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In der Herbstsession 2022 folgte der Nationalrat mit 103 zu 69 Stimmen bei 4 Enthaltungen dem Antrag des Bundesrates und stimmte der Abschreibung der Motion Regazzi (mitte, TI) für eine «Ausweisung von Terroristinnen und Terroristen in ihre Herkunftsländer, unabhängig davon, ob sie als sicher gelten oder nicht», zu. Die vorberatende SPK-NR hatte ihrem Rat mit 14 zu 9 Stimmen empfohlen, dem Antrag des Bundesrates stattzugeben. Neben der im bundesrätlichen Bericht ausführlich dargelegten rechtlichen Unmöglichkeit, die Motion umzusetzen, betonte die Kommissionsmehrheit, beim Grundrechtsschutz dürfe nicht mit zweierlei Mass gemessen werden: «Ein wahrer Rechtsstaat muss auch seine Feindinnen und Feinde rechtskonform und gemäss seinen Werten behandeln», schrieb sie in der Medienmitteilung. Im Ratsplenum erklärte Kommissionssprecher Kurt Fluri (fdp, SO), der Bundesrat habe sich darüber hinaus bereit erklärt, im Umgang mit verurteilten Terroristinnen und Terroristen, die aufgrund des Non-Refoulement-Gebots nicht ausgeschafft werden können, alle rechtlich zulässigen Mittel zur Wahrung der Sicherheit der Schweiz auszuschöpfen. Justizministerin Karin Keller-Sutter ergänzte, man prüfe im Einzelfall, ob vom Herkunftsstaat die diplomatische Zusicherung erlangt werden kann, dass die betroffene Person weder gefoltert noch unmenschlich behandelt wird, sodass eine völkerrechtskonforme Ausschaffung dennoch möglich ist. Zudem werde auch jeweils geprüft, ob die Person in einen anderen Staat als ihren Herkunftsstaat weggewiesen werden kann. Gleichzeitig betonte sie, die Schweiz habe in letzter Zeit mit dem Nachrichtendienstgesetz, den Strafbestimmungen gegen Terrorismus und den präventiv-polizeilichen Massnahmen ein besseres Instrumentarium erhalten, um «mit den Personen, die wir in der Schweiz behalten müssen, umgehen zu können». Momentan handle es sich um fünf Personen, die die Schweiz aufgrund des Non-Refoulement-Gebots nicht ausschaffen könne, so die Bundesrätin.
Eine Minderheit um SVP-Nationalrat Gregor Rutz (ZH) wollte die Motion trotzdem nicht abschreiben. Es könne nicht sein, dass verurteilte Terroristinnen und Terroristen in der Schweiz blieben, und er sei nicht zufrieden damit, «dass der Bundesrat uns sagt, das ginge nicht», so Rutz. Es sei «eine Frage des gesunden Menschenverstandes», dass «wir [...] doch nicht mit unserer Rechtsordnung Leute schützen [können], die diese Rechtsordnung missbrauchen, um sie zu zerstören». Der Bundesrat müsse «noch einmal über die Bücher», denn es gebe «Möglichkeiten, wie man dieses Anliegen umsetzen kann». Einen Vorschlag, wie eine solche Umsetzung aussehen könnte, lieferte der Minderheitsvertreter dem Ratsplenum jedoch nicht. Seine Ansicht teilten die geschlossen stimmende SVP-Fraktion, die grosse Mehrheit der Mitte-Fraktion sowie FDP-Vertreterin Jacqueline de Quattro (VD), was in der grossen Kammer aber nicht zu einer Mehrheit reichte.

Ausweisung von Terroristinnen und Terroristen in ihre Herkunftsländer, unabhängig davon, ob sie als sicher gelten oder nicht (Mo. 16.3982)

Im Frühjahr 2022 gaben die Rechtskommissionen beider Räte einer parlamentarischen Initiative Flach (glp, AG) für ein ausdrückliches Folterverbot im Schweizer Strafrecht Folge. Folter sei in der Schweiz aktuell nur im Kontext von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit explizit verboten, was zur Umsetzung des völkerrechtlichen Folterverbots ungenügend sei, stellte der Initiant fest. Die bestehenden Bestimmungen ahndeten Folter nicht konsequent und effektiv genug und deckten sich nicht mit der Definition von Folter in der UNO-Antifolterkonvention. Da Folter dadurch nicht angemessen bestraft werde, laufe die Schweiz Gefahr, «in naher Zukunft» vom EGMR gerügt zu werden, so Flach in der Begründung seiner Initiative. Nicht zuletzt schwäche die lückenhafte Gesetzgebung das internationale Engagement der Schweiz gegen Folter und schade der Glaubwürdigkeit des Landes. Die RK-NR teilte diese Argumentation mehrheitlich und stimmte der Initiative mit 13 zu 9 Stimmen zu. Die Minderheit war der Ansicht, dass die geltenden Strafbestimmungen zur Ahndung von Folterhandlungen ausreichten. Die RK-SR hiess die Initiative einstimmig gut und erachtete es nun als Aufgabe ihrer Schwesterkommission, «den neuen Straftatbestand klar abzugrenzen».

Folter als eigener Straftatbestand im Schweizer Strafrecht (Pa.Iv. 20.504)

In der Sommersession 2020 befasste sich der Nationalrat als Zweitrat mit dem Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Terrorismusbekämpfung (PMT). In der langen Eintretensdebatte wurden die grundsätzlichen Fragen erörtert, ob die vorgesehenen Massnahmen mit den Menschenrechten vereinbar seien und ob es sie überhaupt brauche. Während die Fraktionen der Grünliberalen, der Grünen und der Sozialdemokraten beide Fragen entschieden verneinten, zeigte sich die bürgerliche Ratsseite sowohl von der Notwendigkeit als auch von der Völkerrechtskonformität des Gesetzes vollkommen überzeugt. GLP-Nationalrätin Katja Christ (glp, BS) beantragte Nichteintreten, weil die Gesetzesvorlage die Schweiz nicht sicherer mache, sondern den Rechtsstaat untergrabe. «Rund achtzig Nichtregierungsorganisationen sowie namhafte Straf- und Völkerrechtler» seien sich darin einig, dass mit den geplanten Massnahmen «eine Grenze überschritten» werde, nahm Christ auf die mediale Diskussion im Vorfeld der Ratsdebatte Bezug und warnte pathetisch: «Die Freiheit stirbt mit Sicherheit». Ins gleiche Horn blies Grünen-Vertreterin Marionna Schlatter (gp, ZH), die das Geschäft an den Bundesrat zurückweisen wollte. Sie forderte, die unklare Definition des Gefährders müsse überarbeitet werden, «denn weder Sie noch sonst jemand kann das Gegenteil beweisen, wenn ihr oder ihm vorgeworfen wird, potenziell gefährlich zu sein.» Gerade die Grundrechte seien «unser stärkstes Schutzschild» im Kampf gegen den Terrorismus und sie hoffe deshalb, dass die öffentliche Kritik der Menschenrechtsbeauftragten des Europarats sowie der UNO-Sonderberichterstatter «in diesem Saal etwas bewegt» habe. Dasselbe postulierte die Sozialdemokratin Franziska Roth (sp, SO), die ebenfalls einen Rückweisungsantrag stellte. Das Gesetz gefährde «das, was wir eigentlich vor Terrorismus schützen wollen, und das ist, gelinde gesagt, Stumpfsinn», polterte sie. Der Bundesrat müsse die vorgeschlagenen Massnahmen – insbesondere jene, die Kinder und Jugendliche betreffen, was «der Schweiz nicht würdig» sei – deshalb auf Vereinbarkeit mit der Bundesverfassung und mit dem Völkerrecht sowie auf ihre Notwendigkeit prüfen und einen Mitbericht der RK-NR einfordern. Kommissionssprecher Mauro Tuena (svp, ZH) plädierte dagegen für Eintreten und gegen die Rückweisungen, denn die Verschärfungen seien angesichts der terroristischen Bedrohungslage dringend notwendig. «Mit diesen Präventivmassnahmen können Menschenleben gerettet werden», appellierte er an das Ratsplenum. SVP-Fraktionssprecher Jean-Luc Addor (svp, VS) erklärte, die Schweiz befinde sich gegenüber dem Terrorismus in einer «Situation der legitimen Selbstverteidigung» und dass Kinder von Terrorgruppen benutzt würden, sei «eine traurige Realität». Dass internationale Menschenrechtsinstitutionen die Schweiz öffentlich kritisiert hatten, oder in seinen Worten sich «mit mindestens zweifelhafter Legitimität» für «berechtigt» gehalten hätten, den Volksvertretern eines souveränen Staats «eine Predigt zu halten» und ihnen zu «erklären», was sie tun dürften und was nicht, bezeichnete er indes als «einigermassen originell». FDP-Sprecher Rocco Cattaneo (fdp, TI) hob hervor, dass mit diesem Gesetz die kantonalen und kommunalen Polizeikorps «endlich» die Möglichkeit erhielten, schnell zu reagieren. Alois Gmür (cvp, SZ) legte die Position der Mitte-Fraktion so dar, dass es eben «gewisse Opfer» brauche, «wenn man tatsächlich mehr Sicherheit will», worauf ihm SP-Nationalrat Fabian Molina (sp, ZH) die rhetorische Frage stellte, ob es dann nicht am sinnvollsten wäre, «dass man alle Männer von 15 bis 50 Jahren präventiv unter Hausarrest stellen würde, um die Anzahl der Delikte gegen Leib und Leben auf nahezu null zu reduzieren». Mit vielen Fragen konfrontiert wurde auch Bundesrätin Karin Keller-Sutter, die in ihrem Votum die Notwendigkeit der Vorlage betonte und mehrfach bekräftigte, der Bundesrat habe die Grundrechtsfragen «vertieft und sorgfältig geprüft». Die international geäusserten Bedenken teile sie nicht und erachte sie als «unbegründet», erläuterte sie. Es handle sich dabei um «eine politische Stellungnahme», die aber «rechtlich nicht sehr präzis» und eher «Ausdruck einer allgemeinen Sorge» gewesen sei.
Nach einem langen, veritablen Schlagabtausch zwischen dem befürwortenden und dem ablehnenden Lager trat der Nationalrat schliesslich mit 107 zu 84 Stimmen bei einer Enthaltung auf das Geschäft ein. Die beiden Rückweisungsanträge wurden mit 85 zu 106 Stimmen (1 Enthaltung) respektive 85 zu 105 Stimmen (2 Enthaltungen) abgelehnt. Es standen sich dabei das links-grün-grünliberale und das bürgerliche Lager jeweils geschlossen gegenüber. In der Detailberatung brachte das links-grüne Lager etliche Minderheitsanträge zur Abschwächung der Vorlage ein, die allesamt scheiterten. Ebenso erfolglos blieb der einzige Änderungsantrag der Kommissionsmehrheit, die einen neuen Artikel zur sogenannten gesicherten Unterbringung von Gefährdern (GUG) einbringen wollte. Mit diesem Artikel könnten «klar Leben gerettet werden», argumentierte Kommissionssprecher Tuena, während die Kommissionsminderheit um Beat Flach (glp, AG) betonte, diese Massnahme sei nicht EMRK-konform. Auch nach Ansicht des Bundesrates gehe eine solche Präventivhaft – im Gegensatz zum Hausarrest als ultima ratio – «tatsächlich zu weit», weshalb der Bundesrat trotz Bitten der Kantone ausdrücklich auf die GUG verzichtet habe, wie die Justizministerin ausführte. Mit 113 zu 78 Stimmen bei 2 Enthaltungen folgte der Nationalrat der Minderheit und lehnte die Präventivhaft ab – dies, weil sich hier zusätzlich zur links-grünen Ratsseite auch die grosse Mehrheit der FDP-Fraktion sowie eine Minderheit der Mitte-Fraktion zum Nein-Lager gesellten. Somit nahm die grosse Kammer die inhaltlich unveränderte Vorlage – es wurden jedoch einige redaktionelle Anpassungen vorgenommen – in der Gesamtabstimmung mit 111 zu 86 Stimmen ohne Enthaltungen an. Abgelehnt hatten das Gesetz die geschlossenen Fraktionen der SP, der Grünen und der Grünliberalen sowie SVP-Nationalrat Pirmin Schwander (svp, SZ).

Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT; 19.032)
Dossier: Strategie der Schweiz zur Terrorismusbekämpfung
Dossier: PMT und damit umgesetzte Vorstösse
Dossier: Vorstösse und Massnahmen zur Bekämpfung islamistischer Radikalisierungstendenzen

Der Ständerat hatte in der Frühjahrssession 2020 die vom Bundesrat vorgeschlagenen polizeilichen Massnahmen zur Terrorismusbekämpfung (PMT) weitgehend unverändert übernommen. Damit sollen terroristische Gefährderinnen und Gefährder als letztes Mittel unter Hausarrest gestellt werden können, auch wenn sie noch minderjährig sind. Daran entzündete sich nachfolgend eine öffentliche Debatte über die Rechtsstaatlichkeit solcher Massnahmen. Wer ein Gefährder oder eine Gefährderin ist, sei nur «äusserst schwammig» definiert, monierte die WOZ, und es sei beängstigend, «wie sorglos die ParlamentarierInnen mit den Grundrechten umgehen». Weiter lastete die Zeitung der Kantonskammer «Arbeitsverweigerung» an, weil sie sich nicht mit diesen grundlegenden Fragen auseinandergesetzt habe. Kritisch ausgefallen ist, wie die Presse im Mai berichtete, auch ein Rechtsgutachten, das vom Bund und den Kantonen in Auftrag gegeben worden war. Darin warnte Rechtsprofessor Andreas Donatsch vor einer Verletzung der EMRK – dass ein Mensch als gefährlich eingestuft werde, genüge nicht, um ihn einzusperren. Zum selben Schluss kamen sowohl das UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte als auch die Menschenrechtskommissarin des Europarates, Dunja Mijatović. Man befürchte, «dass die Anwendung dieses Gesetzes zu erheblichen Verletzungen der Menschen- und Grundrechte führt», zitierte beispielsweise der «Sonntags-Blick» aus dem Schreiben an den Bundesrat, das fünf UNO-Sonderberichterstatter unterzeichnet hatten. Die unpräzisen Formulierungen bzw. das vage Konzept des «potenziellen Terroristen» bereiteten das Feld für willkürliche Freiheitsentzüge und die vorgesehenen Massnahmen seien so weder mit der EMRK noch – da zum Teil schon ab 12 Jahren angedacht – mit der UNO-Kinderrechtskonvention vereinbar, lautete die internationale Schelte. Europaratskommissarin Mijatović forderte die Schweizer Parlamentarierinnen und Parlamentarier zudem in einem Brief auf, «ihr Vorhaben zu revidieren», wie «Le Temps» berichtete.
Die SiK-NR goss unterdessen munter Öl ins Feuer, als sie ungeachtet der Kritik am bundesrätlichen Entwurf diesen noch verschärfte. In ihrer Sitzung Mitte Mai 2020 ergänzte sie die polizeilichen Massnahmen mit 11 zu 10 Stimmen bei 4 Enthaltungen um eine sogenannte gesicherte Unterbringung von Gefährdern (GUG), d.h. eine Präventivhaft für Personen, die keine Straftat begangen haben, denen der Nachrichtendienst dies aber zutraut. Sie wolle damit eine vom Nationalrat 2018 angenommene entsprechende Motion 16.3673 umsetzen, war ihrer Medienmitteilung zu entnehmen. Die Aargauer Zeitung kommentierte diesen Entscheid in Anbetracht der Debatte um die Rechtsstaatlichkeit des – im Vergleich zur Haft weniger einschneidenden – Hausarrests als «überraschend». Als Anführer der starken Minderheit, die sich in der Kommission gegen die Präventivhaft stellte, liessen die Medien Nationalrat Beat Flach (glp, AG) zu Wort kommen: Ein liberaler Rechtsstaat müsse andere – auch «verrückt andere» – Meinungen zulassen, denn wenn wir unsere Grundwerte über Bord würfen, hätten die Terroristen uns «in die Knie gezwungen», so Flach gegenüber der Aargauer Zeitung. Relativierend äusserte sich in derselben Zeitung dagegen Kommissionspräsidentin Ida Glanzmann-Hunkeler (cvp, LU): «Damit man in der Schweiz als Gefährder eingestuft wird, braucht es mehr als eine extreme Meinungsäusserung.»
Bevor sich in der Sommersession 2020 der Nationalrat mit dem Geschäft befassen wird, sprachen sich in der Presse Vertreterinnen und Vertreter von Menschenrechtsorganisationen sowie Kinder- und Grundrechtsexperten noch einmal vehement gegen die umstrittenen Massnahmen aus. Bei der Terrorbekämpfung dürften die Menschenrechte nicht aussen vor bleiben, forderten sie unisono. Ausserdem habe die Schweiz mit Genf als «UNO-Menschenrechtshauptstadt» durchaus einen Ruf zu verlieren, gab eine Vertreterin von Amnesty International gegenüber dem «Corriere del Ticino» zu bedenken.

Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT; 19.032)
Dossier: Strategie der Schweiz zur Terrorismusbekämpfung
Dossier: PMT und damit umgesetzte Vorstösse
Dossier: Vorstösse und Massnahmen zur Bekämpfung islamistischer Radikalisierungstendenzen

Anders als zuvor der Nationalrat war die SPK-SR mehrheitlich (6 zu 4 Stimmen, 2 Enthaltungen) der Ansicht, das Non-Refoulement-Prinzip sei ein fester Bestandteil der Bundesverfassung und schütze selbst verurteilte Terroristinnen und Terroristen zu Recht vor der Ausschaffung in ein Land, wo ihnen Folter oder die Todesstrafe droht. Demzufolge beantragte sie die Motion Regazzi (cvp, TI), die die Ausweisung von Dschihadistinnen und Dschihadisten in Folterstaaten ermöglichen sollte, ohne Gegenantrag zur Ablehnung. Dem Ständeratsplenum wurde in der Frühjahrssession 2019 dann jedoch ein Einzelantrag Minder (parteilos, SH) auf Annahme der Motion vorgelegt. Der parteilose Antragsteller argumentierte, das zwingende Völkerrecht greife hier nicht, sei gar «für jeden Rechtsstaat absurd und total unbefriedigend», denn «diese Nichtrückkehrer, diese Dschihadisten, diese Gefährder» kosteten den Staat «Millionen von Franken» und verursachten «in den Kantonen, beim Bund und in der Bevölkerung Frust und Unverständnis». Nicht zuletzt nahm er damit Bezug auf die fünf wegen Terrorismus verurteilten Iraker der «Schaffhauser IS-Zelle», die nach verbüsster Strafe nicht in den Irak ausgeschafft werden können, da ihnen dort mutmasslich Folter droht. FDP-Ständerat Andrea Caroni (AR) entgegnete mit einem Plädoyer für den Rechtsstaat, in dem er seine Ratskolleginnen und -kollegen dazu aufrief, sich nicht für Folter herzugeben und nicht das «innere Heiligtum» des Rechtsstaats preiszugeben. Die Schweiz solle ihre «höchsten Werte [...] nicht im blinden Eifer gegen die blinden Eiferer zerstören, damit wir nicht eines Tages werden wie sie». Überdies sei der Fokus der Motion auf Dschihadistinnen und Dschihadisten – «das Feindbild du jour» – unverständlich, denn Massenmord und Terrorismus seien nicht an eine Religion gebunden. Gegen den Vorstoss argumentierte ebenso Justizministerin Karin Keller-Sutter: Das menschenrechtliche Rückschiebungsverbot könne als Teil des zwingenden Völkerrechts nicht einfach umgangen werden. Zusätzlich wies sie auf die laufenden Arbeiten zum Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus hin und erläuterte, es sei nicht ganz einfach, geforderte Massnahmen wie beispielsweise die geschützte Unterbringung von Gefährderinnen und Gefährdern grundrechtskonform umzusetzen. Doch damit biss sie – wie im Nationalrat schon ihre Vorgängerin – letztlich auf Granit. Mit 22 zu 18 Stimmen bei einer Enthaltung nahm die kleine Kammer die Motion an. Auch wenn man das zwingende Völkerrecht nicht brechen könne, so müsse doch etwas getan werden, war in etwa der Grundtenor des Entscheids.
Das für eine Motion ungewöhnlich grosse Medienecho widerspiegelte ebenfalls die Umstrittenheit des Entscheids. Angesichts der Kritik, die Motion stelle den Rechtsstaat infrage, verteidigten die Befürworter – allen voran Motionär Fabio Regazzi – ihren Standpunkt, verurteilte Terroristen müssten sich nicht auf die Menschenrechte berufen können und «man müsse die Sorgen der Bevölkerung ernst nehmen» (NZZ). Demgegenüber sprach Gegner und FDP-Nationalrat Kurt Fluri (SO) gegenüber der NZZ von «Hysterie» und «Populismus». Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International Schweiz bezeichnete den Gesetzgebungsauftrag als «inakzeptabel». Als Element des zwingenden Völkerrechts könne das Non-Refoulement-Prinzip in einem Rechtsstaat keinesfalls, auch nicht unter dem Deckmantel der inneren Sicherheit, derogiert werden. Wie der Bundesrat den verbindlichen Auftrag umsetzen will, war zunächst noch unklar; gemäss NZZ wolle das Justizdepartement «die Sache nun genauer analysieren».

Ausweisung von Terroristinnen und Terroristen in ihre Herkunftsländer, unabhängig davon, ob sie als sicher gelten oder nicht (Mo. 16.3982)

Da Initiativen der Beratungskategorie der sogenannten «freien Debatte» zugeordnet werden, haben grundsätzlich alle Parlamentsmitglieder das Recht auf Wortmeldung. In den anderen, seit 1990 geltenden Beratungskategorien äussern sich in der Regel – neben den Vertreterinnen und Vertretern des Bundesrates – lediglich Kommissionssprecherinnen und -sprecher, Antragstellerinnen und Antragsteller von Vorstössen oder Minderheitsanträgen und allenfalls Fraktionssprecherinnen und -sprecher. Schon früher uferte die freie Debatte bei Volksinitiativen gerne auch in einem ziemlichen Redemarathon aus, so etwa bei der «No-Billag»-Initiative. Immer häufiger wird in solchen Debatten zudem auch das Recht genutzt, Zwischenfragen zu stellen. So war es auch wenig verwunderlich, dass im Nationalrat nicht weniger als 83 Ratsmitglieder einen Antrag gestellt hatten, um in einem Votum die eigene Position zur Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)» verdeutlichen zu können. Aufgrund der grossen Zahl an Rednerinnen und Rednern, aber eben auch aufgrund der zahlreichen vor allem von SVP-Vertreterinnen und -vertretern gestellten Zwischenfragen dauerte die Debatte schliesslich insgesamt über neun Stunden – auf drei verschiedenen Sessionstage verteilt.

In der Tat stellten die Fraktionsmitglieder der SVP den Hauptharst der Rednerinnen und Redner, nämlich deren 42; von der SP-Fraktion meldeten sich 17 Mitglieder zu Wort, von der FDP deren acht, von der CVP sieben, von den Grünen vier und von GLP und BDP je zwei. Nicht weniger als 82 der 102 Zwischenfragen stammten zudem von der Volkspartei (FDP: 9; SP: 7; BDP: 2; CVP: 1; GP: 1), wobei die SVP-Fraktionsvertreterinnen und -vertreter sich häufig auch innerhalb der Fraktion selber befragten, was Roger Nordmann (sp, VD) zur Zwischenfrage veranlasste, ob es sich hier nicht eher um die «Selbstbefragungs-Initiative» handle. Den von verschiedenen Ratsmitgliedern geäusserte Verdacht, dass die Volkspartei versuche, die Ratsabstimmung über die Initiative so zu verzögern, dass das Begehren nicht bereits im November 2018, sondern im Wahljahr 2019 an die Urne gelangt – Beat Jans (sp, BS) sprach von «Filibustern» und Nadine Masshardt (sp, BE) staunte darüber, dass die SVP so viele Fragen zur eigenen Initiative habe – konnte die SVP nicht ganz ausräumen. Freilich können Zwischenfragen nur gestellt werden, wenn der Ratspräsident oder die Ratspräsidentin – aktuell Dominique de Buman (cvp, FR) – unmittelbar nach einem Votum die Rednerin oder den Redner fragt, ob diese oder dieser die Zwischenfrage zulasse. Wird diese Frage verneint, darf die Zwischenfrage nicht gestellt werden. Die meisten Votantinnen und Votanten – mit Ausnahme der SVP-Abgeordneten – liessen denn die Zwischenfragen gar nicht zu. Weil einige darob erzürnte SVP-Zwischenfragerinnen und -frager ihre Frage trotzdem in den Saal riefen, musste de Buman einige Ermahnungen aussprechen.

Der Verdacht, dass es der SVP mit ihrer Redner- und Zwischenfragestrategie in der Tat nicht nur um einen Kampf gegen die «Diskussionsverweigerung [...] der Demokratieabschaffer in diesem Saal» ging, wie sich etwa Roger Köppel (svp, ZH) echauffierte, sondern um eine Verschleppungstaktik, «damit das Geschäft erst im Wahljahr vors Volk kommt», wie Roger Nordmann vermutete, wurde durch einen von Fraktionssprecher Thomas Aeschi (svp, ZG) vorgebrachten Ordnungsantrag weiter erhärtet. Die SVP wehrte sich nämlich dagegen, dass für den dritten Debattenteil eine Nachtsitzung anberaumt wurde, was in der Regel nur bei hoher Geschäftslast oder dringlichen Geschäften erfolge. Mit ihrem Ordnungsantrag wollte die SVP ihr Begehren zu den normalen Sitzungszeiten weiter beraten, was wohl eine Verschiebung in die Herbstsession bedeutet hätte. Die Sprecherin des Büros, Marina Carobbio Guscetti (sp, TI) wies darauf hin, dass mit der überdurchschnittlichen Zahl an Rednerinnen und Rednern das Kriterium der hohen Geschäftslast sehr wohl erfüllt sei. Der Ordnungsantrag wurde dann mit 121 zu 67 Stimmen abgelehnt. Die 67 Stimmen stammten allesamt aus den Reihen der Volkspartei.
Auch der am dritten Verhandlungstag gestellte Antrag der SVP, die Anwesenden zu zählen, um das nötige Quorum nachzuprüfen, verhalf nicht wirklich zu einer Beschleunigung der Debatte. Freilich verliessen zahlreiche Parlamentarierinnen und Parlamentarier nach dem Drücken des blauen Knopfes – der der Anwesenheitskontrolle dient – den Nationalratssaal wieder, was Toni Brunner (svp, SG) derart erzürnte, dass er als Antwort auf eine entsprechende Zwischenfrage von Thomas Aeschi von einem «Kindergarten» sprach und seine Tirade gegen die nicht anwesenden Ratskolleginnen und -kollegen vom Nationalratspräsidenten erst durch Abschalten des Mikrofons unterbrochen wurde.

Nebst all diesem Geplänkel wurden freilich auch Argumente ausgetauscht. In der Tat dienen die freie Debatte wie auch die Zwischenfragen ja durchaus auch dazu, den Bürgerinnen und Bürgern zu zeigen, welche Begründungen für den Bezug der verschiedenen Fronten geltend gemacht werden. Die ab und zu ziemlich emotional, ja gar gehässig geführte Debatte – der Sonntags-Blick sprach von einer von der SVP geplanten und zelebrierten Entgleisung, der Tages-Anzeiger von einem eigentlichen Politikspektakel und die Aargauer Zeitung warf der SVP vor, statt einer inhaltlichen Debatte auf Klamauk zu setzen – liess in der Tat deutliche Positionsbezüge erkennen. Während alle Mitglieder der SVP-Fraktion das Begehren vehement verteidigten, lehnten alle anderen Fraktionen die Initiative einhellig ab.

Die Kommissionssprecherin Valérie Piller Carrard (sp, FR) und der Kommissionssprecher Kurt Fluri (fdp, SO) berichteten, dass alle von der SPK-NR angehörten Wirtschaftsvertreterinnen und -vertreter sowie sämtliche Rechtsexperten die Initiative ablehnten. Es werde befürchtet, dass das Begehren dem Wirtschaftsstandort Schweiz schade und in juristischer Hinsicht mehr Probleme schaffe als löse. In der Kommission sei zudem die Gefahr einer Kündigung wichtiger Menschenrechtsabkommen, ja gar der Europäischen Menschenrechtskonvention, diskutiert worden. Klar sei einzig, dass bei einem Konflikt zwischen Völker- und Landesrecht bestehende Verträge neu verhandelt oder gekündigt werden müssten. Wer allerdings in welchem Verfahren feststelle oder entscheide, wann ein Normenkonflikt bestehe und wann nicht bzw. wann dieser Konflikt genügend gravierend sei, bleibe völlig unklar. Dies würde bei Annahme des Volksbegehrens eine grosse Rechtsunsicherheit schaffen. Die Kommission empfehle deshalb mit 16 zu 9 respektive 14 zu 11 Stimmen, die Initiative abzulehnen und nicht auf den Gegenvorschlag einzutreten. Letzterer war von Gerhard Pfister (cvp, ZG) eingebracht worden und entsprach im Grossen und Ganzen dem schon im Ständerat gescheiterten Vorschlag von Andrea Caroni (fdp, AR). Pfister zog seinen Antrag gleich zu Beginn der nationalrätlichen Debatte zurück, weil die Initianten keinerlei Bereitschaft zeigen würden, auf seinen Vorschlag für eine alternative Lösung überhaupt einsteigen zu wollen.

Die Befürworterinnen und Befürworter der Initiative begründeten ihr Anliegen mit vier Hauptargumenten: (I) Die Initiative wolle Rechtssicherheit schaffen, indem die Hierarchie von Völker- und Landesrecht geklärt werde. Dies sei auch angesichts einer immer stärkeren Einmischung rechtlicher Normen in die Politik (sogenannte Justizialisierung) von Nöten. (II) Damit werde zudem die (direkte) Demokratie gestärkt und die Abhängigkeit vom Ausland gemindert. (III) Häufig wurde argumentiert, dass mit der Initiative nur ein Zustand wiederhergestellt werde, wie er fünf Jahre zuvor schon geherrscht habe. Damit wurde auf ein Bundesgerichtsurteil vom 12. Oktober 2012 rekurriert, mit welchem die Schubert-Praxis faktisch ausser Kraft gesetzt und wodurch festgelegt worden sei, dass internationales Recht generell nationalem Recht vorgezogen werden müsse. Konkret hatte das Bundesgericht in einem Fall die Menschenrechtskonvention der Regelung der Ausschaffungsinitiative vorgezogen. Damit sei die direkte Demokratie gleichsam ausgehebelt worden, so die SVP. Kein anderer Staat gebe aber internationalem Recht Vorrang vor Landesrecht. (IV) Gewarnt wurde in diesem Zusammenhang auch vor der Einmischung der EU, die mit dem viel diskutierten Rahmenabkommen und dem Vorrang von internationalem Recht faktisch zum «obersten Souverän der Schweizerischen Eidgenossenschaft» werde – so etwa Hans-Ueli Vogt (svp, ZH). Die Schweiz werde zu einer Marionette und Volksentscheide verkämen zu einer Art Umfrageergebnis, was letztlich nur noch eine Scheinselbstbestimmung sei, erklärte Thomas Aeschi. Andreas Glarner (svp, AG) verklebte sich den Mund mit blauen Klebestreifen, um zu demonstrieren, dass man sich den Mund verbieten lasse. Roger Köppel warnte gar von einer «kalten Entmachtung des Volkes» und Magdalena Martullo-Blocher (svp, GR) stellte die Anschuldigung in den Raum, dass die «sogenannten Volksvertreter im Saal», denen man im Gegensatz zum Volk nicht vertrauen könne, dem süssen Gift der Macht verfallen seien, die Souveränität des Volkes an sich rissen und ins Ausland verkauften. Dies sei der Untergang der Schweiz.

Die Gegnerinnen und Gegner des Begehrens betonten neben den bereits von der Kommission vorgebrachten Argumenten auch den nötigen Spielraum, den Gerichte im Einzelfall bräuchten, der aber mit einer Annahme der Initiative stark eingeschränkt würde. Zahlreiche Plädoyers machten sich zudem für die Menschenrechte stark, die mit der Annahme einer Initiative gefährdet wären, weil die Kündigung der Menschenrechtskonvention durch die Schweiz einen fatalen Vorbildcharakter hätte. Balthasar Glättli (gp, ZH) sprach etwa von einer «Antimenschenrechts-Initiative». Das Volksbegehren stelle die Werte der Schweiz – laut Nadine Masshardt (sp, BE) «Verlässlichkeit, Stabilität und Menschenrechte» – fundamental infrage. Die kleine Schweiz sei auf Vertragssicherheit und auf Völkerrecht angewiesen, damit sie nicht dem Recht des Stärkeren ausgesetzt sei. Aber wer – so fragte sich Matthias Jauslin (fdp, AG) – gehe mit einem unverlässlichen Partner noch einen Vertrag ein? Völkerrechtliche Verträge würden von der Schweiz freiwillig eingegangen, weil sie von grossem Nutzen seien, betonte Ruth Humbel (cvp, AG). Die Stimmbevölkerung werde nicht durch Völkerrecht entmachtet, weil wichtige Verträge ja immer direktdemokratisch legitimiert seien, gab Eric Nussbaumer (sp, BL) zu bedenken.

Das Schlussvotum gehörte Justizministerin Simonetta Sommaruga. Sie führte aus, dass sich Souveränität und globale Vernetzung nicht widersprechen, weil die Schweiz souverän bestimme, mit wem sie internationale Verträge abschliesse. Wie diese Verträge abzuschliessen seien und dass man sie einzuhalten habe, stehe eigentlich in der von Volk und Ständen abgesegneten Bundesverfassung. Ebenfalls festgehalten sei, dass es den Gerichten zu überlassen sei, bei Normenkonflikten flexibel und pragmatisch zu entscheiden. Mit der Selbstbestimmungsinitiative würde dies allerdings auf den Kopf gestellt. Das Begehren fordere nicht nur, dass Völkerrecht nicht mehr zählen solle, sondern dass die Gerichte im Konfliktfall rechtswidrige Entscheide fällen müssten. Die Neuaushandlung von Verträgen würde damit zu einer Obligation und bleibe nicht Option. Die Initiative, weil sie nur Schwarz und Weiss kenne, zwänge die Schweiz in ein Korsett. Nicht nur die eigene Handlungsfähigkeit würde eingeschränkt, sondern auch die Zuverlässigkeit der Schweiz als Vertragspartnerin werde aufs Spiel gesetzt. Zudem sei die Initiative nicht genügend deutlich bei der Definition von «Widerspruch». Wann ein Konflikt zwischen Völkerrecht und Landesrecht bestehe, wie gross dieser sein müsse und wer dies entscheide, bleibe unklar. Die Justizministerin versuchte auch die Meinung zu entkräften, dass das Bundesgericht seit 2012 auf die Schubert-Praxis verzichtet habe; es sei im Gegenteil in mehreren Fällen Bezug genommen worden auf diese Praxis. Die Schweiz sei erfolgreich, weil sie beweglich und pragmatisch immer wieder neue Antworten auf neue Herausforderungen gefunden habe. Die im Gegenteil dazu starre und dogmatische Initiative werde vom Bundesrat deshalb zur Ablehnung empfohlen.

Wie aufgrund der Debatte nicht anders zu erwarten war, stimmten die 67 anwesenden Mitglieder der SVP-Fraktion – einzig Ulrich Giezendanner (svp, AG) war abwesend – für und die restlichen 127 bei der Abstimmung anwesenden Nationalrätinnen und Nationalräte gegen Annahme der Initiative.

Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)» (BRG 17.046)