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Jahresrückblick 2022: Gesundheit, Sozialhilfe, Sport

Zu Beginn des Jahres 2022 wurde befürchtet, dass die Covid-19-Pandemie auch in diesem Jahr das politische Geschehen der Schweiz dominieren würde: Mitte Januar erreichte die Anzahl laborbestätigter täglicher Neuansteckungen mit 48'000 Fällen bisher kaum denkbare Höhen – im Winter zuvor lagen die maximalen täglichen Neuansteckungen noch bei 10'500 Fällen. Die seit Anfang 2022 dominante Omikron-Variante war somit deutlich ansteckender als frühere Varianten – im Gegenzug erwies sie sich aber auch als weniger gefährlich: Trotz der viermal höheren Fallzahl blieben die Neuhospitalisierungen von Personen mit Covid-19-Infektionen deutlich unter den Vorjahreswerten. In der Folge nahm die Dominanz der Pandemie in der Schweizer Politik und in den Medien fast schlagartig ab, wie auch Abbildung 1 verdeutlicht. Wurde im Januar 2022 noch immer in 15 Prozent aller Zeitungsartikel über Covid-19 gesprochen, waren es im März noch 4 Prozent. Zwar wurde im Laufe des Jahres das Covid-19-Gesetz zum fünften Mal geändert und erneut verlängert, über die Frage der Impfstoff- und der Arzneimittelbeschaffung gestritten und versucht, in verschiedenen Bereichen Lehren aus den letzten zwei Jahren zu ziehen. Jedoch vermochten weder diese Diskussionen, die zwischenzeitlich gestiegenen Fallzahlen sowie ein weltweiter Ausbruch vermehrter Affenpocken-Infektionen das mediale Interesse an der Pandemie erneut nachhaltig zu steigern.

Stattdessen erhielten im Gesundheitsbereich wieder andere Themen vermehrte Aufmerksamkeit, vor allem im Rahmen von Volksabstimmungen und der Umsetzung von Abstimmungsentscheiden.
Einen direkten Erfolg durch ein direktdemokratisches Instrument erzielte das Komitee hinter der Volksinitiative «Kinder ohne Tabak». Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger hiessen diese Initiative am 13. Februar mit 56.7 Prozent gut. Das Volksbegehren ziel darauf ab, dass Kinder und Jugendliche nicht länger mit Tabakwerbung in Berührung kommen. Während das Initiativkomitee die Vorlage unter anderem damit begründete, dass durch das Werbeverbot dem Rauchen bei Jugendlichen Einhalt geboten werden könne, führten die Gegnerinnen und Gegner die Wirtschaftsfreiheit an. Zudem befürchtete die Gegnerschaft, dass in Zukunft weitere Produkte wie Fleisch oder Zucker mit einem vergleichbaren Werbeverbot belegt werden könnten. Der Bundesrat gab Ende August einen gemäss Medien sehr strikten Entwurf zur Umsetzung der Initiative in die Vernehmlassung. Während die Stimmbevölkerung Werbung für Tabakprodukte verbieten wollte, bewilligte das BAG ein Gesuch der Stadt Basel zur Durchführung von Cannabisstudien; die Städte Bern, Lausanne, Zürich und Genf lancierten ebenfalls entsprechende Studien. Zudem können Ärztinnen und Ärzte seit dem 1. August medizinischen Cannabis ohne Bewilligung durch das BAG verschreiben.

Teilweise erfolgreich waren im Jahr 2022 aber auch die Initiantinnen und Initianten der Organspende-Initiative. 2021 hatte das Parlament eine Änderung des Transplantationsgesetzes als indirekten Gegenvorschlag gutgeheissen, woraufhin das Initiativkomitee die Initiative bedingt zurückgezogen hatte. Im Januar kam das Referendum gegen die Gesetzesänderung zustande. Mit dem Gesetz beabsichtigten Bundesrat und Parlament die Einführung einer erweiterten Widerspruchslösung, wobei die Angehörigen der verstorbenen Person beim Spendeentscheid miteinbezogen werden müssen. Auch wenn es sich dabei um eine Abschwächung der Initiativforderung handelte, ging die Änderung dem Referendumskomitee zu weit; es äusserte ethische und rechtliche Bedenken. Die Stimmbevölkerung nahm die Gesetzesänderung am 15. Mai allerdings deutlich mit 60.2 Prozent an. Damit gewichtete sie die von den Befürwortenden hervorgehobene Dringlichkeit, die Spenderquote zu erhöhen und etwas gegen die langen Wartezeiten auf ein Spenderorgan zu unternehmen, stärker als die Argumente des Referendumskomitees. In den Wochen vor dem Abstimmungssonntag wurde die Vorlage vermehrt von den Zeitungen aufgegriffen, wie Abbildung 1 der APS-Zeitungsanalyse verdeutlicht.

Nach dem deutlichen Ja an der Urne im November 2021 unterbreitete der Bundesrat dem Parlament im Mai 2022 seine Botschaft zur Umsetzung eines ersten Teils der Pflegeinitiative. Dieser entspricht dem indirekten Gegenvorschlag, den die Legislative ursprünglich als Alternative zur Volksinitiative ausgearbeitet hatte. Ohne grosse Änderungen stimmten die beiden Kammern der Gesetzesrevision zu.

Noch immer stark von der Covid-19-Pandemie geprägt waren die Diskussionen zu den Spitälern. Da die Überlastung der Spitäler und insbesondere der Intensivstationen während der Pandemie eine der Hauptsorgen dargestellt hatte, diskutierten die Medien 2022 ausführlich darüber, wie es möglich sei, die Intensivstationen auszubauen. Vier Standesinitiativen forderten zudem vom Bund eine Entschädigung für die Ertragsausfälle der Krankenhäuser während der ersten Pandemiewelle, der Nationalrat gab ihnen indes keine Folge.

Von einer neuen Krise betroffen war die Medikamentenversorgung. Die Versorgungssicherheit wurde als kritisch erachtet, was die Medien auf den Brexit, die Opioidkrise in den USA sowie auf den Ukrainekrieg zurückführten. Der Bundesrat gab in der Folge das Pflichtlager für Opioide frei. Das Parlament hiess überdies verschiedene Motionen für eine Zulassung von Medizinprodukten nach aussereuropäischen Regulierungssystemen gut, um so die Medikamentenversorgung auch mittelfristig sicherzustellen (Mo. 20.3211, Mo. 20.3370). Kein Gehör fand hingegen eine Standesinitiative aus dem Kanton Aargau zur Sicherung der Landesversorgung mit essenziellen Wirkstoffen, Medikamenten und medizinischen Produkten, durch ausreichende Lagerhaltung, Produktion in Europa und durch die Vereinfachung der Registrierung in der Schweiz.

Im Bereich des Sports war das Jahr 2022 durch mehrere Grossanlässe geprägt, die nicht nur in sportlicher, sondern auch in politischer Hinsicht für Gesprächsstoff sorgten. Die Olympischen Winterspiele in Peking Anfang Jahr und die Fussball-Weltmeisterschaft der Männer in Katar zum Jahresende standen aufgrund von Menschenrechtsverletzungen an den Austragungsstätten in den Schlagzeilen. Skandale gab es aber nicht nur in der internationalen Sportwelt, sondern auch hierzulande, wo Vorwürfe bezüglich Missständen im Synchronschwimmen erhoben wurden und die 1. Liga-Frauen-Fussballmannschaft des FC Affoltern nach einem Belästigungsskandal praktisch geschlossen den Rücktritt erklärte. Erfreut zeigten sich die Medien hingegen über eine Meldung im Vorfeld der Fussball-Europameisterschaft der Frauen, dass die Erfolgsprämien durch die Credit Suisse und die Gelder für Bilder- und Namensrechte durch den SFV für die Spielerinnen und Spieler der Nationalmannschaft der Frauen und Männer künftig gleich hoch ausfallen sollen. Sinnbildlich für den wachsenden Stellenwert des Frauenfussballs stand ferner eine Erklärung des Nationalrats in der Wintersession 2022, wonach er die Kandidatur zur Austragung der Fussball-Europameisterschaft der Frauen 2025 in der Schweiz unterstütze. Trotz dieser verschiedenen Diskussionen im Sportbereich hielt sich die Berichterstattung dazu verglichen mit derjenigen zu gesundheitspolitischen Themen in Grenzen (vgl. Abbildung 1). Dies trifft auch auf die Medienaufmerksamkeit für die Sozialhilfe zu, die sich über das gesamte Jahr hinweg unverändert auf sehr tiefem Niveau bewegte.

Jahresrückblick 2022: Gesundheit, Sozialhilfe, Sport
Dossier: Jahresrückblick 2022

Im Dezember 2022 publizierte der Bundesrat einen kurzen Bericht in Erfüllung des Postulats Clivaz (gp, VS) zur Aktualisierung der «Strategie Digitale Schweiz» aufgrund der Erfahrungen mit der Covid-19-Krise. Im Postulat wurde verlangt, die Chancen und Risiken der Nutzung digitaler Hilfsmittel im Beruf und im privaten Rahmen in den Bereichen «Familienleben und Telearbeit», «digitale Bildung», «Datenschutz und Privatsphäre», «Datennetzwerke» und «Bildschirmarbeit» aufzuzeigen. Der Bundesrat erläuterte im Bericht, dass all diese Forderungen des Postulats mit der aktualisierten Strategie, die er gleichentags beschloss, abgedeckt und damit erfüllt würden. So wurde etwa die Forderung von Clivaz, dass die Digitalisierung der Bildung so ausgestaltet sein müsse, dass Kompetenzen und Sinn für Kritik gestärkt würden, angegangen, indem das SBFI einen Aktionsplan mit dem Titel «Digitalisierung im BFI-Bereich in den Jahren 2019–2020» erarbeitete. Dieser verfolgte das Ziel, die digitalen Kompetenzen in den Bereichen Bildung und Forschung zu stärken und damit dafür zu sorgen, dass die Schweiz weiterhin eine Spitzenposition bei der Entwicklung und Anwendung digitaler Technologien einnimmt. In der Folge wurden die im Aktionsplan erarbeiteten Massnahmen in die BFI-Botschaft 2021-2024 integriert und würden nun von den entsprechenden Akteuren weitergeführt. Zudem würden auf allen Ebenen des Schweizer Bildungssystems digitale Kompetenzen in den Unterricht integriert. Gemessen werden könne der Erfolg dieser Massnahmen aufgrund der beiden Messgrössen «Anteil der Bevölkerung mit erweiterten digitalen Kompetenzen» sowie «Anteil IKT-Spezialistinnen und -Spezialisten auf dem Schweizer Arbeitsmarkt», die im Wirkungsbereich «Bildung und Kompetenzen» in der aktualisierten «Strategie Digitale Schweiz» aufgeführt sind. Auch in allen vier anderen Bereichen verwies der Bundesrat auf laufende Arbeiten. Beim Thema Telearbeit habe das SECO beispielsweise eine Empfehlungsbroschüre für Arbeitgebende herausgegeben, im Bereich des Datenschutzes bestehe eine nationale Strategie zum Schutz vor Cyberrisiken, die Datennetzwerke würden mit einer schnelleren Grundversorgung gestärkt und die negativen körperlichen Folgen von Bildschirmarbeit würden etwa mit der Strategie Gesundheit2030 angegangen. Der Bundesrat war deshalb der Ansicht, dass die aktualisierte Strategie des Bundes und die «Aktivitäten der federführenden Organisationen» die Forderungen des Postulats erfüllt hätten und kein weiterer Handlungsbedarf bestehe.

Strategie «Digitale Schweiz» nach dem Coronavirus (Po. 20.3363)

Mittels einer im Dezember 2020 eingereichten Motion forderte Greta Gysin (gp, TI) die Schaffung regionaler Stellen für eine erste Hilfe für Opfer von Missbrauch, Mobbing oder Diskriminierung am Arbeitsplatz. Obwohl sich die Opfer entsprechender Vergehen auf verschiedene Gesetze berufen könnten, kämen sie häufig nicht zu ihrem Recht, weil sie zum Beispiel Angst vor negativen Konsequenzen oder vor Jobverlust hätten. In seiner Stellungnahme vom Februar 2021 beantragte der Bundesrat, die Motion abzulehnen. Er erachtete die bestehenden rechtlichen Bestimmungen sowie die Fürsorgepflicht der Arbeitgebenden als ausreichend. Das Arbeitsinspektorat könne zudem Arbeitgebende, die ihre Fürsorgepflicht nicht wahrnähmen, zum Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz verpflichten. Im Dezember 2022 wurde die Motion abgeschrieben, da sie nicht innerhalb der zweijährigen Frist behandelt worden war.

Regionale Stellen für eine erste Hilfe für Opfer von Missbrauch und Diskriminierung am Arbeitsplatz (Mo. 20.4429)

Im Dezember 2020 reichte Diana Gutjahr (svp, TG) eine Motion ein, mit der sie den Bundesrat beauftragen wollte, das Bundesgesetz über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen zu ändern. Einerseits sollten die Bestimmungen zu Mindestlohn, 13. Monatslohn und Ferienanspruch anderslautenden kantonalen Bestimmungen vorgehen. Andererseits sollten GAV gleichzeitig die Rechtsgleichheit nicht verletzen und dem zwingenden Recht des Bundes nicht widersprechen dürfen. Ursprung der Forderung war ein Bundesgerichtsentscheid aus dem Jahr 2017, wonach der im Kanton Neuchâtel geltende Mindestlohn Vorrang gegenüber dem schweizweit allgemeinverbindlich erklärten GAV besitzt. Gemäss der Motionärin habe dieser Entscheid zu Rechtsunsicherheit unter Branchen mit einem allgemeinverbindlich erklärten GAV geführt. Ein ähnliches Anliegen reichte tags darauf Ständeratsmitglied Erich Ettlin (mitte, OW; Mo. 20.4728) ein. Der Bundesrat beantragte die Motion Gutjahr zur Ablehnung, da damit die kantonale Kompetenz, sozialpolitische Regelungen zu definieren, eingeschränkt würde. Zudem sei es problematisch, wenn GAV als Vereinbarungen zwischen privaten Parteien kantonalen Gesetzen, die im Vergleich zu allgemeinverbindlich erklärten GAV eine höhere «demokratische Legitimation» besitzen, vorgehen sollten. Im Dezember 2022 wurde die Motion Gutjahr abgeschrieben, da sie nicht innerhalb der zweijährigen Frist behandelt worden war.

Sozialpartnerschaft vor umstrittenen Eingriffen schützen (Mo. 20.4649)
Dossier Mindestlohn: Vorrang Gesamtarbeitsverträge oder kantonale Bestimmungen

Im Dezember 2020 reichte Balthasar Glättli (gp, ZH) eine Motion für ein nachhaltiges Impulsprogramm zur Bewältigung der Corona-Krise ein. Dieses Impulsprogramm sollte verschiedene Massnahmen und Ziele verfolgen, wie erhöhte Investitionen in den Klimaschutz, Schaffung neuer Arbeitsplätze in nachhaltigen Bereichen, neue Erwerbsperspektiven für Menschen in Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit durch Weiterbildungen und Umschulungen, eine Ausbildungsoffensive gegen den Fachkräftemangel oder Verbesserungen der Arbeitsbedingungen im Gesundheitsbereich. Der Bundesrat beantragte in seiner Stellungnahme vom Februar 2021, die Motion abzulehnen, und verwies dabei auf bereits geplante Investitionen und Bemühungen seinerseits sowie des Parlaments. Im Dezember 2022 wurde die Motion abgeschrieben, da sie nicht innerhalb der zweijährigen Frist behandelt worden war.

Grüner aus der Corona-Krise: Für ein nachhaltiges Impulsprogramm, das Klimaschutz-Jobs, Zukunfts-Jobs und Care-Jobs schafft (Mo. 20.4726)
Dossier: Covid-19 – Massnahmen zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen

Im März 2021 reichte Fabien Fivaz (gp, NE) eine parlamentarische Initiative ein, mit der er den Bundesrat beauftragen wollte, die Möglichkeit für Arbeitnehmende von KMU, ihren Anstellungsgrad nach Geburt oder Adoption eines Kindes zu reduzieren, im Gesetz zu verankern. Diese Massnahme sollte zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf beitragen, insbesondere für Väter, denen eine Reduktion des Beschäftigungsgrades immer noch häufig verweigert werde. Im Mai 2022 beantragte die RK-NR mit 14 zu 10 Stimmen (bei 1 Enthaltung), der Initiative keine Folge zu geben. Die Kommissionsmehrheit fand die parlamentarische Initiative «zu abstrakt formuliert» und wollte den Arbeitgebenden die Entscheidung überlassen, den Arbeitnehmenden eine Pensumreduktion zu ermöglichen. Zudem sei im Initiativtext nicht festgelegt, wie die Beschäftigung von Arbeitnehmenden geregelt werden soll, die als Ausgleich für die Reduktion des Beschäftigungsgrads der Neueltern angestellt werden.
Der Nationalrat beschäftigte sich in der Wintersession 2022 mit der Initiative. Trotz des Hinweises in der Debatte, dass die genaue Ausgestaltung einer solchen Regelung nach Annahme der Initiative noch diskutiert werden könne, gab die grosse Kammer der parlamentarischen Initiative Fivaz mit 116 zu 77 Stimmen keine Folge. Einzig die SP- und die Grünen-Fraktion unterstützen den Vorstoss. Mit dem negativen Entscheid des Nationalrates war das Geschäft erledigt.

Anpassungen des Beschäftigungsgrads für Eltern erleichtern (Parl. Iv. 21.413)

Im Juni 2021 reichte Nationalrätin Diana Gutjahr (svp, TG) eine Motion ein, mit der sie den Bundesrat beauftragen wollte, die Verordnung über die in die Schweiz entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (EntsV) so anzupassen, dass die auf der Online-Plattform «Informationssystem Allianz Bau» (ISAB) enthaltenen Informationen als Nachweis für die Einhaltung der minimalen Lohnbedingungen für Subunternehmen genügen. Denn obwohl die auf ISAB verfügbaren Informationen «den höchsten derzeit verfügbaren Nachweis» zur Einhaltung der GAV ermöglichten, würden sie durch die EntsV nicht anerkannt, kritisierte die Motionärin.
In seiner Stellungnahme beantragte der Bundesrat, die Motion abzulehnen, da die auf ISAB verfügbaren Informationen keine Sicherheit darstellten, dass sich das Unternehmen rechtskonform verhalte. Dafür seien weiterhin Lohnbuchkontrollen, GAV-Bescheinigungen und ein von den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden gemeinsam geführtes Register nötig.
Im November 2022 zog Diana Gutjahr ihre Motion kommentarlos zurück.

Wirkungsvoller Nachweis der Arbeitsbedingungen für Subunternehmer mit dem Informationssystem ISAB (Mo. 21.3846)

Aufgrund der steigenden Inflation und der damit verbundenen Senkung der Kaufkraft, getrieben unter anderem von hohen Energiepreisen und dem Anstieg der Krankenkassenprämien, forderten verschiedene Gewerkschaften im Juni 2022 eine generelle Lohnerhöhung. Konkret forderten der Kaufmännische Verband Schweiz, Angestellte Schweiz und die Unia einen Lohnanstieg für das Jahr 2023 von bis zu 4 Prozent, der Schweizerische Gewerkschaftsbund gar zwischen 4 und 5 Prozent. Gegenüber den Medien begründeten sie ihre Forderungen durch die gute Ausgangslage der Arbeitnehmenden aufgrund des herrschenden Fachkräftemangels.
Neben diesen allgemeinen Forderungen verlangten auch die Bauarbeitenden höhere Löhne sowie bessere Arbeitsbedingungen, zumal Ende 2022 der Landesmantelvertrag (LMV) für den Bau auslief und somit neu verhandelt werden musste. Dazu trafen sich Ende Juni 2022 Bauarbeitende aus der ganzen Schweiz in Zürich zu einer Demonstration.

Erneut laut wurden die Forderungen nach einer allgemeinen Lohnerhöhung im September 2022 im Zusammenhang mit der «Krise der Lebenskosten», die auch im Parlament einige Aufmerksamkeit erhielt. Gegenüber den Medien betonte etwa SGB-Präsident und Nationalrat Pierre-Yves Maillard (sp, VD), dass die Lohnforderungen der Gewerkschaften in Anbetracht dessen, was man von den Bürgerinnen und Bürgern mit den Elektrizitätssparmassnahmen verlange, «bescheiden» sei. Der Bundesrat hatte zuvor die Unternehmen und die Bevölkerung zum Energiesparen aufgefordert. Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt erachtete eine allgemeine Lohnerhöhung hingegen als «unrealistisch». Dennoch konnte er sich einen Lohnanstieg in denjenigen Branchen vorstellen, in denen ein grosser Fachkräftemangel herrschte, etwa in der Gastronomie oder in der Informatik. Die NZZ rechnete gar mit Reallohneinbussen in den meisten Branchen, wie es auch in anderen Jahren mit Inflation zu beobachten gewesen sei. Jedoch sei der Lohnanstieg mittel- bis langfristig grösser als der Preisanstieg. Michael Siegenthaler, Experte der Konjunkturforschungsstelle der ETHZ, erachtete jedoch eine Lohnerhöhung für die Unternehmen als zumutbar, zumal viele Unternehmen in der ersten Hälfte 2022 ihre Gewinne und Umsätze hätten steigern können.

Im November 2022 präzisierten verschiedene Gewerkschaften ihre Forderungen und verlangten unter anderem einen monatlichen Lohn von mindestens CHF 4'500 bis CHF 5'000. Maillard, interviewt in La Liberté, präzisierte, dass die Absicht nicht war, schweizweit Mindestlöhne einzuführen, sondern die Forderung in den GAV zu verankern. Diese Forderung führte zu einer Diskussion in der Presse zum Thema Lohnschutz und Mindestlohn. So kritisierte etwa Avenir Suisse im Tages-Anzeiger den Lohnschutz, zumal dieser dem Arbeitsmarkt schade, indem er mehr administrative Hürden schaffe und so die Arbeitsmarktpartizipation senke.

Forderungen nach Lohnerhöhungen

Anfänglich habe man die E-Zigarette als «ein Mittel zur Rauchentwöhnung» erachtet, erklärte der Bundesrat in seiner Botschaft zur Änderung des Tabaksteuergesetzes zur Besteuerung von E-Zigaretten. Folglich habe man die E-Zigaretten aufgrund einer Motion Zanetti (sp, SO; Mo. 11.3178) im April 2012 von der Tabaksteuer befreit – diese Änderung solle nun teilweise rückgängig gemacht werden. In Umsetzung einer überwiesenen Motion der SGK-SR (Mo. 19.3958) soll bei E-Zigaretten erneut eine Tabaksteuer erhoben werden. Konkret soll die nikotinhaltige Flüssigkeit für E-Zigaretten mit nachfüllbaren Behältern sowie mit Einwegkartuschen und -kapseln besteuert werden, wobei der Steuersatz 20 Rp. pro Milliliter betragen und 93 Prozent unter demjenigen von klassischen Zigaretten liegen soll. Bei Einweg-E-Zigaretten werden hingegen sowohl die nikotinhaltige als auch die nikotinlose Flüssigkeit besteuert, hier soll der Steuersatz CHF 1 pro Milliliter betragen und 67 Prozent unter demjenigen der klassischen Zigaretten zu liegen kommen. Der Bundesrat erhoffte sich von dieser Besteuerung eine präventive Wirkung beim Jugendschutz ohne Abschreckung der «aufhörwillige[n] Raucherinnen und Raucher». Die geschätzten Zusatzeinnahmen von CHF 13.8 Mio. jährlich sollen wie die übrige Tabaksteuer der AHV und der IV zugutekommen.

Die Vernehmlassung zum Entwurf, welche zwischen Dezember 2021 und März 2022 stattgefunden hatte, war auf reges Interesse gestossen: Es waren 572 Stellungnahmen eingegangen, wobei die Wiedereinführung der Besteuerung breit begrüsst worden war – einzig die SVP und verschiedene Privatpersonen hatten sich dagegen ausgesprochen. Als Reaktion auf die Vernehmlassungsantworten hatte der Bundesrat die Steuerbemessung vereinheitlicht, sodass diese neu eben in Abhängigkeit der Menge nikotinhaltiger Flüssigkeit erfolgen soll. Auf Wunsch insbesondere von Präventionsorganisationen habe man überdies den Steuertarif auf Einweg-E-Zigaretten erhöht und zum Jugendschutz etwa auch nikotinlose Einweg-E-Zigaretten in die Steuer einbezogen, berichtete der Bundesrat in seiner Botschaft.

Änderung des Tabaksteuergesetzes zur Besteuerung von E-Zigaretten (BRG 22.069)

Im Rahmen der Herbstsession 2022 beschäftigte sich der Nationalrat mit der parlamentarischen Initiative Dobler (fdp, SG), die fordert, die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung für die Arbeitnehmenden bei Start-Ups zu streichen. Der Nationalrat beschloss mit 89 zu 49 Stimmen (bei 2 Enthaltungen), die Behandlungsfrist der parlamentarischen Initiative um zwei Jahre zu verlängern. Damit folgte er dem Antrag der Mehrheit der WAK-NR. Einzig die SP- und die Grünen-Fraktionen stimmten gegen die Fristverlängerung.

Libérer les employés de start-up détenant des participations de l'obligation de saisie du temps de travail (Iv.pa.16.442)
Dossier: Revision des Arbeitsgesetz (ArG)
Dossier: Arbeitszeitliberalisierung

Im September 2020 reichte Nationalrat Mathias Reynard (sp, VS) eine Motion ein, mit der er den Bundesrat beauftragen wollte, die Praktika besser zu regeln. In Anbetracht der zunehmenden Zahl an Praktikumsverträgen sei es notwendig, diese zum Schutz der Praktikantinnen und Praktikanten besser zu regulieren.
In seiner Stellungnahme vom November 2020 beantragte der Bundesrat, die Motion abzulehnen, da er die bestehenden gesetzlichen Bestimmungen als ausreichend und eine zusätzliche Regulierung von Praktika als schwer umsetzbar erachtete.
In der Herbstsession 2022 lehnte der Nationalrat den Vorstoss mit 117 zu 65 Stimmen (bei 1 Enthaltung) ab. Einzig die SP-, die Grüne- und die Mitte-Fraktion unterstützten das Geschäft. Zuvor hatte Samuel Bendahan (sp, VD), der die Motion nach dem Ausscheiden Reynards aus dem Rat übernommen hatte, die Wichtigkeit von Mindestkriterien betont, damit das Praktikum eine Lernerfahrung bleibe. Zudem seien das OR oder das ArG nicht auf Praktika anwendbar, weil sich ein Praktikum stark von einer Arbeitsanstellung unterscheide. Bundesrat Guy Parmelin (svp, VD) hatte hingegen erneut auf die ausreichenden rechtlichen Grundlagen und auf entsprechende Instrumente der Kantone, denen die Aufsicht über den Arbeitsmarkt obliegt, verwiesen.

Praktika. Den Status der Praktikantinnen und Praktikanten besser regeln und damit stärken (Mo. 20.4139)

Im Mai 2022 stellte die WAK-SR fest, dass das SECO die von ihm in Aussicht gestellten Änderungen zur Erfüllung der Standesinitiative des Kantons Tessin für eine Informationspflicht über Lohndumping-Verfehlungen im Bereich des Normalarbeitsvertrags vorgenommen hatte oder dabei war, letzte Änderungen umzusetzen. Damit sei das Anliegen der Standesinitiative «auf eine niederschwellige, aber effizienten Art und Weise umgesetzt» worden, erklärte die Kommisison und beantragte einstimmig, die Standesinitiative abzuschreiben.
In der Herbstsession 2022 beschäftigte sich der Ständerat mit der Abschreibung. In den Augen der Kommission setze das SECO die Massnahmen der Standesinitiative inzwischen um, wie Kommissionssprecher Paul Rechsteiner (sp, SG) betonte. Zum Beispiel seien einerseits die Informationspflicht und andererseits wiederkehrende Kontrollen von Unternehmen, die gegen Mindestlöhne verstossen haben, eingeführt worden. Der Ständerat folgte somit dem Antrag der Kommission und schrieb die Standesinitiative stillschweigend ab.

Obligation d'informer les employés victimes d'abus salariaux (Iv.ct 18.326)
Dossier: Vorschläge zur Änderung des Entsendegesetzes (EntsG)

Im Herbst 2018 reichte Jürg Grossen (glp, BE) eine parlamentarische Initiative ein, mit der er neben dem Mass der organisatorischen Unterordnung und des unternehmerischen Risikos auch den Parteiwillen der Betroffenen bei der Festlegung, ob eine Person gemäss ATSG selbständigerwerbend oder angestellt ist, berücksichtigt haben wollte. Demnach würden Dienstleistungserbringende von den Sozialversicherungen immer häufiger als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer klassifiziert, auch gegen ihren Willen.
Im November 2019 gab die SGK-NR der Initiative mit 15 zu 7 Stimmen (bei 1 Enthaltung) Folge, zumal die entsprechenden Rahmenbedingungen «einfach und moderat weiterentwickel[t]» werden sollten. «Im Lichte der Erfahrungen während der Covid-19-Krise», welche die Probleme einer Einstufung als Selbständigerwerbende aufgezeigt hatte, entschied sich jedoch die SGK-SR mit 11 zu 1 Stimmen gegen Folgegeben. Stattdessen wollte sie die Absicherung von sozial schwachen Selbständigen in den Mittelpunkt stellen.
In der Herbstsession 2022 wurde die Initiative im Nationalrat behandelt. Zuvor war die nationalrätliche Kommission mehrheitlich bei ihrer Einschätzung geblieben und hatte Folgegeben empfohlen. Der Status von Personen, die über Arbeitsplattformen (z.B. Uber) beschäftigt sind, müsse «aufgrund der veränderten Arbeitsrealitäten» diskutiert werden, argumentierte sie. Eine Minderheit von Flavia Wasserfallen (sp, BE) sprach sich jedoch gegen Folgegeben aus, zumal der vom Bundesrat im Oktober 2021 publizierte Bericht zur Prüfung einer Flexibilisierung des Sozialversicherungsrechtes keinen Bedarf für eine Erhöhung der Flexibilität ausgemacht habe. Eine Berücksichtigung der Parteivereinbarungen lehnte die Minderheit überdies ab, da «diese selten auf Augenhöhe abgeschlossen» würden, wie die Minderheitensprecherin betonte. Mit 127 zu 57 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) sprach sich der Nationalrat für Folgegeben aus, die ablehnenden Stimmen stammten von den Mitgliedern der SP- und der Grünen-Fraktion.

Selbstständigkeit ermöglichen, Parteiwillen berücksichtigen (Pa.Iv. 18.455)

Im September 2022 gab die RK-SR einer parlamentarischen Initiative Gredig (glp, ZH) zur Bekämpfung von Zwangsarbeit durch die Ausweitung der Sorgfaltspflicht mit 8 zu 5 Stimmen Folge. Die Kommission war jedoch der Meinung, dass ihre Schwesterkommission, welche nun mit der Ausarbeitung einer entsprechenden Vorlage betraut ist, die Entwicklungen in der EU bezüglich des neuen EU-Lieferkettengesetzes abwarten solle: Der indirekte Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative könne allenfalls vollständig an das neue EU-Recht angepasst werden und dabei die Bekämpfung der Zwangsarbeit beinhalten.

Bekämpfung von Zwangsarbeit durch die Ausweitung der Sorgfaltspflicht (Pa. Iv. 21.427)

Im August 2022 veröffentlichte der Bundesrat seinen Bericht in Erfüllung des Postulates Bourgeois (fdp, FR) zur Sicherstellung der Einhaltung der sozialen Mindestvorschriften im öffentlichen Beschaffungswesen. Der Bundesrat kam im Bericht zum Schluss, dass das bestehende Kontroll- und Sanktionssystem zur Einhaltung der sozialen Mindestvorschriften im öffentlichen Beschaffungswesen, bei dem verschiedene Organe für verschiedene Aspekte der Vorschriften zuständig sind, angemessen ist, wie auch ein Expertenbericht der Interface Politikstudien Forschung Beratung AG bestätigt habe. Herausforderungen gebe es aber bei der Kommunikation der Ergebnisse und Sanktionen, auch bezüglich des Datenschutzes, diese seien jedoch mit entsprechenden Bemühungen überwindbar. Basierend auf dem Expertenbericht nahm der Bundesrat verschiedene Massnahmen zur Systemverbesserung vor, die im Rahmen der Beschaffungsstrategie 2021–2023 umgesetzt werden. So wollte er etwa zusätzliche Materialien wie Checklisten und Musterverträge zur Verfügung stellen, Sensibilisierungsgespräche mit den verschiedenen Branchen und Sozialpartner veranlassen und die sozialen Mindestvorschriften in die Schulung des Kompetenzzentrums Beschaffungswesen Bund aufnehmen.

Sanctions au lieu d'exécution des travaux (Po. 19.4213)

Im Sommer und Herbst 2022 erreichte die mediale Berichterstattung rund um die Swiss und deren Personal einen Höhepunkt. Währenddem die Schweizer Flugbranche im Vergleich zu anderen Ländern die Sommerferien 2022 und die nach der Covid-19-Krise wieder stark gestiegene Nachfrage nach Flugreisen relativ gut meistern konnte, wurde im August publik, dass ein Vorschlag der Swiss für einen neuen GAV für die Pilotinnen und Piloten von der Gewerkschaft Aeropers zurückgewiesen wurde. Der alte Vertrag war bereits im Frühling 2022 ausgelaufen und konnte seither nicht erneuert werden. Während gemäss Swiss-Geschäftsleitungsmitglied Oliver Buchhofer der vorgeschlagene GAV ein Kompromiss gewesen wäre, der auch die Interessen von Aeropers widerspiegelt hätte und «für die kommenden vier Jahre vertragliche Stabilität in einem sehr volatilen Airline-Umfeld geboten» hätte, forderte Aeropers, dass die Pilotinnen und Piloten stärker vom wieder stabiler gewordenen Geschäftsumfeld profitieren können. Wie die NZZ berichtete, habe der GAV unter anderem gar Einbussen bei der variablen Vergütung der Pilotinnen und Piloten vorgesehen. In der Folge lehnten über 80 Prozent der Aeropers-Mitglieder den GAV ab.
Während die Verhandlungen über den GAV weiter liefen, wurde in der Presse darüber berichtet, dass die Swiss für ihren Winter-Flugplan auf Flugzeuge und Besatzung der Air Baltic zurückgreifen werde, um den «Flugplan zu stabilisieren». Die Gewerkschaften Aeropers, Kapers (Kabinenpersonal) und weitere Gewerkschaften und Organisationen warfen der Swiss in einem Schreiben vor, damit Lohndumping zu betreiben, und protestierten gegen dieses so genannte Wet-Leasing. Die Gewerkschaften warfen dem Swiss-Management vor, die Personal-Engpässe zu lange vernachlässigt zu haben. In die gleiche Kerbe schlug auch der Tages-Anzeiger, welcher kritisierte, dass die Swiss in der Covid-19-Krise viel Personal entlassen habe, das auch in Kurzarbeit hätte geschickt werden können. Nun gebe es stattdessen viel ausgelaugtes Flugpersonal und einen unrealistischen Flugplan. Die Swiss hingegen konterte, dass die Kooperation mit Air Baltic dazu beitrage, das eigene Kabinenpersonal zu entlasten.
Nach weiteren Verhandlungen schlug Aeropers sodann Mitte September ein weiteres GAV-Angebot aus. Die Gewerkschaft warf der Swiss vor, eine Verbesserung der Planbarkeit des Soziallebens zu verhindern und den Pilotinnen und Piloten faktisch den Lohn zu kürzen. Wie die Medien berichteten, fand Ende September sogar ein Protestmarsch des Cockpit-Personals zum Hauptsitz der Swiss in Kloten statt.
Ende Oktober 2022 konnten sich die Swiss und Aeropers schliesslich doch noch einigen. Gemäss Medienmitteilung von Aeropers beinhalte der neue GAV Verbesserungen bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie einen fairen Teuerungsausgleich. Der neue GAV wurde sodann von einer grossen Mehrheit der Aeropers-Mitglieder gutgeheissen und trat auf den 1. Januar 2023 in Kraft.

SWISS: Neuer GAV für Pilotinnen und Piloten

«Les Routiers Suisses», der Verband der Berufsfahrerinnen und -fahrer, lancierte 2022 die sogenannte Chauffeurinitiative, die forderte, dass der BV ein Artikel beigefügt wird, der unter anderem für eine genügende Anzahl an gut ausgebildeten Chauffeusen und Chauffeure sorgt sowie einen angemessenen und verbindlichen Mindestlohn für diese Personen festlegt. Die Forderungen des Initiativkomitees beinhalteten zudem ein Kabotageverbot (d.h. ein Verbot von Transporten innerhalb der Schweiz mit Fahrzeugen, die im Ausland immatrikuliert sind) und die Förderung der Aus- und Weiterbildung von Chauffeusen und Chauffeuren in der Schweiz. Gemäss Website der Initiative (chauffeurinitiative.ch) bestand ein gewichtiger Grund für die Lancierung des Begehrens darin, dass es zunehmend schwierig werde, einheimische Chauffeure und Chauffeusen zu finden. In der Folge drängten Arbeitnehmende aus Osteuropa in diesen Sektor; diese Personen arbeiteten zwar günstiger, hätten aber keinen Bezug zur Schweiz.
Im Juli 2022 gab die Bundeskanzlei bekannt, dass die eingereichte Unterschriftenliste zur Initiative den gesetzlichen Formen entspreche; damit konnte die Sammlung der Unterschriften gestartet werden. Das Ende der Sammelfrist wurde auf den 12. Januar 2024 festgelegt.
Der Schweizerische Nutzfahrzeugverband (ASTAG) reagierte sehr skeptisch auf die Lancierung der Initiative und sprach sich insbesondere gegen den geforderten Mindestlohn aus. Das Lohnniveau im Schweizer Strassentransport sei bereits heute angemessen, es brauche daher keinen staatlichen Eingriff.

Eidgenössische Volksinitiative «Angemessene Arbeitsbedingungen für Chauffeusen und Chauffeure (Chauffeurinitiative)»

Die Nationalratsmitglieder Sidney Kamerzin (mitte, VS), Corina Gredig (glp, ZH), Gerhard Andrey (gp, FR), Lilian Studer (evp, AG), Lars Guggisberg (svp, BE), Susanne Vincenz-Stauffacher (fdp, SG) und Edith Graf-Litscher (sp, TG) reichten im Juni 2020 allesamt gleichlautende Postulate ein, mit denen sie den Bundesrat beauftragen wollten, marktwirtschaftliche Lösungen zur Förderung von regionalem Coworking zu prüfen. Da nicht alle Personen im Homeoffice arbeiten könnten und da bei Homeoffice der soziale Austausch fehle und die Trennung zwischen Beruf und Familie schwierig sei, könne regionales Coworking eine Lösung für immer mehr Arbeitnehmenden darstellen, argumentierten sie. Neben einer möglichen Starthilfe durch den Bund für den Aufbau eines nationalen Netzes soll der Bericht aufzeigen, wie die Bundesverwaltung in einer Vorbildfunktion Büroflächen sparen und diese Fläche stattdessen als regionale Coworking Spaces zur Verfügung stellen könnte. Zudem soll beleuchtet werden, wie etwa die SBB in Regionalbahnhöfen – oder auch andere bundesnahe Betriebe – Coworking-Formate umsetzen könnten.
In seiner Stellungnahme vom August 2020 beantragte der Bundesrat, die Postulate abzulehnen. Der Bund überlasse es den Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden, ob sie im Coworking arbeiten oder Coworking als flexible Arbeitsform anbieten möchten. Zudem seien Coworking-Möglichkeiten in einigen ländlichen Gebieten und Bergregionen bereits vorhanden. Zudem verfüge der Bund über keinen direkten Einfluss auf die Nutzung leer stehender Büroräume der bundesnahen Betriebe oder auf ihr operatives Geschäft.
Im Juni 2022 wurden die Postulate abgeschrieben, da sie nicht innert zwei Jahren vom Nationalrat behandelt worden waren.

Postulate zur «Förderung von regionalem Coworking» (Po. 20.3622, Po. 20.3638, Po. 20.3639, Po. 20.3640, Po. 20.3641, Po. 20.3642, Po. 20.3643)

Nachdem die WAK-SR Ende März 2022 mit 8 zu 4 Stimmen (bei 1 Enthaltung) empfohlen hatte, nicht auf die Änderung des EntsG einzutreten, debattierte der Ständerat im Rahmen der Sommersession 2022 diese Frage. Kommissionssprecher Hannes Germann (svp, SH) betonte dabei, dass die Änderung des EntsG zu einer Ungleichbehandlung zwischen Arbeitnehmenden aus EFTA- und EU-Staaten führen würde. Zudem könnten die Kantone selbst für den Vollzug ihrer Mindestlöhne sorgen. Somit solle der Rat nicht auf die Vorlage eintreten. Paul Rechsteiner (sp, SG) führte hingegen Argumente für Eintreten an: Erstens habe der Ständerat mit Annahme der Motion Abate (fdp, TI; Mo. 18.3473) ursprünglich die Gesetzesänderung angestossen, zudem hätten sich 23 Kantone bei der Vernehmlassung für die Änderung ausgesprochen. Die Ausnahme der Entsendebetriebe von den kantonalen Mindestlöhnen sei eine «Einladung zu Lohndumping» und damit vor allem für den Kanton Tessin ein grosses Problem. Schliesslich werde mit der Revision auch eine Plattform für die digitale Kommunikation im Entsendebereich geschaffen, die bei Nichteintreten ebenfalls nicht zustandekomme. Marina Carobbio (sp, TI) präzisierte, dass nur der Bund, nicht aber die Kantone in der Lage seien, Mindestlöhne einzuführen, die auf alle im Kanton tätigen Personen (auch aus der EU und EFTA) gelten, weil die entsendeten Arbeitnehmenden lediglich Bundesgesetzen unterstünden. Am Ende der Debatte betonte auch Bundesrat Guy Parmelin (svp, VD) noch einmal die Wichtigkeit dieser Anpassung. Dennoch sprach sich der Ständerat in der Folge mit 26 zu 19 Stimmen erneut für Nichteintreten aus, womit das Geschäft erledigt war.

Révision partielle de la loi sur les travailleurs détachés (MCF 21.032)
Dossier: Vorschläge zur Änderung des Entsendegesetzes (EntsG)

Im Juni 2022 wurde das Postulat Cramer (gp, GE), das den Bundesrat beauftragen wollte, die Form der Arbeit auf Abruf im OR zu prüfen, vom Ständerat abgeschrieben. Damit folgte der Rat einer Empfehlung des Bundesrates, der die Abschreibung in seinem Bericht über die Motionen und Postulate 2022 empfohlen hatte, da er das Anliegen als erfüllt erachtete.

Réglementer le travail sur appel (Po. 19.3748)

Nachdem der Bundesrat seinen Bericht zu Ursachen von Tötungsdelikten im häuslichen Umfeld vorgelegt hatte, schrieb der Nationalrat ein Postulat Graf (gp, BL), das die Erstellung eines solchen Berichts gefordert hatte, in der Sommersession 2022 im Rahmen seiner Beratung des Berichts über Motionen und Postulate der gesetzgebenden Räte im Jahr 2021 als erfüllt ab.

Postulat fordert Bericht zu Ursachen von Tötungsdelikten im häuslichen Umfeld (Po. 19.3618)
Dossier: Gewalt gegen Frauen* / häusliche Gewalt (ab Ratifikation Istanbul-Konvention)

Nachdem der Bundesrat den Bericht in Erfüllung des Postulates Roduit (mitte, VS), der eine Prüfung der Massnahmen der Schweiz und der EU-Mitgliedstaaten zur Bekämpfung von Sozial- und Lohndumping verlangt hatte, publiziert hatte, wurde das Geschäft in der Sommersession 2022 vom Nationalrat abgeschrieben. Der Bundesrat hatte das Postulat in seinem Bericht über die Motionen und Postulate 2022 als erfüllt erachtet und die Abschreibung beantragt.

Lutte contre le dumping dans le cadre de l'application de la directive de l'UE sur les travailleurs détachés (Po. 17.3126)

Oui oder Non? – Unter diesem Motto lancierte der Migros-Genossenschaftsbund im Jahr 2022 die Urabstimmung zur Frage, ob in den Migros-Regalen künftig Alkohol verkauft werden darf oder nicht. Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler hatte das Alkoholverbot 1928 – also nur drei Jahre nach der Gründung des Unternehmens – eingeführt. Im Sommer 2021 hatte die Migros-Geschäftsleitung angekündigt, im Frühling 2022 eine Abstimmung unter den Genossenschaftsmitgliedern durchzuführen. Anstoss zur Diskussion hatte ein entsprechender Antrag der Delegiertenversammlung gegeben.
Bis zum 4. Juni 2022 waren rund 2.3 Mio. Genossenschafterinnen und Genossenschafter dazu eingeladen, ihre Meinung zu dieser Frage schriftlich auf dem Migros-Stimmausweis kundzutun. Die zehn Migros-Genossenschaften agierten dabei als eigenständige Einheiten; in jeder Genossenschaft hätte das Alkoholverkaufsverbot selbstständig gekippt oder weiterhin erhalten blieben können. Für die dazu nötige Änderung der Statuten war in neun Genossenschaften eine Zweidrittelmehrheit nötig; eine Ausnahme bildete die Genossenschaft Genf, in welcher das Alkoholverbot in einem Reglement festgehalten ist, zu dessen Änderung eine einfache Mehrheit reicht.
Im Vorfeld der Abstimmung kam es zu teils emotionalen öffentlichen und medialen Debatten. Wie bei einer nationalen Abstimmung wurde das Thema beispielsweise in der SRF-TV-Sendung «Arena» diskutiert. Befürwortende Stimmen argumentierten, mit der Aufhebung des Alkoholverbots könnte die Migros wie ihre Tochterfirmen Migrolino, Denner und Migros-Online auch in den klassischen Supermärkten Alkohol verkaufen. Damit würden überdies gleich lange Spiesse gegenüber anderen Detailhändlern geschaffen. Die Gegnerinnen und Gegner beriefen sich derweil auf das «Erbe» (Tages-Anzeiger) von Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler, wonach beim «orangen M» keine Alkohol- und Tabakprodukte gekauft werden können. Dem Nein-Komitee schlossen sich auch Organisationen für den Schutz vor Alkoholmissbrauch an, so etwa das Blaue Kreuz. Argument war hier, dass Alkoholsüchtige nicht in Versuchung geführt würden, wenn in einem Supermarkt kein Alkohol angeboten würde. Dies sei nur in der Migros möglich.

Das Verdikt der Genossenschafterinnen und Genossenschafter – bei einer Stimmbeteiligung von rund 29 Prozent – war eindeutig. In allen zehn Genossenschaften bleibt der Verkauf von Alkohol weiterhin verboten. Am stärksten abgeschmettert wurde das Anliegen in der Genossenschaft Zürich mit über 80 Prozent Nein-Stimmen, am wenigsten stark in der Tessiner Genossenschaft mit gut 55 Prozent Nein-Stimmen. Von der nötigen Zweidrittel-Ja-Mehrheit waren alle Genossenschaften meilenweit entfernt. In den Regalen wird deshalb künftig schweizweit nur das alkoholfreie Migros-Bier «NON» zum Verkauf stehen, welches die Migros-Plakate anlässlich der Abstimmung zierte.

Migros-Urabstimmung zum Alkoholverkaufsverbot vom 4. Juni 2022
Resultate in den einzelnen Genossenschaften:

Migros Aare: 79.9% Nein
Migros Basel: 76.1% Nein
Migros Genf: 64.8% Nein
Migros Luzern: 74.7% Nein
Migros Neuenburg-Freiburg: 73.1% Nein
Migros Ostschweiz: 76.3% Nein
Migros Tessin: 55.3% Nein
Migros Waadt: 69.0% Nein
Migros Wallis: 60.3% Nein
Migros Zürich: 80.3% Nein

Alkohol-Abstimmung vom 4. Juni 2022 in den zehn Migros-Genossenschaften

Im Sommer 2020 verlangte Benjamin Roduit (mitte, VS) mittels Motion ein Verbot von Zusatzstoffen in Tabakprodukten und elektronischen Zigaretten, die das Suchtpotential oder die Toxizität erhöhen. Zudem wollte er das «Inverkehrbringen […] von Rauchtabakerzeugnissen mit einem charakteristischen Aroma» verbieten. Als Grund führte er in der Sommersession 2022 unter anderem die erhöhte Suchtwirkung, die mit dem Konsum solcher Produkte einhergehe, an. Denn durch die hinzugefügten Stoffe würden beispielsweise der Hustenreiz unterdrückt und die Nikotinaufnahme erleichtert. Ausserdem realisierten die Konsumentinnen und Konsumenten durch das Aroma den Schaden, welchen sie ihrem Körper zufügten, weniger stark. Besonders davon betroffen seien junge Menschen. So zeige etwa eine US-amerikanische Umfrage, dass vier von fünf Jugendlichen, die mit dem Rauchen beginnen, zu einem aromatisierten Produkt greifen würden. Unter anderem in der Europäischen Union, Grossbritannien, Nordirland und Kanada seien diese Zusatzstoffe bereits seit einigen Jahren verboten. Sehe man hierzulande von einem Verbot ab, beschafften sich die europäischen Jugendlichen in Zukunft aromatisierte Zigaretten aus der Schweiz, so der Motionär weiter. Das Anliegen sei bereits im Zusammenhang mit dem indirekten Gegenvorschlag zur Initiative «Kinder und Jugendliche ohne Tabak» diskutiert worden. Mit der Absicht, den Gegenentwurf zur Volksinitiative nicht allzu fest zu verschärfen, sei der Punkt damals jedoch nicht aufgenommen worden. Nach Annahme der Initiative solle dieser Punkt nun jedoch noch geklärt werden. Gesundheitsminister Berset erachtete das Anliegen des Motionärs als wichtig. Die Situation habe sich seit der ersten Bundesratsvorlage zum Tabakproduktegesetz 2015 allerdings stark verändert und es wäre nun für den Bundesrat in Anbetracht der vom Parlament verabschiedeten Regelungen schwierig, diese Motion umzusetzen. Mit 89 zu 81 Stimmen (bei 15 Enthaltungen) nahm der Nationalrat die Motion an. Dabei stimmten lediglich die GLP- und die Grünen-Fraktion geschlossen – sie sprachen sich für die Motion aus –, alle übrigen Fraktionen zeigten sich gespalten. Die Mitglieder der SP- und der Mitte-Fraktion stimmten mehrheitlich für Annahme, die Mitglieder der SVP- und der FDP.Liberalen-Fraktion mehrheitlich für Ablehnung.

Aromatisierte Zigaretten. Junge Menschen schützen (Mo. 20.3634)

Im Mai 2022 gab die RK-NR einer parlamentarischen Initiative Gredig (glp, ZH) zur Bekämpfung von Zwangsarbeit durch die Ausweitung der Sorgfaltspflicht Folge. Der Entscheid fiel nur knapp mit dem Stichentscheid der Präsidentin Christa Markwalder (fdp, BE). Die grünliberale Nationalrätin Corina Gredig forderte, dass der Geltungsbereich des indirekten Gegenvorschlags zur Konzernverantwortungsinitiative dahingehend ergänzt wird, dass bei den besonderen Sorgfaltspflichten und bei der Transparenz auch das Verbot von Zwangsarbeit aufgeführt wird. Sie begründete ihr Anliegen damit, dass Uigurinnen und Uiguren zu Zwangsarbeit in chinesischen Fabriken gezwungen würden, die im Verdacht stünden, auch mit Schweizer Unternehmen Geschäfte zu treiben. Handel mit Unternehmen, die Zwangsarbeit anwenden, widerspreche UNO-Leitprinzipien wie auch OECD-Leitsätzen und führe zu Wettbewerbsverzerrungen gegenüber Unternehmen, die eine wirksame Sorgfaltsprüfung vornehmen.

Bekämpfung von Zwangsarbeit durch die Ausweitung der Sorgfaltspflicht (Pa. Iv. 21.427)