In der Sommersession begann der Ständerat als Erstrat mit den Beratungen zum Via-Sicura-Massnahmenpaket. Die Vorlage enthält 23 Massnahmen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit in den Bereichen Prävention, Repression, Durchsetzung bestehender Regeln, Infrastrukturmassnahmen und Unfallstatistik. Neben den entsprechenden Anpassungen des Strassenverkehrsgesetzes war zusätzlich eine Änderung der Verordnung über Alkoholgrenzwerte im Strassenverkehr vorgesehen. In vier Punkten wich der Ständerat von der Bundesratsvorlage ab: Indem sie die vorgeschlagene Sehtestpflicht ab dem 50. Altersjahr (derzeit ab 70 Jahren) ablehnte, verzichtete die Kleine Kammer erstens auf eine Ausweitung der Befristung von Fahrausweisen für private Motorfahrzeugführer. Um den Forderungen der Raserinitiative entgegenzukommen, verschärfte sie zweitens die Sanktionen bei groben Geschwindigkeitsüberschreitungen, waghalsigem Überholen und bei Raserrennen. Drittens wurde das bestehende Fahrradverbot für vorschulpflichtige Kinder umgeformt. Neu sollte nach dem Willen des Ständerats eine Alterslimite von sieben Jahren für das unbegleitete Fahrradfahren auf öffentlichen Strassen gelten. Sechsjährigen würde jedoch das Befahren von Wohnstrassen, Tempo-30-Zonen, Radwegen und dergleichen zusammen mit einer über sechzehnjährigen Begleitperson erlaubt. In Bezug auf das Helmobligatorium folgte die Kleine Kammer gegen die Kommissionsmehrheit dem Bundesrat und sprach sich für eine Helmtragepflicht bis zum 14. Altersjahr aus. Unter abermaliger Berücksichtigung der Roadcross-Initiative ergänzte der Ständerat viertens das Geschäft mit dem sogenannten Raserartikel, verschärften Bussbestimmungen bei einer besonders „krassen Missachtung“ der zulässigen Höchstgeschwindigkeit. Ein solches Übertreten soll mit einer Freiheitsstrafe von bis zu vier Jahren geahndet werden können, wobei eine Geldstrafe a priori ausgeschlossen wäre. In der Schlussabstimmung verabschiedete die Kleine Kammer ihre Vorlage zuhanden des Zweitrats einstimmig (28 zu 0 Stimmen, bei zwei Enthaltungen). Beim zweiten Teil der Via-Sicura-Vorlage, der Verordnung der Bundesversammlung über Alkoholgrenzwerte im Strassenverkehr, folgte der Ständerat ohne Gegenstimme dem Bundesratsentwurf, der hier die Harmonisierung mit dem EU-Recht anstrebt, wonach zum beweissicheren Nachweis des Fahrens unter Alkoholeinfluss die Atemalkoholprobe genügen soll. Der Nationalrat befand mit 129 zu 45 Stimmen vorwiegend aus der SVP-Fraktion gegen den Nichteintretensantrag einer Kommissionsminderheit. Diese warnte vor einer Kriminalisierung des Individualverkehrs sowie vor einer Sicherheitshysterie und Überregulierung. In der Detailberatung schuf die Grosse Kammer zum Erstrat folgende Differenzen: Zuerst strich er die Befristung der Fahrerlaubnis für berufsmässige Motorfahrzeugführer. Auf Antrag einer Kommissionsminderheit stellte sich der Nationalrat zudem knapp gegen die Berufung eines Verkehrssicherheitsbeauftragten, wie sie in der Bundesratsvorlage vorgesehen und vom Ständerat abgesegnet worden war. Vergeblich stellte sich eine Kommissionsminderheit aus FDP, SVP und Lega gegen die vorgesehene Verschärfung von Art. 90a SVG (Strassenverkehrsgesetz), der neu den Einzug und die Verwertung von Raserfahrzeugen ermöglichen sollte. Mit ihrem Hinweis auf die verfassungsmässig verankerte Eigentumsgarantie drang sie bei der Ratsmehrheit nicht durch. Einer Mehrheit der KVF-NR war die vom Ständerat in die Vorlage eingebrachte Zusatzlösung der eingeschränkten Fahrerlaubnis für sechsjährige Velofahrende zu kompliziert. Der Nationalrat folgte deshalb der Kommissionsmehrheit und kippte die Ergänzung aus seiner Version. Auch in Bezug auf die Helmpflicht für Jugendliche bis 14 Jahre folgten 126 Ratsmitglieder aller Couleur der Kommissionsmehrheit und setzten gegen den Willen von Bundes- und Ständerat auf die Gewissenhaftigkeit der Erziehungsberechtigten und die Eigenverantwortung der Fahrradfahrenden. In der Schlussabstimmung überwies der Nationalrat seinen von der Ständeratsvorlage abweichenden Entwurf mit 114 zu 53 Stimmen. Letztere stammten von einer geschlossen stimmenden SVP und vier Mitgliedern der FDP-Fraktion. In der Frage des gewünschten Modus zur beweissicheren Feststellung der Fahrunfähigkeit stellte sich die Grosse Kammer gegen Ständerat, Bundesrat und Kommissionsmehrheit und blieb bei der geltenden Regel, die für einen justiziablen Entscheid eine Blutalkoholprobe verlangt. Die Differenzbereinigung der Via-Sicura-Vorlage ist für 2012 geplant.
Via-Sicura-Vorlage (Mehr Sicherheit im Strassenverkehr, BRG 10.092)
Dossier: Wie soll mit Raserdelikten umgegangen werden?