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Die Kampagne rund um die Selbstbestimmungsinitiative lief eigentlich schon seit der Lancierung des Begehrens Anfang 2015. Diverse Parteien und verschiedene Organisationen hatten sehr früh ihren Widerstand angekündigt. Schon im März 2015 hatte der Tages-Anzeiger getitelt «Alle gegen die Volkspartei»: Wirtschaftsverbände hatten Sorgen um Handelsverträge geäussert, Staatsrechtlerinnen und Staatsrechtler hatten einen Angriff auf die Menschenrechte befürchtet, Rechtshistorikerinnen und Rechtshistoriker hatten die Idee der «fremden Richter» bemüht, verschiedentlich war eine Instrumentalisierung des Initiativrechts moniert worden und vor den eidgenössischen Wahlen im Herbst 2015 hatte die Frage zur Beziehung von Völkerrecht und Landesrecht «unter Politikern für Polemiken und rote Köpfe» gesorgt (NZZ) – und das alles noch bevor die Initiative überhaupt zustande gekommen war. Die SVP wollte nach eigenem Ermessen Klarheit und Sicherheit hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Völkerrecht und Landesrecht herstellen, was freilich von den Gegnerinnen und Gegnern als «falsches Versprechen» (NZZ) oder «initiative simpliste» (Le Temps) bezeichnet und bestritten wurde. Rückenwind brachte die Initiative wohl auch ihrem Erfinder Hans-Ueli Vogt (svp, ZH), der während seines Ständeratswahlkampfes im Kanton Zürich für das Begehren geworben hatte.

Die Medienberichterstattung über die Selbstbestimmungsinitiative riss natürlich auch während ihrer parlamentarischen Behandlung 2017 und 2018 nicht ab. Diskutiert wurde dabei unter anderem auch schon früh über den Abstimmungstermin. Ob die SVP im Wahljahr 2019 von der Initiative profitieren könne oder nicht, hänge vor allem vom Arbeitstempo des Parlaments und davon ab, ob ein Gegenvorschlag ausgearbeitet würde oder nicht, berichtete die Presse. In den Medien wurden derweil auch verschiedentlich Fälle beschrieben, bei denen Gerichte internationalen Verträgen den Vorrang vor Verfassungsbeschlüssen gegeben hatten. Insbesondere die Ausnahmen, die in Einzelfällen bei der Anwendung des Ausführungsgesetzes zur Ausschaffungsinitiative gemacht wurden, waren ja auch Stein des Anstosses für die Selbstbestimmungsinitiative gewesen. Ob die Schweiz nun «Musterschülerin» sei (Tages-Anzeiger), die in vorauseilendem Gehorsam handle, oder sich als Vertragspartnerin an internationale Abkommen halten müsse, wie in der Presse ebenfalls argumentiert wurde, – die Diskussionen hielten die Selbstbestimmungsinitiative im Gespräch.

Bereits vor Abschluss der parlamentarischen Verhandlungen lancierten die Gegnerinnen und Gegner der Initiative Ende Mai 2018 mittels einer Medienkonferenz offiziell den Abstimmungskampf – obwohl dann noch nicht entschieden war, wann das Anliegen an die Urne kommen sollte. Unter dem Namen «Schutzfaktor M» – M stand bei der bereits 2013 ins Leben gerufenen Organisation für Menschenrechte – und der Bezeichnung «Allianz der Zivilgesellschaft» hatten sich laut Basler Zeitung über hundert Organisationen – darunter etwa der katholische Frauenbund, Pink Cross, Behinderten- und Jugendverbände oder Helvetas – und Tausende Einzelpersonen zusammengeschlossen. Vor der Presse bezeichneten verschiedene Vertreterinnen und Vertreter dieser Organisationen das SVP-Anliegen als «Selbstbeschneidungs-Initiative» oder «Anti-Menschenrechts-Initiative». Die ungewohnt frühe Organisation der Gegnerschaft sei mit der Bedeutung der Initiative zu erklären, aber auch damit, dass der «Abstimmungskampf kein Spaziergang» werde, so der Tages-Anzeiger. Darauf weise auch eine im März 2018 durchgeführte Umfrage hin, die zeige, dass 43 Prozent der Befragten die Initiative sicher oder eher annehmen würden und 48 Prozent dagegen oder eher dagegen seien.

Anfang Juli entschied der Bundesrat dann, die Abstimmung auf den frühest möglichen Zeitpunkt, den 25. November 2018, festzulegen. Anfang Oktober startete die SVP mit ihrem Abstimmungskampf, der zumindest hinsichtlich der verwendeten Bilder und verglichen mit früheren Kampagnen zur Minarett-, Ausschaffungs- oder Masseneinwanderungsinitiative etwa vom Sonntags-Blick als «völlig harmlos» bezeichnet wurden. Auf einem in orange gehaltenen Hintergrund hielten Personen ein Schild mit einem Ja «zur direkten Demokratie» und «zur Selbstbestimmung» in die Kamera. Das Logo der Partei war nicht sichtbar. Man habe die Botschaft bewusst simpel halten wollen. Eine aggressive Kampagne sei nicht nötig, weil die Botschaft klar sei, zudem wolle man einen sachlichen Abstimmungskampf führen, gab Kampagnenchef Thomas Matter (svp, ZH) zu Protokoll.

Die Gegnerschaft fuhr für ihre Kampagne schwereres Geschütz auf: So liess Economiesuisse 18 Frachtcontainer auf den Bundesplatz stellen mit dem Hinweis, dass darin 387 Tonnen Exportgüter Platz hätten, was der Menge entspreche, die von der Schweiz aus alle 10 Minuten in die Welt verkauft werde. Diese Ausfuhren seien aber bei einem Ja zur Selbstbestimmungsinitiative gefährdet. Nur dank zahlreicher internationaler Abkommen, die bei einem Ja alle auf der Kippe stünden, gehöre die Schweiz zu den 20 grössten Volkswirtschaften weltweit. Das «Gesicht der Operation Libero» (Blick), Flavia Kleiner, sprach von der «krassesten Initiative, über die wir je abgestimmt haben», mit ihr werde der Rechtsstaat fundamental angegriffen. Eine in den Medien häufig zu vernehmende Stimme gehörte Helen Keller, der Vertreterin der Schweiz am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Auch für sie entsprach die Initiative einem Angriff auf den Rechtsstaat und die Menschenrechte. Sie argumentierte, dass das Volksbegehren nicht hätte für gültig erklärt werden dürfen und fürchtete sich bei einer Annahme vor einer «Katastrophe», wie die Weltwoche ausführte. Plakate der Gegnerinnen und Gegner zeigten eine Kreissäge, die verschiedene Begriffe (z.B. Frauenrechte, Kinderrechte, Behindertenrechte) durchtrennte, verbunden mit dem Slogan «Nein zur Selbstbeschneidungsinitiative der SVP». In der Weltwoche wurden die Plakate als «krasser Ausdruck» von «Volksverachtung» bezeichnet, mit der die «antidemokratische Gesinnung der Selbstbestimmungsgegner» sichtbar werde. Volksentscheide würden mit «Kettensägenmassaker[n]» gleichgesetzt.
Auch auf Social Media hatten die Gegnerinnen und Gegner der Initiative «die Nase vorn» (Weltwoche). Mit einem Film zeigten sie als antike Soldaten verkleidete Mitglieder der SVP (Roger Köppel [ZH], Andreas Glarner [AG] und Magdalena Martullo-Blocher [GR]), die in einem Trojanischen Pferd versteckt das Bundesgericht entmachten wollten. Ein grosses Holzpferd wurde dann auch kurz vor dem Abstimmungstermin auf dem Berner Bahnhofsplatz präsentiert.

Die SVP – allen voran Christoph Blocher – verteidigte die Initiative mit dem Argument, dass die direkte Demokratie schleichend ausgehebelt werde. Bei der Abstimmung stünden nichts weniger als die Volksrechte auf dem Spiel. «Damit die Leute noch etwas zu sagen haben», müssten sie Ja stimmen, so der vom Blick als «SVP-Übervater» bezeichnete Blocher. Der alt-Bundesrat betrachtete die Selbstbestimmungsinitiative zudem als Vehikel, mit dem der EU-Rahmenvertrag verhindert werden könne. Sehr häufig trat auch Hans-Ueli Vogt vor die Medien, um «seine» Initiative zu verteidigen. Auch der «Architekt» des Begehrens, so die Aargauer Zeitung, argumentierte mit der Verteidigung der direkten Demokratie. Das Parlament setze angenommene Initiativen mit Verweis auf internationale Verpflichtungen nicht so um, wie dies von der Stimmbevölkerung verlangt werde. Mit der Initiative werde der Stellenwert der direkten Demokratie hingegen wieder gestärkt.

Für Wirbel sorgte ein Flyer, der von der SVP Mitte August 2018 an alle Schweizer Haushalte verteilt wurde. Darin trat alt-Bundesrätin Micheline Calmy-Rey als Kronzeugin für die Selbstbestimmungsinitiative auf: «Das Schweizer Recht schützt besser als das europäische. Ich bin entschieden dagegen, dass europäisches Recht sämtliche Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU regeln soll», wurde die ehemalige Magistratin zitiert. Diese Aussage hatte Calmy-Rey im Rahmen einer Diskussion um das EU-Rahmenabkommen gemacht. Von der SVP sei sie aber nicht angefragt worden, sie sei schockiert über dieses Vorgehen. SP-Parteipräsident Christian Levrat (sp, FR) sprach in diesem Zusammenhang von «Lügenpropaganda». Auch die «Buh-Rufe» und die «Schimpftiraden» (Aargauer Zeitung), die Bundesrätin Simonetta Sommaruga bei einem Podium in Suhr (AG) über sich ergehen lassen musste, zeugten von der immer aufgeheizteren Stimmung. Nicht nur die von der SVP immer wieder heftig attackierte Justizministerin, sondern auch die Bundesratsmitglieder Doris Leuthard, Alain Berset, Ignazio Cassis und Johann Schneider-Ammann engagierten sich mit verschiedenen Auftritten für die ablehnende Haltung des Bundesrates. Man habe Lehren aus dem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative gezogen, bestätigte Simonetta Sommaruga der Aargauer Zeitung, und trete darum als Regierung stärker in Erscheinung.

Ende August zeigte eine Umfrage, dass zu diesem Zeitpunkt 53 Prozent der Befragten Nein zur Initiative gesagt hätten und 45 Prozent Ja. Als aussergewöhnlich wurde von den Befragenden der Umstand gewertet, dass das Ja-Lager über die Zeit nicht kleiner geworden sei; ein Muster, das sonst bei Initiativen im Verlauf einer Kampagne zu beobachten sei. Thomas Matter sprach bei seinem Kommentar zu diesen Zahlen in der Aargauer Zeitung von einem Kampf «David gegen Goliath». Er schätzte den finanziellen Aufwand der Gegnerschaft auf einen «zweistelligen Millionenbetrag». Die Gegnerinnen und Gegner führten eine «Märchenstundenkampagne mit unlimitierten Budgets», urteilte Matter. Die SVP selber habe weniger als CHF 3 Mio. ausgegeben. Eine Analyse von Media Focus ging hingegen aufgrund der gekauften Werbeflächen (Plakate, Inserate, Werbung auf Youtube) davon aus, dass das Befürworterlager mehr ausgegeben hatte als das Gegnerlager. Auch die APS-Inserateanalyse, mit der die Anzahl der in Printmedien geschalteten Inserate betrachtet wird, stellte ein grösseres Engagement der Befürwortenden- als der Gegnerseite fest. Zudem schalteten die Befürworterinnen und Befürworter deutlich mehr Inserate als noch bei der Masseneinwanderungs- oder der Durchsetzungsinitiative. Wer wie viel für den Abstimmungskampf ausgab, blieb zwar ein Geheimnis, die Kosten waren aber sicherlich überdurchschnittlich hoch.
Die Gegnerinnen und Gegner warnten aufgrund der Umfrageresultate davor, zu meinen, dass das Rennen bereits gelaufen sei. Demoskopen würden sich oft irren, so etwa der Blick. Als für das Nein-Lager nicht förderlich, wurde zudem die Absicht des Bundesrates bezeichnet, ausgerechnet kurz vor der Abstimmung eine Unterzeichnung des umstrittenen UNO-Migrationspaktes zu prüfen. Die Umfragen hatten zudem gezeigt, dass rund ein Drittel der FDP-Sympathisierenden die Initiative unterstützen würde. Auch die Ja-Parole der Jungfreisinnigen des Kantons Zürich zeige, dass durch den Freisinn ein Riss verlaufe, urteilte der Sonntags-Blick. Diesem wollte Parteipräsidentin Petra Gössi (fdp, SZ) auf Anfrage mit Aufklärung und Mobilisierung der eigenen Basis begegnen – so das Sonntagsblatt weiter.

Den «Rückenwind», den die Befürworterinnen und Befürworter durch die Debatte um den Migrationspakt noch einmal erhalten hatten, wie der Blick urteilte, versuchten sie kurz vor der Abstimmung dann noch mit «Brachial-Werbung» (Blick) zu verstärken. Auf der Titelseite der Pendlerzeitung «20 Minuten» warb das «Egerkinger Komitee» um Walter Wobmann (svp, AG) und Andreas Glarner (svp, AG) damit, dass mit der Annahme der Selbstbestimmungsinitiative der UNO-Migrationspakt verhindert werden könnte, dass hingegen bei einer Ablehnung die Minarett-Initiative wieder für ungültig erklärt werden würde. Eine Karikatur zeigte zudem Justizministerin Simonetta Sommaruga, die mit der Aussage «Hereinspaziert» an der Grenze Flüchtlinge in die Schweiz bittet.
Die heftige und ungewöhnliche lange Kampagne liess für den Abstimmungssonntag eine hohe Beteiligung erwarten.

Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)» (BRG 17.046)

Das in Art. 3 EMRK formulierte und auch in Art. 25 Abs. 3 BV verankerte Rückschiebeverbot verbietet es absolut, eine Person in einen Staat auszuschaffen, in dem ihr Folter oder eine andere Art grausamer oder unmenschlicher Behandlung oder Bestrafung droht. CVP-Nationalrat Fabio Regazzi (cvp, TI) forderte mit seiner Motion «Ausweisung von Terroristinnen und Terroristen in ihre Herkunftsländer, unabhängig davon, ob sie als sicher gelten oder nicht», die innere Sicherheit der Schweiz solle im Falle von Flüchtlingen, die mit terroristischen Aktivitäten in Verbindung gebracht werden und damit eine Gefahr für die Sicherheit der Schweiz darstellen, Vorrang haben. Erreichen wollte er dies durch die vorrangige Anwendung von Art. 33 Abs. 2 des internationalen Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, demzufolge sich ein Flüchtling nicht auf das Ausweisungsverbot berufen könne, «wenn erhebliche Gründe dafür vorliegen, dass er als eine Gefahr für die Sicherheit des Aufenthaltsstaates angesehen werden muss oder wenn er eine Bedrohung für die Gemeinschaft dieses Landes bedeutet, weil er wegen eines besonders schweren Verbrechens oder Vergehens rechtskräftig verurteilt worden ist.» Das Ausweisungsverbot an der vom Motionär genannten Stelle in der Flüchtlingskonvention ist jedoch weiter gefasst ist als das Non-Refoulement-Prinzip des zwingenden Völkerrechts und verbietet eine Rückschiebung nicht nur bei drohender Folter oder Todesstrafe, sondern auch bei Gefährdung des Lebens oder der Freiheit des Flüchtlings «wegen seiner Rasse, Religion, Staatszugehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Anschauungen» (Art. 33 Abs. 1 FK). Ergo kann das Ausweisungsverbot der Flüchtlingskonvention bei Gefährdung der öffentlichen Sicherheit eingeschränkt werden; für das Rückschiebeverbot des zwingenden Völkerrechts gilt dies jedoch nicht, das Non-Refoulement-Prinzip gilt absolut.
Obwohl Justizministerin Simonetta Sommaruga vor dem Nationalratsplenum klarstellte, dass es erstens nicht nur ausländische Dschihadisten gebe und zweitens die Schweiz bereits heute Rückführungen in «unsichere Staaten» vornehme, da die Unsicherheit in einem Land kein Hinderungsgrund für eine Rückführung sei, sondern nur eine Verletzung des Rückschiebeverbots im individuellen Fall, nahm der Nationalrat die Motion im Herbst 2018 mit 102 zu 73 Stimmen bei 3 Enthaltungen an. Auch die Begründung, der Bundesrat habe hier gar keinen Handlungsspielraum – man könne das zwingende Rückschiebeverbot nicht einfach ignorieren, weil man der Flüchtlingskonvention Vorrang vor der Bundesverfassung gewähre – sowie die Versicherung, man sei auch vonseiten des Bundesrats durchaus um Massnahmen zur Terrorismusbekämpfung bemüht – so zeige dies beispielsweise die in der Vernehmlassung gut angekommene Ausweitung des präventiv-polizeilichen Instrumentariums –, stiess mehrheitlich auf taube Ohren. Während die SVP-Fraktion geschlossen für den Vorstoss votierte, stimmten die Grüne, die SP- und die GLP-Fraktion geschlossen dagegen. Die bürgerlichen Parteien zeigten sich gespalten, wobei sich die Fraktionen der FDP und der CVP mehrheitlich dafür und jene der BDP mehrheitlich dagegen aussprachen.

Ausweisung von Terroristinnen und Terroristen in ihre Herkunftsländer, unabhängig davon, ob sie als sicher gelten oder nicht (Mo. 16.3982)

In der Frühjahrssession 2018 behandelte der Ständerat die Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)». Die Debatte wurde vom Schweizer Fernsehen direkt übertragen. Robert Cramer (gp, GE), Sprecher der RK-SR, erörterte zunächst die ablehnende Position der Kommission, die sich unter anderem auch auf die Anhörung verschiedener Rechtsprofessorinnen und Rechtsprofessoren stütze, welche einhellig der Meinung seien, dass die Initiative mehr Probleme verursache, als sie löst. Die momentane Situation lasse den obersten Gerichten den nötigen Spielraum für eine Abwägung zwischen Völkerrecht und Landesrecht. Es sei in den Augen der Experten nicht angebracht, die beiden Normen gegeneinander auszuspielen, da internationales Recht, das in der Schweiz angewendet werde, genauso legitim und demokratisch abgestützt sei wie das Landesrecht selbst. Cramer erklärte, dass die Kommission auch verschiedene Akteure aus der Wirtschaft angehört habe, wobei die Stellungnahmen auch hier einhellig gegen die Initiative ausgefallen seien. Die Kommission sei auch deshalb mit 12 zu 1 Stimmen zum Schluss gekommen, dem Rat die Ablehnung der Initiative zu empfehlen. Allerdings gebe es zwei Minderheitenanträge: Zum einen lege Andrea Caroni (fdp, AR) – unterstützt von vier Kommissionsmitgliedern – einen Gegenvorschlag vor, zum anderen empfehle Thomas Minder (parteilos, SH) die Initiative zur Annahme.

Andrea Caroni betonte in seinem Votum für seinen Gegenvorschlag, dass die Schweizer Rechtsordnung bei Konfliktfragen unterschiedlicher Normstufen sehr klar sei, mit Ausnahme eben des Verhältnisses zwischen Landes- und Völkerrecht. Dort herrsche «Improvisation» oder «Durchwursteln» vor, wobei in der Regel die Bundesgerichte «mit der Wurst betraut» seien. Dies sei aber «institutionell falsch» und es brauche deshalb eine klare Regelung. Eine solche müsse im Normalfall – hier wich der Gegenvorschlag deutlich von der Initiative ab – dem Völkerrecht den Vorrang geben, da man hier im Sinne von «Pacta sunt servanda» gegebene Versprechen einzuhalten habe. In begründeten Ausnahmefällen solle allerdings die Möglichkeit bestehen, durch ausdrücklichen und expliziten Beschluss durch den Verfassungs- oder Gesetzgeber vom Vorrang des Völkerrechts abzuweichen. Caroni exemplifizierte seine Idee an der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative, die ja nicht explizit eine Änderung von Völkerrecht vorgesehen habe. Wäre sein Vorschlag damals schon umgesetzt gewesen, dann hätte in der Initiative entweder explizit erwähnt werden müssen, dass ein internationaler Vertrag – konkret das Personenfreizügigkeitsabkommen – gekündigt werden solle, oder die Nichterwähnung hätte bedeutet, dass die Initianten das Völkerrecht implizit akzeptierten und bei der Umsetzung darauf Rücksicht genommen werden müsse. Caroni führte weiter aus, dass er seinen Vorschlag nicht aus taktischen Überlegungen einreiche, weil er Angst vor einer Annahme der Initiative an der Urne habe. Es gehe ihm vielmehr um das inhaltliche Anliegen, das er mit den Initianten teile: Die konkrete Regelung des Verhältnisses zwischen Landes- und Völkerrecht. Allerdings schlug er selber vor, auf den Gegenvorschlag zu verzichten – und diesen vorerst zu schubladisieren –, wenn die Initianten ihr Begehren nicht zu dessen Gunsten zurückziehen würden. Die Materie sei für sich genommen schon komplex genug. Wenn gleich zwei Vorlagen an die Urne kämen, sei dies dem Verständnis des Themas wohl eher abträglich.

Thomas Minder zählte in der Verteidigung seines Minderheitenantrags zur Annahme der Volksinitiative eine Reihe von aktuellen Vorstössen auf, in denen das Parlament Beschlüsse fasse, die im Widerspruch zu bestehendem internationalen Recht stünden: So verstosse etwa die Motion Grin (svp, VD), welche die Ausklammerung von Palmöl beim Freihandelsabkommen mit Malaysia verlange und soeben vom Nationalrat angenommen worden sei, gegen EFTA-Recht. Ebenso stünde eine Annahme der Fair-Food-Initiative im Widerspruch zu zahlreichen völkerrechtlichen Verträgen. Es gebe aber auch andere Beispiele, wo Vertragspartner der Schweiz Verträge nicht gänzlich einhielten. So habe etwa die EU bei Horizon 2020 oder Erasmus plus völkerrechtliche Verpflichtungen verletzt. Niemand habe damals nach einer Kündigung der Bilateralen Verträge gerufen, sondern man habe die Kröte geschluckt. Bei den über 5'000 völkerrechtlichen Verträgen, welche die Schweiz abgeschlossen habe – in ihrem Schlussvotum sprach Bundesrätin Simonetta Sommaruga von rund 4'000 Verträgen – bestünden zahlreiche potenzielle Normenkonflikte. Und hier setze die Initiative an, indem sie klar festlege, dass bei Normenkonflikten die Verfassung vorzugehen habe.

In der Folge äusserten sich 17 Ständerätinnen und -räte zur Vorlage, wobei sich die Argumente mehr oder weniger wiederholten: Die Initiative sei konfus und widersprüchlich; der SVP wurde vorgeworfen sich damit nicht gegen fremde Richter, sondern gegen das eigene Bundesgericht zu wenden. Betont wurde zudem die Gefährdung schweizerischer Wirtschaftsinteressen. Die Verlässlichkeit der Schweiz würde bei einer Annahme des Begehrens auf dem Spiel stehen. Völkerrecht helfe zudem insbesondere Kleinstaaten, die ohne rechtliche Absicherung dem Recht des Stärkeren ausgesetzt wären.

Die Ständeräte der SVP sprachen sich für eine Annahme der Initiative aus, weil laut Werner Hösli (svp, GL) die «Macht des Volkes» geschützt werden müsse; gemäss Peter Föhn (svp, SZ) der zunehmenden Aushöhlung der Bundesverfassung durch internationale Bestimmungen Einhalt geboten werden müsse; oder der Politikverdrossenheit begegnet werden müsse, die – so Alex Kuprecht (svp, SZ) – auch deshalb wachse, weil «die Menschen das Gefühl haben [...], dass die da oben in Bern sowieso machen, was sie wollen» – etwa bei der Umsetzung angenommener Volksinitiativen. Gefordert sei deshalb ein «bisschen mehr 'Switzerland first'».

Der Ständerat war sich also mehrheitlich einig darin, dass die Initiative abzulehnen sei. Weniger einig waren sich die Kantonsvertreterinnen und -vertreter hingegen darüber, ob die Normenkonflikte, die sich langfristig wohl noch häufen werden, gesondert geregelt werden müssten, oder ob die so genannte Schubert-Praxis genüge. Zur Frage stand folglich, ob man es wie bis anhin dem Bundesgericht überlassen wolle, zu regeln, wann Landesrecht ausnahmsweise Völkerrecht vorgehen solle. Nicht wenige Voten plädierten für den Gegenvorschlag Caroni. Letztlich setzte sich allerdings die Überzeugung durch, dass auch der Gegenvorschlag eine «fausse bonne idée» sei, wie sich Didier Berberat (sp, NE) ausdrückte.

In ihrem Schlussvotum wollte Justizministerin Simonetta Sommaruga klarstellen, dass es «grundfalsch» sei, das Völkerrecht mit Unterdrückung und Fremdbestimmung in Verbindung zu bringen. Sie wies auf verschiedene Geschäfte hin, mit denen die Problematik der Beziehung internationaler Verträge und innerstaatlichen Rechts angegangen werde – so etwa eine Erweiterung des obligatorischen Staatsvertragsreferendums oder die Anpassung der Symmetrie bei der Kündigung von Staatsverträgen. Die Bundesrätin hielt zudem Gericht über das Parlament: Man habe in der Debatte einige Male gehört, dass der Volkswille nicht richtig umgesetzt werde, diese Kritik richte sich aber eigentlich an die Volks- und Kantonsvertretung. Das Parlament habe ja bereits die Möglichkeit, im Einzelfall zu entscheiden, dass Landesrecht gegenüber internationalem Recht der Vorrang gegeben werden solle. Und wenn es dies nicht tue, dann habe es sicherlich gute Gründe dafür. Der Bundesrat empfehle die Initiative insbesondere deshalb zur Ablehnung, weil sie starre Regeln fordere und so die zahlreichen, heute bestehenden Möglichkeiten für pragmatische Einzelfalllösungen beschneide. Das Begehren verspreche zwar Klarheit im Verhältnis zwischen Landesrecht und internationalem Recht, schaffe aber grundsätzlich das Gegenteil, nämlich Rechtsunsicherheit. Dies wäre freilich – so die Magistratin abschliessend – auch beim diskutierten Gegenvorschlag der Fall.

Nach rund vierstündiger Debatte schritt die kleine Kammer zur Abstimmung. Das Stimmverhältnis von 27 zu 15 Stimmen für Nichteintreten auf den Gegenvorschlag Caroni widerspiegelte den doch recht grossen Wunsch nach Klärung, während die Initiative mit 36 zu 6 Stimmen letztlich recht deutlich zur Ablehnung empfohlen wurde.

Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)» (BRG 17.046)

Auch der Ständerat hiess die Motion von Bernhard Guhl (bdp, AG) für ein längeres Prüfungsintervall nach drei negativen Prüfungen der Verwahrung ohne Diskussion gut. Kommissionssprecher Robert Cramer (gp, GE) erwähnte einzig, dass sich die Motion ausschliesslich auf die Prüfung von Amtes wegen beschränke, da bereits heute die Möglichkeit bestehe, bei unveränderten Verhältnissen auf eine erneute Begutachtung zu verzichten. Dadurch läge eine mögliche Umsetzung dieser Motion im Rahmen der zu gewährleistenden Minimalrechte der EMRK. Justizministerin Simonetta Sommaruga hatte dem nichts beizufügen.

Längeres Prüfungsintervall nach drei negativen Prüfungen der Verwahrung (Mo. 17.3572)
Dossier: Massnahmenpaket Sanktionenvollzug

Einen Tag vor Ablauf der Sammelfrist Mitte September 2019 gab das Egerkinger Komitee in den Medien bekannt, die benötigten 100'000 Unterschriften für die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» beisammen zu haben und die Initiative pünktlich am 15. September bei der Bundeskanzlei einreichen zu wollen. Dies sei dem Komitee durch einen «massiven Schlussspurt» gelungen, so Initiant Walter Wobmann (svp, SO) gegenüber der Basler Zeitung. Kurz zuvor war bekannt geworden, dass das Initiativkomitee mit einer massiv erhöhten Zahl an ungültigen Unterschriften zu kämpfen hatte. Mitte Oktober bestätigte die Bundeskanzlei sodann das Zustandekommen der Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» mit 105'553 gültigen Unterschriften.
Während sich emanzipierte Frauen und Feministinnen aller Couleur in den Medien um die Frage stritten, ob die Burka verboten gehört oder nicht, sprach sich die Bundeshausfraktion der CVP als erste mehrheitlich für das Verhüllungsverbot aus, wie Parteipräsident Gerhard Pfister (cvp, ZG) in der Presse bekanntgab, obgleich das Verbot nicht unbedingt in der Verfassung verankert werden müsse. Auch ihre Basis stehe hinter dem Verbot, so Pfister weiter. Die SP arbeitete indessen an einem Gegenentwurf zur Stärkung der Frauenrechte. Es bestehe Handlungsbedarf, nicht nur familiäre und berufliche, sondern auch gesellschaftliche Benachteiligungen von Frauen zu beseitigen, und zwar nicht nur, aber auch bei Ausländerinnen, zitierte der Tages-Anzeiger die Berner SP-Nationalrätin Nadine Masshardt. Dazu soll der Gleichstellungsartikel in der Verfassung ausgeweitet werden. Darüber hinaus wollte der Entwurf der SP die Förderung der Gleichstellung von Mann und Frau zum expliziten Ziel der schweizerischen Aussenpolitik erklären. Für Initiant Wobmann war dieser Vorschlag «an den Haaren herbeigezogen» und ohne Bezug zur Initiative. Die Frage, ob die Gleichstellung von Migrantinnen allgemein stärker gefördert werden müsse, müsse in einem anderen Kontext diskutiert werden, liess er im Tages-Anzeiger verlauten. Ebenfalls der Initiative mit einem Gegenvorschlag gegenübertreten wollte gemäss der Sonntags-Zeitung Justizministerin Simonetta Sommaruga, wobei sie den Fokus jedoch auf das Verbot des Verhüllungszwangs zu legen plante.

Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und indirekter Gegenvorschlag (19.023)
Dossier: Nationales Burkaverbot

Anfang Juli 2017 legte der Bundesrat die Botschaft zur Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)» vor. Die Regierung empfahl das Begehren ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung. Als Hauptargumente führte sie die Gefahr negativer aussenpolitischer sowie aussenwirtschaftlicher Auswirkungen an. Sich über bestehende internationale Verträge hinwegzusetzen, entspreche nicht der Rechtskultur der Schweiz und untergrabe die Rechts- und Planungssicherheit. Zudem weise die Volksinitiative innere Widersprüche auf. Es sei bereits heute klar, dass die Bundesverfassung oberste Rechtsquelle ist. Der Gegensatz zwischen Landesrecht und Völkerrecht sei konstruiert: «Völkerrechtliche Verpflichtungen einzugehen, bedeutet keine Einschränkung, sondern Ausübung der nationalen Souveränität». Zwar gäbe es gemäss dem Bundesrat durchaus Spannungen zwischen Völker- und Landesrecht, insbesondere bei der Umsetzung von völkerrechtswidrigen Volksinitiativen, diese seien aber eher als Chance anzusehen, weil pragmatische und breit abgestützte Lösungsfindungen möglich seien, was mit der von der Initiative vorgeschlagenen starren Hierarchie hingegen verbaut würde. Die «in der Selbstbestimmungsinitiative enthaltene Ermächtigung zum Vertragsbruch» hätte nachteilige Auswirkungen für Wirtschaft und Aussenpolitik. Gerade der Kleinstaat Schweiz sei angewiesen auf völkerrechtliche Verträge, um nicht dem Recht des Stärkeren ausgeliefert zu sein. Nur wenn man sich selber an Verträge halte, könne man auch Zuverlässigkeit von anderen Vertragspartnern erwarten. Anstelle der versprochenen Klärung des Verhältnisses von Landesrecht und Völkerrecht würde man sich bei einer Annahme eher eine Erschwerung aufhalsen. Zudem würde die direkte Demokratie bei wichtigen Fragen damit nicht gestärkt, sondern geschwächt, weil man letztlich den Gerichten die Deutungshoheit überlassen müsste.
Vor der Presse wandte sich Justizministerin Simonetta Sommaruga mit deutlichen Worten gegen die Initiative. Sie warf den Initianten laut der Tribune de Genève vor, im Text vor allem hinsichtlich der Anwendung – wann genau herrscht ein Konflikt zwischen Landes- und Völkerrecht und wer entscheidet, ob ein Vertrag allenfalls gekündigt werden müsste – willentlich unpräzise geblieben zu sein, um die Verantwortung nicht übernehmen zu müssen («Les initiants sont restés volontairement flous pour ne pas assumer leurs responsabilités»). Während die SVP sich ob dem Entscheid des Bundesrates erbost zeigte, – Hans-Ueli Vogt (svp, ZH) gab seine Enttäuschung zu Protokoll, dass der Bundesrat nicht einsehen wolle, dass das Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht problematisch sei und deshalb eine Lösung gefunden werden müsse – begrüssten Parteien, Wirtschaftsverbände und verschiedene Interessenorganisationen den Entscheid.

Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)» (BRG 17.046)

Den Antrag einer Minderheit der RK-NR – im Rahmen der Umsetzung einer parlamentarischen Initiative Lang (al, ZG) – Art. 293 StGB betreffend die Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen zu streichen, unterstützte im Nationalrat in der Frühjahrssession 2017 einzig die SP-Fraktion. Die SP-Vertreterinnen und -Vertreter hatten argumentiert, dass eine Streichung des Artikels die Medienfreiheit stärken würde. Alle anderen Fraktionen – und damit eine klare Ratsmehrheit – stellten sich hinter den Vorschlag der Kommissionsmehrheit, den Artikel bloss abzuändern und ihn EGMR-konform zu gestalten. Auch Bundesrätin Simonetta Sommaruga sprach sich inzwischen für den Vorschlag der Kommissionsmehrheit aus, nachdem der Bundesrat in seiner Stellungnahme vom September 2019 noch keine klare Position bezogen hatte. In der Gesamtabstimmung nahm der Nationalrat die Vorlage einstimmig bei einer Enthaltung an.
Kontroverser diskutiert wurde das Geschäft in der Sommersession im Ständerat. Ein Antrag der Minderheit um Ständerat Jositsch (sp, ZH) zur Streichung des Artikels blieb aber ebenso erfolglos (abgelehnt mit 29 zu 15 Stimmen) wie der Versuch vonseiten SVP und FDP, die Vorlage in der Gesamtabstimmung noch zu kippen (angenommen mit 32 zu 11 Stimmen bei 1 Enthaltung).
In den Schlussabstimmungen verabschiedeten der Nationalrat einstimmig und der Ständerat mit 34 zu 7 Stimmen bei 3 Enthaltungen den angepassten Art. 293 StGB.

Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen (Pa.Iv. 11.489)

Im Ständerat sorgte die Genehmigung des Zusatzprotokolls Nr. 15 zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) für weit weniger Gesprächsstoff als dies im vergangenen Herbst im Nationalrat der Fall gewesen war. Die kleine Kammer stimmte dem Änderungsprotokoll, welches in erster Linie zur Entlastung des EGMR beitragen soll, im März 2016 einstimmig zu. Inkrafftreten wird das Protokoll Nr. 15, sobald es von allen Vertragsstaaten ratifiziert worden ist. Bis Ende Januar 2016 lagen laut Bundesrätin Simonetta Sommaruga 25 Ratifikationen und 16 Unterzeichnungen vor. In der Schlussabstimmung nahm der Nationalrat das Protokoll mit 129 zu 59 Stimmen bei 7 Enthaltungen an; der Ständerat stimmte ihm mit 40 zu 5 Stimmen bei 0 Enthaltungen zu. In beiden Kammern stammten alle ablehnenden Stimmen aus der Fraktion der SVP.

Genehmigung des Zusatzprotokolls Nr. 15 zur Europäischen Menschenrechtskonvention (BRG 15.030)
Dossier: EMRK Zusatzprotokolle

In aller Regel wirft die Gewährleistung der kantonalen Verfassungsänderungen nach Abstimmungen durch das nationale Parlament keine hohen Wellen. Aufgrund umstrittener Volksentscheide in den Kantonen Bern und Tessin herrschte aber in der Frühlingsession insbesondere im Nationalrat grosser Diskussionsbedarf. Im Kanton Bern hatte im November 2013 eine Initiative der jungen SVP, die ein Verbot von Einbürgerungen für Kriminelle, Sozialhilfeempfänger und Personen ohne Aufenthaltsbewilligung forderte, überraschend eine Mehrheit erhalten.
Im Kanton Tessin war im September 2013 ein kantonales Vermummungsverbot gutgeheissen worden, das Burka- und Niqabträgerinnen als Zielgruppe anvisierte. Der Bundesrat hatte in seiner Botschaft in beiden Fällen eine Gewährleistung empfohlen. Eine links-grüne Minderheit der SPK-NR argumentierte jedoch, dass die Verweigerung der Einbürgerung von Sozialhilfeempfängern eine Diskriminierung darstelle und ein generelles Verhüllungsverbot der Religionsfreiheit widerspreche und unverhältnismässig sei. In der Debatte erinnerte Bundesrätin Simonetta Sommaruga daran, dass die Aufgabe des eidgenössischen Parlaments lediglich sei, zu beruteilen, ob eine kantonale Verfassung bundesrechtskonform umgesetzt werden könne – und nicht, ob man mit der Änderung einverstanden sei oder diese gut finde. Der Bundesrat sei sowohl im Falle des Kantons Tessin als auch des Kantons Bern zum Schluss gekommen, dass eine sorgfältige Umsetzung der von der Mehrheit der kantonalen Bevölkerung angenommenen Verfassungsänderungen durchaus im Sinne des Bundesrechts möglich sei. Aus diesem Grund seien die kantonalen Verfassungen zu gewährleisten. Die beiden Minderheitenanträge wurden in der Folge mit 131 zu 42 Stimmen (bei 13 Enthaltungen) im Falle des Kantons Bern bzw. mit 117 zu 56 Stimmen (bei 12 Enthaltungen) im Falle des Kantons Tessin abgelehnt und alle Verfassungen gewährleistet.

Im Ständerat stand – neben den Verfassungsänderungen in den Kantonen Bern und Tessin – noch eine weitere kantonale Änderung im Fokus. Bei der Abstimmung vom November 2013 über die Aufnahme eines Verfahrens für eine Zusammenarbeit zwischen dem Kanton Jura und Gemeinden aus dem Berner Jura wurde im Kanton Jura ein neuer Verfassungsartikel angenommen, mit dem die Aufnahme eines Fusionsprozesses angestossen werden soll. Weil aber die Stimmbevölkerung im Berner Jura zeitgleich ein solches Verfahren ablehnte, wäre der Artikel in der jurassischen Verfassung eigentlich hinfällig. Die Frage war nun, ob ein solcher hinfälliger Artikel gewährleistet werden soll. Bundesrätin Simonetta Sommaruga legte in der ständerätlichen Beratung dar, dass die Gewährleistung formaljuristisch nicht daran gebunden sei, ob ein Artikel umgesetzt werde oder nicht, sondern lediglich bedeute, dass eine Änderung mit der Bundesverfassung konform sei. Die Tatsache, dass die Regierung des Kantons Jura in einem Schreiben signalisiert habe, dass dieser Artikel nicht zur Anwendung kommen werde, stehe einer Gewährleistung nicht im Wege. Anders als im Jahr 1977, als ein ähnlicher Artikel nicht gewährleistet worden war, gehe es im zur Diskussion stehenden Artikel ja nicht um die Idee, Berner Gebiete in das Gebiet des Kantons Jura einzubinden, sondern eben lediglich um den Anstoss eines Prozesses. Die Regierung des Kantons Jura habe deutlich signalisiert – unter anderem auch mit der Sistierung des jährlichen Berichts über die Wiederherstellung des Juras an das jurassische Parlament –, dass es den neuen Artikel als gegenstandslos betrachte und keine Ansprüche daraus ableite. Eine Nicht-Gewährleistung dieses Artikels, so Sommaruga weiter, käme einer Negierung des jurassischen Volkswillens gleich, für die es keine rechtliche Begründung gäbe. Auch im Ständerat wurden in der Folge alle Kantonsverfassungen gewährleistet. Keinen Anlass zu Diskussionen hatten die Verfassungsänderungen in den Kantonen Uri, Solothurn, Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Innerrhoden und Waadt gegeben.

Gewährleistung der kantonalen Verfassungen (AI, AR, BS, BL, BE, JU, SO, TI, UR, VD) (BRG 14.084)
Dossier: Gewährleistung kantonaler Verfassungen

In seiner Antwort auf ein im März 2014 überwiesenes Postulat Stöckli (sp, BE) (Po. 13.4187) verabschiedete der Bundesrat im November 2014 einen Bericht über die Erfahrungen und Perspektiven nach einer 40-jährigen EMRK-Mitgliedschaft der Schweiz. Darin wies der Bundesrat unter anderem darauf hin, dass die Rechtsprechung in Strassburg jene des Bundesgerichts zu den Grundrechten mitgeprägt und den Schweizer Grundrechtskatalog beeinflusst habe. Trotz der Kritik an gewissen Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte stehe eine Kündigung der EMRK nicht zur Diskussion. Vielmehr solle ein gelassenerer Umgang mit Strassburg gepflegt werden. Anlässlich des 40. Jubiläums des Schweizer Beitritts fanden am 28. November 2014 öffentliche Veranstaltungen im Beisein von Bundesrätin Simonetta Sommaruga statt. Die Justizministerin ging in ihrer Rede an der Universität Zürich zwar auf die kritischen Stimmen ein, wies sie jedoch mehrheitlich zurück. Im Vorfeld der Feierlichkeiten war eine Debatte über die Verbindlichkeit der Rechtsprechung des Strassburger Gerichtshofes geführt worden. Während die SVP in der Bundesverfassung einen klaren Vorrang des Landesrechts vor dem Völkerrecht festschreiben wollte, sammelten sich verschiedene Organisationen aus dem Menschenrechtsbereich zur Arbeitsgruppe „Dialog EMRK“. Eine von Walter Kälin verfasste Studie hob zudem hervor, dass eine Nichtbeachtung der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte unvermeidlich den Austritt aus dem Europarat zur Folge hätte. „Die Schweiz und die EMRK – das ist eine Verbindung ohne Verfallsdatum“, betonte auch Sommaruga.

40 Jahre EMRK-Mitgliedschaft der Schweiz (Po. 13.4187)

Im Rahmen ihres OSZE-Vorsitzes 2014 unterstützte die Schweiz die Konferenz zur Bekämpfung des Menschenhandels „Not for Sale – Joining Forces Against Trafficking in Human Beings“ in Wien mit dem Motto „Eine Sicherheitsgemeinschaft im Dienste der Menschen schaffen“. Bundesrätin Simonetta Sommaruga hielt die Eröffnungsrede und betonte darin die Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Menschenhandels. Am Rande bot die Konferenz Gelegenheit für bilaterale Gespräche bezüglich internationaler Kooperation im Kampf gegen den Menschenhandel.

Bekämpfung des Menschenhandels

Die Räte hatten derweil über Vorstösse zu befinden, die in ähnliche Richtungen zielten. Die parlamentarische Initiative Moret (fdp, VD) hätte die Gültigkeitsprüfung einer Initiative einer richterlichen Instanz im Sinne eines Verfassungsgerichts unterstellen wollen (Pa.Iv. 09.521). Mit dem Argument, dass diese Prüfung erst nach der Sammlung der Unterschriften zur Anwendung käme, wurde der Vorstoss in der Sondersession im April vom Nationalrat verworfen. In der gleichen Debatte wurde in der grossen Kammer ein Postulat der SPK-NR (Po. 10.3885) überwiesen, das den Bundesrat beauftragte, mögliche Verfahren für eine Gültigkeitsprüfung vor der Unterschriftensammlung aufzuzeigen. Trotz des Hinweises von Bundesrätin Sommaruga, dass der Bundesrat diesem Anliegen bereits im Zusatzbericht nachgekommen sei, wurde der Vorstoss angenommen. Im Herbst lehnte der Ständerat die parlamentarische Initiative Vischer (gp, ZH) ab, die ein Volksbegehren auch dann für ungültig erklären lassen wollte, wenn es gegen den Grundrechtsschutz und Verfahrensgarantien des Völkerrechts verstösst (z.B. Menschenrechtskonvention). Der im Vorjahr vom Nationalrat noch überwiesene Vorstoss wurde in der kleinen Kammer als zu weit gehend beurteilt (Pa.Iv. 07.477). Dafür überwies der Ständerat in der gleichen Sitzung eine Motion seiner SPK-SR, mit welcher der Bundesrat beauftragt wird, auf der Basis des Zusatzberichtes eine Vorlage zu erarbeiten, in der die rechtlichen Grundlagen für die nichtbindende materielle Vorprüfung des Initiativtextes vor der Sammlung der Unterschriften erarbeitet werden (Mo. 11.3468). Die gleichlautende Motion der staatspolitischen Kommission des Nationalrates (SPK-NR) wurde dann in der Wintersession auch von der Volksvertretung überwiesen. Allerdings nahm die nationalrätliche Kommission auch den zweiten Punkt des Zusatzberichtes des Bundesrats auf und verlangte Vorschläge für eine Erweiterung des Katalogs der Gründe für die Ungültigkeit einer Volksinitiative (Mo. 11.3468).

Vorstösse zur materiellen Vorprüfung von Volksinitiativen
Dossier: Ungültigkeitsgründe von Volksinitiativen