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Die SGK-SR anerkannte im Juni 2023 die vom Bundesrat angesprochenen Verbesserungen im Bereich der Health Technology Assessments (HTA-Verfahren), etwa durch eine Erhöhung der entsprechenden Ressourcen, durch eine Zunahme der HTA-Studien oder durch ihre Stärkung im Rahmen des indirekten Gegenvorschlags zur Kostenbremse-Initiative. Die Mehrheit der Kommission erachtete die Motion Nantermod (fdp, VS) für eine bessere Kosteneffizienz im Gesundheitssystem dank einer Stärkung des HTA deshalb bereits vor ihrer Behandlung im Rat als erfüllt und empfahl sie zur Ablehnung. Eine Minderheit Dittli (fdp, UR) erhoffte sich aber von einer konsequenteren Umsetzung der HTA noch weitere Einsparungen und empfahl die Motion deshalb zur Annahme. Mit 21 zu 14 Stimmen sprach sich der Ständerat jedoch im Sinne der Mehrheit für eine Ablehnung der Motion aus, womit diese erledigt war.

Bessere Kosteneffizienz im Gesundheitssystem dank einer Stärkung des HTA (Mo. 21.3154)

In der Herbstsession 2023 sprach sich der Nationalrat gegen die Schaffung von Krankenversicherungsverträgen mit einer Laufzeit von bis zu drei Jahren aus, wie sie eine parlamentarische Initiative Nantermod (fdp, VS) verlangte. Unter anderem erhöhe die Möglichkeit, jährlich die Franchise zu wechseln, die Prämien, zudem halte dies die Versicherungen von Investitionen in die Prävention ab, argumentierte der Initiant erfolglos gegen das bestehende Modell. Eine dreijährige Laufzeit würde die Schaffung neuer Versicherungsmodelle ermöglichen, etwa für langfristige Behandlungspläne von Krankheiten, so der Initiant weiter. Kommissionssprecherin Weichelt (al, ZG) beantragte im Namen der Kommission, der Initiative keine Folge zu geben, da die Versicherten mit Annahme der Initiative Flexibilität beim Wechsel des Versicherungsmodells oder der Franchise verlieren würden, was etwa bei einer Krebserkrankung zu Beginn der dreijährigen Vertragsfrist starke Auswirkungen haben könne. Zudem seien die in der Initiative vorgeschlagenen Gründe, bei denen ein Wechsel zulässig wäre, unklar und müssten «in jedem Einzelfall [von einem] Gericht» entschieden werden. Mit 105 zu 70 Stimmen (bei 10 Enthaltungen) sprach sich der Nationalrat gegen Folgegeben aus, wobei sich die Fraktionen der Grünen sowie Mehrheiten aus den Fraktionen der SP und der SVP durchsetzten. Damit war die parlamentarische Initiative erledigt.

Mehrjährige Versicherungsverträge für alternative Versicherungsmodelle im KVG zulassen (Pa.Iv. 22.438)

In der Herbstsession 2023 machte sich der Nationalrat an die Differenzbereinigung zum Entwurf für eine einheitliche Finanzierung der Leistungen im ambulanten und stationären Bereich und nahm dabei einige gewichtige Bereinigungen vor.

Die grosse Frage, die sich bei der Debatte im Rat stellte, betraf einmal mehr den Einbezug der Langzeitpflege in EFAS. Die beiden Kommissionssprecher Lorenz Hess (mitte, BE) und Philippe Nantermod (fdp, VS) betonten mehrfach, dass sich die SGK-NR diese Integration nicht gewünscht habe, EFAS ohne Pflege jedoch aufgrund des Widerstands der Kantone und des Ständerats nicht möglich sei. Die Integration der Pflege verursache zwar Kosten, die Einsparungen durch EFAS seien aber noch immer so gross, dass sich die Reform dennoch lohne. Folglich empfahl die Kommissionsmehrheit, dem Einbezug zuzustimmen und diese Differenz zu bereinigen. Eine Minderheit Aeschi (svp, ZG) erachtete jedoch die Zusatzkosten durch die Integration der Pflege als so hoch, dass sie «allfällige Einsparungen» durch EFAS übersteige – folglich solle diese Differenz zum Ständerat aufrechterhalten werden. Mit 108 zu 85 Stimmen folgte die grosse Kammer dem Mehrheitsantrag und integrierte die Langzeitpflege in EFAS. Die ablehnenden Stimmen stammten von der SVP-Fraktion sowie von grossen Mehrheiten der Mitte- und der Grünen-Fraktion. Somit war das grösste Hindernis für die Vorlage aus dem Weg geräumt.

Zwar hatte der Nationalrat bei der Integration der Pflegekosten eingewilligt, die Kommissionsmehrheit schlug aber vor, diese erst nach erfolgter Kostentransparenz im Pflegebereich umzusetzen, konkret also nach Vorliegen der kosten- und datenbasierten Pflegeleistungstarife und der vollständigen Umsetzung der Pflegeinitiative. Der Ständerat wollte die Pflege hingegen gleich im Anschluss an die erfolgte Einführung von EFAS integrieren, der Nationalrat stimmte hier jedoch dem Vorschlag seiner Kommissionsmehrheit zu.
Auch zahlreiche weitere Fragen waren direkt mit der Integration der Pflegekosten verbunden, etwa die Höhe des Kantonsanteils. So lehnte der Nationalrat einen Minderheitsantrag Aeschi, den Kantonsbeitrag auf 24.5 Prozent und somit ohne Einbezug der Pflegekosten festzulegen, ab. Alternativ wurde diskutiert, den Kantonsanteil gegenüber dem ständerätlichen Vorschlag zu erhöhen – die Kommissionsmehrheit schlug eine Erhöhung auf 28.6 Prozent vor (Ständerat: 26.9%), eine Minderheit Weichelt (al, ZG) gar auf 30 Prozent. Eine Minderheit Glarner (svp, AG) wiederum wollte diesbezüglich dem Ständerat folgen. Auch hier setzte sich die Kommissionsmehrheit durch, genauso wie bei ihrer Forderung, dass der Kantonsbeitrag periodisch überprüft werden soll.

In der Folge pflichtete der Nationalrat vielen Änderungsvorschlägen des Ständerates bei, aufgrund ihrer grossen Anzahl blieben dennoch einige gewichtige Differenzen offen – insbesondere bei der Frage nach den zukünftigen Kompetenzen der Kantone bezüglich der Finanzierung der Gesundheitsleistungen. Hier hatte der Ständerat verschiedene Regelungen geschaffen, etwa dass die Kantone Kostenübernahmen ablehnen und Beschwerden vor dem Versicherungsgericht führen können, wenn sie der Meinung sind, dass die Bedingungen der Kostenübernahme nicht erfüllt sind. Beides lehnte der Nationalrat auch gegen verschiedene Minderheitsanträge ab. Auch den kostenlosen Zugang der Kantone zu den stationären Rechnungen der Krankenkassen strich die grosse Kammer wieder – sie folgte dabei einer Minderheit Silberschmidt (fdp, ZH) anstelle der Kommissionsmehrheit, welche hier einen Kompromissvorschlag gemacht hatte. Stattdessen dehnte der Nationalrat die Datenlieferungen der Kantone an die Versicherungen aus, indem er auch die zur Prüfung der Zulassungsvoraussetzungen der Leistungserbringenden nötigen Daten einbezog.
Des Weiteren hatte sich der Ständerat davor gefürchtet, dass die Spitalplanung ihre Wirksamkeit verlieren würde, wenn Vertragsspitäler zukünftig eine höhere Vergütung durch den Kanton erhielten als bisher, wie es die SGK-NR in ihrem ursprünglichen Entwurf vorgeschlagen hatte. Der Nationalrat teilte diese Furcht jedoch nicht und folgte einer Minderheit de Courten (svp, BL), welche hier an der nationalrätlichen Position und somit an der höheren Vergütung für die Vertragsspitäler festhalten wollte. Ähnliche Befürchtungen standen hinter dem Vorschlag des Ständerats, dass Kostenbeteiligungen der Versicherten an Spitalkosten zukünftig nicht versichert werden dürften, was der Nationalrat ebenfalls ablehnte.
Weitere unbereinigte Differenzen betrafen schliesslich die Kostenverteilung bei den Pflegeleistungen, wo der Ständerat etwa einen Beitrag der Versicherten gefordert hatte, was der Nationalrat jedoch ablehnte. Hingegen verlangte die grosse Kammer, dass die Kostenübernahme von Pflegeleistungen ohne ärztliche Anordnung zukünftig auf gesamtschweizerischen Verträgen beruhen muss. Zudem muss der Bundesrat bei der Bezeichnung der übernommenen Leistungen gemäss Nationalrat ausdrücklich den Pflegebedarf von Personen mit komplexen Erkrankungen oder mit palliativer Pflege berücksichtigen.
Mit zahlreichen, aber deutlich weniger offenen Differenzen als zuvor ging EFAS damit zurück an den Ständerat.

Einführung eines monistischen Finanzierungssystems für die Gesundheitsleistungen (EFAS; Pa.Iv. 09.528)

Im Juni 2022 verlangte Philippe Nantermod (fdp, VS) in einer parlamentarischen Initiative, zukünftig Krankenversicherungsverträge mit einer Laufzeit bis zu drei Jahren zu ermöglichen, welche die Versicherten freiwillig wählen könnten. Dadurch würde die Einführung zusätzlicher alternativer Versicherungsmodelle möglich, die bei einjähriger Laufzeit nicht rentabel seien. Mit 10 zu 9 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) empfahl die SGK-NR im Juli 2023, der Initiative keine Folge zu geben, und verwies stattdessen auf ihre eigene Motion (Mo. 23.3504) mit ähnlicher Forderung.

Mehrjährige Versicherungsverträge für alternative Versicherungsmodelle im KVG zulassen (Pa.Iv. 22.438)

In der Herbstsession 2022 bereinigte das Parlament das Paket 1b des ersten Massnahmenpakets zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen. Offen war zu Beginn der Session noch immer die Frage eines «Monitorings der Entwicklung der Mengen, Volumen und Kosten» sowie von Korrekturmassnahmen bei nicht erklärbaren Entwicklungen. Eine solche Regelung hatten beide Räte anfänglich abgelehnt, nach Annahme eines entsprechenden Rückkommensantrags durch die beiden Kommissionen hatte sie jedoch der Nationalrat wieder in das Massnahmenpaket aufgenommen. Die Mehrheit der SGK-SR zeigte sich zur Einführung eines Monitorings bereit, wollte aber keine subsidiäre Interventionsmöglichkeit von Bund oder Kantonen bezüglich Korrekturmassnahmen, falls sich die Tarifpartner nicht einigen können. Die Kommissionsmehrheit wolle, «dass die Tarifpartner wirklich alleine verantwortlich sind», betonte Kommissionssprecher Ettlin (mitte, OW). Darüber hinaus schlug die Kommission auf Anraten der Verwaltung verschiedene redaktionelle Änderungen sowie verschiedene Anpassung einzelner Details vor, «deren Auswirkungen nicht so dramatisch sind», wie der Kommissionssprecher betonte. Eine Minderheit Hegglin (mitte, ZG) beantragte jedoch mit Verweis auf die steigenden Krankenkassenprämien, nicht nur ein Monitoring einzuführen, sondern auch verbindliche Korrekturmassnahmen festlegen zu lassen – durch den Bundesrat oder die Kantonsregierungen, falls sich die Tarifpartner nicht einigen können. Dies verstärke die Wirkung der Massnahme. Mit 25 zu 19 Stimmen (bei 1 Enthaltung) folgte der Ständerat jedoch der Kommissionsmehrheit und verzichtete auf die subsidiären Interventionsmöglichkeiten.
Stillschweigend bereinigte der Ständerat die zweite offene Frage bezüglich Vereinfachungen für den Parallelimport von Arzneimitteln. Hier lenkte die kleine Kammer ein und folgte der nationalrätlichen Muss-Formulierung: Swissmedic muss demnach zukünftig solche Vereinfachungen bei Parallelimporten vornehmen.

Mit einer letzten Differenz gelangte das Massnahmenpaket 1b somit zurück in den Nationalrat. Hier hatte die Kommissionsmehrheit beantragt, dem Ständerat zu folgen und auf die subsidiären Interventionsmöglichkeiten zu verzichten. Für die Kommissionsmehrheit erläuterten Ruth Humbel (mitte, AG) und Philippe Nantermod (fdp, VS), dass die Bestimmung auch ohne Interventionsmöglichkeiten ihre Wirkung nicht verfehlen würden, weil die Genehmigungsbehörden – also Bundesrat und Kantonsregierungen – aufgrund der neuen Regelung Tarifverträge ohne Korrekturmassnahmen gar nicht mehr genehmigen dürften. Somit sei der entsprechende Passus nicht mehr nötig. Eine Minderheit Lohr (mitte, TG) beantragte hingegen, an der Regelung festzuhalten, um die Tarifpartnerschaft zu stärken und Bund und Kantonen die Möglichkeit zu geben, dort einzugreifen, wo die Kosten entstehen. Mit 138 zu 43 Stimmen (bei 6 Enthaltungen) folgte der Nationalrat seiner Kommissionsmehrheit und bereinigte damit die Vorlage. Der Minderheit gefolgt waren die geschlossen stimmende Mitte-Fraktion sowie eine Minderheit der SP-Fraktion.

In den Schlussabstimmungen sprachen sich National- und Ständerat ohne Gegenstimmen (193 zu 0 respektive 40 zu 0 Stimmen bei 5 Enthaltungen) für Annahme des Massnahmenpakets 1b aus.

Erstes Massnahmenpaket zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen (BRG 19.046)
Dossier: Anstieg der Krankenkassenprämien dämpfen (seit 2020)

Zu Beginn der Sommersession 2022 debattierte der Nationalrat über die Kostenbremse-Initiative der Mitte-Partei und über den bundesrätlichen indirekten Gegenvorschlag dazu. Philippe Nantermod (fdp, VS) und Thomas de Courten (svp, BL) präsentierten dem Rat die beiden Vorlagen. Die Initiative wolle den Anstieg der Prämien begrenzen und mit demjenigen der Durchschnittslöhne und der Volkswirtschaft in Einklang bringen, erläuterte Nantermod. Geschehe dies nicht, müsse der Bundesrat innerhalb von zwei Jahren verbindliche Massnahmen ergreifen. Die Initiative führe nun aber entweder zu einem «tigre de papier» – einem Papiertiger – oder zur Einführung eines Globalbudgets, also quasi eines Kostendachs. Beide Entwicklungen seien nicht wünschenswert, betonte der Kommissionssprecher. Deshalb habe sich die die Kommission mit 20 zu 4 Stimmen für eine Ablehnungsempfehlung zur Initiative ausgesprochen und zahlreiche Änderungen am Gegenvorschlag vorgenommen. Man lehne «le coeur du contre-projet du Conseil fédéral», die Aufnahme der Kostenziele, ab.
Christian Lohr (mitte, TG) bewarb in der Folge die Initiative: Die Schere zwischen Gesundheitskosten und Löhnen sei immer stärker aufgegangen, die Gesundheitskosten gehörten zu den grössten Sorgen der Schweizerinnen und Schweizer. Immer mehr Leute, aktuell rund 6 Prozent der Versicherten, könnten ihre Prämien nicht mehr bezahlen und gerieten dadurch in finanzielle Schwierigkeiten. Die Initiative verlange aber kein Globalbudget, wie immer wieder behauptet werde. Vielmehr sollten bei einem zu starken Anstieg der Kosten alle Betroffenen «gemeinsam am Problem arbeiten» und Lösungen suchen.
Bevor sich der Rat mit der Initiative befasste, stimmte er über Eintreten auf den Gegenvorschlag ab und führte dessen Detailberatung durch. Eine Minderheit Weichelt (al, ZG), die von Céline Amaudruz (svp, GE) übernommen wurde, nachdem sie Weichelt zurückziehen wollte, erachtete die Massnahmen der Massnahmenpakete Ia und Ib zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen als vorerst genügend und beantragte, nicht auf den Gegenvorschlag einzutreten. Zudem fürchtete Amaudruz eine Rationierung der Behandlungen, mehr Bürokratie und einen Konflikt der neuen Regelungen mit der Tarifpartnerschaft. Mit 119 zu 43 Stimmen (bei 15 Enthaltungen) sprach sich der Nationalrat für Eintreten aus. Neben der mehrheitlich gegen Eintreten stimmenden SVP-Fraktion votierten auch drei Mitglieder der FDP.Liberalen-Fraktion und ein Mitglied der Grünliberalen dagegen. Enthaltungen fanden sich überdies bei Mitgliedern der Grünen und der SP.
Für die Detailberatung lagen zahlreiche Änderungsanträge der Kommissionsmehrheit gegenüber dem bundesrätlichen Vorschlag vor. So wollte die Mehrheit der SGK-NR wie von Philippe Nantermod angekündigt insbesondere auf die Kostenziele verzichten, verlangte aber auch verschiedene zusätzliche Regelungen, etwa eine Evaluation der Leistungen, die womöglich nicht wirksam oder zweckmässig sind, mehr Wettbewerb bei den Laboratorien, die Beurteilung von Tarifverträgen innert einem Jahr sowie ein Opting-Out für Ärzte – also die Möglichkeit, sich von Listen der Krankenversicherungen streichen zu lassen. Zudem soll der Bundesrat sofort überhöhte Vergütungen im Tarmed korrigieren. Eine Minderheit I Lorenz Hess (mitte, BE) versuchte, den Kommissionsvorschlag näher an die Initiative zu bringen, indem er die Kostenziele des Bundesrates im Gegenvorschlag belassen wollte. Neu sollten sie jedoch weniger ausführlich geregelt und jeweils für vier Jahre und unter vorheriger Anhörung von Versicherungen, Kantonen und Leistungserbringenden festgelegt werden. Bei Nichteinhaltung der Kostenziele sollte zudem nicht der Bundesrat aktiv werden, sondern eine neu zu schaffende «Eidgenössische Kommission für das Kosten- und Qualitätsmonitoring in der OKP» soll Empfehlungen für Massnahmen erlassen. Eine Minderheit II Wasserfallen (sp, BE) ergänzte den Vorschlag von Hess um eine Anhörung der Versicherten in Ergänzung zu den Tarifpartnern. Diese Ergänzung hiess der Rat gut und bevorzugte anschliessend das Konzept von Hess und Wasserfallen gegenüber dem Vorschlag der Kommissionsmehrheit knapp mit 94 zu 91 Stimmen (bei einer Enthaltung). Somit konnte die Mitte-Fraktion mit Unterstützung der SP und der Grünen das Konzept der Kostenziele im Gegenvorschlag verteidigen.
Neben verschiedenen stillschweigend gutgeheissenen Änderungen der Kommission, etwa bezüglich eines stärkeren Wettbewerbs zwischen den Laboratorien und der Beurteilung der Tarifverträge innert eines Jahres, waren auch zwei Minderheitsanträge erfolgreich. Eine Minderheit Prelicz-Huber (gp, ZH) wollte nicht nur überhöhte Vergütungen im Tarmed, wie es die Kommissionsmehrheit verlangte, sondern auch nicht sachgerechte und nicht betriebswirtschaftliche Vergütungen korrigieren lassen. Dem stimmte der Nationalrat gegen eine Minderheit de Courten zu, der argumentierte, dass die Überprüfung erst nach der Ersetzung von Tarmed durch Tardoc vorgenommen werden solle. Der Nationalrat folgte weiter einer Minderheit Nantermod, welche sich gegen das Opting-Out der Ärzte wehrte: Diese Massnahme weise kein Sparpotenzial auf und könne in kleinen Gemeinden mit wenigen Ärzten gar die Nutzung von alternativen Versicherungsmodellen verhindern, wurde argumentiert.
In der Gesamtabstimmung nahm der Nationalrat den Gegenvorschlag mit 104 zu 74 (bei 5 Enthaltungen) an, wobei die befürwortenden Stimmen von der Mitte-, der SP-, der Grünen- und einem Grossteil der GLP-Fraktion stammten. In der folgenden Abstimmung zur Empfehlung auf Ablehnung der Initiative stand die Mitte-Fraktion dann jedoch alleine da: Mit 156 zu 28 Stimmen sprach sich der Nationalrat für die Nein-Parole aus, lediglich die Mitglieder der Mitte-Fraktion votierten für eine Ja-Parole. Stillschweigend hiess die grosse Kammer in der Folge eine Fristverlängerung der Initiative bis November 2023 gut.

Eidgenössische Volksinitiative «Für tiefere Prämien – Kostenbremse im Gesundheitswesen» (BRG 21.067)
Dossier: Anstieg der Krankenkassenprämien dämpfen (seit 2020)
Dossier: Volksinitiativen zum Thema «Krankenkasse» (seit 2015)

Nachdem sich die SGK-SR im April 2021 mit 6 zu 3 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) gegen die parlamentarische Initiative Nantermod (fdp, VS) für eine vorgängige Information der Patientinnen und Patienten über die Kosten der Leistungen ausgesprochen hatte, setzte sich in der Frühjahrssession 2022 der Nationalrat mit dem Anliegen auseinander. In der Zwischenzeit hatte sich auch die SGK-NR – trotz anfänglicher Unterstützung – mit 13 zu 11 Stimmen (bei 1 Enthaltung) gegen die Initiative ausgesprochen. Sie begründete ihre Ablehnung mit der Schwierigkeit für die Leistungserbringenden, die Kosten abzuschätzen, und mit den bereits getroffenen Massnahmen zur Stärkung des Kostenbewusstseins der Leistungserbringenden, etwa im Kostendämpfungspaket Ia. Eine Minderheit Nantermod erhoffte sich von der Initiative dennoch Kostensenkungen durch eine weitere Stärkung des Kostenbewusstseins bei Leistungserbringenden und Patientenschaft. Mit 108 zu 82 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) gab die grosse Kammer der Initiative keine Folge. Für Folgegeben hatten sich die Fraktionen der SVP und der FDP ausgesprochen. Die Initiative ist damit erledigt.

KVG. Mehr Wettbewerb durch mehr Transparenz bei den Preisen (Pa.Iv. 18.487)

Bereits in der Frühjahrssession 2022 machte sich der Nationalrat an die Differenzbereinigung des Pakets 1b des ersten Massnahmenpakets zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen. Offen waren zahlreiche verschiedene Aspekte, wobei der Vorschlag des Nationalrats, dass OKP-Versicherungen mit Leistungserbringenden Rabatte aushandeln und einen Teil der Einsparungen zur freien Verfügung erhalten sollen, auch ausserhalb des Parlaments für die meisten Diskussionen gesorgt hatte. Der Ständerat hatte diese Regelung abgelehnt, die Mehrheit der SGK-NR beantragte jedoch Festhalten. Kommissionssprecherin Ruth Humbel (mitte, AG) betonte, dass die Versicherungen dadurch Anreize hätten, tiefere Preise auszuhandeln, was den Versicherten zugute kommen würde. Eine Minderheit Hess (mitte, BE) sprach sich hingegen für die Streichung dieser Regelung aus, zumal sie falsche Anreize setze, den ordentlichen Tarifverhandlungen zuwiderlaufe und gegen das Gewinnverbot in der OKP verstosse. Überaus knapp mit 98 zu 97 Stimmen setzte sich der Minderheitsantrag mit Unterstützung der SP-, der Mitte-, der Grünen- und einem Mitglied der GLP-Fraktion durch. Somit war dieser Aspekt bereinigt.
Ebenfalls bereinigt wurde die Frage nach dem Beschwerderecht für Krankenkassenverbände. Hier folgte der Nationalrat knapp dem Argument der Kommission, wonach dieses das Kräftegleichgewicht zwischen den Interessen der Leistungserbringenden, Versicherungen und Versicherten sowie der Kantone fördere. Eine Minderheit Feri (sp, AG) kritisierte hingegen, dass die Versicherungen damit die Kantone in der Erfüllung ihres politischen Auftrags behindern würden, und fürchtete aufgrund der Beschwerden eine aufschiebende Wirkung bei der Spitalplanung. Mit 98 zu 94 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) setzte sich die Kommissionsmehrheit in dieser Frage knapp gegen die geschlossen stimmenden Fraktionen der SP, Grünen und GLP, gegen die Mitglieder der EVP und gegen eine Minderheit der SVP-Fraktion durch.
Bereinigt wurden des Weiteren die Regelungen zum Substitutionsrecht, also zur Frage der Abgabe von Generika statt Originalpräparaten durch die Apothekerinnen und Apotheker. Die Kommissionsmehrheit hielt an der Formulierung fest, wonach Arzneimittel dann substituiert werden dürfen, wenn sie über eine gleiche medizinische Eignung verfügen und günstiger sind. Der Ständerat hatte darüber hinaus festgehalten, dass Ärztinnen und Ärzte weiterhin das Originalpräparat verschreiben dürfen, was eine Minderheit Humbel übernehmen wollte. Obwohl die Wirkung der Arzneimittel gleich sei, könnten sie sich bezüglich Verträglichkeit und Qualität unterscheiden, ergänzte Lorenz Hess für die Minderheit. Die Kommissionsmehrheit wollte auf diesen Zusatz verzichten, zumal die Verwaltung erklärt hatte, dass eine solche Formulierung nicht nötig sei, weil Ärzte sowieso das Recht hätten, auf Originalpräparaten zu bestehen. Mit 121 zu 70 Stimmen folgte der Nationalrat der Minderheit und somit dem Ständerat; die SVP-Fraktion, die Mehrheit der GLP-Fraktion sowie zwei Mitglieder der Grünen-Fraktion hatten vergeblich die Version der Kommissionsmehrheit befürwortet.
Auch die Frage der Parallelimporte von Generika bereinigte der Nationalrat bereits in der ersten Runde des Differenzbereinigungsverfahrens. Diese wollte der Nationalrat ursprünglich von einer Zulassung durch Swissmedic ausnehmen, der Ständerat hatte dies jedoch abgelehnt. Ohne das Zulassungsverfahren durch Swissmedic bestehe die Gefahr, dass Fälschungen oder qualitativ schlechte Arzneimittel auf den Schweizer Markt kämen, wurde argumentiert. Eine Minderheit Nantermod (fdp, VS) wollte an der Ausnahme festhalten, da Generika heute im Ausland deutlich günstiger seien als in der Schweiz und es lediglich um im EU-Raum bereits zugelassene Arzneimittel gehe. Als Kompromiss schlug Philippe Nantermod vor, dass die direktimportierten Arzneimittel auf einer BAG-Liste aufgeführt und vor dem Import bei Swissmedic gemeldet werden müssen. Mit 165 zu 28 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) sprach sich der Nationalrat jedoch für die bisherige Regelung aus, der Minderheitsantrag fand nur bei einer Mehrheit der FDP.Liberalen-Fraktion und einer Minderheit der SP-Fraktion Zustimmung.
Bezüglich der Parallelimporte sahen überdies sowohl National- als auch Ständerat eine Vereinfachung bei der Kennzeichnung und den Arzneimittelinformationen vor. Hatte der Ständerat ursprünglich eine Kann-Formulierung bezüglich dieser Vereinfachungen eingeführt, schlug die Kommissionsmehrheit nun eine Muss-Formulierung vor. Eine Minderheit de Courten (svp, BL) beantragte jedoch, bei der Kann-Formulierung zu bleiben, da Vereinfachungen für eine Gewährleistung der Versorgungssicherheit nicht in allen Fällen nötig seien. Mit 140 zu 55 Stimmen, gegen die Mehrheit der SVP und 2 Mitglieder der SP, hielt der Nationalrat hier die Differenz aufrecht.
Die grosse Kammer schuf zudem eine neue Differenz: Mit Zustimmung der SGK-SR stellte die SGK-NR einen Rückkommensantrag bezüglich der Frage des Kostenmonitorings. Der Bundesrat hatte anfänglich ein solches vorgeschlagen, National- und Ständerat hatten dieses aber in den ersten Beratungsrunden mit knappen Mehrheiten aus der Vorlage gestrichen. Die Kommission beschäftigte sich in der Folge mit einem im Ständerat diskutierten Einzelantrag Würth (mitte, SG) für ein «Monitoring der Entwicklung der Mengen, Volumen und Kosten» sowie für Korrekturmassnahmen bei nicht erklärbaren Entwicklungen. Doch obwohl die Kommission die entsprechende Regelung erneut beraten und einen Rückkommensantrag gestellt hatte, sprach sich die Kommissionsmehrheit gegen deren erneute Aufnahme in die Vorlage aus. Die Regelung wurde aber von einer Minderheit Humbel unterstützt. Ein weiterer Minderheitsantrag Prelicz-Huber (gp, ZH), übernommen von Regine Sauter (fdp, ZH), nachdem ihn die Minderheitensprecherin zurückgezogen hatte, wollte diese Frage sistieren und damit an die Kommission zurückweisen. Diese sollte den Vorschlag in der Folge im Rahmen des indirekten Gegenvorschlags zur Kostenbremse-Initiative, der ein Kostenziel vorsah, beraten. Mit 111 zu 83 Stimmen (bei 1 Enthaltung) sprach sich der Nationalrat gegen die Sistierung aus und folgte stattdessen mit 103 zu 87 Stimmen (bei 5 Enthaltungen) der Minderheit Humbel. Die Fraktionen der SVP und FDP hatten sich für die Sistierung ausgesprochen, zusammen mit einzelnen Mitgliedern der GLP- und der Mitte-Fraktion waren sie es auch, welche auf die neue Regelung verzichten wollten. Somit hatte der Nationalrat in dieser Runde zwar zahlreiche Differenzen zum Ständerat bereinigt, gleichzeitig aber auch eine voraussichtlich stark umstrittene Differenz geschaffen.

Erstes Massnahmenpaket zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen (BRG 19.046)
Dossier: Anstieg der Krankenkassenprämien dämpfen (seit 2020)

In der Wintersession 2021 pflichtete der Nationalrat seinem Schwesterrat bezüglich des Entwurfs zur Vollstreckung der Prämienzahlungspflicht in weiten Teilen bei, schuf aber zwei Differenzen. So wollten Bundesrat und Ständerat säumige Prämienzahlende zukünftig zwangsweise Versicherungen und Modellen mit eingeschränkter Wahl der Leistungserbringenden zuweisen können, die SGK-NR lehnte diese Möglichkeit jedoch ab – diesbezüglich seien zu viele Fragen ungeklärt, betonte Therese Schläpfer (svp, ZH). Stillschweigend folgte der Nationalrat diesem Antrag. Die zweite neue Differenz betraf den Vorschlag der Kommissionsmehrheit, im Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs einen Artikel zu ergänzen, wonach Schuldnerinnen und Schuldner ihre Arbeitgebenden anweisen können, einen Teil ihres Einkommens in der Höhe ihrer laufenden Prämien- und Kostenbeteiligungsforderungen der OKP an das zuständige Amt zu überweisen. Damit sollten «neue Schulden aufgrund bestehender Betreibungen» vermieden werden, argumentierte Kommissionssprecher Hess (mitte, BE). Eine Minderheit Nantermod (fdp, VS) sprach sich erfolglos gegen diese Änderung aus, weil man dafür mindestens die für das Betreibungsgesetz zuständigen Behörden anhören müsse – zumal die SGK-NR nicht für diesen Themenbereich zuständig sei und eine solche Regelung deutlich von den bestehenden Regelungen abweichen würde. Zudem solle kein einseitiges Privileg zugunsten der Krankenkassen eingeführt werden, auch andere Gläubigerinnen und Gläubiger verfügten über berechtigte Forderungen an die Schuldnerinnen und Schuldner. Und schliesslich wehrte sich der Minderheitensprecher dagegen, zusätzliche administrative Aufgaben für die Arbeitgebenden zu schaffen. Mit 108 zu 82 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) folgte der Nationalrat gegen den Willen der SVP- und der FDP.Liberalen-Fraktion sowie eines Mitglieds der Mitte-Fraktion dem Mehrheitsantrag.
Stillschweigend folgte die grosse Kammer ihrem Schwesterrat hingegen in verschiedenen Punkten: So zeigte sich auch der Nationalrat überzeugt, dass Jugendliche nach ihrem Erreichen der Volljährigkeit nicht für frühere Prämienschulden haftbar gemacht werden dürfen; die Haftbarkeit verbleibt bei ihren Eltern. Zudem dürfen Personen maximal zweimal pro Kalenderjahr betrieben werden, es sei denn, eine Betreibung habe zu einem Verlustschein geführt. Überdies soll der Bundesrat zukünftig die Gebühren auf Mahnungen regeln können.
Diskussionen gab es hingegen bezüglich der Frage, ob die Krankenversicherungen 50 Prozent (Kommissionsmehrheit) oder 75 Prozent (Minderheit Glarner; svp, AG) der Rückerstattungen an die Kantone überweisen sollen. Andreas Glarner kritisierte die vorgeschlagene Lösung, da die Versicherungen damit «bis zu 135 Prozent der Prämien kassieren», während das Debitorenrisiko bei den Gemeinden (oder Kantonen) zu liegen komme. Bundesrat Berset beantragte hingegen, bei der von der Kommission vorgeschlagenen Regelung zu bleiben, zumal diese einen Kompromiss zwischen Versicherungen und Kantonen darstelle. Ansonsten hätten die Krankenversicherungen «plus d'intérêt à poursuivre les assurés». Mit 138 zu 52 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) folgte die grosse Kammer mit Ausnahme der SVP-Fraktion und eines Mitglieds der FDP.Liberalen-Fraktion der Kommissionsmehrheit.
Am umstrittensten war einmal mehr die Frage nach der Abschaffung der Liste der säumigen Prämienzahlenden – wobei sich Christian Lohr (mitte, TG) vehement gegen die Bezeichnung «schwarze Liste» wehrte. Wie der Ständerat beantragte die Kommissionsmehrheit, auf eine Abschaffung der Listen zu verzichten, da man den Entscheid über deren Anwendung den Kantonen überlassen wolle. Der Bundesrat und eine starke Minderheit Weichelt (al, ZG) sprachen sich hingegen für ihre Streichung aus, da sie sich in der Praxis nicht bewährt hätten. Nachdem die Entscheidung in der Kommission mit 13 zu 12 Stimmen diesbezüglich äusserst knapp ausgefallen war, sprach sich der Nationalrat mit 98 zu 92 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) ebenfalls eher knapp für die Beibehaltung der Listen aus; die Stimmen der Mitglieder der SP-, der Grünen- und der GLP-Fraktion sowie der EVP und eine Minderheit der FDP reichten somit für eine Streichung der Listen nicht aus. Nach einigen sprachlichen und formalen Bereinigungen nahm der Nationalrat den Entwurf in der Folge mit 191 zu 0 Stimmen (bei 1 Enthaltung) ohne Gegenstimme an.

Vollstreckung der Prämienzahlungspflicht der Versicherten (Kt. Iv. 16.312)
Dossier: Schwarze Liste für säumige Prämienzahlende

Nach der knappen Zustimmung durch die nationalrätliche Kommission sprach sich die SGK-SR im April 2021 gegen die parlamentarische Initiative Nantermod (fdp, VS) für eine freiwillige Versicherung der Franchisen in den Zusatzversicherungen aus. Somit musste die SGK-NR die Initiative erneut vorberaten und entschied dabei mit 13 zu 10 Stimmen (bei 1 Enthaltung), ihr dieses Mal keine Folge zu geben.
In der Wintersession 2021 begründeten die Kommissionssprechenden Benjamin Roduit (mitte, VS) und Flavia Wasserfallen (sp, BE) den neuen Antrag der Mehrheit dadurch, dass damit das Ziel der Franchise, die Eigenverantwortung zu stärken, unterlaufen werde. Zudem sei zu befürchten, dass die wegfallenden Prämieneinnahmen bei den ordentlich Versicherten kompensiert würden – diese also höhere Prämien zu bezahlen hätten. Schliesslich fehle bei den Zusatzversicherungen die Aufnahmepflicht, wodurch nicht alle Prämienzahlenden dieses Angebot nutzen könnten. Letzteres erachtete Initiant Nantermod hingegen als Argument gegen ein Unterlaufen der Eigenverantwortung: Würden Personen mit Franchisen-Versicherungsschutz zu viele Gesundheitsleistungen benötigen, könnten sie in den folgenden Jahren wohl kaum mehr eine entsprechende Zusatzversicherung abschliessen. Profitieren könnten von dem neuen Angebot gemäss Nantermod wohl nur grundsätzlich gesunde, junge Personen – neu aber eben auch bei tieferen Einkommen. Mit 112 zu 79 Stimmen sprach sich der Nationalrat gegen Folgegeben aus – gegen den Willen der SVP- und der FDP-Fraktion . Damit war die parlamentarische Initiative erledigt.

Höhere Franchisen für alle zugänglich machen (Pa.Iv. 18.486)

Nach langen vorgängigen Diskussionen zwischen den Kommissionen beschäftigte sich in der Sommersession 2021 der Nationalrat mit der parlamentarischen Initiative Nantermod (fdp, VS) zur Schaffung eines Kautionskontos zur Finanzierung der Gesundheitskostenbeteiligung. Der Initiant verwies darauf, dass Personen mit geringeren Einkommen häufiger Probleme hätten, bei einem Krankheitsfall die höheren Franchisen zu bezahlen, und sich deshalb für niedrigere Franchisen entscheiden würden, auch wenn dies für sie höhere Kosten zur Folge habe. Ein solches Kautionskonto würde es damit auch ihnen ermöglichen, sich für eine höhere Franchise zu entscheiden, und stelle somit eine solidarische Leistung für Personen mit geringeren Einkommen dar. Denkbar seien dabei auch steuerliche Anreize zur Bewerbung dieses Instruments. Als Kommissionssprecherin wies Barbara Gysi (sp, SG) auf die Probleme einer solchen Lösung hin und betonte dabei insbesondere den administrativen Mehraufwand und die ungleiche Nutzung eines solchen Kontos. Wie bei der heutigen Säule 3b würden wohl vor allem wohlhabende Personen von einer solchen Steuerbefreiung profitieren, betonte Gysi weiter. Mit 112 zu 75 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) sprach sich der Nationalrat gegen die Initiative aus. Befürwortende Stimmen fand sie in der SVP-Fraktion, bei einer Mehrheit der FDP.Liberalen-Fraktion sowie bei einem Mitglied der GLP-Fraktion.

Kostenbeteiligung. Möglichkeit eines Gesundheitssparkontos schaffen (Pa. Iv. 18.429)
Dossier: Krankenversicherung: Vorstösse zu Wahlfranchisen

Nach der Meinungsverschiedenheit der beiden Gesundheitskommissionen zur parlamentarischen Initiative Nantermod (fdp, NR) für eine Schaffung eines Kautionskontos zur Finanzierung der Gesundheitskostenbeteiligung nahm die SGK-NR im März 2021 eine erneute Vorprüfung vor. Eine Kommissionsmehrheit (14 zu 10 Stimmen bei 1 Enthaltung) bestritt den Handlungsbedarf und lehnte die Initiative im Gegensatz zu ersten Beratung und mit Verweis auf den grossen administrativen Aufwand und auf die Schwächung des Solidaritätsprinzips im KVG ab – so hätten nur Gutverdienende die Möglichkeit zu entsprechenden Beiträgen, wurde argumentiert. Die Kommissionsminderheit verglich das Vorhaben mit der Erstellung eines Mietzinsdepots, das den Versicherten den Zugang zu einer höheren Franchise ermöglichen soll.

Kostenbeteiligung. Möglichkeit eines Gesundheitssparkontos schaffen (Pa. Iv. 18.429)
Dossier: Krankenversicherung: Vorstösse zu Wahlfranchisen

Noch bevor die Räte den gemäss SGK-NR weniger umstrittenen Teil des ersten Massnahmenpakets zu Ende beraten hatten, behandelte der Nationalrat in der Sondersession im Oktober 2020 die übrigen Artikel des ersten Kostendämpfungspakets unter dem Namen Paket 1b des ersten Massnahmenpakets zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen. Dazu gehörten die Massnahmen zur Steuerung der Kosten, das Beschwerderecht der Versicherer gegen Spitalplanungsentscheide sowie das Referenzpreissystem für patentabgelaufene Arzneimittel. Mit 17 zu 0 Stimmen bei 8 Enthaltungen hatte die SKG-NR ihren Entwurf, der gegenüber dem bundesrätlichen Vorschlag einige gewichtige Änderungen enthielt, zuvor angenommen. Eintreten war unbestritten.

Als ersten Hauptpunkt diskutierte der Nationalrat die Frage der Kostensteuerung, wobei Ruth Humbel (cvp, AG) und Philippe Nantermod (fdp, VS) die Kommissionsposition ausführlich darlegten: Eine knappe Kommissionsmehrheit unterstütze die Kostensteuerung generell. Diese lege fest, dass Tarifverträge entsprechend der Forderung der angenommenen Motion Brand (svp, GR; Mo. 18.3305) Massnahmen zur Kostenkorrektur im Falle eines unvorhergesehenen Anstiegs der Gesundheitskosten enthalten müssen. Anstatt entsprechende Regeln vorzuschreiben, wie der Bundesrat beabsichtigt hatte, setzte die Kommission jedoch auf degressive Tarife: Bei häufigerer Anwendung sollten die Tarife entsprechend sinken. Stattdessen folgte der Rat jedoch äusserst knapp mit 91 zu 90 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) einer Minderheit II Hess (bdp, BE), die vorschlug, die Kostensteuerungsmassnahmen aus dieser Vorlage zu streichen, zumal sie ein «Bestandteil des Zielkostensystems» seien, welches erst im zweiten Kostendämpfungspaket behandelt werden wird. Entsprechend solle diese Massnahme ins zweite Paket verschoben werden.

Der zweite Hauptpunkt der Vorlage stellte das Beschwerderecht der Krankenversicherungen und ihrer Verbände gegenüber Entscheidungen der Kantonsregierungen bezüglich der Spitallisten sowie bezüglich Preisfestsetzungen für Arzneimittel, wie die Kommissionsmehrheit den bundesrätlichen Vorschlag ergänzt hatte, dar. Eine Minderheit Prelicz-Huber (gp, ZH) wehrte sich dagegen, dass «private Interessen eine Steuerung durch die politische Seite, durch die Kantone, aufheben» können sollen. Stattdessen soll die Kompetenz sowie die Entscheidhoheit in den entsprechenden Fragen bei den Kantonen und damit bei der Politik verbleiben. Nur die Politik und das Volk hätten das Wohl der ganzen Bevölkerung im Blick, während die Versicherungen ihre Partikularinteressen verfolgten, argumentierte sie. Konsequenterweise müsse man sonst auch ein Beschwerderecht unter anderem für Patienten- und Patientinnenorganisationen oder für die Sozialpartner einrichten. Zudem könne die entsprechende Regelung zu einer Blockade und zu Rechtsunsicherheit führen. Dem widersprach unter anderem Thomas de Courten (svp, BL), der die Versicherungen im Gesundheitswesen als «Anwälte der Patientinnen und Patienten» bezeichnete und die Massnahme für nötig erachtete, damit ein Gleichgewicht in der Verhandlungsmacht sichergestellt und die alleinige Macht der Kantone gebrochen werden könne. Die Minderheit setzte sich mit 104 zu 75 Stimmen (bei 6 Enthaltungen) respektive 94 zu 87 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) durch, der Nationalrat sprach sich somit gegen das Beschwerderecht der Krankenversicherungen aus. Die Stimmen für die Kommissionsmehrheit stammten von Mehrheiten der SVP-, FDP.Liberale- und Mitte-Fraktion.

Den dritten zentralen Aspekt stellte die Frage des Referenzpreissystems für patentabgelaufene Arzneimittel dar, das der Bundesrat einführen wollte. Mit einem Referenzpreissystem für Generika dürfte die OKP zukünftig nur noch denjenigen Preis für ein Arzneimittel vergüten, der in diesem Referenzpreissystem festgelegt worden war — ausser es ist das einzige für die Patientin oder den Patienten mögliche Arzneimittel, dann wird es unabhängig vom Preis vergütet. Die Kommissionsmehrheit lehnte nun die Schaffung eines solchen Systems ab. Hier gehe es um Fragen der Versorgungssicherheit und der Patientensicherheit (wie in diesem Bericht ausgeführt wird), erklärte Kommissionssprecherin Humbel. Bei wechselnden Referenzpreisen bestehe die Gefahr, dass es zu nicht medizinisch begründeten Medikamentenwechseln komme, was zu abnehmender Therapietreue und sinkender Patientensicherheit und dadurch zu Folgekosten führen könne. Zudem könnten Firmen aufgrund des Preisdrucks darauf verzichten, ihre Produkte in der Schweiz anzubieten, wodurch die Abhängigkeit von den übrigen Lieferanten steige. Wie problematisch eine solche Abhängigkeit sei, habe sich im Rahmen der Corona-Krise gezeigt. Die Kommission wolle deshalb auf das Referenzpreissystem verzichten und stattdessen, beruhend auf einem Vorschlag von Curafutura, Pharmasuisse, Ärzte mit Patientenapotheke und Intergenerika die Generikapenetration erhöhen. Der Marktpreis solle daher jährlich statt alle drei Jahre überprüft und die Generikapreise gegenüber den Originalen um weitere fünf Prozent gesenkt werden. Zudem soll eine preisunabhängige Vertriebsmarge geschaffen werden, damit Ärztinnen, Ärzte, Apothekerinnen und Apotheker nicht wie bisher mehr Geld verdienten, wenn sie teurere Medikamente verkauften. Entsprechend habe man auch einstimmig die Motion 20.3936 eingereicht.
Eine Minderheit I Hess unterstützte hingegen das Referenzpreissystem des Bundesrates. Minderheitensprecher Hess argumentierte, seine Minderheit habe das bundesrätliche System etwas vereinfacht und abgeschwächt. So solle das Referenzpreissystem nur gelten, wenn mehr als zwei wirkstoffgleiche Medikamente auf dem Markt sind und ein Arzneimittel vom Bundesrat nicht als unverzichtbar festgelegt worden war. Mit einem eigenen Preis, also unabhängig vom Generika-Preis, sollten überdies Biosimilars, das sind Nachahmerpräparate, deren Wirkstoffe nicht mit denjenigen der Originale identisch sind, ins Preissystem aufgenommen werden, da diese gemäss dem revidierten Heilmittelgesetz nicht mit Generika gleichgesetzt werden können. Mit diesem Modell, das er als Referenzpreissystem «light» bezeichnete, könne das grösstmögliche Sparvolumen erreicht werden, argumentierte der Minderheitensprecher.
Eine Minderheit II Porchet (gp, VD) wollte überdies das Substitutionsrecht für Apothekerinnen und Apotheker stärken. Diese sollten zukünftig bei neuen Behandlungen eines der drei preisgünstigsten Arzneimittel abgeben müssen, sofern dies aus medizinischer und pharmazeutischer Sicht möglich ist.
Mit 114 zu 65 Stimmen (bei 6 Enthaltungen) lehnte der Nationalrat die Einführung des Referenzpreissystems light ab. Interessant ist dabei, dass sich die Positionen der SP und der Grünen in dieser Frage deutlich unterschieden, was in Gesundheitsfragen nur selten der Fall ist: Während die SP die Einführung eines Referenzpreissystems zusammen mit der Mehrheit der Mitte-Fraktion unterstützte, sprachen sich die Grünen mit der GLP-Fraktion, der Mehrheit der SVP-, der FDP.Liberalen- und der Minderheit der Mitte-Fraktion dagegen aus. Abgelehnt wurden auch die Anträge auf eine Sonderbehandlung der Biosimilars (103 zu 75 Stimmen bei 7 Enthaltungen) sowie der Antrag der Minderheit II Porchet (108 zu 77 Stimmen). In letzterer Frage standen SP und Grüne zusammen mit den Grünliberalen wieder gemeinsam auf der Seite der Minderheit.

Im Rahmen dieser drei Hauptthemen behandelte der Nationalrat auch weitere Detailfragen, so zum Beispiel die Frage der verhandelten Rabatte. Als «Tabubruch» und als «absolutes No-Go» bezeichnete Barbara Gysi (sp, SG) den Vorschlag der SGK-NR, wonach maximal 25 Prozent der Einsparungen durch zwischen Tarifpartnern und Leistungserbringenden ausgehandelten tieferen Preisen und Tarifen den Versicherungen zur freien Verfügung stehen sollten, dass sie gemäss Gysi also «in die Taschen der Versicherer fliessen» sollten. Bisher mussten die entsprechenden Einsparungen vollumfänglich den Versicherten zugute kommen. «Braucht es denn wirklich dieses sogenannte Incentive [...], damit die Krankenversicherer ihre Arbeit tun, nämlich günstige Preise aushandeln?», fragte Gysi rhetorisch. Entsprechend beantragte ihre Minderheit die Streichung des Artikels, zumal dieser gemäss Flavia Wasserfallen (sp, BE) auch ohne seriöse Abklärungen in die Kommission gelangt sei. Kommissionssprecherin Humbel führte aus, dass der Ständerat bei Annahme dieser Regelung noch prüfen müsse, ob dieser Artikel dem grundsätzlichen Gewinnverbot in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung und der Forderung in Art. 56 Abs. 3bis KVG, wonach alle nicht der Qualitätsverbesserung dienenden Vergünstigungen an die Versicherten weitergegeben müssen, widerspricht und was unter dem Ausdruck «zur freien Verfügung» genau verstanden werden soll. Thomas de Courten befürwortete schliesslich den Mehrheitsantrag; es sei der «Sinn dieser ganzen Debatte, dass wir die Kosten dämpfen und die Anreize entsprechend setzen». Mit 117 zu 67 Stimmen (bei 1 Enthaltung) sprach sich der Nationalrat für den Kommissionsvorschlag aus.
Ausführlich legte schliesslich Thomas de Courten seinen Minderheitsantrag zu den Parallelimporten dar. Er wehrte sich darin gegen den Vorschlag der Kommissionsmehrheit, patentabgelaufene Medikamente ohne Zulassungspflicht durch Swissmedic auf den Schweizer Markt zu bringen. Parallelimporte seien bereits heute erlaubt, dabei müssten aber dieselben Bedingungen eingehalten werden, die für alle anderen Medikamente auch gelten. Mit dem Vorschlag der Kommission könnten Zulassungsentscheide irgendwelcher anderen Länder zukünftig auch für die Schweiz gelten, ohne dass zum Beispiel die Good Manufacturing Practice der Schweiz im Herstellungsprozess beachtet werden müsste. Eine zusätzliche Prüfung durch Swissmedic sei nicht nötig, da man davon ausgehe, dass die ausländischen Zulassungsbehörden dieselben Qualitätsanforderungen stellten wie Swissmedic, begründete Kommissionssprecherin Humbel den Minderheitsantrag. Mit 128 zu 53 Stimmen folgte der Rat diesbezüglich jedoch der Mehrheit, Gehör fand das Anliegen von de Courten nur bei der Mehrheit der SVP-Fraktion und je einem Mitglied der FDP.Liberalen- und der Mitte-Fraktion.

In der Gesamtabstimmung nahm der Nationalrat seinen Entwurf schliesslich mit 130 zu 52 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) an. Die Gegenstimmen stammten von der SP-Fraktion sowie von der Mehrheit der Grünen-Fraktion.

Erstes Massnahmenpaket zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen (BRG 19.046)
Dossier: Anstieg der Krankenkassenprämien dämpfen (seit 2020)

Am 23. September 2020 traten die Delegationen von National- und Ständerat zur Einigungskonferenz zum Covid-19-Gesetz zusammen, um die verbliebenen zwei Differenzen zu bereinigen. Die Resultate präsentierten Kommissionssprecherin Humbel (cvp, AG) und die Kommissionssprecher Nantermod (fdp, VS) und Rechsteiner (sp, SG) den beiden Räten. Man sei damit «am Ende einer anspruchsvollen Beratung», betonte Paul Rechsteiner. Die Vorschläge der Einigungskonferenz beruhten auf einem partei- und räteübergreifenden Antrag, den die Einigungskonferenz auch einstimmig angenommen habe.
Bezüglich der Härtefallmassnahmen folgte die Einigungskonferenz dem Ständerat: Demnach kann der Bund aufgrund der Corona-Krise besonders stark betroffene Unternehmen in Härtefällen unterstützen, wenn die Kantone 50 Prozent der Unterstützung übernehmen. Der Härtefall wird definiert als Situation, in der der Jahresumsatz unter 60 Prozent des mehrjährigen Durchschnitts liegt; gleichzeitig muss aber auch die Vermögens- und Kapitalsituation berücksichtigt werden. Zu dem Artikel müssten aber bis im Dezember 2020 zuerst die Ausführungsbestimmungen entwickelt werden, betonte Rechsteiner.
Bei den Entschädigungen für den Erwerbsausfall habe sich die Einigungskonferenz dem Beschluss des Nationalrats «angenähert», dessen Formulierung aber verbessert, so Rechsteiner weiter. Der Bezug von Erwerbsausfallentschädigung ist bei einem Unterbruch oder einer massgeblichen Einschränkung der Erwerbstätigkeit möglich, sofern eine Umsatzeinbusse von mindestens 55 Prozent im Vergleich zu den letzten Jahren vorliegt. Der Schwellenwert wurde somit bei 55 Prozent festgesetzt.

Der Ständerat nahm den Antrag der Einigungskonferenz einstimmig an (40 zu 0 Stimmen), der Nationalrat stimmte ihm mit 187 zu 10 Stimmen deutlich zu. Die ablehnenden Stimmen stammten von einer Minderheit der SVP-Fraktion. Bevor das Gesetz jedoch in die Schlussabstimmungen konnte, mussten absolute Mehrheiten beider Räte am Folgetag erst noch die Dringlichkeitsklausel annehmen, was sie auch taten (Nationalrat: 165 zu 17 Stimmen, Ständerat: 44 zu 0 Stimmen).
Noch einen Tag später konnte das Parlament das Covid-19-Gesetz nach einer ausführlichen und intensiven Behandlung über die ganze Session hinweg als letztes Geschäft der Session endlich abschliessen: Einstimmig mit 44 zu 0 Stimmen nahm der Ständerat das Gesetz in der Schlussabstimmung an, mit 153 zu 36 Stimmen (bei 6 Enthaltungen) sprach sich auch der Nationalrat deutlich dafür aus. Erneut stammten die ablehnenden Stimmen (und die Enthaltungen) von der SVP-Fraktion, eine Mehrheit von ihr lehnte das Gesetz zum Schluss ab.
Bereits einen Tag nach den Schlussabstimmungen trat das neue Gesetz in Kraft.

Bundesgesetz über die gesetzlichen Grundlagen für Verordnungen des Bundesrates zur Bewältigung der Covid 19-Epidemie (Covid-19-Gesetz; BRG 20.058)
Dossier: Covid-19-Gesetz und Revisionen

In der Herbstsession 2020 machte sich der Nationalrat an die Beratung des Covid-19-Gesetzes, was mit 10 Mehrheits-, 33 Minderheits- und 27 Einzelanträgen eine lange Sache zu werden versprach. Für die Kommission erklärten Philippe Nantermod (fdp, VS) und Ruth Humbel (cvp, AG) den Rahmen des Gesetzes. Dieses definiere, «was der Bundesrat tun darf, um die Auswirkungen der Covid-19-Epidemie auf Gesellschaft, Wirtschaft und Behörden zu bekämpfen», fasste Ruth Humbel seinen Inhalt zusammen. Damit würde «Notrecht in ordentliches Recht überführt» und entsprechend für einen Teil der 18 seit März 2020 geschaffenen Verordnungen, die sich direkt auf die Verfassung gestützt hatten, eine gesetzliche Grundlage geschaffen, erklärte Bundeskanzler Walter Thurnherr, der den Bundesrat in der Debatte vertrat. Das Covid-19-Gesetz solle gemäss den Kommissionssprechenden überdies dringlich erklärt, aber nur bis Ende 2021 (einzelne Ausnahmen bis Ende 2022) gültig sein; hier war der Bundesrat den Vernehmlassungsteilnehmenden entgegengekommen. Einerseits stellte Philippe Nantermod das Gesetz als Rückkehr zum «normalen Recht» dar, betonte jedoch auch, dass es dem Bundesrat sehr wichtige Kompetenzen erteile. Die SGK-NR sei sich aber einig gewesen, dass das Gesetz nötig sei; entsprechend sei sie einstimmig darauf eingetreten und habe die Vorlage schliesslich mit 18 zu 6 Stimmen bei 1 Enthaltung angenommen. Ruth Humbel ergänzte ausdrücklich, dass es – entgegen der zahlreichen Briefe, die sie diesbezüglich empfangen habe – im Covid-19-Gesetz weder um Impfungen im Allgemeinen noch um eine Impfpflicht im Speziellen gehe.
In der nachfolgenden Behandlung nahm der Nationalrat zahlreiche Änderungen am bundesrätlichen Entwurf vor und nahm die neue Version zum Schluss deutlich an.

Vor der Detailberatung lagen dem Nationalrat aber ein Antrag Addor (svp, VS) auf Nichteintreten sowie ein Antrag Schwander (svp, SZ) auf Rückweisung des Gesetzes an den Bundesrat vor. Jean-Luc Addor begründete seinen Nichteintretensantrag damit, dass dem Bundesrat keine Blankovollmacht ausgestellt werden dürfe, sondern dass das Parlament nötige Massnahmen per ordentlichem Gesetz erlassen solle. Die aktuellen Massnahmen seien unverhältnismässig und nur aufgrund künstlich aufrechterhaltener Angst durchsetzbar, kritisierte er. Diese «Gesundheitsdiktatur» müsse entsprechend beendet werden. Pirmin Schwander begründete seinen Ordnungsantrag ähnlich: Der Bundesrat solle sich zukünftig nicht auf Notrecht stützen, sondern die Bundesversammlung für dringende Bundesbeschlüsse einberufen. Dabei ging er davon aus, dass die bestehenden Bundesbeschlüsse zu den Finanzausgaben zur Bekämpfung der Folgen der Corona-Pandemie ausreichten, und betonte, dass der Bundesrat ansonsten dort Lücken schliessen solle, wo dies noch nötig sei. Philippe Nantermod entgegnete im Namen der Kommission, dass es im Gesetz eben nicht nur um Budgets und Haushaltsbefugnisse gehe, sondern auch um den Rahmen für die Umsetzung der finanziellen Bestimmungen. Entschiede sich der Rat für Nichteintreten, würden überdies alle geltenden Bundesratsverordnungen hinfällig, wodurch die entsprechenden Entlastungsmassnahmen – zum Beispiel im Rahmen der EO – entfallen würden. Mit 173 zu 18 Stimmen sprach sich der Rat in der Folge gegen den Ordnungsantrag Addor und mit 163 zu 26 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) gegen den Ordnungsantrag Schwander für Eintreten aus. Die ablehnenden Stimmen stammten jeweils aus der SVP-Fraktion.

Anschliessend folgte die Detailberatung, bei der die verschiedenen Artikel in unterschiedlichem Masse umstritten waren. Bereits beim ersten Artikel, welcher den Gegenstand des Gesetzes zum Inhalt hatte, nahm der Nationalrat einige Änderungen vor. In der bundesrätlichen Version besagte der Artikel nur, dass es im Gesetz ausschliesslich um die Bewältigung der Covid-19-Pandemie geht und dass der Bundesrat auch die Kantone in die Erarbeitung von Massnahmen einbezieht, wenn sie in ihrer Zuständigkeit betroffen sind – eine Konzession, die der Bundesrat nach der Vernehmlassung an die Kantone gemacht hatte. Diesen Einbezug wollte die SGK-NR auf die Sozialpartner, eine Minderheit Prelicz-Huber (gp, ZH) sowie Einzelanträge der SPK-NR und der KVF-NR auch auf Verbände der Gemeinden und Städte ausdehnen. Damit die Massnahmen zufriedenstellend umgesetzt werden könnten, sei es wichtig, dass alle wichtigen Akteure einbezogen würden, erklärte Katharina Prelicz-Huber. Für den Bund seien bei der Umsetzung nur die Kantone direkte Ansprechpartner, zudem seien Gemeinden und Städte vom Covid-19-Gesetz gar nicht direkt betroffen, erwiderte hingegen der Kommissionssprecher. Dennoch folgte der Rat sowohl der Kommissionsmehrheit bezüglich der Kantone als auch der Minderheit Prelicz-Huber sowie den Einzelanträgen bezüglich der Städte und Gemeinden deutlich (191 zu 3 Stimmen; 150 zu 43 Stimmen bei 2 Enthaltungen). Doch nicht nur Kantone, Städte und Gemeinden, auch die Organe der Bundesversammlung sowie die Präsidentinnen oder Präsidenten der zuständigen Kommission wollte der Nationalrat in dringlichen Fällen einbezogen wissen. Er folgte dabei zwei Einzelanträgen Rutz (svp, ZH) und stellte sich damit gegen Anträge seiner Kommission (153 zu 39 Stimmen bei 1 Enthaltung; 192 zu 2 Stimmen bei 1 Enthaltung). Kommissionssprecher Nantermod hatte diese Forderungen zuvor mit der Begründung abgelehnt, dass die Anhörung des Parlaments beim ordentlichen Recht, um das es hier gehe, bereits im Parlamentsgesetz geregelt sei.
Erfolgreich waren auch die Einzelanträge Glättli (gp, ZH) und Grüter (svp, LU), welche die Einreichung von fakultativen Referenden temporär ohne Stimmrechtsbescheinigungen möglich machen und die Bundeskanzlei mit der nachträglichen Bescheinigung der Stimmen bei den Gemeinden beauftragen wollten (140 zu 52 Stimmen bei 2 Enthaltungen). Stillschweigend nahm der Rat zudem einen Vorschlag der Kommission an, wonach sich der Bundesrat zum Erlass seiner Massnahmen an verfügbare Daten bezüglich Überlastung des Gesundheitssystems, Sterblichkeit sowie schwerer Krankheitsverläufe orientieren solle. Abgelehnt wurden hingegen eine Änderung des Ziels des Gesetzes hin zu einer Bekämpfung der Übersterblichkeit infolge der Covid-19-Epidemie anstelle der Bekämpfung der Epidemie selber, wie es der Bundesrat formuliert hatte (Einzelantrag Nidegger, svp, GE: 141 zu 52 Stimmen) sowie ein Minderheitsantrag Glarner (svp, AG; 137 zu 54 Stimmen), der das Subsidiaritätsprinzip ausdrücklich im Gesetz verbriefen wollte. Zuerst müsse auf Eigenverantwortung und kantonale Mittel gesetzt werden, bevor der Bund eingreife, begründete Thomas de Courten (svp, BL) diesen Minderheitsantrag. Die Kommissionsmehrheit erachtete eine solche Klarstellung als unnötig, zumal das Subsidiaritätsprinzip bereits in der Verfassung verankert sei.

Besonders umstritten waren die Bestimmungen zum Ausländer- und Asylbereich, die mit zahlreichen Minderheits- und Einzelanträgen hinterfragt wurden. Hier sah das Covid-19-Gesetz vor, dem Bundesrat die Kompetenz zu erteilen, vom AIG und Asylgesetz abweichende Bestimmungen bezüglich Einreise, gesetzlicher Fristen und Unterbringung von Asylsuchenden zu erlassen. Eine erfolgreiche Kommissionsmehrheit wollte jedoch die Einreisebeschränkungen beim Familiennachzug und bei Konkubinatspartnerinnen und -partnern und ihren Kindern von dieser Möglichkeit ausschliessen, um übermässig lange Familientrennungen wie beim Lockdown im Frühling zu verhindern. Zudem wollte eine Minderheit Meyer (sp, ZH) den Zugang zu Asylverfahren ausdrücklich gewährleisten, um zu verhindern, dass die Möglichkeiten für Asylsuchende, einen Asylantrag zu stellen, wie im Frühling eingeschränkt würden. Dies widerspreche dem zwingenden Völkerrecht, betonte sie. Die Kommissionssprechenden Nantermod und Humbel lehnten eine entsprechende Regelung ab, zumal sie dem zwingenden Völkerrecht angehöre und somit in jedem Fall anwendbar sei. Entsprechend sprach sich der Nationalrat auch mit 122 zu 71 Stimmen (bei 1 Enthaltung) für den Vorschlag der Kommission und gegen den Minderheitsantrag Meyer aus.
Die übrigen Anträge in diesem Themengebiet waren ebensowenig erfolgreich. Eine Minderheit Crottaz (sp, VD) schlug vor, die Fristen nicht nur wie vom Bundesrat beantragt beim Familiennachzug, dem Erlöschen von Aufenthaltsbewilligungen und der Erneuerung von biometrischen Ausweisen verlängern zu können, sondern auch bei der Ausreise, beim Erlöschen von Asyl und bei vorläufigen Aufnahmen. Man könne die betroffenen Personen nicht zwingen, in ihr Heimatland zurückzukehren, wenn die Epidemie dort unkontrolliert wüte. Bei der Unterbringung von Asylsuchenden solle zudem gemäss einer weiteren Minderheit Crottaz der nötigen physischen Distanz Rechnung getragen werden, weshalb im Gesetz nicht nur Unterbringungszentren des Bundes, sondern auch alle anderen Strukturen, die Migranten aufnehmen können, erwähnt werden sollen. Zu beiden Vorschlägen lagen gleichlautende Einzelanträge aus der SPK-NR vor, dennoch lehnte der Nationalrat beide Anliegen ab (123 zu 72 Stimmen, 122 zu 72 Stimmen). Ebensowenig von Erfolg gerkrönt war eine Minderheit Glarner (141 zu 54), die verlangte, die Ausschaffungshaft verurteilter krimineller Ausländerinnen und Ausländer verlängern zu können, wenn ihre Ausreise im Moment nicht möglich sei. Gemäss Gesetz müssten diese aus der Haft entlassen werden. Zusätzliche Unterstützung für Flüchtlinge und Sans-Papiers, die wegen Covid-19 besonderer Unterstützung bedürften, forderte hingegen eine Minderheit Prelicz-Huber. Dies liege jedoch in der Zuständigkeit der Kantone, betonte Nantermod für die Kommission. Mit 128 zu 69 Stimmen wurde auch dieser Vorschlag abgelehnt.

Ebenfalls für ausführliche Diskussionen sorgten die Bestimmungen zur Entschädigung des Erwerbsausfalls. Diese wollte der Bundesrat ausschliesslich für Personen vorsehen, die ihre Erwerbstätigkeit aufgrund von Corona-Massnahmen unterbrechen müssen, und dafür Bestimmungen zu Beginn und Ende des Anspruchs, zur Höhe der Taggelder und Bemessung sowie zum Verfahren erlassen können. Albert Rösti (svp, BE) schlug in einem Einzelantrag vor, die Entschädigungen nicht nur bei Unterbrechung, sondern auch bei Einschränkung der Erwerbstätigkeit zu ermöglichen. Die bundesrätliche Kann-Formulierung zur Entschädigung wollte eine Minderheit Meyer zudem in eine Pflicht umwandeln: In gewissen, in einer Liste aufgeführten Fällen soll eine Erwerbsausfallentschädigung zwingend anfallen. In gemeinsamen Einzelanträgen schlugen Melanie Mettler (glp, BE), Mattea Meyer und Albert Rösti sowie Sidney Kamerzin (cvp, VS) und Marie-France Roth Pasquier zudem vor, EO-Entschädigungen auch an Selbstständige in arbeitgeberähnlicher Position auszubezahlen. Hier zeigte sich der Nationalrat zu einem gewissen Ausbau gewillt: Er bevorzugte den Einzelantrag Rösti gegenüber dem Minderheitsantrag Meyer (108 zu 86 Stimmen) und nahm die Anträge Mettler/Meyer/Rösti sowie Kamerzin/Roth Pasquier mit 191 zu 3 Stimmen deutlich an. Damit schuf er eine allgemeine Möglichkeit zur Entschädigung bei Einschränkungen der Erwerbstätigkeit und eine spezifische Entschädigungsmöglichkeit für einen Teil der Selbständigen.
Nicht nur bezüglich der Antragsberechtigten, auch bezüglich der Höhe des Anspruchs auf EO nahm der Nationalrat Änderungen vor. So beschränkte er die Obergrenze des anzurechnenden Betrags auf CHF 90'000 (Einzelantrag Badran, sp, ZH: 103 zu 90 Stimmen bei 1 Enthaltung) und schränkte die Entschädigung im Umfang des selbstdeklarierten Erwerbsausfalls auf Fälle ein, bei denen ein Erwerbsausfall nachgewiesen wurde (Einzelantrag Grossen, glp, BE: 164 zu 29 Stimmen). Schliesslich entschied sich die grosse Kammer für den Mehrheitsantrag und gegen eine Minderheit Gysi (sp, SG) und erlaubte den Arbeitgebenden weiterhin, bei Liquiditätsengpässen ihre Arbeitgeberbeitragsreserven zur Bezahlung der Pensionskassenbeiträge zu verwenden (130 zu 64). Barbara Gysi hatte sich an dieser Möglichkeit gestört, da solche Reserven zukünftig abziehbar von den Steuern wiederaufgebaut werden könnten, dies also ein «Vehikel zur Steuerersparnis» darstelle.

Umstritten waren auch die Massnahmen zur ALV; hier übernahm der Bundesrat die Regelungen aus der neusten Version der Covid-19-ALV-Verordnung. So sollte er die Möglichkeit erhalten, vom AVIG abweichende Bestimmungen bezüglich Anspruch auf KAE, Ablauf des Anmeldungs- und Abrechnungsverfahrens zu KAE, Berücksichtigung von Abrechnungsperioden und zur Rahmenfrist bei der ALV zu erlassen. Die Kommissionsmehrheit, verschiedene Minderheiten und Einzelanträge bemühten sich insbesondere darum, den Kreis der Unterstützten innerhalb und ausserhalb der KAE zu vergrössern. Die Kommission wollte etwa den Anspruch auf Mitarbeitende auf Abruf, Personen im Lehrverhältnis und Angestellte bei Temporärfirmen ausdehnen, eine Minderheit Prelicz-Huber wollte Personen mit verschiedenen Arbeitgebenden, Projektaufträgen oder Gagen sowie Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung miteinbeziehen. Die Kommission setzte sich gegen eine Minderheit Dobler (fdp, SG), welche die Ausdehnung des Anspruchskreises verhindern wollte, mit 111 zu 81 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) durch, eine weitere Ausdehnung im Sinne der Minderheit Prelicz-Huber lehnte der Nationalrat aber mit 110 zu 85 Stimmen ab. Eine Minderheit Feri (sp, AG) beantragte darüber hinaus die Schaffung einer Möglichkeit für eine von KAE-unabhängige Unterstützung für Institutionen der familienergänzenden Betreuung, da diese systemrelevant seien. Zwar hätten viele Kantone, Städte und Gemeinden das Problem «an die Hand genommen», es bestehe aber noch immer Unsicherheit bezüglich Zuständigkeit und Finanzierung. Eine Minderheit Weichelt-Picard (al, ZG) wollte die Regierung sogar zur Unterstützung dieser Institutionen verpflichten. Der Rat bevorzugte zwar die Kann-Formulierung von Yvonne Feri gegenüber der Muss-Formulierung von Manuela Weichelt-Picard (140 zu 46 Stimmen bei 8 Enthaltungen), lehnte Erstere anschliessend aber mit 100 zu 93 Stimmen (bei 3 Enthaltungen) knapp ab.
Auch die übrigen Anträge in diesem Themenbereich waren allesamt erfolglos: Die grosse Kammer lehnte zwei Vorschläge einer Minderheit Maillard (sp, VD) ab: Einerseits sollten Arbeitnehmende mit tiefen Löhnen unterstützt werden, indem ihr Lohnersatz auf 100 Prozent erhöht werden sollte (126 zu 68 Stimmen bei 1 Enthaltung). Andererseits sollten die Reserven der Krankenkassen auf 150 Prozent der gesetzlich vorgeschriebenen Höhe gesenkt und der frei werdende Betrag den Versicherten im ersten Halbjahr 2021 ausbezahlt werden, um die Kaufkraft allgemein zu stärken (117 zu 77 Stimmen bei 1 Enthaltung). Abgelehnt wurde überdies auch eine Minderheit Glarner (135 zu 59 Stimmen bei 1 Enthaltung), die freiwillige Leistungen an juristische Personen mit Sitz in der Schweiz zu deren Unterstützung während der Corona-Krise steuerlich abzugsfähig machen wollte.

Eine ähnliche Stossrichtung wie die Massnahmen zur ALV hatte der Artikel zum Arbeitnehmerschutz, der Massnahmen zum Schutz besonders gefährdeter Arbeitnehmenden zum Inhalt hatte, mit denen Arbeitgebenden zusätzliche Pflichten auferlegt werden können sollten. Diesbezüglich wollte die Kommission einen Anspruch auf Rückerstattung der Kosten bei Lohnfortzahlung durch die Arbeitgebenden einführen. Würde also aufgrund des Gesetzes eine Quarantäne beschlossen, müsste das Gehalt der Arbeitnehmenden womöglich vom Staat übernommen werden, erklärte Philippe Nantermod. Eine Minderheit I Aeschi (svp, ZG) lehnte diese Forderung ab: Dadurch auferlege man dem Bund neue Pflichten, obwohl man nicht wisse, was die Massnahme kosten würde. Eine Minderheit II Prelicz-Huber wollte den Artikel hingegen so umformulieren, dass nicht nur besonders gefährdete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unterstützt werden sollten, sondern auch andere Arbeitnehmende. Die Kommissionsmehrheit setzte sich mit 134 zu 61 Stimmen und 126 zu 66 Stimmen gegen die beiden Minderheiten durch; der Nationalrat schuf folglich einen entsprechenden Anspruch für die Unternehmen.

Eine breite Palette an Handlungsmöglichkeiten behielt sich der Bundesrat im Kulturbereich vor. So wollte er die Möglichkeiten behalten, Unternehmen und Kulturschaffende zu unterstützten, sich weiterhin mit maximal CHF 80 Mio. an Leistungsvereinbarungen der Kantone zu beteiligen, Suisseculture im Jahr 2021 mit CHF 20 Mio. zu unterstützen, einen Anteil an die Lebenshaltungskosten für Kulturschaffende zu zahlen, Entschädigungen für Kulturvereine im Laienbereich zu erbringen sowie die Beitragskriterien und Bemessungsgrundlagen für Finanzhilfen im Kulturbereich festzulegen. Trotz dieser vielen Massnahmen wurden in diesem Bereich zahlreiche Minderheits- und Einzelanträge von Personen gestellt, welchen die Massnahmen des Bundesrates zu wenig weit gingen. So wollte eine Kommissionsmehrheit den Kredit für die Leistungsvereinbarungen auf CHF 100 Mio. und eine Minderheit II Porchet (gp, VD) gar auf CHF 150 Mio. erhöhen, während eine Minderheit Glarner den bundesrätlichen Vorschlag bevorzugte. Mit 117 zu 78 Stimmen und 127 zu 68 Stimmen setzte sich die Kommissionsmehrheit diesbezüglich durch. Mehr Geld forderte eine weitere Minderheit Porchet auch für Suissculture (CHF 50 Mio.), was der Nationalrat jedoch ablehnte. Minderheits- und Einzelanträge Rytz (gp, BE), Roduit (cvp, VS) und Paganini (cvp, SG) forderten überdies eine Unterstützung des Bundesrates im Eventbereich (Rytz), in der Reisebranche (Roduit) sowie allgemein für von den Folgen von Covid-19 besonders stark betroffene Unternehmen in verschiedenen, abschliessend aufgelisteten Branchen (Paganini). Nachdem Rytz und Roduit ihre Anträge zugunsten des Antrags Paganini zurückgezogen hatten, stimmte der Nationalrat Letzterem mit 192 zu 1 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) überdeutlich zu und löste die nötige Ausgabenbremse. Auch die Fussball- und Eishockeyvereine sollten beruhend auf Einzelanträgen von Matthias Aebischer (sp, BE), Philipp-Matthias Bregy (cvp, VS), Jürg Grossen, Diana Gutjahr (svp, TG) und Christian Wasserfallen (fdp, BE) mit zinslosen Darlehen unterstützt werden, welche in zehn Jahren zurückgezahlt werden müssen (135 zu 34 Stimmen bei 19 Enthaltungen). Dazu müssten die Vereine Sicherheiten im Umfang von 25 Prozent vorlegen, dafür wären Rangrücktritte durch den Bund – also eine Einwilligung des Bundes, dass seine Forderungen im Falle einer Insolvenz letzte Priorität hätten – möglich. Nicht erfolgreich waren hingegen Minderheitsanträge von Barbara Gysi für einen Einbezug der Dachverbände im Kulturbereich bei der Erarbeitung der entsprechenden Beitragskriterien (112 zu 83 Stimmen bei 1 Enthaltung) sowie von Léonore Porchet für eine Ausfallversicherung für Veranstaltungen im Stile von Versicherungen gegen Nuklear- oder Elementarschäden (124 zu 68 Stimmen bei 2 Enthaltungen).

Bezüglich der Massnahmen im Bereich der Grundversorgung bestanden zwar weniger Minderheits- oder Einzelanträge, dennoch nahm dieser Bereich gemäss zahlreichen Sprechenden in der öffentlichen Kritik am Covid-19-Gesetz eine wichtige Rolle ein. So wollte der Bundesrat die Gesundheitsbranche verpflichten können, den Bestand an Heilmitteln und Gütern der Gesundheitsversorgung zu melden, und verlangte verschiedene Ausnahmekompetenzen zur Gewährleistung der Versorgung der Bevölkerung. Dabei standen gemäss Regierung vor allem die Bewilligungspflicht für Tätigkeiten und Medikamente im Mittelpunkt. Die Kritikerinnen und Kritiker – vor allem ausserhalb des Parlaments – werteten dies aber als Möglichkeit, einen Impfzwang einzuführen. Entsprechend häufig verwiesen auch verschiedene Sprechende während der Debatte darauf, dass es hier nicht um Impfungen gehe und dass beruhend auf dem Covid-19-Gesetz auch kein Impfzwang eingeführt werden könne. Doch auch Mitglieder des Parlaments zeigten sich kritisch gegenüber der Möglichkeit, dass Arzneimittel unter Umgehung eines Teils der bisherigen Bedingungen zugelassen werden könnten. Eine Minderheit Weichelt-Picard forderte entsprechend, dass die Arzneimittel, deren Zulassungsverfahren angepasst werden könnten, im Gesetz ausdrücklich aufgezählt würden. Ein Einzelantrag Gafner (edu, BE) wollte die Ausnahme bei der Zulassungspflicht gar ganz aus dem Gesetz streichen. Dem entgegnete Kommissionssprecher Nantermod, dass schnelles Handeln bei der Medikamentenzulassung zentral sei, damit man Patientinnen und Patienten nicht hoffnungsvolle, wirksame Therapien vorenthalten müsse. Mit 153 zu 33 Stimmen (bei 1 Enthaltung) und 140 zu 48 Stimmen lehnte der Nationalrat sowohl den Minderheitsantrag als auch den Einzelantrag Gafner ab. Manuela Weichelt-Picard beantragte des Weiteren, dass der Bundesrat wichtige medizinische Güter, die er zuvor beschafft hatte, lagern solle und dass er die Kostenübernahme für Covid-Analysen regeln müsse, nicht könne, wie der Bundesrat in seinem Entwurf vorgeschlagen hatte. Auch diese Minderheitsanträge waren nicht von Erfolg gekrönt: Mit 126 zu 69 Stimmen sprach sich die grosse Kammer dagegen aus, dass der Bundesrat die dringenden medizinischen Güter selber lagere, und blieb mit 127 zu 68 Stimmen bei der Kann-Formulierung zur Übernahme der Covid-Analyse-Kosten.

Keine Änderungen nahm der Nationalrat am bundesrätlichen Vorschlag zum Medienbereich vor, wo Grundlagen geschaffen werden sollten, mit denen die Kosten der Tageszustellung der Regional- und Lokalpresse bis zum Inkrafttreten des Massnahmenpakets zur Förderung der Medien vollständig übernommen werden und sich der Bund an den Kosten der Tageszustellung der überregionalen- und nationalen Presse mit 27 Rappen pro Exemplar beteiligen könnte. Dies war insbesondere aufgrund eines Einbruchs der Werbeeinnahmen bei den Printmedien nötig geworden und von zwei Motionen der KVF-NR und KVF-SR (Mo. 20.3145 und Mo. 20.3154) verlangt worden. Überdies sollte ein Teil der Abonnementskosten von Keystone-SDA durch den nicht verwendeten Betrag der Radio- und Fernsehabgabe bezahlt werden. Als Voraussetzung für die Unterstützung sollten sich die Unternehmen jedoch verpflichten, während des aktuellen Geschäftsjahrs keine Dividenden auszuschütten. Während eine Minderheit Glarner die Massnahmen im Medienbereich vollständig ablehnte, um die Medienfreiheit und -unabhängigkeit zu wahren, wie Thomas de Courten erklärte, wollte eine Minderheit Aeschi nicht nur abonnierte, sondern auch nicht abonnierte Zeitungen, also die Gratiszeitungen, unterstützen. Es gebe auch viele Gratiszeitungen mit guter Qualität, argumentierte Aeschi. Beide Anträge lehnte der Nationalrat ab (Antrag Glarner: 124 zu 69 Stimmen bei 3 Enthaltungen, Antrag Aeschi: 116 zu 77 Stimmen bei 3 Enthaltungen). Auch einer Ausdehnung der Unterstützung bei den Abonnementskosten auf Onlinemedien, wie sie eine Minderheit Porchet vorschlug, konnte der Rat nichts abgewinnen (127 zu 67 Stimmen).

Nur eine Anpassung der deutschsprachigen an die französischsprachige Version nahm der Nationalrat bei den justiziellen und verfahrensrechtlichen Massnahmen vor. Hier beantragte der Bundesrat, im Justizbereich Fristen oder Termine stillzulegen oder wiederherzustellen, technische Hilfsmittel in Verfahren zu erlauben und andere Formen von Eingaben und Entscheiden zu ermöglichen. Mit seinem Einzelantrag wollte Jean-Philippe Maître (fdp, GE) dabei sicherstellen, dass die behördlichen, nicht nur die gesetzlichen Fristen und Termine auch in der deutschsprachigen Version verändert werden könnten (141 zu 49 bei 2 Enthaltungen).

Keine Änderungen oder Änderungsanträge gab es bei den Massnahmen im Bereich von Versammlungen von Gesellschaften, wo der Bundesrat die Möglichkeiten der schriftlichen oder elektronischen Form bei der Ausübung der Rechte sowie durch unabhängige Stimmrechtsvertretende ausdrücklich festhielt.

Bei den insolvenzrechtlichen Massnahmen schlug die SGK-NR eine Ergänzung vor: So soll der Bundesrat die Haftung für Zollschulden durch die die Zollanmeldung ausstellenden Personen aufgrund von Konkursen von Empfängerinnen und Importeuren wegen Corona-Massnahmen aussetzen können. Mit 191 zu 1 Stimme bei 2 Enthaltungen nahm der Nationalrat die entsprechende Bestimmung an.

Eine Änderung fügte der Rat schliesslich auch bei den Strafbestimmungen an, bei denen der Bundesrat bei vorsätzlicher oder fahrlässiger Zuwiederhandlung Ordnungsbussen bis CHF 300 einführen können wollte: Die grosse Kammer entschied sich hier stillschweigend, nur bei vorsätzlichen Zuwiederhandlungen Bussen zu ermöglichen.

Zwei Minderheitsanträge für Änderungen in anderen Gesetzen lehnte der Nationalrat hingegen ab: So forderte Andreas Glarner einen Verzicht auf das frühzeitige Inkrafttreten der Regelung, wonach Personen, welche ab dem Alter von 58 Jahren entlassen werden, bei ihrer Pensionskassen verbleiben können (Minderheit Glarner: 139 zu 55 Stimmen), und Katharina Prelicz-Huber wollte die soziale Abfederung von Massenentlassungen strenger regeln (Minderheit Prelicz-Huber: 127 zu 67 Stimmen bei 1 Enthaltung).

In der Gesamtabstimmung nahm der Nationalrat seinen Entwurf mit 144 zu 35 Stimmen (bei 16 Enthaltungen) an. Sowohl die Gegenstimmen als auch die Enthaltungen stammten von Mitgliedern der SVP-Fraktion. Ganz abgeschlossen war die Debatte damit aber noch nicht, am Folgetag brachte Thomas Aeschi einen Ordnungsantrag ein, in dem er forderte, dass anstelle des Bundeskanzlers ein Bundesrat das Geschäft in der nächsten Sitzung vertreten solle und dass auf eine Blockbildung in der Beratung verzichtet wird. Mit 100 zu 89 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) stimmte der Nationalrat ersterer Forderung zu, lehnte letztere aber mit 103 zu 85 Stimmen ab.

Bundesgesetz über die gesetzlichen Grundlagen für Verordnungen des Bundesrates zur Bewältigung der Covid 19-Epidemie (Covid-19-Gesetz; BRG 20.058)
Dossier: Covid-19-Gesetz und Revisionen

Im Unterschied zur nationalrätlichen Gesundheitskommission sprach sich die SGK-SR im August 2020 dagegen aus, der parlamentarischen Initiative Nantermod (fdp, VS) zur Schaffung eines Kautionskontos zur Finanzierung der Gesundheitskostenbeteiligung Folge zu geben.

Kostenbeteiligung. Möglichkeit eines Gesundheitssparkontos schaffen (Pa. Iv. 18.429)
Dossier: Krankenversicherung: Vorstösse zu Wahlfranchisen

Nur ein Jahr nach deren Lancierung erklärte die Bundeskanzlei im Februar 2020 die Prämien-Entlastungs-Initiative für Zustandegekommen. Die Initiative der SP, die den Titel «Maximal 10 Prozent des Einkommens für die Krankenkassenprämien» trägt, verlangt, dass der Anteil der Krankenkassenprämien, der 10 Prozent des verfügbaren Einkommens übersteigt, nicht durch die Versicherten selber zu tragen sei, sondern mittels Prämienverbilligung von Bund und Kantonen übernommen werden soll. Die Initiantinnen und Initianten hatten nach nur 10 Monaten 101'780 gültige Unterschriften eingereicht – auch wenn die Unterschriftensammlung gemäss Tribune de Genève anfänglich nur 1 Monat hätte beanspruchen sollen.
Vor allem in den Medien der Romandie löste die Einreichung der Unterschriften einiges Interesse aus. Das hohe Tempo bei der Unterschriftensammlung zeige, dass ihre Partei einen Nerv getroffen habe, sagte Barbara Gysi (sp, SG) bei der Einreichung gegenüber dem Tages-Anzeiger. Auch SGB-Präsident Maillard (sp, VD) betonte die Wichtigkeit der Initiative: Bereits heute gäben viele Haushalte – vor allem diejenigen mit tiefen Einkommen – mehr als 15 Prozent ihres Einkommens für die Prämien aus und dieser Anteil würde weiter steigen. Darüber, wie hoch der durchschnittliche Anteil der Prämien am Einkommen eines Haushalts jedoch tatsächlich ist, waren sich die Befürwortenden und ihre Kritikerinnen und Kritiker nicht einig: Gemäss NZZ beträgt dieser 7 Prozent, gemäss der SP liegt er bei 14 Prozent. Ein weiterer positiver Effekt der Initiative sei zudem, dass die Problematik der Gesundheitskosten vom Parlament eher angegangen werde als bislang, als die Kosten auf die Steuern abgewälzt worden seien. Man zwinge damit die bürgerlichen Parteien zum Handeln, ergänzte Maillard.
Kritisiert wurde in den Medien unter anderem, dass die Kosten der Initiative unklar seien, da diese von der Entwicklung der Gesundheitskosten sowie von der Definition des verfügbaren Einkommens abhingen. Mehrmals war die Rede von Kosten bis CHF 4 Mrd. pro Jahr, wenn man das Modell des Kantons Waadt, der eine entsprechende Regelung bereits kennt, auf die ganze Schweiz übertragen würde. Philippe Nantermod (fdp, VS) wehrte sich überdies vor allem dagegen, dass man ein weiteres kantonales Problem auf nationaler Ebene lösen wolle. Es gäbe bereits kantonale Lösungen, die auch die übrigen kantonalen Hilfsleistungen berücksichtigten. Zudem wehrte er sich gegen die Behauptung der Initiantinnen und Initianten, dass die Gesundheitsausgaben Kopfsteuern seien: Bereits heute würden mehr als die Hälfte der Gesundheitsausgaben über die Steuern bezahlt, wodurch vor allem Personen mit höheren Einkommen belastet würden. Ansonsten würden die Prämien bereits heute bei CHF 1000 pro Monat liegen. Die CVP kritisierte schliesslich, dass die Vorlage das eigentliche Problem, die steigenden Gesundheitskosten, im Unterschied zu ihrer eigenen Initiative nicht angehe.

Eidgenössische Volksinitiative «Maximal 10 Prozent des Einkommens für die Krankenkassenprämien (Prämien-Entlastungs-Initiative)» und indirekter Gegenvorschlag (BRG 21.063)
Dossier: Anstieg der Krankenkassenprämien dämpfen (seit 2020)
Dossier: Prämienverbilligung
Dossier: Volksinitiativen zum Thema «Krankenkasse» (seit 2015)

Im Dezember 2018 reichte Philippe Nantermod (fdp, VS) zwei parlamentarische Initiativen für eine Förderung der Nutzung von höheren Franchisen ein (Pa.Iv. 18.484 und Pa.Iv. 18.486). Mit Ersterer wollte er die bisherige Grundfranchise von CHF 300 durch eine Referenzfranchise von CHF 1'500 ersetzen. In der Folge würden die Prämien in Bezug auf diese Referenzfranchise berechnet und dadurch um etwa 12 Prozent sinken. Weiterhin könnten freiwillig Franchisen zwischen CHF 300 und CHF 2'500 gewählt werden. Mit 12 zu 11 Stimmen beantragte die SGK-NR im November 2019, der parlamentarischen Initiative keine Folge zu geben. Diese Änderung würde zu höheren Prämien bei Personen führen, die tiefere Franchisen gewählt hätten, was dem Grundgedanken der Solidarität widerspreche. Die Minderheit verwies demgegenüber auf die tieferen Prämien, die dadurch für Personen mit mittleren und hohen Franchisen erreicht werden könnten, sowie auf die Stärkung der Eigenverantwortung. Mit 116 zu 26 Stimmen (bei 45 Enthaltungen) sprach sich der Nationalrat gegen Folgegeben aus. Die Mitglieder der SVP- und FDP-Fraktion stimmten der Vorlage mehrheitlich zu oder enthielten sich der Stimme.

Referenzfranchise von 1500 Franken zur Reduktion der Krankenversicherungsprämien
Dossier: Krankenversicherung: Vorstösse zu Wahlfranchisen

Im Dezember 2019 nahm sich der Nationalrat einer parlamentarischen Initiative Weibel (glp, ZH) an, welche nach dem Ausscheiden Weibels aus der grossen Kammer von Martin Bäumle (glp, ZH) übernommen worden war und eine Gebühr für Bagatellfälle in der Spitalnotfallaufnahme zum Gegenstand hatte. Bäumle, Kommissionssprecher Nantermod (fdp, VS) sowie Kommissionssprecherin Bertschy (glp, BE) erklärten, mit der geforderten Gebühr werde darauf abgezielt, dass die betroffenen Personen bei Bagatellfällen zuerst den Hausarzt respektive die Hausärztin, den 24-Stunden-Notfall-Dienst oder eine Apotheke aufsuchen, bevor sie sich in den Spitalnotfall begeben. Dadurch könnte nicht nur das Kostenwachstum im Gesundheitswesen abgeschwächt, sondern auch die Notfallstationen in den Spitälern entlastet werden, was für die Behandlung tatsächlicher Notfälle essentiell sei. Im Kanton Aargau würden sogenannte Walk-in-Gebühren beispielsweise bereits diskutiert. Dafür bedürfe es allerdings einer entsprechenden gesetzlichen Grundlage auf Bundesebene, welche durch die vorliegende parlamentarische Initiative geschaffen werden solle. Von den Gebühren ausgenommen werden sollen Patientinnen und Patienten unter 16 Jahren, solche mit einer Zuweisung einer Ärztin oder eines Arztes sowie Personen, die in der Folge stationär behandelt werden müssen. Eine Minderheit rund um Yvonne Feri (sp, AG), welche beantragte, dem Anliegen keine Folge zu geben, hielt dieser Argumentation entgegen, dass eine solche Gebühr primär eine Belastung für Arme, ältere Personen sowie chronisch Kranke darstelle. Ferner könne sie gegebenenfalls auch Fehlanreize schaffen, indem die Patientinnen und Patienten darauf bestünden, stationär behandelt zu werden. Diene die Gebühr zur Abschreckung, werde dadurch auch die freie Arzt- und Spitalwahl untergraben. Viele Menschen hätten zudem keinen Hausarzt oder keine Hausärztin mehr – gerade auf dem Land sei es schwierig, einen entsprechenden Arzt oder eine entsprechende Ärztin zu finden. Bezüglich der Kapazitäten für tatsächliche Notfälle meinte Feri, die Krankenhäuser hätten in der Notfallaufnahme bereits vor einiger Zeit ein Triagesystem eingeführt, das zwischen leichten, mittelschweren und schweren Notfällen unterscheide. Den Nationalrat vermochten die Worte der Kommissionsmehrheit anscheinend mehr zu überzeugen und so sprach er sich mit 108 zu 85 Stimmen (bei 1 Enthaltung) für Folgegeben aus.

Gebühr für Bagatellfälle in der Spitalnotfallaufnahme (Pa.Iv. 17.480)

Philippe Nantermod (fdp, VS) wollte die Leistungserbringenden durch eine Änderung des KVG verpflichten, die Versicherten ab einem gewissen Betrag vor einer Behandlung über die Kosten der Leistungen zu informieren. Dadurch sollten die Versicherten in die Entscheidungsprozesse eingebunden, der Wettbewerb zwischen den Leistungserbringenden gestärkt und ein Beitrag zur Eindämmung der Gesundheitskosten geleistet werden. Mit 12 zu 6 Stimmen gab die SGK-NR der parlamentarischen Initiative im November 2019 Folge.

KVG. Mehr Wettbewerb durch mehr Transparenz bei den Preisen (Pa.Iv. 18.487)

Im Dezember 2018 reichte Philippe Nantermod (fdp, VS) zwei parlamentarische Initiativen für eine Förderung der Nutzung von höheren Franchisen ein (Pa.Iv. 18.484 und Pa.Iv. 18.486). Mit Letzterer wollte er höhere Franchisen für alle zugänglich machen und entsprechend die Klausel im KVG, welche die Versicherung von Kostenbeteiligungen verbietet, streichen. Franchisen sollen entsprechend versichert und somit auch von Personen mit niedrigen Einkommen gewählt werden können. Mit 12 zu 12 Stimmen bei Stichentscheid von Kommissionspräsident de Courten (svp, BL) gab die SGK-NR der Initiative Folge.

Höhere Franchisen für alle zugänglich machen (Pa.Iv. 18.486)

In der Herbstsession 2019 behandelte der Nationalrat als Erstrat den Vorschlag der SGK-NR für eine Einführung eines monistischen Finanzierungssystems für die Gesundheitsleistungen. Eine Kommissionsminderheit Gysi (sp, SG) hatte dem Rat Nichteintreten beantragt. Barbara Gysi betonte, dass die SP-Fraktion zwar eine einheitliche Finanzierung von stationären und ambulanten Leistungen befürworte, aber diese Vorlage ablehne, da darin die «Meinung der Kantone in grossen Zügen missachtet» worden sei. Den Kantonen käme nur noch die Rolle der Zahlstelle zu, die Relevanz der Spitallisten würde stark reduziert. Überdies würde die Vorlage zu einer Besserstellung der Privatspitäler und Zusatzversicherten zulasten der OKP führen, kritisierte Gysi. Aufgrund der zahlreichen Mitglieder in der Subkommission, die Mandate bei Krankenversicherungen oder Krankenkassenverbänden hätten, und aufgrund der «getreuen» Umsetzung der Vorschläge von Curafutura begünstige die Vorlage die Interessen der Krankenversicherungen. «Diese Vorlage stammt klar aus der Feder von Curafutura», fasste sie ihre Kritik zusammen. Ein Nichteintreten würde dem Bundesrat zusammen mit den Kantonen eine neue Lösungsfindung ermöglichen.
Ruth Humbel (cvp, AG) betonte als Kommissionssprecherin, dass es den Krankenversicherungen nicht verboten sei, fachliche Inputs zu geben. Zudem seien die Privatspitäler ein «Nebenschauplatz». In erster Linie stärke die Vorlage die Steuerungsmöglichkeit der Kantone, indem sie neu den ambulanten und stationären Bereich planen könnten, einen Einsitz in Tarmed oder Tardoc erhielten und weiterhin die Tarife genehmigten oder erliessen, wenn sich die Tarifpartner nicht einigten. Mit 136 zu 52 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) sprach sich der Nationalrat in der Folge für Eintreten aus. Die ablehnenden Stimmen stammten aus der SP- und der Grünen-Fraktion sowie von MCG-Mitglied Roger Golay (mcg, GE).
In der Detailberatung diskutierte der Nationalrat verschiedene technische Fragen, die jedoch, so die Auffassung der meisten Rednerinnen und Redner, hochpolitisch waren. So beriet die grosse Kammer die Berechnung der Kantonsbeiträge, bei der zwei Fragen umstritten waren: Soll erstens der Abzug der Risikoabgaben risikobasiert oder kostenbasiert erfolgen und sollen zweitens die Kostenbeteiligungen der Versicherten abgezogen werden, bevor die Kantonsbeiträge berechnet werden. Bei ersterer Frage sprach sich eine Kommissionsminderheit Nantermod (fdp, VS) für das risikobasierte Pauschalmodell aus. Dieses habe den Vorteil, dass nur die Risikokompensation und nicht die variablen Verwaltungskosten der Versicherungen berücksichtigt würden, erklärte Regine Sauter (fdp, ZH) für die Kommissionsminderheit. Dadurch würden die Anreize zur Kosteneffizienz erhöht. Hingegen argumentierte Heinz Brand (svp, GR), dass es hier um Steuergelder der Kantone gehe und diese der Kostenwahrheit entsprechen müssten. Somit könne man diese nicht «aufgrund irgendwelcher mathematischer Berechnungen» verteilen. Mit 111 zu 78 Stimmen sprach sich der Nationalrat für den Mehrheitsantrag der SGK-NR und somit für das kostenbasierte Modell aus: Eine Allianz aus SP-, Grünen- und SVP-Fraktion setzte sich diesbezüglich gegen die geschlossen stimmenden übrigen Fraktionen durch.
Eine weitere Minderheit Nantermod setzte sich dafür ein, dass die Kostenbeteiligungen der Versicherten, also zum Beispiel die Franchisen, ebenfalls in die Berechnung des Kantonsanteils einfliessen sollten. Nur dadurch würden Personen mit hohen Franchisen gleich behandelt wie Personen mit tiefen Franchisen. Mit dieser Berechnungsart müssten die Kantone den Versicherungen aber auch Geld für Kosten überweisen, die nicht von ihnen, sondern von den Versicherten bezahlt worden seien, kritisierte Gesundheitsminister Berset. Rechtlich sei es gemäss dem Bundesamt für Justiz zudem problematisch, wenn der Bund die Kantone zwinge, Kosten zu übernehmen, die nicht unter die OKP fielen, erklärte Kommissionssprecherin Humbel. Weiter könne es nicht sein, dass die Eigenverantwortung, die den höheren Franchisen zugrunde liege, «an die Kantone delegiert werde». Mit 148 zu 33 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) respektive 141 zu 46 Stimmen (bei keiner Enthaltung) sprach sich der Nationalrat für den Antrag des Bundesrates und die Berechnung der Kantonsbeiträge nach Abzug der Franchisen aus. Für die Minderheit hatten sich vor allem Teile der SVP- und der FDP.Liberale-Fraktionen eingesetzt. Gleichzeitig entschied sich der Rat auch, den von den Kantonen übernommenen Mindestanteil von 22.6 Prozent auf 25.5 Prozent zu erhöhen, wie es der Bundesrat beantragt hatte.
Wie sich bereits in der Eintretensdebatte angekündigt hatte, war die Frage der Vergütungen an die Vertragsspitäler in der Detailberatung besonders umstritten. Diese liegt heute bei 45 Prozent, neu soll sie jedoch auf 74.5 Prozent erhöht werden. Dadurch würden Privatspitäler, die sich nicht an der Ausbildung oder am Grundversorgungsauftrag beteiligten, die besonders lukrative Fälle der übrigen Spitäler abwerben würden und deren Gewinne auf den Konten von ausländischen Investoren landeten, noch stärker aus der OKP abgegolten werden als bisher, kritisierte Barbara Gysi. Dadurch käme es zu einem Anstieg der Prämien der Grundversicherten, zu einer Mengenausweitung durch die Privatspitäler – bereits jetzt würden halbprivat oder privat versicherte Personen zum Beispiel 2.2-mal häufiger am Knie operiert als Grundversicherte – sowie zu einem Anstieg der Anzahl Privatspitäler. Schliesslich unterliefe dies auch die Spitalplanung der Kantone. Letzteren Punkt betonte auch Bundesrat Berset. Kommissionssprecherin Humbel entgegnete hingegen, dass Privatkliniken nicht per se teurer seien als öffentliche Spitäler und es überdies nur zehn davon gebe. Heute würden 45 Prozent der stationären Kosten der Vertragsspitäler durch die Kantone sowie 100 Prozent der ambulanten Leistungen durch die Versicherungen vergütet; mit einem Anteil von 74.5 Prozent wäre der Unterschied zu heute somit vernachlässigbar. Die grosse Kammer sprach sich in der Folge mit 132 zu 56 Stimmen (bei 6 Enthaltungen) deutlich für den Antrag der Kommissionsmehrheit und die höhere Vergütung für die Vertragsspitäler aus.
Bei der Frage nach der zukünftigen Rolle der gemeinsamen Einrichtung der Versicherungen entschied sich der Rat gegen eine Minderheit Aeschi (svp, ZG) und eine Minderheit Carobbio (sp, TI) dafür, dass die Einrichtung neu auch für die Aufteilung des Kantonsbeitrags auf die Versicherungen zuständig sein soll. Sowohl Aeschi als auch Carobbio hatten mit ihren Anträgen beabsichtigt, die Rolle der Kantone in EFAS zu stärken; Thomas Aeschi wollte den Kantonen die Möglichkeit geben, das Geld selbst zu verteilen, während Marina Carobbio der gemeinsamen Einrichtung die Kontrolle über die Zahlungen übertragen wollte, damit die Kantone den Versicherungen nicht blind vertrauen müssten, wie Bea Heim (sp, SO) erklärte.
Schliesslich stimmte der Nationalrat dem Entwurf mit 121 zu 54 Stimmen (bei 8 Enthaltungen) zu, wobei die ablehnenden Stimmen wie schon in der Eintretensabstimmung von der SP- und der Grünen-Fraktion sowie von Roger Golay stammten. Auch im Lager der SVP stiess die Vorlage mit 8 Enthaltungen jedoch nicht ausschliesslich auf Unterstützung.

Einführung eines monistischen Finanzierungssystems für die Gesundheitsleistungen (EFAS; Pa.Iv. 09.528)

Mittels parlamentarischer Initiative forderte Philippe Nantermod (fdp, VS) eine Änderung des KVG, die den Versicherten die Schaffung eines Kautionskontos zur Finanzierung der Gesundheitskostenbeteiligung ermöglichen soll. Zudem soll für den zurückgestellten Betrag bis zu einer bestimmten Obergrenze eine allfällige Steuerbefreiung geprüft werden. Durch die Schaffung eines solchen Kontos könnte für die Versicherten mit höheren Franchisen ein Anreiz geschaffen werden, die eingesparten Prämien zurückzulegen, um grösseren gesundheitlichen Beschwerden begegnen zu können.
Im Juli 2019 befasste sich die SGK-NR mit der parlamentarischen Initiative. Sie zeigte sich vom Geschäft überzeugt und stimmte mit 13 zu 7 Stimmen für Folgegeben.

Kostenbeteiligung. Möglichkeit eines Gesundheitssparkontos schaffen (Pa. Iv. 18.429)
Dossier: Krankenversicherung: Vorstösse zu Wahlfranchisen

Die SGK-NR befürwortete zwar eine Einschränkung der Vermittlerprovisionen in der OKP, wie sie die ständerätliche Schwesterkommission vorgeschlagen hatte, beantragte aber mit 16 zu 8 Stimmen, diese nicht nur auf die OKP zu beschränken, sondern auch die Krankenzusatzversicherungen miteinzubeziehen. Da sich Grund- und Zusatzversicherung in der Praxis nicht trennen liessen, blieben ansonsten Umgehungsmöglichkeiten bestehen. Eine Ausdehnung auf die Zusatzversicherungen sei von den Krankenversichererverbänden, darunter auch Curafutura und Santésuisse, ausdrücklich gefordert worden, betonte Bea Heim (sp, SO) im Rahmen der Nationalratsdebatte in der Frühjahrssession 2019.
Dieser Mehrheitsmeinung standen zwei Anträge entgegen: Eine Minderheit Nantermod (fdp, VS) befürwortete zwar eine Einschränkung der Vermittlerprovisionen in der OKP, lehnte aber eine Regulierung bei den Krankenzusatzversicherungen ab. Da Gewinne dort erlaubt seien und diese in einem Marktumfeld agierten, würde eine Regulierung der Provisionen bei diesen zu weit gehen. Im Rat ergänzte Minderheitssprecher Nantermod seine Position noch um ein weiteres Argument: Wenn der Nationalrat die Motion abändere, müsse der Ständerat in der nächsten Runde entscheiden, ob er diese Änderung annehmen oder das ganze Projekt ablehnen wolle, erklärte Nantermod. Dies sei zu gefährlich, weshalb man die Motion in ihrer ursprünglichen Form annehmen solle. Eine Ablehnung der Motion in beiden Formen befürwortete Thomas Aeschi (svp, ZG). Mit 103 zu 78 Stimmen (bei 1 Enthaltung) respektive 152 zu 30 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) entschied sich der Rat gegen den Minderheitsantrag Nantermod respektive den Antrag Aeschi und für den Mehrheitsantrag der Kommission. Abgeändert gelangte die Motion somit zurück an den Ständerat.

Krankenkassen. Verbindliche Regelung der Vermittlerprovisionen, Sanktionen und Qualitätssicherung

In der Herbstsession 2018 beriet das Parlament die parlamentarische Initiative für eine befristete Verlängerung der Zulassungsbeschränkung nach Art. 55 KVG. Zuvor hatte sich der Bundesrat in einer Stellungnahme für die Vorlage ausgesprochen, weil damit für den Fall einer Verzögerung bei der Änderung des KVG bezüglich der Zulassung von Leistungserbringenden (BRG 18.047) ein Zeitraum ohne Zulassungsbeschränkung verhindert werden könne. Die Detailberatung des Bundesratsgeschäfts müsse jedoch umgehend angegangen werden, betonte der Bundesrat. Im erstbehandelnden Nationalrat erläuterten die Kommissionssprecher Nantermod (fdp, VS) und Hess (bdp, NR) sowie Gesundheitsminister Berset noch einmal die Geschichte der Zulassungsbeschränkung, ihre Relevanz und die Notwendigkeit einer weiteren – letzten – Verlängerung derselben. Diskussionslos und stillschweigend genehmigte der Rat die Vorlage in der Detailberatung und übergab sie mit 160 zu 1 Stimme in der Gesamtabstimmung dem Zweitrat. Ein ähnliches Bild präsentierte sich im Ständerat, der die Initiative am folgenden Tag in der Gesamtabstimmung einstimmig mit 36 zu 0 Stimmen guthiess. Auch die Schlussabstimmungen stellten keine grossen Hürden mehr dar, mit 194 zu 1 Stimme respektive 41 zu 0 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) verabschiedete das Parlament die erneute, befristete Verlängerung der Zulassungsbeschränkung für Ärzte. Einzig Lukas Reimann (svp, SG) lehnte die Verlängerung ab, während Hannes Germann (svp, SH) und Martin Schmid (fdp, GR) sich ihrer Stimme enthielten.

Befristete Verlängerung der Zulassungsbeschränkung nach Artikel 55a KVG