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Die von Credit Suisse im Rahmen des Sorgenbarometers in Auftrag gegebene Umfrage zum Thema Nationalstolz zeigte, dass von den rund 1'000 Befragten insgesamt 90% sehr stolz oder eher stolz (je 45%) sind auf die Schweiz. Stolz ist man insbesondere auf die Neutralität (96% der Befragten), auf die Unabhängigkeit der Schweiz (96%), die Volksrechte (92%) und das Zusammenleben der Sprachregionen (91%). Internationale Befragungen zeigen, dass die Schweizer Bevölkerung im Vergleich mit anderen Ländern eher wenig Nationalstolz aufweist.

Nationalstolz

Die SP will 2015 dem sich zum 70sten Mal jährenden Ende des Zweiten Weltkriegs gedenken. Eine Motion Jacqueline Fehr (sp, ZH) fordert den Bundesrat auf, Gedenk- und Dankesfeiern zu koordinieren und zu unterstützen. Die Motionärin macht geltend, dass erst durch die von den Alliierten erbrachten Opfer ein friedliches Europa möglich geworden sei. Die Schweiz habe bis heute den Opfern nie offiziell gedacht. Der Bundesrat empfahl die Motion zur Annahme; er begrüsse Gedenkfeiern. Die Regierung verwies auf mögliche, durch den Europarat koordinierte Festakte, die sie zu unterstützen gedenke. Die Mitwirkung bei anderen, noch nicht bekannten nationalen oder internationalen Festakten sei zu prüfen. Die Motion wurde dann allerdings von Mörgeli (svp, ZH) bekämpft, was ihre stillschweigende Annahme verhinderte und die Debatte verschob.

Ende des Zweiten Weltkriegs

2015 wird es 200 Jahre her sein, seit die damaligen Grossmächte der Schweiz am Wiener Kongress nicht nur immerwährende Neutralität zuerkannten, sondern den Staatenbund auch um Genf, Neuenburg und Wallis erweiterten. Die drei Westschweizer Kantone planen Festakte zu ihrem 200-Jahr-Jubiläum, wobei einzelne Jubiläumsakte bereits 2014 Gestalt annahmen. Am 12. September des Berichtsjahres hielten die Regierungen der drei Kantone ihre Sitzungen in Bern ab. Das Datum wurde gewählt, weil just 200 Jahre früher die Tagsatzung entschlossen hatte, die drei unter napoleonischem Einfluss stehenden, aber schon längere Zeit lose mit der Eidgenossenschaft verbundenen Gebiete wie von den Grossmächten geplant aufzunehmen, was allerdings beim Wiener Kongress bestätigt werden musste. Im Kanton Genf hatten die Feierlichkeiten gar bereits im Dezember 2013 begonnen, als wie jedes Jahr die Restauration, also der Abzug der französischen Truppen, gefeiert wurde. Der Kanton Neuenburg feierte das Ereignis Mitte September mit kleineren Anlässen, während im Kanton Wallis erst für 2015 Festivitäten geplant sind. Weniger Anlass zum Feiern sind die Entscheide des Wiener Kongresses im Kanton Jura. 1815 wurde das jurassische Territorium des Fürstbischofs von Basel dem Kanton Bern zugeschlagen, um diesen für den Verlust der Untertanengebiete Aargau und Waadt zu entschädigen. Die vor 200 Jahren in Wien gefällten Entscheide sorgten damit auch dafür, dass die Schweiz zu einem Staat mit einer gewichtigen französischsprachigen Minderheit werden sollte.

Wiener Kongress

In der Stadt Baden (AG) wurde Anfang September des Friedensschlusses von 1714 gedacht. Hier wurde vor dreihundert Jahren der Spanische Erbfolgekrieg beigelegt. Die Verhandlungen gelten als erster internationaler Friedenskongress auf Schweizer Boden und als frühes Beispiel der „Guten Dienste“ der Schweiz. Zum Jubiläum fanden sich neben Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf auch National- und Ständeräte aus Kantonen der damaligen, 13 Orte umfassenden alten Eidgenossenschaft sowie diplomatische Vertreter der europäischen Länder, die seinerzeit am Friedensprozess beteiligt gewesen waren, ein. Während Widmer-Schlumpf die Bedeutung der Schweiz als Vermittlerin hervorhob, betonte Jakob Kellenberger – Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz – die Bedeutung der EU als Friedensprojekt.

Friedensschlusses von 1714

Die 2013 im Fernsehen SRF ausgestrahlte Themenreihe zur Geschichte der Schweiz hatte nicht nur für einige Kontroversen gesorgt, sondern auch eine Beschwerde nach sich gezogen, die mt einem Entscheid vom 20. Juni 2014 von der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) abgewiesen wurde. Die Kritik, es seien lediglich männliche Persönlichkeiten dokumentiert, ein veraltetes Geschichtsbild vermittelt und Gewalt verherrlicht worden, wurde von der UBI mit dem Hinweis zurückgewiesen, dass es sachliche Gründe für die untergeordnete Position der Frauen in der Schweizer Geschichte gebe und dass die Gewalt keinem Selbstzweck gedient habe. Für die Frage nach der Art der Geschichtsvermittlung sah sich die UBI mit Blick auf die Programmautonomie von SRF nicht zuständig. Die 2014 ausgestrahlte siebenteilige Histotainment-Serie „Anno 1914“ konnte nicht mehr an den Erfolg von 2013 anknüpfen.

Geschichtsbild

2015 jährt sich die Eroberung des Kantons Aargau durch die acht Alten Orte zum 600sten Mal. Die Errichtung von Gemeinen Herrschaften im ehemaligen habsburgischen Baden und im Freiamt gilt als wichtige und verstärkende Klammer der Allianz der alten Eidgenossenschaft. Der Kanton plant deshalb für das Jubeljahr eine Reihe von Festivitäten.

Eroberung des Kantons Aargau

Seit die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft (SGG) 2013 ihre strengen Nutzungsbedingungen für die von ihr verwaltete Rütli-Wiese gelockert hat, sind Parteien und andere Organisationen berechtigt, politische Veranstaltungen bei der Wiege der Nation abzuhalten. Dies war bis anhin strikte untersagt gewesen. Allerdings will die SGG nach wie vor verhindern, dass der bedeutende Standort für Propaganda-Aktivitäten, partikuläre politische Ziele oder kommerzielle Zwecke missbraucht wird. Besuchergruppen mit mehr als 50 Personen benötigen deshalb nach wie vor eine Bewilligung durch die SGG, und Veranstaltungen zu Themen, über die in den folgenden drei Monaten abgestimmt wird, oder Parteiversammlungen in den sechs Monaten vor eidgenössischen oder kantonalen Wahlen bleiben verboten. Ebenfalls untersagt bleiben sollen Anlässe, die sich gegen bestimmte Gruppen richten, die gesellschaftlich-kulturelle Vielfalt nicht akzeptieren oder thematisch polarisieren. Die SGG hatte das vorher geltende Parteiverbot seit dem Zweiten Weltkrieg konsequent durchgesetzt. Für Probleme hatte über längere Zeit die rechtsextreme Szene gesorgt, die das Rütli immer wieder für Propaganda-Zwecke missbraucht hatte. Wirbel hatten im Mai 2011 zudem ein unbewilligter Anlass der SVP auf dem Rütli sowie das kurz darauf erteilte Verbot an verschiedene Innerschweizer CVP-Kantonalparteien verursacht, die Wiese für eine Rede von Bundesrätin Doris Leuthard zur Verfügung zu stellen. Es waren just diese zwei Parteien, die beim Bundesrat Druck für eine Öffnung des Rütlis für politische Organisationen machten. Zwar wurde eine Motion der SVP in den Räten nicht behandelt, ein Postulat Glanzmann-Hunkeler (cvp, LU) brachte die Regierung und die SGG aber an einen gemeinsamen Tisch, worauf die Rütli-Verwalterin schliesslich einlenkte. Glanzmann-Hunkeler zeigte sich froh ob dem neuen Reglement. Weniger zufrieden war die SVP, die – wie in einer im März 2014 eingereichten Interpellation von Peter Keller (svp, NW) angedeutet – befürchtete, zur auf der Wiege der Nation unerwünschten Partei erklärt zu werden, da sie als Partei notwendigerweise polarisierende Themen anpacke. Ob der Antwort des Bundesrates, er vertraue als Oberaufsicht über die SGG, dass die Gesellschaft die Benutzerordnung mit dem notwendigen Augenmass anwenden werde, zeigte sich der Interpellent nicht befriedigt. Im November 2014 ärgerte sich alt-Bundesrat Christoph Blocher in der Sonntagspresse über den durch die SGG verhängten „Maulkorb für Politiker“.

Bundesfeier auf dem Rütli

Auch 2014 war die direkte Demokratie Auslöserin für Gedanken und Polemik zur nationalen Kohäsion. Allen voran das Ja zur Masseneinwanderungsinitiative sorgte für zahlreiche Reaktionen. So wurde etwa der sich bei der Abstimmung zeigende Sprachgraben kurz nach dem Urnengang vom ehemaligen SVP-Bundesrat Christoph Blocher mit einem „schwächeren Bewusstsein der Welschen für die Schweiz“ erklärt. Diese in einem Interview mit der BaZ gemachte Aussage sorgte auf beiden Seiten der Saane für teilweise harsche Reaktionen. Künstlerisch wurde die Aussage vom Maison du dessin de presse in Morge verarbeitet, wo eine Ausstellung mit dem Titel „Les Romands sont-ils Suisses?“ mit verschiedenen Karikaturen zum Thema stattfand. Blocher hatte bereits Anfang Januar – wie bereits vor der EWR-Abstimmung 1992 – Niklaus von Flüe bemüht, der gemahnt haben soll, den Zaun nicht zu weit zu machen. Die sich auf der Verliererseite breit machende Konsternation verschaffte sich in einigen Unmutsbekundungen Luft. So demonstrierten Anfang März auf Aufruf eines Bündnisses von verschiedenen Parteien, Gewerkschaften und Ausländerorganisationen rund 12'000 Personen auf dem Bundesplatz für eine offene und solidarische Schweiz. Mehrere Organisationen – ähnlich wie noch 1992 nach dem EWR-Nein – wurden ins Leben gerufen, so etwa die Aktion Libero, die sich unter anderem für den Erhalt der bilateralen Verträge einsetzen will. Mitte Oktober riefen über 100 Persönlichkeiten, darunter etwa auch die alt-Bundesräte Pascal Couchepin (fdp, VS) und Micheline Calmy-Rey (sp, GE) zu einem Überdenken der negativen Einstellung zur europäischen Integration der Schweiz auf. Die Weltoffenheit der Schweiz und die guten wirtschaftlichen Beziehungen zur EU waren zudem häufiger Gegenstand der behördlichen 1.-August-Reden. Ausnahme bildete Bundesrat Maurer, der Carl Spittelers „Standpunkt“ als Appell für die Eigenständigkeit und Neutralität der Schweiz zitierte. Beklagt wurde im Berichtjahr auch hie und da ein Wandel von der Konkordanz zur „Diskordanz“: Die noch 2011 mit der Stärkung der „neuen“ Mitte einhergehende Hoffnung auf ein Ende der Polarisierung habe sich zerschlagen, die Regierungsparteien seien nicht mehr an Kompromissen interessiert und die Stimmbevölkerung – aufgehetzt von Brandstiftern – habe auf Fundamentalopposition geschaltet. Die Schweizer Politik müsse wieder zu mehr Verständigung zurückkehren. Bei einer im August veröffentlichten GfS-Umfrage bei rund 1000 Befragten unterstützten 75% die Forderung nach mehr Kompromissbereitschaft, um das politische System zu stärken und zu deblockieren. Für Diskussionen sorgten die Vorwürfe der Parteipräsidenten der SP und der BDP: Martin Landolt (bdp, GL) wie auch Christian Levrat (sp, FR) warfen der SVP „faschistoide Tendenzen“ vor. Levrat begründete dies damit, dass die Volkspartei die Institutionen verleumde, Völker- und Menschenrechte angreife und das Asylrecht abschaffen wolle. Auch der Parteipräsident der BDP, Martin Landolt, attackierte die SVP und warf ihr eine die menschliche Würde missachtende und heuchlerische Politik vor. Er frage sich, bis zu welchem Punkt eine Politik „noch brauner werden“ müsse, „bis alle merken, dass sie stinkt“. Die als „provozierender Elektroschock“ (Levrat) gedachten Vorwürfe stiessen auch bei Rechtsextremismus-Experten auf Kritik. Während CVP-Präsident Darbellay eine gewisse Radikalisierung der SVP nicht abstreiten, dafür aber keine Vergleiche mit dem Faschismus anstellen wollte, kritisierte der Parteipräsident der FDP, Philipp Müller (AG), die Debatte als „daneben“. Nicht zu den Vorwürfen äussern wollte sich SVP-Parteipräsident Toni Brunner (SG). In den Medien wurden die Vorwürfe unterschiedlich kommentiert. Während die NZZ etwa darauf hinwies, dass die politischen Debatten in der Regel sachlich blieben, wurden die Parteichefs im Blick als Politclowns betitelt. Die Ablehnung der teilweise als Schicksalsabstimmungen bezeichneten drei Initiativen, die im November zur Abstimmung gelangten – Ecopop-Initiative, Abschaffung der Pauschalbesteuerung und Goldinitiative – schien zumindest vorübergehend die Diskussionen um den nationalen Zusammenhalt etwas zu beruhigen.

Verlust des politischen und gesellschaftlichen nationalen Zusammenhalts

2014 wurde von der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG) der Wettbewerb um eine neue Nationalhymne eröffnet. Bis zur Ende Juni ablaufenden Einreichefrist gingen mehr als 200 mehrheitlich deutsch- (129) und französischsprachige (60) Vorschläge für einen neuen Schweizerpsalm ein. Auch zehn rätoromanische und sieben italienische Texte fanden sich unter den Vorschlägen. Das Wettbewerbsreglement verlangt, dass sich der Text in einer der vier Landessprachen an der Präambel der Bundesverfassung orientiert sowie die Begriffe Freiheit, Solidarität und Demokratie beinhaltet. Melodisch kann die Eingabe an den alten Psalm angelehnt werden oder eine Neukomposition vorschlagen. Die Intention der SGG war laut dem SGG-Präsidenten Jean-Daniel Gerber insbesondere, die Nationalhymne mit einem weniger sperrigen und inhaltlich moderneren Text aufzufrischen. Eine Jury aus Kulturschaffenden, Journalisten und Sportfunktionären aus allen Landesteilen wählte bis Ende Jahr sieben Beiträge aus, die in der Folge in alle Landessprachen übersetzt und von einem professionellen Chor intoniert werden sollen. Im Frühling 2015 sollen vom Publikum drei Finalisten gekürt werden, von denen im Sommer 2015 der Siegerbeitrag bestimmt werden soll. Das Ansinnen stiess allerdings vor allem auf nationalkonservativer Seite auf Widerstand. Neben Protestvoten der AUNS und zahlreichen Schmähbriefen an die Adresse der SGG wurde mit Peter Keller (svp, NW) auch ein SVP-Bundesparlamentarier aktiv. Bereits 2013 hatte Keller eine Interpellation eingereicht, mit der er den Bundesrat anfragte, wie dieser die Kritik am Schweizerpsalm beurteile und was er zu tun gedenke, wenn ihm die SGG einen Vorschlag unterbreite. Der Bundesrat wies in seiner Antwort darauf hin, dass die Nationalhymne seit ihrer Einführung umstritten sei und das Vorgehen der SGG nicht zu beanstanden sei, da es sich lediglich um einen Vorschlag handle. Keller erklärte sich nicht befriedigt und reichte eine 2014 noch nicht behandelte Motion ein (Mo. 14.3336), mit der der Bundesrat aufgefordert wird, der „dümmlichen Casting-Show“ Einhalt zu gebieten und eine allfällige neue Hymne dem Parlament als referendumsfähigen Beschluss vorzulegen. Die Exekutive empfahl die Motion zur Ablehnung und betonte, dass sie eine neue Hymne nicht in eigener Kompetenz und ohne Konsultation der Räte beschliesse. Ende Jahr doppelte Yvette Estermann (svp, LU), Fraktionskollegin von Keller, mit einer Motion nach, mit welcher der Schweizerpsalm als Staatssymbol geschützt werden soll (Mo. 14.4244). Die Landeshymne sei als wichtiges Symbol zu bewahren und dürfe nicht nach Belieben verändert werden. Die Antwort des Bundesrates auf die Motion stand Ende 2014 noch aus. Kurz vor dem 1. August veröffentlichte die Luzerner CVP-Kantonalsektion ein Manifest, in welchem der Bundesrat zur Beibehaltung der Landeshymne aufgerufen wird. Das Manifest wurde in der Folge von allen Innerschweizer CVP-Sektionen unterstützt und in eine Resolution umgewandelt, in welcher die Landesregierung aufgefordert wird, sämtliche Aktivitäten für eine neue Hymne zu beenden.

Neue Nationalhymne?
Dossier: Bedeutung der Nationalhymne und Erneuerungsversuche

Der hundertste Jahrestag des Ausbruchs des 1. Weltkriegs war für verschiedene Akteure Anlass, die Rolle der Schweiz während dieser Zeit zu beleuchten. Die Schweiz wurde damals vom Krieg weitgehend verschont. Dies wurde in verschiedenen Stellungnahmen auf den entschiedenen Wehrwillen und die Abwehrfestungen, aber auch auf die Rohstoffarmut zurückgeführt, die die Schweiz als Angriffsziel unattraktiv machten. Geboren wurde damals die Vorstellung von der Schweiz als geeinte, humanitäre und barmherzige Friedensinsel inmitten des barbarischen Krieges. Dieses Bild wird von Seiten der Geschichtswissenschaft als zumindest teilweise verklärt betrachtet. So war die Schweiz zum einen auf Rohstoffimporte angewiesen, zum anderen riss der Krieg, bzw. vielmehr die unterschiedliche Parteinahme in den Sprachregionen, einen Graben auf, der lange Zeit offen blieb. Diesen Graben vermochte auch der zu einem eigentlichen Mythos gewandelte Aufruf Carl Spittelers für einen gemeinsamen, neutralen Standpunkt nicht zu schliessen. Sympathisierte die Deutschschweiz mehrheitlich mit Deutschland, ergriff die Westschweiz eher für Frankreich Partei. Die Schweiz wurde so zu einem eigentlichen Propagandaschlachtfeld.

1. Weltkriegs

In der Parteipolitik heftig umstritten ist die Bedeutung der Schlacht bei Marignano, die sich 2015 zum 500sten Mal jährt. Bei der Auseinandersetzung in der Nähe des heutigen Melegnano in Italien sollen innert weniger Stunden 10'000 eidgenössische Krieger ihr Leben verloren haben. Obwohl geschichtswissenschaftlich bestritten, gilt die Schlacht vor allem in nationalkonservativen Kreisen als zentraler Markstein der Schweizer Geschichte, da dort der Grundstein gegen eine schweizerische Expansionspolitik und für die Neutralität gelegt worden sei. Für die Linke ist Marignano einer von vielen Kriegsmythen, die dekonstruiert werden müssen. Die Wurzeln der Schweiz sieht die Linke eher in der Gründung des Bundesstaates. Die von alt-Bundesrat Philipp Etter gegründete Stiftung Pro Marignano begann im Berichtsjahr mit der Planung eines historischen Schiessens und einer Gedenkfeier beim Schlachtendenkmal in Zivido.

Marignano

Eine im Sommer 2014 von einem Künstlerduo aufgeschaltete Online-Umfrage mit dem Namen „Point de Suisse“ ermöglichte interessante Einblicke in die Entwicklung der Befindlichkeit der Schweiz. Die Fragen waren nämlich jenen einer an der Landessausstellung 1964 in Lausanne stattgefundenen Befragung sehr ähnlich, die damals für Furore gesorgt hatte, weil sie nach Kritik durch die Bundesregierung erst nach einigen Überarbeitungen durchgeführt werden konnte. Im Juli hatten sich rund 5'000 Personen an der Internet-Umfrage beteiligt; bereits vorher war eine repräsentative Umfrage durchgeführt worden. Diese zeigte unter anderem, dass sowohl 1964 wie auch 2014 eine Mehrheit der Befragten findet, dass kein guter Schweizer sei, wer nicht an Abstimmungen und Wahlen teilnehme. Im Vergleich erwiesen sich die Befragten von 2014 in verschiedenen Punkten toleranter. So wurde 1964 jemand, der erst um neun Uhr aufsteht, als unschweizerisch betrachtet – davon kann 2014 keine Rede mehr sein.

Befindlichkeit der Schweiz

Auch 2015 wird es zu einigen Jubiläen kommen, die sowohl hinsichtlich Organisation, aber auch bezüglich historische Deutung ihre Schatten ins 2014 warfen (Schlacht am Morgarten 1315, Eroberung des Aargaus 1415, Schlacht bei Marignano 1515, Wiener Kongress 1815 oder Ende des Zweiten Weltkrieges 1945). Die Festivitäten für die Jubiläen werden bisher samt und sonders von Privaten oder den Kantonen geplant und getragen. Der Bundesrat hielt sich bisher auffällig zurück. In ihren Antworten auf entsprechende Interpellationen, die sich nach dem Einsatz des Bundes erkundigten, erklärte die Regierung, dass sich die Eidgenossenschaft bei Erinnerungsfeiern für historische Ereignisse bisher immer eher zurückhaltend gezeigt habe. Der Bund könne aber eine koordinative Tätigkeit übernehmen und unterstütze die geplanten Ausstellungen des Landesmuseums. Seitens des Bundes seien bisher lediglich drei Jubiläen aktiv durchgeführt worden: 1891 (600 Jahre Eidgenossenschaft), 1941 (650 Jahre Eidgenossenschaft) und 1991 (700 Jahre Eidgenossenschaft). Hingegen hatte die Regierung noch 2013 eine Motion Markwalder (fdp, BE) zur Annahme empfohlen, die den Bund aufforderte, den vierzigsten Jahrestag der Ratifikation der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) gebührend zu feiern. In seiner positiven Antwort bot der Bundesrat seine Beteiligung an verschiedenen Aktivitäten an, bei denen die Bedeutung der EMRK bewusst gemacht werden soll, an denen aber auch kritische Auseinandersetzungen mit der Konvention möglich sein sollen. Im Rat war die Annahme allerdings von Schwander (svp, SZ) bekämpft worden. In eine ähnliche Kerbe hieb das noch nicht behandelte Postulat Müller-Altermatt (cvp, SO), das einen Bericht verlangt, mit dem die wichtigsten Ereignisse beschrieben werden sollen, die verantwortlich sind für die Erlangung der bürgerlichen Freiheiten in der Schweiz. Für die Willensnation Schweiz sei es zentral zu wissen, welche Grundwerte und Ereignisse diese ausmachten. Der Bericht solle dann Grundlage bilden für Gedenkfeiern, Kampagnen oder Schriftlichkeiten, mit denen die Kenntnisse über die Erringung der bürgerlichen Freiheiten vertieft und die Willensnation Schweiz gestärkt werde. Unterschiedliche Geschichtsbilder und entsprechend unterschiedliche Betonungen der verschiedenen Jubiläen lassen sich auf der Links-Rechts-Achse verorten. Während die rechts-konservative Seite die alten Schlachten (Morgarten, Marignano) als wegweisende Wurzeln der heutigen Schweiz ehren will, sieht die Linke hier eher zu dekonstruierende Mythen. Gemäss der Linken seien die Wurzeln der Schweiz vielmehr in modernen Ereignissen zu verorten, wie etwa der Gründung des Bundesstaates 1848 oder der sich 2015 zum 70sten Mal jährenden Befreiung Europas. Bei ihrer Delegiertenversammlung im Juni in Winterthur begann die SP ein Jubiläum für das Oltener Aktionskomitee und den Landesstreik von 1918 zu planen.

Jubiläen

Unterstützung zum Thema Schweizer Fahne fand eine Motion Estermann (svp, LU), die eine dauerhafte Beflaggung des Bundeshauses verlangt. Der Charakter des Bundeshauses – das von einigen Touristen für eine Kirche gehalten werde – als Sitz der Volksvertretung solle so verdeutlicht werden. Bisher wurde die Schweizer Fahne lediglich anlässlich der Sessionen gehisst. Der Bundesrat empfahl die Motion zur Annahme und sprach sich für eine Abstufung aus: eine dauerhafte Beflaggung der beiden südlichen Kuppeln und wie bis anhin das Hissen der Schweizerfahne über dem Haupteingang während der Sessionen. Der Nationalrat überwies den Vorstoss stillschweigend an den Ständerat, der darüber 2014 noch nicht befand. Beflügelt durch den Teilerfolg reichte Estermann eine Interpellation ein, um vom Bundesrat zu erfahren, was er von einer Aufwertung der Staatssymbole halte, etwa durch die Beflaggung von öffentlichen Gebäuden – insbesondere Schulen. Hier sah die Regierung allerdings keinen Handlungsbedarf.

Beflaggung des Bundeshauses

Die Schweizer Flagge war in der Sommersession 2014 Thema im Nationalrat. Die Motion Amaudruz (svp, GE) hätte eine strafrechtliche Verfolgung bei Herabwürdigung der Schweizer Fahne oder kantonaler Flaggen verlangt. Die Motionärin machte geltend, dass extremistische Splittergruppen die Schweizer Fahne verunglimpften oder gar verbrannten. In der Ratsdebatte machte Bundesrätin Sommaruga deutlich, dass der Bundesrat das Ansinnen für übertrieben halte, weil das Beschädigen oder Verunglimpfen von offiziell angebrachten Hoheitszeichen bereits unter Strafe stehe. Das – straffreie – Verunglimpfen von Fahnen in Privatbesitz käme sehr selten vor und könne durchaus auch als Protest gegen den Staat aufgefasst werden, was im Hinblick auf die Meinungsfreiheit erwünscht sei. Der Grüne Christian van Singer (gp, VD) konnte sich die Frage nicht verkneifen, ob die Motionärin auch die Verwendung des Schweizer Kreuzes bei SVP-Inseratekampagnen unter Strafe stellen würde. Der Rat entschied sich mit 102 zu 60 Stimmen gegen den Vorstoss. Die Unterstützung kam dabei von der geschlossenen SVP-Fraktion; vereinzelte Stimmen erhielt das Ansinnen allerdings auch aus der CVP (3 Stimmen), der FDP (5 Stimmen) und der BDP (5 Stimmen).

Schweizer Fahne

In der gängigen Lehrmeinung ist der Föderalismus – neben dem Milizsystem und der direkten Demokratie – einer der zentralen Pfeiler des Politischen Systems der Schweiz. In der Tat scheint die Identifikation mit der Schweiz über das Verbundenheitsgefühl mit der eigenen Gemeinde und vor allem mit dem eigenen Kanton zu funktionieren – die abgelehnten Gemeinde- und Kantonsfusionen können hier als Indizien herangeführt werden. Allerdings geraten die Vielgliedrigkeit und das Subsidiaritätsprinzip immer stärker unter Druck: Globalisierung, Mobilität oder Kommunikationstechnologien scheinen die Organisation vieler Probleme auf nationalstaatlicher, ja internationaler Ebene vordringlich zu machen. Abhängigkeiten über Kantons- und Landesgrenzen hinweg machen föderale Lösungsansätze und das Subsidiaritätsprinzip obsolet. Zunehmender Zentralisierungsdruck (vgl. dazu das Föderalismus-Monitoring) machen dem Föderalismus zu schaffen. Der auch im Berichtjahr heftig umstrittene Finanzausgleich (vgl. dazu ausführlich Kapitel 5), aber auch die zunehmenden interkantonalen Konkordate scheinen lediglich Hilfskonstrukte zu sein, mit denen zwar die territoriale Gliederung erhalten wird, die letztlich aber ebenfalls zu einer Zentralisierung von Problemen beitragen. Eine lose Reihe von Beiträgen aus Wissenschaft und Praxis, die in der NZZ unter dem Stichwort „Föderalismus in Bewegung“ erschienen, wollte dem Spannungsfeld zwischen Subsidiarität und Zentralisierung auf den Grund gehen. Wurden auf der einen Seite ökonomische Gründe für die Überkommenheit des Kantönligeistes ins Feld geführt, wurde auf der anderen Seite darauf hingewiesen, dass die multiethnische Zusammensetzung der Willensnation Schweiz letztlich ohne föderale Organisation nicht bestehen könne. Die vorgebrachten Vorschläge, wie etwa eine grundlegende Reform der territorialen Strukturen über Kantonsgrenzen hinweg, Änderungen des Ständemehrs, Aufwertung der Städte oder Strukturen, die nichtterritorialen Minderheiten besser Rechnung tragen, waren allerdings nicht wirklich neu und wiesen darauf hin, dass der Föderalismus eine Dauerbaustelle bleiben wird. Auch die Teilnehmer an der Föderalismustagung – die alle vier Jahre stattfindet und von der CH-Stiftung organisiert ist, welche von den Kantonen getragen wird – kamen zum Schluss, dass sich an den 200-jährigen föderalistischen Strukturen in absehbarer Zeit kaum etwas ändern wird. Für grosse Reformen gehe es der Schweiz schlicht zu gut, so die Quintessenz.

Föderalismus Pfeiler des Politischen Systems

Während die Motion Quadri (lega, TI), welche das Hissen einer ausländischen Flagge nur dann gestatten wollte, wenn gleichzeitig eine gleich grosse Schweizer Fahne aufgezogen wird, abgeschrieben wurde, lag die Motion Amaudruz (svp, GE) noch auf der langen Bank. Letztere verlangt die strafrechtliche Verfolgung bei Herabwürdigung der eidgenössischen Flagge und ist bürgerlich breit abgestützt, wird aber – wie bereits die Motion Quadri – vom Bundesrat zur Ablehnung empfohlen.

Schweizer Fahne

Das Rütli war in den letzten Jahren wiederholt in die Schlagzeilen geraten, weil die rechtsextreme Szene sich die Wiese über dem Vierwaldstättersee als Treffpunkt für ihre 1.-August-Feiern ausgesucht hatte. Nach den Ausschreitungen von 2005, als rund 700 Neo-Nazis die Rede von Bundespräsident Samuel Schmid niederschrien, wurde die offizielle 1.-August-Feier an der Wiege der Nation nur noch unter grossen Sicherheitsvorkehrungen, massivem Polizeiaufgebot und mit Hilfe eines Ticketsystems durchgeführt. Im Berichtjahr verzichtete die rechtsextreme Szene zum ersten Mal seit 17 Jahren auf eine 1.-August-Feier auf dem Rütli. Aber nicht nur rechtsextreme Gruppierungen, sondern auch etablierte Parteien wollen das Rütli für eigene Anlässe nutzen und drängen auf eine Öffnung der Wiese. Als Antwort auf ein 2012 überwiesenes Postulat Glanzmann-Hunkeler (cvp, LU) – die schärfer formulierte Motion der SVP, die 2011 auf dem Rütli unerlaubterweise ein Parteitreffen abgehalten hatte, wurde im Berichtjahr abgeschrieben – hatte sich der Bundesrat für politische Veranstaltungen auf dem Rütli ausgesprochen. Damit stiess die Regierung bei der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG), der Verwalterin der Rütli-Wiese, vorerst allerdings auf taube Ohren. Die SGG untersagt in ihrer Benutzerordnung weiterhin die Nutzung der Wiege der Eidgenossenschaft für politische Anlässe gänzlich und verweist dabei auf die vor allem bei extremistischen Veranstaltungen gefährdete öffentliche Sicherheit. Darüber hinaus müsse eine ideologische, partikulär-politische oder wirtschaftliche Vereinnahmung des Rütlis verhindert werden. Die Wiese solle vor allem ein nicht-politischer Begegnungsort sein – eine Forderung, die die SGG mit der Einladung des Schweizerischen Fussballverbandes als Gast am 1. August 2013 noch zusätzlich unterstrich. Seit mehreren Jahren veranstaltet die SGG den Nationalfeiertag zusammen mit bedeutenden Schweizer Organisationen. Nach Gesprächen zwischen der Bundeskanzlei, dem Bundesrat und der SGG versprach letztere allerdings, das Verbot zu lockern und das Rütli künftig den Parteien zugänglich zu machen. Mit einem neuen Pächter solle das Rütli zudem auch für private Anlässe attraktiver werden. Weiter plant die SGG neben der Wiese einen Ausstellungsraum sowie einen Erlebnis- und Lernpfad zur Schweizer Geschichte. Nach wie vor braucht es aber für Anlässe mit mehr als 50 Personen eine Bewilligung von der SGG.

Bundesfeier auf dem Rütli

Das Geschichtsbild der Schweiz war im Berichtjahr auch Gegenstand einiger medialer Debatten. Anfang Juni veröffentlichte die Sonntagspresse eine harsche Kritik von Historikern, die eine vom EDA verantwortete Darstellung der Schweizer Geschichte unter dem Landeskunde-Portal Swissworld.org als skandalös und kreuzfalsch bezeichneten. Es werde ein überholtes, mythologisches Geschichtsbild der Schweiz gezeigt, dass nicht dem aktuellen Forschungsstand entspreche. Die pro Monat von rund 250 000 Nutzern besuchte Seite wurde in der Folge revidiert. Anlass zu grösseren nationalen Diskussionen lieferte ein im November vom Schweizer Fernsehen SRG in vier abendfüllenden Filmen ausgestrahlter Themenschwerpunkt mit dem Titel „Wir Schweizer“. Die an „Wir Deutschen“ angelehnte Sendung sollte die historischen Wurzeln der Schweiz beleuchten. Noch vor der Ausstrahlung wurde eine grosse Kontroverse geführt. Kritisiert wurde vor allem die Auswahl der historischen Figuren, da es sich samt und sonders um Männer handelte: Werner Stauffacher, Niklaus von der Flüe, Hans Waldmann, Guillaume-Henri Dufour, Alfred Escher und Stefano Franscini. Neben Frauenfeindlichkeit wurde der SRG auch ein überholtes, weil mit Mythen belastetes Geschichtsbild mit elitezentrierten Heldengeschichten vorgeworfen. Die Auswahl wurde allerdings auch verteidigt, da sie sprachregional ausgewogen sei und sich die Personifizierung für die Illustration historischer Fakten für ein breites Fernsehpublikum eigne. Zudem seien für die Produktion der Filme Historiker beigezogen worden. Die kritischen Stimmen wurden bei der Ausstrahlung der vierteiligen Doku-Fiktion, die mit Radiosendungen, Dokumentarsendungen, Expertengesprächen und interaktiven Umfragen umrahmt wurde, etwas leiser. Die Einschaltquoten für die vier Hauptsendungen lagen bei rund 30%, was als solid bis gut bezeichnet wurde; in der Romandie lagen sie gar noch ein wenig höher. Kontrovers diskutiert wurde zudem im Berichtjahr die Zahl im Zweiten Weltkrieg an der Schweizer Grenze abgewiesenen Juden. Der Bergier-Schlussbericht von 2002 geht von rund 20 000 abgewiesenen jüdischen Flüchtlingen aus; laut Anfang Jahr publizieren Recherchen von Serge Klarsfeld müsse diese Zahl nach unten korrigiert werden. Prompt reichte Perrin (svp, NE) eine Motion ein, die vom Bundesrat eine neue Kommission zwecks Neuaufarbeitung der Daten verlangte. Die Regierung lehnte die Motion ab mit der Begründung, dass dies Aufgabe der Wissenschaft sei. Aufgrund des Ausscheidens von Perrin aus dem Rat wurde die Motion in der Folge abgeschrieben.

Geschichtsbild

In der Presse wurde über das ganze Berichtjahr hinweg anhand verschiedener Ereignisse ein möglicher Verlust des politischen und gesellschaftlichen nationalen Zusammenhalts debattiert. Der Stadt-Land-Graben bei der Abstimmung zur Familienpolitik Anfang März war Anlass einer grösseren Studie im Auftrag der Sonntagszeitung, die eine Akzentuierung des Gegensatzes zwischen einer eher linksliberalen städtischen und einer bürgerlich-konservativen Stimmbürgerschaft in den Agglomerationen und in ländlichen Gebieten analysierte. Gemessen anhand nationaler Abstimmungsresultate habe sich die politische Haltung der Städte seit den 1990er Jahren stark in eine links-progressiv-liberale Richtung verschoben, während die eher rechts-bürgerlich geprägten ländlichen Gemeinden eher konservativer (gegen Öffnung und Modernisierung) geworden seien. In der Sommersession wurden gleich vier grosse Geschäfte aufgrund mangelnder Mehrheiten beerdigt. Abnehmende Kompromissbereitschaft von links und rechts wurde für das Scheitern nicht nur der IV-Revision, sondern auch der Lex USA, der Mehrwertsteuerreform und des Sparprogramms verantwortlich gemacht. Auch die direkte Demokratie wurde als Ursache zunehmender Polarisierung kritisiert. Statt nach tragfähigen Lösungen zu suchen, würden im permanenten Wettbewerb um politische Aufmerksamkeit immer mehr Initiativen von links und rechts lanciert.

Verlust des politischen und gesellschaftlichen nationalen Zusammenhalts

Die Volkskultur geniesse steigende Wertschätzung, gab sich Albert Vitali (fdp, LU), neuer Präsident der Interessengemeinschaft Volkskultur Schweiz (IGVS), überzeugt. Nationalrat Vitali ist Mitglied der parlamentarischen Gruppe „Volkskultur und Volksmusik“, die bis anhin bei ca. 50 bürgerlichen Parlamentariern auf Anklang stiess und im Berichtsjahr auf sich aufmerksam machte, indem mehrere ihrer Mitglieder in Trachten gekleidet zur Herbstsession erschienen. Bereits im Februar schloss die seit dem neuen Kulturförderungsgesetz (KFG) für die Nachwuchsförderung verantwortliche Pro Helvetia mit der IGVS eine Leistungsvereinbarung ab, wonach die Unterstützung von an den Nachwuchs gerichteten Projekten der Volkskulturverbände direkt über den IGVS erfolgen soll. Zu diesem Zweck schuf Pro Helvetia einen Volkskulturfonds, den die Stiftung in einer dreijährigen Pilotphase alljährlich mit CHF 100'000 speist.

Volkskultur

Der Tages-Anzeiger thematisierte in einer Reportage den Niedergang traditioneller Vereine in der Schweiz. Seit Jahrzehnten hätten die zurzeit ca. 78'500 Organisationen mit Mitgliederschwund zu kämpfen: Swissshooting etwa, der nationale Schützenverein, verliere jährlich 5 bis 6 Prozent seiner Mitglieder. Beim katholischen Frauenbund seien die Mitgliedschaften in den letzten zehn Jahren gar um ca. 50'000 Teilnehmerinnen gesunken. In Gesprächen mit Experten wurde den Ursachen für diese Entwicklung auf den Grund gegangen: Im 19. Jahrhundert seien Vereine für die Bildung einer nationalen Identität noch von grosser Bedeutung gewesen, das Prinzip und die Praxis des gesellschaftlichen Umgangs von Bürgern hätten sich in ihnen etabliert. Laut Historiker Hans-Ulrich Jost habe der Abstieg in den 1950er Jahren mit Aufkommen der modernen Massenmedien begonnen: Die Versammlungsöffentlichkeit habe an Relevanz verloren. Antonia Fuchs, Geschäftsführerin des katholischen Frauenbundes, vermutete auch eine veränderte gesellschaftliche Mentalität hinter diesem Phänomen: Mit der heutigen Berufstätigkeit fänden viele Leute keine Zeit mehr, sich in einem Verein zu engagieren. Gerade für Politikerinnen und Politiker blieben Vereine jedoch weiterhin zentral, entgegnete Professor Markus Gmür von der Universität Freiburg: Sie könnten sich dort soziale Netzwerke aufbauen und Bekanntheit erlangen, was bei ihrer Karriere von Nutzen sei.

Niedergang traditioneller Vereine  

Auf eine Aufwertung des im 19. Jahrhundert zum staatlichen Feiertag bestimmten Buss- und Bettag, der jeweils am dritten Sonntag im September stattfindet, zielte ein Aufruf der parlamentarischen Gruppe „Christ+Politik“, der von 136 National- und Ständeräten aus dem linken bis rechten Lager unterzeichnet wurde. Der überkonfessionelle Tag solle als Marschhalt dienen und die Bürgerinnen und Bürger wurden aufgerufen, sich für die „Freiheit in der wir leben“ zu bedanken.

Buss- und Bettag

Das 500-Jahr-Jubiläum der Schlacht bei Marignano (1515) warf im Berichtjahr erste Schatten voraus. Im Herbst 1515 erlitten die das Herzogtum Mailand verteidigenden Eidgenossen eine Niederlage gegen Frankreich. In der Folge gaben die eidgenössischen Orte einerseits ihre Expansionspolitik auf und schlossen zum anderen den Ewigen Frieden mit Frankreich. Im 20. Jh. wurde das Ereignis dann zum Heldenmythos stilisiert. Auf der einen Seite plante die seit 1965 bestehende Stiftung Pro-Marignano verschiedene Aktivitäten für das Jubiläum auch im Rahmen der Weltausstellung 2015 in Mailand. Auch das Landesmuseum bereitete eine Sonderausstellung vor. Auf der anderen Seite meldeten sich Parlamentarier vor allem aus dem Tessin zu Wort. Romano (cvp, TI) wollte etwa in einer von zahlreichen vor allem Südschweizer Parlamentariern unterzeichneten Interpellation vom Bundesrat wissen, ob und wie der Bund das Gedenken an die Schlacht unterstütze. Die Parlamentarier aus dem Tessin erhofften sich dank der Feierlichkeiten auch verbesserte Kontakte zu Italien. Der Bundesrat antwortete allerdings, dass die Erinnerung an Marignano keine gesamtschweizerische Aufgabe sei, und dass die geplanten Anlässe ohne Bundeshilfe auskommen müssten. Der Bund unterstütze Anlässe zur Erinnerung an historische Ereignisse nur sehr zurückhaltend. Die Debatte um Marignano zeigte im Ansatz die bereits bei der 700-Jahr-Feier 1991 geführte Debatte zwischen rechtskonservativen und linksliberalen Geschichtsvorstellungen. Auf der einen Seite wird die Schweiz als kriegerische gegen das Ausland sich wehrende Bauern- und Berglergesellschaft beschrieben, die seit 1291 Bestand hat. Auf der anderen Seite werden die Wurzeln der heutigen demokratischen und rechtsstaatlichen Schweiz mit ihren nationalen Institutionen, Menschen- und Bürgerrechten im Jahr 1848 verortet. Beide Daten sind sozusagen als Kompromiss an der Fassade des Bundeshauses genannt. Während die politische Rechte 2015 neben Marignano gleichzeitig auch der Schlacht beim Morgarten 1315 und der Anerkennung der Neutralität der Schweiz auf dem Wiener Kongress 1815 gedenken will, setzte die Linke bereits im Vorjahr auf Initiative Hans-Jürg Fehr (sp, SH) durch, dass künftig jeden 12. September im Parlament an die Gründung von 1848 erinnert werden soll. Die Ratspräsidenten beider Kammern hielten entsprechende Gedenkreden.

Marignano

Obwohl der im August 2012 von der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG) angekündigte Wettbewerb für eine neue Nationalhymne noch nicht offiziell ausgeschrieben war, erhielt die SGG bereits zahlreiche Vorschläge. Der neue Geschäftsführer der SGG, Lukas Niederberger, gab am ersten August des Berichtjahres die Bedingungen für den Anfang Dezember offiziell unter dem Namen CHymne ausgerufenen Wettbewerb bekannt: In der ersten Hälfte des Jahres 2014 dürfen Vorschläge eingereicht werden, die sich textlich an der Präambel der Bundesverfassung orientieren und in deren neuen Melodie die heutige Hymne noch erkennbar ist. Eine 30köpfige Jury aus Kunst- und Medienschaffenden sowie Funktionären aus Sport- und Kulturverbänden aus allen vier Sprachregionen soll dann in der zweiten Jahreshälfte 2014 den Siegerbeitrag küren und diesen dem Bundesrat übergeben mit der Bitte, diesen als neue Nationalhymne zu bestimmen. Die Ankündigung wurde im eher linksstehenden britischen Guardian von zahlreichen Online-Kommentaren begleitet. Einzelne Kommentare lieferten gleich Vorschläge, etwa „Money, money, money“ von Abba oder „Offshore Banking Business“ von der britischen Punk-Band „The Members“. Im Inland rief der Vorschlag der SGG wenige, dafür gespaltene Reaktionen hervor. Während auf der einen Seite eine mögliche Reform des antiquierten Textes begrüsst wurde, wurde von rechtskonservativer Seite Kritik am Vorhaben laut. Eine Ende Berichtjahr eingereichte Interpellation Keller (svp, NW) will vom Bundesrat wissen, wie dieser zu den Plänen der SGG stehe, den Schweizerpsalm abzuschaffen. Die Weltwoche warf der SGG vor, sich mit dem Wettbewerb gegen die patriotische Funktion der Hymne und gegen ein Bekenntnis zu einer eigenständigen Schweiz zu richten. Auch auf kantonaler Ebene war die Nationalhymne Diskussionsgegenstand. So hiess im Kanton Tessin das Parlament einen Minderheitenantrag der parlamentarischen Schulkommission gut, der die Nationalhymne zum Pflichtstoff für die Primarschule bestimmte. Die geschlossenen Lega und SVP, fast alle CVP-Räte und die Hälfte der FDP-Kantonsparlamentarier sorgten dafür, dass die „Bionda Aurora“ künftig zum obligatorischen Schulstoff gehört. Dies war vorher lediglich im Kanton Aargau der Fall, wo auf Anregung der SVP im Jahr 2008 die Nationalhymne zum Pflichtstoff erklärt worden war.

Neue Nationalhymne?
Dossier: Bedeutung der Nationalhymne und Erneuerungsversuche