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Jahresrückblick 2022: Föderativer Aufbau

Die Diskussionen über Krisentauglichkeit und allfälligen Reformbedarf des schweizerischen föderalistischen Systems hielten 2022 wie schon in den Vorjahren an, allerdings in geringerer medialer Intensität: Mit dem Abflauen der Covid-19-Pandemie und der Aufhebung der meisten Massnahmen ging Anfang Jahr auch das Medieninteresse an Fragen des Föderalismus auf das Niveau vor der Pandemie zurück (siehe die Abbildungen in der angehängten APS-Zeitungsanalyse 2022).
Viele Medien, Behörden und Forschende zogen aber Bilanz darüber, ob der Föderalismus bei der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie eher Fluch oder Segen gewesen sei. Dabei herrschte weitgehend Einigkeit, dass der Föderalismus verschiedentlich einem Schwarzpeter-Spiel Vorschub leistete, bei dem Bund und Kantone sich gegenseitig die Verantwortung für unpopuläre Entscheidungen zuschoben. Kantonal unterschiedliche Regelungen wurden oft als Flickenteppich wahrgenommen, was möglicherweise der generellen Akzeptanz von Einschränkungen schadete. Andererseits wurden dank dem «föderalen Labor» diverse innovative Lösungen in einem Kanton entwickelt und konnten im Erfolgsfall dann auch anderswo übernommen werden – so etwa die Zürcher Lösung für die Unterstützung von Kulturschaffenden, das Zuger Ampelsystem oder die Bündner Massentests, welche ihrerseits aus dem Wallis inspiriert waren. Weil der Föderalismus zu einer breiteren Abstützung politischer Massnahmen zwingt, hat er gemäss einer verbreiteten Einschätzung die Entscheidungsfindung verlangsamt und tendenziell verwässert, die Akzeptanz in der Gesellschaft dadurch aber vermutlich verbessert. Kritik gab es in den Medien, aber auch aus den Kantonen, an der Rolle der interkantonalen Konferenzen der Kantonsregierungen: Diese seien fälschlicherweise als Sprachrohre der Kantone gegenüber dem Bund und der Öffentlichkeit wahrgenommen worden.

Aufgrund dieser Diskussionen wurden teilweise auch Konsequenzen in Form von institutionellen Anpassungen gefordert. Ein von verschiedenen Seiten vorgebrachtes Anliegen war eine klarere Kompetenzzuteilung und eine bessere Koordination zwischen Bund und Kantonen. Derweil rückte die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) wieder von ihrer Ende 2020 formulierten Forderung nach einem paritätisch zusammengesetzten politisch-strategischen Führungsorgan von Bund und Kantonen ab; sie erachtete nun im Fall einer Krise bloss noch einen gemeinsamen Krisenstab auf operativer Ebene und eine Intensivierung des Dialogs auf strategischer Ebene für nötig. Zudem solle das Epidemiengesetz dem Bund künftig bereits in der besonderen Lage (und nicht erst in der ausserordentlichen Lage) eine «strategische Gesamtführung» und zusätzliche Kompetenzen für landesweite Massnahmen übertragen. Kritikerinnen und Kritiker witterten darin eine neue Schwarzpeter-Strategie: Die KdK wolle Verantwortung an den Bund abschieben. Die KdK selbst argumentierte hingegen, es gehe ihr um die Vermeidung von Flickenteppichen.

Die zwei Seiten der Föderalismusmedaille – einerseits Begünstigung innovativer Lösungen durch das föderale Labor, andererseits Verlangsamung einheitlicher Lösungen und Koordinationsbedarf zwischen Bund und Kantonen – blieben auch in anderen Bereichen ein unerschöpfliches Thema der öffentlichen Diskussion. So wurde etwa diskutiert, ob der Föderalismus bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung(en) in der Schweiz als Motor oder vielmehr als Bremsklotz wirke.
Die Aufgabenteilung und die Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen war auch bei der Aufnahme der zahlreichen nach der russischen Invasion aus der Ukraine Geflüchteten ein Thema. Aufgrund der erstmaligen Aktivierung des Schutzstatus S waren dabei Fragen zu klären, wie jene nach einem Schlüssel für die Zuteilung der Geflüchteten auf die Kantone oder nach der finanziellen Unterstützung des Bundes für ihre Betreuung in den Kantonen.
In der Diskussion um eine drohende Energieknappheit forderte die Konferenz kantonaler Energiedirektoren (EnDK) nebst der Einberufung eines Krisenstabs auf Bundesebene mehr und frühzeitigere koordinierende Vorgaben vom Bund, worauf dieser vorerst nicht einging. Manche Kommentatorinnen und Kommentatoren fühlten sich an das «Gschtürm» während der Covid-19-Pandemie erinnert: Erneut schöben Bund und Kantone einander gegenseitig die Verantwortung für unpopuläre Massnahmen zu.

Die Debatte um das Verhältnis zwischen Stadt und Land flaute im Vergleich zum Vorjahr deutlich ab – bis sie im Zusammenhang mit den Bundesratsersatzwahlen im Dezember unvermittelt wieder hochkochte: Einige Stimmen in den Medien befürchteten aufgrund der Wohnorte der künftigen Bundesratsmitglieder eine Übervertretung der ländlichen Schweiz, andere sahen auf lange Sicht gerade im Gegenteil die Städte übervertreten, während Agglomerations- und Landgemeinden weniger Bundesratsmitglieder stellten als es ihrem Bevölkerungsanteil entspräche. Dagegen gehalten wurde aber vor allem auch, dass die aktuellen Wohnorte der Bundesratsmitglieder bloss von marginaler Bedeutung für die Vertretung regionaler Interessen in der Schweiz seien.

Derweil tat sich bei zwei Volksabstimmungen ein Röstigraben auf: Sowohl beim knappen Ja zur AHV-21-Reform als auch beim Nein zum Medienpaket wurde die Romandie (und bei der AHV zudem das Tessin) von einer Mehrheit der Deutschschweiz überstimmt. Zwei im Berichtsjahr erschienene Studien zum Röstigraben gaben indessen eher zu Gelassenheit Anlass: Sie zeigten unter anderem, dass sämtliche Kantone – auch jene der Sprachminderheiten – deutlich häufiger auf der Gewinner- als auf der Verlierseite stehen und dass es bisher nicht einmal bei jeder hundertsten Volksabstimmung zu einem «perfekten» Röstigraben gekommen ist, bei dem sämtliche mehrheitlich französischsprachigen Kantone auf der einen und sämtliche Deutschschweizer Kantone auf der anderen Seite standen.

In der schier unendlichen Geschichte um die Kantonszugehörigkeit von Moutier unternahmen Beschwerdeführende 2022 einen Versuch, das Abstimmungsergebnis von 2021 mit einem Rekurs umzustossen. Das bernische Statthalteramt trat auf den Rekurs jedoch nicht ein, sodass es nicht zu einer weiteren Abstimmungswiederholung kommt: Moutier wird also vom Kanton Bern zum Kanton Jura übertreten – und zwar möglichst per 1. Januar 2026. Auf dieses Datum konnten sich die beiden Kantone und der Bund inzwischen einigen. Bis dahin ist noch eine Reihe inhaltlicher Fragen zu lösen, und das Ergebnis muss in Volksabstimmungen in den Kantonen Bern und Jura sowie mit einem Parlamentsbeschluss des Bundes abgesegnet werden.
Nachdem die bisher ebenfalls bernische Gemeinde Clavaleyres diesen Prozess bereits durchlaufen hatte, stellte der Wechsel von Clavaleyres zum Kanton Freiburg am 1. Januar 2022 nur noch eine Vollzugsmeldung dar. Es handelte sich dabei um die erste Grenzverschiebung zwischen zwei Schweizer Kantonen seit 1996, als Vellerat den Kanton Bern zugunsten des Kantons Jura verliess.

Häufiger als Kantonswechsel sind Gemeindefusionen innerhalb desselben Kantons. Der Trend zu weniger und grösseren Gemeinden ging 2022 weiter: Am 1. Januar 2022 betrug die Zahl der Gemeinden in der Schweiz 2'148, das waren 24 weniger als ein Jahr davor. Damit ging die Entwicklung in einem ähnlichen Tempo weiter wie in den Vorjahren.

Jahresrückblick 2022: Föderativer Aufbau
Dossier: Jahresrückblick 2022

Jahresrückblick 2022: Aussenpolitik

Nach der Corona-Pandemie und dem institutionellen Rahmenabkommen 2020 und 2021 wurde das Jahr 2022 nun von einem gänzlich neuen Thema dominiert: Der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine löste in der Schweiz nicht nur Diskussionen zum Sanktionswesen aus, sondern auch eine Grundsatzdebatte zur Schweizer Neutralitätspolitik. Die APS-Zeitungsanalyse für das Jahr 2022 zeigt – im Vergleich zu den Vorjahren – das Aufkommen komplett neuer Themenschwerpunkte wie «Neutralität» und «Sanktionen» in der Medienberichterstattung (vgl. Abbildung 2 der Analyse im Anhang). Wenig überraschend zeigen sich Ausschläge in der Artikelzahl zum Thema Aussenpolitik im Februar und März rund um den Kriegsausbruch in der Ukraine. Zwar nahm der prozentuale Anteil der Berichte dazu in den folgenden Monaten ab, hielt sich aber bis in den Herbst hinein auf einem hohen Niveau.

Das Jahr 2022 begann aussenpolitisch mit einem grossen Paukenschlag, dem Kriegsausbruch in der Ukraine Ende Februar, der den Bundesrat gemäss Medien völlig auf dem falschen Fuss erwischte. Noch im Januar hatten sich die Aussenminister Russlands und der USA in Genf getroffen, um die angespannte Lage an der russisch-ukrainischen Grenze zu deeskalieren. Aussenminister Cassis hatte damals von einer «freundschaftlichen, aber konzentrierten Stimmung» gesprochen. Der Angriff Russlands auf die Ukraine im Donbass löste im Parlament, wie auch in der Bevölkerung heftige Reaktionen aus. Stände- und Nationalrat verabschiedeten wenige Tage nach Kriegsausbruch eine Erklärung, mit der sie einen sofortigen Waffenstillstand verlangten, und übten in der Folge Druck auf den Bundesrat aus, wirtschaftliche Sanktionen der EU zu übernehmen. Nach mehreren verbalen Verurteilungen des Vorgehen Russlands als völkerrechtswidrig und aufgrund des massiven Drucks aus dem In- und Ausland beschloss der Bundesrat am 27. Februar die Übernahme der Sanktionspakete der EU gegen Russland. Bundespräsident Cassis wurde in der Folge nicht müde zu betonen, dass die Schweiz ihre Neutralität mit dieser Art der Sanktionsübernahme beibehalte. In den folgenden Wochen und Monaten übernahm die Schweiz sämtliche Ausweitungen der Sanktionen der EU gegen Russland – und später auch gegen Belarus. Fast zeitgleich zur Übernahme des EU-Sanktionsregimes gab die Regierung bekannt, die ukrainische Bevölkerung mit Hilfsgütern zu unterstützen. Ein erstes Paket in Höhe von CHF 8 Mio. wurde in raschen Abständen durch weitere Hilfsgüterlieferungen und die finanzielle Unterstützung von humanitären Organisationen ergänzt. Im Bereich der Guten Dienste unterstützte die Schweiz den Reform- und Wiederaufbauprozess in der Ukraine mithilfe der von langer Hand geplanten Ukraine Recovery Conference, die im Juli in Lugano stattfand. Die seit 2017 jährlich stattfindende Ukraine Reform Conference wurde angesichts des Kriegsgeschehens umbenannt und inhaltlich neu ausgerichtet.

Der Erlass und die Übernahme von Sanktionen stellten nicht nur den Bundesrat, sondern auch das Parlament vor neue Fragen und hielten dieses auf Trab. Davon zeugen nicht nur die parlamentarischen Vorstösse zum Thema, sondern auch die intensiven Debatten, die im Rahmen der Anpassung des Embargogesetzes geführt wurden. Eine bereits im Jahr 2019 eingereichte parlamentarische Initiative zur Einführung einer Rechtsgrundlage für gezielte Sanktionen bei schweren Menschenrechtsverletzungen und Korruption durch hochrangige Politiker und Politikerinnen erhielt aufgrund der geopolitischen Umstände besondere Relevanz. Zwar wurde diese vom Ständerat abgelehnt, doch trug sie massgeblich zu einer umfassenden Debatte innerhalb des Parlaments über das Schweizer Sanktionswesen bei. Im Mai 2022 verlangte die APK-NR vom Bundesrat mittels einer Kommissionsmotion die Entwicklung einer kohärenten, umfassenden und eigenständigen Sanktionspolitik. Der reine Nachvollzug von EU- und UNO-Sanktionen genügten nach Ansicht der Kommission nicht, um die Landesinteressen der Schweiz in den Bereichen Sicherheit, Versorgungssicherheit und Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten.

Eng mit den Überlegungen zur Sanktionsthematik verknüpft war die Frage, inwiefern die Schweiz diese mit ihrer Neutralität respektive mit ihrer Neutralitätspolitik vereinbaren könne. Während die SVP die Schweizer Neutralität durch die übernommenen EU-Sanktionen als bedroht erachtete, liess Alt-Bundesrat Blocher bezüglich der Sanktionsübernahme verlauten: «Wer hier mitmacht, ist eine Kriegspartei.» Derweil wünschte sich die APK-SR vom Bundesrat in einem Postulat mehr Klarheit und Orientierung in der Neutralitätspolitik. Diese Forderung versprach der Bundesrat durch einen aktualisierten Neutralitätsbericht – der letzte stammte aus dem Jahr 1993 – zu erfüllen. Aussenminister Cassis scheiterte jedoch Anfang September mit der Konzeptionierung der von ihm geprägten «kooperativen Neutralität», als der Gesamtbundesrat den Neutralitätsbericht zurückwies. Erst Ende Oktober verabschiedete die Regierung den Bericht in Erfüllung des Postulats und beschloss, an der Neutralitätspraxis aus dem Jahr 1993 festzuhalten. Im gleichen Monat kündigte die neu gegründete nationalkonservative Gruppierung «Pro Schweiz» an ihrer Gründungsversammlung die Lancierung einer Volksinitiative an, mit der sie die «immerwährende bewaffnete Neutralität» der Schweiz in der Verfassung festschreiben will.

Wenn auch nicht im gleichen Ausmass wie in den Jahren zuvor, sorgten aber auch im Jahr 2022 die bilateralen Beziehungen mit der EU für einige Schlagzeilen. Insbesondere die vom Bundesrat im Januar vorgestellte neue Stossrichtung für das Verhandlungspaket mit der EU sorgte aufgrund des gewählten sektoriellen Ansatzes vielerorts für Kopfschütteln, nicht zuletzt bei EU-Vertreterinnen und -Vertretern selbst. Auch das Parlament kämpfte weiterhin mit den Nachwehen des gescheiterten Rahmenabkommens und beschäftigte sich mit der Vielzahl der 2021 eingereichten parlamentarischen Vorstösse, deren Forderungen von einer nachhaltigen Zusammenarbeit mit der EU, über einen EWR-Beitritt bis zum EU-Beitritt reichten. Der vom Bundesrat versprochene Europabericht, welcher eine Vielzahl der Vorstösse hätte beantworten sollen, liess indes auf sich warten. Im März schwebte überdies die Abstimmung über das Frontex-Referendum wie ein Damoklesschwert über der sowieso schon belasteten Beziehung mit der EU. Ein Nein hätte unter Umständen den Ausschluss aus dem Schengen/Dublin-Abkommen nach sich ziehen können. Zwar verschwanden entsprechende Diskussionen nach dem deutlichen Ja im März 2022 rasch, ein im Sommer publik gewordener Briefwechsel zwischen EU-Vize-Kommissionspräsident Maros Sefčovič und Staatssekretärin Livia Leu warf jedoch ein erneut negatives Licht auf den Stand der bilateralen Verhandlungen. Daraus ging hervor, dass auf beiden Seiten weiterhin Unklarheiten über die jeweiligen Forderungen und roten Linien existierten. Etwas Versöhnlichkeit zeigte das Parlament im März, als es einer Aktualisierung des Abkommens mit der Europäischen Gemeinschaft über Zollerleichterungen und Zollsicherheit zustimmte, sowie in der Herbstsession mit der Annahme zweier Vorlagen zur Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands. Auch die Anpassungen der Systeme ETIAS und VIS waren in beiden Räten ungefährdet.

Im Gegensatz zu den stagnierenden Beziehungen zur EU zeigte sich die Schweiz sehr aktiv im Umgang mit einzelnen Partnerländern. Das Verhältnis zum Vereinigten Königreich wurde im Frühling 2022 unter anderem durch ein Mobilitätsabkommen für Dienstleistungserbringende, ein Sozialversicherungsabkommen und durch einen Präsidialbesuch von Bundespräsident Cassis in London gestärkt. Ebenfalls im Frühjahr reiste Cassis wenige Wochen nach der Annahme des neuen Grenzgängerabkommens mit Italien im Parlament nach Italien, um sich unter anderem mit dem italienischen Aussenminister Luigi di Maio zu treffen. Generell zeigte sich Cassis in seiner Doppelrolle als Aussenminister und Bundespräsident sehr reise- und gesprächsfreudig. Das belegen unter anderem Staatsbesuche in Österreich und der Tschechischen Republik, Polen und Moldawien, Japan, Niger und dem Vatikan, aber auch Gespräche mit dem Aussenminister der VAE und der slowakischen Präsidentin Zuzana Čaputová.
In seiner Chinapolitik musste der Bundesrat 2022 innenpolitisch mehrere Dämpfer hinnehmen: Das Parlament stimmte gegen seinen Willen mehreren Motionen zu, mit denen die wirtschaftlichen Beziehungen mit China und der Whole-of-Switzerland-Ansatz anders ausgestaltet werden sollen.
Auf multinationaler Ebene stach insbesondere die erfolgreiche Wahl der Schweiz als nichtständiges Mitglied des UNO-Sicherheitsrats im Juni hervor. Darüber hinaus beschloss das Parlament, dass sich die Schweiz weiterhin an der internationalen Währungshilfe beteiligen soll, und verabschiedete einen Verpflichtungskredit in Höhe von CHF 10 Mrd. bis 2028, der als Notreserve bei starken Störungen des internationalen Währungssystems eingesetzt werden kann.

Jahresrückblick 2022: Aussenpolitik
Dossier: Jahresrückblick 2022

Jahresrückblick 2022: Rechtsordnung

Im Jahr 2022 standen im Themenbereich Rechtsordnung mehrere grosse zivil- und strafrechtliche Gesetzesrevisionen auf der Agenda, so etwa die beiden langjährigen Grossprojekte zur Verbesserung der Praxistauglichkeit der Straf- und der Zivilprozessordnung. Beide Gesetze waren in den 2000er-Jahren geschaffen worden, um die bis dahin verschiedenen kantonalen Verfahrensregeln schweizweit zu vereinheitlichen. Knapp zehn Jahre nach Inkrafttreten wurden die beiden Prozessordnungen – nicht zuletzt in Reaktion auf zahlreiche parlamentarische Vorstösse – einer Gesamtschau unterzogen und wo nötig überarbeitet.

Bei der Revision der Strafprozessordnung, die im Sommer 2022 abgeschlossen wurde, blieb der ganz grosse Wurf nach umfangreichen Debatten letztlich aus. Mit seinem Hauptanliegen, der Einschränkung der Teilnahmerechte, konnte der Bundesrat nicht beide Parlamentskammern überzeugen, weshalb die heutige Regelung bis auf Weiteres unverändert bestehen bleibt. Die Regierung hatte mit der Möglichkeit, Beschuldigte unter gewissen Umständen von den Einvernahmen mitbeschuldigter Personen auszuschliessen, verhindern wollen, dass mehrere Beschuldigte ihre Aussagen einander anpassen können. Das in der juristischen Praxis festgestellte Problem, das gemäss Bundesrätin Karin Keller-Sutter einer der Hauptauslöser für die Vorlage gewesen war, blieb damit ungelöst. Dennoch wurden an der Strafprozessordnung viele punktuelle Neuerungen vorgenommen, etwa bei den Grundlagen zur Erstellung von DNA-Profilen oder bei den Verfahrensrechten. Das vom links-grünen Lager aufs Tapet gebrachte Konzept der restaurativen Gerechtigkeit wurde zwar im Zuge dieser Revision noch abgelehnt, ist aber damit nicht vom Tisch: Mit der Annahme einer entsprechenden Motion der RK-SR beauftragten die eidgenössischen Räte den Bundesrat, eine Gesetzesgrundlage zur Verankerung der «justice restaurative» in der Strafprozessordnung auszuarbeiten.

Bei der Revision der Zivilprozessordnung schlug das Parlament die wichtigsten Pflöcke ein, wenngleich Ende 2022 noch einige Differenzen bestanden. So wurden verschiedene Massnahmen getroffen, um die Prozesskosten zu senken und so den Zugang zum Gericht zu erleichtern. Zudem sollten Erleichterungen in der Verfahrenskoordination sowie die Stärkung des Schlichtungsverfahrens die Effizienz der Prozesse steigern. Im Parlament waren vor allem die Frage der zulässigen Verfahrenssprachen an kantonalen Gerichten sowie eine Lockerung der Voraussetzungen für vorsorgliche Massnahmen gegen Medien hoch umstritten. Gegen den Willen des Bundesrats setzten die eidgenössischen Räte durch, dass es einfacher sein soll, die Veröffentlichung von rufschädigenden Medienberichten mittels superprovisorischer Verfügung vorläufig zu verhindern. Erfolgreich war der Bundesrat hingegen mit seinem Ansinnen, die Einrichtung internationaler Handelsgerichte in den Kantonen zu fördern: Den Kantonen ist es künftig freigestellt, in internationalen Handelsstreitigkeiten an ihren Gerichten auch Englisch und alle Schweizer Landessprachen als Verfahrenssprachen zuzulassen.

Begleitet von einer regen gesellschaftlichen Debatte begannen die eidgenössischen Räte die Beratung der Revision des Sexualstrafrechts. Der aus der Harmonisierung der Strafrahmen herausgetrennte Entwurf war in der Vernehmlassung grundsätzlich positiv aufgenommen worden und der Reformbedarf war auch in der Gesellschaft nahezu unbestritten. In einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage hielten nur 13 Prozent der Befragten die geltenden Normen für ausreichend. Mit dem neuen Sexualstrafrecht soll etwa der Straftatbestand der Vergewaltigung neu definiert werden, so dass nicht mehr nur Frauen davon betroffen sein können und dass keine Nötigung mehr vorausgesetzt wird. Hauptstreitpunkt war sowohl im Parlament als auch ausserhalb, ob anstelle von abgenötigten sexuellen Handlungen neu Handlungen «gegen den Willen» des Opfers oder «ohne Einwilligung» des Opfers unter Strafe stehen sollen. Während sich der Bundesrat und der Ständerat als Erstrat für die sogenannte Widerspruchslösung («Nein heisst Nein») aussprachen, schwenkte der Nationalrat als Zweitrat auf die Zustimmungslösung – die in der gesellschaftlichen Debatte lautstark geforderte «Nur-Ja-heisst-Ja»-Variante – um. Der Ball liegt 2023 wieder beim Ständerat. Wie die APS-Zeitungsanalyse zeigt, war die Reform des Sexualstrafrechts ein Treiber der medialen Debatte im Bereich Rechtsordnung: Über den Jahresverlauf waren im April, im Juni sowie gegen Ende Jahr drei kleine Spitzen in der Medienaufmerksamkeit zu verzeichnen, als jeweils die Stellungnahme des Bundesrats und die Behandlung in den beiden Parlamentskammern aktuell waren.

Im Bereich Innere Sicherheit trat Anfang Juni 2022 das Bundesgesetz über präventiv-polizeiliche Massnahmen zur Terrorismusbekämpfung (PMT) in Kraft. Obwohl sich Bundesrat und Parlament bei der Ausarbeitung des PMT-Gesetzes aus Menschenrechtsbedenken gegen die Präventivhaft als zusätzliche Massnahme entschieden hatten, beschäftigte diese die eidgenössischen Räte auch nach Inkrafttreten des Gesetzes weiter. Eine 2020 eingereichte parlamentarische Initiative, die eine gesicherte Unterbringung für staatsgefährdende Personen forderte, wurde erst in der Wintersession 2022 erledigt. Derselbe Casus Belli – die fragliche Vereinbarkeit mit den Menschenrechten – lag auch der umstrittenen Abschreibung einer Motion zur Ausweisung von Terroristinnen und Terroristen in Folterstaaten zugrunde. Ein rechtsbürgerlicher Teil des Parlaments wollte sich nicht damit abfinden, dass der Bundesrat die Motion nicht umgesetzt hatte. Die Regierung hatte argumentiert, dass eine Umsetzung nicht opportun sei, da die Motion den Bruch von zwingendem Völkerrecht gefordert habe. Beide Räte stimmten letztlich aber der Abschreibung zu.

Mit Ausnahme des Sexualstrafrechts bewegte sich die Medienberichterstattung über den Bereich Rechtsordnung recht gleichförmig auf eher tiefem Niveau übers Jahr 2022 (vgl. Abbildung 1: Anteil Zeitungsberichte pro Monat). Insgesamt erhielt der Bereich Rechtsordnung im Jahr 2022 deutlich weniger mediale Aufmerksamkeit als in den Vorjahren (vgl. Abbildung 2: Anteil Zeitungsberichte pro Jahr). Zum einen stand 2022 keine Volksabstimmung im Bereich Rechtsordnung an und die in den vergangenen Jahren virulente Diskussion über die Corona-Massnahmen war 2022 deutlich weniger relevant. Zum anderen vereinnahmten der Ukraine-Krieg und die damit verbundenen Debatten über die Aufnahme von Flüchtenden, über Sanktionen und Neutralität sowie über eine drohende Energiekrise einen Grossteil der Medienaufmerksamkeit. Der Bereich Rechtsordnung war davon nur marginal tangiert.

Jahresrückblick 2022: Rechtsordnung
Dossier: Jahresrückblick 2022

Ende Mai 2022 traf sich eine Delegation des Bundesrates zum bereits zweiten Mal nach dem Treffen im März mit allen im Parlament vertretenen Parteien im Hotel Bellevue in Bern zu einem Gespräch über den Krieg in der Ukraine und dessen Folgen für die Schweiz. Der Bundesrat erläuterte den Parlamentarierinnen und Parlamentariern, dass sich die Schweizer Antwort auf den russischen Angriffskrieg auf vier Pfeiler stütze, namentlich Recht, Solidarität, Sicherheit und Gute Dienste. Diskutiert wurde nicht nur die anstehende Ukraine Recovery Conference in Lugano, sondern auch die Schweizer Auslegung der Neutralität und der Neutralitätsbericht, den der Bundesrat angekündigt hatte. Die bundesrätliche Delegation legte die sicherheitspolitischen Folgen des Krieges dar, wobei auch der Zusatzbericht des VBS zum Sicherheitspolitischen Bericht 2021 angesprochen wurde. Dieser befasse sich mit der Möglichkeit einer verstärkten internationalen Kooperation in der Sicherheitspolitik, verriet der Bundesrat. Auch zur Beschaffung der F-35A-Jets, zur Migrationspolitik angesichts der ukrainischen Schutzsuchenden und der Energie- und Wirtschaftspolitik stand die Regierung den Parteien Rede und Antwort.

Anfang Juni beurteilte der Bundesrat mehrere umstrittene Kriegsmaterial-Geschäfte. Unter anderem lagen der Schweiz Anfragen von Deutschland (Munition und Radschützenpanzer) und Dänemark (Radschützenpanzer) zur Weitergabe von Kriegsmaterial an die Ukraine vor. Die Regierung lehnte beide Gesuche aufgrund der geltenden Ausfuhrkriterien gemäss Kriegsmaterialgesetz und des neutralitätsrechtlichen Gleichbehandlungsgebots ab. Der Bundesrat stellte jedoch klar, dass Kriegsmaterial-Zulieferungen an europäische Rüstungsunternehmen weiterhin möglich seien, auch wenn die Gefahr bestehe, dass einige der gelieferten Komponenten in Kriegsmaterial verbaut in die Ukraine gelangen könnten. Das Kriegsmaterialgesetz sehe vor, dass sich Schweizer Unternehmen an den internationalen Wertschöpfungsketten beteiligen können, jedoch dürfe gemäss bundesrätlicher Praxis der Anteil der Schweizer Einzelteile am Endprodukt eine gewisse Warenwertschwelle nicht überschreiten. Da zwei weitere Gesuche aus Deutschland (Panzerfaustkomponenten) und Italien (Flugabwehrkomponenten) diese Vorgaben einhielten, wurden sie vom Bundesrat bewilligt.

Eine Woche später beschloss die Landesregierung die Übernahme eines weiteren EU-Sanktionspakets gegen Russland (sechstes Sanktionspaket), das ein Embargo auf Rohöl und gewisse Erdölerzeugnisse aus Russland umfasste. Nebst dem Kauf wurden auch die Einfuhr, Durchfuhr und der Transport in und durch die Schweiz untersagt. Auch die Erbringung entsprechender Dienstleistungen, darunter Versicherungs- und Rückversicherungsdienstleistungen für den Erdöltransport, waren damit nicht mehr erlaubt. Im Finanzbereich wurden diverse Dienstleistungen für die russische Regierung oder für in Russland niedergelassene juristische Personen und Organisationen verboten. Auch ein Werbeverbot, das Medien wie Russie Today oder Sputnik betraf, war im Sanktionsbündel enthalten. Das WBF habe die notwendigen Massnahmen getroffen, um die EU-Sanktionen in Schweizer Recht zu überführen, so die Regierung in ihrer Medienmitteilung. Das WBF habe zudem weitere russische und belarussische Personen und Organisationen auf die Sanktionsliste gesetzt und den Ausschluss von vier russischen und belarussischen Banken aus dem Nachrichtensystem SWIFT bewilligt. Auch die Liste der mit einem Ausfuhrverbot belegten Militär- und Technologiegüter wurde ergänzt.

Über einen Monat später, Anfang August, sah sich die Landesregierung angesichts der «anhaltenden russischen Militäraggression» gezwungen, weitere EU-Sanktionen gegen Russland («Paket zur Aufrechterhaltung und Anpassung») zu verabschieden, deren Umsetzung sie zeitlich oder materiell für dringlich befunden hatte. Es handelte sich hierbei primär um das Verbot, Gold und Golderzeugnisse aus Russland zu kaufen, einzuführen oder zu transportieren, wobei auch Dienstleistungen im Kontext dieser Güter verboten wurden. Um zur Bekämpfung der weltweiten Ernährungs- und Energiekrisen beizutragen, führte der Bundesrat einige Ausnahmebestimmungen ein, unter anderem richteten sich die Verbote nicht gegen Transaktionen im Zusammenhang mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen und der Lieferung von Öl in Drittländer. Ende August übernahm die Schweiz dann auch die technischen Massnahmen des gleichen Sanktionspakets, unter anderem das Verbot, Einlagen entgegenzunehmen, oder Verbote im Zusammenhang mit Ratingdiensten. Auch die Vergabe von öffentlichen Aufträgen an russische Staatsangehörige und in Russland niedergelassene Organisationen wurden übernommen, nachdem der Bundesrat zuvor behördliche Abklärungen zu dieser Frage in Auftrag gegeben hatte.

Da die EU ihr Visumserleichterungsabkommen mit Russland Anfang September vollständig suspendierte, tat ihr dies die Schweiz wenige Wochen später gleich. Damit setzte sie das seit 2009 bestehende Abkommen vorübergehend ausser Kraft, russische Staatsangehörige konnten jedoch weiterhin über das ordentliche Visaverfahren ein Visum beantragen. Bereits im Frühling 2022 hatte die Schweiz Visaerleichterungen für gewisse Personengruppen, unter anderem russische Diplomatinnen und Diplomaten, aufgehoben.

Ende September verkündete der russische Präsident Wladimir Putin die Annexion der von Russland teilweise besetzten Gebiete der Ukraine. Der Bundesrat verurteilte diesen Schritt als «schwerwiegende Verletzung des Völkerrechts» und anerkannte diese Aneignung nicht. Er rief Russland dazu auf, das humanitäre Völkerrecht und die Menschenrechte einzuhalten und einen raschen und ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe auf dem gesamten ukrainischen und dem von Russland besetzten Territorium zu gewährleisten, da der bevorstehende Winter humanitäre Hilfe für die Bevölkerung notwendig mache. In Zusammenhang mit der russischen Annexion hiess das WBF Mitte Oktober die Sanktionierung von 30 weiteren russischen Personen und Organisationen gut. Betroffen waren vor allem Personen, die in die von Russland organisierten Referenden in ukrainischen Regionen involviert waren. Damit stimmte die Schweizer Sanktionsliste zu diesem Zeitpunkt mit derjenigen der EU überein.

Obwohl die EU ihr achtes Sanktionspaket bereits Anfang Oktober 2022 verabschiedet hatte, zog die Schweiz erst Ende November des gleichen Jahres vollständig nach. Mit diesem Paket schuf die Schweiz eine Rechtsgrundlage für die Einführung von Preisobergrenzen für russisches Rohöl und Erdölprodukte sowie für Einschränkungen für weitere Eisen- und Stahlprodukte, Luft- und Raumfahrtgüter und weitere wirtschaftlich bedeutende Güter. Zudem wurde die Erbringung von Dienstleistungen in den Bereichen IT, Architektur, Rechtsberatung, Ingenieurwesen an die russische Regierung oder an russische Unternehmen verboten. Nebst den Massnahmen des achten Sanktionspakets erliess der Bundesrat ein Rüstungsgüterembargo gegen Russland, welches aufgrund der Schweizer Neutralität in Teilen auch auf die Ukraine anwendbar war.

Kurz vor Jahresende kündigte der Bundesrat Mitte Dezember erneut die Übernahme eines Sanktionspakets der EU an, wobei dieses vor allem Anpassungen in Bezug auf die Preisobergrenze für Rohöl und Erdölerzeugnisse mit sich brachte – die entsprechenden Bestimmungen stimmten nun mit derjenigen der EU überein. Eine Woche zuvor hatte das WBF bereits die rechtlichen Grundlagen für die Umsetzung ins Schweizer Recht geschaffen und weitere Personen den Schweizer Finanzsanktionen unterstellt.

Die Schweiz übernimmt die EU-Sanktionen gegen Russland
Dossier: Schweizer Reaktion auf die russischen Aggressionen in der Ukraine (ab 2014)
Dossier: Die Schweizer Neutralität

Die fünfte Änderung des Covid-19-Gesetzes ging folglich mit zwei Differenzen in das Differenzbereinigungsverfahren, wobei der Nationalrat die Frage nach den Vereinbarungen zwischen den Kantonen zur Finanzierung der ausserkantonalen Covid-19-Patientinnen und -Patienten bereits in der nächsten Behandlungsrunde bereinigte. Nachdem der Ständerat die von der grossen Kammer vorgeschlagene Regelung abgelehnt hatte, verzichtete der Nationalrat darauf, an ihr festzuhalten.

Deutlich länger dauerte die Bereinigung der Frage der Testkosten. Der Ständerat hatte die Übernahme der Testkosten zuvor an die besondere Lage gemäss Epidemiengesetz knüpfen wollen, der Nationalrat konnte sich dafür aber nicht erwärmen und lehnte einen entsprechenden Minderheitsantrag Dobler (fdp, SG) genauso ab wie den Antrag der Minderheit Weichelt (al, ZG), dass der Bund die Kosten bis Ende 2024 übernehmen soll. Stattdessen entschied er sich, das Testregime des Bundes noch bis Ende März 2023 fortzusetzen. Ab dann sollten bei Symptomen wieder die Krankenkassen für die Tests aufkommen, bei Tests ohne Symptome die Testenden. Von einem Ende des Testregimes per Ende Juni 2024 war der Nationalrat also zu einem Ende per März 2023 übergegangen. Der Ständerat zeigte sich damit aber nicht zufrieden, er entschied sich stattdessen, die Tests bereits Ende 2022 – also rund zwei Wochen nach der aktuellen Session – auslaufen zu lassen. Eine Minderheit Stöckli (sp, BE) hatte sich gegen diese «Hauruckpolitik», wie es der Minderheitssprecher formulierte, gewehrt. Obwohl eine nationalrätliche Kommissionsmehrheit in der Folge auf dem Ende des Testregimes per Ende März 2023 beharren wollte, pflichtete der Nationalrat seinem Schwesterrat in der folgenden Behandlungsrunde bei. Mit 93 zu 91 Stimmen (bei 1 Enthaltung) nahm er einen Minderheitsantrag de Courten (svp, BL) an und bereinigte damit die letzte Differenz der Vorlage.

Sowohl die Abstimmungen über die Dringlichkeitsklausel (NR: 129 zu 45 Stimmen bei 6 Enthaltungen; SR: 36 zu 0 Stimmen bei 2 Enthaltungen) als auch die Schlussabstimmungen (NR: 140 zu 50 Stimmen bei 6 Enthaltungen; SR: 39 zu 1 Stimmen bei 4 Enthaltungen) passierte die Änderung des Covid-19-Gesetzes deutlich. Die SVP-Fraktion lehnte jedoch insbesondere die erneute Dringlichkeitserklärung der Änderung ab – (fast) alle ablehnenden Stimmen oder Enthaltungen stammten folglich von ihren Mitgliedern.

Verschiedene Corona-Massnahmengegnerinnen und -gegner, etwa die «Freunde der Verfassung» oder «Mass-voll», zeigten sich mit dieser Verlängerung nicht einverstanden und kündigten im Anschluss an die Entscheide des Parlaments an, das Referendum ergreifen zu wollen.

Fünfte Revision des Covid-19-Gesetzes (Verlängerung und Änderung ausgewählter Bestimmungen; BRG 22.046)
Dossier: Covid-19-Gesetz und Revisionen

In der Wintersession 2022 erledigte der Ständerat die Motion Regazzi (mitte, TI), die forderte, dass Terroristinnen und Terroristen in ihre Herkunftsländer ausgewiesen werden, unabhängig davon, ob diese als sicher gelten oder nicht. Die SPK-SR hatte ihrem Rat einstimmig beantragt, es dem Nationalrat gleichzutun und den Vorstoss abzuschreiben, was dieser stillschweigend tat. Im Ratsplenum dankte Kommissionssprecher Hans Stöckli (sp, BE) dem Bundesrat für die «sehr gute Botschaft», in der die Regierung dargelegt hatte, weshalb die Motion rechtlich nicht umsetzbar sei. Die Kommission teile die Meinung des Bundesrates vollumfänglich – sie hatte schon 2019 vergeblich für deren Ablehnung plädiert. Das Non-Refoulement-Gebot sei Teil des zwingenden Völkerrechts, von dessen Verpflichtungen sich die Schweiz nicht etwa durch Kündigung von Verträgen befreien könne. Damit sei der Widerspruch zum Anliegen der Motion «unüberbrückbar», erläuterte Stöckli.

Ausweisung von Terroristinnen und Terroristen in ihre Herkunftsländer, unabhängig davon, ob sie als sicher gelten oder nicht (Mo. 16.3982)

In der Wintersession 2022 befasste sich der Nationalrat mit drei Vorstössen der GPK-NR zum Thema Grundwasserschutz. Es handelte sich dabei neben der Motion «Fristen für die Umsetzung der Massnahmen des planerischen Grundwasserschutzes» (Mo. 22.3873) um die Motion «Klärung und Stärkung der Aufsichtsinstrumente und Interventionsmöglichkeiten des Bundes im Bereich des Grundwasserschutzes» (Mo. 22.3874) sowie um das Postulat «Erhöhung der Wirksamkeit des Gewässerschutzprogramms in der Landwirtschaft» (Po. 22.3875).
Die Kommissionssprechenden de Courten (svp, BL) und Pasquier-Eichenberger (gp, GE) wiesen bezüglich der Motion zu den Umsetzungsfristen darauf hin, dass das Bundesrecht bezüglich der Ausscheidung von Gebieten zum Grundwasserschutz bislang durch die Kantone nur ungenügend umgesetzt werde und daher die Qualität des Grundwassers nicht überall gewährleistet sei. Folglich brauche der Bund stärkere Durchsetzungsinstrumente. Nachdem auch Umweltministerin Sommaruga die Unterstützung des Bundesrates für die Motion 22.3873 signalisiert hatte, nahm der Nationalrat diese stillschweigend an.

Fristen für die Umsetzung der Massnahmen des planerischen Grundwasserschutzes (Mo. 22.3873)
Dossier: Grundwasserschutz in der Schweiz

In der Wintersession 2022 befasste sich der Nationalrat mit der Motion «Klärung und Stärkung der Aufsichtsinstrumente und Interventionsmöglichkeiten des Bundes im Bereich des Grundwasserschutzes» der GPK-NR zusammen mit zwei weiteren Vorstössen der Kommission zum Thema Grundwasserschutz (Mo. 22.3873; Po. 22.3875). Kommissionssprecher Thomas de Courten (svp, BL) wies darauf hin, dass das Bundesrecht bezüglich der Ausscheidung von Grundwasserschutzgebieten bislang durch die Kantone nur ungenügend umgesetzt werde und daher die Qualität des Grundwassers nicht überall gewährleistet sei. Folglich brauche der Bund mehr Möglichkeiten, den Vollzug zu kontrollieren und die Kantone zu unterstützen. Umweltministerin Sommaruga rekapitulierte die Stellungnahme des Bundesrates und betonte dabei, dass der Bundesrat bereit sei, diejenigen Punkte der Motion anzunehmen, welche die Kontrolle des Vollzugs stärken wollen. Es sei hingegen nicht sinnvoll, dass der Bund finanziell einspringe, wenn die Kantone ihre Vollzugsaufgaben nicht wahrnähmen, und diejenigen Kantone, die ihre Aufgaben erledigten, leer ausgingen. Entsprechend empfahl sie den zweiten Punkt der Motion zur Ablehnung. Die grosse Kammer sah dies jedoch anders und nahm den Vorstoss in Gänze an. Für Annahme des zweiten Punktes stimmten 135 Mitglieder des Rates, 50 sprachen sich dagegen aus und 4 enthielten sich der Stimme. Die anderen beiden Bestimmungen wurden stillschweigend angenommen.

Klärung und Stärkung der Aufsichtsinstrumente und Interventionsmöglichkeiten des Bundes im Bereich des Grundwasserschutzes (Mo. 22.3874)
Dossier: Grundwasserschutz in der Schweiz

Mit 145 zu 33 Stimmen bei 2 Enthaltungen überwies der Nationalrat in der Wintersession 2022 die Motion der RK-SR für einen verbesserten Nationalen Aktionsplan gegen Menschenhandel. Eine Minderheit Addor (svp, VS) hatte die Ablehnung der Motion beantragt, weil sich die vorberatende RK-NR dagegen ausgesprochen hatte, die Motion dahingehend auszuweiten, dass sich der neue NAP zusätzlich auch der illegalen Schleusung von Migrantinnen und Migranten widmen sollte. Wie Bundesrätin Karin Keller-Sutter erklärte, sei der neue NAP zwischenzeitlich fertig erarbeitet und vom EJPD, der KKJPD und der SODK genehmigt worden. Er befinde sich bei Bund, Kantonen und Gemeinden bereits in Umsetzung, woran auch eine Ablehnung der Motion nichts mehr ändern würde.

Verbesserter Nationaler Aktionsplan gegen Menschenhandel (Mo. 22.3369)

In der Wintersession 2022 beriet der Ständerat den indirekten Gegenvorschlag des Bundesrates zur Prämien-Entlastungs-Initiative der SP. Die Initiative selbst sollte erst in einem zweiten Schritt beraten werden, um den Initiantinnen und Initianten die Möglichkeit zu geben, die Initiative in der Zwischenzeit zurückzuziehen. Erich Ettlin (mitte, OW) stellte dem Rat den Gegenvorschlag vor und betonte, dass der Bundesrat damit die Kantone in die Pflicht nehmen wolle – für den Bund würde die Vorlage denn auch keine neuen Verpflichtungen mit sich bringen. Bei den Kantonen, namentlich der FDK und der GDK, sei die Vorlage jedoch auf Widerstand gestossen; die FDK lehne Initiative und Gegenvorschlag ab, während die GDK «nur» Verbesserungen am Gegenvorschlag verlange. Die SGK-SR habe in der Folge einige Änderungen vorgenommen, sei bei ihrem Entwurf aber nahe an der bundesrätlichen Version geblieben. Zur Beratung dieser Details gelangte der Ständerat jedoch nicht. Zuvor hatte er einen Einzelantrag Würth (mitte, SG) auf Nichteintreten zu beraten. Bevor man über Verbesserungen am Gegenvorschlag diskutiere, solle man überlegen, «ob das geltende System wirklich revisionsbedürftig» sei, argumentierte Würth. Das aktuelle System sei im Rahmen der NFA geschaffen worden, wobei man den Kantonen bezüglich Prämienverbilligungen absichtlich viel Spielraum gelassen habe, zumal sie die sozialpolitische Situation – etwa alternative sozialpolitische Massnahmen, Einkommensverteilung, Gesundheitskosten und Prämienlast – am besten kennen würden. Wolle man die Regeln zur IPV erneut ändern, solle man das durch eine Entflechtung der Aufgaben von Bund und Kantonen tun, nicht durch eine noch stärkere Verflechtung, wie sie der Gegenvorschlag beinhalte. Zudem seien die Kantonsbeiträge aufgrund der Finanzkrise zwar deutlich gesunken, in den letzten Jahren aber wieder angestiegen. Auch Jakob Stark (svp, TG) zeigte sich vom Gegenvorschlag des Nationalrats nicht begeistert, er erachtete diesen als «dirigistisch-zentralistische Lösung [...], die den Kantonen den Spielraum nimmt».
Für Eintreten sprachen sich hingegen Marina Carobbio Guscetti (sp, TI) und Paul Rechsteiner (sp, SG) aus. Bei der Schaffung des KVG habe man das Versprechen gegeben, dass aufgrund der Prämienverbilligungen niemand mehr als 8 Prozent des Einkommens für die Krankenkassenprämien aufbringen müsse – quasi als «Korrektiv der Kopfprämien» (Rechsteiner). Durch die Änderung im Rahmen der NFA sei das System dysfunktional geworden, weil die Kantone keine Mindestbeiträge mehr leisten müssten. Heute liege der Anteil der Krankenkassenprämien bei durchschnittlich 14 Prozent des Einkommens, in Extremfällen gar bei 20 Prozent. Mit der Initiative und dem Gegenvorschlag wolle man nun zum damaligen System zurückkehren.
Gesundheitsminister Berset rief dem Rat den Kontext des Projekts in Erinnerung, nämlich die Initiative, «[qui] aurait des conséquences financières assez importantes pour la Confédération», die also bei Annahme grosse finanzielle Auswirkungen für den Bund hätte. In den letzten Jahren seien die Beiträge der Kantone an die Prämienverbilligungen – wie von der Initiative kritisiert – stark auseinandergegangen, daher sei es nötig, hier wieder für mehr Konvergenz zu sorgen.
Mit 22 zu 20 Stimmen sprach sich der Ständerat jedoch gegen Eintreten aus. Geschlossen für Eintreten stimmten die Mitglieder der SP- und der Grünen-Fraktion, gespalten zeigte sich die Mitte-Fraktion. Geschlossen oder fast geschlossen gegen Eintreten votierten die Mitglieder der SVP- und der FDP-Fraktion.

Eidgenössische Volksinitiative «Maximal 10 Prozent des Einkommens für die Krankenkassenprämien (Prämien-Entlastungs-Initiative)» und indirekter Gegenvorschlag (BRG 21.063)
Dossier: Anstieg der Krankenkassenprämien dämpfen (seit 2020)
Dossier: Prämienverbilligung
Dossier: Volksinitiativen zum Thema «Krankenkasse» (seit 2015)

In der Wintersession 2022 bereinigte das Parlament die fünfte Änderung des Covid-19-Gesetzes, bei der es darum ging zu entscheiden, welche Massnahmen nach der Rückkehr in die normale Lage gemäss Epidemiengesetz bis Juni 2024 weitergeführt werden sollen. Eintreten war im Ständerat unbestritten, umstritten war in der Folge nur die Frage, ob und wie lange die Covid-19-Teststrategie aufrechterhalten wird, wer dafür zuständig sein wird und wer diese bezahlen soll. Nach Testkosten von CHF 2.1 Mrd. im Jahr 2021 und laufenden CHF 1.6 Mrd. im Jahr 2022 würden für das kommende Jahr Testkosten in der Höhe von CHF 430 Mio. und für 2024 Kosten im Umfang von CHF 210 Mio. erwartet, erläuterte Kommissionssprecher Dittli (fdp, UR). Der Bundesrat hatte vorgeschlagen, dass die Kantone von Januar bis März 2023 für die vom Bund abgerechneten Testkosten aufkommen und ab April 2023 neben den Kosten auch für die Durchführung und Detailregelungen der Tests zuständig sein sollen. Der Nationalrat wollte jedoch als Erstrat die Verantwortung für Durchführung und Kosten der Tests bis Juni 2024 beim Bund belassen. Eine Minderheit II Stöckli (sp, BE) vertrat die nationalrätliche Position im Ständerat und argumentierte, dass man das bewährte Testregime so lange fortsetzen solle, wie es nötig sei. Eine Übertragung an die Kantone sei nicht sinnvoll, da man ansonsten 26 verschiedene Testregimes haben werde. Die Kommissionsmehrheit pflichtete zwar dem Nationalrat bei, Organisation und Kosten der Tests bis Ende März 2023 beim Bund zu belassen, wollte aber ab April 2023 zum «Normalzustand» (Dittli) zurückkehren, also vollständig auf eine staatliche Finanzierung der Tests verzichten. In der Folge müssten erneut die Krankenkassen und die Privatpersonen für die Kosten aufkommen. Das Testregime sei aufwändig und kostenintensiv und bringe nach dem Ende der Grippesaison nur noch wenig, argumentierte der Kommissionssprecher. Als Kompromiss zwischen den beiden Positionen bezeichnete Maya Graf ihre Minderheit I, welche die Verantwortung wie der Bundesrat ab April 2023 den Kantonen übertragen, im Gegensatz zur Regierung jedoch die Kosten bis Ende März 2023 noch dem Bund belasten wollte. Einen etwas anderen Ansatz verfolgte eine Minderheit III Hegglin (mitte, ZG), welche die Testkosten nur bei einer besonderen Lage gemäss Epidemiengesetz vom Bund abgelten lassen wollte – mit dieser Regelung würden die Tests somit Ende 2022 auslaufen. Seit der Rückkehr in die normale Lage habe man keine Massnahmen gegen die Pandemie mehr ergriffen, entsprechend sei es auch nicht mehr zentral, eine «Übersicht über die epidemiologische Entwicklung» zu haben – die man überdies durch Abwasserproben günstiger haben könne, begründete der Minderheitensprecher seinen Antrag. Gesundheitsminister Alain Berset fürchtete vor allem die Verbindung der Tests mit der Lage gemäss Epidemiengesetz, zumal dies den Druck – auch der Kantone – zur Rückkehr in die besondere Lage verstärken könne. Er beantragte dem Rat folglich, beim bundesrätlichen Vorschlag zu bleiben. In der Ausmehrung setzte sich jedoch der Antrag der Minderheit III Hegglin durch. Der Ständerat entschied sich somit für die Verknüpfung der Testkostenübernahme mit der Lage gemäss Epidemiengesetz und schuf eine erste Differenz zum Nationalrat.

Stillschweigend folgte der Ständerat seiner Kommission bei der Frage der Vorhalteleistungen: Der Nationalrat hatte vorgeschlagen, dass die Kantone Finanzierungsvereinbarungen für ausserkantonale Covid-19-Patientinnen und -Patienten abschliessen sollten. Die Kantone hatten sich aufgrund des grossen administrativen Aufwands dagegen gewehrt, zudem kritisierte die SGK-SR, dass ein solches Vorgehen gegen die Regeln der Spitalfinanzierung verstosse. Der Ständerat lehnte die Regelung folglich ab und schuf eine zweite Differenz zum Nationalrat. Hingegen stimmte er – wie vom Nationalrat vorgeschlagen – für die Aufrechterhaltung der Regelung, wonach Nationalrätinnen und Nationalräte bei Covid-19-Quarantäne oder -Isolation – sollten diese wieder nötig werden – in Abwesenheit abstimmen können. Einstimmig nahm der Ständerat den Entwurf in der Folge an (mit 43 zu 0 Stimmen).

Fünfte Revision des Covid-19-Gesetzes (Verlängerung und Änderung ausgewählter Bestimmungen; BRG 22.046)
Dossier: Covid-19-Gesetz und Revisionen

Der Bundesrat beantragte der Bundesversammlung im November 2022, die Verfassungsänderungen von sechs Kantonen zu gewährleisten, da sie alle im Einklang mit Bundesrecht stünden.
Mit der Verfassungsänderung im Kanton Zürich wurden verschiedene Klimaschutzbestimmungen aufgenommen. Diese verpflichten den Kanton und die Gemeinden dazu, sich für die Begrenzung des Klimawandels und dessen Auswirkungen einzusetzen sowie das Ziel der Treibhausgasneutralität anzustreben. Konkret sollen dazu in den Bereichen Siedlungsentwicklung, Gebäude, Verkehr, Land- und Forstwirtschaft sowie Industrie und Gewerbe angemessene Massnahmen eingeführt werden. Wie der Bundesrat in seiner Botschaft zum Schluss kommt, gehen diese Bestimmungen in die gleiche Richtung wie die Klimaschutzziele des Bundes. Die Rechtssetzungskompetenzen der Kantone beschränkten sich in diesem Bereich auf Aspekte, die vom Bundesgesetz nicht vollständig ausgeschöpft seien und könnten dieses ergänzen oder verstärken.
Auch der Kanton Glarus verankerte vergleichbare Bestimmungen zur Begrenzung der Klimaveränderung und deren nachteiligen Auswirkungen in der Verfassung. Die Massnahmen haben dabei umwelt-, sozial- und wirtschaftsverträglich zu sein. Eine weitere zu gewährleistende Änderung der Glarner Verfassung sieht vor, dass die Jahresrechnung, der Finanzbericht sowie das Budget künftig dem Landrat und nicht mehr der Landsgemeinde zur Kenntnisnahme vorgelegt werden. Der Landrat wird allerdings nicht mehr wie bisher für die Genehmigung des integrierten Aufgaben- und Finanzplan zuständig sein.
Gemäss der angepassten Verfassung des Kantons Solothurn kann der Kanton auf der Stufe der Volksschule künftig neben sonderpädagogischen Institutionen neu auch weitere kantonale Angebote errichten und führen. Die Einzelheiten werden auf Gesetzesebene geregelt.
Der Kanton Basel-Landschaft führte mit der Verfassungsänderung Anpassungen bei den Modalitäten von Volksinitiativen und bei der Ombudsperson ein. Neu gelte zur Einreichung der Unterschriften für Volksinitiativen eine Frist von zwei Jahren. Weiter können im Landrat zusätzlich zu formulierten Initiativbegehren auch bei nicht-formulierten Begehren Fristverlängerungen zur Ausarbeitung eines Gegenvorschlags gewährt werden. Gegenvorschläge und Gesetzesvorlagen aufgrund zurückgezogener Initiativbegehren unterliegen gemäss den angepassten Verfassungsartikeln nicht mehr in jedem Fall der obligatorischen Volksabstimmung, sondern dem fakultativen Referendum. Betreffend die Ombudsperson werden die Unvereinbarkeiten neu erst auf Gesetzesstufe geregelt, worin die Teilzeitbeschäftigung der gewählten Person vorgesehen werden könne, schreibt der Bundesrat. Nicht zuletzt umfasst die Verfassungsänderung Anpassungen im Sinne der sprachlichen Gleichbehandlung.
Für den Kanton Genf galt es schliesslich drei Verfassungsänderungen zu gewährleisten. Der Kanton regelt erstens die Amtsenthebung eines Staatsratsmitglieds neu: Künftig können Mitglieder der kantonalen Regierung, die nicht mehr über das notwendige Vertrauen der Stimmberechtigten zur Ausübung ihrer Funktion verfügen, mittels Resolution des Grossen Rates des Amts enthoben werden. Zweitens bestehen die Gemeindeexekutiven von Gemeinden mit maximal 3'000 Einwohnenden in Zukunft nicht mehr aus einem Gemeindepräsidium und zwei Adjunkten und Adjunktinnen, sondern aus einem dreiköpfigen administrativen Rat. Drittens und letztens wird die Verteilung und Versorgung mit thermischer Energie sowie deren stärkere Verbreitung zu einem Kantonsmonopol. Diese Koordinierung der Ausdehnung habe das Ziel, die Nutzung fossiler Energie bei der individuellen Heizung zu verringern, geht aus dem revidierten Verfassungsartikel hervor.
Die Abwägung der Bundesrechtskonformität gestaltete sich gemäss Bundesrat bei der Verfassungsänderung des Kanton Wallis schwieriger: Der Staat wird darin einerseits zum Erlassen von Vorschriften zum Schutz vor Grossraubtieren und zur Bestandsregulierung sowie zum Verbot der Förderung des Grossraubtierbestands verpflichtet. Wie in der Botschaft ausgeführt wird, sei diese Verfassungsänderung nur bundesrechtskonform, wenn sich das Verbot der Bestandsförderung auf finanzielle Mittel beschränke, denn der Kanton wäre weiterhin zum Vollzug der vom Bund geförderten Massnahmen verpflichtet. Würden also jegliche Schutzmassnahmen verboten, stünde dies im Widerspruch zum Bundesgesetz, welches die Kantone zum Ergreifen von Massnahmen zur Verhinderung von Wildschaden verpflichte und so zumindest indirekt eine Bestandsförderung darstelle. Die geänderte Kantonsverfassung sei allerdings im Sinne des Günstigkeitsprinzips zu gewährleisten, da dem Artikel mindestens in einer Weise «ein Sinn beigemessen werden [kann], der ihn nicht klarerweise als vor Bundesrecht unzulässig erscheinen lässt», schloss der Bundesrat mit dem expliziten Hinweis darauf, dass die künftige Anwendung der Bestimmungen im Einklang mit höheren Gesetzen erfolgen müsse.

Gewährleistung von Änderungen in den Kantonsverfassungen von Zürich, Glarus, Solothurn, Basel-Landschaft, Wallis und Genf (BRG 22.079)
Dossier: Gewährleistung kantonaler Verfassungen

Im November 2022 reichten die Aussenpolitischen Kommissionen beider Räte zwei fast gleichlautende Kommissionsmotionen zur Unterstützung der iranischen Zivilgesellschaft ein. Während sowohl die APK-NR (Mo. 22.4278) als auch die APK-SR (Mo. 22.4274) den Bundesrat damit beauftragen wollten, angemessene Massnahmen zu ergreifen, um die iranische Zivilgesellschaft in ihrem Kampf für Frauen- und Menschenrechte zu unterstützen, forderte die nationalrätliche Motion zusätzlich die vollständige Übernahme der EU-Sanktionen gegen Mitglieder des iranischen Regimes. Beide Kommissionen begründeten ihre Vorstösse damit, dass das iranische Regime mit physischer Gewalt gegen die zivilgesellschaftlichen Proteste vorgehe und iranische NGOs daher finanziell und durch weitere geeignete Massnahmen unterstützt werden müssten.
Eine Kommissionsminderheit Nidegger (svp, GE) in der APK-NR und eine Kommissionsminderheit Chiesa (svp, TI) in der APK-SR beantragten, die Motionen abzulehnen. Auch der Bundesrat sprach sich für die Ablehnung beider Motionen aus, da die Schweiz bereits mit mehreren diplomatischen Interventionen auf bilateraler und multilateraler Ebene auf die jüngsten Entwicklungen reagiert habe. Das EDA führe zudem einen Menschenrechtsdialog mit dem Iran und spreche dabei auch Einzelfälle von Menschenrechtsverletzungen gezielt und offen an. Eine Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Organisationen sei mit erheblichen Risiken verbunden, da Vergeltungsmassnahmen gegen diese Organisationen ergriffen werden könnten, argumentierte der Bundesrat weiter. Die Schweiz arbeite gemäss dem Vorsorgeprinzip mit internationalen Organisationen zusammen, unter anderem unterstütze das EDA Projekte des UNICEF und des OHCHR im Bereich der Jugendjustiz. Die Schweizer Botschaft in Teheran fördere zudem NGO-Projekte in den Bereichen Entwicklung, humanitäre Hilfe und menschliche Sicherheit zugunsten der iranischen Bevölkerung. Der Bundesrat gewichte schliesslich die besondere Rolle der Schweiz mit ihren Schutzmachtmandaten höher als den möglichen Effekt zusätzlicher Sanktionen gegen den bereits stark sanktionierten Iran.

Während der Ständerat die Motion seiner APK in der Frühjahrssession mit 20 zu 19 Stimmen (bei 1 Enthaltung) aufgrund der Gegenstimmen der FDP-, SVP- und einiger Mitte-Mitglieder knapp ablehnte, beschloss der Nationalrat mit 105 zu 65 Stimmen (bei 4 Enthaltungen) gegen den Willen der SVP- und der FDP-Fraktion die Annahme der Motion seiner Kommission. Im Ständerat standen vor allem die wichtige Rolle der Schweiz mit ihren Schutzmachtmandaten im Iran und der privilegierte diplomatische Zugang zum Regime im Vordergrund. Auch in der nationalrätlichen Debatte wurden diese Bedenken aufgeworfen, verfingen aber bei der Ratsmehrheit nicht. Nationalrat Walder (gp, GE) warnte etwa davor, dass der Iran nicht davon ausgehen dürfe, dass ihm die Gewährung von Schutzmachtmandaten eine Vorzugsbehandlung durch die Schutzmächte garantiere. Die Menschenrechtsbilanz des Iran sei seit Jahren dramatisch und ein Verzicht auf weitere Sanktionen könnte als Unterstützung des Regimes interpretiert werden.

Kommissionsmotionen zur Unterstützung der iranischen Zivilgesellschaft (Mo. 22.4278 & Mo. 22.4274)

Anfang November 2022 gab der Bundesrat bekannt, dass das WBF gemeinsam mit dem EDA entschieden habe, die Lieferung iranischer Drohnen nach Russland zu sanktionieren. Damit übernehme die Schweiz die Sanktionen der EU gegen drei iranische Militärangehörige und eine Firma, welche an der Entwicklung und Lieferung von Drohnen an Russland beteiligt gewesen sein sollen. Diese Drohnen seien anschliessend im Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine eingesetzt worden. Die sanktionierten Subjekte durften damit nicht mehr in die EU oder die Schweiz einreisen, mit ihnen durften keine Geschäfte gemacht werden und allfällige Vermögen in der Schweiz konnten eingefroren werden. Gleichzeitig gaben beide Departemente aber auch bekannt, dass man die weiteren – im Zusammenhang mit den gegenwärtigen Protesten – erlassenen EU-Sanktionen gegenüber dem Iran nicht übernehmen wolle. Nach der Tötung von Jina Mahsa Amini in iranischem Polizeigewahrsam am 16. September 2022 war es im Iran zu landesweiten Demonstrationen gekommen, welche die iranische Regierung gewaltsam hatte niederschlagen lassen. Die EU sanktionierte daraufhin elf Personen und vier Organisationen, die sowohl mit dem Tod der jungen Iranerin als auch mit der Protestbekämpfung in Verbindung gebracht wurden. Der Bundesrat rechtfertigte den Verzicht auf die Übernahme dieser Sanktionen damit, dass die Schweiz den Tod von Amini als eines der ersten Länder auf höchster Stufe mit dem Iran thematisiert und eine «rasche, unabhängige und unparteiische Aufklärung gefordert» habe. Auch die Gewaltanwendung gegen Protestierende habe man verurteilt und den Iran auf bilateraler und multilateraler Ebene zur Einhaltung seiner menschenrechtlichen Verpflichtungen aufgefordert. Diese Massnahmen erachtete der Bundesrat als ausreichend. Zudem übernehme die Schweiz fünf Schutzmachtmandate im oder für den Iran, welche ebenfalls in die Abwägung miteingeflossen seien. Die bereits bestehenden Finanz-, Reise- und Gütersanktionen wollte der Bundesrat hingegen weiterhin aufrechterhalten.
Der emeritierte Rechtsprofessor Thomas Cottier erklärte die Zurückhaltung des Bundesrats im Tages-Anzeiger damit, dass die Schweiz bisher noch nie «thematische Menschenrechtssanktionen» – also Sanktionen gegen Staaten, die auf ihrem Gebiet Menschenrechte nicht einhalten – erlassen habe. Dementsprechend wäre eine Übernahme aller EU-Sanktionen ein Paradigmenwechsel mit Präzedenzcharakter gewesen. In der Folge hätte man diese auf weitere Staaten anwenden müssen, da die EU derartige Sanktionen beispielsweise auch gegen China erlassen habe.

Der Entscheid des Bundesrats sorgte für einige rote Köpfe in der Schweizer Parteienlandschaft. Marianne Binder-Keller (mitte, AG) forderte im Tages-Anzeiger mehr Unterstützung der Demokratiebewegung im Iran und kritisierte die nur teilweise erfolgte Sanktionsübernahme. SP-Nationalrat Fabian Molina (sp, ZH) bezeichnete den Bundesratsentscheid gar als «Skandal», für den es rechtlich keinen Grund gebe. Auch in der Bevölkerung formierte sich Widerstand gegen die offizielle Haltung der Schweiz: In Bern protestierten kurz darauf tausende Personen auf dem Bundesplatz gegen das iranische Regime und forderten eine Wende in der Schweizer Iran-Politik. Die grüne Nationalrätin Natalie Imboden (gp, BE), die ebenfalls an den Protesten teilnahm, kritisierte, dass sich die Schweiz hinter ihren Schutzmachtmandaten verstecke.

Bundesrat verhängt Sanktionen gegen den Iran
Dossier: Von der Schweiz ergriffene Sanktionen gegen andere Staaten

Die parlamentarische Initiative 20.504 zur Strafbarkeit von Folter habe ihn, so erklärte Ständerat Mathias Zopfi (gp, GL) seine Beweggründe im Ständeratsplenum, zur Feststellung veranlasst, dass die darin aufgezeigte Strafbarkeitslücke nicht nur die Folter betreffe: Auch andere vorsätzliche Verstösse gegen Bestimmungen des zwingenden Völkerrechts – beispielsweise Sklaverei oder illegale Rückschiebungen – könnten im geltenden Recht nur geahndet werden, wenn sie im Zusammenhang eines bewaffneten Konflikts stehen. Ein Straftatbestand für Verstösse gegen zwingendes Völkerrecht ohne Zusammenhang mit einem bewaffneten Konflikt fehle in der Schweizer Rechtsordnung allerdings. Mit einem Postulat forderte Zopfi den Bundesrat daher auf zu prüfen, ob diese Strafbarkeitslücken tatsächlich bestehen, und darzulegen, wie sie allenfalls durch Anpassungen im Strafrecht geschlossen werden könnten. Der Bundesrat beantragte das Postulat zur Annahme, obgleich er keine solchen Strafbarkeitslücken erkenne, wie er in seiner Stellungnahme ausführte. Verbrechen gegen die Menschlichkeit seien nicht nur im Kontext eines bewaffneten Konflikts, sondern auch im Rahmen eines ausgedehnten und systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung strafbar. Ausserdem richte sich das zwingende Völkerrecht nicht in erster Linie an Individuen, sondern an Staaten. Dennoch erklärte sich die Regierung bereit, die aufgeworfenen Fragen zu prüfen, damit sichergestellt sei, dass das schweizerische Strafrecht «eine effektive Umsetzung des geltenden Völkerrechts» erlaube. In der Herbstsession 2022 überwies der Ständerat das Postulat stillschweigend.

Strafbarkeit von vorsätzlichen Verstössen gegen zwingendes Völkerrecht (Po. 22.3857)

In der Herbstsession 2022 setzte sich der Nationalrat als Erstrat mit der fünften Änderung des Covid-19-Gesetzes auseinander. Dabei wurden zwar auch einzelne neue Bestimmungen diskutiert, hauptsächlich stand aber die Gültigkeitsdauer des Covid-19-Gesetzes insgesamt sowie einzelner Regelungen im Mittelpunkt des Interesses.
Eine Minderheit Glarner (svp, AG) wehrte sich gegen Eintreten. Der Minderheitensprecher kritisierte ausführlich die bisherigen Corona-Massnahmen, insbesondere die Zertifikatspflicht, und beschuldigte Bundesrat und Parlament unter anderem, «Tausende Existenzen vernichtet» zu haben. Neben dieser «Drangsalierung der Bevölkerung und der Wirtschaft» kritisierte er etwa auch den Einfluss, den die WHO auf die Gesetzgebung des Bundes nehme. Da man inzwischen «nicht einmal mehr ganz so sicher [sei], ob es sich im Sinne der WHO wirklich um eine echte Pandemie gehandelt» habe, solle der Nationalrat nicht auf die Gesetzesänderung eintreten. Dieser Antrag fand jedoch nur bei einer Mehrheit der SVP-Fraktion Zustimmung und wurde mit 130 zu 43 (bei 3 Enthaltungen) abgelehnt. Die Sprechenden der übrigen Fraktionen wiesen darauf hin, dass man nicht wisse, wie sich die Covid-19-Pandemie in Zukunft entwickeln werde, und man daher mit einer Verlängerung des Gesetzes sicherstellen wolle, dass man auch in den nächsten zwei Wintern noch über die nötigen Instrumente zur Bekämpfung der Pandemie verfüge. Bundesrat Berset verwies darauf, dass man sich zur Zeit in einer Übergangsphase befinde, die Wachsamkeit und Reaktionsfähigkeit erfordere – wofür verschiedene Regelungen des Covid-19-Gesetzes wichtig seien. Dabei schlug die Regierung vor, nur einen Teil der bisherigen Massnahmen zu verlängern, nicht aber die meisten Unterstützungsmassnahmen. Abschliessend liess es sich der Gesundheitsminister ob der Vorwürfe des Minderheitensprechers nicht nehmen, ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass keine dieser Regelungen etwas mit der WHO zu tun hätten.

Bei der Detailberatung standen nicht nur die Fragen zur Verlängerung von Massnahmen an, der Bundesrat beabsichtigte auch, die Kantone stärker in die Verantwortung zu nehmen. So sollten diese zukünftig ab 2023 für die Organisation der Covid-19-Tests verantwortlich sein: Sie sollten das Angebot gewährleisten und die Kosten übernehmen. Nach der Rückkehr in die normale Lage gemäss Epidemiengesetz könne der Bund die entsprechenden Kosten nicht mehr ewig übernehmen, stattdessen müssten die Kantone ihre Verantwortung wieder wahrnehmen, forderte der Gesundheitsminister und mit ihm eine Minderheit Aeschi (svp, ZG). Die Kommissionsmehrheit wollte die Organisation der Tests jedoch weiterhin beim Bund belassen, um einen «Flickenteppich von verschiedenen Massnahmen» zu verhindern, wie es Kommissionssprecher Hess (mitte, BE) formulierte. Mit 136 zu 55 Stimmen folgte der Nationalrat der Kommissionsmehrheit, die SVP-Fraktion und eine Minderheit der FDP.Liberalen-Fraktion stimmten dem Bundesrat zu.
Stattdessen schlug die Kommissionsmehrheit eine andere Neuregelung hinsichtlich kantonaler Belange vor. So habe man im Dezember 2021 bereits die Finanzierung der Vorhalteleistungen durch die Kantone – also die Bereitstellung der Spitalkapazitäten – geregelt, nun müsse der Bund auch bezüglich der Finanzierung der Vorhalteleistungen bei ausserkantonalen Patientinnen und Patienten Regeln schaffen. Eine Minderheit Hess, vertreten durch Ruth Humbel (mitte, AG), befürchtete jedoch, dass solche Bundesregelungen Forderungen nach Abgeltung durch den Bund nach sich ziehen würden, und empfahl diese zur Ablehnung. Mit 112 zu 78 Stimmen folgte der Nationalrat der Kommissionsmehrheit, einzig die SVP- und eine Mehrheit der Mitte-Fraktion sprachen sich für den Minderheitsantrag aus.

Abändern wollte der Bundesrat auch die Massnahmen zum Schutz besonders gefährdeter Arbeitnehmender. Hier wollte die Regierung die Pflicht zur Lohnfortzahlung, falls behördliche Massnahmen keine Weiterarbeit erlaubten, durch eine Pflicht, den Betroffenen Homeoffice oder gleichwertige Ersatzarbeit anzubieten, ersetzen. Eine Minderheit Flavia Wasserfallen (sp, BE) beantragte die Beibehaltung der bisherigen Formulierung. «Wenn der Bund Massnahmen anordnet, muss auch Erwerbsersatz an die Arbeitgebenden ausbezahlt werden», betonte die Minderheitensprecherin. Mit 109 zu 81 Stimmen folgte der Nationalrat der Regierung, die Minderheitsposition unterstützten die Fraktionen der SP, GLP und Grünen.
Zudem wollte der Bundesrat die Regelungen zum Proximity Tracing im Epidemiengesetz durch Regelungen zu einem sogenannten Presence-Tracing ergänzen. Damit sollten Teilnehmende von Veranstaltungen freiwillig «ihre Anwesenheit ohne Angabe von Personendaten» erfassen können. Eine Minderheit Glarner wollte die Regelungen zum Proximity und Presence Tracing streichen, da Ersteres «ein Riesenflop» gewesen sei. Besonders energisch kritisierte der Minderheitensprecher überdies eine bereits bestehende Regelung, wonach der Bundesrat völkerrechtliche Vereinbarungen unter anderem zur «Harmonisierung der Massnahmen zur Erkennung, Überwachung, Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten» eingehen könne. Dadurch würde die Schweiz «gezwungen sein, Massnahmen des Auslands zu übernehmen». Mit 141 zu 50 Stimmen folgte der Nationalrat der Kommissionsmehrheit. Eine Mehrheit der SVP-Fraktion sprach sich für den Minderheitenantrag aus.

In der Folge diskutierte der Nationalrat über die Verlängerungen des Gesetzes und einzelner Massnahmen. Der Bundesrat hatte vorgeschlagen, die Geltungsdauer des Gesetzes vom 31. Dezember 2022 auf den 30. Juni 2024 zu verlängern, um die Instrumente gegen die Pandemie für die nächsten zwei Winter zu sichern. Diesbezüglich lagen zwei Minderheitsanträge vor, wobei eine Minderheit I Glarner das Gesetz bis Ende März 2023, eine Minderheit II Dobler (fdp, SG) bis Ende Juni 2023 in Kraft belassen wollte. Eine allfällige Ausbreitung der Krankheit sei spätestens im Frühling vorbei, weshalb das Gesetz maximal bis Ende März 2023 verlängert werden solle – wenn überhaupt –, forderte Andreas Glarner. Auch Marcel Dobler wollte das Gesetz «nur so lange wie nötig verlängern und nicht auf Vorrat», bei einem Ende im März 2023 müsste über eine allfällige Verlängerung aber genau während der Grippesaison beraten werden, gab er zu Bedenken. Kommissionssprecher Lorenz Hess warnte vor weiteren «Hauruckübungen» bei einem frühzeitigen Auslaufen des Gesetzes. Mit einer Verlängerung bis 2024 sei man «für den Fall eines Falles bereit». Die Mehrheit setzte sich gegen die Minderheit Glarner durch (mit 109 zu 75 Stimmen bei 3 Enthaltungen), die zuvor der Minderheit Dobler vorgezogen worden war. Der Minderheitsposition von Andreas Glarner folgten Mehrheiten der SVP- und der FDP.Liberalen-Fraktion und ein Mitglied der Mitte-Fraktion.

Eine Mehrheit der SPK-NR hatte zudem einen Antrag zur fünften Änderung des Covid-19-Gesetzes eingereicht. Sie wollte die Regelung zur Stimmabgabe in Abwesenheit bei Quarantäne oder Isolation ebenfalls bis Ende Juni 2024 verlängern, was der Bundesrat nicht vorgesehen hatte. Falls erneut eine Pflicht zur Quarantäne und Isolation ausgerufen würde, sollten die Nationalratsmitglieder in der Lage sein, wenn nötig digital abzustimmen. Eine Minderheit Buffat (svp, VD) der SPK-NR sprach sich jedoch gegen diese Verlängerung aus. Mit 142 zu 49 Stimmen folgte der Nationalrat gegen den Willen der SVP-Fraktion der Kommissionsmehrheit. Darüber hinaus verlängerte der Nationalrat mit 141 zu 48 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) entgegen einer Minderheit Aeschi die Regelung zum Covid-19-Zertifikat, lehnte aber mit 125 zu 66 Stimmen einen Minderheitsantrag von Flavia Wasserfallen ab, wonach zusätzlich auch die Massnahmen bezüglich EO, ALV, KAE sowie Kultur- und Härtefallhilfen bis Ende Juni 2024 gültig bleiben sollten.

Schliesslich entschied sich der Nationalrat mit 140 zu 48 Stimmen, das Gesetz erneut dringlich zu erklären, und sprach sich damit gegen einen Minderheitsantrag Aeschi aus. Nach drei Jahren «im ausserordentlichen Modus» und einen Tag nach einer weiteren Dringlicherklärung eines Gesetzes solle man zu einer «durchdachten Gesetzgebung» zurückkehren, hatte Thomas Aeschi vergeblich argumentiert. Gesundheitsminister Berset plädierte jedoch dafür, die Regelungen ohne Unterbruch ab dem 1. Januar 2023 zu verlängern. Mit 140 zu 47 Stimmen (bei 1 Enthaltung) nahm der Nationalrat den Entwurf der fünften Änderung des Covid-19-Gesetzes in der Gesamtabstimmung an. Eine Mehrheit der SVP-Fraktion sprach sich für Ablehnung aus.

Fünfte Revision des Covid-19-Gesetzes (Verlängerung und Änderung ausgewählter Bestimmungen; BRG 22.046)
Dossier: Covid-19-Gesetz und Revisionen

In der Herbstsession 2022 hiessen Stände- und Nationalrat die Gewährleistung der geänderten Kantonsverfassungen von Bern, Glarus, Appenzell Innerrhoden, dem Tessin und Neuenburg oppositionslos gut.
Im Ständerat erläuterten Kommissionssprecher Philippe Bauer (fdp, NE) und Justizministerin Karin Keller-Sutter, dass sowohl die einstimmige SPK-SR als auch der Bundesrat und das EJPD alle vorgelegten Verfassungsänderungen als bundesrechtskonform betrachteten. Bauer wies wie zuvor schon die bundesrätliche Botschaft lediglich noch darauf hin, dass die Kantone beim Erlass ihrer gesetzlichen Ausführungsbestimmungen auf die Vereinbarkeit mit dem Bundesrecht achten müssten, wenn es um Bereiche gehe, die nicht einfach in die Autonomie der Kantone fallen, sondern in denen auch der Bund schon Gesetze erlassen hat – dies ist namentlich bei den neuen Berner Bestimmungen zum Energieverbrauch und bei den Tessiner Bestimmungen zur Ernährungssouveränität der Fall. Weitere Voten gab es im Ständerat nicht und der Nationalrat winkte das Geschäft als Zweitrat ganz ohne Wortmeldung durch.

Gewährleistung von Änderungen in den Kantonsverfassungen von Bern, Glarus, Appenzell Innerrhoden, Tessin und Neuenburg (BRG 22.034)

In der Herbstsession 2022 folgte der Nationalrat mit 103 zu 69 Stimmen bei 4 Enthaltungen dem Antrag des Bundesrates und stimmte der Abschreibung der Motion Regazzi (mitte, TI) für eine «Ausweisung von Terroristinnen und Terroristen in ihre Herkunftsländer, unabhängig davon, ob sie als sicher gelten oder nicht», zu. Die vorberatende SPK-NR hatte ihrem Rat mit 14 zu 9 Stimmen empfohlen, dem Antrag des Bundesrates stattzugeben. Neben der im bundesrätlichen Bericht ausführlich dargelegten rechtlichen Unmöglichkeit, die Motion umzusetzen, betonte die Kommissionsmehrheit, beim Grundrechtsschutz dürfe nicht mit zweierlei Mass gemessen werden: «Ein wahrer Rechtsstaat muss auch seine Feindinnen und Feinde rechtskonform und gemäss seinen Werten behandeln», schrieb sie in der Medienmitteilung. Im Ratsplenum erklärte Kommissionssprecher Kurt Fluri (fdp, SO), der Bundesrat habe sich darüber hinaus bereit erklärt, im Umgang mit verurteilten Terroristinnen und Terroristen, die aufgrund des Non-Refoulement-Gebots nicht ausgeschafft werden können, alle rechtlich zulässigen Mittel zur Wahrung der Sicherheit der Schweiz auszuschöpfen. Justizministerin Karin Keller-Sutter ergänzte, man prüfe im Einzelfall, ob vom Herkunftsstaat die diplomatische Zusicherung erlangt werden kann, dass die betroffene Person weder gefoltert noch unmenschlich behandelt wird, sodass eine völkerrechtskonforme Ausschaffung dennoch möglich ist. Zudem werde auch jeweils geprüft, ob die Person in einen anderen Staat als ihren Herkunftsstaat weggewiesen werden kann. Gleichzeitig betonte sie, die Schweiz habe in letzter Zeit mit dem Nachrichtendienstgesetz, den Strafbestimmungen gegen Terrorismus und den präventiv-polizeilichen Massnahmen ein besseres Instrumentarium erhalten, um «mit den Personen, die wir in der Schweiz behalten müssen, umgehen zu können». Momentan handle es sich um fünf Personen, die die Schweiz aufgrund des Non-Refoulement-Gebots nicht ausschaffen könne, so die Bundesrätin.
Eine Minderheit um SVP-Nationalrat Gregor Rutz (ZH) wollte die Motion trotzdem nicht abschreiben. Es könne nicht sein, dass verurteilte Terroristinnen und Terroristen in der Schweiz blieben, und er sei nicht zufrieden damit, «dass der Bundesrat uns sagt, das ginge nicht», so Rutz. Es sei «eine Frage des gesunden Menschenverstandes», dass «wir [...] doch nicht mit unserer Rechtsordnung Leute schützen [können], die diese Rechtsordnung missbrauchen, um sie zu zerstören». Der Bundesrat müsse «noch einmal über die Bücher», denn es gebe «Möglichkeiten, wie man dieses Anliegen umsetzen kann». Einen Vorschlag, wie eine solche Umsetzung aussehen könnte, lieferte der Minderheitsvertreter dem Ratsplenum jedoch nicht. Seine Ansicht teilten die geschlossen stimmende SVP-Fraktion, die grosse Mehrheit der Mitte-Fraktion sowie FDP-Vertreterin Jacqueline de Quattro (VD), was in der grossen Kammer aber nicht zu einer Mehrheit reichte.

Ausweisung von Terroristinnen und Terroristen in ihre Herkunftsländer, unabhängig davon, ob sie als sicher gelten oder nicht (Mo. 16.3982)

Auf Antrag seiner staatspolitischen Kommission entschied der Ständerat stillschweigend, einer Standesinitiative des Kantons Genf zum Stopp der Rückführungen von Asylsuchenden in Länder, die gegen Menschenrechte verstossen, keine Folge zu geben. Unter anderem argumentierte die SPK-SR, dass das Ziel des Vorstosses in der schweizerischen Asylpolitik bereits zur Genüge durchgesetzt werde. Somit wird als nächstes die SPK-NR über den Vorstoss beraten.

Nein zu Rückführungen von Asylsuchenden in Länder, in denen die Menschenrechte mit Füssen getreten werden (Kt.Iv. 21.309)

Sans surprise, le Conseil des États s'est exprimé à l'unanimité pour une dissolution du fonds LFA, Peter Hegglin (centre, ZG) précisant que cela n'aura aucune incidence sur les allocations familiales dans l'agriculture.
Lors des votes finaux, le projet du Conseil fédéral de modification de la LFA a été avalisé par les deux chambres à l'unanimité, moins la voix de Werner Salzmann (udc, BE) s'abstenant sur cet objet.

Dissolution des Fonds LFA (MCF 22.018)

In der Herbstsession 2022 beriet der Ständerat über die parlamentarische Initiative Molina (sp, ZH) zur Einführung einer Rechtsgrundlage für gezielte Sanktionen bei schweren Menschenrechtsverletzungen und Korruption durch hochrangige Politiker und Politikerinnen. Damian Müller (fdp, LU) erläuterte der kleinen Kammer die Geschichte des Geschäfts, dem von der APK-NR im Januar 2021 Folge gegeben worden war. Die APK-SR hatte der Initiative zwar im April 2021 nicht zugestimmt, da die APK-NR aber daran festgehalten hatte und der Nationalrat die Initiative in der Folge ebenfalls angenommen hatte, musste sich die APK-SR erneut damit befassen. Kommissionssprecher Müller erklärte, dass die Kommission die Differenzbereinigung beim Embargogesetz habe abwarten wollen und daher die Beratung des Geschäfts verschoben hatte. Da man bei der Beratung des Embargogesetzes verneint habe, eine Rechtsgrundlage für eigenständige Sanktionen schaffen zu wollen, mache es in den Augen der Kommissionsmehrheit auch keinen Sinn, der Initiative Folge zu geben. Eine Minderheit Jositsch (sp, ZH) beantragte dem Rat dennoch, der Initiative Folge zu geben, da durch die persönliche Sanktionierung einzelner hochrangiger Personen negative Konsequenzen für die Zivilbevölkerung vermieden werden könnten. Jositsch erklärte, dass die Initiative – wie der ähnlich ausgestaltete Minderheitsantrag Sommaruga (sp, GE) zum Embargogesetz – eine Ombudsstelle zur Wahrung der rechtsstaatlichen Prinzipien vorsehe. Er erwarte jedoch nicht, dass dies den Ständerat umstimmen würde. Damit behielt er Recht und der Ständerat gab der Initiative mit 28 zu 13 Stimmen keine Folge, womit das Geschäft erledigt war.

Einführung einer Rechtsgrundlage für gezielte Sanktionen bei schweren Menschenrechtsverletzungen und Korruption durch hochrangige Politiker und Politikerinnen (Pa.Iv. 19.501)

Im September 2022 gab die RK-SR einer parlamentarischen Initiative Gredig (glp, ZH) zur Bekämpfung von Zwangsarbeit durch die Ausweitung der Sorgfaltspflicht mit 8 zu 5 Stimmen Folge. Die Kommission war jedoch der Meinung, dass ihre Schwesterkommission, welche nun mit der Ausarbeitung einer entsprechenden Vorlage betraut ist, die Entwicklungen in der EU bezüglich des neuen EU-Lieferkettengesetzes abwarten solle: Der indirekte Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative könne allenfalls vollständig an das neue EU-Recht angepasst werden und dabei die Bekämpfung der Zwangsarbeit beinhalten.

Bekämpfung von Zwangsarbeit durch die Ausweitung der Sorgfaltspflicht (Pa. Iv. 21.427)

Im Februar 2022 präsentierte die EU-Kommission den Entwurf eines neuen Lieferkettengesetzes – die «Konzernverantwortungsinitiative à la Brüssel», wie die Aargauer Zeitung das Massnahmenpaket bezeichnete. Das von der Kommission vorgestellte Gesetzespaket ähnelte der am Ständemehr gescheiterten Konzernverantwortungsinitiative aus dem Jahr 2020 in vielen Punkten. So sollen grössere Firmen mit Sitz in der EU für Menschenrechtsverletzungen entlang ihrer Wertschöpfungskette haftbar gemacht werden können. Zudem sollen Pflichten zur Sorgfaltsprüfung eingeführt werden, wonach Menschenrechts- sowie Umweltvorschriften durch die Unternehmen periodisch überwacht und Verstösse beseitigt werden müssen. Diese Regelungen sollen gemäss dem Entwurf für Unternehmen gelten, die mehr als 500 Mitarbeitende beschäftigen und einen jährlichen Umsatz von über EUR 150 Mio. erwirtschaften. Für Unternehmen im Textil- und Rohstoffhandel sollen bereits ab tieferen Kennzahlen Massnahmen nötig sein. Das Massnahmenpaket würde dabei nebst Firmen, die ihren Sitz in der EU haben, auch Firmen in Drittstaaten wie der Schweiz betreffen, die den genannten Umsatz im EU-Raum erwirtschaften. Wie die NZZ berichtete, seien aber durch die geplanten Massnahmen nicht nur Schweizer Grossunternehmen betroffen, die im EU-Raum im genannten Umfang Handel betreiben, sondern auch KMU, die grössere Unternehmen im EU-Raum belieferten. Denn Zulieferer müssten wohl künftig die Auflagen der grossen EU-Abnehmer erfüllen und damit faktisch die Massnahmen ebenfalls implementieren.
Wie Befürworterinnen und Befürworter der Konzernverantwortungsinitiative in den Medien erklärten, habe der Bundesrat bei der Abstimmung argumentiert, dass die Schweiz die geforderten Massnahmen nicht im Alleingang implementieren könne. Mit dem vorliegenden Entwurf der EU-Kommission liege nun ein EU-weites Massnahmenpaket vor und die Schweiz dürfe den Anschluss in der Implementierung griffiger Massnahmen nicht verpassen, warnte etwa die Genfer Ständerätin Lisa Mazzone (gp) gegenüber «24Heures».
Länder wie Frankreich (seit 2017), die Niederlande (seit 2019) oder Deutschland (seit 2021) kennen bereits beschränkte, gesetzliche Sorgfaltspflichten für Unternehmen. EU-weit bestehen derzeit vor allem für den Holzhandel sowie für den Umgang mit Mineralien aus Konfliktgebieten gewisse Sorgfaltspflichten. Mit dem vorliegenden Entwurf möchte die Kommission europaweit Unternehmen bezüglich ihrer sozialen Verantwortung in der globalisierten Welt stärker in die Pflicht nehmen.

Konzernverantwortung EU-Regel: Lieferkettengesetz
Dossier: Volksinitiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen»

La Banque nationale suisse (BNS) a enregistré une perte de CHF 95.2 milliards au premier semestre 2022. Cette perte a été essentiellement provoquée par une conjoncture économique mondiale en berne, contaminée en grande partie par la guerre en Ukraine et la volatilité des prix, notamment de l'énergie et agricoles. Cette lourde perte rajoute de l'instabilité dans les prévisions budgétaires cantonales. En effet, il n'est pas certain que la BNS puisse verser, en 2023, une part de ses bénéfices aux cantons et à la Confédération. Les ministres cantonaux des finances doivent donc s'interroger, dès aujourd'hui, sur l'ajout ou non de la contribution de la BNS à leur budget 2023.
Pour sa part, la BNS a rappelé que la forte augmentation de son bilan, depuis 2008, entraîne non seulement des potentiels de rendements considérables, mais également de forts risques de pertes. Au niveau politique, cette perte a remis en lumière les débats sur la répartition des bénéfices de la BNS. D'un côté, les fervents défenseurs de l'indépendance de la BNS, et notamment le PLR, se sont empressés de souligner que ce résultat «catastrophique» devait servir de rappel à celles et ceux qui souhaitent allouer le bénéfice de la BNS à l'AVS ou à la lutte contre le changement climatique. D'un autre côté, les politiciens et politiciennes qui militent pour une clarification de la distribution et un retour des bénéfices de la BNS à la population, et notamment la gauche, ont rappelé que les «énormes» provisions de la BNS pouvaient combler de telles pertes le cas échéant.

Bénéfice de 21 CHF milliards pour la BNS (2020)
Dossier: Was tun mit den Erträgen der Schweizerischen Nationalbank?