferner sollten weitere Sparmassnahmen wie der Verzicht auf Dividendenausschüttungen an die Aktionäre für 2018 bis 2020 und die Kündigung des Vertrags mit der Partneragentur Reuters umgesetzt werden. In diesem Zusammenhang gab die Depeschenagentur auch strukturelle Änderungen bekannt: Die Inland- und Auslandredaktion würden zusammengelegt. Die Wirtschaftsberichterstattung sollte künftig an die AWP, die je hälftig der SDA und der Deutschen Presseagentur gehört, ausgelagert werden; sechs Stellen könnten so zur AWP verschoben werden. Nach wie vor wolle man über die gewohnte Breite an nationalen und internationalen Themen berichten und alle Sprachregionen bedienen, die Quantität würde jedoch reduziert. Die beschlossenen Massnahmen seien unabhängig von dem im Herbst des Vorjahres kommunizierten Fusionsvorhaben mit Keystone, über dessen Zulässigkeit die WEKO zu diesem Zeitpunkt noch zu befinden hatte, gefällt worden. Als Grund für den Stellenabbau und die Restrukturierung gab die SDA die gesunkene Zahlungsbereitschaft bei den grossen Verlagshäusern an. Zudem orientiere sich das bisherige Tarifmodell an der Höhe der gedruckten Auflage der Zeitungen. Da diese Zahlen rückläufig seien, seien auch die Einnahmen der SDA gesunken. Die Depeschenagentur habe sich gegenüber ihren Kunden für ein neues Tarifmodell eingesetzt, das die gesamte Nutzungsreichweite der Zeitungen besser abbilden sollte, sei dabei aber auf Widerstand von Seiten der Verleger gestossen, die höhere Kosten für die Inanspruchnahme der SDA-Dienstleistungen befürchteten.
In den Medien stiess der Entscheid auf grosse Resonanz und es fielen markige Worte. Als «Aderlass» bezeichnete etwa die NZZ den angekündigten Stellenabbau und der «Tages-Anzeiger» sah die «journalistische Grundversorgung der Schweiz in Gefahr». Die Reaktion der SDA-Redaktion auf den massiven Stellenabbau war heftig und abwehrend. Insbesondere stiess der Entscheid, dass alle Mitarbeitenden, die vier Jahre oder weniger vor ihrer Pensionierung standen, mit diesen Massnahmen entlassen werden sollten, auf grosse Opposition. Die Situation spitzte sich zu, als die Verantwortlichen zehn Tage später konkretisierten, dass der grösste Teil der Kündigungen bereits Ende desselben Monats erfolgen sollte. Die Redaktion verlangte nicht nur den Verzicht auf die drastischen Massnahmen, sondern auch die Chance, eigene Lösungsvorschläge einzubringen. Da es sich um eine Massenentlassung handle, müsse der Verwaltungsrat der Belegschaft die Möglichkeit einer Konsultation einräumen. Die vorgesehene Frist von zehn Tagen reiche dazu aber nicht, kritisierte die Redaktion. Ferner sei die Geschäftsleitung selber mitschuldig an der schlechten wirtschaftlichen Situation der SDA, da sie ihren Kunden im Jahr 2018 einen Rabatt von zehn Prozent gewährt habe.
Obwohl mit dem Konsultationsverfahren einige Massnahmen revidiert wurden, so etwa die Streichung des Nachtdiensts in Sydney und die Integration des italienischsprachigen Diensts in den französischsprachigen, und zum Teil gar neue Massnahmen getroffen wurden – alle Mitarbeitenden inklusive Kader sollten nur noch in der 2. Klasse reisen –, änderte sich nichts am Entscheid der Geschäftsleitung in Bezug auf den Stellenabbau, weswegen die Redaktion in den Warnstreik und kurz darauf in einen unbefristeten Streik trat. Solidarität erfuhren die Streikenden auch von etlichen Journalistinnen und Journalisten verschiedener Verlage. Zusätzlich verfasste die Redaktion einen Brief an den Bundesrat und an das Parlament, worin sie die Sparmassnahmen als «Kahlschlag, der sich erheblich auf den Umfang und die Qualität des Angebots auswirken würde», bezeichnete. Als sich der Verwaltungsrat zu Verhandlungen bereit zeigte, nahm die Redaktion nach viertägigem Streik die Arbeit wieder auf. In die Verhandlungen ging sie mit drei Kernforderungen: Es sollten erstens das Ausmass der Kündigungen reduziert, zweitens die Kündigungsfrist um zwei Monate verlängert und drittens der Sozialplan ausgebaut werden. Gegen Ende Februar zeichnete sich ab, dass die beiden Parteien in den Verhandlungen keine Einigung würden erzielen können, weshalb ein externes Schlichtungsverfahren eingeleitet wurde. Die SDA-Führungsebene verzichtete dabei darauf, die gesetzlich ausgesprochenen Kündigungen für die Dauer des Verfahrens zu sistieren, wie dies die Belegschaft gefordert hatte. Während des Schlichtungsverfahrens blieb die Stimmung bei der SDA gedrückt. Über zwanzig Mitarbeitende verliessen die Nachrichtenagentur freiwillig, weswegen zeitweise gar der Schichtbetrieb gefährdet war. Zur Lösung dieses Problems bot die Unternehmensleitung bereits entlassenen Personen oder solchen, die von einer Pensenreduktion betroffen waren, einen temporären Vertrag an. Der Unmut gegenüber der Führung der SDA nahm in den Gewerkschaften ferner zu, als die Generalversammlung Ende April 2018 trotz des Stellenabbaus und eines Jahresverlusts beschloss, den Aktionären eine Sonderdividende von CHF 12 Mio. auszuzahlen.
Während der Arbeitsstreitigkeiten erfuhr die SDA-Spitze auch unverhohlene Kritik von Politikerinnen und Politikern aller Couleur in Bezug auf ihre operative Führung und die fehlende publizistische Strategie. Die Kritik intensivierte sich, als CEO Markus Schwab in einem Interview mit der «NZZ am Sonntag» die Ansicht äusserte, die SDA sei nur dem wirtschaftlichen Gewinn verpflichtet und habe keinen Service-public-Auftrag. Nach einer Anhörung von SDA-Vertreterinnen und -Vertretern hielt auch die KVF-NR in einer Medienmitteilung fest, dass die SDA zwar eine private Firma sei, die dennoch «eine neutrale Nachrichtenagentur für die gesamte Medienlandschaft der Schweiz» sein müsse. Gemäss dem Tages-Anzeiger vertraten auch einige Kommissionsmitglieder, sowohl aus dem linken als auch aus dem bürgerlichen Lager, die Ansicht, Schwab mangle es an Fingerspitzengefühl und Verständnis für die medienpolitische Bedeutung der Nachrichtenagentur. Ferner reichten die Fraktionen der Grünen, der SP und der BDP in der Frühjahrssession je eine Motion ein, die vom Bund unterstützende Massnahmen zur Sicherstellung der Grundversorgung mit Agenturmeldungen forderten (Mo. 18.3114; Mo. 18.3025; Mo. 18.3009).
Das durch das Seco geleitete Schlichtungsverfahren fand Ende Juni zu einem Vergleich. Im Wesentlichen verpflichtete sich die Führungsebene zur Bereitstellung eines besseren Sozialplans für die vom Stellenabbau betroffenen Mitarbeitenden. Die Einigung sah insbesondere eine Besserstellung von Angestellten über 60 Jahre vor. Bereits ausgesprochene Kündigungen für diese Personengruppe mussten rückgängig gemacht werden und zudem sollten alle Personen dieser Gruppe von einem Kündigungsschutz bis zur Pensionierung profitieren. Allen von Kündigung betroffenen Personen sollte ein zusätzlicher Monatslohn ausbezahlt und dazu ein Härtefallfonds mit CHF 100'000 geäufnet werden. Auf der anderen Seite musste sich die Belegschaft verpflichten, auf weitere Kampfmassnahmen zu verzichten.
Nach wie vor hing jedoch das Damoklesschwert über der SDA und erneut kursierten Gerüchte um einen weiteren Stellenabbau bei der Nachrichtenagentur: In der zweiten Jahreshälfte 2018 wurden Pläne von Tamedia bekannt, Sportmeldungen in Zukunft nicht mehr von der mittlerweile fusionierten Keystone-SDA zu beziehen. Bei Tamedia sollte die Software «Tadam» das Herunterladen von Sportresultaten von Internetplattformen übernehmen und die Informationen danach automatisch so aufbereiten, dass der journalistische Aufwand zur Erstellung des Artikels stark reduziert werden kann. Ein Verzicht auf den Bezug der Sportmeldungen durch den Grosskunden ginge für die Keystone-SDA mit CHF 1.7 Mio. Ertragseinbussen einher. Doch nicht nur Tamedia will in Zukunft auf künstliche Intelligenz setzen: Bereits beim ersten Auftritt der Keystone-SDA-Führung im Mai 2019 hatte das fusionierte Unternehmen dieselbe Strategie für die eigene Sportberichterstattung verkündet.

Massiver Stellenabbau bei der SDA

Nicht nur bei den Zeitungen, auch bei den Nachrichten- und Bildagenturen in der Schweiz kam es 2017 zu einem Zusammenschluss. So gaben die Nachrichtenagentur SDA und die Bildagentur Keystone im Oktober 2017 ihre Fusion bekannt. Keystone gehörte bisher zu 50 Prozent der SDA und zu 50 Prozent der österreichischen Presseagentur APA. Letztere tauschte ihre bisherige Beteiligung für eine 30-prozentige Beteiligung an der neuen Keystone-SDA ein. Dadurch wurde sie grösster Aktionär und ersetzte damit Tamedia, die NZZ-Mediengruppe, die SRG und die Médias Suisses, die bis anhin die grössten Beteiligungen hielten. Die neue Gesellschaft sollte einen Umsatz von CHF 51 Mio. erzielen und 300 Personen beschäftigen. „Die Fusion ermöglicht eine integrierte Produktion von multimedialen Angeboten mit dem Ziel, die Komplexität der Prozesse zu reduzieren“, liessen SDA und Keystone verlauten. Durch eine Herstellung im selben Betrieb könne die industrielle Effizienz erhöht werden.
Der Berufsverband Impressum und die Mediengewerkschaft Syndicom befürchteten, dass die SDA durch diese Fusion ihre Unabhängigkeit verlieren könne, indem sich PR und Journalismus vermische. Bisher waren die Medienhäuser gleichzeitig Besitzer und Kunden der SDA gewesen, was zwar zu Interessenkonflikten geführt, aber gleichzeitig die SDA vor Profitdruck bewahrt habe. Die neue Firma werde hingegen Renditeziele verfolgen müssen. Wie die NZZ berichtete, sei zudem die Stellung der SDA nicht mehr so dominant wie früher. So gebe es in verschiedenen Ressorts Konkurrenz – einige Verlage hätten auch selbst agenturähnliche Strukturen aufgebaut – und allgemein schwäche sich die Rolle der SDA wegen der Digitalisierung und der vielen Onlinequellen ab.
Positive Nachrichten für die SDA gab es hingegen vom UVEK: Ab 2019 soll sie jährlich CHF 2 Mio. aus der Radio- und Fernsehabgabe erhalten, wodurch der Bundesrat einen Beitrag zur langfristigen Sicherung der lokal-regionalen Berichterstattung leisten wolle.

SDA Keystone

Kurz bevor sich der Ständerat in der Herbstsession 2016 mit dem Bericht zum Service public auseinandersetzte, trafen sich Vertreterinnen und Vertreter der Medienbranche, Wirtschaft, Politik und Wissenschaft zur Service public Konferenz des Verbands Schweizer Medien (VSM). Der VSM sah aufgrund der knappen Volksabstimmung zum RTVG und der vorhandenen Unzufriedenheit in der Bevölkerung die Notwendigkeit gegeben, den Begriff des Service public zu überdenken, wozu die besagte Konferenz Anlass bieten sollte. Die Tagung brachte jedoch keine substanzielle Annäherung zutage, sondern verdeutlichte einmal mehr die vorherrschenden Gräben zwischen Befürwortern eines starken, durch die SRG bereitgestellten Service public und Vertretern der privaten Medien, welche die SRG als zu dominant erachten. Erstens war zu vernehmen, dass eine zu starke SRG die privaten Medien schwäche und eine Gebühr von CHF 400 pro Haushalt und Jahr zu hoch angesetzt sei. Diese Ansicht wurde zum Teil auch durch geladene Medienwissenschaftler vertreten. Pietro Supino, Tamedia-Verwaltungsratspräsident und Vizepräsident des VSM, kritisierte die Ausbautätigkeiten der SRG im Online-Bereich und im Werbemarkt (vgl. Admeira); beides gehe auf Kosten der privaten Anbieter. De Weck äusserte seinerseits Bedenken gegenüber zu dominanten Akteuren, namentlich gegenüber Google und Facebook. Wenn sich die Schweizer Medien nicht zusammentäten, würden in Zukunft immer mehr Werbegelder zu den Internetriesen fliessen. Zweitens verwies Supino auf die im Zusatzbericht zum Service public diskutierte Idee der SRG als Open-Content-Anbieterin, womit Verlage die von der Radio- und Fernsehgesellschaft produzierten Inhalte weiterverwenden dürften. SRG-Direktor Roger de Weck erachtete dieses Ansinnen als schwer realisierbar – dies vor allem in Bereichen, wo die SRG selber Lizenznehmerin sei. Darüber hinaus sei das Kuratieren von Produktionen aufwändig und kostspielig. Drittens stiess sich die Medienbranche an Programmen und Sendungen der SRG, die über den Grundversorgungsauftrag hinausgehen, so etwa Sendungen der Sparte Unterhaltung. Die SRG und Private sollten in denselben Bereichen tätig sein dürfen, fand hingegen de Weck. Viel eher ginge es darum, diese Tätigkeit auf eine unterschiedliche Art und Weise auszuüben. Ziel der SRG sei es, ein möglichst breites Publikum zu erreichen. Unterhaltungssendungen eigneten sich gut, um das Publikum an Informationssendungen heranzuführen. Der SRG-Direktor verwies hier auf „Telegiornale“, dessen Zuschauerzahl durch das Ausstrahlen einer unmittelbar vorgelagerten, beliebten Quizsendung um sieben Prozent gesteigert werden konnte. Allgemein zeigte sich de Weck an der Konferenz offen für eine Zusammenarbeit mit den Verlegern. Die SRG sei bereit für Gespräche und Veränderungen. Trotz dieser vielseitigen Kritik fand man einen gemeinsamen Nenner: Die Gebührenfinanzierung an sich und der Grundauftrag der SRG waren gänzlich unbestritten.

Service public-Konferenz des Verbands Schweizer Medien (2016)
Dossier: Service public-Diskussion nach knappem Volks-Ja zum RTVG (2015)

Einen Tag vor ihrem 88. Geburtstag, am 6. September 2016 verstarb Lilian Uchtenhagen – eine der ersten Nationalrätinnen und eine wichtige Modernisiererin der SP. Zusammen mit dem damaligen Präsidenten Helmut Hubacher arbeitete sie mit am Umbau der SP von einer klassischen Arbeiterpartei in eine Mittelstandspartei. Im Gedächtnis bleiben wird der Name Uchtenhagen aber insbesondere wegen den Bundesratswahlen vom 7. Dezember 1983. Die Zürcher Nationalrätin war von ihrer Partei als erste Bundesrätin nominiert worden. Die Bürgerlichen machten diesem Plan allerdings einen Strich durch die Rechnung und wählten in einem eigentlichen Coup mit Otto Stich einen genehmen Gegenkandidaten.

Lilian Uchtenhagen

Als «Müller-Effekt» bezeichnete die Basler Zeitung den Umstand, dass die FDP bei kantonalen Wahlen im Jahr 2015 zulegte. Ihr Präsident, Philipp Müller schaffe es mit seiner nicht abgehobenen Art näher bei den Leuten zu sein und sie davon zu überzeugen, dass der Freisinn nicht einfach eine abgehobene Wirtschaftspartei sei. Dies bedeutete freilich viel ermüdende Arbeit an der Basis, was in zahlreichen Medien als ursächlich für den Unfall betrachtet wurde, in den der FDP-Präsident Mitte September 2015 verwickelt war und der in der Folge einige Druckerschwärze verursachte. Müller geriet auf die Gegenfahrbahn und kollidierte mit einer Motorradfahrerin, die schwer verletzt wurde. Müller, der unverletzt blieb, hatte keinen Alkohol im Blut und auch die Handydaten wiesen darauf hin, dass er sein Mobiltelefon während der Fahrt nicht benutzt hatte. Zudem lagen laut Medien keine Anhaltspunkte auf übersetzte Geschwindigkeit vor. Müller beteuerte, sich nicht an den Unfallhergang erinnern zu können.
Mediales Aufsehen erregte der Unfall, zu dem eine Strafuntersuchung eröffnet wurde, auch deshalb, weil er wenige Wochen vor den eidgenössischen Wahlen passierte, bei denen Müller im Kanton Aargau für den Ständerat kandidierte. Zahlreiche Medien urteilten, der Unfall würde die Wahlchancen Müllers kompromittieren. Politberater empfahlen gar, dass er sich von Wahlveranstaltungen möglichst fern halten solle. Andere empfahlen Müller, er solle die Wahrheit sagen. In 99 Prozent der Fälle wisse ein Unfallverursacher nämlich, weshalb er auf die Gegenfahrbahn geraten sei, wie ein Rechtsanwalt sich im Sonntagsblick äusserte. Rasch meldeten sich freilich Stimmen, dass der Unfall nicht instrumentalisiert werden dürfe. Müller selber entschied sich «aus Respekt gegenüber der jungen Frau und ihren Angehörigen» seinen Wahlkampf bis auf weiteres auszusetzen. Er wünsche sich nichts mehr, als dass die Frau baldmöglichst genese. Zwar zeigten seine politischen Kontrahenten Verständnis, die Medien aber liessen den Fall nicht ruhen. Ihre Recherchen ergaben, dass Müller sein Fahrzeug erst 200 Meter nach dem Unfallort angehalten, keine erste Hilfe geleistet und gleichentags noch ein Interview gegeben habe, bei dem er den Unfall nicht erwähnt habe. Müller verteidigte sich damit, dass er nicht gleich verstanden hätte, was passiert sei, unter Schock gestanden, aber gesehen habe, dass sofort Helferinnen an der Unfallstelle gewesen seien. Der Blick sprach von einem «Kommunikations-Crash» und fragte sich, was Müller wohl «zu verbergen» habe. Auch die Weltwoche warf Müller vor, sich in Widersprüche zu verheddern. Es sei einfach, sich mit der Begründung «Schock» nach dem Unfall aus der Verantwortung zu stehlen. Rückendeckung erhielt Müller von seiner Partei, die keinen Anlass sah, einen Interims-Präsidenten einzusetzen.
Politischen Schaden schien Philipp Müller aus der ganzen Affäre keinen davongezogen zu haben, wurde er doch im zweiten Wahlgang für den Kanton Aargau in den Ständerat gewählt. Rund ein Jahr nach dem Unfall stand fest, dass Müller wohl wie von ihm vermutet einen Sekundenschlaf erlitten hatte. Die autointerne Kamera zeigte freilich auch, dass sich das System bereits vorher mehrmals gemeldet und eine Übermüdung signalisiert hatte. Müller hätte also nicht fahren dürfen. Er wurde entsprechend wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt.

Unfall von Philipp Müller

Die Jungparteien waren 2015 verschiedentlich Gegenstand medialer Berichterstattung. Mitte April rechnete die «Schweiz am Wochenende» vor, wie hoch die Subventionen für die fünf grössten Jungparteien sind, die diese auf der Basis des Kinder- und Jugendförderungsgesetzes vom Staat erhalten. Da die Jungparteien das politische Engagement Jugendlicher fördern, erfüllen sie die Bedingungen für staatliche finanzielle Unterstützung. So wurden im Jahr 2014 laut der Zeitung von der Juso beantragte CHF 88'496 bewilligt. Die Junge SVP erhielt CHF 64'354, die Jungfreisinnigen CHF 52'200, die Junge CVP CHF 51'916 und die Jungen Grünen CHF 23'671. Die Unterschiede erklären sich laut «Blick» durch die Mitgliederzahl, aber etwa auch durch die Erfüllung von Gleichstellungskriterien. Ein Punkt, den die Präsidenten der JSVP und der Jungfreisinnigen, Anian Liebrand (LU, svp) und Maurus Zeier (LU, fdp), in der Zeitung als vom Staat geförderte «linke Politik» kritisierten. Sie seien eigentlich gegen staatliche Parteienfinanzierung, würden die Subventionen aber deshalb beziehen, weil sonst die Juso die ganze Summe erhalten würde. In der Folge nahm Gregor Rutz (svp, ZH) den Ball auf und reichte eine parlamentarische Initiative ein, mit der er sämtliche Subventionen durch den Staat an politische Organisationen verbieten wollte. Dies rief wiederum den Präsidenten der Juso, Fabian Molina (ZH, sp), sowie den Co-Präsidenten der Jungen Grünen, Andreas Lustenberger (ZG, gp), auf den Plan: Die rechten Jungparteien könnten dank ihres Firmensponsorings leicht auf staatliche Hilfe verzichten; dies sei auf der linken Seite aber nicht möglich. Das Geld des Bundes sei «eine symbolische Abgeltung» für die Arbeit der Jungparteien, die Jugendliche in die Gesellschaft integrierten.

Jungparteien 2015

Im Frühjahr 2015 hörte die EMEK erneut Vertreter der Medienbranche und der Politik zur künftigen Ausgestaltung des Service public an. Tamedia und Ringier zeigten dabei Sympathien für eine bereits im Vorjahr von Avenir Suisse geäusserte Forderung, wonach alle Medienanbieter Inhalte der SRG frei weiterverwenden könnten. Keine Unterstützung fand diese Idee hingegen bei den Journalistenvertretern. Mehr Einigkeit herrschte bezüglich der Ansicht, die Werbung auf den audiovisuellen Kanälen der SRG klar zu beschränken. Weit auseinander gingen die Ansichten der politischen Parteien zum Service public. Während die SVP und die FDP diesen zu Gunsten der Marktwirtschaft beschränken wollten, wurden von Links angesichts des Medienwandels und der angespannten finanziellen Lage in der Branche auch Forderungen zum Ausbau des Service public laut. Am zufriedensten mit der jetzigen Situation gab sich die CVP. Nachdem sich Tamedia-Präsident Pietro Supino in der NZZ über die seiner Ansicht nach marktverzerrende Wirkung der Angebote der SRG ausgelassen hatte, verschaffte die NZZ auch zwei Medienwissenschaftlern des Forschungsinstituts Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) eine Plattform, um über die Vorzüge der SRG zu berichten – ein Aspekt, der gemäss den Forschern in der aktuellen Debatte bis anhin zu kurz kam. Dabei stützten sie sich auf das Jahrbuch Qualität der Medien, das der SRG eine hohe Integrationsleistung in Bezug auf Vertretung der Interessen verschiedenster Gesellschaftsschichten attestierte. Ferner sei das Angebot an Unterhaltungssendungen auch für die SRG legitim, wenn nicht gar notwendig, vorausgesetzt dass eine kritische Schranke nicht überschritten werde. Auch ein massvoller Ausbau des Online-Angebots sei verständlich, wolle man doch auch junge Personen erreichen. Dezidiert ablehnend äusserten sich die Forscher gegenüber der von Avenir Suisse im Vorjahr eingebrachten Idee, die SRG in eine Art Nachrichtenagentur umzuwandeln. Ohne eigenständige Berichterstattung durch die SRG würde die Schweizer Medienlandschaft einen zentralen Akteur verlieren, der qualitativ hochwertige Informationen liefere. Die Medienkonzentration, welche gemäss den Forschern bereits besorgniserregende Ausmasse erreicht habe und von der insbesondere Tamedia profitiere, würde dadurch verstärkt. Private Medienhäuser würden die Integrationsleistung der SRG nur unzureichend erfüllen, wodurch insbesondere die Berichterstattung über Minderheiten marginalisiert würde. Nicht zuletzt würde auch der Stellenabbau bei den privaten Medien beschleunigt, wenn sie kostenfreie Inhalte von der "Nachrichtenagentur SRG" zur Verfügung gestellt bekommen würden.

Diverse Stellungnahmen zum Service Public (2015)
Dossier: Service public-Diskussion nach knappem Volks-Ja zum RTVG (2015)

Nach langer Krankheit verstarb die ehemalige Präsidentin der FDP Christiane Langenberger (fdp, VD) Mitte August 2015 im Alter von 74 Jahren. Die Waadtländerin, die von 1995 bis 1999 im Nationalrat und anschliessend bis 2007 im Ständerat sass, war nicht nur die erste FDP-Ständerätin, sondern auch die erste Frau an der Spitze des Freisinns. Sie übernahm das Präsidium 2003 nach dem Rücktritt von Gerold Bührer (fdp, SH) als Vizepräsidentin zuerst ad interim und wurde in der Folge von einer innerlich zerstrittenen Partei in ihrem Amt bestätigt. Als Frau und als «Welsche» habe sie innerhalb der Partei einen schweren Stand gehabt, resümierte der Tages-Anzeiger in seinem Nachruf. Die schlechten Resultate bei den nationalen Wahlen 2003 hätten ihre Position derart geschwächt, dass sie 2004 zurücktreten musste. Langenberger war 1998 Bundesratskandidatin und musste sich erst im fünften Wahlgang dem späteren Bundesrat Pascal Couchepin beugen. Die «Vorkämpferin für die Frau», wie sie die Aargauer Zeitung betitelte, habe ihre Bundesratskandidatur als «Frauenkandidatur» verstanden und sei mit ihrem «moderaten Feminismus», mit dem sie Vereinbarkeit von Beruf und Familie forderte, ein Vorbild gewesen.

Christiane Langenberger verstorben

Anfang März 2015 standen die Präsidenten der drei bürgerlichen Parteien CVP (Christophe Darbellay; cvp, VS), FDP (Phillip Müller; fdp, AG) und SVP (Toni Brunner; svp, SG) vor die Medien, um einen bürgerlichen Schulterschluss in der Wirtschaftspolitik anzukünden. Mit Hilfe eines Programms, das möglichst viele gemeinsame Punkte wie etwa ein Verbot neuer Steuern in den nächsten fünf Jahren oder die Bekämpfung administrativer Kosten für Unternehmen enthalte, wolle man einen einheitlichen bürgerlichen wirtschaftspolitischen Kurs einschlagen, um den von der Frankenstärke verursachten Problemen Herr zu werden.
Weniger konkrete Übereinstimmung fand sich im Ende März vorgelegten Programm dann freilich in der AHV-, der Energie- und der Europapolitik. Das St. Galler Tagblatt sprach denn auch von einer «bürgerliche[n] Schnittmenge mit Lücke». Die Linke reagierte skeptisch auf das gemeinsame Wirtschaftsprogramm. Christian Levrat (sp, FR), Parteipräsident der SP, sprach davon, dass FDP und CVP vor der SVP kapitulierten und zu Juniorpartnerinnen würden, sich damit aber für die anstehenden eidgenössischen Wahlen wohl «das eigene Grab schaufeln» würden. In Le Temps wurde die Vermutung geäussert, dass vor allem die CVP mit diesem Bündnis die rechte Flanke sichern wolle; dies sei nach dem BDP-Nein zu einer Fusion mit der CVP nötig, so die «Schweiz am Sonntag».
Das als gemeinsamer roter Faden gedachte bürgerliche Projekt bekam schon im Mai 2015 erste Risse. Die CVP versagte einem im Rahmen des Konsolidierungs- und Aufgabenüberprüfungspakets (KAP) von der SVP gestellten Antrag für eine Deckelung der Staatsausgaben ihre Unterstützung und hiess auch Mehrausgaben im Kulturbereich gut. Freilich hatten sich auch FDP und SVP im Rahmen des KAP für ein höheres Armeebudget und eine Entschärfung des Sparprogramms in der Agrarpolitik ausgesprochen. Der Blick sprach deshalb von einem «Wortbruch in Serie» und von einem gebrochenen «Sparschwur» und startete für die Sommersession 2015 einen «Schwur-Check», um aufzuzeigen, wo die bürgerlichen Parteien von ihren Sparversprechen abwichen. In der Folge meldeten sich im Boulevardblatt kritische Stimmen von CVP- und FDP-Nationalratsmitgliedern, wonach der Schulterschluss zu einem Verlust der Glaubwürdigkeit der eigenen Partei führen könnte.
Mitte Juni bezeichnete dann SVP-Parteipräsident Toni Brunner den Schulterschluss in einem Interview in der «Schweiz am Sonntag» als «Makulatur». Grund dafür war vor allem auch die Weigerung der FDP, mit der SVP flächendeckende Listenverbindungen für die eidgenössischen Wahlen einzugehen. Die SVP habe alles versucht, die beiden anderen Parteien «auf den Pfad der Tugend zurückzubringen», die CVP bewege sich aber nach links und der FDP sei egal, ob bei den Wahlen die SP oder die SVP zulege. In der Folge kam es zu gegenseitigen Schuldzuweisungen via Medien. Laut Christophe Darbellay verabschiede sich die SVP aus dem bürgerlichen Lager, weil sie keine Hand für Lösungen biete. Zurückhaltender zeigte sich Philipp Müller. Man dürfe nicht nur auf die Differenzen zeigen, sondern müsse auch darauf schauen, was die bürgerliche Zusammenarbeit bereits gebracht habe. Die FDP halte deshalb am Schulterschluss fest, weil es ihr um den Erhalt von Arbeitsplätzen gehe. Die in der Herbstsession von der bürgerlichen Mehrheit gegen den Willen der eigenen Bundesratsmitglieder gutgeheissenen Deregulierungsvorstösse wurden denn etwa von der Aargauer Zeitung als «Lebenszeichen» für die angekündigte bürgerliche Zusammenarbeit interpretiert.

Bürgerlicher Schulterschluss in der Wirtschaftspolitik

2014 beteiligten sich verschiedenste Akteure an der Diskussion um den Service public. Die NZZ liess beispielsweise Reformbestrebungen im Sinne einer leistungsorientierten Rundfunkfinanzierung diskutieren. Die Denkfabrik Avenir Suisse verband ihre Skepsis gegenüber staatlichen Eingriffen mit dem Vorschlag, die SRG in eine Art Agentur umzuwandeln, welche multimediale Inhalte privaten Dritten zur freien Verbreitung anbieten würde. Letzteren Vorschlag betitelte der Medien-Redaktor der Weltwoche als "kommunistisches Ideal einer zentralistischen Medienlenkung", da dies dazu führen würde, dass Privatsender aus Kostengründen auf die Produktion eigener Sendungen verzichten würden. Weit weniger radikale Änderungsvorschläge standen an der von der EMEK organisierten Anhörung zum Service public auf der Tagesordnung. Der Verband Schweizer Regionalfernsehen beispielsweise brachte die Idee zur Schaffung eines Kernauftrages im Bereich Information und Kultur ein; der Bereich Unterhaltung würde in eine Mischzone verlagert, wo Beiträge durch Auftragsvergabe nach öffentlichem Ausschreibverfahren festgelegt würden.

Diskussion um den Service public

Als Reaktion auf das Ja zur Masseneinwanderungsinitiative forderte Parteipräsident Christian Levrat in einem ganzseitigen offenen Brief im "Blick" eine Umsetzung des Begehrens, die möglichst nahe am Volkswillen sei. Die Initiative sei auf dem Land angenommen, in der Stadt aber verworfen worden. Deshalb seien die Massnahmen für die Umsetzung vor allem auf die ländlichen Regionen zu konzentrieren. Levrat forderte neben einer Verschärfung des Raumplanungsgesetzes und der wortgetreuen Umsetzung der Zweitwohnungsinitiative auch eine Beschränkung der Zahl ausländischer Arbeitskräfte für die Landwirtschaft, mehr Kontrollen gegen Schwarzarbeit in ländlichen Gebieten oder die Erhöhung von Hypozinsen in peripheren Regionen. Wenn Kontingentsysteme eingeführt würden, so müssten diese nach Branchen und Kantonen festgelegt werden, wobei die Städte die grössten Kontingente an ausländischen Facharbeitern erhalten müssten. Mit diesen Forderungen wollte Levrat provozieren und die SVP-Versprechungen "entlarven". Er weckte dabei zahlreiche empörte Gegenreaktionen der Initianten. Ende Juni veröffentlichten die Sozialdemokraten dann ihre ernster gemeinten Vorschläge für eine Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative. Sie wandten sich gegen die Idee von Kontingenten und wollten der Abhängigkeit von ausländischen Fachkräften durch innenpolitische Reformen Herr werden. Frauen und ältere Arbeitnehmende müssten im Markt behalten werden. Zudem soll ein von Arbeitgebern gespeister Fonds geschaffen werden, mit dem die Kosten für die Integration gedeckt werden sollen. Firmen, die ausländische Fachkräfte engagieren, müssten in diesen Fonds einzahlen. Zudem sollen Steuerprivilegien für Ausländer – etwa die Pauschalbesteuerung – abgeschafft werden. Parteiintern stiessen die Forderungen allerdings auch auf Skepsis. Es sei nicht an der SP, für eine fremdenfeindliche SVP-Initiative völkerrechtlich verträgliche Umsetzungskonzepte zu finden – gab etwa Cedric Wermuth (sp, AG) zu Protokoll. Das Papier wurde an der Delegiertenversammlung Ende Oktober in Liestal ausführlich und emotional diskutiert. Letztlich wurde es gutgeheissen, aber auf Antrag der St. Galler und der Waadtländer Kantonalsektion wurde die Idee des Integrationsfonds gestrichen.

Umsetzungsvorschlag der SP zur Masseneinwanderungsinitiative
Dossier: Masseneinwanderungsinitiative

Gewohnt dezidiert richtete sich die SVP in ihrer Europapolitik gegen alle Annäherungsversuche an die EU. Der Bundesrat sei mit seinen Vorschlägen zu institutionellen Fragen bereits im Jahr 2012 viel zu weit gegangen. Die Schweiz sei jedoch auf keine neuen Abkommen mit der EU angewiesen. Harsch fiel die Reaktion der Volkspartei denn auch aus, als die EU-Kommission Anfang 2013 vorschlug, über eine Weiterführung der Kohäsionszahlungen zu diskutieren. Als der Bundesrat Ende August ein Mandat zu Verhandlungen mit der EU über institutionelle Reformen vorstellte, sprach Parteipräsident Brunner an der Delegiertenversammlung in Genf von „Landesverrat“ und „nötigem Widerstand“. Das Mandat sei nicht nur eine Selbstaufgabe, mit der fremde Richter akzeptiert würden, sondern es käme einem schleichenden EU-Beitritt gleich. Der Widerstand müsse wie schon vor 20 Jahren gegen den EWR stark sein und die Kräfte gebündelt werden. Ruhiger wurde es im Berichtjahr um die im Vorjahr von Christoph Blocher angekündigte Anti-EU-Gruppe. Mitte Januar wurde in der Presse vermeldet, dass das Vorhaben gescheitert sei, weil von den anderen Parteien zu wenig Sukkurs komme. Man wolle sich deshalb eher auf eine reine SVP-Denkfabrik konzentrieren. Ende November wurde dann allerdings bekannt, dass die SVP, vor allem auf Antrieb von Christoph Blocher, mit dem Aufbau von Strukturen für eine Kampfgruppe gegen eine allfällige Abstimmung zu neuen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU schon weit fortgeschritten war. Ein entsprechender Verein „Nein zum schleichenden EU-Beitritt“ war am 23. Oktober von Christoph Blocher, Ulrich Schlüer und Thomas Aeschi gegründet worden. Blocher nahm Einsitz im Präsidium. Bereits seien 40 zivilgesellschaftliche Organisationen beigetreten, darunter auch die Auns, die im Kampf gegen den EWR-Beitritt in den 1990er Jahren gegründet worden war.

Europapolitik

"L’Expérience Blocher", ein Dokumentarfilm des Westschweizer Filmemachers Jean-Stéphane Bron („Mais im Bundeshuus“) über den SVP-Übervater, löste schon vor der Uraufführung am Filmfestival in Locarno Mitte August Unmut aus. Es gehe nicht an, dass der Staat einen Film über einen derart umstrittenen Politiker finanziere, äusserten sich Exponenten der SP. Tatsächlich hatte die eidgenössische Filmförderung die Hälfte des Filmbudgets übernommen. Der Film zeigt die wenig spektakuläre Aufzeichnung verschiedener Wahlkampfauftritte vor den nationalen Wahlen 2011. Bron begleitete Blocher in stundenlangen Autofahrten zwischen diesen Auftritten und – so die NZZ-Filmkritik – verleihe dem Politiker Blocher, wohltuend entkrampfend, ein menschliches, sympathisches Gesicht. Der Mitte Oktober in den Kinos anlaufende Film vermochte die Zuschauer allerdings nicht zu überzeugen. Die Besucherzahlen blieben unter den Erwartungen.

L’Expérience Blocher

Mit ihrer Forderung nach staatlicher Förderung für Kinderkrippen, einer regulierenden Frauenquote oder ihrem Ja zum Familienartikel und zum revidierten Raumplanungsgesetz hatten die FDP-Frauen in der Partei für einigen Unmut gesorgt. Die Frauen selber prangerten in den Medien einen parteiinternen Rechtsrutsch an. Nach einer Aussprache zwischen der Mutterpartei und der Frauensektion wurde ein Verhaltenskodex vereinbart, mit dem die Koordination zwischen Mutterpartei, Jungfreisinnigen und FDP-Frauen verbessert werden soll. In einer Zukunftstagung im September debattierten die Frauen über Zukunft, Positionierung, Strukturen und politisches Programm der bereits 64-jährigen Frauensektion.

FDP-Frauen

Auch Natalie Rickli trug dazu bei, dass in den Medien mehr von Exponenten der Partei als von deren Inhalt berichtet wurde. Die junge Zürcherin, die bei den nationalen Herbstwahlen die meisten Stimmen aller Kandidierenden erhalten hatte, musste mit ihrer Gesundheit bezahlen, dass sie parteiintern zahlreiche Aufgaben übernommen hatte und auch in den neuen Medien – Facebook und Twitter – omnipräsent war. Aufgrund eines Burn-outs legte sie ab Mitte September eine mehrwöchige Pause ein und zog sich aus der Öffentlichkeit zurück. In der Folge wurde in den Medien über die zunehmende Belastung im politischen Milizsystem debattiert.

Burn-Out bei Natalie Rickli

Bei der Lancierung der Ausschaffungsinitiative 2011 hatte ein provokatives Inserat der SVP-Kampagne die Gemüter erregt. Einige Zeitungen weigerten sich sogar, die Annonce mit der Unterschrift „Kosovaren schlitzen Schweizer auf!“ abzudrucken. Zwei Kosovaren aus dem Kanton Zürich erstatteten in der Folge Strafanzeige wegen Verstosses gegen die Antirassismus-Strafnorm. Die Staatsanwaltschaften der Kantone Zürich und Bern hatten sich in der Folge über ein Jahr lang über die Zuständigkeit und den Gerichtsstand gestritten. Das Bundesstrafgericht wies den Fall Bern zu, wo die Strafuntersuchung allerdings eingestellt wurde. Dagegen führte die Anklage allerdings erfolgreich Beschwerde. Das Obergericht des Kantons Bern wies die Staatsanwaltschaft darauf hin, dass der Fall zwingend einem unabhängigen Strafgericht überlassen werden müsse. Angezeigt wurde schliesslich Toni Brunner, der als Parteipräsident und Wahlkampfleiter die Verantwortung übernahm. Allerdings wurde die Immunität Brunners von den zuständigen Parlamentskommissionen geschützt.

Debatte und Gerichtsverfahren wegen SVP-"Schlitzerplakat"

Im Falle der unbedarften Aussage der Aargauer Grossrätin und CVP-Kommunikationsleiterin Marianne Binder bei einer Diskussionssendung in einem regionalen Fernsehen zeigte sich der Parteivorstand der SVP kulant. Binder hatte die Politik der Volkspartei mit derjenigen von Pol Pot, dem kambodschanischen Diktator, verglichen. Obwohl empörte SVP-Mitglieder rechtliche Schritte gefordert hatten, forderte die Parteileitung Binder lediglich dazu auf, für ihre „antidemokratische Äusserung“ in Form einer Spende Abbitte zu leisten. Man wolle den politischen Gegner mit Diskussionen schlagen und nicht vor dem Staatsanwalt, so die SVP. Binder kam der Bitte nach und spendete für die Kinderspitäler von Beat Richner in Kambodscha.

Disput zwischen der SVP und Marianne Binder (CVP)

Die SP-Frauen beschlossen aufgrund einer Online-Befragung, in Zukunft auch Männer in die Frauenorganisation aufzunehmen. Männer, die sich für Gleichstellungsthemen engagierten, würden nicht nur willkommene Inputs liefern, sondern sollen in Zukunft auch mitentscheiden können. Zudem diskutierten die Frauen öffentlich über mögliche Volksinitiativen, mit denen die Geschlechtergleichheit verbessert werden soll – etwa mit Hilfe einer nationalen Behörde, welche die Lohngleichheit überwacht, mit Hilfe von zusätzlichen Krippenplätzen oder mit verbindlichen Frauenquoten.

SP-Frauen

Eine markante Verschärfung der Gesetze forderte die FDP in der Sicherheitspolitik. Bisher Domäne der SVP, wollte die FDP auch in diesem Politikfeld Präsenz markieren. Mit Schnellverfahren gegen Kleinkriminelle, einer Aufstockung der Polizeicorps, härteren Urteilen gegen Drogenkriminelle und einer Erhöhung der Gefängnisstrafen wollen die Freisinnigen die steigende Kriminalität in den Griff bekommen. In einer Medienpräsentation zeichneten die beiden in ihren Kantonen für die Sicherheit zuständigen Regierungsräte Jacqueline de Quattro (VD) und Pierre Maudet (GE) sowie Nationalrat und Stadtpräsident von Solothurn Kurt Fluri ein düsteres Bild von der Sicherheitslage in der Schweiz. Problem seien insbesondere die laschen nationalen Gesetze. Nur mit Repression und einer härteren Gangart durch die Justiz könne die Sicherheit im Land verbessert werden.

Sicherheitspolitik

Auch im Berichtsjahr hatte die SVP Probleme mit rechtsextremistischen Äusserungen von Personen im Dunstkreis der Volkspartei. So waren etwa Ende Februar auf der Homepage der Kommunalsektion Widen (AG) in Text verpackte, aber durch Hervorhebung erkennbare rassistische Slogans aufgeschaltet worden. Ein SVP-Grossratskandidat in Solothurn sowie ein Mitglied einer Zürcher Lokalsektion machten Anfang Juni mit xenophoben Aussagen auf sich aufmerksam. Die WoZ fand Ende Juni einen Zusammenhang zwischen dem Thurgauer Grossrat Hermann Lei und der Internetseite www.adolf-hitler.ch. Mitte September musste der Präsident der SVP-Ortssektion Schwyz aufgrund eines rassistischen Facebook-Eintrages sein Amt niederlegen und aus der Partei austreten. Ende Berichtjahr entgleiste ein Vorstandsmitglied der SVP Steffisburg (BE) mit einem wüsten Facebook-Kommentar gegen die Befürworter des Plastiksack-Verbots (vgl. dazu oben, Teil I, 6d; Abfälle). Auch gegen den Zürcher Kantonalpräsident Alfred Heer, der sich in einer Fernsehsendung abschätzig über nordafrikanische Asylbewerber geäussert hatte, wurde eine Strafanzeige eingereicht. Kritiker warfen der Partei mangelnde Sensibilität, naive Geschichtsblindheit und eine zu wenig harte Linie gegen rechtsextreme Parteimitglieder vor. Generalsekretär Martin Baltisser rief mit einem offenen Brief via Homepage die Ortssektionen zu mehr Verantwortung auf. Rassistische und fremdenfeindliche Aussagen würden in der SVP nicht toleriert. Fehlbare Personen würden aus der SVP ausgeschlossen. In der Presse wurde argumentiert, dass die SVP die Geister, die sie mit der Integration der Parteien am rechten Rand gerufen habe, nun nicht mehr loswerde. Das rechtsextreme Gedankengut sei nicht einfach verschwunden. Die Radikalisierung am rechten Rand sei aber auch auf die Politik der SVP zurückzuführen.

rechtsextremistischen Äusserungen

Eine Frauenquote per Gesetz forderten die FDP-Frauen anlässlich eines Treffens Anfang September. Zwar sei man nach wie vor gegen Etatismus, der Staat müsse aber eingreifen, wenn die Chancengleichheit faktisch nicht existiere, erklärte die Präsidentin der FDP-Frauen Carmen Walker-Späh (ZH). In zwei Schritten soll der Frauenanteil in den Kaderstellen angehoben werden: Vorangehen sollen erstens die öffentlichen Verwaltungen und die bundesnahen Betriebe. Zweitens sollen börsenkotierte Unternehmen, falls freiwillige Massnahmen nicht fruchten, verpflichtet werden können, eine zeitlich befristete Quote einzuführen.

FDP-Frauen fordern Frauenquote

An der Delegiertenversammlung in Basel Ende August äusserte sich die Parteispitze zur Sicherheitspolitik. Angeprangert wurden die Kriminalität von Asylbewerbern und der lasche Umgang der Polizei und der Justiz damit. Statt auf Sicherheit zu setzen, würde die Staatstätigkeit ausgedehnt. Zudem dauerten Asylverfahren viel zu lange. Auf den arabischen Frühling müsse in der Schweiz ein Winter der Sicherheit folgen.

Sicherheitspolitik

Ende Juli bekräftigte die SP ihre Opposition gegen den Bau einer zweiten Gotthardröhre. Dieser würde in eine verkehrspolitische Sackgasse führen und sei eine Sabotage an der Verlagerungspolitik. Um den Gotthardtunnel sanieren zu können, müssten vielmehr Autoverladestationen und eine rollende Landstrasse eingerichtet werden.

SP wehrt sich gegen den Bau einer zweiten Gotthardröhre