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  • Beziehungen zur Europäischen Union (EU)

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  • von der Leyen, Ursula
  • Aeschi, Thomas (svp/udc, ZG) NR/CN

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Ständerätin Heidi Z'graggen (mitte, UR) reichte im Dezember 2021 ein Postulat ein, mit dem sie den Bundesrat dazu aufforderte, den geplanten Bericht zu den Beziehungen mit der EU um eine Analyse der Schweizer Leistungen für die EU zu ergänzen. Ebenjener Bericht wird derzeit in Erfüllung der Postulate Aeschi (svp, ZG; Po. 13.3151), Naef (sp, ZH; Po. 17.4147), Cottier (fdp, NE; Po. 21.3654), der Grünen Fraktion (Po. 14.4080, Po. 21.3667), der SP-Fraktion (Po. 21.3618) und der Motion Minder (parteilos, SH; Po. 21.4184) erarbeitet. Heidi Z'graggen argumentierte, dass man für die künftige Verhandlungsstrategie die durch die Schweiz erbrachten Leistungen quantifizieren müsse. Teil der Quantifizierung sei beispielsweise der Beitrag der Schweiz zum BIP des EU-Binnenmarkts. Neben einer Analyse der Export- und Importleistungen erwartete die Postulantin auch eine Übersicht über die Leistungen im Bereich des alpenquerenden Transitverkehrs und des Stromtransits; über die Abschöpfungen der höheren Kaufkraft in der Schweiz durch EU-Unternehmen; über die Leistungen der Schweiz für Grenzgängerinnen und Grenzgänger; über die Kosten der Personenfreizügigkeit bezüglich Wohnungspreisen, Umweltgütern, Staustunden und Sozialwerken; über die durch EU-Studierende anfallenden Kosten; sowie über allfällige Sozialleistungstransfers.
Der Bundesrat beantragte im Februar 2022 die Annahme des Postulats. Man werde die Leistungen der Schweiz an die EU soweit machbar und sinnvoll in den Bericht aufnehmen.
In der Frühjahrssession 2022 bat Ständerat Noser (fdp, ZH) darum, diese Kostenevaluation in Form von Bilanzen aufzuzeigen und nicht als einseitige Betrachtung. Schliesslich gebe es auch eine Nutzenbetrachtung, beziehungsweise die Kosten einer Nichtmitgliedschaft, was die geforderte Analyse jedoch sehr kompliziert mache. Er mahnte auch, dass man die europapolitische Kooperation nicht mit einer «Buchhaltermentalität» lösen könne. Auch Aussenminister Cassis rief den Ständerat dazu auf, realistische Erwartungen an den Tag zu legen. Man könne die effektiven Leistungen der Schweiz in vielen Fällen nicht genau bemessen, ein Beispiel dafür sei der Bau der NEAT. Der Ständerat nahm das Postulat einstimmig an.

Die Leistungen für die EU analysieren und quantifizieren (Po. 21.4450)

Jahresrückblick 2021: Aussenpolitik

Nach dem Jahr 2020, das auch im Bereich der Aussenpolitik mehrheitlich von der Covid-19-Pandemie dominiert worden war, kehrten 2021 wieder andere Themen ins Scheinwerferlicht zurück. Allen voran gewannen die Beziehungen zur EU aufgrund unvorhergesehener Ereignisse an Salienz. Die Zeitungsanalyse 2021 von Année Politique Suisse unterstreicht diese Entwicklung eindrücklich: Zeitungsartikel zu den Beziehungen zwischen der Schweiz und Europa machten im vergangenen Kalenderjahr rund die Hälfte aller Artikel im Themenbereich Aussenpolitik aus (vgl. Abbildung 2 der APS-Zeitungsanalyse 2021 im Anhang).

Hauptgrund für die Prominenz der bilateralen Beziehungen in den Medien dürfte das Ende der Verhandlungen über das Rahmenabkommen mit der EU im Mai 2021 gewesen sein. Zwar widerspiegelte der mediale Tonfall nach dem Treffen zwischen Bundespräsident Parmelin und EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen Ende April die Hoffnung, dass sich die Verhandlungen in eine weitere Runde würden retten können, doch die Reaktionen aus Politik und Wirtschaft zeigten die verhärteten Fronten in der Diskussion in der Schweiz auf. Auch das Parlament übte Ende April/Anfang Mai zunehmend Druck auf den Bundesrat aus, endlich neue Ansätze in die seit längerem blockierten Verhandlungen zu bringen. Ein Abbruch der Verhandlungen schien für den Bundesrat schliesslich angesichts der bestehenden Differenzen unvermeidlich, wobei die einseitige Entscheidung von der EU überhaupt nicht begrüsst wurde. Verschiedene politische und zivilgesellschaftliche Akteure wie die SP und die Operation Libero drängten nach dem Verhandlungsabbruch auf neue Lösungsansätze, der polarisierendste zielte gar auf einen EU-Beitritt ab. Eine in der Folge rasch ergriffene Massnahme betraf die seit 2019 blockierte zweite Kohäsionsmilliarde, die auf Initiative des Bundesrats in der Herbstsession von beiden Räten freigegeben wurde. Nachdem dieser zweite Schweizer Beitrag aufgrund der Nichtverlängerung der Börsenäquivalenz 2019 blockiert worden war, erhoffte sich der Bundesrat von der Freigabe nun die Assoziierung an Horizon Europe.

Die Verschlechterung der Beziehungen zur EU hatte sich zu Beginn des Jahres noch nicht unbedingt abgezeichnet. Im März hatte der Bundesrat die Botschaft zur Prümer Zusammenarbeit und dem Eurodac-Protokoll veröffentlicht und damit die Grundlage für eine vertiefte Kooperation mit der EU in Sachen Kriminalitätsbekämpfung gelegt. Diese waren in den beiden Räten unbestritten und wurden einstimmig angenommen. Auch ein weiteres Geschäft im Rahmen der Schengen-Weiterentwicklung, die Interoperabilität zwischen den EU-Informationssystemen, fand im Ständerat eine grosse Mehrheit. Etwas umstrittener gestalteten sich die Ratsdebatten über die Schweizer Beteiligung an der Weiterentwicklung von Frontex und über eine dafür nötige Revision des AIG. Da die Räte und die vorberatenden Kommissionen der EU-Migrationspolitik kritisch gegenüberstanden, brachten sie Ausgleichsmassnahmen in die Vorlage ein, um der humanitären Tradition der Schweiz gerecht zu werden. In der Folge wurde vor allem über deren Ausgestaltung diskutiert und weniger über den Frontex-Beitrag, der personelle und finanzielle Mittel umfasste und aufgrund der drohenden Beendigung der Schengen-Assoziierung bei einer Nichtübernahme unbestritten schien.

Deutlich positiver als die EU-Politik liest sich die Bilanz der Schweiz im Hinblick auf die Kooperation mit einzelnen europäischen Staaten. Die bilateralen Beziehungen zum Vereinigten Königreich im Nachgang des Brexit nahmen 2021 weiter Form an. Im Januar nahm der Ständerat als Zweitrat eine Motion Cottier (fdp, NR) an, die eine vertiefte Handelsbeziehung im Rahmen der «Mind the Gap-Strategie» des Bundesrats verlangte. Zudem veröffentlichte der Bundesrat im Juni die Botschaft zum Abkommen mit dem Vereinigten Königreich über die Mobilität von Dienstleistungserbringenden, durch das die Schweiz einen vereinfachten Zugang zum britischen Arbeitsmarkt erhalten soll. Dieses nahm die kleine Kammer in der Wintersession einstimmig an. Auch die Nutzung des französischen Satellitensystems «Composante Spatiale Optique» wurde von beiden Räten ohne grösseren Widerstand angenommen.

Auch in der Aussenwirtschaftspolitik ereignete sich im vergangenen Jahr einiges, angefangen mit der Abstimmung über das Freihandelsabkommen mit Indonesien, welches die Schweizer Bevölkerung im März mit 51.6 Prozent Ja-Stimmen knapper als erwartet annahm. Deshalb werteten auch die unterlegenen Gegner und Gegnerinnen des Abkommens dieses Resultat als Erfolg, insbesondere im Hinblick auf das Freihandelsabkommen mit dem Mercosur, welches gemäss geltender Gesetzgebung automatisch dem fakultativen Referendum unterstellt werden soll. Erwähnenswert war im Kontext des Aussenhandels auch die Anpassung des Embargogesetzes, durch die das Einfuhrverbot von Feuerwaffen, Waffenbestandteilen, Munition und weiteren Gütern aus Russland und der Ukraine fortgeführt werden konnte und die es dem Bundesrat erlaubt, in vergleichbaren Situationen nicht mehr die Bundesverfassung für ein Embargo bemühen zu müssen.

Deutlich weniger Veränderungen als in anderen Jahren gab es bei den Beziehungen zu internationalen Organisationen. Hervorzuheben ist hier die Sistierung des UNO-Migrationspakts durch den Ständerat, welcher die Ergebnisse der Subkommissionen der aussenpolitischen Kommissionen zum Thema «Soft Law» abwarten wollte. Ebenfalls von Bedeutung waren die Bewilligung der von der WAK-SR geforderten ständigen parlamentarischen Delegation bei der OECD durch die beiden Räte in der Herbstsession und die Ratifikation der ILO-Übereinkommen 170 und 174.

Einen Bedeutungsaufschwung erlebten die bilateralen Beziehungen der Schweiz mit China, was sich in einer Vielzahl an parlamentarischen Vorstössen äusserte. Auslöser für die rege Tätigkeit des Parlaments war die mit Spannung erwartete Publikation der Schweizer China-Strategie im März. Diese wurde unter anderem für ihren unklaren Umgang mit den chinesischen Menschenrechtsverletzungen kritisiert, weshalb die aussenpolitischen Kommissionen der Räte selbst aktiv wurden. Bereits vor Veröffentlichung der China-Strategie hatte die APK-NR in der Frühjahrssession einen Bericht zur Umsetzung des bilateralen Menschenrechtsdialogs eingefordert – mit diesem sollte die China-Strategie beurteilt werden. Auch die Situation der tibetischen Exilgemeinschaft in der Schweiz, die laut APK-NR unter der zunehmenden Einflussnahme Chinas leidet, wurde in der Frühjahrssession thematisiert. Kurz darauf engagierte sich die APK-NR auch in diesem Themenfeld: Mittels Motion forderte sie einen stärkeren Fokus der Schweiz auf die Förderung der Menschenrechte in China, der auch in der Schweizer China-Strategie zum Ausdruck kommen sollte. Die Motion wurde vom Nationalrat zwar befürwortet, aber vom Ständerat abgelehnt. Die APK-NR war es auch, die den Bundesrat im Sommer mit einem Postulat ins Schwitzen brachte, das die Prüfung von vertieften Beziehungen mit Taiwan – unter anderem auf politischer Ebene – forderte, was ganz und gar nicht zur Ein-China-Politik der Schweiz passte und vom Bundesrat daher abgelehnt wurde. Anders sah dies der Nationalrat, der das Postulat überwies. Etwas allgemeiner ging die APK-SR vor, die in einer von ihrem Rats bereits unterstützten Motion eine Institutionalisierung des zwischenstaatlichen Austauschs und der Koordination von Schweizer Akteuren mit China verlangte, um die politische Kohärenz der China-Politik sicherzustellen.

Zu kleineren Ausschlägen in der APS-Zeitungsanalyse 2021 führten zudem die Guten Dienste der Schweiz (vgl. Abbildung 1). Im Juni fand in Genf das viel beachtete Treffen zwischen US-Präsident Biden und dem russischen Präsidenten Putin statt, das von den Bundesräten Cassis und Parmelin genutzt wurde, um die Bedeutung des internationalen Genfs als Standort für interdisziplinäre Kooperation hervorzuheben. Im August verstärkte sich die Berichterstattung in diesem Themenbereich aufgrund der durch die Machtübernahme der Taliban ausgelösten Krise in Afghanistan. In deren Wirren evakuierte die Schweiz ihr DEZA-Kooperationsbüro in Kabul und vergab den lokalen Mitarbeitenden der Schweizer Aussenstellen insgesamt 230 humanitäre Visa. Im Bereich der Menschenrechte hatte der Bundesrat noch vor diesen beiden Grossereignissen die Leitlinien Menschenrechte 2021-2024 publiziert.

Die vorübergehenden Lockerungen der globalen Corona-Massnahmen machte sich im EDA vor allem anhand der Auslandreisen von Aussenminister Cassis bemerkbar. Nach einem mageren 2020 schien der EDA-Vorsteher 2021 einiges nachzuholen und reiste in mehrere Länder, die im Fokus der Schweizer MENA-Strategie standen, darunter Algerien, Mali, Senegal, Gambia, Irak, Oman, Libanon, Libyen und Saudi-Arabien. Von besonderer Bedeutung war der Staatsbesuch in der Ukraine, den Cassis zum Anlass nahm, um den Vorbereitungsprozess für die Ukraine-Reformkonferenz 2022 einzuläuten.

Jahresrückblick 2021: Aussenpolitik
Dossier: Jahresrückblick 2021

Nachdem der Bundesrat offiziell den Abbruch der Verhandlungen über das institutionelle Rahmenabkommen verkündet hatte, wurde im Juni 2022 in Reaktion darauf im Parlament eine Vielzahl an Vorstössen eingereicht, die sich mit den bilateralen Beziehungen Schweiz-EU auseinandersetzten.

Die SP-Fraktion forderte vom Bundesrat in einem Postulat (Po. 21.3618) einen Bericht, in dem vier verschiedene europapolitische Optionen verglichen werden sollten: der Abbruch des bilateralen Wegs und Übergang zum Drittstaat-Status; die Beibehaltung bestehender Abkommen ohne Aktualisierung und Erneuerung der Zusammenarbeit; der formelle Beitritt zum EWR und ein EU-Beitritt. Diese Analyse sollte unter Berücksichtigung der demokratischen Souveränität der Schweiz, ihrer Interessenwahrung, der Wahrung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wohlstands sowie der geostrategischen Interessen und schliesslich der gesellschaftlichen Entwicklung vorgenommen werden. Der Bundesrat beantragte die Annahme des Postulats, mit dem Verweis darauf, dass er in Erfüllung der Postulate Aeschi (svp, ZG; Po. 13.3151), Naef (sp, ZH; Po. 17.4147) und der Grünen Fraktion (Po. 14.4080) ohnehin schon einen derartigen Bericht ausarbeite. Der Nationalrat nahm das Postulat in der Herbstsession 2021 stillschweigend an.

Die Fraktion der Grünen reichte ein ähnliches Postulat (Po. 21.3667) ein wie die SP, forderte aber die Überprüfung einer noch grösseren Bandbreite an Alternativen – hinzu kam die Möglichkeit der Wiederaufnahme der Verhandlungen zum InstA. Die Analyse der Vorschläge sollte nicht nur wirtschaftliche Gesichtspunkte und den Lohnschutz miteinbeziehen, sondern auch Aspekte der Bildung, Forschung, Innovation und des Klimaschutzes berücksichtigen. Der Bundesrat beantragte auch in diesem Fall die Annahme des Postulats und begründete dies wiederum mit dem bereits erwähntem Bericht. Der Nationalrat nahm den Vorstoss in der Herbstsession 2021 ebenfalls stillschweigend an.

Roland Fischers Postulat (glp, LU; Po. 21.3678) war inhaltlich enger gefasst und wollte den Bundesart lediglich damit beauftragen, eine EWR-Mitgliedschaft der Schweiz zu prüfen und Bericht darüber zu erstatten. Fischer befürchtete eine Erosion des bilateralen Wegs und sah im EWR-Beitritt einen naheliegenden Integrationsschritt. Der Bundesrat beantragte auch in diesem Fall die Annahme des Postulats, dieses wurde jedoch von Roger Köppel (svp, ZH) in der Herbstsession 2021 bekämpft, weshalb es bis auf Weiteres nicht im Nationalrat beraten wurde.

Sehr konkret war die Motion Molina (sp, ZH; Mo. 21.3811), mit welcher der Motionär den Bundesrat zur Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen bewegen wollte. Innerhalb eines Jahres sollte ein Verhandlungsmandat erarbeitet werden, das dem Erhalt des Service public, der staatlichen Beihilfen, der Durchsetzung der Arbeits- und Lohnbedingungen sowie des Schweizer Frankens Rechnung tragen sollte. Die demokratischen Instrumente von Volk und Parlament sowie die Mitwirkungsrechte der Kantone sollten angepasst werden, um einem Beitritt nicht im Weg zu stehen. Der Bundesrat beantragte die Ablehnung des Vorstosses, da er bereits beim Abbruch der Verhandlungen beschlossen habe, den bewährten bilateralen Weg fortzuführen und dazu eine Reihe von Massnahmen wie die Deblockierung der zweiten Kohäsionsmilliarde beschlossen habe. Dazu gehöre die Bewahrung eines grösstmöglichen politischen Handlungsspielraums. Der Bundesrat war der Auffassung, dass auch die EU ein Interesse an der Fortsetzung der bilateralen Zusammenarbeit habe. Der Nationalrat äusserte sich 2021 noch nicht zum Vorstoss.

Mit etwas Verspätung reichte im September schliesslich auch Thomas Minder (parteilos, SH; Mo. 21.4184) eine Motion ein, mit der er eine mittel- und längerfristige Strategie für eine nachhaltige Zusammenarbeit mit der EU verlangte. Die Äusserungen zu den bilateralen Beziehungen in der Aussenpolitischen Strategie 2020-2023 seien nach dem Verhandlungsabbruch teilweise überholt. Der Bundesrat beantragte die Annahme der Motion, weil er das Motionsanliegen ebenfalls im bereits erwähnten Bericht beantworten wollte. Der Ständerat nahm Minders Vorstoss in der Wintersession 2021 mit 42 zu 1 Stimme (bei 1 Enthaltung) an.

Parlamentarische Vorstösse in Reaktion auf den Abbruch der Verhandlungen über das institutionelle Rahmenabkommen (Po. 13.3151, Po. 14.4080, Po. 17.4147, Po. 21.3618, Po. 21.3654, Po. 21.3667, Po. 21.3678, Mo. 21.4184, Po. 21.4450, Po. 22.3172, BRG. 23.052)
Dossier: Institutionelles Rahmenabkommen
Dossier: Entwicklung der bilateralen Beziehungen mit der EU nach dem Scheitern des Rahmenabkommens

Nach dem Abbruch der Verhandlungen über das institutionelle Rahmenabkommen mit der EU verlangte Damien Cottier (fdp, NE) mit einem Postulat im Juni 2021 vom Bundesrat einen Bericht zu Evaluation, Prioritäten, Sofortmassnahmen und nächsten Schritte in der Europapolitik. Unter anderem verlangte Cottier die Neubeurteilung der Vor- und Nachteile verschiedener europapolitischer Instrumente unter der Berücksichtigung der Veränderungen seit der Publikation des Berichts in Erfüllung des Postulats Markwalder (fdp, BE; Po. 09.3560). Als Grundlage sollten die im Europabericht 2006 aufgestellten Kriterien zur Weiterführung des bilateralen Wegs dienen. Des Weiteren soll der Bundesrat einen Prioritäten-Katalog mit konkreten Massnahmen für die zukünftige Europapolitik festlegen, mit dem die Ziele des Legislaturprogramms 2019-2023 erreicht werden könnten. Überdies sollte der Bundesrat auch künftige Schritte zur Konsolidierung und Weiterentwicklung der bilateralen Beziehungen unter Einbezug der Erwartungen aus Wirtschaft, Bildung, Forschung und Zivilgesellschaft darlegen. Cottier befürchtete, dass der bilaterale Weg ohne Aktualisierung und Entwicklung zerfallen könnte – und das, obwohl sich eine Mehrheit der Bevölkerung stabile Beziehungen zur EU wünsche.
Der Bundesrat verkündete in seiner Stellungnahme, dass er in Erfüllung der Postulate Aeschi (svp, ZG; Po. 13.3151), Naef (sp, ZH; Po. 17.4147) und der Fraktion der Grünen (Po. 14.4080) einen Bericht über die Beziehungen mit der EU erarbeite. Dieser werde neben einer Beurteilung auch Massnahmen zur Sicherstellung des Zugangs zum EU-Binnenmarkt und einer guten Zusammenarbeit enthalten. Da dieser Bericht auch die im Postulat gestellten Fragen beantworten werde, beantragte der Bundesrat die Annahme desselben.
Der Nationalrat nahm das Postulat in der Herbstsession 2021 stillschweigend an.

Evaluation, Prioritäten, Sofortmassnahmen und nächste Schritte in der Europapolitik.
Dossier: Entwicklung der bilateralen Beziehungen mit der EU nach dem Scheitern des Rahmenabkommens

Anfang Mai 2021, und damit nur wenige Wochen vor dem Abbruch der Verhandlungen über ein InstA mit der EU, reichte die Fraktion der Mitte ein Postulat ein, dass vom Bundesrat einen Bericht mit Massnahmen für die künftige wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der EU forderte. Der Bundesrat solle aufzeigen, wie die wirtschaftliche Entwicklung in der Schweiz und deren Wettbewerbsfähigkeit im europäischen Raum «vorerst» ohne institutionelles Rahmenabkommen gestützt werden könne. Die Mitte-Fraktion begründete das Postulat mit dem Status der Schweiz als Exportland, der offene Märkte hochrelevant mache. Das Rahmenabkommen habe die Institutionalisierung des Marktzugangs, die Sicherung der stabilen Beziehungen zur EU und die Rechtssicherheit für Unternehmen zum Ziel. Diese Ziele müsse man auch abseits der Verhandlungen über das InstA verfolgen. In seiner Stellungnahme bekannte sich der Bundesrat zur Weiterführung der bilateralen Zusammenarbeit und beantragte die Annahme des Postulats. Er verwies auf einen Bericht zu den Beziehungen mit der EU, der in Erfüllung der Postulate Aeschi (svp, ZG; Po. 13.3151), Naef (sp, ZH; Po.17.4147) und der Grünen Fraktion (Po. 14.4080) erarbeitet werde. Das EJPD und das EDA würden den Bundesrat bis Ende November 2021 zudem über die Möglichkeiten des autonomen Abbaus von Regelungsdifferenzen informieren. Zwar würde eine einseitige Rechtsangleichung keinen EU-Binnenmarktzugang garantieren, doch die Schweiz habe grundsätzlich ein Interesse an Regeln, die gleichwertig mit denen der wichtigsten Handelspartner seien. Zudem habe man zur Abfederung negativer Konsequenzen durch das Scheitern des InstA Auffangmassnahmen umgsetzt, erklärte der Bundesrat. Diese umfassten unter anderem den Schutz der Schweizer Börseninfrastruktur, die Gewährleistung der Versorgungssicherheit und die Aufrechterhaltung der Marktüberwachung bei Medizinprodukten. Der Nationalrat nahm das Postulat in der Herbstsession 2021 stillschweigend an.

Massnahmen für die künftige wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der EU

Im Juli 2021 hatte die APK-SR die Motion Salzmann (svp, BE; Mo. 20.3993) vorberaten, welche die Nichtunterzeichnung und Abschreibung des institutionellen Abkommens mit der EU forderte. Die gleichlautende Motion Aeschi (svp, ZG; Mo. 20.3986) war bereits im Dezember 2020 im Nationalrat gescheitert. Angesichts des Abbruchs der Verhandlungen über das institutionellen Rahmenabkommen erachtete die Kommission die Motion als obsolet. Diesen Standpunkt vertrat in der Herbstsession 2021 auch Kommissionssprecher Müller (fdp, LU) im Rat, woraufhin Salzmann seine Motion zurückzog.

Abschreibung des institutionellen Abkommens (Mo. 20.3986)
Dossier: Institutionelles Rahmenabkommen

Etwa anderthalb Stunden diskutierte der Nationalrat in der Herbstsession 2021 über die Freigabe des zweiten Kohäsionsbeitrags an die EU. Die APK-NR empfehle, den Vorschlag des Bundesrats anzunehmen und mit dem Entscheid einem «konstruktiven Ansatz in der Europapolitik Raum zu geben», teilte Kommissionssprecher Nussbaumer (sp, BL) zu Beginn der Debatte mit. Die Kommission wolle den Bundesbeschluss zur Freigabe der Kohäsionsmilliarde jedoch dahingehend ergänzen, dass Verpflichtungen auf Grundlage des Kohäsionskredits erst eingegangen würden, nachdem der Bundesrat die Finanzierungsbotschaft zur Schweizer Teilnahme an Erasmus plus vorgelegt hat. Um diesen Prozess zu beschleunigen, hatte die APK-NR Anfang September 2021 eine entsprechende Kommissionsmotion eingereicht.
Obwohl sich alle Fraktionen mit Ausnahme der SVP für die Annahme des Bundesbeschlusses aussprachen, benötigten die Mitglieder des Nationalrats in der Folge viel Sitzfleisch, bis sie eine Entscheidung treffen konnten. So wehrte sich die SVP-Fraktion vehement gegen das Anliegen der Kommissionsmehrheit, wobei ihre Mitglieder zahlreiche Fragen an die Rednerinnern und Redner stellten und dem Rat mehrere Minderheitsanträge vorlegten. Thomas Aeschi (svp, ZG) etwa wollte von Kommissionssprecher Nussbaumer wissen, weshalb die APK-NR trotz weiterer Diskriminierungen die Freigabe unterstütze. Er beklagte die fehlende Assoziierung an Horizon Europe und an Erasmus plus sowie die Probleme im gesamten Strombereich und beim Mutual Recognition Agreement (MRA). Nussbaumer erklärte die Entscheidung der Kommission damit, dass man mit dem Entscheid ein neues Kapitel in den bilateralen Beziehungen aufschlagen könne. Zwei Minderheitsanträge von Roger Köppel (svp, ZH) verlangten, nicht auf das Geschäft einzutreten respektive keine Verpflichtungen auf Grundlage des Rahmenkredits einzugehen, bis die Schweiz an Horizon Europe assoziiert sei oder die Börsenäquivalenz wiederhergestellt worden sei. Eine Minderheit Nidegger (svp, GE) wollte die Vorlage an den Bundesrat rücküberweisen und ihn beauftragen, die Kohäsionsmilliarde für die Sanierung der AHV zu verwenden. Franz Grüter (svp, LU) schlug mit seinem Einzelantrag vor, den Beschluss dem fakultativen Referendum zu unterstellen.
Überdies legten die Sprecherinnen und Sprecher aller Fraktionen deren Position ausführlich dar. So warf etwa Sibel Arslan (basta, NR) für die Grüne Fraktion sowohl der Schweiz wie auch der EU vor, Fehler gemacht zu haben, sah den finalen Fehltritt aber auf Schweizer Seite, und zwar im Abbruch der Verhandlungen über das Rahmenabkommen. Die Freigabe der Kohäsionsmilliarde erachtete sie als einen Schritt zur Normalisierung und als Erfüllung eines längst gemachten Versprechens. Da die Motion der APK-NR zur Finanzierungsbotschaft von Erasmus plus bereits angenommen worden war, forderte sie in einem Minderheitsantrag die Streichung der entsprechenden Bedingung. Ähnlich tönte es auch von SP-Sprecher Molina (sp, ZH), der das Ende der Verhandlungen ebenfalls als «verantwortungslos» kritisierte. Auch aus Sicht der GLP sei der Verhandlungsabbruch ein «grosser Fehler» gewesen, meinte Roland Fischer (glp, LU). Die Schweiz profitiere enorm vom europäischen Binnenmarkt und zahle im Verhältnis zu Norwegen sehr wenig für den Zugang. Die FDP setze sich für die Freigabe des Kohäsionsbeitrags ein, um die Negativspirale im Verhältnis zur EU zu durchbrechen, erklärte Christa Markwalder (fdp, BE). Auch sie sprach das überaus günstige Kosten-Nutzen-Verhältnis an, dass die Schweiz im Hinblick auf die Verflechtung mit dem Binnenmarkt aufweise. Eine Verringerung der wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten wirke sich über die europaweiten Bildungs-, Forschungs- und Kulturkooperationen auch positiv auf die Schweiz aus. Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter (mitte, BL) hob die Bedeutung der Kohäsionszahlung für das Vorankommen im Horizon-Dossier hervor. Die Nichtassoziierung der Schweiz sei zwar diskriminierend und die Verknüpfung mit der Kohäsionsmilliarde «unschön», doch rechtlich gesehen stehe die EU nicht in der Pflicht, Abkommen mit der Schweiz zu aktualisieren. Auch die Mitte-Fraktion unterstütze die Freigabe des Beitrags sowie den Minderheitsantrag Arslan, gab sie bekannt. Nationalrat Grüter vertrat schliesslich die Ansicht, dass die Schweiz der EU nichts schulde, da die EU massiv von der Schweiz als Handels- und Wirtschaftspartnerin profitiere. Er bemängelte zudem, dass der Bundesbeschluss der Schweizer Bevölkerung nicht zur Abstimmung vorgelegt worden war.
Der im Rat anwesende Aussenminister Cassis drängte die grosse Kammer zur Freigabe der Zahlung, weil man nur so eine positive Verhandlungsdynamik schaffen und Fortschritt in anderen Dossiers erzielen könne. Für die plötzliche Kehrtwende trotz andauernder Diskriminierung der EU im Rahmen der aberkannten Börsenäquivalenz habe der Bundesrat zwei Gründe, erklärte Cassis: Einerseits hätten die Schutzmassnahmen für die Schweizer Börseninfrastruktur die Situation entspannt, andererseits sei die Rechtsgrundlage für den zweiten Kohäsionsbeitrag auf Ende 2024 befristet. Den Einzelantrag von Franz Grüter empfahl er zur Ablehnung, da Finanzgeschäfte gemäss Parlamentsgesetz in Form von einfachen Bundesbeschlüssen erlassen würden – so etwa auch 2019, als das Parlament die Rahmenkredite der zweiten Kohäsionszahlung genehmigt hatte.
Die grosse Kammer lehnte in der Folge sämtliche Minderheitsanträge der SVP ab, strich aber gemäss der Forderung von Sibel Arslan die Verknüpfung mit der Finanzierungsbotschaft für Erasmus plus. Spätabends wurde der Entwurf in der Gesamtabstimmung mit 131 zu 55 Stimmen (bei 1 Enthaltung) gegen den Willen der SVP-Fraktion und einiger Fraktionsmitglieder der Mitte angenommen.

Der zweite Schweizer Beitrag an ausgewählte EU-Mitgliedstaaten (Zweite Kohäsionsmilliarde)
Dossier: Schweizer Beitrag an die erweiterte EU

Im Mai 2021 reichte die WAK-NR eine Motion ein, welche die Schweizer Beteiligung am Grenzausgleichssystem der EU thematisierte. Darin fordete sie vom Bundesrat, dass sich die Schweiz am neuen CO2-Grenzausgleichssystem der EU beteiligen und zugleich dafür sorgen soll, dass damit ein «wesentlicher Beitrag zur Erreichung der Klimaziele» geleistet werde. Darüber hinaus dürften Unternehmen in der Schweiz durch ein solches System im internationalen Wettbewerb nicht benachteiligt werden. Eine Minderheit Martullo-Blocher (svp, GR) beantragte die Ablehnung der Motion.
In der Sommersession 2021 reichte Nationalrat Aeschi (svp, ZG) – ebenfalls Mitglied der Kommissionsminderheit – einen Ordnunganstrag ein, um die Motion noch in der gleichen Session in den Rat zu bringen. Gegen dieses Vorhaben setzte sich Tiana Angelina Moser (glp, ZH) ein, da die WAK-NR die Motion bis anhin stets parallel zum Bundesratsgeschäft über die Abschaffung der Industriezölle (BRG 19.076) behandelt habe und dieses erst für die Herbstsession 2021 traktandiert worden sei. Der Nationalrat lehnte den Ordnungsantrag daraufhin mit 108 zu 75 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) ab, womit das Geschäft voraussichtlich in der Herbstsession 2021 vor den Nationalrat gelangt.

Schweizer Beteiligung am Grenzausgleichssystem der EU

Am 26. Mai 2021 brach der Bundesrat die Verhandlungen über das institutionelle Rahmenabkommen mit der EU offiziell ab. Nach dem Treffen von Bundespräsident Parmelin mit Kommissionspräsidentin von der Leyen Ende April 2021, hatte sich in dem Dossier lang wenig bewegt, bis schliesslich Radio SRF mit der Publikation eines vom Bundesrat als geheim eingestuften Dokuments, welches die Risiken und Nebenwirkungen eines gescheiterten Rahmenabkommens aufschlüsselte, für neuen Gesprächsstoff sorgte. Potenziell schwerwiegende Konsequenzen drohten in einer ganzen Palette von Themenbereichen, die von Strom und Handel über Gesundheit bis zur Filmförderung reichten. Insbesondere auf die Gefahr, dass bestehende Abkommen nicht erneuert werden, oder dass die EU die Äquivalenz der Schweizer Gesetzgebung nicht anerkennen würde, wurde hingewiesen. So könne beispielsweise eine fehlende Gleichwertigkeit beim Datenschutz zahlreiche Schweizer KMUs und deren Geschäftspraktiken bedrohen, hielt der Bericht fest. Nichtsdestotrotz fand sich im Medienecho zu jenem Zeitpunkt zumindest ein Funken Hoffnung auf einen positiven Ausgang der Verhandlungen. Der Sonntags-Blick zitierte in der Ausgabe vom 23. Mai aus einer E-Mail der EU-Chefunterhändlerin Riso, in der diese die Diskussion über die Unionsbürgerrichtlinie als «am wenigsten finalisierte» Frage bezeichnete, gleichzeitig aber eine gewisse Kompromissbereitschaft der EU ausdrückte, den Vertrag erneut durchzugehen und nach Lösungen zu suchen. Gleichentags veröffentlichte die Sonntagszeitung jedoch die Meldung, dass der Bundesrat den Abbruch der Verhandlungen über das Rahmenabkommen am 26. Mai vorsehe. Gemäss Sonntagszeitung plante der Bundesrat stattdessen einen Auffangplan, um den Konflikt mit der EU und die negativen wirtschaftlichen Folgen innen- und aussenpolitisch abzuschwächen. Unter anderem sei die Freigabe des zweiten Kohäsionsbeitrags vorgesehen, um Kooperationen wie das Forschungsprogramm Horizon weiterführen zu können. Eine weitere Möglichkeit der Bekräftigung des bilateralen Wegs – «Stabilex» genannt – beinhalte die einseitige Anpassung des Schweizer Rechts in politisch unumstrittenen Bereichen an EU-Bestimmungen, berichteten sowohl die Sonntagszeitung wie auch die NZZ.

Am 26. Mai bestätigte der der Bundesrat also diese Gerüchte und erklärte die Verhandlungen in einer Medienmitteilung für beendet. Dieser war zu entnehmen, dass der Bundesrat in zentralen Bereichen des Abkommens – Lohnschutz, Unionsbürgerrichtlinie, staatliche Beihilfen – weiterhin substanzielle Differenzen identifiziert hatte, weshalb er sich entschieden habe, das InstA nicht zu unterzeichnen und dies der EU auch so mitzuteilen. Im offiziellen Schreiben an die Europäische Kommission bot der Bundesrat die Einrichtung eines regelmässigen politischen Dialogs sowie die Prüfung von Problemen hinsichtlich der bestehenden Abkommen und die Suche nach pragmatischen Lösungen an. Er formulierte darin auch die Erwartungshaltung, dass die geltenden Abkommen «von beiden Parteien weiterhin vollumfänglich angewandt und im Falle relevanter Weiterentwicklungen des EU-Rechts aktualisiert» würden. Dabei hob er vor allem die Zusammenarbeit im Gesundheits- und Strombereich hervor. In seiner Medienmitteilung gestand der Bundesrat, dass das Nichtzustandekommen gewisse Nachteile mit sich bringe, wie zum Beispiel die Tatsache, dass keine neuen Marktzugangsabkommen abgeschlossen werden können. Er betonte jedoch, dass die Schweiz die bilaterale Zusammenarbeit mit der EU weiterführen wolle, weil man nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht verbunden sei, sondern auch eine europäische Wertegemeinschaft bilde und gemeinsam globale Herausforderungen angehe. Der Bundesrat versprach, den politischen Dialog mit der EU zu suchen und sich für eine rasche Deblockierung der Kohäsionsmilliarde einzusetzen. Er liess auch verlauten, dass er das EJPD damit beauftragt habe, gemeinsam mit anderen Departementen die Möglichkeit von eigenständigen Anpassungen im Schweizer Recht (Stabilex) zu prüfen, um dadurch die bilateralen Beziehungen zu stabilisieren.
Die EU-Kommission bezog gleichentags Stellung zur «einseitige[n] Entscheidung» und drückte ihr Bedauern über den Ausgang der Verhandlungen aus. Das InstA hätte eine Verbesserung des bilateralen Ansatzes ermöglicht und dessen Weiterentwicklung sichergestellt, liess die Kommission verlauten. Aus Kreisen der Kommission wurden zudem Stimmen laut, die behaupteten, die EU hätte zurzeit dringendere Probleme als die Schweiz, beispielsweise die Lage in Belarus. Der luxemburgische Aussenminister Jean Asselborn wünschte sich im Gespräch mit Le Temps eine solide Verhandlungsbasis, weil man die Situation so nicht auf sich beruhen lassen könne. Weitere prominente EU-Parlamentarier reagierten prompt auf diesen Paukenschlag. Andreas Schwab, der Vorsitzende der EU-Parlamentsdelegation für die Beziehungen zur Schweiz, sah durch den Entscheid mehr als sieben Jahre Verhandlungen «sinnlos vergeudet», wobei die offenen Fragen auch nach dem Verhandlungsabbruch weiter bestünden. Die vom Bundesrat geplante Freigabe der Kohäsionsmilliarde würde die angespannte Situation seiner Meinung nach nicht verbessern. Er warnte auch, dass sich die EU-Kommission in Zukunft noch genauer darauf achten werde, ob die Schweiz die geltenden bilateralen Verträge korrekt umsetze. Die NZZ berichtete, dass die EU auf den Schweizer Vorschlag der selektiven Rechtsangleichung verärgert reagiert habe. Neue sektorielle Marktzugangsabkommen in den Bereichen Strom oder Medizinaltechnik seien ohne übergeordneten Rahmen nicht denkbar, schliesslich habe die EU-Kommission klar gemacht, dass ein privilegierter Zugang zum Binnenmarkt gleiche Regeln und Pflichten voraussetze, so die NZZ.

«Gratulation an den Bundesrat» titelte der Blick am Tag nach der Entscheidung und sowohl SVP-Parteipräsident Chiesa (svp, TI) wie auch SGB-Präsident Maillard (sp, VD) zeigten sich erleichtert über den Abbruch, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Maillard äusserte seine Zufriedenheit über den Abbruch an der Delegiertenversammlung des SGB, wo er klar machte, dass die Gewerkschaften nie eine Schwächung des Lohnschutzes hingenommen hätten. Der SGB forderte für das weitere Vorgehen die Beibehaltung der bilateralen Abkommen, mehr sozialen Schutz, Mindestlöhne und verbindliche Tarifverträge, nur dann würde man Reformen unterstützen, sagte Maillard. Chiesa sah im Abbruch indes einen «Sieg für die Selbstbestimmung, die direkte Demokratie und die Schweizer Bevölkerung». Die Reaktionen der Schweizer Parteien fielen sowohl bezüglich Inhalt als auch Intensität unterschiedlich aus. Als «das grösste Armutszeugnis, das ich von unserer Landesregierung je gesehen habe» kritisierte Jürg Grossen (glp, BE) den Bundesrat harsch für dessen Entscheid. Er sparte auch nicht mit Kritik an anderen Parteien wie der SP, die sich von den Gewerkschaften habe treiben lassen, der Mitte, deren Präsident eine schädliche Haltung vertreten habe, und der FDP, welche laut Grossen mit ihren zwei Bundesräten die Hauptverantwortung für das Scheitern trage. Die SP und die FDP bedauerten das Scheitern des InstA zwar beide, machten aber mit Ignazio Cassis respektive den Gewerkschaften unterschiedliche Akteure dafür verantwortlich. SP-Co-Präsident Wermuth (sp, AG), der sich lange optimistisch gegeben hatte und einen Kompromiss bei der Unionsbürgerrichtlinie in Betracht gezogen hatte, kritisierte den Bundesrat im Tages-Anzeiger dafür, dass er parallel zum Abbruch keinen Plan B vorlegen konnte und forderte eine Auslegeordnung, bei der auch der EWR- und EU-Beitrittsverhandlungen zur Wahl stehen. Petra Gössi (fdp, SZ) griff an gleicher Stelle hingegen die Gewerkschaften an, die «jeden Kompromiss beim Lohnschutz verhindert» hätten und forderte neben einer gemeinsamen Lösungssuche mit der EU auch ein «Fitnessprogramm», beispielsweise einen Einheitssatz bei der Mehrwertsteuer. Gössi erklärte, dass sich die FDP für den bilateralen Weg nach aktuellem Stand einsetze und weder eine Vertiefung noch einen Rückbau der Beziehungen unterstütze. Konkret fordere sie eine limitierte Dynamisierung der Bilateralen in technischen Sachbereichen, die unbestritten sind; aktive Partnerschaften mit Drittstaaten durch neue Freihandelsabkommen und einen flexibleren Arbeitsmarkt mit höheren Kontingenten für Fachkräfte aus Drittstaaten. Zufrieden zeigten sich gegenüber dem Tages-Anzeiger Mitte-Präsident Gerhard Pfister (mitte, ZG), der gemäss Blick an den Von-Wattenwyl-Gesprächen Anfang Mai bereits offen den Verhandlungsabbruch gefordert haben soll und sich über die neu herrschenden Klarheit freute, – ebenso wie Thomas Aeschi (svp, ZG), der einzig das Abkommen über die Medizinaltechnik als Problem anerkannte. Ebenjene Medtech-Branche wurde von den Medien zum «ersten Opfer» des Verhandlungsabbruchs ernannt, denn am gleichen Tag, an dem das Rahmenabkommen beerdigt wurde, trat eine neue EU-Regulierung zu Medizinprodukten in Kraft. Zwar hatte die Schweiz ihr Recht an diese neue Regulierung angepasst, doch da die EU die Erneuerung des Abkommens zur gegenseitigen Anerkennung von Produktbescheinigungen verzögerte, galten Schweizer Anbieter in der EU fortan als Drittstaatenanbieter. Daher mussten Schweizer Exportfirmen plötzlich Bevollmächtigte mit Niederlassung im EU-Raum bestimmen und deren Produkte benötigten eine spezifische Etikettierung. Insgesamt rechnete der Branchenverband Swiss Medtech mit einmaligen Zusatzkosten von CHF 110 Mio. und einem jährlichen Zusatzaufwand in Höhe von CHF 75 Mio., was einer Exportsteuer von 1.4 bis 2 Prozent gleichkäme. Laut Swiss Medtech mache diese neue Regelung die Schweiz als Hauptsitz für aussereuropäische Firmen unattraktiv.

Wie der Tages-Anzeiger berichtete, hatten europafreundliche Akteure aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft schon im Vorfeld des Verhandlungsabbruchs unter der Leitung der Operation Libero über eine Volksinitiative zur institutionellen Einigung mit der EU beraten. Die Operation Libero verkündete, dass die Idee einer Volksinitiative nach dem Scheitern des Rahmenabkommens «überhaupt nicht vom Tisch» sei. Zwar sei es schwieriger geworden, die Unterzeichnung des Rahmenabkommens zu fordern, doch es gebe weiter Ideen, wie man die institutionellen Fragen mit der EU klären könnte. Der emeritierte Rechtsprofessor Thomas Cottier befürwortete die Lancierung einer Volksinitiative, denn es müsse endlich eine richtige europapolitische Debatte in Gang gesetzt werden. Den Plan B des Bundesrats, sich durch Stabilex einseitig an EU-Recht anzupassen, bezeichnete er als «kolossales Eigentor» und den Ausgang der Verhandlungen als «Regierungsversagen», weil die Schweiz sich damit noch stärker als bisher selbstständig an das EU-Recht anpassen werde ohne über ein Mitspracherecht zu verfügen und ohne dass dadurch der Marktzugang gesichert werde. Cédric Wermuth und SP-Nationalrat Eric Nussbaumer (sp, BL) gingen in ihren Vorschlägen noch weiter und stellten einen EU- oder EWR-Beitritt in Aussicht. Um diese Annäherung zu starten, schlug die SP ein ganzes Bündel an Massnahmen, Reformen und Gesprächsangeboten vor. Die Kohäsionsmilliarde solle nicht nur freigegeben, sondern auch substanziell erhöht werden. Darüber hinaus solle die Schweiz in den Bereichen Migration, Green New Deal, Wirtschaftsprogramm nach Covid aber auch in Steuerfragen, wie der Unternehmensbesteuerung, Kooperationsverträge mit der EU abschliessen. Mittelfristig könne man so die Beziehung zur EU wieder normalisieren, erklärte Parteipräsident Wermuth. Die Forderung des EU-Beitritts mit Opting-Out (Ausnahmebestimmungen) seines Parteikollegen Fabian Molina beurteilte Wermuth nüchtern als «kein kurzfristig realistisches Szenario», aber er hielt die Beitrittsdiskussion für nötig. Molinas Extremposition stiess bei den Grünen und den Grünliberalen zu diesem Zeitpunkt jedoch auf wenig Unterstützung. Sowohl Balthasar Glättli (gp, ZH) wie auch Jürg Grossen bevorzugten gemässigtere Alternativen wie ein neues Rahmenabkommen oder den EWR. Die Mitte und die FDP distanzierten sich hingegen in der Öffentlichkeit von Annäherungsmassnahmen, die über die Freigabe der Kohäsionsmilliarde hinausgingen. Im Parlament wurden Anfang Juni verschiedene Vorstösse eingereicht, die vom Bundesrat eine umfassende Auslegeordnung der bilateralen Beziehungen forderten oder konkrete Handlungsalternativen vorschlugen, darunter auch eine Motion von Molina zum EU-Beitritt.

Abbruch der Verhandlungen über das Rahmenabkommen mit der EU
Dossier: Institutionelles Rahmenabkommen

Nach dem mit Spannung erwarteten Treffen zwischen Bundespräsident Parmelin und der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula Von der Leyen, am 23. April 2021 schien die Lage mehr oder weniger unverändert. Die Verhandlungen zu einem Rahmenabkommen wurden nicht abgebrochen, angenähert hatte man sich aber auch nicht und darüber hinaus seien auch keine weiteren Treffen vereinbart worden, berichtete die NZZ am Folgetag. «Wir haben festgestellt, dass wir in unseren Positionen weiterhin erhebliche Differenzen haben», fasste Bundespräsident Parmelin die Ergebnisse des eineinhalbstündigen Gesprächs vor der Presse lapidar zusammen. Der Chefsprecher der EU-Kommission erklärte im Nachgang des Treffens, dass die Schweiz die drei umstrittenen Bereiche gänzlich aus dem Abkommen herauslösen wolle, was aus Sicht der EU «nicht akzeptabel» sei. Dennoch zeigte sich die EU für weitere Verhandlungen offen und forderte die Schweiz auf, Kompromisse einzugehen. Bundesrat Parmelin liess verlauten, dass der Gesamtbundesrat die Situation analysieren werde und dafür auch die zuständigen Parlamentskommissionen, die Kantone und die Sozialpartner konsultieren wolle. Im Interview mit dem Sonntagsblick meinte Guy Parmelin, dass eine Verhandlung «immer das Risiko eines Scheiterns» beinhalte, wobei die Verhandlungen mit der EU aber noch nicht vorbei seien. Er deutete dabei an, dass der Bundesrat «immer in Alternativen denkt», relativierte aber zugleich, dass eine Diskussion über Alternativen zum Rahmenabkommen noch verfrüht sei. Die Stimmbevölkerung solle aber nur dann über das Abkommen entscheiden dürfen, wenn der Bundesrat von dessen Inhalt überzeugt sei.
Die Reaktionen der Schweizer Parteien verdeutlichten die Ungewissheit über den Zustand des Rahmenabkommens. Während die SVP offiziell die Beerdigung des Rahmenvertrags forderte, begrüsste die FDP die Weiterführung der Gespräche. Jürg Grossen (glp, BE) kritisierte, dass der Bundesrat Maximalforderungen eingebracht habe, womit er mutwillig das Scheitern des Abkommens riskiert habe. Economiesuisse und Swissmem bedauerten die ausbleibenden Fortschritte, wohingegen die Mitte und die SP bekräftigten, den Vertrag in der vorliegenden Form ablehnen zu wollen. Die Gewerkschaften zeigten sich weiterhin unerbittlich und hielten daran fest, das Abkommen zu blockieren, solange der Lohnschutz nicht davon ausgenommen werde. Ausgerechnet in der SP – die sich lange auf diesen Standpunkt gestellt hatte – regte sich nach dem Treffen jedoch vereinzelt Widerstand gegen diese Haltung. Eine Gruppe prominenter Parteimitglieder – darunter Alt-Bundesrat Moritz Leuenberger und Nationalrat Molina (sp, ZH) – setzten sich hingegen dafür ein, dass der Lohnschutz zwar ins Abkommen aufgenommen wird, dort aber garantiert wird. Diesem Vorgehen diametral entgegen stand SGB-Präsident Maillard, der den EuGH nicht an der Auslegung der Schweizer Lohnschutzmassnahmen teilhaben lassen wollte. Die APK-NR gab in einer Stellungnahme bekannt, dass sie den Bundesrat dazu auffordere, erneut Kompromissvorschläge auszuarbeiten, um die drei offenen Punkte zu lösen – flankierende Massnahmen, Unionsbürgerrichtlinie und staatliche Beihilfen – und das Abkommen zeitnah abzuschliessen. Die APK-SR machte sich hingegen bereits auf ein Scheitern des Rahmenabkommens gefasst und nahm einen Antrag an, der vom Bundesrat ein aussenpolitisches Konzept forderte, in dem dieser aufzeigen solle, wie die Beziehungen mit der EU im Sinne eines «Modus Vivendi» für die kommenden Jahre konstruktiv und stabil gestaltet werden könnten.
Die EU schien nach dem ergebnislosen Spitzentreffen auf Nebenschauplätzen zusätzlichen Druck auf die Schweiz aufbauen zu wollen. Am 26. April berichtete die NZZ über Aussagen einer EU-Beamtin, dergemäss die Gespräche über die Teilnahme am Forschungsprogramm Horizon Europe erst dann beginnen würden, wenn die Schweiz den zweiten Kohäsionsbeitrag freigegeben habe. Dieser war von der Schweiz blockiert worden, nachdem die EU der Schweiz die Börsenäquivalenz entzogen hatte. Wegen der fehlenden Assoziierung der Schweiz an Horizon Europe wurde zudem Anfang Mai der Aufnahmeantrag der SBB für ein paneuropäisches Bahnprojekt sistiert und der Tages-Anzeiger vermutete auch hinter der Aufhebung der Exportkontrolle für Corona-Impfstoffe der EU für Liechtenstein eine Ungleichbehandlung gegenüber der Schweiz.
Für Aufsehen sorgte wenige Tage nach dem Treffen in Brüssel die Veröffentlichung des Schweizer Verhandlungsmandats, welches gegen den Willen des Bundesrats an die Medien gelangt war. Die NZZ stellte fest, dass die Schweiz in den drei strittigen Punkten zwar weitreichende Eingeständnisse gefordert habe, diese jedoch nicht so weit gingen, wie es die EU dargestellt hatte. So habe die Schweiz zwar den expliziten Ausschluss gewisser Aspekte, aber keinen vollständigen Ausschluss der Unionsbürgerrichtlinie gefordert. Als Knackpunkt erwies sich offensichtlich vor allem das «Recht auf Daueraufenthalt», da das EJPD Fürsorgeabhängigkeit und erschwerte Ausschaffungsbedingungen befürchtete.
In der Zwischenzeit blieb auch das Parlament nicht untätig. Die FDP-Fraktion sowie Aussenpolitikerinnen und Aussenpolitiker verschiedener Parteien verlangten vom Bundesrat eine Stellungnahme zu den potenziellen Risiken im Falle eines Scheiterns des Rahmenabkommens. Hervorgehoben wurden in der Interpellation (Ip. 21.3516) vor allem die auslaufenden Marktzugangsabkommen sowie die Nachteile bei Forschungs- und Bildungsprogrammen. Auch die APK-NR wurde aktiv und forderte vom Bundesrat die Herausgabe eines als geheim deklarierten Dokuments, welches die negativen Folgen eines Scheiterns im Detail darstellte. Nationalrätin Schneider-Schneiter (mitte, BL) liess verlauten, dass der Inhalt dieser Studie zentral für die Meinungsbildung sei, und ihr Ratskollege Nussbaumer (sp, BL) befand es für «unsäglich», wie der Bundesrat in diesem Dossier die «Rechte des Parlaments beschnitten» habe.
Während die Meinungsbildung der Aussenpolitikerinnen und Aussenpolitiker noch im Gange war, verlangten die Kantone vom Bundesrat die Fortführung der Verhandlungen. Auch aufseiten der EU fand sich weiterhin Unterstützung für das Rahmenabkommen. Am 11. Mai trafen sich die Europa-Minister der 27 EU-Mitgliedstaaten und ermutigten die Kommission dazu, die Verhandlungen mit der Schweiz nicht abzubrechen, sondern eine einvernehmliche Lösung zu erarbeiten. Weiterhin blieb jedoch unklar, welche Form eine derartige Lösung annehmen könnte, da beide Seiten keine weiteren Kompromisse einzugehen bereit waren. Die NZZ und der Tages-Anzeiger zeigten sich am 14. Mai in ihrer Berichterstattung etwas überrascht davon, dass Verteidigungsministerin Amherd dem Gesamtbundesrat einen «Plan B» vorgelegt habe. In einer Phase, in der viele Politiker das Abkommen bereits für tot erklärt hätten, setzte sich Amherd für ein Entgegenkommen der Schweiz ein. Ihr Vorschlag sah vor, dass die Schweiz die Unionsbürgerrichtlinie übernähme und im Gegenzug eine Schutzklausel eingeführt würde, mithilfe derer man die neuen Regeln in den ersten Jahren widerrufen könne, falls gewisse Grenzwerte überschritten würden. Damit wolle Amherd den Ergebnissen einer ersten bundesrätlichen Aussprache entgegenwirken, bei der eine Mehrheit der Ratsmitglieder zum Abbruch der Verhandlungen tendiert habe, wie der Tages-Anzeiger berichtete. Amherds Vorschlag fand Zuspruch bei der APK-NR, die wenige Tage darauf den Bundesrat zur Anpassung des Verhandlungsmandats aufforderte, um doch noch einen Kompromiss zu ermöglichen. Zudem machte sie wie zuvor schon ihre Schwesterkommission deutlich, dass der Verhandlungsabbruch ohne Konzept für die Weiterführung der bilateralen Verträge keine Möglichkeit darstelle. Schliesslich manifestierte sich auch in der Zivilbevölkerung Widerstand gegen das drohende Verhandlungsende. Eine «Allianz von Europafreunden», wie der Tages-Anzeiger sie bezeichnete, erarbeitete einen Initiativtext, um das Rahmenabkommen notfalls vor das Stimmvolk zu bringen. Diese Allianz setzte sich auf unterschiedlichen Interessensgruppen zusammen, darunter die Operation Libero, das Komitee «Progresuisse», aber auch die Alt-Bundesräte Arnold Koller (cvp) und Doris Leuthard (cvp).

Abbruch der Verhandlungen über das Rahmenabkommen mit der EU
Dossier: Institutionelles Rahmenabkommen

Ab Anfang April 2021 begann es rund um die Verhandlung des institutionellen Rahmenabkommens mit der EU immer stärker zu brodeln. Der NZZ lagen Briefe zweier Mitte-Kantonalsektionen (Genf und Basel) vor, in welchen Parteipräsident Gerhard Pfister (mitte, ZG) harsch für seine kritischen Äusserungen zum Rahmenabkommen kritisiert wurde. Gleichentags äusserte sich Christa Markwalder (fdp, BE) in einem Gastkommentar in der NZZ zum Rahmenabkommen und drohte dem Bundesrat gar, dass das Parlament bei den anstehenden Gesamterneuerungswahlen 2023 im Fall eines Scheiterns die Vertrauensfrage stellen müsse. Sie verlangte die Unterzeichnung des Abkommens, damit dieses zuerst dem Parlament und später möglicherweise im Rahmen eines fakultativen Staatsvertragsreferendums der Stimmbevölkerung vorgelegt werden könne. Kurz darauf kam Bewegung in die seit längerem festgefahrenen Verhandlungen zwischen Bundesbern und Brüssel, als bekannt wurde, dass für den 23. April ein Treffen zwischen Bundespräsident Guy Parmelin und EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen angesetzt worden war. In den Verhandlungen über die strittigen Punkte Lohnschutz, Unionsbürgerrichtlinie und staatliche Beihilfen waren sich die beiden Parteien seit November 2020 nicht näher gekommen, berichtete die NZZ, weshalb man in Brüssel wenig Erwartungen an den Besuch knüpfe. Wie La Liberté und auch die NZZ berichteten, hatte sich der Bundesrat in letzter Zeit auch mit Alternativen zum Rahmenabkommen befasst. Möglich wäre die Auszahlung der blockierten Kohäsionsmilliarde oder eine Aktualisierung des Freihandelsabkommens von 1972 anstelle der bilateralen Abkommen, wie das die damalige Ständerätin Karin Keller-Sutter (fdp, SG) bereits 2013 mittels Postulat hatte prüfen lassen. Am 16. April berichteten SRG-Medien über ein Sitzungsprotokoll der EU-Kommission, aus dem eine gewisse Verärgerung herauszulesen sei. Die Kommission störte sich daran, dass der Bundesrat «unwillig oder nicht in der Lage» sei, das Rahmenabkommen zu unterzeichnen, und im Verlaufe der Verhandlung keine eigenen Textentwürfe zu den geforderten Klarstellungen präsentiert habe. Nach Darstellung der Kommission sei die EU der Schweiz in Bezug auf die Staatsbeihilfen und die flankierenden Massnahmen sehr entgegengekommen, während sich bei der Unionsbürgerrichtlinie keine Einigung abzeichnete. Die überraschende Entscheidung des Bundesrats am 17. April, dass Guy Parmelin alleine nach Brüssel reisen werde, sorgte in der Medienlandschaft für Ernüchterung. Ignazio Cassis versuchte seine Nicht-Teilnahme am Gespräch mit protokollarischen Gründen zu erklären, wonach Ursula von der Leyen die Angelegenheit als Präsidialsache erachte. In den Medien schien damit der letzte Funke Hoffnung ausgelöscht worden zu sein. «Ohne Cassis und ohne Plan B nach Brüssel», titelte die Aargauer Zeitung und die NZZ schrieb die Verhandlungen mit der Aussage «Alles deutet auf ein Scheitern hin» bereits im Voraus ab.
Hauptgrund für die pessimistischen Aussichten war die Unionsbürgerrichtlinie, bei der die EU der Schweiz gegenüber keine Zugeständnisse machen wollte. Zudem wurde bekannt, dass ein angedachter Schweizer Plan B, also die Auszahlung der Kohäsionsmilliarde und die Aktualisierung des Freihandelsabkommens von 1972, im Bundesrat krachend gescheitert waren. Besonders Ignazio Cassis musste sich in der Folge öffentliche Kritik und Häme gefallen lassen. Der Tages-Anzeiger konstatierte, dass der vielgereiste Aussenminister es in dreieinhalb Jahren nie nach Brüssel geschafft habe, und der Blick bezeichnete die Nichtmitnahme von «Draussenminister Cassis» als «Demütigung sondergleichen». Rückendeckung erhielt Cassis nur von seiner Parteipräsidentin Petra Gössi (fdp, SZ), welche sich in der NZZ und der AZ vom Gesamtbundesrat enttäuscht zeigte und dabei vor allem die SP- und SVP-Bundesräte in die Pflicht nahm. Laut AZ war es dem Bundesrat auch in seiner zweiten Krisensitzung nicht gelungen, das Mandat Parmelins für das Gespräch mit von der Leyen zu konkretisieren. Grundsätzlich gehe es dem Bundesrat beim Besuch darum auszuloten, ob es überhaupt noch Spielraum für eine politische Lösung gebe, so die AZ weiter. Unterdessen formulierten vermehrt Wirtschaftsakteure und die Kantone ihre konkreten Erwartungshaltungen an den Bundesrat. So stärkten die Industrie- und Handelskammern von 25 Kantonen dem Bundesrat zwar den Rücken, forderten aber auch, die Klärungen mit der EU rasch abzuschliessen und das institutionelle Abkommen dem Parlament vorzulegen. Der nationale Netzbetreiber Swissgrid hoffte ebenfalls auf eine baldige Einigung, da ansonsten auch das Stromabkommen mit der EU zum Scheitern verurteilt sei, wie Swissgrid in der NZZ verlauten liess.

Abbruch der Verhandlungen über das Rahmenabkommen mit der EU
Dossier: Institutionelles Rahmenabkommen

Rétrospective 2020: Groupes sociaux

Pendant plusieurs années consécutives, la politique d'asile occupait le premier plan des discussions parlementaires au sujet des groupes sociaux. Cette année, comme par ailleurs la précédente, la question des personnes réfugiées est restée plus en retrait. La restructuration du domaine de l'asile terminée trop récemment pour qu'il soit possible de bénéficier d'un recul suffisant pour en faire la critique est sans doute une partie de l'explication, de même que les mouvements populaires d'égalité des genres et d'orientation sexuelle, qui ont réussi à faire entrer leurs thèmes sous la coupole.

Politique à l'égard des étrangers: Au printemps 2020, le Conseil national a définitivement liquidé la question du délit de solidarité. Il a refusé de donner suite à l'initiative parlementaire Mazzone, qui voulait réintroduire la notion de motifs honorables, atténuant voire annulant la peine en cas d'aide au séjour illégal (art. 116 LEI). Deux pétitions émanant d'organisations de la société civile avaient été déposées en soutien à l'initiative, en vain. Du côté de la droite, la question de la régulation de l'immigration est restée d'actualité. Le député Philippe Nantermod a réussi à faire accepter un postulat demandant au Conseil fédéral de réfléchir sur une adaptation des contingents de personnes étrangères qui pourraient absorber les besoins de l'économie, tandis que l'UDC n'a pu que constater l'échec dans les urnes de son initiative de limitation.

Qu'à cela ne tienne, l'UDC aura l'occasion de proposer des limitations supplémentaires dans le cadre de la politique d'asile. Bien que recalée sous sa forme parlementaire, l'initiative promue par Luzi Stamm, qui vise à privilégier l'aide sur place plutôt qu'un accueil sur le territoire suisse, sera proposée prochainement au peuple. Pour la deuxième année consécutive, l'asile n'a pas occupé la place principale parmi les sujets les plus abordés dans ce chapitre. La récente restructuration du domaine de l'asile – absence de recul – ou encore la prégnance des thèmes liés à la situation sanitaire peuvent expliquer cette baisse d'intérêt des parlementaires. Cependant, quelques objets ont quand même été discutés, d'un point de vue principalement sécuritaire par la droite, et sous un aspect humanitaire et de défense des droits humains par la gauche. Des sanctions plus lourdes pour les requérant-e-s d'asile mineur-e-s considérés comme réfractaires ont été refusées, tandis que la possibilité de contrôler les téléphones portables (initiative Rutz) et la substitution de la détention administrative par un bracelet électronique (motion Nantermod) ont passé les premières étapes vers une acceptation. En revanche, l'initiative Müller, qui visait à réduire le droit au regroupement familial pour rendre opératoire le permis S a échoué au deuxième conseil.

Plusieurs objets parlementaires souhaitaient mettre un terme à la détention administratives des enfants. Seule une initiative cantonale genevoise a passé la rampe, d'un cheveu, au Conseil national. L'initiative Mazzone et le postulat Quadranti (pbd, ZH) ont été refusées et respectivement retirées.

Alors que la présidente de la Commission européenne, Ursula von der Leyen présentait le «nouveau pacte sur la migration et la solidarité», censé succéder aux Accords de Dublin en matière d'asile, une motion de la CIP-CN demandait au Conseil fédéral de s'engager au niveau européen pour venir en aide aux personnes dans les camps de la mer Egée ainsi que pour une réforme de ces accords.

Dans le domaine de la politique d'égalité de genre et d'orientation sexuelle, quelques pas décisifs ont été franchis. Au terme d'une longue campagne, placée sous le signe du compromis (deux semaines au lieu de quatre prévu par l'initiative retirée), la population votante a accepté un congé paternité, financé par les APG. Plusieurs objets concernant l'égalité dans le monde du travail ont également été traités. Un postulat Marti demandant une recension précise et régulière des différences de salaire entre hommes et femmes, a été adopté par le Conseil national. En revanche, ce même conseil a refusé d'entrer en matière sur quatre initiatives proposant de mettre en œuvre des mécanismes contraignant pour atteindre l'égalité salariale. Suite à ces refus, la CSEC-CN a décidé de lancer sa propre initiative demandant la transmission des résultats des analyses des inégalités de salaire à la Confédération. Il en a été de même pour une motion Reynard qui souhaitait sanctionner plus durement les licenciements pour cause de grossesse ou de maternité. Par contre, un postulat Moret (plr, VD), demandant un recensement des besoins et de l'offre en matière de conseil pour faciliter la réinsertion professionnelle des femmes qui ont cessé de travailler pour des raisons familiales a été accepté par la chambre basse en septembre.

Deux victoires d'étape pour les personnes homosexuelles. D'abord, les deux conseils ont accepté l'initiative vert'libérale pour le mariage pour toutes et tous. Puis, suite à la votation populaire du 9 février, les propos homophobes seront désormais punis, au même titre que les injures racistes; les attaques contre les personnes transgenres ne sont toutefois pas concernées par le projet, selon le compromis trouvé en chambres. Il devrait par contre être plus facile pour elles de changer de sexe à l'état civil, grâce aux travaux parlementaires actuellement menés en ce sens.

La lutte contre les violences faites aux femmes est restée au point mort au Conseil national, quatre objets qui allaient dans ce sens ont échoué. Deux initiatives parlementaires, déposées par la députée UDC Céline Amaudruz voulaient considérer l'atteinte fondée sur l'appartenance au sexe féminin ou à un corps de police comme des circonstances aggravantes et renforcer la protection de ces personnes. Le Conseil national a refusé d'y donner suite. Une motion qui visait à octroyer un permis de séjour aux victimes de violences, dans le sens de la Convention d'Istanbul, a été classée, faute de traitement dans un délai de deux ans. Enfin, la chambre basse a refusé de donner suite à une initiative parlementaire Wasserfallen (plr, BE), qui voulait augmenter l'indemnité maximale due à la victime en cas de harcèlement sexuel au travail.

Si la politique familiale a trouvé un large écho dans la presse durant cette année 2020, c'est principalement dû à la votation sur le congé paternité. Au Parlement, l'autre événement notoire est l'avancée des travaux sur l'allocation familiale en cas d'adoption, à savoir un congé parental de deux semaines, qui avaient été lancés en 2013 par le PDC Marco Romano. Après l'entrée en matière par la chambre basse, il appartient au Conseil des États de statuer sur le projet.

Un rapport sur les moyens de prévenir la violence sur les personnes âgées a été publié en septembre 2020. Au sujet de la politique concernant les personnes en situation de handicap, le Conseil des États a adopté un postulat Maret demandant d'investiguer les possibilités d'attribuer aux proches aidants une allocation perte de gain, notamment lors de la situation sanitaire particulière liée au coronavirus.

Pandémie mondiale oblige, les débats sociétaux ont beaucoup tourné autour des mesures prises pour contrer la propagation du virus. Les milieux défenseurs du droit d'asile ont notamment dénoncé les conditions de vie des personnes requérantes logées dans des centres. Il a également beaucoup été question de la possible augmentation des violences domestiques, provoquée par les mesures de confinement. Pour les familles avec enfants, la prise en charge de ceux en dehors du foyer a été au centre de beaucoup de discussions. Cette question des conséquences, parfois inégales sur les différents groupes sociaux, des mesures sanitaires ont trouvé un écho au Parlement. Deux postulats, déposés par les socialistes Tamara Funiciello et Schneider Schüttel demandaient l'examen de ces effets, respectivement sur les groupes sociaux minorisés et sur les femmes en particulier. Les deux textes ont été combattus par l'UDC et refusé par le Conseil national.

Rétrospective annuelle 2020: Groupes sociaux
Dossier: Jahresrückblick 2020

In einer ausserordentlichen Session lehnte der Nationalrat die Motion Aeschi (svp, ZG), welche die Nichtunterzeichnung und Abschreibung des institutionellen Abkommen mit der EU forderte, mit 142 zu 52 Stimmen (bei 0 Enthaltungen) deutlich ab. Es gelang der SVP nicht, über ihre Parteigrenze hinaus Unterstützerinnen und Unterstützer zu finden.
Per Ordnungsantrag von Ruedi Noser (fdp, ZH) wurde die Motion Salzmann (svp, BE; Mo. 20.3993) in der Wintersession 2020 an die zuständige Kommission überwiesen. Dem Antrag stimmte der Ständerat mit 23 zu 14 Stimmen (bei 6 Enthaltungen) zu.

Abschreibung des institutionellen Abkommens (Mo. 20.3986)
Dossier: Institutionelles Rahmenabkommen

Im September 2020 forderte Thomas Aeschi (svp, ZG) den Bundesrat mittels einer Motion dazu auf, das institutionelle Abkommen mit der EU nicht zu unterzeichnen, das Vorhaben abzuschreiben und die EU darüber zu informieren. Eine inhaltlich identische Motion wurde zeitgleich von SVP-Ständerat Werner Salzmann (svp, BE; Mo. 20.3993) eingereicht. Zusammen mit zwei weiteren Motionen der SVP-Fraktion (Mo. 20.3985) und von Hannes Germann (svp, SH; Mo. 20.3991) lancierte die SVP damit einen koordinierten Angriff auf das institutionelle Rahmenabkommen. Für Aeschi war das Abkommen nicht mit den Schweizer Landesinteressen vereinbar. Er führte in seiner Begründung sieben Punkte auf, an denen er sich störte, und zwar namentlich: die Übernahme von EU-Recht in zentralen Politikbereichen; die «Unterordnung» des vorgesehenen Schiedsgerichts unter den EU-Gerichtshof; die Ermächtigung der EU, verhältnismässige Sanktionen gegenüber der Schweiz erheben zu dürfen; die Zahlung von «jährlich hunderten von Millionen Franken an die EU»; die «Super-Guillotine», welche dazu führe, dass mit der Kündigung des Abkommens nach sechs Monaten alle bisherigen und zukünftigen EU-Marktzugangsabkommen automatisch dahinfielen, wobei für die bestehenden fünf Marktzugangsabkommen ein Konsultationsprozess von drei Monaten zur Lösungsfindung vorgesehen ist; die EU-Beihilferegeln, welche auch für das Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und der EU gelten würden und schliesslich das «Vetorecht» der EU gegen Schweizer Volksentscheide in Bereichen, in denen die EU die alleinige Rechtssetzungskompetenz besitzt. Aeschi verlangte, dass die Schweiz stattdessen ihre «bewährte Wirtschaftspolitik» fortsetze, bei der man Beziehungen im gegenseitigen Interesse pflege. Des Weiteren schlug er vor, sich mithilfe eines Revitalisierungsprogramms gegen allfällige Gegenmassnahmen der EU bei Ablehnung des Rahmenabkommens zu wappnen. Der Bundesrat hielt sich in seiner Stellungnahme knapp und verwies auf die Kooperation mit Kantonen und Sozialpartnern zur Erarbeitung breit abgestützter Lösungen für die zu klärenden Punkte im Rahmenabkommen. Laut Bundesrat werde man das Abkommen nur unterzeichenn, wenn für die offenen Punkte zufriedenstellende Lösungen vorlägen. Er beantragte die Ablehnung der Motion.

Abschreibung des institutionellen Abkommens (Mo. 20.3986)
Dossier: Institutionelles Rahmenabkommen

Per Motion forderte die APK-NR vom Bundesrat einen epidemologisch angemessenen Fahrplan für die schrittweise Öffnung der Grenzen und Wiederherstellung der Personenfreizügigkeit vergleichbar mit den 3-stufigen Lockerungen im Inland. Die Schliessung der Landesgrenzen im Zuge der Corona-Pandemie bedeutete für Grenzgängerinnen und Grenzgänger lange Wartezeiten und für unverheiratete Paare und getrennte Familien eine grosse Belastung.
Der Bundesrat stimmte dem Anliegen der Kommission zu und legte am 29. April eine Vorgehensweise zur Lockerung der Einreise in die Schweiz und der Zulassung ausländischer Staatsangehöriger zum Arbeitsmarkt vor. Ein erster Schritt bestehe darin, dass ab dem 11. Mai die Gesuche von Erwerbstätigen aus dem EU/EFTA-Raum und Drittstaaten wieder bearbeitet werden, die vor dem 25. März eingereicht wurden. Zudem solle der Familiennachzug für EU-Staatsangehörige und Schweizer Bürger ermöglicht werden. Der zweite Schritt sehe ab dem 8. Juni die Bearbeitung aller Gesuche aus dem EU/EFTA-Raum vor, wobei hierbei eine Koordination mit Kantonen und Sozialpartnern erfolge und eine sistierte Stellenmeldepflicht aktiv werde. Der Bundesrat beantragte die Annahme der Motion.
Der Nationalrat beriet in der ausserordentlichen Session im Mai 2020 über den Vorstoss, wobei die Kommissionssprecherin Christa Markwalder (fdp, BE) darauf drängte, die Motion für die Wirtschaft, den Tourismus und die Grundrechte der Schweizer Bevölkerung anzunehmen. Die anwesende Bundesrätin Karin Keller-Sutter musste sich in der Folge zahlreichen kritischen Fragen der Nationalrätinnen und Nationalräte zur Arbeitslosigkeit, der Personenfreizügigkeit und potenziellen kantonalen Sonderregelungen stellen. So plädierte Nationalrat Aeschi (svp, ZG) für die Aufhebung der Personenfreizügigkeit zu Gunsten der Schweizer Arbeitslosen. Und Vertreterinnen der Grenzkantone Basel, Basel-Stadt und Schaffhausen forderten eine frühere Öffnung der Grenzen zu den Nachbarländern Deutschland und Frankreich. Bundesrätin Keller-Sutter verwies jedoch in sämtlichen Fällen auf den bereits bekannten Fahrplan des Bundesrats. Die Motion wurde vom Nationalrat nach dieser längeren Fragerunde mit 129 zu 49 Stimmen (bei 5 Enthaltungen) angenommen.

Schrittweise Öffnung der Grenzen und Wiederherstellung der Personenfreizügigkeit (Mo. 20.3130)
Dossier: Kontrolle der Schweizer Landesgrenzen in Covid-19-Zeiten

Jahresrückblick 2019: Aussenpolitik

Im Jahr 2019 beschäftigte sich das Parlament im Rahmen der Schweizer Aussenpolitik mit Geschäften im Bereich der Aussenwirtschaft – wie Freihandelsabkommen und Doppelbesteuerungsabkommen – aber auch mit zwischenstaatlichen Beziehungen. Wie die Medienanalyse von APS zeigt, nahm das mediale Interesse – im Vergleich der letzten drei Jahre – an Geschäften, die sich mit Staatsverträgen oder Entwicklungspolitik befassten, tendenziell eher ab. Über die Beziehung zwischen der Schweiz und der EU wurde besonders oft berichtet. Dies dürfte insbesondere an den neuen Entwicklungen und Eskalationsstufen rund um das institutionelle Rahmenabkommen mit der EU sowie an dem zweiten Beitrag an ausgewählte EU-Mitgliedsstaaten – in den Medien als Kohäsionsmilliarde bezeichnet – liegen.

Ein erster gewichtiger Schwerpunkt im Jahr 2019 bildete jedoch ein anderer Politikbereich, die Aussenwirtschaftspolitik. So entschieden die Räte unter anderem über aktualisierte Freihandelsabkommen zwischen den EFTA-Staaten und der Türkei sowie Ecuador. Hinzu kam das revidierte Agrarabkommen zwischen der Schweiz und der Türkei. Insbesondere gegenüber Letzterem gab es aufgrund der kritischen Menschenrechtslage in der Türkei zwiespältige Gefühle. Eine Minderheit forderte, mit Verweis auf Berichte der EU und der UNO, gar die Rückweisung an den Bundesrat. Der Bundesbeschluss wurde aber vom Ständerat im März und vom Nationalrat im Juni angenommen. Die Kantone Thurgau (Kt.Iv. 17.317) und Genf (Kt.Iv. 18.303) hatten in den vergangenen Jahren Standesinitiativen lanciert, um bei den Verhandlungen von Freihandelsabkommen mit Malaysia und Indonesien die Zollbefreiung von Palmöl und Palmkernöl zu verhindern. Grund dafür war einerseits die Sorge, dass einheimische Ölproduzenten durch die Aufweichung der Grenzschutzmassnahmen benachteiligt werden könnten, andererseits wurden auch die negativen ökologischen Folgen der Palmölproduktion bemängelt. Im März wurden zwei dieser Initiativen durch den Nationalrat versenkt, drei weitere standen aber noch an, womit das Thema beileibe noch nicht vom Tisch war. Ebenfalls im März wurde im Nationalrat – als Zweitrat – eine Motion der APK-SR (Mo. 18.3717) angenommen, die verlangte, dass die beiden Freihandelsabkommen sich nicht negativ auf die inländische Ölproduktion auswirken dürfen. Diesen Forderungen wurde Rechnung getragen, woraufhin der Nationalrat dem Freihandelsabkommen mit Indonesien zustimmte. Eine Minderheit zeigte sich zwar mit den Regelungen zur Nachhaltigkeit von Palmöl nicht zufrieden, doch sie unterlag mit ihrem Antrag. Zwar noch kein konkretes FHA, aber dafür zumindest die Erlaubnis für erste Sondierungsgespräche über ein Freihandelsabkommen mit den USA gab es in der Sommersession. Die Motion von Ständerat Graber (cvp, LU; Mo. 18.3797) aus dem Jahr 2018 erhielt auch vonseiten des Bundesrats Unterstützung und wurde im Juni vom Nationalrat ebenfalls angenommen. Dadurch soll die Schweizer Exportindustrie gestärkt und der Zugang zum amerikanischen Markt, der sich seit 2016 immer protektionistischer gibt, gesichert werden.
Eine Änderung des Doppelbesteuerungsabkommens mit Grossbritannien wurde ebenso problemlos angenommen wie der Abschluss eines nach mehrjähriger Verhandlung erarbeiteten Doppelbesteuerungsabkommen mit Brasilien. Weitere Anpassungen an bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen zur Implementierung von Mindeststandards stehen 2020 bevor.

Am meisten Gesprächsstoff boten sicherlich jene Debatten, welche die Beziehung zwischen der EU und der Schweiz zum Thema hatten. Für hitzige Diskussionen und Differenzen zwischen der Bundesversammlung und dem Bundesrat sorgte im Juni das kritisierte und noch immer nicht abgeschlossene institutionelle Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU. Ausdruck der Unzufriedenheit war die im März abgelehnte Motion von Ständerat Minder (parteilos, SH; Mo. 18.4165), die vom Bundesrat die Nichtunterzeichnung des Abkommens verlangte. Anfang Juni kam es schliesslich zu einer mehr oder weniger offenen Konfrontation zwischen Bundesbern und Brüssel, als der Bundesrat in einer Botschaft Klärung zu fundamentalen Fragen des institutionellen Abkommens forderte. Zwar schätzte man den Entwurf des Abkommens grundsätzlich positiv ein, doch die Europäische Kommission solle mehr Rücksicht auf nationale Prozesse nehmen, damit man in Fragen des Lohn- und Arbeitnehmerschutzes, der Unionsbürgerrichtlinie und der staatlichen Beihilfen eine Einigung finde. Auch der Ständerat schlug in die gleiche Kerbe, als er kurz darauf mittels Motion (Mo. 19.3416) die Regierung und deren Chefunterhändler mit Zusatzverhandlungen beauftragte. Des Weiteren hing die «Begrenzungsinitiative» der SVP quasi als Damoklesschwert über dem bilateralen Weg der Schweiz.
Die Antwort aus Brüssel liess nur einige Tage auf sich warten, als Kommissionspräsident Juncker durchblicken liess, dass Nachverhandlungen kaum eine Chance hätten. Die Medien berichtete, dass sich die EU offiziell «offen für ergänzende Gespräche» zeige, aber durch die Blume deutlich mache, dass der Schweiz kaum Spielraum eingeräumt werden würde. Für Empörung sorgte Jean-Claude Juncker mit seinem Ultimatum, dass die von der Schweiz geforderten ergänzenden Gespräche innert einer Woche abgehandelt werden müssten. Als Druckmittel hatte die EU noch immer die in der Luft hängende Verlängerung der Börsenäquivalenz in der Hinterhand, die bei Nichterfüllung des Ultimatums beendet werden könnte.

Ebenjene Entwicklungen hinsichtlich der Anerkennung der Börsenäquivalenz sorgten in der Schweiz mit ihrem traditionell starken Bankenplatz schon seit geraumer Zeit für rote Köpfe. Die Europäische Kommission hatte Ende Dezember 2017 die Verlängerung der Börsenäquivalenz von den Fortschritten bei den Verhandlungen über ein institutionelles Abkommen abhängig gemacht. Zwar hatte sie die EU anfänglich befristet bis zum 30. Juni 2019 verlängert, erklärte sie danach aber für beendet. Dementsprechend zahlten sich die 2018 ergriffenen Massnahmen des Bundesrats zum Schutz der Börseninfrastruktur im Fall einer Nichtverlängerung der Äquivalenzanerkennung aus. Auch medial war das bevorstehende Ende der Börsenäquivalenz – und damit gezwungenermassen das institutionelle Rahmenabkommen – das dominierende Thema. Eine drohende Eskalation, die mit der Aufhebung der Börsenäquivalenz erst ihren Anfang nähme, wurde befürchtet. Die medial kritisierte bilaterale «Trotzkopf-Logik», die sich durch gegenseitige angedrohte Sanktionen äussere, wurde für enorm kontraproduktiv befunden. Das effektive Ende der Börsenäquivalenz Anfang Juli wurde in der Presse hingegen eher nüchtern thematisiert; man verwies auf die in naher Zukunft marginalen, möglicherweise gar positiven Auswirkungen für die Schweizer Börse. Kritisiert wurde vor allem, dass diese gegenseitige Blockade keine positiven Signale hinsichtlich zukünftiger Verhandlungen über das Rahmenabkommen aussende.

Sehr umstritten war aufgrund dieser Kette von Ereignissen der zweite Schweizer Beitrag an ausgewählte EU-Staaten, der im März und Juni ausgiebig diskutiert wurde. Die Aufstockung der Mittel für den Migrationskredit auf Kosten des Kohäsionsrahmenkredits wurde vor allem von den linken Parteien kritisiert. Im Nationalrat errangen schliesslich zwar beide Kreditanträge eine Mehrheit, doch der Ständerat stimmte den vorgeschlagenen Änderungen nicht zu. Eng verbandelt mit dem Kohäsionskredit war ein Entwurf für eine Asylgesetzesänderung. Dieser sollte es dem Bundesrat erlauben, ohne Zustimmung des Parlaments internationale Abkommen im Rahmen des – vom Parlament bereits beschlossenen – Migrationskredits abzuschliessen. Bei beiden Geschäften entstanden Differenzen zwischen den beiden Parlamentskammern, denn es war bis anhin nicht eindeutig geklärt, ob die Massnahmen der EU – siehe Börsenäquivalenz – als diskriminierend eingestuft werden können, was wiederum die Blockierung der Schweizer Fördergelder zur Folge hätte. Der Bundesrat gelangte im Herbst zum Schluss, dass die EU-Massnahmen unter dem WTO-Gleichbehandlungsgebot tatsächlich als diskriminierend gelten. Somit würden die beiden Kredite selbst bei einer Genehmigung durch die Räte bis auf Weiteres nicht ausbezahlt werden. Im Dezember beriet der Nationalrat schliesslich ein letztes Mal über den zweiten Beitrag der Schweiz an die EU und bereinigte die Differenzen zum Ständerat. Somit waren die beiden Kredite zwar bewilligt, ausbezahlt werden sie aber erst, wenn die Börsenäquivalenz wiederhergestellt ist.
Im August zeigte sich Bundesrat Cassis nicht sehr optimistisch und bezeichnete eine Einigung im Rahmenabkommen mit der amtierenden Kommission als «ein Wunder». Nach ihrem Amtsantritt liess die neue Kommissionspräsidentin, Ursula von der Leyen verlauten, dass die Verhandlungen mit der Schweiz auch weiterhin Chefsache blieben. Die Medien zweifelten aber nach wie vor an einer Einigung vor der Abstimmung zur Begrenzungsinitiative.

Nicht alle Verhandlungen zwischen der EU und der Schweiz gestalteten sich so problematisch wie die bisher aufgeführten. Die Sicherheit des Schengen-Raums und eine qualitativ hochwertige Grenzkontrolle schienen diesbezüglich ein verbindendes Element zu sein. Auf alle Fälle sprachen sich Ständerat und Nationalrat mit grosser Mehrheit für den bundesrätlichen Entwurf zum EES (Entry-Exit-System / Einreise- und Ausreisesystem) und die damit verbundenen Anpassungen des Ausländer- und Integrationsgesetzes aus. Bereits im Mai hatte sich das Volk nachdrücklich zum Schengen-Raum bekannt, als es der Übernahme einer EU-Waffenrichtlinie zustimmte, die unter anderem den Besitz halbautomatischer Waffen verschärfen sollte.

Auch über die Rolle der Schweiz als Gastland und Zentrum der Global Governance wurde intensiv beraten. Ebendiese soll auch weiterhin gestärkt und ausgebaut werden, damit die Schweiz – und insbesondere Genf – weiterhin ein internationales Zentrum für Diplomatie, Krisenbewältigung und NGOs sein kann. In eine ähnliche Richtung zielte die Diskussion über die Erneuerung des Kredits für drei Genfer Zentren in der Herbstsession. Diese bemühen sich um politische Sicherheit, humanitäre Minenräumung und die demokratische Kontrolle von Streitkräften. Obwohl der Kredit noch nicht definitiv beschlossen wurde, zeigten sich beide Kammern von der Wichtigkeit der Schweizer Aussenwahrnehmung in diesen Politikfeldern überzeugt.

Jahresrückblick 2019: Aussenpolitik
Dossier: Jahresrückblick 2019

Nationalrat Thomas Aeschi (svp, ZG) stellte in der Herbstsession 2019 einen Ordnungsantrag zur Behandlung des zweiten Beitrags der Schweiz an ausgewählte EU-Staaten in der Herbstsession 2019 – wegen einer Differenz zwischen Ständerat und Nationalrat war das Geschäft noch hängig. Eine in beiden Räten unumstrittene Klausel besagt, dass auf Verpflichtungen auf Grundlage des Rahmenkredits nicht eingegangen wird, wenn und solange die EU diskriminierenden Massnahmen gegen die Schweiz unternimmt. Dieses Kriterium erachtete Thomas Aeschi mit der Nichtverlängerung der Anerkennung der Schweizer Börsenäquivalenz Anfang Juli 2019 als erfüllt. Er kritisierte insbesondere die Fraktionen der CVP und der FDP dafür, dass sie in der Kommission zugestimmt hatten, die Differenzbereinigung erst nach den eidgenössischen Wahlen 2019 durchzuführen statt das Geschäft per se abzulehnen. Dies käme laut Nationalrat Aeschi einer «Irreführung der Schweizer Wähler» gleich. Der Ordnungsantrag wurde mit 119 Stimmen zu 63 Stimmen abgelehnt, wobei ihm ausschliesslich Mitglieder der SVP-Fraktion zustimmten.

Deuxième contribution de la Suisse en faveur de certains Etats membres de l'UE (MCF 18.067)
Dossier: Schweizer Beitrag an die erweiterte EU

Da Initiativen der Beratungskategorie der sogenannten «freien Debatte» zugeordnet werden, haben grundsätzlich alle Parlamentsmitglieder das Recht auf Wortmeldung. In den anderen, seit 1990 geltenden Beratungskategorien äussern sich in der Regel – neben den Vertreterinnen und Vertretern des Bundesrates – lediglich Kommissionssprecherinnen und -sprecher, Antragstellerinnen und Antragsteller von Vorstössen oder Minderheitsanträgen und allenfalls Fraktionssprecherinnen und -sprecher. Schon früher uferte die freie Debatte bei Volksinitiativen gerne auch in einem ziemlichen Redemarathon aus, so etwa bei der «No-Billag»-Initiative. Immer häufiger wird in solchen Debatten zudem auch das Recht genutzt, Zwischenfragen zu stellen. So war es auch wenig verwunderlich, dass im Nationalrat nicht weniger als 83 Ratsmitglieder einen Antrag gestellt hatten, um in einem Votum die eigene Position zur Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)» verdeutlichen zu können. Aufgrund der grossen Zahl an Rednerinnen und Rednern, aber eben auch aufgrund der zahlreichen vor allem von SVP-Vertreterinnen und -vertretern gestellten Zwischenfragen dauerte die Debatte schliesslich insgesamt über neun Stunden – auf drei verschiedenen Sessionstage verteilt.

In der Tat stellten die Fraktionsmitglieder der SVP den Hauptharst der Rednerinnen und Redner, nämlich deren 42; von der SP-Fraktion meldeten sich 17 Mitglieder zu Wort, von der FDP deren acht, von der CVP sieben, von den Grünen vier und von GLP und BDP je zwei. Nicht weniger als 82 der 102 Zwischenfragen stammten zudem von der Volkspartei (FDP: 9; SP: 7; BDP: 2; CVP: 1; GP: 1), wobei die SVP-Fraktionsvertreterinnen und -vertreter sich häufig auch innerhalb der Fraktion selber befragten, was Roger Nordmann (sp, VD) zur Zwischenfrage veranlasste, ob es sich hier nicht eher um die «Selbstbefragungs-Initiative» handle. Den von verschiedenen Ratsmitgliedern geäusserte Verdacht, dass die Volkspartei versuche, die Ratsabstimmung über die Initiative so zu verzögern, dass das Begehren nicht bereits im November 2018, sondern im Wahljahr 2019 an die Urne gelangt – Beat Jans (sp, BS) sprach von «Filibustern» und Nadine Masshardt (sp, BE) staunte darüber, dass die SVP so viele Fragen zur eigenen Initiative habe – konnte die SVP nicht ganz ausräumen. Freilich können Zwischenfragen nur gestellt werden, wenn der Ratspräsident oder die Ratspräsidentin – aktuell Dominique de Buman (cvp, FR) – unmittelbar nach einem Votum die Rednerin oder den Redner fragt, ob diese oder dieser die Zwischenfrage zulasse. Wird diese Frage verneint, darf die Zwischenfrage nicht gestellt werden. Die meisten Votantinnen und Votanten – mit Ausnahme der SVP-Abgeordneten – liessen denn die Zwischenfragen gar nicht zu. Weil einige darob erzürnte SVP-Zwischenfragerinnen und -frager ihre Frage trotzdem in den Saal riefen, musste de Buman einige Ermahnungen aussprechen.

Der Verdacht, dass es der SVP mit ihrer Redner- und Zwischenfragestrategie in der Tat nicht nur um einen Kampf gegen die «Diskussionsverweigerung [...] der Demokratieabschaffer in diesem Saal» ging, wie sich etwa Roger Köppel (svp, ZH) echauffierte, sondern um eine Verschleppungstaktik, «damit das Geschäft erst im Wahljahr vors Volk kommt», wie Roger Nordmann vermutete, wurde durch einen von Fraktionssprecher Thomas Aeschi (svp, ZG) vorgebrachten Ordnungsantrag weiter erhärtet. Die SVP wehrte sich nämlich dagegen, dass für den dritten Debattenteil eine Nachtsitzung anberaumt wurde, was in der Regel nur bei hoher Geschäftslast oder dringlichen Geschäften erfolge. Mit ihrem Ordnungsantrag wollte die SVP ihr Begehren zu den normalen Sitzungszeiten weiter beraten, was wohl eine Verschiebung in die Herbstsession bedeutet hätte. Die Sprecherin des Büros, Marina Carobbio Guscetti (sp, TI) wies darauf hin, dass mit der überdurchschnittlichen Zahl an Rednerinnen und Rednern das Kriterium der hohen Geschäftslast sehr wohl erfüllt sei. Der Ordnungsantrag wurde dann mit 121 zu 67 Stimmen abgelehnt. Die 67 Stimmen stammten allesamt aus den Reihen der Volkspartei.
Auch der am dritten Verhandlungstag gestellte Antrag der SVP, die Anwesenden zu zählen, um das nötige Quorum nachzuprüfen, verhalf nicht wirklich zu einer Beschleunigung der Debatte. Freilich verliessen zahlreiche Parlamentarierinnen und Parlamentarier nach dem Drücken des blauen Knopfes – der der Anwesenheitskontrolle dient – den Nationalratssaal wieder, was Toni Brunner (svp, SG) derart erzürnte, dass er als Antwort auf eine entsprechende Zwischenfrage von Thomas Aeschi von einem «Kindergarten» sprach und seine Tirade gegen die nicht anwesenden Ratskolleginnen und -kollegen vom Nationalratspräsidenten erst durch Abschalten des Mikrofons unterbrochen wurde.

Nebst all diesem Geplänkel wurden freilich auch Argumente ausgetauscht. In der Tat dienen die freie Debatte wie auch die Zwischenfragen ja durchaus auch dazu, den Bürgerinnen und Bürgern zu zeigen, welche Begründungen für den Bezug der verschiedenen Fronten geltend gemacht werden. Die ab und zu ziemlich emotional, ja gar gehässig geführte Debatte – der Sonntags-Blick sprach von einer von der SVP geplanten und zelebrierten Entgleisung, der Tages-Anzeiger von einem eigentlichen Politikspektakel und die Aargauer Zeitung warf der SVP vor, statt einer inhaltlichen Debatte auf Klamauk zu setzen – liess in der Tat deutliche Positionsbezüge erkennen. Während alle Mitglieder der SVP-Fraktion das Begehren vehement verteidigten, lehnten alle anderen Fraktionen die Initiative einhellig ab.

Die Kommissionssprecherin Valérie Piller Carrard (sp, FR) und der Kommissionssprecher Kurt Fluri (fdp, SO) berichteten, dass alle von der SPK-NR angehörten Wirtschaftsvertreterinnen und -vertreter sowie sämtliche Rechtsexperten die Initiative ablehnten. Es werde befürchtet, dass das Begehren dem Wirtschaftsstandort Schweiz schade und in juristischer Hinsicht mehr Probleme schaffe als löse. In der Kommission sei zudem die Gefahr einer Kündigung wichtiger Menschenrechtsabkommen, ja gar der Europäischen Menschenrechtskonvention, diskutiert worden. Klar sei einzig, dass bei einem Konflikt zwischen Völker- und Landesrecht bestehende Verträge neu verhandelt oder gekündigt werden müssten. Wer allerdings in welchem Verfahren feststelle oder entscheide, wann ein Normenkonflikt bestehe und wann nicht bzw. wann dieser Konflikt genügend gravierend sei, bleibe völlig unklar. Dies würde bei Annahme des Volksbegehrens eine grosse Rechtsunsicherheit schaffen. Die Kommission empfehle deshalb mit 16 zu 9 respektive 14 zu 11 Stimmen, die Initiative abzulehnen und nicht auf den Gegenvorschlag einzutreten. Letzterer war von Gerhard Pfister (cvp, ZG) eingebracht worden und entsprach im Grossen und Ganzen dem schon im Ständerat gescheiterten Vorschlag von Andrea Caroni (fdp, AR). Pfister zog seinen Antrag gleich zu Beginn der nationalrätlichen Debatte zurück, weil die Initianten keinerlei Bereitschaft zeigen würden, auf seinen Vorschlag für eine alternative Lösung überhaupt einsteigen zu wollen.

Die Befürworterinnen und Befürworter der Initiative begründeten ihr Anliegen mit vier Hauptargumenten: (I) Die Initiative wolle Rechtssicherheit schaffen, indem die Hierarchie von Völker- und Landesrecht geklärt werde. Dies sei auch angesichts einer immer stärkeren Einmischung rechtlicher Normen in die Politik (sogenannte Justizialisierung) von Nöten. (II) Damit werde zudem die (direkte) Demokratie gestärkt und die Abhängigkeit vom Ausland gemindert. (III) Häufig wurde argumentiert, dass mit der Initiative nur ein Zustand wiederhergestellt werde, wie er fünf Jahre zuvor schon geherrscht habe. Damit wurde auf ein Bundesgerichtsurteil vom 12. Oktober 2012 rekurriert, mit welchem die Schubert-Praxis faktisch ausser Kraft gesetzt und wodurch festgelegt worden sei, dass internationales Recht generell nationalem Recht vorgezogen werden müsse. Konkret hatte das Bundesgericht in einem Fall die Menschenrechtskonvention der Regelung der Ausschaffungsinitiative vorgezogen. Damit sei die direkte Demokratie gleichsam ausgehebelt worden, so die SVP. Kein anderer Staat gebe aber internationalem Recht Vorrang vor Landesrecht. (IV) Gewarnt wurde in diesem Zusammenhang auch vor der Einmischung der EU, die mit dem viel diskutierten Rahmenabkommen und dem Vorrang von internationalem Recht faktisch zum «obersten Souverän der Schweizerischen Eidgenossenschaft» werde – so etwa Hans-Ueli Vogt (svp, ZH). Die Schweiz werde zu einer Marionette und Volksentscheide verkämen zu einer Art Umfrageergebnis, was letztlich nur noch eine Scheinselbstbestimmung sei, erklärte Thomas Aeschi. Andreas Glarner (svp, AG) verklebte sich den Mund mit blauen Klebestreifen, um zu demonstrieren, dass man sich den Mund verbieten lasse. Roger Köppel warnte gar von einer «kalten Entmachtung des Volkes» und Magdalena Martullo-Blocher (svp, GR) stellte die Anschuldigung in den Raum, dass die «sogenannten Volksvertreter im Saal», denen man im Gegensatz zum Volk nicht vertrauen könne, dem süssen Gift der Macht verfallen seien, die Souveränität des Volkes an sich rissen und ins Ausland verkauften. Dies sei der Untergang der Schweiz.

Die Gegnerinnen und Gegner des Begehrens betonten neben den bereits von der Kommission vorgebrachten Argumenten auch den nötigen Spielraum, den Gerichte im Einzelfall bräuchten, der aber mit einer Annahme der Initiative stark eingeschränkt würde. Zahlreiche Plädoyers machten sich zudem für die Menschenrechte stark, die mit der Annahme einer Initiative gefährdet wären, weil die Kündigung der Menschenrechtskonvention durch die Schweiz einen fatalen Vorbildcharakter hätte. Balthasar Glättli (gp, ZH) sprach etwa von einer «Antimenschenrechts-Initiative». Das Volksbegehren stelle die Werte der Schweiz – laut Nadine Masshardt (sp, BE) «Verlässlichkeit, Stabilität und Menschenrechte» – fundamental infrage. Die kleine Schweiz sei auf Vertragssicherheit und auf Völkerrecht angewiesen, damit sie nicht dem Recht des Stärkeren ausgesetzt sei. Aber wer – so fragte sich Matthias Jauslin (fdp, AG) – gehe mit einem unverlässlichen Partner noch einen Vertrag ein? Völkerrechtliche Verträge würden von der Schweiz freiwillig eingegangen, weil sie von grossem Nutzen seien, betonte Ruth Humbel (cvp, AG). Die Stimmbevölkerung werde nicht durch Völkerrecht entmachtet, weil wichtige Verträge ja immer direktdemokratisch legitimiert seien, gab Eric Nussbaumer (sp, BL) zu bedenken.

Das Schlussvotum gehörte Justizministerin Simonetta Sommaruga. Sie führte aus, dass sich Souveränität und globale Vernetzung nicht widersprechen, weil die Schweiz souverän bestimme, mit wem sie internationale Verträge abschliesse. Wie diese Verträge abzuschliessen seien und dass man sie einzuhalten habe, stehe eigentlich in der von Volk und Ständen abgesegneten Bundesverfassung. Ebenfalls festgehalten sei, dass es den Gerichten zu überlassen sei, bei Normenkonflikten flexibel und pragmatisch zu entscheiden. Mit der Selbstbestimmungsinitiative würde dies allerdings auf den Kopf gestellt. Das Begehren fordere nicht nur, dass Völkerrecht nicht mehr zählen solle, sondern dass die Gerichte im Konfliktfall rechtswidrige Entscheide fällen müssten. Die Neuaushandlung von Verträgen würde damit zu einer Obligation und bleibe nicht Option. Die Initiative, weil sie nur Schwarz und Weiss kenne, zwänge die Schweiz in ein Korsett. Nicht nur die eigene Handlungsfähigkeit würde eingeschränkt, sondern auch die Zuverlässigkeit der Schweiz als Vertragspartnerin werde aufs Spiel gesetzt. Zudem sei die Initiative nicht genügend deutlich bei der Definition von «Widerspruch». Wann ein Konflikt zwischen Völkerrecht und Landesrecht bestehe, wie gross dieser sein müsse und wer dies entscheide, bleibe unklar. Die Justizministerin versuchte auch die Meinung zu entkräften, dass das Bundesgericht seit 2012 auf die Schubert-Praxis verzichtet habe; es sei im Gegenteil in mehreren Fällen Bezug genommen worden auf diese Praxis. Die Schweiz sei erfolgreich, weil sie beweglich und pragmatisch immer wieder neue Antworten auf neue Herausforderungen gefunden habe. Die im Gegenteil dazu starre und dogmatische Initiative werde vom Bundesrat deshalb zur Ablehnung empfohlen.

Wie aufgrund der Debatte nicht anders zu erwarten war, stimmten die 67 anwesenden Mitglieder der SVP-Fraktion – einzig Ulrich Giezendanner (svp, AG) war abwesend – für und die restlichen 127 bei der Abstimmung anwesenden Nationalrätinnen und Nationalräte gegen Annahme der Initiative.

Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)» (BRG 17.046)

Nachdem der Ständerat seine Debatte des Voranschlags 2018 nach vier Stunden beendet hatte, machte sich tags darauf der Nationalrat zu einer schliesslich fast zwölfstündigen Debatte inklusive Nachtsitzung auf, in deren Rahmen er über 80 Minderheitsanträge behandelte. Dies hatte bereits im Vorfeld zu Kommentaren geführt. Finanzminister Maurer hatte den Parlamentarierinnen und Parlamentariern in Bezug auf die Budgetdebatte geraten, ihren Schlafsack einzupacken, Ständerat Comte (fdp, NE) verstand den „Basar“ und die „Quasi-Hysterie“ im Nationalrat als Anzeichen für dessen fehlenden Willen zur Kompromisssuche.
Die grosse Kammer hatte zuerst einen Rückweisungsantrag Meyer (sp, ZH) zu behandeln, gemäss dem der Bundesrat beauftragt werden sollte, den K-Faktor, den Konjunkturfaktor, den wirtschaftlichen Prognosen anzupassen und nach oben zu korrigieren, bei den Teuerungskürzungen die bereits im Rahmen des Stabilisierungsprogramms erfolgte Teuerungskorrektur von 0.7 Prozent in Betracht zu ziehen sowie auf die Kürzungen im Eigenbereich und bei den gezielten Massnahmen zu verzichten. Der K-Faktor erlaube es dem Bund, antizyklisch zu handeln, somit sollen in konjunkturell schlechteren Situationen die Einnahmen auch einmal die Ausgaben übersteigen dürfen. Unter Berücksichtigung des höheren K-Faktors für das Jahr 2018 sei es somit möglich, auf Kürzungen zu verzichten. Mit 134 zu 52 Stimmen (bei einer Enthaltung) sprach sich der Nationalrat jedoch gegen den Widerstand der SP- und der Grünen-Fraktion deutlich gegen eine Rückweisung des Budgets aus.
Die Detailberatung war anschliessend aufgrund der zahlreichen Minderheitsanträge in sechs thematische Blöcke gegliedert. Im Allgemeinen lehnte der Nationalrat die Minderheitsanträge auf (zusätzliche) Kürzungen von der rechten sowie auf eine Reduktion der beantragten Kürzungen von der linken Ratsseite beinahe durchgehend ab und folgte mehrheitlich dem Ständerat. Im ersten Block zu den Querschnittsmassnahmen wurden nur wenige Differenzen zum Ständerat geschaffen. Eine davon betraf die Einlage in die Publica respektive die Lohnmassnahmen beim Bundespersonal, wie sie auch für den Nachtrag II zum Voranschlag 2017 relevant sind. Diesbezüglich wollte Alois Gmür (cvp, SZ) mittels eines Ordnungsantrags, gemäss dem zuerst über die Einlage in die Publica und anschliessend über die Lohnmassnahmen abgestimmt werden sollte, sicherstellen, dass nur einer der beiden Vorschläge angenommen würde, aber nicht beide. Das Bundespersonal solle entsprechend nicht leer ausgehen, jedoch auch nicht übervorteilt werden. Nach Annahme des Ordnungsantrags entschied sich eine aus Mitgliedern der SVP-, FDP- und GLP-Fraktionen bestehende Mehrheit für den anfänglichen Vorschlag des Bundesrates, der Lohnmassnahmen in der Höhe von knapp CHF 33 Mio., dafür keine zusätzliche Einlage in die Publica vorsah, und schuf damit eine gewichtige Differenz zum Ständerat. Eine weitere Differenz kam durch die Zustimmung einer nationalrätlichen Mehrheit aus Mitgliedern der SVP-, FDP- und BDP-Fraktionen zur Änderung des Sollwerts bei der Personalbedarfsplanung zustande: Neu darf diese nicht mehr um maximal 2 Prozent, sondern nur noch um 1 Prozent von den budgetierten Beträgen abweichen.
Im zweiten Block wurden die Ausgaben im Rahmen von Beziehungen zum Ausland behandelt, wo vor allem die Umwandlung der Darlehen an die Sifem, wie sie bereits im Rahmen des Stabilisierungsprogramms angedacht worden war, sowie die Kürzungsanträge beim Seco und der Entwicklungshilfe für Gesprächsstoff sorgten. Differenzen zum Ständerat wurden allerdings keine geschaffen, unter anderem lehnte der Nationalrat einen Vorschlag seiner FK-NR zur Reduktion des Transferaufwands des EDA um CHF 100 Mio. ab. Auch bezüglich der Umwandlung des Darlehens der Sifem in Aktienkapital stimmte der Nationalrat nicht der knappen Mehrheit der FK-NR zu, welche die Ablehnung der Umwandlung beantragt hatte, sondern einem Minderheitsantrag Vitali (fdp, LU), der dem Ständerat folgen und das Aktienkapital der Sifem zusätzlich um CHF 150 Mio. erhöhen wollte. Zuvor waren jedoch erneut Stimmen laut geworden, welche die Umwandlung der Sifem kritisierten – von linker Seite aufgrund der Angst, dass dadurch weniger Geld für die klassische Entwicklungshilfe vorhanden sein könnte, und von rechter Seite, weil der Bund durch eine Umwandlung in Aktienkapital die Hauptlast des Risikos trage.
Der dritte Block beinhaltete die soziale Wohlfahrt und damit die im Vorfeld am stärksten diskutierte Frage, was mit den durch die Ablehnung der Altersvorsorge 2020 freigewordenen CHF 442 Mio. geschehen soll. Eine so genannte unheilige Allianz zwischen der SVP- und der SP-Fraktion, unterstützt von der Grünen-, der GLP- sowie von Teilen der CVP-Fraktion, entschied sich dafür, den zwei Minderheitsanträgen Nordmann (sp, VD) und Aeschi (svp, ZG) zu folgen (130 zu 63 Stimmen, 1 Enthaltung) und diese Gelder der AHV zukommen zu lassen. Dies würde jedoch eine gesetzliche Grundlage erfordern, die im Laufe des Jahres 2018 mittels einer parlamentarischen Initiative geschaffen werden sollte.
Deutlich mehr – wenn auch finanziell weniger gewichtige – Differenzen zum Erstrat wurden im vierten, fünften und sechsten Block geschaffen. Bezüglich der Landwirtschaft stellte sich der Nationalrat wenig überraschend gegen die Kürzungen des Ständerats bei den Direktzahlungen, bei den landwirtschaftlichen Strukturverbesserungen sowie bei weiteren kleineren Beträgen in der Landwirtschaft. Im Bereich Bildung und Forschung folgte die grosse Kammer nicht allen Korrekturen des Ständerats, der die Sparanstrengungen des Bundesrates vielerorts reduziert hatte, zeigte sich aber in diesem Bereich mehrheitlich doch grosszügiger als der Bundesrat. Dafür beschloss er, verschiedene Einrichtungen (Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft, Schweizerisches Sozialarchiv, Stiftung schweizerischer Theatersammlung, Vitrocentre de Romont und Swisspeace) von der Liste der Forschungseinrichtungen mit nationaler Bedeutung zu streichen, ihre Finanzierung in den Finanzplanjahren laufend zu reduzieren und schliesslich auslaufen zu lassen. Zudem entschied sich der Nationalrat, entgegen den Beschlüssen des Ständerats, bei den Globalbudgets der Steuerverwaltung und der Finanzkontrolle mehr und stattdessen bei der Zollverwaltung weniger zu sparen. Abgelehnt wurde hingegen ein Antrag der Mehrheit der FK-NR zur Aufhebung des Büros für Konsumentenfragen.
Insgesamt schuf der Nationalrat somit 30 Differenzen zum Ständerat und entschied sich, CHF 225 Mio. mehr auszugeben als der Bundesrat und CHF 585 Mio. mehr als die FK-NR vorgeschlagen hatte. Mit 124 zu 66 Stimmen aus der SVP-Fraktion (bei drei Enthaltungen) verabschiedete er seinen Voranschlag, der ein Defizit von CHF 122 Mio., aber einen strukturellen Überschuss von CHF 21 Mio. beinhaltete.

Voranschlag 2018 mit integriertem Aufgaben- und Finanzplan 2019-2021 (BRG 17.041)
Dossier: Bundeshaushalt 2018: Voranschlag und Staatsrechnung

Au mois de mars 2016, le Conseil national et le Conseil des Etats ont tous deux pris acte du rapport de politique extérieure 2015. Le compte-rendu fait écho aux quatre axes stratégiques définis dans le cadre de la stratégie de politique étrangère 2012-2015 – soit les relations avec les Etats voisins, les relations avec l'UE, la stabilité en Europe et dans le monde, ainsi que les partenariats stratégiques extra-européens et la gouvernance mondiale.
Durant l'année écoulée, la politique extérieure de la Suisse avait pour thème prioritaire l'engagement en faveur des droits de l'Homme et du droit international à l'échelle mondiale. A cet effet, le rapport fait état de violations graves dans de nombreuses régions du monde, et notamment dans le contexte des guerres en Syrie, en Irak ou au Soudan du Sud. Le compte-rendu souligne également l'importance du maintien de bonnes relations avec les pays voisins. A ce titre, sont par exemple évoquées des avancées majeures en ce qui concerne le processus de mise en œuvre de l'article 121a Cst., le domaine de la migration, les questions de fiscalité ou l'épineux dossier de l'aéroport Bâle-Mulhouse. S'inscrivant à la suite de la votation du 9 février 2014, les relations entre la Suisse et l'UE se sont, de manière générale, concentrées sur la recherche d'une solution qui permette à la fois le maintien de la voie bilatérale et l'application du nouvel article constitutionnel. En décembre 2015, le Conseil fédéral a ainsi réaffirmé sa volonté de parvenir à une entente avec le voisin européen, afin de sauvegarder l'ALCP. Les négociations relatives à un éventuel accord institutionnel ont en outre été relancées. En ce qui concerne la stabilité en Europe et dans le monde, la Suisse a une nouvelle fois œuvré en faveur de la promotion de la paix, que ce soit en Syrie, face à la montée en puissance de l'organisation "Etat islamique", au Yémen, en Libye ou en Ukraine sous la bannière de l'OSCE. La Suisse a par ailleurs contribué activement à la mise sur pied de l'Agenda 2030 de développement durable, adopté à l'ONU au mois de septembre 2015. Nous noterons finalement qu'un chapitre du présent rapport est consacré à la réponse du Conseil fédéral au postulat Aeschi (udc, ZG), "La Suisse à l'heure de l'Asie".

Rapport de politique extérieure 2015
Dossier: Aussenpolitische Berichte (ab 2009)

In der Frühlingssession nahm der Nationalrat die Beratung zum Finanzmarktinfrastrukturgesetz (FINFRAG) auf. Dieses Gesetz soll neue Regeln zum Handel mit derivaten Finanzinstrumenten erlassen und bestehende Bestimmungen, die im Börsen-, Nationalbank- und Bankengesetz enthalten waren, vereinen. Die Gesetzesanpassung erfolgte nicht unbedingt aus freien Stücken, sondern vielmehr als Reaktion auf erheblichen internationalen Druck von Seiten der EU und der G-20, die schweizerische Rechtslage internationalen Standards anzupassen. Dadurch erhofften sich die Behörden, den Zugang schweizerischer Akteure zum europäischen Markt bewahren zu können. Weder die betroffenen Branchen noch die Parteien zogen die Notwendigkeit dieses Vorhabens in Zweifel, weshalb der Nationalrat ohne Gegenantrag auf das Gesetz eintrat. Die Stimmung trauter Einigkeit fand jedoch in der Detailberatung ein schnelles Ende, was sich in zahlreichen Minderheitsanträgen manifestierte. Damit erfolgreich war eine Minderheit um Nationalrat Aeschi (svp, ZG), die mit ihrem Antrag verlangte, einen von der vorberatenden Kommission (WAK-NR) eingesetzten Passus, der negative Folgen von Hochfrequenzhandel eindämmen wollte, wieder zu streichen. Die bürgerliche Mehrheit folgte diesem Antrag mit 116 zu 45 Stimmen deutlich. Ebenfalls durchzusetzen vermochte sich ein Antrag, der Geschäfte von der Meldepflicht befreien wollte, sofern es sich bei den daran beteiligten Akteuren um nichtfinanzielle Gegenparteien (Akteure aus der Realwirtschaft) handelte. Kontrovers diskutiert wurde ein Antrag de Buman (cvp, FR), der die Schaffung von sogenannten Positionslimiten forderte. Mit diesem Instrument werden die Anteile, die ein bestimmter Akteur an einem Derivat erwerben kann, begrenzt und damit die Möglichkeiten zur Beeinflussung des Preises durch einen einzelnen Marktteilnehmer eingeschränkt. Trotz der Unterstützung durch Bundesrätin Widmer-Schlumpf und trotz der Tatsache, dass sowohl die USA als auch die EU entsprechende Regeln kennen bzw. schaffen, fand der Antrag keine Mehrheit und wurde mit 103 zu 73 Stimmen verworfen. Schliesslich gelang es der bürgerlichen Ratsmehrheit auch, die Strafbarkeit von fahrlässig verübten Delikten in diesem Kontext aufzuheben und Bussenobergrenzen für verschiedene Delikte zu senken.
Die kleine Kammer nahm sich in der darauffolgenden Sommersession des Finanzmarktinfrastrukturgesetzes an. Dabei wurde deutlich, dass sich die Kantonsvertreter nur teilweise mit den Vorschlägen des Nationalrates anfreunden konnten. Einig waren sich die beiden Kammern bei der Frage, ob der Hochfrequenzhandel eingeschränkt werden sollte: Wie bereits der Nationalrat sprach sich auch der Ständerat gegen derartige Bestimmungen aus. Ebenfalls einverstanden erklärte sich die kleine Kammer mit dem Vorhaben des Nationalrates, fahrlässig begangene Delikte in diesem Zusammenhang von einer Bestrafung auszunehmen. Bezüglich der Meldepflicht von Geschäften zwischen nichtfinanziellen Gegenparteien stellte sich die kleine Kammer auf den Standpunkt des Bundesrats, wonach auch Geschäfte solcher Art meldepflichtig sein sollten. Im Gegensatz zum Nationalrat, der die Schaffung von Positionslimiten abgelehnt hatte, sprach sich der Ständerat für die Schaffung derselben aus. Nach dem Willen des Ständerates sollte der Bundesrat die Kompetenz erhalten, zu gegebener Zeit Positionslimiten einzuführen, wobei es der Finma unterliegen sollte, diese zu fixieren. In der Schlussabstimmung passierte die Vorlage die kleine Kammer schliesslich einstimmig, womit sie zurück in den Nationalrat gelangte.
Die grosse Kammer zeigte sich bezüglich Meldepflicht von Geschäften zwischen nichtfinanziellen Gegenparteien kompromissbereit: Ein Minderheitsantrag Caroni (fdp, AR), der die Befreiung von der Meldepflicht nur auf kleine nichtfinanzielle Parteien beschränken wollte, wurde angenommen. Kein Entgegenkommen signalisierte die grosse Kammer hingegen bei den Positionslimiten. Der Antrag der Kommission, dem ständerätlichen Vorschlag zuzustimmen, scheiterte knapp mit 91 zu 95 Stimmen am Willen des bürgerlichen Lagers.
Im weiteren Verlauf des Differenzbereinigungsverfahrens gelang es den beiden Räten schliesslich doch noch, sich auf eine gemeinsame Linie zu einigen, wobei beide Kammern je einmal von ihrer ursprünglichen Haltung abwichen. Der Nationalrat sprach sich, wenn auch mit 92 zu 92 Stimmen und mit Stichentscheid des Präsidenten Rossini (sp, VS) äusserst knapp, für den ständerätlichen Entwurf aus, der dem Bundesrat die Kompetenzen einräumte, Positionslimiten einführen zu können. Der Ständerat hingegen machte in der Frage der Befreiung von der Meldepflicht Konzessionen und erklärte sich schliesslich mit dem Kompromissvorschlag des Nationalrats, wonach nur Geschäfte zwischen kleinen nichtfinanziellen Gegenparteien nicht meldepflichtig sein sollen, einverstanden.
In der Schlussabstimmung wurde das Finanzdienstleistungsgesetz mit 137 zu 54 (Nationalrat) bzw. 43 zu 1 Stimmen gutgeheissen, wobei die SVP die einzige Partei war, die sich gegen die Vorlage aussprach. Damit machte sie deutlich, dass aus ihrer Sicht zu viele von der EU vorgegebene Inhalte in das vorliegende Gesetz eingeflossen seien.

Finanzmarktinfrastrukturgesetz (FinfraG) (BRG 14.061)

Im Dezember 2014 reichte die Grüne Fraktion ein Postulat ein, mit dem sie vom Bundesrat eine Evaluation der bilateralen Verträge mit der EU im Einzelnen und in ihrer Gesamtheit verlangte. Nach der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative habe die Bedeutung der bilateralen Verträge zugenommen, wobei in der Öffentlichkeit unterschiedliche Einschätzungen darüber existierten. Je nach Position seien die Bilateralen nützlich, belastend oder bedeutungslos für die Schweiz. Das Parlament brauche für die weitere Gestaltung der bilateralen Verhältnisse eine seriöse Grundlage, um die Bedeutung der bilateralen Abkommen richtig einschätzen zu können. Der Bundesrat beantragte die Annahme des Postulats. Das Anliegen könne im Rahmen des Berichts zum Stand der Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU, der vom kurz zuvor angenommen Postulat Aeschi (svp, ZG; Po. 13.3151) gefordert wurde, behandelt werden, so der Bundesrat in seiner Stellungnahme. Der Nationalrat nahm das Postulat in der Frühjahrssession 2015 stillschweigend an.

Evaluation der bilateralen Verträge mit der EU

S'inscrivant notamment à la suite de la votation du 9 février 2014, le postulat de Thomas Aeschi (udc, ZG) demande au Conseil fédéral de procéder à un bilan des relations entre la Suisse et l'UE. Devant la chambre du peuple, le conseiller national liste trois domaines prioritaires qui, selon son propre jugement, nécessitent des clarifications: le projet d'accord institutionnel entre la Suisse et l'UE, la libre circulation des personnes et la réforme de l'imposition des entreprises RIE III. Le zougois appelle donc à une évaluation globale des relations entre la Suisse et l'Union européenne, ainsi que des impacts du droit européen sur le droit national.
Si le Conseil fédéral propose le rejet du postulat, ce dernier est néanmoins accepté par une majorité du Conseil national (111 voix pour, 71 contre et 7 abstentions).

Bilan des relations entre la Suisse et l'UE

Gewohnt dezidiert richtete sich die SVP in ihrer Europapolitik gegen alle Annäherungsversuche an die EU. Der Bundesrat sei mit seinen Vorschlägen zu institutionellen Fragen bereits im Jahr 2012 viel zu weit gegangen. Die Schweiz sei jedoch auf keine neuen Abkommen mit der EU angewiesen. Harsch fiel die Reaktion der Volkspartei denn auch aus, als die EU-Kommission Anfang 2013 vorschlug, über eine Weiterführung der Kohäsionszahlungen zu diskutieren. Als der Bundesrat Ende August ein Mandat zu Verhandlungen mit der EU über institutionelle Reformen vorstellte, sprach Parteipräsident Brunner an der Delegiertenversammlung in Genf von „Landesverrat“ und „nötigem Widerstand“. Das Mandat sei nicht nur eine Selbstaufgabe, mit der fremde Richter akzeptiert würden, sondern es käme einem schleichenden EU-Beitritt gleich. Der Widerstand müsse wie schon vor 20 Jahren gegen den EWR stark sein und die Kräfte gebündelt werden. Ruhiger wurde es im Berichtjahr um die im Vorjahr von Christoph Blocher angekündigte Anti-EU-Gruppe. Mitte Januar wurde in der Presse vermeldet, dass das Vorhaben gescheitert sei, weil von den anderen Parteien zu wenig Sukkurs komme. Man wolle sich deshalb eher auf eine reine SVP-Denkfabrik konzentrieren. Ende November wurde dann allerdings bekannt, dass die SVP, vor allem auf Antrieb von Christoph Blocher, mit dem Aufbau von Strukturen für eine Kampfgruppe gegen eine allfällige Abstimmung zu neuen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU schon weit fortgeschritten war. Ein entsprechender Verein „Nein zum schleichenden EU-Beitritt“ war am 23. Oktober von Christoph Blocher, Ulrich Schlüer und Thomas Aeschi gegründet worden. Blocher nahm Einsitz im Präsidium. Bereits seien 40 zivilgesellschaftliche Organisationen beigetreten, darunter auch die Auns, die im Kampf gegen den EWR-Beitritt in den 1990er Jahren gegründet worden war.

Europapolitik

Suite à de nombreux projets de règlementations prévus par l’UE – notamment le règlement Markets in Financial Instruments Directive II (MiFID II), le Markets in Financial Instruments Regulation (MiFIR), le European Market Infrastructure Regulation (EMIR), et la directive Alternative Investment Fund Manager (AIFM) – le conseiller national Aeschi (udc, ZG) a déposé un postulat demandant au gouvernement de rédiger un rapport exposant les différentes stratégies afin que l’accès aux marchés transnationaux soit garanti pour les fournisseurs suisses de prestations. Ce postulat a été transmis au Conseil fédéral par 120 voix contre 55 et 10 abstentions.

Lösungsstrategien bezüglich Marktzugang im Börsenbereich (Po. 12.3099)