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  • Kirchen und religionspolitische Fragen

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Eine grossangelegte Nationalfondsstudie über die religiöse Ausrichtung der Wohnbevölkerung in der Schweiz entkräftete die bisher allgemein vertretene Säkularisierungsthese. Die Bindung an die traditionellen Kirchen nimmt zwar stetig ab, doch führt dies nicht zum Atheismus, sondern zu einer individuell gefärbten Religiosität, welche sich aus verschiedenen, auch ausserchristlichen Quellen zusammensetzt. Die Studie erlaubte auch die Feststellung, dass sich Spuren des einstigen konfessionellen Milieus, welches vor allem auf katholischer Seite bis in die Mitte der sechziger Jahre recht geschlossen war, heute praktisch nur noch im Abstimmungsverhalten und in der parteipolitischen Landschaft der Schweiz niederschlagen. Auch bei der wachsender Distanz zu der Kirche kann die Verankerung in einer Partei wie der CVP zunächst erhalten bleiben. Zumindest scheint sich die Lockerung der Kirchenbindung erst mit einer Phasenverzögerung auf die Politik auszuwirken.

Nationalfondsstudie über die religiöse Ausrichtung der Wohnbevölkerung

Der "Fall Haas" beschäftigte den Nationalrat in der Frühjahrssession, wo mehrere diesbezügliche Vorstösse behandelt wurden. In den meisten Wortmeldungen wurde dabei dem Bundesrat vorgeworfen, beim Vatikan zu wenig energisch die demokratischen Rechte der katholischen Landeskirche verteidigt zu haben. Bundespräsident Felber verwies in diesem Zusammenhang auf die Kantonshoheit in Glaubensfragen und die entsprechend limitierten Möglichkeiten der Bundesbehörden. Er versicherte aber, dass der Bundesrat der Kurie seine Besorgnis über die Vorgänge im Bistum Chur deutlich ausgedrückt habe. Die im Vorjahr vorgenommene Ernennung eines Botschafters in Sondermission beim Heiligen Stuhl sei erfolgt, um inskünftig ohne den Umweg über den Nuntius die Interessen der Schweizer Katholiken in Rom vorbringen zu können. Mit Ausnahme prononciert protestantischer Vertreter, welche dem Bundesrat mangelndes Fingerspitzengefühl im Umgang mit der reformierten Kirche vorwarfen, sich für eine Abberufung des Sonderbotschafters einsetzten oder gar mit einer Volksinitiative auf Trennung von Kirche und Staat drohten, stimmte der Rat der Politik des Bundesrates zu und überwies mit klarer Mehrheit ein Postulat Pini (fdp, TI), welches eine Normalisierung der diplomatischen Beziehungen zum Kirchenstaat anregt.

Churer Bischof Wolfgang Haas

Dies scheint allerdings nicht für die Kontroverse um den äusserst umstrittenen, dem Opus Dei nahestehenden Churer Bischof Wolfgang Haas zu gelten, dessen Einsetzung führende Kirchenjuristen nach wie vor für widerrechtlich halten. Die Schweizer Bischöfe wurden mehrfach im Vatikan vorstellig und gaben ihrer Sorge über die unhaltbaren Zustände in der Diözese Chur Ausdruck, die durchaus zu einer Kirchenspaltung führen könnten. Der Papst schickte zwar einen Vermittler in die Schweiz und kündigte konkrete Schritte an, liess aber keinen Zweifel daran, dass mit einer Abberufung Haas nicht gerechnet werden könne.

In den Kantonen, die zum Bistum Chur gehören, traten nach dem Amtsantritt von Haas rund doppelt so viele Katholiken aus der Kirche aus wie in den Jahren zuvor.

Churer Bischof Wolfgang Haas

Die Ernennung eines Schweizer Botschafters in Sondermission beim Vatikan muss zweifelsohne in Zusammenhang mit der Affäre Haas gesehen werden. Die Schweiz stellte bislang für den Heiligen Stuhl einen Ausnahmefall dar: Im Zuge des Kulturkampfes war es 1870 zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen der Schweiz und dem Vatikan gekommen, ein Zustand, der sich erst 1920 mit der Wiedereröffnung einer Nuntiatur wieder halbwegs normalisierte. Die Schweiz hatte es jedoch nie für nötig erachtet, ihrerseits einen Botschafter beim Heiligen Stuhl zu ernennen, so dass die Beziehungen in beiden Richtungen über den in Bern akkreditierten Nuntius liefen. Noch im Vorjahr hatte es der Bundesrat bei der Behandlung eines Postulates Portmann (cvp, GR) abgelehnt, aufgrund der Entwicklungen im Bistum Chur, die er als innerkatholisches Problem einstufte, eine Normalisierung der diplomatischen Beziehungen in Erwägung ziehen zu wollen. Im Berichtsjahr kam der Bundesrat nun aber offenbar doch zur Einsicht, dass angesichts der Spannungen zwischen dem Vatikan und den Schweizer Katholiken ein ständiger Kontakt durch intensiv gestaltete diplomatische Beziehungen für beide Seiten nur von Nutzen sein könne. Mit der Ernennung eines Botschafters in Sondermission, der zwischen Bern und Rom pendeln wird, verfügt die Regierung nun über ein diplomatisches Instrument, um den Vatikan umgehend, direkt und auf politischer Ebene über die Stimmung in der Schweiz zu informieren.

Mit der Ernennung eines Botschafters in Sondermission erfüllte der Bundesrat auch den Wunsch des Tessiner FDP-Nationalrats Pini, der die Regierung in einem in der Sommersession eingereichten Postulat ersucht hatte, die Möglichkeiten einer Normalisierung der diplomatischen Beziehungen mit dem Vatikan zu prüfen.

Ernennung eines Schweizer Botschafters in Sondermission beim Vatikan

Die christlichen Kirchen der Schweiz begingen das Jubiläumsjahr der Eidgenossenschaft als gemeinsames "Halljahr". Im Sinn der 1989 stattgefundenen ökumenischen Versammlung "Frieden in Gerechtigkeit" bereitete die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen der Schweiz die Halljahrsgebote in Form einer Botschaft auf. Hauptthemen waren dabei die Überwindung von Armut besonders von Frauen in der Schweiz, ein Schuldenerlass zugunsten der ärmsten Länder der Welt, eine gerechte Welthandelsordnung verbunden mit einer Erhöhung der Entwicklungshilfe um 50% (Gerechtigkeit), die Förderung der gewaltlosen Konfliktbewältigung, die Schaffung eines Gemeinschaftsdienstes als frei wählbare Alternative zum Militärdienst und die Einschränkung bzw. das Verbot des Waffenexports (Frieden) sowie die Senkung des Energieverbrauchs um jährlich 2% zur Verhinderung einer Klimakatastrophe (Bewahrung der Schöpfung).

Gemeinsames Halljahr 1991 der christlichen Kirchen

Eine Repräsentativbefragung zum Thema "Kirche in der Schweiz" liess klar den Wunsch nach Trennung von Kirche und Staat und nach Nichteinmischung der Kirchen in die politischen Angelegenheiten zum Ausdruck kommen. Während die rechtliche Abgrenzung von Kirche und Staat bei Katholiken und Protestanten, bei Deutsch- und Westschweizern etwa gleich stark befürwortet wurde, äusserten die Romands besonders deutlich, dass sie eine Intervention der Kirchen in die Belange der Tagespolitik ablehnen. Eine Umfrage unter den Unterwalliser Katholiken zeigte ebenfalls eine wachsende Distanz zu den kirchlichen Institutionen. Zu ähnlichen Ergebnissen kam eine Umfrage unter den Genfer Protestanten. Eine schlechte Prognose stellte die Bevölkerung der Kirche der Zukunft: rund 70% der Befragten vertraten die Ansicht, die Bedeutung der Kirchen werde in der Schweiz immer mehr abnehmen.

Befragung nach Trennung von Kirche und Staat

Zu einer der im selben Jahr durchgeführten Repräsentativbefragung entgegengesetzten Meinung über das politische Engagement der Kirchen kamen die Autoren des Berichtes "Kirche – Gewissen des Staates?", den die Bernische Regierung ausgehend von einer Motion aus dem Jahr 1987 in Auftrag gegeben hatte. Die Verfasser kamen zum Schluss, dass die Kirche zu politischen Stellungnahmen nicht nur berechtigt, sondern – zumindest aus theologischer Sicht – sogar verpflichtet sei. Zum Vorwurf, die Kirchen betrieben Parteipolitik, so etwa in der umstrittenen Asylfrage, zeigten die Autoren auf, dass im Vordergrund der offiziellen kirchlichen Verlautbarungen ethische Grundwerte wie die Achtung der Menschenwürde und die dazugehörige Gewährleistung der Menschenrechte sowie die internationale Solidarität stehen, die alle biblisch vielfach abgestützt sind. Das Problem bestehe nicht darin, meinten sie, dass sich die Kirche oder einzelne ihrer Vertreter kritisch zur Politik äusserten, sondern darin, dass das lange Zeit selbstverständliche Mindestmass an allgemeinem, auch politischem Konsens in immer mehr Bereichen zerfalle.

Bericht "Kirche – Gewissen des Staates?"

Aus Anlass des Jubiläums der Eidgenossenschaft führten die christlichen Konfessionen aller Sprachregionen am Eidgenössischen Dank-, Buss- und Bettag erstmals eine gemeinsame Liturgie durch. Die Feier, welche auch die Juden und die Muslime miteinbezog, fand in Anwesenheit von Vertretern des Bundes, der Kantone und der Kirchen in Sarnen (OW) statt. Die Form der Veranstaltung – Gottesdienst und Diskussion über das Verhältnis von Christentum und Politik – wurde auch in den einzelnen Kirchgemeinden und Pfarreien aufgenommen und soll über das Jubiläumsjahr hinaus wirken.

Gemeinsame Liturgie zum 700-Jahr-Jubiläum der Eidgenossenschaft

Die Schweizer Katholiken sahen in der Ernennung des Bischofs von Sitten, Heinrich Schwery, zum Kardinal einen Vertrauensbeweis Roms in die Schweizer Kirche und einen Hinweis darauf, dass der Papst deren Anliegen ernst nehme.

Heinrich Schwery

Ende März starb in Martigny (VS) der Traditionalist und Alt-Erzbischof Marcel Lefèbvre, der wegen seiner Gründung eines integristischen Priesterseminars in Ecône (VS) und der Weihung von vier Bischöfen 1988 von Rom exkommuniziert worden war.

Tod von Alt-Erzbischof Marcel Lefebvre

Die verschiedenen zum Tessiner Kruzifixstreit hängigen Interpellationen wurden von den eidgenössischen Räten behandelt. Dass sich zumindest der Nationalrat nicht in diese heikle rechtliche Frage einmischen will, wurde klar, als er den Antrag des Interpellanten Ruckstuhl (cvp, SG) auf Diskussion der bundesrätlichen Antwort ablehnte. Etwas länger wurde die Angelegenheit im Ständerat aufgrund einer Interpellation Danioth (cvp, UR) debattiert. Insbesondere wurde die Frage aufgeworfen, wie weit Bundesrat und Parlament bei der Beurteilung ähnlicher Fälle an das Urteil aus Lausanne gebunden wären, und ob es sich beim Kruzifix um ein allgemein christliches oder ein spezifisch katholisches Symbol handle. Bundesrat Koller bekräftigte noch einmal die Auffassung der Regierung, wonach es ihr nicht zustehe, Entscheide des Bundesgerichts zu kritisieren, vertrat aber dennoch die Meinung, das Urteil müsse sich auf Klassenzimmer öffentlicher Schulen beschränken und dürfe keinesfalls eine Verbannung der christlichen Symbole aus dem öffentlichen Leben bedeuten.

Tessiner «Kruzifix-Streit»

Im Tessiner 'Kruzifix-Streit' fällte das Bundesgericht sein Urteil. Es befand, derart symbolträchtiger Wandschmuck verstosse gegen Art. 27 Abs. 3 BV, welcher einen konfessionell neutralen Unterricht in den öffentlichen Schulen garantiert, weshalb die Kruzifixe in den Klassenzimmern zu entfernen seien. Das Urteil löste in katholischen Kreisen und insbesondere im Tessin Bestürzung aus und führte zu drei Interpellationen an den Bundesrat, welche bis zu Ende des Berichtsjahres im Parlament nicht behandelt wurden. Der Bundesrat liess aber im Dezember seine Stellungnahme dazu veröffentlichen. Er verwies darauf, dass er ursprünglich anders entschieden habe als das Bundesgericht. Aus Rücksicht auf den Grundsatz der Gewaltenteilung stehe es ihm jedoch nicht zu, das Urteil des Bundesgerichts zu kritisieren. Nach seiner Ansicht beschränke sich das Urteil jedoch auf öffentliche Schulen und dürfe ausserhalb derselben keinen Präzedenzcharakter haben.

Tessiner «Kruzifix-Streit»

Im Unterschied zum Kanton Bern wurde im Kanton Freiburg hingegen wurde der israelitischen Kultusgemeinde ziemlich diskussionslos der öffentlich-rechtliche Status zuerkannt. Damit ist Freiburg nach Baselstadt der zweite Kanton, der Christentum und Judentum juristisch gleichstellt.

Israelitische Kultusgemeinde Freiburg

Erste Teilresultate einer in Rahmen des NFP 21 durchgeführten Studie zeigten, dass die Landeskirchen in den letzten Jahrzehnten viel von ihrer Autorität und damit auch von ihrer gesellschaftlichen und politischen Bedeutung verloren haben. Zwar sind mehr als 93% der Schweizerinnen und Schweizer Mitglieder einer christlichen Glaubensgemeinschaft, doch die weitaus meisten sind der Auffassung, dass sie auch ohne Kirche an Gott glauben können. Religiöse Identität wird nicht mehr in der Übereinstimmung mit der Lehre der Kirche erfahren, sondern in der individuellen Wahl aus den verschiedensten Glaubenslehren. So glauben weit über 90% an die Existenz einer höheren Macht, aber nur noch 60% an den christlichen Gott. Dennoch steht für drei Viertel der Befragten ein Kirchenaustritt nicht zur Diskussion, offenbar weil die Kirchenmitgliedschaft als eine der Selbstverständlichkeiten des Lebens erachtet wird.

Landeskirchen haben viel von ihrer Autorität verloren

Der Bundesrat hatte bereits im Vorjahr durchblicken lassen, dass er den Wirbel um die Neubesetzung des Churer Bischofssitzes als innerkirchliche Angelegenheit betrachten und von einer direkten Einmischung absehen möchte. In diesem Sinn nahm er in der Herbstsession auch zu vier parlamentarischen Vorstössen Stellung. In Beantwortung von zwei Interpellation der Nationalräte Seiler (cvp, ZH) und Jaeger (ldu, SG) erklärte er, es sei begreiflich, dass die Vorgehensweise des Vatikans bei der Wahl Haas' und einzelne Entscheide des neues Amtsinhabers bei weiten Teilen der Bevölkerung Unverständnis und Besorgnis ausgelöst hätten. Der religiöse Frieden in der Schweiz sei aber nicht gefährdet, weil es sich beim Fall Haas um eine rein innerkatholische und nicht um eine überkonfessionelle Angelegenheit handle. Zur Frage, ob durch die Ernennung allenfalls bestehende Rechte verletzt worden seien, schrieb der Bundesrat weiter, dies müsse in erster Linie von den Kantonen entschieden werden. Wegen der geltenden Zuständigkeitsordnung und der kontroversen Rechtslage übe der Bundesrat bei der Beurteilung dieses äusserst komplexen Rechtsstreites eine gewisse Zurückhaltung aus. Der Nuntius sei aber vom Bund wiederholt drauf hingewiesen worden, dass die in der Schweiz tiefverwurzelten direktdemokratischen Prinzipien sich nicht nur auf die politischen Entscheidungsprozesse, sondern traditionell auch auf die kirchlichen Bereiche auswirkten.

Bundesrat zu Wirbel um die Neubesetzung des Churer Bischofssitzes

Zeitgleich mit ihren Äusserungen zur Neubesetzung des Churer Bischofssitzes äusserte sich die Landesregierung zu einem Postulat Portmann (cvp, GR), welches anregte, der Bund möge seine einseitigen Beziehungen zum Vatikan, die heute in beiden Richtungen von der Nuntiatur wahrgenommen werden, aufheben und durch eine reguläre diplomatische Vertretung ersetzen. Der Bundesrat stellte fest, die diplomatischen Beziehungen zum Vatikan seien in gewisser Hinsicht tatsächlich anormal, da die Schweiz das einzige Land sei, bei dem ein Nuntius akkreditiert ist, welches selber aber keine Vertretung beim Vatikan unterhält. Dennoch, so führte er weiter aus, erachte er die Errichtung einer ständigen Vertretung beim Vatikan nicht als dringlich. Eine Schliessung der Nuntiatur, wie es ein Postulat Zwygart (evp, BE) verlangt hatte, stehe für ihn hingegen ausser Frage. Auf seinen Antrag wurden beide Postulate abgelehnt.

Beziehungen zum Vatikan

In den folgenden Tagen und Wochen ertönte sowohl an der Basis als auch bei den betroffenen kantonalen und kirchlichen Instanzen immer lauter der Ruf nach einen Rücktritt jenes Mannes, an dessen Tragbarkeit sogar die Schweizer Bischofskonferenz offen zweifelte. Verschiedentlich wurde angedroht, die Bistumsbeiträge zu sistieren, was den Churer Hof in arge finanzielle Bedrängnis bringen dürfte. Da sich jeder Versuch eines konstruktiven Dialogs mit Haas zerschlug, sahen sich die Zürcher Katholiken veranlasst, ihre Abspaltung von Chur und die Schaffung eines eigenständigen Zürcher Bistums zu verlangen. Bevor dies geschehen könnte, müssten aber noch umfangreiche juristische Abklärungen getroffen werden. Art. 50 Abs. 4 BV besagt nämlich, dass die Errichtung neuer Bistümer der Genehmigung des Bundes unterliegt. Die katholische Kirche empfand diese Bestimmung stets als Erbe des Kulturkampfes und als Diskriminierung ihrer Konfession und hat schon verschiedentlich auf die Abschaffung dieses Artikels hingewirkt.

Wolfgang Haas alleiniger Leiter des zweitgrössten Schweizer Bistums

Dass sich hinter dieser lauen Glaubenshaltung dennoch starke religiöse Sensibilitäten verbergen können, bewiesen die Stimmberechtigten des Kantons Bern. Gegen ein sehr offen formuliertes Gesetz über die Voraussetzungen und Wirkungen der öffentlich-rechtlichen Anerkennung von Religionsgemeinschaften, welches ermöglicht hätte, auch nichtchristliche Glaubensgemeinschaften unter gewissen Bedingungen anzuerkennen, hatte die EDU erfolgreich das Referendum ergriffen. Im Abstimmungskampf wurde sie nur von den SD (ehemals NA) aktiv unterstützt. Aber hinter den Kulissen entfachte sich ein wahrer Glaubenskrieg, der nicht frei war von rassistischen Untertönen. Er richtete sich in erster Linie gegen die Möglichkeit, dass auch der Islam anerkannt werden könnte, obgleich von dieser Seite bisher kein Interesse signalisiert worden war. Und die Flüsterpropaganda hatte Erfolg: entgegen den Abstimmungsparolen aller grossen Parteien – mit Ausnahme der SVP, welche trotz innerer Differenzen die Nein-Parole ausgab – lehnte das Berner Stimmvolk das neue Gesetz bei einer Stimmbeteiligung von lediglich 15,1% mit rund 55% Nein-Stimmen ab.

Bern. nichtchristliche Glaubensgemeinschaften lehnte das neue Gesetz ab

Auf den Tag genau zwei Jahre nach der höchst umstrittenen Ernennung von Wolfgang Haas zum Weihbischof mit Nachfolgerecht nahm der Papst den Amtsverzicht des Churer Bischofs Johannes Vonderach an, wodurch Haas automatisch alleiniger Leiter des zweitgrössten Schweizer Bistums wurde, welches in den Kantonen Graubünden, Uri, Schwyz, Ob- und Nidwalden, Glarus, Zürich sowie im Fürstentum Liechtenstein rund 700 000 Katholiken umfasst. Die Stabsübergabe auf dem Churer Hof löste in weltlichen und kirchlichen Kreisen Ratlosigkeit, Enttäuschung, Konsternation und Angst vor innerkirchlicher Spaltung aus. Dies geschah nicht nur wegen der streng konservativen Ansichten Haas', sondern auch weil mit seiner Bestätigung fundamentale Fragen des Kirchen- und Völkerrechts wieder aufgerollt wurden. Zahlreiche Gutachten waren in den vergangenen zwei Jahren nämlich zur Ansicht gekommen, der Papst habe mit seiner eigenmächtigen Ernennung Haas' zum Koadjutor verbriefte Rechte der Schweizer Domkapitel verletzt.

Wolfgang Haas alleiniger Leiter des zweitgrössten Schweizer Bistums

In der römisch-katholischen Kirche, besonders im Bistum Chur, wollten sich die Wogen nicht glätten lassen, die bei der 1988 erfolgten Ernennung von Wolfgang Haas zum Weihbischof mit Nachfolgerecht aufgebrandet waren. Bischof Vonderach stellte sich zwar unverdrossen hinter ihn und behauptete, die Ernennung Haas sei hauptsächlich durch die Schuld der Medien zu einem kontroversen Ereignis geworden, doch konnte dies die Akzeptanz von Weihbischof Haas an der Kirchenbasis kaum fördern.

Um die Rechtmässigkeit des Vorgehens Roms im Fall Haas entbrannte unterdessen ein ausgedehnter Juristenstreit, in dem die rechtlichen Bedenken gegenüber der Entscheidung des Vatikans schwer ins Gewicht fielen. Der Kanton Schwyz weigerte sich weiterhin, die Wahl Haas anzuerkennen und bat den Bundesrat, beim Heiligen Stuhl zu intervenieren und die Rücknahme des Nachfolgerechts zu erwirken. Öl aufs Feuer goss in dieser emotional aufgeheizten Stimmung der ebenfalls als sehr konservativ eingestufte päpstliche Nuntius in Bern, Mgr Rovida, welcher laut einer – später zwar dementierten – Indiskretion die Ansicht vertreten haben soll, dass der Papst in jedem Fall das Recht zur Ernennung eines Weihbischofs mit Nachfolgerecht habe, auch dort, wo ein Konkordat der Ortskirche die Mitsprache sichert, in der Schweiz also in den Bistümern Basel (mit Sitz in Solothurn) und St. Gallen. Obgleich der Nuntius auf seinen Äusserungen nicht behaftet werden konnte, schien dem Bundesrat die Angelegenheit doch als heikel genug, um die Direktion für Völkerrecht anzuweisen, die diesbezüglichen rechtlichen Fragen zu prüfen. Nachdem bereits das Domkapitel Basel den Nuntius hatte wissen lassen, die Ernennung eines Weihbischofs mit Nachfolgerecht würde klar als Konkordatsverletzung betrachtet, traf sich ein EDA-Mitarbeiter mit Mgr Rovida: Der Inhalt des Gesprächs wurde zwar nicht veröffentlicht, doch konnte angenommen werden, der Bundesrat habe dem Nuntius dieselbe Antwort erteilt wie das Basler Domkapitel.

Prominente Unterstützung erhielten die ob diesen Vorgängen und Äusserungen besorgten römisch-katholischen Kreise durch 163 zum Teil namhafte katholische Theologieprofessoren aus der BRD, Österreich, den Niederlanden und der Schweiz, die im Anschluss an weitere umstrittenen Bischofsweihen in Köln, Wien, Feldkirch und Salzburg gemeinsam eine papstkritische «Kölner Erklärung» publizierten. In dem Thesenpapier («Wider die Entmündigung – für eine offene Katholizität») warfen sie dem Papst Machtmissbrauch bei der Ernennung von Bischöfen und bedeutende Eingriffe in die Freiheit von Lehre und Forschung vor. Sie kritisierten die unzulässige Geltendmachung seiner lehramtlichen Kompetenz – damit sind die pointierten, «dogmatischen» Äusserungen Johannes Paul II. zur Geburtenregelung gemeint – und die Missachtung des Geistes der Öffnung, wie ihn das zweite Vatikanische Konzil gebracht hatte, was zu einer Gefährdung der Ökumene führe.

Kontroverse um Bischof Wolfgang Haas

Der Tessiner «Kruzifix-Streit», bei dem es letztlich um das Verhältnis zwischen Kirche und Staat geht, beschäftigte nun auch die eidgenössischen Räte. Der «Fall», der in der Zwischenzeit deutlich Kulturkampf-Charakter angenommen hat, begann 1984, als im Neubau der Schule von Cadro TI – einer Gemeinde im Hinterland von Lugano – in allen Klassenzimmern Kruzifixe aufgehängt wurden. Dagegen protestierte ein Lehrer bei der Gemeinde, die sich jedoch hinter die Schulleitung stellte. Unterstützt von der Vereinigung der Freidenker legte der Lehrer beim Staatsrat Rekurs ein, wurde jedoch erneut abgewiesen. Anderer Ansicht war das Tessiner Verwaltungsgericht, das die Beschwerde mit dem Hinweis auf die konfessionelle Neutralität der Schulen (Art. 27 Abs. 3 BV) schützte. Diesen Bescheid mochte die abgewiesene Gemeinde nicht gelten lassen, und sie zog den Fall ans Bundesgericht. Nach längerem Hin und Her gaben die Lausanner Richter die Angelegenheit an den Bundesrat weiter, der 1988 unter Berufung auf die Präambel der Bundesverfassung zugunsten der Gemeinde entschied. Dies wiederum wollten Lehrer und Freidenker nicht hinnehmen und gelangten mit einer Beschwerde an die Bundesversammlung. Am 4. Oktober beschloss die Vereinigte Bundesversammlung auf Vorschlag der Begnadigungskommission, den Entscheid des Bundesrates wegen mangelnder Zuständigkeit aufzuheben und den Fall dem Bundesgericht zur Beurteilung zu überweisen.

Tessiner «Kruzifix-Streit»

Das aus christlicher Sicht herausragendste Ereignis des Jahres 1989 war die vom 15. bis 21. Mai in Basel stattfindende europäische ökumenische Versammlung «Frieden in Gerechtigkeit», das grösste konfessionsüberspannende Treffen seit der Glaubensspaltung. Die Basler Konferenz war ein eigenständiger Teil des konziliaren Prozesses für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung, der 1990 in einer Weltversammlung gipfeln wird. Die vom Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) ausgehende und von Carl Friedrich von Weizsäcker stark geförderte Idee führte auf Einladung der Basler Regierung 700 Delegierte – 350 Repräsentanten des römisch-katholischen Rates der Bischofskonferenzen (CCEE) und 350 Vertreter der rund 120 orthodoxen, evangelischen, protestantischen und christkatholischen Mitgliedkirchen der Konferenz europäischer Kirchen (KEK) – zu gemeinsamem Gebet und engagierter Auseinandersetzung mit den grossen Bedrohungen der Menschheit ans Rheinknie.

Diskussionsgrundlage bildete ein Arbeitspapier, das 1988 in ein breites Vernehmlassungsverfahren gegangen war und dann auf Grund von rund 500 Eingaben umgestaltet, substantiell verbessert und erweitert wurde. Die existentiellen, kriegerischen und ökologischen Bedrohungen der Erde wurden als ineinandergreifende Dimensionen der Krise bezeichnet, die ihre Ursache in den technischen Möglichkeiten der Menschen, letztlich aber in deren Vermessenheit gegenüber dem Leben und der ganzen Schöpfung habe. Schuldenbekenntnis und ökumenische Glaubenshaltung sollten wichtige Marksteine auf dem Weg zur Hoffnung setzen, und die Delegierten wurden aufgerufen, sich für eine gerechte Weltwirtschaftsordnung, für die Durchsetzung der Menschenrechtskonventionen und für eine internationale Friedens- und Umweltordnung einzusetzen. Konkretisiert wurden diese Anliegen in einer langen Liste von Empfehlungen an die politischen Instanzen.

Zur feierlichen Eröffnung der Konferenz, an der Bundesrat Otto Stich die Grüsse der Landesregierung übermittelte, strömten Tausende von Christen nach Basel. Die Basis machte denn auch eifrig bei den zahlreichen Hearings und beim kulturellen Begleitprogramm mit, während die Sitzungen im Plenum und in den Arbeitsgruppen den Delegierten – unter ihnen nur rund ein Drittel Frauen – vorbehalten waren. Dabei ging es nicht nur friedlich zu und her. Osteuropäische Delegierte kritisierten die westeuropäische Prägung der Tagung, aussereuropäische Gastredner griffen das eurozentrische Entwicklungsmodell für die Dritte Welt, das den unterentwickelten Ländern nur Massenelend bringe, in harten Worten an. Für den meisten Zündstoff aber sorgten die Frauen: Mit ihrer provokativen Forderung, wer für Gerechtigkeit in der Welt sorgen wolle, müsse zuerst die «Sünde des Sexismus» ausrotten, sorgten sie für recht viel Wirbel, und die Thesen der feministisch orientierten Theologie gerieten in manchen Konflikt mit den Überzeugungen der katholischen und orthodoxen Delegierten.

Die Versammlung rang hart um das schliesslich mit überwältigendem Mehr angenommene Schlussdokument, dessen Publikation denn auch mehrmals verschoben werden musste. 600 Änderungsvorschläge wollten diskutiert und berücksichtigt sein. Das lange Warten lohnte sich aber, da das Schlussdokument, welches weitgehend mit dem Arbeitsdokument identisch ist, nach Ansicht aller Beobachter griffiger und schärfer geworden war. Die Utopie einer gerechteren Weltwirtschaftsordnung blieb zwar weiterhin recht konturlos und die Empfehlungen zu den einzufordernden Rechten der Frauen wurden noch vager, sollen sie doch nur mehr «in die Entscheidungsfindungsprozesse», nicht aber in die «Kirchenleitung», wie es im Arbeitsdokument noch geheissen hatte, einbezogen werden. Viel an Inhalt und Überzeugungskraft gewann hingegen die Vision einer umfassenden Ökumene durch das Bekenntnis der Delegierten, auf eine Wiedervereinigung hinarbeiten zu wollen. Verstärkt zum Tragen kamen auch die Rechte der Jugendlichen, der Kinder – die hier überhaupt erstmals erwähnt wurden – und der Flüchtlinge. Deutlicher als das Arbeitsdokument bekräftigte das Schlussdokument die Bedeutung friedensfördernder Massnahmen und das Recht auf Militärdienstverweigerung. Unzweideutig war auch die Haltung gegen Rassismus – wozu neu auch die «Einwanderungs- und Ausländergesetze gewisser europäischer Staaten» gezählt wurden – und gegen die Apartheid. Eine Neufassung erfuhr auch die Passage über die Stellung der osteuropäischen Staaten innerhalb Europas.

Ökumene

Die Diskussion, ob die Kirchen sich politisch engagieren sollten, wurde durch den Beschluss des Weltkirchenrates (ÖRK) angeregt, an Organisationen, die den Rassismus bekämpfen, Beiträge auszurichten. Dass auch die interkonfessionelle Konferenz «Schweiz – Dritte Welt», die während zweier Tagungen ein Konzept schweizerischer Entwicklungspolitik zu erarbeiten versuchte, beschloss, den Weltkirchenrat in seinem Kampf gegen den Rassismus zu unterstützen, stiess in weiten Kreisen auf Ablehnung. Im Herbst veröffentlichte die schweizerische Bischofskonferenz (SBK) Richtlinien zum Mischehendekret des Papstes, die wegen ihres offenen und ökumenischen Inhalts von der protestantischen Kirche günstig aufgenommen wurden; diese erklärte sich zu weiteren Gesprächen bereit. Die eidgenössischen Räte ermächtigten den Bundesrat, die mit dem Heiligen Stuhl abgeschlossene Vereinbarung über die Abtrennung der Apostolischen Administratur des Tessins vom Bistum Basel und ihre Umwandlung in ein Bistum zu ratifizieren. Ein Schritt zur Annäherung der Rechtsstellung der fast einen Drittel der Bevölkerung umfassenden katholischen Kirche an die protestantische vollzog der Kanton Waadt. Das neue Katholiken-Statut wurde trotz starker Opposition insbesondere der Sozialdemokraten, die sich gegen die Staatskirche aussprachen, in der Volksabstimmung angenommen. Ferner blieb die Revision der konfessionellen Ausnahmeartikel während des ganzen Jahres im Stadium der Diskussion.

Kirche und Gesellschaft

Im Zusammenhang mit der Bewegung in den Kirchen fühlten sich kirchliche Kreise vermehrt zu einem politischen Engagement verpflichtet. So riefen junge evangelische Theologen anlässlich der Zwinglifeiern in Zürich nach Reformen und nach einem Heraustreten der Kirchen aus ihrem Glasgehäuse zum Kampf für eine gerechtere Welt. Als wichtigste kirchenpolitische Ereignisse sind die Einleitung eines Vernehmlassungsverfahrens über die konfessionellen Ausnahmeartikel und der Papstbesuch in Genf zu nennen. Auf dem Gebiet der Entwicklungshilfe intensivierte sich die Zusammenarbeit protestantischer und katholischer Organisationen bei der Aufklärung der Bevölkerung und bei Geldsammlungen; die Kirchenleitungen empfahlen den Kirchgemeinden, feste Entwicklungshilfebeiträge in ihre Voranschläge aufzunehmen. Den veränderten konfessionellen Verhältnissen entsprach es, wenn der Tessiner Staatsrat gleichzeitig mit der Bildung einer besonderen tessinischen Diözese die Revision eines Verfassungsartikels beantragte, der die römisch-katholische Konfession zur Staatsreligion erklärt; dadurch soll den protestantischen Kirchgemeinden die öffentlich-rechtliche Anerkennung verschafft werden. Anderseits meldeten sich in katholischen Kantonen konservative Widerstände gegen eine Einschränkung der Zahl der allgemeinen Feiertage in Anpassung an das eidgenössische Arbeitsgesetz; so wurde im Kanton Freiburg eine Verlegung des Festes «Mariä Empfängnis» auf den folgenden Sonntag, die als Kompensation für eine dritte obligatorische Ferienwoche gedacht war, mit dem fakultativen Referendum angefochten und vom Volk verworfen.

Kirche und Politik

Von kultur- wie von ordnungspolitischer Bedeutung ist auch die Tatsache einer inneren Erschütterung der Kirchen. Es sei hier nur andeutungsweise die Opposition gegen die päpstliche Enzyklika «Humanae vitae», die sich gegen eine allgemeine Geburtenregelung wendet, oder die Auflehnung junger protestantischer Theologen gegen traditionelle Formen und Gebräuche erwähnt. Demgegenüber bildet das vom Bundesrat auf tessinisches Begehren mit dem Vatikan getroffene Abkommen über eine Erhebung der apostolischen Administratur Lugano zum selbständigen Bistum eine bloss formale kirchenpolitische Neuerung, wobei das am 24. Juli unterzeichnete Abkommen noch der Ratifikation bedarf.

Römisch-katholische Landeskirche