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Nur zwei Jahre nach der letzten Erhöhung gab der Bundesrat im Oktober 2020 bekannt, dass er die AHV- und IV-Renten per 1. Januar 2021 erhöhen werde. Die Minimalrente betrage entsprechend neu CHF 1195 (+CHF 10), die Maximalrente CHF 2390 (+CHF 20). Gleichzeitig erhöhte er auch die Mindestbeiträge der Selbständigerwerbenden und der Nichterwerbstätigen für AHV, IV und EO und den Betrag für die Deckung des allgemeinen Lebensbedarfs der EL.
Auch den Koordinationsabzug in der beruflichen Vorsorge sowie die Eintrittsschwelle und den Steuerabzug für die Säule 3a passte der Bundesrat nach oben an.

Erhöhung der AHV/IV-Minimalrente auf das Jahr 2021
Dossier: Anpassung der AHV- und IV-Renten

Jahresrückblick 2019: Sozialversicherungen

Zentrales Thema bei den Sozialversicherungen war 2019 die Altersvorsorge. Mit der STAF, die im Mai 2019 von den Stimmbürgern an der Urne bestätigt wurde, erhält die AHV ab dem Jahr 2020 eine Zusatzfinanzierung in der Höhe von CHF 2 Mrd. pro Jahr, ohne dass es zu Veränderungen der Rentenleistungen kommt. Darüber, dass diese Zusatzfinanzierung nicht ausreichen wird, um die Finanzierungslücke der AHV zu stopfen, waren sich aber die Parlamentarierinnen und Parlamentarier 2019 mehrheitlich einig. Fortsetzung fand 2019 entsprechend auch das Projekt AHV 21, dessen Massnahmen der Bundesrat im Juli 2019 im Anschluss an die 2018 durchgeführte Vernehmlassung in einer Medienmitteilung präzisierte. Vorgesehen sind demnach unter anderem eine schrittweise Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre sowie als Ausgleichsmassnahmen dazu tiefere Kürzungssätze für Frauen bei einem vorzeitigen Rentenbezug sowie eine Erhöhung der AHV-Rente für Frauen mit tiefen bis mittleren Einkommen. Neu sind zudem ein flexiblerer Start des Rentenbezugs, Anreize für eine Weiterführung der Erwerbstätigkeit nach Erreichen des Rentenalters sowie eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0.7 Prozentpunkte zur Finanzierung der AHV vorgesehen. Doch nicht nur bezüglich AHV-Reform gab es Neuerungen, auch die Revision der Pensionskassen wurde einen Schritt weitergebracht. So übergaben im Juli 2019 der Arbeitgeberverband, Travail.Suisse und der Gewerkschaftsbund dem Bundesrat ihren Vorschlag für eine Reform der beruflichen Vorsorge. Darin sehen sie eine Senkung des Umwandlungssatzes von 6.8 auf 6 Prozent, eine zeitlich begrenzte Erhöhung der Altersgutschriften im Umlageverfahren entsprechend der AHV um 0.5 Prozent sowie eine Halbierung des Koordinationsabzugs vor. Nicht unterstützt wurde der Vorschlag vom Gewerbeverband, der sich gegen ein Umlageverfahren bei den Pensionskassen aussprach. Im Dezember schickte der Bundesrat den Vorschlag unverändert in die Vernehmlassung. Gemeinsam fanden die Revision der AHV und der Pensionskassen in den Medien im Juli 2019 mehr Aufmerksamkeit als die Abstimmung über die STAF im Mai desselben Jahres.

Umstritten war 2019 bei den Sozialversicherungen wie immer auch das Thema «Krankenkassen». Im März 2019 verwarf der Nationalrat in der Schlussabstimmung eine Bundesratsvorlage zur Anpassung der Franchisen an die Kostenentwicklung, was in den Medien ausführlich diskutiert wurde. Die Vorlage hätte vorgesehen, dass die Franchisen automatisch um CHF 50 erhöht werden sollen, sobald die durchschnittlichen Bruttokosten der Leistungen pro Person mehr als dreizehnmal höher gewesen wären als die ordentliche Franchise. Nachdem die SVP- und die CVP-Fraktion, welche die Vorlage bis zu diesem Zeitpunkt unterstützt hatten, ihre Meinung geändert hatten, setzte sich eine Allianz aus SP- und Grünen-Fraktion, einer Mehrheit der SVP-Fraktion sowie einzelnen Mitgliedern der CVP-Fraktion durch und lehnte den Vorschlag mit 101 zu 63 Stimmen ab. Die entsprechende mediale Debatte war im März 2019 zusammen mit Diskussionen über den vergleichsweise schwachen Anstieg der Krankenkassenprämien fürs Jahr 2020 für den jährlichen Höchstwert in der Medienberichterstattung zu den Krankenversicherungen verantwortlich. Weitgehend unbemerkt von den Medien entschied das Parlament 2019 hingegen, eine Motion der SGK-SR zur Beibehaltung der aktuellen Einteilung der Prämienregionen anzunehmen. Damit versenkte es nicht nur die vom EDI vorgeschlagene, stark kritisierte Änderung der entsprechenden Einteilung, sondern nahm dem Departement auch die Möglichkeit, andere Vorschläge für eine Beendigung der Quersubventionierung der Landbevölkerung bei den Gesundheitskosten durch städtische Gemeinden und Agglomerationen weiterzuverfolgen. Zum ersten Mal im Parlament behandelt wurde die Vorlage der SGK-NR für eine einheitliche Finanzierung der Leistungen im ambulanten und im stationären Bereich (EFAS), bei der die Krankenversicherungen zukünftig sowohl ambulante als auch stationäre Behandlungen – mit Ausnahme von Pflegeleistungen – abgelten würden und dafür von den Kantonen 22.6 Prozent der Kosten vergütet bekämen. Trotz Kritik der linken Parteien daran, dass die Kantone dadurch nur noch bezahlen, aber nicht mitbestimmen dürften, und die Vorlage zu einer Besserstellung der Privatspitäler und Zusatzversicherten zulasten der OKP führe, trat der Ständerat auf die Vorlage ein und nahm einige gewichtige Änderungen vor – unter anderem erhöhte er den von den Kantonen übernommenen Mindestanteil auf 25.5 Prozent.

Zum Abschluss brachten National- und Ständerat 2019 die Reform der Ergänzungsleistungen, an der in Bundesbern mindestens seit 2014 gearbeitet worden war. Die Räte entschieden sich diesbezüglich, die seit 2001 nicht mehr veränderten Ansätze für Mieten den gestiegenen Mietkosten anzupassen, und erhöhten die entsprechenden Beträge teilweise deutlich. Gesenkt wurden die Vermögensfreibeträge für Alleinstehende auf CHF 30'000 und für Verheiratete auf CHF 50'000, zudem wurde eine Vermögensschwelle in der Höhe von CHF 100'000 für den Bezug von Ergänzungsleistungen eingeführt. Dabei wurde jedoch darauf verzichtet, das von den Bezügerinnen und Bezügern selbst bewohnte Wohneigentum bei dieser Schwelle zu berücksichtigen, so dass auch auf die geplante Schaffung eines gesicherten Darlehens für die entsprechenden Liegenschaften verzichtet werden konnte. Schliesslich schuf das Parlament die Pflicht für Erbinnen und Erben, bei einem Nachlass von EL-Beziehenden von mehr als CHF 40'000 die entsprechende Differenz zurückzuzahlen.

Erste Schritte machte das Parlament zudem bei der Weiterentwicklung der IV, die erstmals in beiden Räten behandelt wurde. Besonders umstritten war dabei die Frage der Kinderrenten: Der Nationalrat wollte diese von 40 auf 30 Prozent kürzen und in «Zulage für Eltern» umbenennen. Da eine Abklärung der finanziellen Verhältnisse aber ergeben habe, dass Familien mit Kinderrenten und Ergänzungsleistungen in allen berechneten Konstellationen weniger Einkommen zur Verfügung hätten als vergleichbare Familien ohne Kinderrenten und EL, sprach sich der Ständerat gegen die Kürzung aus. Diese Argumentation überzeugte den Nationalrat in der Wintersession, er verzichtete ebenfalls auf die Kürzung. Die Umbenennung wollte der Ständerat aus Furcht vor einem grossen administrativen Aufwand verhindern, fand damit im Nationalrat bisher aber kein Gehör.

Schliesslich beriet der Ständerat in der Wintersession erstmals die Bundesratsvorlage zur Schaffung von Überbrückungsleistungen (ÜL) für ältere Arbeitslose. Darin hatte der Bundesrat vorgesehen, Personen, die nach vollendetem 60. Altersjahr aus der ALV ausgesteuert werden, aber mindestens während 20 Jahren einen Mindestbetrag in die AHV einbezahlt und ein Vermögen unter CHF 100'000 besitzen, eine Überbrückungsrente in der Höhe von CHF 58'350 zuzusprechen. Der Ständerat entschied nun aber, die Überbrückungsrente auf maximal CHF 39'000 zu beschränken und diese nur solange auszuzahlen, bis die Betroffenen mit 62 (bei Frauen) oder 63 (bei Männern) frühzeitig ihre AHV-Rente beziehen können. Diesen Zwang zur Frühpensionierung kritisierten die Medien in der Folge stark, da dieser Vorbezug eine lebenslange AHV-Kürzung um 14 Prozent (plus Kürzungen bei der zweiten Säule) zur Folge hätte.

Jahresrückblick 2019: Sozialversicherungen
Dossier: Jahresrückblick 2019

Jahresrückblick 2019: Öffentliche Finanzen

Das zentrale Ereignis des Jahres 2019 im Bereich der öffentlichen Finanzen – gut erkennbar in der graphischen Jahresübersicht zur Anzahl Medienartikel pro Monat – stellte das Referendum zum Bundesgesetz über die Steuerreform und die AHV-Finanzierung (STAF) dar. Bereits seit 2008 waren Arbeiten für eine neue Unternehmenssteuerreform im Gange, elf Jahre und verschiedene Vorlagen später wurden diese mit dem Ja an der Urne abgeschlossen: Mit 66.4 Prozent sprachen sich die Stimmberechtigten für eine Abschaffung der Sonderbesteuerung von Statusgesellschaften und die Einführung von neuen Steuerabzügen (u.a. Patentbox, Abzüge Forschung und Entwicklung, Eigenfinanzierungsabzug), eine Erhöhung des Kantonsanteils, eine Erhöhung der Dividendenbesteuerung sowie für eine Zusatzfinanzierung für die AHV in der Höhe von etwa CHF 2 Mrd. aus.

Im Rahmen der STAF musste auch der Faktor zur Gewichtung der Vermögen im Ressourcenpotenzial des Finanzausgleichs «an die fiskalische Realität» angepasst werden. Gleichzeitig nahm der Bundesrat grundlegende Änderungen im Bundesgesetz über den Finanz- und Lastenausgleich (FiLaG) vor. Diese waren nötig geworden, nachdem sich Geber- und Nehmerkantone bei der Festlegung der Beträge für den Ressourcen- und Lastenausgleich 2015 so zerstritten hatten, dass Bemühungen zu einem Kantonsreferendum sowie zu einem Volksreferendum gegen die Regelung unternommen worden waren. Um solche Streitigkeiten zukünftig zu verhindern, sollten die Grundbeiträge nicht mehr alle vier Jahre neu festgelegt werden müssen, sondern sich zukünftig an der Mindestausstattung für den ressourcenschwächsten Kanton orientieren: Diese soll neu garantiert bei 86.5 Prozent des schweizerischen Durchschnitts liegen – und damit tiefer als der bisherige effektive Wert. Zudem wird der Anteil der ressourcenstärksten Kantone an der Finanzierung des Ressourcenausgleichs auf ein Minimum von zwei Dritteln der Leistungen des Bundes beschränkt, wobei der Bund die Finanzierungslücke übernimmt.

Institutionell von grosser Bedeutung war die Annullierung der Abstimmung zur Volksinitiative «Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe» im April 2019. Das Bundesgericht begründete diesen Entscheid mit einer schwerwiegenden Verletzung des Transparenzgebots und mit dem äusserst knappen Ergebnis. Es sei nicht nur theoretisch möglich, dass die Fehlinformationen durch die Bundesverwaltung das Abstimmungsergebnis verfälscht hätten, sondern sogar wahrscheinlich, erklärte das Gericht. Da damit zum ersten Mal überhaupt eine eidgenössische Volksabstimmung für ungültig erklärt worden war, folgten Diskussionen um das weitere Vorgehen. Eine Motion von CVP-Präsident Pfister (cvp, ZG; Mo. 19.3757), der dafür sorgen wollte, dass das Parlament noch einmal – diesmal mit den korrekten Informationen – über die Initiative beraten könne, lehnte der Nationalrat ab. Stattdessen setzte der Bundesrat einer erneuten Abstimmung zur Initiative eine Frist bis zum 27. September 2020 und legte eine Zusatzbotschaft zum Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer bezüglich einer ausgewogenen Paar- und Familienbesteuerung vor. Deren Behandlung war nach Bekanntgabe der Annullierung sistiert worden, wurde aber vom Nationalrat in der Herbstsession 2019 wiederaufgenommen. Dabei wies die grosse Kammer die Vorlage aber nach langen Diskussionen an den Bundesrat zurück, damit dieser die Individualbesteuerung oder andere alternative Steuermodelle prüfen könne. In der Wintersession stimmte der Nationalrat der Rückweisung zu.

Des Weiteren befürwortete das Parlament zwei umstrittene Steuererleichterungen bei den natürlichen Personen. So nahm es eine Motion Grin (svp, VD; Mo. 17.3171) für eine Erhöhung des Maximalabzugs für Krankenkassenprämien bei der direkten Bundessteuer ungefähr um den Faktor 1.7 nach zahlreichen erfolglosen ähnlichen Versuchen 2019 an. Zudem erhöhte es den Kinderabzug bei den direkten Bundessteuern im Rahmen des Geschäfts zur Schaffung eines Steuerabzugs von Kosten für die Betreuung von Kindern durch Dritte von CHF 6'500 auf CHF 10'000 – ohne dass dieser Aspekt ursprünglich Teil der Vorlage gewesen oder in einer Vernehmlassung diskutiert worden wäre. Die SP kündigte in der Folge das Referendum gegen die Vorlage an.

Auch bei den indirekten Steuern nahm das Parlament einige Änderungen vor. Es entschied sich, die Ungleichbehandlung von Sport- und Kulturvereinen bezüglich der Mehrwertsteuer zu beseitigen. Zukünftig sollten nicht nur die bei sportlichen Anlässen verlangten Entgelte (wie z.B. Startgelder), sondern auch die bei kulturellen Anlässen bezahlten Teilnahmegebühren von aktiven Teilnehmenden von der Mehrwertsteuer ausgenommen sein. Zudem senkte es das Verhältnis von Leistungen zum normalen und zum reduzierten Mehrwertsteuersatz bei Leistungs- oder Produktkombination von 70 zu 30 Prozent auf 55 zu 45 Prozent. Neu müssen somit nur noch 55 Prozent der Leistungen dem reduzierten Mehrwertsteuersatz unterliegen, damit ein gesamtes Package zum reduzierten Tarif angeboten werden kann. Um zu verhindern, dass solche Packages zum Beispiel im Onlinehandel durch ausländische Firmen Verwendung finden, sollen dabei aber nur Leistungen berücksichtigt werden können, die in der Schweiz erbracht werden.

Jahresrückblick 2019: Öffentliche Finanzen
Dossier: Jahresrückblick 2019

Anfang Februar 2020 verkündete die Compenswiss, der Ausgleichsfonds von AHV/IV/EO, ein Rekordergebnis des Ausgleichsfonds im Jahr 2019. So lag die Nettorendite des Fonds bei 10.2 Prozent, im Vorjahr hatte noch ein Verlust von -4.2 Prozent resultiert. Dies sei das zweitbeste Ergebnis seit Bestehen des Fonds, also seit dem Jahr 1948, betonte die Compenswiss. Die Nettorendite der IV-Vermögen für das Jahr 2019 betrug 9.81 Prozent. Mit diesem Ertrag konnte das negative Umlageergebnis 2019 der IV von CHF -383 Mio., das sich damit gegenüber dem Vorjahr (2018: CHF -65 Mio.) noch einmal verschlechtert hatte, knapp kompensiert werden. Die übrig bleibenden CHF 24 Mio. reichten jedoch nicht aus, um die Schulden bei der IV weiter abzubauen. Diese betragen entsprechend weiterhin CHF 10.3 Mrd.

Jahresergebnis 2019 der IV
Dossier: Jahresergebnisse der IV
Dossier: Ergebnisse der Sozialversicherungen 2019

IV-Verfügungen mit leichter Sprache ergänzen, um sie für die betroffenen Menschen verständlich zu machen, wollte Beat Flach (glp, AG) mittels einer Motion. Der Motionär störte sich an den Kommunikationsproblemen zwischen Versicherten und IV-Stellen, die daraus entstünden, dass die Versicherten – und teilweise gar Personen mit einem juristischen Abschluss ohne Spezialisierung im Sozialversicherungsrecht – die Entscheidungen und Mitteilungen der IV nicht verstünden. Neben Misstrauen schaffe dies auch auf allen Seiten grossen Mehraufwand, kritisierte er. Deshalb solle der Bund seine Zielvereinbarungen mit den kantonalen IV-Stellen um das Ziel ergänzen, dass Entscheide so zu kommunizieren seien, dass die «Kernbotschaft des Entscheids von durchschnittlichen versicherten Personen verstanden» werde. Der diesbezügliche Zielerreichungsgrad sei überdies regelmässig zu überprüfen. Viel helfen würde es zudem bereits, wenn sich die IV-Stellen an das «Merkblatt Behördenbriefe» der Bundeskanzlei zu persönlichem, sachgerechtem und verständlichem Schreiben hielten, betonte Flach in der Begründung seines Vorstosses. Diskussionslos sprachen sich Bundesrat und Nationalrat für eine Annahme der Motion aus.

IV-Verfügungen mit leichter Sprache ergänzen

Im Gegensatz zur Standesinitiative des Kantons St. Gallen (Kt.Iv. 17.305), welche die Sozialversicherungen von den Negativzinsen ausnehmen wollte, reichte Thomas de Courten (svp, BL) im September 2019 ein Postulat zur Prüfung von Instrumenten ein, mit denen das Negativzinsumfeld zugunsten der Sozialversicherungen genutzt werden könnte. Zum Beispiel könne die IV eine Anleihe über 10 Jahre in der Höhe von CHF 10 Mrd. am Finanzmarkt mit einem Zinssatz von minus 1 Prozent aufnehmen und mit dem Ertrag – den sie aufgrund der negativen Zinsen erhält – der AHV ihre Schulden, die noch immer bei über CHF 10 Mrd. liegen, zurückzahlen, schlug der Postulant vor. Der Bundesrat solle auch prüfen, ob die bestehenden gesetzlichen Grundlagen ein solches Vorgehen erlauben würden.
Der Bundesrat beurteilte das von de Courten vorgestellte Szenario zwar als unrealistisch, erklärte sich aber bereit, sein Anliegen und insbesondere die Frage, ob die Verschuldung der IV bei der AHV angesichts ihrer getrennten Vermögen noch zeitgemäss sei oder ob der Bund die Schuld mit einem Tresoreriedarlehen ausfinanzieren solle, zu prüfen. Stillschweigend nahm der Nationalrat das Postulat in der Wintersession 2019 an.

IV-Schuldentilgung durch Negativzinsen.

Die APK-SR hatte sich bereits in der Herbstsession 2019 mit der Motion «Aussenpolitische China-Strategie und Stärkung der interdepartementalen Verwaltungszusammenarbeit» von Fabian Molina (sp, ZH) befasst. Mit 7 zu 3 Stimmen hatte sie die Motion zur Annahme empfohlen, um damit den Druck auf den Bundesrat aufrechtzuerhalten.
In der Wintersession gelangte die Motion in den Ständerat. Für Ständerat Germann (svp, SH) war die Motion bereits erledigt, denn der Bundesrat habe der Kommission die Aussenpolitische Strategie für die Legislaturperiode 2020-2023 in ihren Grundzügen bereits vorgestellt. Erfüllte Vorstösse – so Germann – sollten aus ordnungspolitischer Sicht nicht angenommen werden. Dieser Meinung schloss sich auch Thomas Minder (parteilos, SH) an und auch Damian Müller (fdp, LU) bezeichnete eine mögliche Annahme als «parlamentarischen Leerlauf». Letzterer zeigte sich zudem unzufrieden damit, wie intransparent die China-Strategie der Schweiz gehandhabt werde, und wünschte sich eine offenere Kommunikation gegenüber der Kommission. Somit bestritt inhaltlich niemand die Notwendigkeit einer stärkeren Koordinierung im Umgang mit China, doch aus formellen Gründen schien die Motion obsolet. Christian Levrat (sp, FR), der die Kommissionsmehrheit vertrat, zeigte sich dennoch irritiert über die vorherrschende Meinung im Ständerat. Nur durch die Ankündigung einer zukünftigen Strategie sei eine Motion noch nicht erfüllt, denn eine inhaltliche Diskussion habe noch nicht stattfinden können. Der anwesende Bundesrat Cassis versuchte die Gemüter ein wenig zu beruhigen, indem er festhielt, dass die Motion sowieso kaum Einfluss auf das bereits bestehende Vorhaben einer neuen China-Strategie haben werde. Die inhaltliche Diskussion solle man danach in den Kommissionen führen. Der Antrag der Kommissionsminderheit setzte sich schliesslich mit 25 zu 14 Stimmen (bei 1 Enthaltung) durch, damit wurde die Motion abgelehnt.

Aussenpolitische China-Strategie und Stärkung der interdepartementalen Verwaltungszusammenarbeit (Mo. 18.4336)
Dossier: Aussenpolitische Strategie in den bilateralen Beziehungen mit China

In der Wintersession 2019 machte der Nationalrat im Differenzbereinigungsverfahren zur Weiterentwicklung der IV einen grossen Schritt auf den Ständerat zu. So pflichtete er bezüglich aller offenen Differenzen seinem Schwesterrat bei – einzig bezüglich des Begriffs «Kinderrente» entschied er sich, auch weiterhin eine Ersetzung in allen Erlassen zu fordern. Dabei folgte er jedoch dem neuen Vorschlag der SGK-NR, die sich für den Begriff «Zusatzrente für Eltern» stark gemacht hatte, da auch der Begriff «Zulage für Eltern», die der Nationalrat zuvor angenommen hatte, zu ungenau sei, wie Benjamin Roduit (cvp, VS) dem Rat erklärte. Obwohl eine Minderheit Schenker (sp, BS) für die Beibehaltung des bisherigen Begriffs plädierte, nahm der Rat die Änderung mit 116 zu 77 Stimmen gegen den Willen von SP und Grünen sowie von vereinzelten Mitgliedern der GLP-, FDP- oder Mitte-Fraktion an.
Gegen den Willen der Kommissionsmehrheit, die an der Senkung der Kinderrenten festhalten wollte, folgte der Nationalrat diesbezüglich einer Minderheit Lohr (cvp, TG), der Argumentation von Yvonne Feri (sp, AG), wonach 70'000 Kinder betroffen wären und es zu einer Kostenverlagerung zu den EL kommen würde, sowie einer Petition Wermuth (sp, AG; Pe. 19.2026), die den Rat in Ergänzung zur bereits im Ständerat vorliegenden Petition Bonvin (Pe. 19.2013) bat, auf die Senkung zu verzichten. Mit 134 zu 51 Stimmen (bei 5 Enthaltungen) bereinigte der Nationalrat diese Differenz, fast die ganze SVP-Fraktion sowie 2 Mitglieder der FDP-Fraktion sprachen sich dagegen aus.
Des Weiteren lehnte die grosse Kammer einen Minderheitsantrag Herzog (svp, TG) mit 120 zu 66 Stimmen ab, der die Altersschwelle für den Verzicht auf Kürzungen beim Übergang zum stufenlosen Rentensystem bei 60 Jahren, wie es der Bundesrat vorgeschlagen und der Nationalrat bisher vorgesehen hatte, anstelle von 55 Jahren, wie es der Ständerat entschieden hatte, festsetzen wollte.
Schliesslich ging es um die Frage nach Tonaufzeichnungen bei medizinischen Gutachten, deren Einsatz Benjamin Roduit mit «dysfonctionnements scandaleux» rechtfertigte: Bekannt gewordene Fälle hätten gezeigt, dass Gutachten teilweise unsorgfältig und unsachgemäss erstellt worden seien. Tonaufzeichnungen seien nötig als Schutz der Experten vor unbegründeten Vorwürfen sowie der Versicherten vor falschen Angaben im Gutachten. Eine Minderheit Nantermod (fdp, VS) wollte hingegen den Akten ohne Aufforderung durch die Versicherten nur handschriftlich festgehaltene Notizen der Sachverständigen beilegen, weil die Aufzeichnung auf Tonträgern aufgrund des grossen Aufwands, den es gebe, wenn sich jemand «durch Stunden von Tonaufzeichnungen hören» und Ungereimtheiten suchen müsse, nicht zielführend sei, wie Regine Sauter (fdp, ZH) für die Minderheit erklärte. Mit 114 zu 78 Stimmen bestätigte der Nationalrat die Verpflichtung zu Tonträgern und bereinigte somit auch diese Differenz.

Weiterentwicklung der IV (BRG 17.022)
Dossier: Weiterentwicklung der IV (2015-2020) und die dazu führenden Vorstösse

Nationalrat Fabian Molina (sp, ZH) kritisierte im November 2019 im Tagesanzeiger die China-Politik des Bundes und bezeichnete diese als «chaotisch und inkohärent». Das unkoordinierte Vorgehen von Kantonen, Städten und Departementen führe laut Molina dazu, dass die Schweiz ihre Interessen und Werte gegenüber China nicht durchsetzen könne. Der Grund für die harsche Kritik dürften die groben Menschenrechtsverletzungen an der ethnischen Minderheit der Uiguren im Rahmen der sogenannten «Berufs- und Ausbildungscamps» gewesen sein, über welche zahlreiche Schweizer Tageszeitungen zuvor berichtet hatten. Unter anderem äusserte sich Dolkun Isa, der Präsident des Weltkongresses der Uiguren, im Tagesanzeiger zur Lage in Xinjiang und warf Xi Jinping vor, die Uiguren auslöschen zu wollen. Und auch die Neue Zürcher Zeitung äusserte sich chinakritisch und forderte die Schweiz auf, sich gegen ökonomische und stattdessen für humanitäre Interessen zu entscheiden.

Unter diesen Vorzeichen reichte Molina im Dezember 2019 eine Motion ein, um die im Freihandelsabkommen mit China vereinbarten Präferenzbestimmungen zu sistieren, sollte China die Internierungspolitik gegen die Uiguren nicht beenden und Besuche durch den UNHC ermöglichen. Die Schweiz dürfe den Bruch von zwingendem Völkerrecht nicht akzeptieren und müsse diplomatisch, politisch und wirtschaftlich dagegen protestieren, forderte Molina. Ausserdem habe sich China im Abkommen mit der Schweiz vertraglich dazu verpflichtet, völkerrechtliche Normen einzuhalten, also müsse die Schweiz nun entsprechende «Konsequenzen ziehen». In seiner Stellungnahme zeigte sich der Bundesrat besorgt über die Situation in der Region Xinjiang, was man sowohl im bilateralen Dialog, wie auch auf multilateraler Ebene bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht habe. Eine Verknüpfung der Empfehlungen aus dem UN-Menschenrechtsrat mit den Zollkonzessionen des Freihandelsabkommens sei jedoch nicht zielführend, da das Abkommen nur eine vollständige Kündigung als Alternative vorsehe. Man werde jedoch versuchen, die in der Schweiz ansässigen Importeure für die Problematik der Zwangsarbeit innerhalb ihrer Lieferketten zu sensibilisieren, damit diese ihre Verantwortung gemäss OECD-Leitsätzen und UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte wahrnehmen könnten. Aus diesem Grund biete die Bundesverwaltung seit 2018 Workshops zur Umsetzung menschenrechtlicher Sorgfaltsprüfungsverfahren an, ausserdem sei ein Runder Tisch mit Vertretern des SECO, des EDA und verschiedener Unternehmen und Dachverbände zum Thema der Motion geplant. Aufgrund der bereits eingeleiteten Massnahmen beantragte der Bundesrat die Ablehnung der Motion.

Im Dezember 2021 wurde die Motion abgeschrieben, da sie nicht innerhalb von zwei Jahren im Rat behandelt worden war.

Sistierung des Freihandels mit China

Am 6. November 2019 verabschiedete der Bundesrat seine Botschaft zum Doppelbesteuerungsabkommen mit Neuseeland. Es handelte sich dabei um ein Änderungsprotokoll, welches die BEPS-Mindeststandards der OECD in den bestehenden Abkommen implementieren soll. Wie bei den Doppelbesteuerungsabkommen mit Norwegen und Schweden konnte sich die Schweiz mit Neuseeland nicht auf einen gemeinsamen Wortlaut zur Umsetzung des BEPS-Übereinkommens einigen. Auch in diesem Fall wurden die in Folge der Resultate des BEPS-Projekts notwendigen Änderungen durch ein bilaterales Protokoll vorgenommen. Die neu eingeführten Bestimmungen – unter anderem zum Streitschlichtungsprozess – entsprächen «fast ausschliesslich» denjenigen, die auch bei der Unterstellung unter das BEPS-Übereinkommen zur Anwendung gekommen wären. Bei der Konsultation von Kantonen und interessierten Wirtschaftskreisen zeigten sich diese zufrieden mit den Änderungen. Aus diesem Grund wurde auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Doppelbesteuerungsabkommen mit Neuseeland (BRG 19.062)
Dossier: BEPS-Übereinkommen mit der OECD
Dossier: Doppelbesteuerungsabkommen

Am 6. November 2019 verabschiedete der Bundesrat seine Botschaft zum Doppelbesteuerungsabkommen mit den Niederlanden. Gleichzeitig wurden auch die Botschaften zu den Doppelbesteuerungsabkommen mit Norwegen, Schweden und Neuseeland publiziert. In allen Fällen handelt es sich um ein Änderungsprotokoll, welches die BEPS-Mindeststandards der OECD für derartige Abkommen implementieren soll. Im vorliegenden Fall befand sich die Schweiz zudem seit 2012 in Verhandlungen über die korrekte Definition des Begriffs «Vorsorgeeinrichtung». Die beiden Staaten einigten sich schliesslich darauf, die Schweizer Definition des Terminus zu verwenden.

Doppelbesteuerungsabkommen mit den Niederlanden
Dossier: BEPS-Übereinkommen mit der OECD
Dossier: Doppelbesteuerungsabkommen

Am 6. November 2019 verabschiedete der Bundesrat seine Botschaft zum Doppelbesteuerungsabkommen mit Schweden. Es handelte sich dabei um ein Änderungsprotokoll, welches die BEPS-Standards der OECD in den bestehenden Abkommen implementieren soll. Wie bei den Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) mit Norwegen und Neuseeland konnte sich die Schweiz mit Schweden nicht auf einen gemeinsamen Wortlaut zur Umsetzung der BEPS-Richtlinien einigen. Daher wurden die Anpassungen an die Resultate des BEPS-Projekts über ein bilaterales Protokoll vorgenommen. Die neu umgesetzten Bestimmungen entsprächen «fast ausschliesslich» denjenigen, die auch bei der Unterstellung unter das BEPS-Übereinkommen zur Anwendung gekommen wären. Es wurde auf eine Vernehmlassung verzichtet, da sich Kantone und interessierte Wirtschaftskreise mit den Änderungen zufrieden zeigten.

Doppelbesteuerungsabkommen mit Schweden (BRG 19.060)
Dossier: BEPS-Übereinkommen mit der OECD
Dossier: Doppelbesteuerungsabkommen

Im November 2019 veröffentlichte der Bundesrat seine Botschaft zur Genehmigung eines Änderungsprotokolls des Doppelbesteuerungsabkommens mit Norwegen. Im Rahmen des OECD-Übereinkommens zur Bekämpfung der Gewinnverkürzung und -verlagerung (BEPS) – welches auch die Schweiz unterzeichnet hatte – mussten Anpassungen an zahlreichen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) im Bereich des Abkommensmissbrauchs und der Streitbeilegung vorgenommen werden. Die Schweiz und Norwegen konnten sich in einer ersten Gesprächsrunde nicht auf einen genauen Wortlaut zur Übernahme der BEPS-Standards einigen, daher beschlossen die beiden Parteien, die notwendigen Änderungen durch ein bilaterales Protokoll vorzunehmen und somit das DBA nicht direkt dem BEPS-Übereinkommen zu unterstellen. Die Änderungen entsprachen weitgehend den Bestimmungen, die auch unter dem BEPS-Übereinkommen umgesetzt worden wären und erfüllten somit die OECD-Mindeststandards.
Da derartige Änderungsprotokolle dem Referendum unterstehen und ein Vernehmlassungsverfahren verlangen, wurden die Kantone und interessierte Wirtschaftskreise darüber informiert. Da diese die Anpassungen positiv aufnahmen, wurde auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Doppelbesteuerungsabkommen mit Norwegen (BRG 19.061)
Dossier: BEPS-Übereinkommen mit der OECD
Dossier: Doppelbesteuerungsabkommen

Vom 26. bis zum 29. Oktober 2019 besuchte Bundespräsident Ueli Maurer in Begleitung einer Finanzdelegation die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Saudi-Arabien, die beiden wichtigsten Handelspartner der Schweiz in der Golfregion. Damit holte der Bundespräsident den bereits für 2018 angesetzten, aber aufgrund des Mordes am saudi-arabischen Journalisten Jamal Khashoggi verschobenen Besuch nach. Das Verhältnis zwischen der Schweiz und Saudi-Arabien sei in jüngerer Vergangenheit zudem auch wegen der Affäre um die Pilatus Flugzeugwerke belastet, analysierte der Tages-Anzeiger.
Ziele des Besuchs waren unter anderem die Weiterentwicklung der bilateralen Beziehungen und die Umsetzung verschiedener wirtschaftlicher und steuerlicher Abkommen mit den beiden Staaten. Auch Fragen der Rechtsstaatlichkeit, der Demokratie und der Menschenrechte standen gemäss offizieller Medienmitteilung auf dem Programm. Auf seiner Reise machte Maurer zuerst in den VAE halt, wo er gemeinsam mit seiner Delegation an einem finanzpolitischen Dialog zur Stärkung der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen teilnahm. Symbolisch setzte er zudem den ersten Spatenstich auf dem Gelände der Expo 2020, womit er den Baubeginn des umstrittenen Schweizer Pavillons einläutete. Am 28. Oktober folgte die Teilnahme an der «Future Investment Initiative», einem Investorengipfel in Riad (Saudi-Arabien). Auch ein Empfang beim saudischen König Salman bin Abd al-Aziz Al Saud und Prinz Mohammed bin Salman war Teil des offiziellen Besuchs.
Der Besuch zog sowohl in der Schweiz wie auch international Kritik auf sich. Parlamentarierinnen und Parlamentarier von links bis weit ins bürgerliche Lager kritisierten die Reise Maurers. Für Unmut sorgte vor allem, dass die Reise erst einen Tag im Voraus angekündigt worden war. Für Sibel Arslan (basta, BS) war eine derartige «Nacht-und-Nebel-Aktion» nicht akzeptabel. Auch weitere Mitglieder der APK-NR hinterfragten die Motivation und Umstände des Staatsbesuchs. Für den Tages-Anzeiger ging es Maurer «offensichtlich um die Interessen des Wirtschafts- und Finanzplatzes Schweiz», da Schweizer Banken je nach Schätzungen bis zu 300 Mrd. Dollar an saudischem Vermögen verwalteten. Darauf deute auch die Zusammensetzung der Delegation hin, zu der neben dem Präsidenten der Schweizerischen Bankiervereinigung auch Vertreter von UBS und CS gehörten. Der Blick warf der Schweizer Delegation hingegen vor, sich für die PR-Offensive zur Rehabilitierung des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, der für den Mord an Kashoggi mitverantwortlich gemacht wurde, instrumentalisieren zu lassen.

Besuch von Ueli Maurer in Saudi-Arabien

In seiner im Oktober 2019 veröffentlichten Botschaft zur Änderung des Doppelbesteuerungsabkommens mit dem Iran betont der Bundesrat die Notwendigkeit eines Änderungsprotokolls, da das DBA mit dem Iran seit seiner Unterzeichnung 2002 nicht mehr revidiert worden war. Neuerungen im Bereich des Informationsaustauschs auf Ersuchen und im BEPS-Übereinkommen mit der OECD böten laut Bundesrat Grund genug, das Abkommen den aktuellen Gegebenheiten anzupassen. Wie auch bei zahlreichen anderen Doppelbesteuerungsabkommen mussten Massnahmen implementiert werden, um die BEPS-Mindeststandards zur Missbrauchsverhinderung und zur Stärkung der Verständigungsverfahren zu gewährleisten.

In der Frühjahrssession 2020 gelangte das Änderungsprotokoll in den Nationalrat. Dort setzten sich sowohl Nationalrat Bendahan (sp, VD) wie auch Martin Landolt (bdp, GL) – als Sprecher der WAK-NR – für die Annahme desselben ein. Die grosse Kammer zeigte sich von deren Notwendigkeit überzeugt und genehmigte die Änderungen mit 144 zu 41 Stimmen (bei 5 Enthaltungen). Die Gegenstimmen stammten ausschliesslich aus den Reihen der SVP.

Doppelbesteuerungsabkommen mit Iran (BRG 19.056)
Dossier: BEPS-Übereinkommen mit der OECD
Dossier: Doppelbesteuerungsabkommen

Wie der «Blick» berichtete, seien im Oktober 2019 die Räumlichkeiten von Economiesuisse von «Autonomen gestürmt» worden. Die Aktivisten hätten sich Zutritt zum Büro des Wirtschaftsverbandes verschafft und Masken des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan getragen. Hinter der Aktion steckte die linksautonome Gruppierung «Revolutionäre Jugend Bern», die ein Video von der Aktion veröffentlichte. Sie warf Economiesuisse vor, mit «Diktaturen und Terrorregimen» wie der Türkei zusammenzuarbeiten, da sich der Verband für ein Freihandelsabkommen mit dem Land eingesetzt hatte. Der Wirtschaftsverband erstattete aufgrund des Vorfalls Anzeige wegen Hausfriedensbruch und Drohung.

Linksautonome Economiesuisse

Der Bundesrat verabschiedete im Oktober 2019 seine Botschaft zur Änderung des Doppelbesteuerungsabkommens mit der Ukraine. Im Zuge des Beitritts zum BEPS-Übereinkommen der OECD nahm der Bundesrat an zahlreichen Doppelbesteuerungsabkommen Änderungen vor, um die neuen Mindeststandards zu erfüllen. Diese beinhalteten Bestimmungen zur Verhinderung missbräuchlicher Inanspruchnahme des DBA und zur Streitbeilegung. Im Fall der Ukraine kam zusätzlich noch eine Anpassung der Bestimmungen über den Informationsaustausch hinzu, um diese dem internationalen Standard für Informationsaustausch auf Ersuchen anzugleichen.

Der Nationalrat folgte in der Frühjahrssession 2020 der Empfehlung der WAK-NR und genehmigte das Änderungsprotokoll mit 148 zu 37 Stimmen (bei 5 Enthaltungen). Die Gegenstimmen stammten ausschliesslich aus der Fraktion der SVP.

Doppelbesteuerungsabkommen mit der Ukraine (BRG 19.054)
Dossier: BEPS-Übereinkommen mit der OECD
Dossier: Doppelbesteuerungsabkommen

Mitte Juni 2019 wurde die neue Schweizer Botschaft in Moskau eingeweiht. Wie die Westschweizer «Liberté» kurz darauf kritisch berichtete, sei die Eröffnung von Sponsoren mitfinanziert worden, unter anderem vom Tabakmulti Philip Morris und dem Rohstoffhändler Glencore sowie von weiteren Unternehmen wie ABB, Stadler oder Victorinox. Unter den Geldgebern befinde sich auch der dem russischen Präsidenten Wladimir Putin nahestehende russische Oligarch Gennady Timochenko. Das EDA habe in einer Stellungnahme gegenüber der Tamedia-Gruppe unterstrichen, dass die Eröffnung standardmässig stattgefunden habe und dass es im Sponsoring «rien d'anormal» sehe. Denn Timochenko setze sich für den Dialog zwischen Russland und Europa ein, ausserdem sei die Schweiz von den internationalen Sanktionen gegen Russland oder den russischen Gegensanktionen ausgenommen. So sei das Sponsoring als Investition zu sehen, um nebst den diplomatischen auch die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und Russland zu stärken.
Im August griffen die Aargauer Zeitung und das St. Galler Tagblatt das Thema erneut auf, nachdem bekannt geworden war, dass der Tabakkonzern Philip Morris als «Main Partner» der Landesausstellung in Dubai hätte auftreten sollen, wo er das Image der Schweiz für Werbezwecke hätte nutzen können. Wegen der andauernden Kritik seitens der Presse und der Politik, letztlich auch aus Angst vor einem Imageschaden für die Schweiz, gab Bundesrat Ignazio Cassis bekannt, dass man sich vom Sponsor Philip Morris trennen werde.
Die Kritik an der Sponsoringpraxis des Bundes veranlagte Cassis schliesslich dazu, die dem EDA untergeordnete Organisation «Präsenz Schweiz» damit zu beauftragen, bis Ende 2019 das bestehende Sponsoring-Handbuch zu überprüfen und gegebenenfalls zu aktualisieren.

Umstrittenes Sponsoring Moskau

Im September 2019 nahm die Bundeskanzlei die Vorprüfung der Volksinitiative «Ja zu steuerfreien AHV- und IV-Renten» vor. Die Initiative eines Komitees um SVP-Nationalrätin Yvette Estermann (svp, LU) – dessen Mitglieder zuvor bereits die Initiative «Ja zu mehr Mitbestimmung der Bevölkerung bei der Kranken- und Unfallversicherung» eingereicht hatten –, beabsichtigt, AHV- und IV-Renten von Personen mit jährlichem Einkommen unter CHF 72'000 von den Steuern zu befreien. Mit der Initiative wolle man der steigenden finanziellen Belastung der Rentnerinnen und Rentner entgegenwirken, erklärte das Initiativkomitee. Zur Finanzierung, die im Initiativtext nicht geregelt ist, schlug Estermann im Rahmen einer Medienkonferenz vor, auf die Auszahlung der Kohäsionsmilliarde zu verzichten. Eine ähnliche Motion Estermann aus dem Jahr 2013 (Mo. 13.4074), die ihrerseits auf einer Motion Kaufmann (svp, ZH; Mo. 08.3726) beruhte, war unbehandelt abgeschrieben worden. Der Bundesrat hatte seine Ablehnungsempfehlung damals damit begründet, dass die AHV- und IV-Beziehenden gegenüber den übrigen Steuerzahlenden nicht bevorteilt werden sollten, eine Steuerbefreiung der Renten korrekterweise auch eine Besteuerung der AHV-Beiträge nach sich ziehen müsste und die hohen Kosten – 2014 sprach er von CHF 770 Mio. jährlich – gegenfinanziert werden müssten.
Sammelbeginn für die Unterschriften war der 24. September 2019, die Sammelfrist würde folglich bis zum 24. März 2021 laufen. Aufgrund des vom Bundesrat verhängten Fristenstillstands bei eidgenössischen Volksbegehren bis zum 31. Mai 2020 wird diese Frist entsprechend verlängert.

Eidgenössische Volksinitiative «Ja zu steuerfreien AHV- und IV-Renten»
Dossier: Volksinitiativen zur Altersvorsorge (seit 2015)

In seiner Beratung der Weiterentwicklung der IV schuf der Ständerat in der Herbstsession 2019 gemessen an der Grösse des Projekts nur wenige, jedoch sehr gewichtige Differenzen zum Nationalrat. So entschied er sich, die Kinderrenten nicht von 40 auf 30 Prozent zu kürzen. Der Nationalrat habe sicherstellen wollen, dass Personen, die eine IV-Rente beziehen, nicht bessergestellt würden als Personen, die keine IV-Rente beziehen, hatte Kommissionssprecher Eder (fdp, ZG) zuvor erklärt. Nun habe eine Abklärung der finanziellen Verhältnisse aber ergeben, dass Familien mit Kinderrenten und Ergänzungsleistungen in allen berechneten Konstellationen weniger Einkommen zur Verfügung hätten als vergleichbare Familien ohne Kinderrenten und EL. Entsprechend sei eine Reduktion der Kinderrenten «nicht angebracht». Im Rahmen dieses Entscheids hatte die SGK-SR auch die Petition Bonvin (Pe. 19.2013) zur Kenntnis genommen. Gleichzeitig verzichtete die kleine Kammer auf die Begriffsänderung von «Kinderrenten» zu «Zulage für Eltern». Zwar habe ein Bericht der Verwaltung gezeigt, dass «Zulage für Eltern» die passendere Bezeichnung sei, eine entsprechende Umstellung würde aber beträchtlichen administrativen Aufwand mit sich bringen, so der Kommissionssprecher.
Eine weitere Änderung gegenüber der nationalrätlichen Version nahm der Ständerat aufgrund eines Änderungsantrags des Bundesrates vor. So sollte gemäss IVG das BSV in einer IV-Arzneimittelliste auch die Höchstpreise einzelner Arzneimittel festlegen. Entsprechend der aktuellen Regelungen träfen heute jedoch sowohl das BSV als auch das BAG Abklärungen zu den Medikamentenkosten, die überdies aufgrund von Behandlungskosten von bis zu einer Million Franken pro Jahr und Kind auch immer aufwändiger würden, hatte der Bundesrat brieflich erklärt. In Zukunft solle hierfür ein Kompetenzzentrum geschaffen werden und die Zuständigkeit für die IV-Arzneimittel folglich entweder dem BSV oder dem BAG übertragen werden. Da bisher das BSV von der IV Rückvergütungen für solche Abklärungen erhalten habe, müsse sichergestellt werden, dass diese allenfalls zukünftig auch das BAG erhalten könne. Stillschweigend nahm der Ständerat die entsprechenden Änderungen an.
Darüber hinaus schuf der Ständerat einige weitere kleinere Differenzen: Er entschied sich, die vom Nationalrat vorgeschlagene Liste mit allen Sachverständigen und Gutachterstellen der Versicherungsträger statt im ATSG im IVG aufzuführen, so dass davon nur die IV betroffen ist. Im Gegenzug sollte die Liste zukünftig aber trotz Kritik des Bundesrates und des Bundesgerichts auch die Anzahl der durch die verschiedenen Gutachter attestierten Arbeitsunfähigkeiten enthalten. Die Protokollierung der Gutachten, die ebenfalls der Nationalrat eingeführt hatte, änderte der Ständerat in eine kostengünstigere Pflicht, die Tonaufnahmen zwischen den Versicherten und den Sachverständigen in die Akten aufzunehmen. Alex Kuprecht (svp, SZ) hatte auf eine entsprechende Pflicht zur Protokollierung oder zu Tonaufnahmen verzichten wollen, um eine «Verrechtlichung der medizinischen Untersuchungen» zu verhindern. Mit 34 zu 8 Stimmen folgte der Ständerat jedoch der Kommissionsmehrheit. Des Weiteren schuf der Ständerat eine Möglichkeit, Forderungen nach allfälligen nichtkostendeckenden IV-Tarifen Nachdruck verleihen zu können. Dies hatten indirekt vier Standesinitiativen gefordert. So soll das EDI neu für den Festsetzungsentscheid zuständig sein. Es kann Verträge zur Regelung der Zusammenarbeit mit Personen und Stellen, welche Abklärungs- oder Eingliederungsmassnahmen durchführen, abschliessen. Kommen keine solchen Verträge zustande, soll es zukünftig anfechtbare Verfügungen zur Regelung der Zusammenarbeit und der Tarife erstellen, bestehende Verträge allenfalls um ein Jahr verlängern und anschliessend die Tarife selbst festlegen können.
In den restlichen Punkten folgte der Ständerat dem Nationalrat. So sprach er sich ebenfalls für das stufenlose Rentensystem aus. Kommissionssprecher Eder argumentierte, dass finanzielle Anreize für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit oder die Erhöhung des Arbeitspensums geschaffen würden, wenn das Gesamteinkommen aus Rente und Erwerbseinkommen bei steigendem Erwerbseinkommen stetig zunehme. Für Personen über 55 Jahren – der Bundesrat und der Nationalrat hatten hier eine Grenze von 60 Jahren vorgeschlagen, der Ständerat zog jedoch eine Grenze von 55 Jahren vor – sollen die bisherigen Renten jedoch bestehen bleiben. Damit lehnte der Rat sowohl eine Minderheit Kuprecht, die volle Invalidenrenten erst ab einem Invaliditätsgrad von 80 Prozent sprechen wollte, sowie eine Minderheit Rechsteiner, die auf den Systemwechsel verzichten wollte, da dieser zwar für das System, nicht aber für die einzelnen Versicherten kostenneutral sei, ab. Entgegen einem weiteren Antrag Rechsteiner verzichtete der Ständerat schliesslich auch darauf, die Zinsen der IV-Schulden bis zu deren vollständiger Entschuldung dem Bund zu übertragen.
Insgesamt stimmte die kleine Kammer der Vorlage mit 37 Stimmen bei 4 Enthaltungen ohne Gegenstimmen zu.

Weiterentwicklung der IV (BRG 17.022)
Dossier: Weiterentwicklung der IV (2015-2020) und die dazu führenden Vorstösse

In der Herbstsession 2019 nahm der Nationalrat Kenntnis vom Bericht zu den abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträgen 2018. Dieser umfasst sämtliche neu beschlossenen oder geänderten völkerrechtlichen Verträge ohne Ratifikationsvorbehalt, die dem Parlament also nicht zur Genehmigung vorgelegt werden mussten. Obwohl das Parlament auch bei diesen Verträgen die Möglichkeit besässe, mithilfe einer Motion Einfluss zu nehmen, war das im Jahr 2018 kein einziges Mal der Fall. 2018 wurden insgesamt weniger Verträge abgeschlossen und abgeändert als noch 2017, die Gesamtzahl blieb aber dennoch hoch (526 Abkommen, 273 Änderungen). Bundesrat Cassis interpretierte dies dahingehend, dass die Schweiz sich weiterhin intensiv darum bemühe, bei ihrer Interessenvertretung über eine solide Rechtsgrundlage zu verfügen. Mehrere Mitglieder des Nationalrats lobten die stetig wachsende Qualität und verbesserte Lesbarkeit der Publikation. Die kurze Diskussion sei ein Zeichen für das Vertrauen, welches die Parlamentsmitglieder dem Bundesrat und der Verwaltung entgegenbrächten, meinte Claude Béglé (cvp, VD).

Auch der Ständerat, der sich am 10. Dezember damit befasste, hatte dem nicht viel hinzuzufügen. Mit lobenden Worten und viel Wohlwollen nahm auch die kleine Kammer Kenntnis vom Bericht.

Bericht zu den abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträgen 2018
Dossier: Bericht zu den abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträgen

Mitte September 2019 stattete der indische Präsident Ram Nath Kovind der Schweiz einen eintägigen Besuch ab. Im Zentrum der Gespräche standen der Abschluss eines Freihandelsabkommens zwischen den EFTA-Staaten und Indien, worüber schon seit 2008 verhandelt wurde, sowie ein bilaterales Investitionsschutzabkommen. Vertiefte Kooperation fasste man in den Bereichen Schienenverkehr, Cleantech und erneuerbare Energien ins Auge. Die Vertreter beider Länder unterzeichneten nach Abschluss der offiziellen Gespräche mehrere Absichtserklärungen, um im Kampf gegen den Klimawandel zusammenzuarbeiten und die Wissenschaftskooperation auszubauen. Der Besuch von Präsident Kovind war der dritte Besuch eines indischen Staatsoberhaupts in den vergangenen 15 Jahren, nachdem bereits Abdul Kalam und Pratibha Patil in die Schweiz gereist waren.

Indischer Präsident Ram Nath Kovind

Anfang September 2019 berichtete der Sonntagsblick darüber, dass verschiedene Ärzte für medizinische Gutachten für die IV über mehrere Jahre Millionenbeträge erhalten hätten. Angeführt wurden Beispiele von einer Ärztin und einem Arzt, denen die IV-Stellen in sechs Jahren CHF 1.86 Mio. respektive CHF 1.82 Mio. für Gutachten ausbezahlt hätten. Ein Gutachter habe in sieben Jahren gar CHF 3.1 Mio. erhalten, war in einem späteren Zeitungsbericht zu lesen.
Problematisch seien diese hohen Zahlungen, weil die Gutachterinnen und Gutachter deshalb nicht mehr unabhängig seien: Die Gefahr bestehe, dass sie im Sinne der IV-Stellen entschieden und deshalb seltener Rentenleistungen als gerechtfertigt einschätzten als andere Ärztinnen und Ärzte. Wer möglichst selten Arbeitsunfähigkeiten feststelle, würde von den IV-Stellen auch zukünftig vermehrt für Gutachten eingeladen, war die Vermutung der Medien. Diese Befürchtung untermauerte der Blick durch Zahlen von kantonalen IV-Stellen, die aufgrund des Öffentlichkeitsprinzips hatten zugänglich gemacht werden müssen: Im Kanton Basel-Landschaft zeige sich zum Beispiel, dass im ersten Halbjahr 2018 zwei Ärzte für ein Viertel der psychiatrischen Gutachten verantwortlich gewesen seien. Diese zwei Ärzte hätten in 26 Prozent der Fälle eine Arbeitsunfähigkeit ab 40 Prozent festgestellt, alle anderen Gutachter seien zusammen auf einen Anteil von 57 Prozent gekommen. In der Folge musste auch das BSV die Liste der zwischen 2012 und 2018 eingesetzten Gutachterinnen und Gutachter veröffentlichen, wobei sich ebenfalls eine einseitige Verteilung zeigte: 10 Prozent der Gutachtenden erhielten in dieser Zeit 73 Prozent des Auftragsvolumens.
Aufgrund der grossen Bedeutung, die den Gutachterinnen und Gutachtern im Rahmen der IV-Verfahren zukomme, sei deren fehlende Unabhängigkeit besonders stossend, argumentierten der Blick und in der Folge auch weitere Medien. So werde hauptsächlich aufgrund der Gutachten entschieden, ob jemand IV erhalte. «Die Gutachter erfüllen beinahe richterliche Funktionen», erklärte etwa Rainer Deecke, Präsident der Selbsthilfeorganisation für Schmerzkranke, touché.ch. Das BSV bezweifelte hingegen die fehlende Unabhängigkeit der Gutachterinnen und Gutachter und betonte, dass «mit einem prozentualen Anteil bestimmter Arbeitsunfähigkeitsgrade [...] sachlich fundiert keine qualitative Beurteilung einer Gutachtertätigkeit vorgenommen werden [könne]». Stattdessen verwies BSV-Sprecher Harald Sohns darauf, dass die Gutachten bis vors Bundesgericht Beweiskraft haben müssten und somit nicht willkürlich erstellt werden könnten.
Dass diese Beweiskraft jedoch nicht immer gegeben ist, zeigte die weitere Berichterstattung zu diesem Thema in den Medien. Diese berichteten in den nächsten Wochen von zahlreichen Personen, denen die IV-Rente unter anderem aufgrund von Rechtsgutachten aberkannt oder nicht zugesprochen wurde, die ihre Forderungen jedoch später vor Bundesgericht zumindest teilweise durchsetzen konnten. Gleichzeitig wurden weitere Probleme bezüglich der IV-Gutachten publik: Betroffene berichteten davon, dass ihre Aussagen in Gutachten verdreht worden seien oder dass sich die Gutachterinnen und Gutachter für ein Gespräch teilweise weniger als 30 Minuten Zeit genommen hätten. Ein Arzt erläuterte, dass er immer wieder praktisch identische Gutachten – sogennante «Copy/Paste-Gutachten» – zu Gesicht bekomme. Teilweise seien auch Ärztinnen und Ärzte aus Deutschland, welche die Situation in der Schweiz nicht kennen würden, hier kaum Rechenschaft ablegen müssten und nur Hochdeutsch verstünden, für Gutachten in die Schweiz geholt worden. Zudem gebe es Ungereimtheiten bei den Mehrdisziplinen-Gutachten, bei denen mindestens drei verschiedene medizinische Fachrichtungen einbezogen werden und die im Unterschied zu Ein- oder Zweidisziplinen-Gutachten zufällig vergeben würden. So arbeiteten beispielsweise verschiedene Ärzte des marktführenden Unternehmens bei verschiedenen Gutachterfirmen, womit die Zufallsvergabe teilweise umgangen worden sei.
Mitte Dezember 2019 berichteten die Medien schliesslich auch darüber, dass das BSV allen kantonalen IV-Stellen ein jährliches «Sparziel» definiere, gemäss dem sie die Zahl von Neurenten, die Gesamtrentenzahl sowie die Kosten pro Versicherten «halten» oder «senken» sollten. Entsprechend «prüfe [die IV] nicht mehr überall offen, auf welche Leistungen ein Versicherter Anspruch habe, sondern wie das Quotenziel erreicht werden [könne]», kritisierte Alex Fischer von der Behindertenselbsthilfe Procap. Das BSV verwies jedoch darauf, dass dies keine Sparvorgaben, sondern Leistungsziele seien und somit einen Teil des Aufsichts- und Steuerungsprozesses der IV darstellten. Alle Versicherten erhielten die ihnen gesetzlich zustehenden Leistungen, betonte das BSV. Die NZZ erklärte, dass diese Praxis auf die fünfte IV-Revision 2008 zurückzuführen sei. Seither müsse das BSV prüfen, ob die Integration in den Arbeitsmarkt funktioniere, wozu es ebendiese Kennzahlen verwende. Diese stellten somit nur einen «Wasserpegelmesser» dar und seien für die IV-Stellen nicht verbindlich, ihre Nichteinhaltung habe auch keine Folgen. Dennoch würden sie den Mitarbeitenden in einigen Kantonen kommuniziert, ergänzten die Medien.

Im Rahmen dieser Berichterstattung formulierten Behindertenverbände und Sozialversicherungsanwälte zahlreiche Forderungen, wie die Politik dieser Problematik begegnen solle. So brauche es schweizweite transparente Daten zu den IV-Gutachten mit Einbezug der Anteile an erklärten Arbeitsunfähigkeiten, eine Aufzeichnung der Gespräche und eine übergeordnete Qualitätskontrolle bei den Gutachten. Zudem sollten die IV-Stellen zukünftig nicht mehr entscheiden dürfen, wer die Gutachten erstelle; diese sollten nach Zufallsprinzip zugeteilt werden, wie es bei komplexen Gutachten mit drei oder mehr Ärzten aufgrund eines Bundesgerichtsurteils 2011 heute schon der Fall sei. Von diesen Massnahmen zeigten sich die Versicherungsmediziner nicht überzeugt. Bereits heute gebe es Instrumente, um gute und schlechte Gutachten zu unterscheiden. Tonbandaufnahmen würden hingegen zu neuen, langwierigen Rechtsauseinandersetzungen führen, bestmögliche Rahmenbedingungen für das Gespräch verhindern und zu einer verhörähnlichen Situation führen.
In der folgenden Wintersession 2019 überschlugen sich die Parlamentarierinnen und Parlamentarier förmlich mit Vorstössen zu diesem Thema. So reichten sie Anfragen oder Interpellationen zur üblichen Qualität der Gutachten ein (Frage Müller-Altermatt, cvp, SO; 19.5700) und stellten konkrete Fragen zu zwei im Zentrum der Berichterstattung stehenden Gutachtern (Ip. Roduit, cvp, VS; 19.4498 und Ip. Bertschy, glp, BE; 19.4481) und einem Unternehmen (Ip. Prelicz-Huber, gp, ZH; 19.4623) oder zu Ärzten, die an mehreren Gutachterstellen arbeiteten (Ip. Studer, evp, AG; 19.4592). Überdies wollten sie wissen, ob es gängige Praxis sei, dass IV-Stellen nur bei Attesten einer Arbeitsunfähigkeit, nicht aber bei Arbeitsfähigkeit Nachfragen stellten (Frage Roduit; 19.5647), ob die Quotenziele des BSV mit dem Rechtsanspruch auf IV in Konflikt stünden (Ip. Graf, gp, BL; 19.4636), ob zukünftig alle IV-Gutachten zufällig vergeben werden könnten (Ip. Lohr, cvp, TG; 19.4469) und was der Bundesrat allgemein tue, um die Situation zu verbessern (Ip. Wasserfallen, sp, BE; 19.4513). Überdies stellten sie Fragen zur von Bundesrat Berset angekündigten externen Untersuchung (Ip. Studer; 19.4593). So hatte der Gesundheitsminister im Rahmen der Fragestunde erklärt, eine detaillierte Analyse der Situation und der notwendigen Massnahmen in Auftrag gegeben zu haben.
Darüber hinaus dürfte die Medienberichterstattung auch in die Beratung der Weiterentwicklung der IV in der Wintersession 2019 eingeflossen sein. Da stritt man sich zu diesem Zeitpunkt noch darum, ob den Gutachten künftig Tonaufzeichnungen, wie vom Ständerat gewünscht, anstelle eines schriftlichen Protokolls durch die Gutachter, wie es der Nationalrat vorgeschlagen hatte, beigelegt werden sollten. Benjamin Roduit, der ebenfalls zwei Interpellationen zum Thema verfasst hatte, verwies im Rat auf verschiedene Fälle, in denen Gutachten unsorgfältig oder unsachgemäss erstellt worden seien. Mit 114 zu 78 Stimmen bestätigte der Nationalrat die Verpflichtung zu Tonaufzeichnungen, welcher der Ständerat bereis zuvor zugestimmt hatte. Zudem stimmte der Nationalrat einstimmig der Schaffung einer Liste aus Gutachterstellen und Sachverständigen, in denen die Anzahl begutachteter Fälle sowie die Ergebnisse des Gutachtens bezüglich des Grads der attestierten Arbeitsunfähigkeit enthalten war, zu. In seiner ersten Beratung hatte er sich auf eine Gutachterliste ohne Grad der Arbeitsunfähigkeit beschränkt. Eine weitere in der Diskussion erwähnte Forderung hatte das Parlament im Rahmen der Weiterentwicklung der IV bereits umgesetzt: So schuf es eine Kommission aus Gutachterstellen, Ärzteschaft, Wissenschaft und Patientenschaft, welche die Zulassung als Gutachterstellen, das Verfahren zur Gutachtenerstellung und die Ergebnisse der medizinischen Gutachten überwachen sollte.

IV-Skandal

Mit der Annahme des Bundesbeschlusses über die Genehmigung des Abkommens zwischen der Schweiz und Kosovo über soziale Sicherheit zahlte die Schweiz ab September 2019 wieder AHV- und IV-Renten in den Kosovo aus. Ende 2009 hatte der Bundesrat aufgrund einer fehlenden funktionierenden Verwaltung im Kosovo entschieden, neu in den Kosovo zurückkehrenden Personen keine Renten mehr auszahlen zu lassen. Die Betroffenen hatten im Gegenzug jedoch die Rückzahlung ihrer geleisteten AHV- und IV-Beiträge fordern können. Obwohl es gemäss Medien aufgrund dieser zwischenzeitlichen Sistierung zu zahlreichen Härtefällen gekommen war, war keine rückwirkende Entschädigung geplant.

Sécurité sociale. Convention avec le Kosovo
Dossier: Sozialversicherungsabkommen der Schweiz
Dossier: Sozialversicherungsabkommen mit den Nachfolgestaaten der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien

«Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen»: Einiges zu erzählen hatte in der Tat Nationalrat Claude Béglé (cvp, VD) von seiner privaten Reise nach Nordkorea und tat dies auch fleissig via soziale Medien. Er lobte laut der Basler Zeitung «'die gute Seite des Sozialismus', der den Menschen Zugang zu Wissen und Kultur verschaffe. Die Leute seien entspannt, 'trinken Bier und amüsieren sich'». Béglés Anwesenheit schlachtete das nordkoreanische Regime freilich mit Propaganda-Nachrichten aus. Er habe den Geburtsort des Revolutionsführers Kim Il-sung besucht und eine Massengymnastik-Aufführung genossen – so die nordkoreanische Propaganda. Die mediale Aufmerksamkeit in der Schweiz war Béglé dann nicht nur aufgrund der Kritik des Präsidenten seiner Partei, Gerhard Pfister (cvp, SZ), sicher. Dieser warf ihm vor, der nordkoreanischen Propaganda aufgesessen zu sein, und befürchtete kurz vor den eidgenössischen Wahlen Schaden für seine Partei, insbesondere im Hinblick auf den Sitz im Kanton Waadt, den Béglé zu verteidigen hatte. Pfister und die CVP hätten eine ganz andere Auffassung der Situation in Nordkorea als Béglé, so Pfister beschwichtigend. Mediale Kritik hagelte es dann aber auch, weil Béglé von Nordkorea augenscheinlich als offizieller Vertreter der Schweiz behandelt wurde. Dies löste Diskussionen über die Rolle von Parlamentsmitgliedern auf Auslandsreisen aus. Ihr Mandat komme einigen Parlamentarierinnen und Parlamentariern auf Privatreisen gelegen, urteilte etwa der Tages-Anzeiger: Sie würden die Kosten zwar selber tragen, «fühlen sich als Würdenträger aber gebauchpinselt und schätzen damit verbundene Annehmlichkeiten und offene Türen». Angeheizt wurde die Diskussion zudem, weil Béglé mit einem Diplomatenpass unterwegs war, den Parlamentsmitglieder beantragen können, wenn sie – laut Ausweisverordnung – in parlamentarischem Auftrag ins Ausland reisen. Anscheinend waren einige Parlamentsmitglieder allerdings häufig auch privat mit einem Diplomatenpass unterwegs, da auch dieser auf Reisen einige Annehmlichkeiten verspricht. Auch wenn etwa Fabio Molina (sp, ZH) in der NZZ vor zu viel Aufhebens warnte – die parlamentarische Diplomatie sei durchaus auch als Gegengewicht zur bundesrätlichen Aussenpolitik wichtig –, wurde in der Folge eine klarere Regelung verlangt, um zu klären, «wie privat [...] Privatreisen von Parlamentariern überhaupt sein» können, wie die NZZ rhetorisch fragte.
Béglé selber verteidigte seine Aussagen an einer Pressekonferenz Ende August. Er habe damit das Vertrauen des Regimes gewinnen wollen, was ihm auch gelungen sei, sei er doch an zahlreiche Orte geführt worden, die eigentlich nicht auf der Reiseagenda gestanden hätten. Er stimme der Meinung zu, dass Nordkorea das undemokratischste Land der Welt sei, man müsse aber auch versuchen, Vorurteile abzubauen. Er würde wieder so handeln und finde die Berichterstattung über seine Reise übertrieben. Béglé blieb – nach einer Aussprache mit der kantonalen und der nationalen Partei – für die eidgenössischen Wahlen 2019 Spitzenkandidat für die CVP im Kanton Waadt.

Beglé - Reisen mit Diplomatenpass