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  • Steinemann, Barbara (svp/udc, ZH) NR/CN

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Mit einer parlamentarischen Initiative wollte SVP-Nationalrätin Barbara Steinemann (svp, ZH) die Polizei vor Racheanzeigen und rechtlichen Schikanen schützen. Sie wollte den Kantonen in der Strafprozessordnung die Möglichkeit geben, die Strafverfolgung von Polizistinnen und Polizisten von der Ermächtigung einer unabhängigen, nicht-richterlichen Behörde abhängig zu machen. Ein solches Ermächtigungserfordernis gebe es bereits für die Strafverfolgung von Bundesbeamten und von kantonalen Exekutiv- und Judikativmitgliedern. Es gingen immer mehr Anzeigen gegen Polizistinnen und Polizisten wegen Amtsmissbrauch ein, argumentierte die Initiantin. Eine unabhängige Instanz könnte «offensichtlich schikanöse Strafanzeigen» abweisen und damit sicherstellen, «dass Behörden nicht durch mutwillige Strafanzeigen lahmgelegt werden», so die Begründung. Die RK-NR gab der Initiative im Oktober 2023 mit 13 zu 12 Stimmen knapp Folge.

Die Polizei vor Racheanzeigen und rechtlichen Schikanen schützen (Pa.Iv. 22.478)

In der Sommersession 2023 befasste sich der Nationalrat mit der Volksinitiative «Für Freiheit und körperliche Unversehrtheit». Die beiden Sprechenden der RK-NR, Patricia von Falkenstein (ldp, BS) und Baptiste Hurni (sp, NE), führten dabei aus, wieso sich die Kommissionsmehrheit für die Zustimmung zum bundesrätlichen Entwurf – sprich für die Ablehnung der Initiative – aussprach. So sei die körperliche und geistige Unversehrtheit insbesondere bereits im geltenden Grundrecht verankert, während die Volksinitiative respektive deren Umsetzung mit einer grossen Rechtsunsicherheit einhergehe, da das Volksbegehren über «erhebliche materielle und rechtliche Mängel» verfüge. Zudem würde die Initiative generell das Gewaltmonopol des Staates aushöhlen, etwa in den Bereichen Polizei und Asylwesen, wo es oft zu Einwirkungen auf den menschlichen Körper komme. Eine Reihe von Sprechenden aus der SVP-Fraktion widersprach dieser Einschätzung. Pirmin Schwander (svp, SZ) etwa war der Ansicht, dass während der Covid-19-Pandemie ersichtlich geworden sei, dass die bestehende Gesetzeslage nicht ausreiche, um die körperliche und geistige Unversehrtheit zu schützen. Der mangelhaften Formulierung der Initiative wollte Schwander mittels zweier Minderheitsanträge auf Rückweisung an die Kommission zur Ausarbeitung eines indirekten Gegenvorschlags (Minderheit I) respektive eines direkten Gegenentwurfs (Minderheit II), welche konkret Impfungen und biomedizinische Verfahren zum Inhalt hätten, begegnen. Eine Minderheit Addor (svp, VS) beabsichtigte, die Selbstbestimmung betreffend Impfungen und anderen medizinischen Biotechnologien durch einen bereits von der Minderheit verfassten direkten Gegenentwurf zu gewährleisten, wobei soziale, berufliche und auch andere Diskriminierung verboten werden sollte. Lukas Reimann (svp, SG) schliesslich beantragte in einem weiteren Minderheitsantrag, die Initiative zur Annahme zu empfehlen, falls ein Gegenentwurf abgelehnt würde. Er persönlich halte zwar eine Impfung für vernünftig, es könne aber nicht sein, dass der Staat vorgebe, «was vernünftig ist und was nicht vernünftig ist».
Mit dieser Meinung blieben die Mitglieder der SVP-Fraktion allerdings alleine. Vertreterinnen und Vertreter der anderen Parteien konnten weder der Initiative noch den Minderheitsanträgen viel abgewinnen. Die Sprechenden der anderen Fraktionen verwiesen unter anderem ebenfalls auf die Probleme mit dem Gewaltmonopol – gemäss Nicolas Walder (gp, GE) könnten nach Annahme der Volksinitiative etwa Serienmörder nicht mehr festgenommen werden und Beat Flach (glp, AG) hob hervor, dass durch die Initiative das individuelle Interesse in jedem Fall stärker gewichtet würde als das Interesse der Gesamtgesellschaft, zu der auch schwache und vulnerable Personen zählten. Philipp Bregy (mitte, VS), der sich gegen den Gegenvorschlag von Addor aussprach, argumentierte, dass es keiner besseren Formulierung bedürfe, weil die vom Volksbegehren geforderte Regelung nicht benötigt werde.
Was sich bereits während der offenen Debatte abzeichnete, bestätigte sich nach dem obligatorischen Eintreten in den Abstimmungen: Mit 137 zu 39 Stimmen (bei 8 Enthaltungen) wurde die erste Minderheit Schwander, die sich zuvor gegen die zweite Minderheit Schwander durchgesetzt hatte, verworfen. Auch der von Addor eingebrachte bereits formulierte Gegenentwurf war chancenlos (40 zu 138 Stimmen bei 5 Enthaltungen). Zum Schluss sprach sich die grosse Kammer mit 140 zu 35 Stimmen (bei 8 Enthaltungen) deutlich gegen die Volksinitiative aus. Dabei stammten sämtliche Stimmen, welche das Volksbegehren unterstützten, sowie alle Enthaltungen aus den Reihen der SVP-Fraktion. Abgesehen von einer Enthaltung aus der FDP-Fraktion bei der Abstimmung zur ersten Minderheit Schwander entspricht dieses Abstimmungsverhalten auch denjenigen bei den anderen beiden Abstimmungen.

Initiative «Für Freiheit und körperliche Unversehrtheit» (BRG 22.075)

Der Nationalrat beschäftigte sich in der Wintersession 2021 als Erstrat mit der Übernahme der EU-Verordnung 2020/493 über das System FADO (False and Authentic Documents Online), die eine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands darstellt. Während der Nutzen des Systems FADO für die Schweiz unbestritten war, taten Vertreterinnen und Vertreter der SP- und der Grünen Fraktion in ihren Voten vor allem ihren Unmut über den Entscheid der EU-Kommission kund, die Verantwortung für das System FADO an Frontex zu übertragen. Die Grenzschutz-Agentur Frontex sei eine «total dysfunktionale Institution» (Christian Dandrès, sp, GE), gegen die «verschiedene Verfahren und Vorwürfe» wegen Grundrechtsverletzungen im Raum stünden, führte Florence Brenzikofer (gp, BL) aus. Eine Minderheit Brenzikofer beantragte denn auch die Sistierung der Vorlage bis zur allfälligen Referendumsabstimmung über den Bundesbeschluss zur finanziellen Beteiligung der Schweiz an Frontex. Über eine intensivere Zusammenarbeit mit Frontex wie die Weiterbeteiligung der Schweiz am System FADO solle erst entschieden werden, nachdem sich die Stimmbevölkerung zu Frontex habe äussern können, argumentierte die Antragstellerin. Ausserhalb des links-grünen Lagers fand der Sistierungsantrag jedoch keine Zustimmung und wurde mit 106 zu 57 Stimmen bei 6 Enthaltungen deutlich abgelehnt. Der Ratsmehrheit erschien es in den Worten von Beat Flach (glp, AG) «völlig verfehlt», die Umsetzung der Schengen-Weiterentwicklung zu verzögern und «die Schengen-Assoziierung nur wegen dieser kleinen Anpassung zu riskieren». Nachdem er auf das Geschäft eingetreten war, nahm der Nationalrat eine einzige Änderung am Entwurf vor. Auf Antrag seiner vorberatenden Rechtskommission strich er einen Absatz, wonach der Bundesrat ermächtigt würde, selbstständig neue Staatsverträge mit Änderungen der Zugriffsrechte auf FADO abzuschliessen. Der Nationalrat sprach sich stillschweigend dafür aus, dass das Parlament in solchen Fällen vorgängig konsultiert werden muss. In der Gesamtabstimmung nahm die grosse Kammer die Vorlage mit 123 zu 62 Stimmen bei 5 Enthaltungen an, wobei die Grüne Fraktion geschlossen, die SP-Fraktion grossmehrheitlich und einzelne Mitglieder der SVP-Fraktion dagegen votierten.

Übernahme und Umsetzung der Verordnung über das System FADO (BRG 21.036)

Das Gesetzgebungsprojekt zur Strafrahmenharmonisierung und Anpassung des Nebenstrafrechts an das neue Sanktionenrecht stand in der Sommersession 2021 auf der Agenda des Nationalrates. Als Zweitrat trat er zwar oppositionslos auf das Geschäft ein, hatte sich aber sogleich mit einem Rückweisungsantrag des Genfer SVP-Nationalrats Yves Nidegger zu befassen. Der Antragsteller monierte, der Bundesrat habe dem Parlament nur eine «Alibi-Harmonisierung» vorgelegt, weil sie nicht sämtliche in der Schweiz ausgesprochene Strafen harmonisiere, sondern sich zu stark auf das Kernstrafrecht konzentriere, das im Schweizerischen Strafgesetzbuch geregelt ist. Er verlangte eine überarbeitete Vorlage, in der auch alle Strafnormen des Nebenstrafrechts, also die Strafnormen in anderen Gesetzen, nach den zu schützenden Rechtsgütern bewertet und die Strafen dementsprechend harmonisiert (und nicht nur wie vom Bundesrat vorgesehen an das geänderte Sanktionenrecht angepasst) würden. Justizministerin Karin Keller-Sutter bat den Rat um Ablehnung der Rückweisung. Sie bezeichnete den Antrag als «nicht zielführend, weil wir uns ohne klaren Auftrag quasi im Kreis bewegen würden und in zwei, drei Jahren etwa gleich weit wie heute wären». Ausser der SVP-Fraktion, die geschlossen für die Rückweisung votierte, sah der Rat dies genauso und lehnte die Rückweisung mit 139 zu 49 Stimmen ab.
In der Detailberatung diskutierte die Volkskammer zunächst 15 Anträge zu Änderungen am Allgemeinen Teil des StGB. Dieser war eigentlich nicht Gegenstand des vorliegenden Geschäfts, sondern mit der Revision des Sanktionenrechts bereits erneuert worden. Bundesrätin Karin Keller-Sutter forderte den Rat aus diesem Grund auf, überall der Kommissionsmehrheit zu folgen, die eine solche Ausdehnung der Vorlage auf den Allgemeinen Teil des StGB ablehnte. Die hier eingebrachten Vorschläge – allesamt zur Verschärfung des Strafregimes und bis auf drei Minderheiten Bregy (mitte/centre, VS) alle vonseiten der SVP-Fraktion – seien im Zuge der Revision des Sanktionenrechts bereits breit diskutiert und damals verworfen worden. Der Nationalrat erachtete es mehrheitlich nicht als sinnvoll, diese Büchse der Pandora zu öffnen, und lehnte alle Minderheits- und Einzelanträge in diesem Block ab. Damit machte die grosse Kammer unter anderem die vom Ständerat abgeänderte Kann-Formulierung bei den bedingten Strafen wieder rückgängig, sodass das Gericht bei Ersttäterinnen und Ersttätern auch weiterhin «in der Regel» eine bedingte Strafe aussprechen muss (und nicht nur kann). Für Unverständnis bei Antragsteller Philipp Matthias Bregy sorgte die Ablehnung seines Vorschlages, die Unverjährbarkeit schwerster Verbrechen im StGB zu verankern, gerade weil der Nationalrat am Vortag einer Standesinitiative mit ebendieser Forderung (Kt.Iv. 19.300) Folge gegeben hatte.
In einem zweiten Block wandte sich der Nationalrat dem Kern der Vorlage, den Strafrahmen im Besonderen Teil des StGB, zu. Hier strich er das vom Ständerat eingeführte Konzept, wonach eine Mindestgeldstrafe von X Tagessätzen immer auch eine Mindestfreiheitsstrafe von X Tagen bedeuten sollte, wieder aus dem Gesetz. Einer Minderheit Bregy folgend nahm er einen neuen Straftatbestand für die Sprengung von Geldautomaten auf. Der Aufhebung einiger Sondernormen bei Vermögensdelikten und des Tatbestandes der staatsgefährlichen Propaganda stimmte die grosse Kammer wie vom Bundesrat vorgeschlagen zu und schuf damit weitere Differenzen zur Schwesterkammer, die diese Änderungen abgelehnt hatte. Beim viel diskutierten Artikel 285 StGB betreffend die Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte lagen dem Nationalrat vier verschiedene Konzepte vor. Er entschied sich für dasjenige seiner Kommissionsmehrheit, die dem Bundesrat im Grundsatz folgte, aber bei Gewalttaten im Kontext einer Zusammenrottung einen differenzierteren Weg wählte. So soll Gewalt an Personen aus einem zusammengerotteten Haufen heraus künftig mit mindestens drei Monaten Freiheitsstrafe geahndet werden. Für Gewalt an Sachen setzte die grosse Kammer mindestens eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen fest. Der Bundesrat hatte für Gewalt an Personen oder Sachen eine Mindestgeldstrafe von 120 Tagessätzen vorgeschlagen; der Ständerat hatte eine zwingende Freiheitsstrafe gefordert. Des Weiteren beantragte die Kommissionsmehrheit, den Tatbestand der Majestätsbeleidigung aus dem StGB zu streichen, was der Nationalrat aber ablehnte. Er folgte der Minderheit Lüscher (fdp, GE), die sich für die Beibehaltung der Norm einsetzte.
Zuletzt nahm sich die Volkskammer der Anpassung des Nebenstrafrechts an, wo sie unter anderem die Gelegenheit nutzte, auf Antrag ihrer Kommissionsmehrheit die ihrer Ansicht nach unverhältnismässige Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe aus dem sogenannten Raserartikel im Strassenverkehrsgesetz zu streichen. Eine unterlegene Minderheit Nidegger hatte beantragt, den Raserartikel ganz zu streichen. In der Gesamtabstimmung stimmte der Nationalrat dem Bundesgesetz über die Harmonisierung der Strafrahmen mit 134 zu 48 Stimmen und dem Bundesgesetz über die Anpassung des Nebenstrafrechts an das geänderte Sanktionenrecht mit 133 zu 48 Stimmen zu. Dagegen stimmten jeweils die geschlossene SVP-Fraktion sowie SP-Vertreterin Tamara Funiciello (sp, BE). Die Ablehnung der SVP-Fraktion kam angesichts der vielen gescheiterten Minderheitsanträge für diverse Strafrechtsverschärfungen aus ihren Reihen wenig überraschend. Barbara Steinemann (svp, ZH) hatte die Vorschläge des Bundesrates schon in der Eintretensdebatte als blosse «Basteleien am Strafrahmen [...] ohne konkrete Auswirkungen auf die Strafrechtspraxis» bezeichnet. Im Anschluss an die Debatte schrieb der Nationalrat die Vorstösse 06.3554, 09.3366, 08.3131, 10.3634 und 17.3265 stillschweigend ab.

Harmonisierung der Strafrahmen (BRG 18.043)
Dossier: Revision des Strafgesetzbuches (2008– )
Dossier: Harmonisierung der Strafrahmen (Besonderer Teil des Strafgesetzbuches)

In der Sommersession 2020 befasste sich der Nationalrat als Zweitrat mit dem Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Terrorismusbekämpfung (PMT). In der langen Eintretensdebatte wurden die grundsätzlichen Fragen erörtert, ob die vorgesehenen Massnahmen mit den Menschenrechten vereinbar seien und ob es sie überhaupt brauche. Während die Fraktionen der Grünliberalen, der Grünen und der Sozialdemokraten beide Fragen entschieden verneinten, zeigte sich die bürgerliche Ratsseite sowohl von der Notwendigkeit als auch von der Völkerrechtskonformität des Gesetzes vollkommen überzeugt. GLP-Nationalrätin Katja Christ (glp, BS) beantragte Nichteintreten, weil die Gesetzesvorlage die Schweiz nicht sicherer mache, sondern den Rechtsstaat untergrabe. «Rund achtzig Nichtregierungsorganisationen sowie namhafte Straf- und Völkerrechtler» seien sich darin einig, dass mit den geplanten Massnahmen «eine Grenze überschritten» werde, nahm Christ auf die mediale Diskussion im Vorfeld der Ratsdebatte Bezug und warnte pathetisch: «Die Freiheit stirbt mit Sicherheit». Ins gleiche Horn blies Grünen-Vertreterin Marionna Schlatter (gp, ZH), die das Geschäft an den Bundesrat zurückweisen wollte. Sie forderte, die unklare Definition des Gefährders müsse überarbeitet werden, «denn weder Sie noch sonst jemand kann das Gegenteil beweisen, wenn ihr oder ihm vorgeworfen wird, potenziell gefährlich zu sein.» Gerade die Grundrechte seien «unser stärkstes Schutzschild» im Kampf gegen den Terrorismus und sie hoffe deshalb, dass die öffentliche Kritik der Menschenrechtsbeauftragten des Europarats sowie der UNO-Sonderberichterstatter «in diesem Saal etwas bewegt» habe. Dasselbe postulierte die Sozialdemokratin Franziska Roth (sp, SO), die ebenfalls einen Rückweisungsantrag stellte. Das Gesetz gefährde «das, was wir eigentlich vor Terrorismus schützen wollen, und das ist, gelinde gesagt, Stumpfsinn», polterte sie. Der Bundesrat müsse die vorgeschlagenen Massnahmen – insbesondere jene, die Kinder und Jugendliche betreffen, was «der Schweiz nicht würdig» sei – deshalb auf Vereinbarkeit mit der Bundesverfassung und mit dem Völkerrecht sowie auf ihre Notwendigkeit prüfen und einen Mitbericht der RK-NR einfordern. Kommissionssprecher Mauro Tuena (svp, ZH) plädierte dagegen für Eintreten und gegen die Rückweisungen, denn die Verschärfungen seien angesichts der terroristischen Bedrohungslage dringend notwendig. «Mit diesen Präventivmassnahmen können Menschenleben gerettet werden», appellierte er an das Ratsplenum. SVP-Fraktionssprecher Jean-Luc Addor (svp, VS) erklärte, die Schweiz befinde sich gegenüber dem Terrorismus in einer «Situation der legitimen Selbstverteidigung» und dass Kinder von Terrorgruppen benutzt würden, sei «eine traurige Realität». Dass internationale Menschenrechtsinstitutionen die Schweiz öffentlich kritisiert hatten, oder in seinen Worten sich «mit mindestens zweifelhafter Legitimität» für «berechtigt» gehalten hätten, den Volksvertretern eines souveränen Staats «eine Predigt zu halten» und ihnen zu «erklären», was sie tun dürften und was nicht, bezeichnete er indes als «einigermassen originell». FDP-Sprecher Rocco Cattaneo (fdp, TI) hob hervor, dass mit diesem Gesetz die kantonalen und kommunalen Polizeikorps «endlich» die Möglichkeit erhielten, schnell zu reagieren. Alois Gmür (cvp, SZ) legte die Position der Mitte-Fraktion so dar, dass es eben «gewisse Opfer» brauche, «wenn man tatsächlich mehr Sicherheit will», worauf ihm SP-Nationalrat Fabian Molina (sp, ZH) die rhetorische Frage stellte, ob es dann nicht am sinnvollsten wäre, «dass man alle Männer von 15 bis 50 Jahren präventiv unter Hausarrest stellen würde, um die Anzahl der Delikte gegen Leib und Leben auf nahezu null zu reduzieren». Mit vielen Fragen konfrontiert wurde auch Bundesrätin Karin Keller-Sutter, die in ihrem Votum die Notwendigkeit der Vorlage betonte und mehrfach bekräftigte, der Bundesrat habe die Grundrechtsfragen «vertieft und sorgfältig geprüft». Die international geäusserten Bedenken teile sie nicht und erachte sie als «unbegründet», erläuterte sie. Es handle sich dabei um «eine politische Stellungnahme», die aber «rechtlich nicht sehr präzis» und eher «Ausdruck einer allgemeinen Sorge» gewesen sei.
Nach einem langen, veritablen Schlagabtausch zwischen dem befürwortenden und dem ablehnenden Lager trat der Nationalrat schliesslich mit 107 zu 84 Stimmen bei einer Enthaltung auf das Geschäft ein. Die beiden Rückweisungsanträge wurden mit 85 zu 106 Stimmen (1 Enthaltung) respektive 85 zu 105 Stimmen (2 Enthaltungen) abgelehnt. Es standen sich dabei das links-grün-grünliberale und das bürgerliche Lager jeweils geschlossen gegenüber. In der Detailberatung brachte das links-grüne Lager etliche Minderheitsanträge zur Abschwächung der Vorlage ein, die allesamt scheiterten. Ebenso erfolglos blieb der einzige Änderungsantrag der Kommissionsmehrheit, die einen neuen Artikel zur sogenannten gesicherten Unterbringung von Gefährdern (GUG) einbringen wollte. Mit diesem Artikel könnten «klar Leben gerettet werden», argumentierte Kommissionssprecher Tuena, während die Kommissionsminderheit um Beat Flach (glp, AG) betonte, diese Massnahme sei nicht EMRK-konform. Auch nach Ansicht des Bundesrates gehe eine solche Präventivhaft – im Gegensatz zum Hausarrest als ultima ratio – «tatsächlich zu weit», weshalb der Bundesrat trotz Bitten der Kantone ausdrücklich auf die GUG verzichtet habe, wie die Justizministerin ausführte. Mit 113 zu 78 Stimmen bei 2 Enthaltungen folgte der Nationalrat der Minderheit und lehnte die Präventivhaft ab – dies, weil sich hier zusätzlich zur links-grünen Ratsseite auch die grosse Mehrheit der FDP-Fraktion sowie eine Minderheit der Mitte-Fraktion zum Nein-Lager gesellten. Somit nahm die grosse Kammer die inhaltlich unveränderte Vorlage – es wurden jedoch einige redaktionelle Anpassungen vorgenommen – in der Gesamtabstimmung mit 111 zu 86 Stimmen ohne Enthaltungen an. Abgelehnt hatten das Gesetz die geschlossenen Fraktionen der SP, der Grünen und der Grünliberalen sowie SVP-Nationalrat Pirmin Schwander (svp, SZ).

Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT; 19.032)
Dossier: Strategie der Schweiz zur Terrorismusbekämpfung
Dossier: PMT und damit umgesetzte Vorstösse
Dossier: Vorstösse und Massnahmen zur Bekämpfung islamistischer Radikalisierungstendenzen

Der Ständerat hatte in der Frühjahrssession 2020 die vom Bundesrat vorgeschlagenen polizeilichen Massnahmen zur Terrorismusbekämpfung (PMT) weitgehend unverändert übernommen. Damit sollen terroristische Gefährderinnen und Gefährder als letztes Mittel unter Hausarrest gestellt werden können, auch wenn sie noch minderjährig sind. Daran entzündete sich nachfolgend eine öffentliche Debatte über die Rechtsstaatlichkeit solcher Massnahmen. Wer ein Gefährder oder eine Gefährderin ist, sei nur «äusserst schwammig» definiert, monierte die WOZ, und es sei beängstigend, «wie sorglos die ParlamentarierInnen mit den Grundrechten umgehen». Weiter lastete die Zeitung der Kantonskammer «Arbeitsverweigerung» an, weil sie sich nicht mit diesen grundlegenden Fragen auseinandergesetzt habe. Kritisch ausgefallen ist, wie die Presse im Mai berichtete, auch ein Rechtsgutachten, das vom Bund und den Kantonen in Auftrag gegeben worden war. Darin warnte Rechtsprofessor Andreas Donatsch vor einer Verletzung der EMRK – dass ein Mensch als gefährlich eingestuft werde, genüge nicht, um ihn einzusperren. Zum selben Schluss kamen sowohl das UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte als auch die Menschenrechtskommissarin des Europarates, Dunja Mijatović. Man befürchte, «dass die Anwendung dieses Gesetzes zu erheblichen Verletzungen der Menschen- und Grundrechte führt», zitierte beispielsweise der «Sonntags-Blick» aus dem Schreiben an den Bundesrat, das fünf UNO-Sonderberichterstatter unterzeichnet hatten. Die unpräzisen Formulierungen bzw. das vage Konzept des «potenziellen Terroristen» bereiteten das Feld für willkürliche Freiheitsentzüge und die vorgesehenen Massnahmen seien so weder mit der EMRK noch – da zum Teil schon ab 12 Jahren angedacht – mit der UNO-Kinderrechtskonvention vereinbar, lautete die internationale Schelte. Europaratskommissarin Mijatović forderte die Schweizer Parlamentarierinnen und Parlamentarier zudem in einem Brief auf, «ihr Vorhaben zu revidieren», wie «Le Temps» berichtete.
Die SiK-NR goss unterdessen munter Öl ins Feuer, als sie ungeachtet der Kritik am bundesrätlichen Entwurf diesen noch verschärfte. In ihrer Sitzung Mitte Mai 2020 ergänzte sie die polizeilichen Massnahmen mit 11 zu 10 Stimmen bei 4 Enthaltungen um eine sogenannte gesicherte Unterbringung von Gefährdern (GUG), d.h. eine Präventivhaft für Personen, die keine Straftat begangen haben, denen der Nachrichtendienst dies aber zutraut. Sie wolle damit eine vom Nationalrat 2018 angenommene entsprechende Motion 16.3673 umsetzen, war ihrer Medienmitteilung zu entnehmen. Die Aargauer Zeitung kommentierte diesen Entscheid in Anbetracht der Debatte um die Rechtsstaatlichkeit des – im Vergleich zur Haft weniger einschneidenden – Hausarrests als «überraschend». Als Anführer der starken Minderheit, die sich in der Kommission gegen die Präventivhaft stellte, liessen die Medien Nationalrat Beat Flach (glp, AG) zu Wort kommen: Ein liberaler Rechtsstaat müsse andere – auch «verrückt andere» – Meinungen zulassen, denn wenn wir unsere Grundwerte über Bord würfen, hätten die Terroristen uns «in die Knie gezwungen», so Flach gegenüber der Aargauer Zeitung. Relativierend äusserte sich in derselben Zeitung dagegen Kommissionspräsidentin Ida Glanzmann-Hunkeler (cvp, LU): «Damit man in der Schweiz als Gefährder eingestuft wird, braucht es mehr als eine extreme Meinungsäusserung.»
Bevor sich in der Sommersession 2020 der Nationalrat mit dem Geschäft befassen wird, sprachen sich in der Presse Vertreterinnen und Vertreter von Menschenrechtsorganisationen sowie Kinder- und Grundrechtsexperten noch einmal vehement gegen die umstrittenen Massnahmen aus. Bei der Terrorbekämpfung dürften die Menschenrechte nicht aussen vor bleiben, forderten sie unisono. Ausserdem habe die Schweiz mit Genf als «UNO-Menschenrechtshauptstadt» durchaus einen Ruf zu verlieren, gab eine Vertreterin von Amnesty International gegenüber dem «Corriere del Ticino» zu bedenken.

Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT; 19.032)
Dossier: Strategie der Schweiz zur Terrorismusbekämpfung
Dossier: PMT und damit umgesetzte Vorstösse
Dossier: Vorstösse und Massnahmen zur Bekämpfung islamistischer Radikalisierungstendenzen