Suche zurücksetzen

Inhalte

  • Pflege
  • Epidemien

Akteure

  • Platzer, Casimir

Prozesse

2 Resultate
Als PDF speichern Weitere Informationen zur Suche finden Sie hier

Jahresrückblick 2021: Verbände

2021 wurde die Verbandslandschaft in der Schweiz wie schon im Vorjahr wesentlich durch das Coronavirus und die Massnahmen zu dessen Bekämpfung geprägt. So versuchten die Dachverbände der Arbeitgebenden und der Gewerkschaften wie auch zahlreiche Branchenverbände wiederholt mit Positionsbezügen auf die Pandemiepolitik der Behörden Einfluss zu nehmen. Während in der Unterstützung für Hilfsgelder und Kurzarbeit im Grossen und Ganzen Einigkeit zwischen Gewerkschaften und Verbänden der Arbeitgebenden aus verschiedenen Branchen herrschte, traten bei anderen Massnahmen deutliche Interessengegensätze zutage. Besonders stark profilierte sich in der Öffentlichkeit GastroSuisse mit seinem Präsidenten Casimir Platzer, der sich im Frühjahr immer wieder mit markigen Worten gegen die Schliessung der Innenräume von Gastbetrieben und im Herbst gegen die Zertifikatspflicht in Restaurants äusserte. Diese Forderungen brachten Platzer nicht nur mit manchen Gegenstimmen aus den eigenen Reihen in Konflikt, sondern auch mit Economiesuisse und dem Schweizer Arbeitgeberverband (SAV): Die beiden Dachverbände befürworteten die Zertifikatspflicht, forderten aber vom Bundesrat verbindliche Aussagen darüber, ab welchen Impfquoten er welche Lockerungsschritte ausrufen werde. Der Gewerbeverband (SGV) gab wie der SAV und Economiesuisse bei beiden Abstimmungen über das Covid-19-Gesetz die Ja-Parole heraus, markierte aber ansonsten grössere Distanz zu den Massnahmen des Bundes.
Auch die Gewerkschafts-Dachverbände SGB und Travail.Suisse unterstützten die beiden Covid-Vorlagen. Darüber hinaus wiesen die Gewerkschaften immer wieder auf die zentrale Bedeutung der Kurzarbeit, des Erwerbsersatzes und der Unterstützungsgelder für betroffene Unternehmen hin, um die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu begrenzen. Mit der Argumentation, dass ein vorsichtiger Weg letztlich schneller aus der Krise führe, mahnten SGB und Travail.Suisse bei Diskussionen über Massnahmenlockerungen meist zu behutsamen Schritten. Zu ihren Hauptforderungen zählten im Weiteren die Umsetzung und Kontrolle von Schutzkonzepten am Arbeitsplatz sowie die Sicherstellung der Fürsorgepflicht der Arbeitgebenden auch im Homeoffice.

Eine strikte oder sogar absolute Beachtung individueller Freiheitsrechte und ein verhältnismässiges Vorgehen des Staats gehörten zu den Hauptforderungen mehrerer politischer Gruppierungen, die im Zuge der Proteste gegen die Covid-19-Massnahmen entstanden und in der öffentlichen Debatte teilweise starke Beachtung fanden. Zu den prominentesten dieser neuen Organisationen zählten die «Freunde der Verfassung», die im Herbst 2021 bereits über 12'000 Mitglieder zählten und die gleich bei mehreren Referenden und Initiativen eine bemerkenswerte Fähigkeit zum Sammeln von Unterschriften an den Tag legten. Weitere Organisationen, die sich zu Sprachrohren der Covid-Protestbewegung entwickelten, waren die an die jüngere Generation gerichtete Gruppierung «Mass-voll!», das «Aktionsbündnis Urkantone für eine vernünftige Corona-Politik» sowie die «Freiheitstrychler». Auch wenn es zwischen diesen Organisationen bisweilen Differenzen über Inhalte und Stil gab, waren sie in ihrer Opposition gegen das Covid-19-Gesetz und gegen dessen zweite Revision geeint; sie unterlagen indessen in beiden Volksabstimmungen klar.

Aber auch unabhängig von der Pandemie machten Verbände und Organisationen im Jahr 2021 von sich reden, so beispielsweise die Operation Libero, die sich gleich zu Beginn des Jahres mit einem medienwirksamen Crowdfunding erfolgreich aus einem Engpass bei der Finanzierung ihrer Fixkosten befreite, im Oktober mit Sanija Ameti eine profilierte neue Co-Präsidentin präsentierte und kurz darauf zusammen mit den Grünen eine Volksinitiative für eine engere Zusammenarbeit der Schweiz mit der EU ankündigte.

Eher gegen den eigenen Willen geriet im Herbst die Gewerkschaft Unia in die Schlagzeilen, weil der beträchtliche Umfang ihres Vermögens bekannt wurde. Die Unia musste sich in der Folge gegen verschiedene Kritikpunkte verteidigen. Die Diskussion befeuerte aber auch übergeordnete Debatten, die bereits davor am Laufen gewesen waren, namentlich jene um eine angemessene Transparenz in der Politikfinanzierung und jene um eine korrekte Abgeltung der Sozialpartner für ihre quasistaatlichen Aufgaben bei der Kontrolle der Einhaltung allgemeinverbindlicher Gesamtarbeitsverträge.

Auf der Seite der Arbeitgeber-Dachverbände bekannten sich Economiesuisse, der SGV und der SAV 2021 zum Ziel, in Zukunft eine stärkere und harmonischere Zusammenarbeit zugunsten der gemeinsamen Interessen zu pflegen. Das Bekenntnis ist als Neuanlauf zu werten, nachdem in den Vorjahren – etwa vor der Abstimmung zur Konzernverantwortungsinitiative Ende 2020 – beträchtliche Spannungen zwischen SGV und Economiesuisse zutage getreten waren und sich die Wirtschaftsverbände bei verschiedenen Volksabstimmungen nur mit Mühe oder gar nicht hatten durchsetzen können. Dasselbe war im Jahr 2021 namentlich bei den Abstimmungen über das Freihandelsabkommen mit Indonesien und das E-ID-Gesetz der Fall.

Auch andere Verbände engagierten sich mit wechselndem Erfolg in Abstimmungskämpfen. So konnte etwa der Bauernverband nach einer von ihm angeführten Kampagne, die zu einer aussergewöhnlich starken Mobilisierung der ländlichen Bevölkerung beitrug, im Juni die Ablehnung der Trinkwasserinitiative und der Pestizidinitiative feiern. Intern gespalten war bei der Parolenfassung zur Trinkwasserinitiative der Interessenverband der biologischen Landwirtschaft BioSuisse, eine Mehrheit seiner Delegierten entschied sich schliesslich für eine Nein-Empfehlung; die Pestizidinitiative wurde von BioSuisse hingegen unterstützt. Bei der Ablehnung des CO2-Gesetzes gehörten Verbände des Autogewerbes und der Erdölindustrie, der Hauseigentümerverband und GastroSuisse zu den Siegern. Die Gewerkschaften wiederum konnten mit der Ablehnung des E-ID-Gesetzes und der Annahme der vom Berufsverband der Pflegefachleute (SBK) lancierten Pflegeinitiative Erfolge feiern; dies ist umso bemerkenswerter, als davor noch nie in der Schweizer Abstimmungsgeschichte eine gewerkschaftlich initiierte Volksinitiative an der Urne angenommen worden war. Auf ähnlich erfolgreiche Kampagnen in der Zukunft hoffen nebst der Operation Libero mit der oben erwähnten Europainitiative auch GastroSuisse mit seiner im März angekündigten Volksinitiative für «gerechte Entschädigungen» in künftigen Pandemiefällen sowie die GSoA mit ihrer Volksinitiative «Stopp F-35», welche die vom Bund geplante Beschaffung von Kampfflugzeugen des Typs F-35 unterbinden soll und für die 2021 bereits die Unterschriftensammlung begann.

Der Anteil der Verbände an der Presseberichterstattung bewegte sich 2021 auf ähnlichem Niveau wie in den beiden Vorjahren (vgl. Abbildung 2 der APS-Zeitungsanalyse 2021 im Anhang). Im Jahresverlauf nahmen Verbände zwischen September und November am meisten Raum ein (vgl. Abbildung 1). Dies hatte zum einen mit der Berichterstattung zum Unia-Vermögen und zum SBK als Initiant der Pflegeinitiative zu tun. Noch mehr trug die Kategorie «Andere Verbände» bei, von denen neben der Operation Libero und GastroSuisse vor allem Gruppierungen der Klimabewegung – unter anderem mit Protestaktionen von Extinction Rebellion und einer Klage der Klimaseniorinnen – in der Presse von sich reden machten.

Jahresrückblick 2021: Verbände
Dossier: Jahresrückblick 2021

Mitte April 2021 präsentierte der Bundesrat seine Strategie zum Ausstieg aus den Corona-Massnahmen. Er sah ein Drei-Phasen-Modell vor, dessen Phasen er eng mit dem Stand der Impfungen in der Bevölkerung verknüpfte. Die Schutzphase, in der sich die Schweiz zum Zeitpunkt der Meldung befand, sollte aufrechterhalten werden, bis alle impfwilligen besonders gefährdeten Personen doppelt geimpft sind – vor Ende Mai 2021 rechnete der Bundesrat aber nicht mit Eintreten der nächsten Phase. In der Schutzphase sollten entsprechend alle bestehenden Schutzmassnahmen aufrechterhalten werden, falls nötig – angezeigt durch eine Reihe von Richtwerten (Neuansteckungen, Hospitalisierungen, Belegung Intensivbetten, R-Wert) – würden die Massnahmen auch verschärft.
Die Stabilisierungsphase solle im Anschluss daran in Kraft treten und andauern, bis alle impfwilligen Personen doppelt geimpft sind – der Bundesrat rechnete hierfür mit einer Dauer bis Ende Juli 2021. In dieser Phase sei aufgrund einer abnehmenden Akzeptanz der Schutzmassnahmen mit einer «Beschleunigung der epidemischen Entwicklung» zu rechnen, folglich werde der Richtwert für die Fallzahlen hier im Vergleich zur Schutzphase erhöht, nicht aber die anderen Richtwerte. In dieser Phase seien allenfalls weitere Öffnungsschritte möglich, etwa bei der Homeoffice-Pflicht, im Sport- und Freizeitbereich, im Detailhandel und bei den Innenbereichen der Restaurants, betonte der Bundesrat. Ab einer Durchimpfungsrate von 40 bis 50 Prozent stellte der Bundesrat auch die Wiederaufnahme von Grossveranstaltungen oder die Öffnung von Diskotheken für Personen mit Covid-19-Zertifikat in Aussicht.
In der dritten Phase, der Normalisierungsphase, die nach Erreichen der Impfung aller impfwilliger Erwachsenen ausgerufen werden soll, sollen die verbliebenen Massnahmen, allen voran die Zugangs- und Kapazitätsbeschränkungen, schrittweise aufgehoben werden. Dabei sei anzunehmen, dass sich «langfristig nicht-geimpfte und nicht-genesene Personen anstecken»; der Bundesrat werde jedoch die individuelle Impfentscheidung respektieren. Er behalte es sich jedoch vor, bei der Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems erneut Massnahmen für Personen ohne Covid-19-Zertifikat einzuführen.
In der Presse wurde das Drei-Phasen-Modells mehrheitlich positiv aufgenommen. Insbesondere wurde gelobt, dass der Bundesrat damit der Forderung nach Schaffung von Perspektiven und Planungsmöglichkeiten sowie von Transparenz nachkomme. Diese Meinung teilten etwa auch die FDP, die SP oder die Mitte. Die SVP hingegen kritisierte, dass sich der Bundesrat weigere, zur Normalität zurückzukehren. Auch der NZZ ging der Ausstieg aus dem Lockdown deutlich zu lange, zumal man nicht wisse, ob sich der Zeitplan des Bundesrates aufgrund von ungeplanten Vorkommnissen nicht gar noch weiter verzögere. Unklar sei zudem auch weiterhin das Vorgehen bei Grossveranstaltungen, gab KdK-Präsident Christian Rathgeb zu bedenken. Besonders kritisch zeigte sich Gastrosuisse-Präsident Casimir Platzer, der die andauernde Schliessung der Innenräume von Restaurants als «unverständlich und nicht nachvollziehbar» bezeichnete. Auch Juso-Präsidentin Ronja Jansen kritisierte die Ankündigung des Bundesrates. Sie störte sich daran, dass es bereits in der Stabilisierungsphase zu grösseren Lockerungen kommen könne, obwohl die Jungen zu diesem Zeitpunkt noch keine Möglichkeit gehabt haben werden, sich impfen zu lassen. Wenn der Bundesrat in dieser Phase höhere Ansteckungszahlen riskiere, treffe dies somit vor allem diese Altersgruppe. Die Jungen seien zwar weniger stark gefährdet, könnten aber dennoch schwer erkranken, unter anderem auch an Long Covid.
Neben dem Drei-Phasen-Modell fokussierte sich die Presse insbesondere auch auf die Frage des Covid-Zertifikats, obwohl dieses in der bundesrätlichen Medienmitteilung nur am Rande thematisiert worden war.

Drei-Phasen-Modell